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MIA > Deutsch > Marxisten > Trotzki > Stalins Verbrechen > Voruntersuchung
Die Agenten Moskaus haben in der allerletzten Zeit folgende Argumente gebraucht: „Während seines Aufenthalts in Mexiko hat Trotzki keinerlei Beweise beigebracht. Es besteht kein Grund, anzunehmen, er würde sie in Zukunft beibringen. Somit ist die Kommission von vornherein zur Unfruchtbarkeit verurteilt.“ Wie kann man, frage ich, ohne Untersuchung der Tatsachen und Dokumente eine Fälschung umstoßen, die während einer Reihe von Jahren vorbereitet und aufgebaut wurde? „Freiwillige Geständnisse“ von Stalin, Jagoda, Jeschow und Wyschinski besitze ich tatsächlich nicht, das gestehe ich im Voraus. Wenn ich bis jetzt keine magische Formel beigebracht habe, die alle Beweise erschöpft, so ist es unwahr, dass ich keine Beweise beigebracht hätte. Während des letzten Prozesses gab ich täglich in der Presse Erklärungen mit genauen Widerlegungen ab. Den stenographischen Bericht des zweiten Prozesses habe ich erst vor zwei Wochen erhalten. Von einer abgeschlossenen Widerlegung kann unter diesen Umständen nicht die Rede sein. Jedoch habe ich – obwohl ich über keine Tageszeitung oder auch nur Wochenzeitung verfüge, wo ich mich in aller Freiheit aussprechen könnte – alle Angaben des letzten Prozesses, die gegen mich persönlich gerichtet waren, völlig widerlegt und damit das gesamte Prozessamalgam untergraben.
Sich in seinem Schlusswort gegen die Beschimpfungen des Staatsanwalts verteidigend, der die Angeklagten nur als Gauner und Banditen charakterisierte (der Staatsanwalt Wyschinski ist selbst ein zynischer Karrierist, ein früherer rechter Menschewik), überschritt Radek offensichtlich die vorher festgelegten Grenzen der Selbstverteidigung und sagte mehr, als nötig war, und mehr, als er selbst gewollt hatte. Das ist ja überhaupt der bemerkenswerteste Zug an Radek! Diesmal aber hat er Dinge von hervorragender Bedeutung ausgesprochen. Aus diesem Grunde ist es wichtig, das letzte Wort dieses Angeklagten ganz besonders aufmerksam zu lesen. Die terroristische Tätigkeit und die Verbindung der Trotzkisten mit der Konterrevolution und den Schädlingsorganisationen sind, nach Radeks Worten, restlos bewiesen.
„Aber“, fährt er fort, „der Prozess hat zwei Zentren, er hat noch eine andere riesige Bedeutung. Er hat die Schmiede des Krieges gezeigt, und er hat gezeigt, dass die trotzkistische Organisation eine Agentur jener Kräfte wurde, die den Weltkrieg vorbereiten. Welche Beweise gibt es für diese Tatsache? Für diese Tatsache gibt es Zeugenaussagen zweier Menschen: die eine von mir, der ich Direktiven und Briefe von Trotzki erhielt – die ich leider verbrannte – und die Zeugenaussagen von Pjatakow, der Trotzki gesprochen hat. Alle übrigen Aussagen der anderen Angeklagten beruhen auf unseren Aussagen. Wenn ihr es mit reinen Kriminellen zu tun habt, mit Spitzeln, worauf basiert dann Eure Sicherheit, dass das, was wir gesagt haben, die Wahrheit ist, die unerschütterliche Wahrheit?“
Man traut seinen Augen nicht, wenn man diese zynisch-offenen Zeilen im Prozessbericht liest.
Weder der Staatsanwalt noch der Vorsitzende machten auch nur den geringsten Versuch, Radek zu berichtigen oder zu korrigieren: zu riskant! Indes töten Radeks verblüffende Worte den gesamten Prozess. Ja, die ganze Anklage gegen mich stützt sich auf Radeks und Pjatakows Aussagen. An Belastungsmaterial existiert keine Spur. Briefe, die Radek von mir angeblich erhielt, hat er „leider“ verbrannt (im russischen Prozessbericht ist die Anklageschrift jedoch so verfasst, als habe er meine Briefe im Original zitiert). Der Staatsanwalt behandelt Radek und Pjatakow wie prinzipienlose Lügner, die nur eine Aufgabe verfolgen: die Behörden zu betrügen. Radek antwortet: Wenn unsere Aussagen falsch sind (sowohl Radek wie der Staatsanwalt wissen, dass die Aussagen falsch sind!), was bleibt Euch als Beweis dafür, dass Trotzki mit Deutschland und Japan einen Bund geschlossen hat zu dem Zwecke, den Krieg zu beschleunigen und die UdSSR zu zerreißen? Euch bleibt nichts. Dokumente gibt es nicht. Die Aussagen der anderen Angeklagten stützen sich auf unsere Aussagen Der Staatsanwalt schweigt. Der Vorsitzende schweigt.
Es schweigen auch die ausländischen „Freunde“. Ein drückendes Schweigen! Das ist das wahre Gesicht des Prozesses. Ein grauenhaftes Gesicht!
Wir wollen noch einmal an die faktische Seite der Aussagen von Radek und Pjatakow erinnern. Radek stand angeblich mit mir in Verkehr durch Wladimir Romm. Wladimir Romm hatte mich ein einziges Mal gesehen: Ende Juli 1933, im Bois de Boulogne bei Paris. Durch genaueste Daten, Tatsachen und Zeugen, darunter auch die französische Polizei, habe ich bewiesen, dass ich Ende Juli 1933 im Bois de Boulogne nicht war und dort nicht gewesen sein konnte, da ich als Kranker von Marseille direkt nach Saint-Palais bei Royan kam und mich also einige hundert Kilometer von Paris entfernt befand.
Pjatakow gab an, im Dezember 1935 mit einem deutschen Flugzeug zu mir nach Oslo gekommen zu sein. Die offiziellen norwegischen Behörden brachten jedoch zur allgemeinen Kenntnis, dass vom 19. September 1935 bis 1. Mai 1936 überhaupt kein einziges ausländisches Flugzeug nach Oslo kam. Das sind absolut kategorische Zeugnisse. Pjatakow hat mich ebenso wenig in Oslo besucht, wie mich Romm im Bois de Boulogne gesprochen hat. Radeks Verbindung mit mir war aber ausschließlich über Romm gegangen. Der Zusammenbruch der Rommschen Aussagen lässt nichts übrig von Radeks Aussagen. Nicht mehr bleibt auch von Pjatakows Aussagen übrig. Aber nach Radeks Geständnis, das vom Gericht stillschweigend bestätigt wurde, beruht die Anklage gegen mich ausschließlich auf den Aussagen von Radek und Pjatakow. Alle anderen Aussagen haben nur den Charakter von Ersatz- und Hilfsmitteln. Sie müssen Stützpunkte für Radek und Pjatakow, den Hauptangeklagten, sein, richtiger den Hauptzeugen Stalins gegen mich. Radeks und Pjatakows Bestimmung ist, die direkte Verbindung der Verbrecher mit mir nachzuweisen. „Alle übrigen Aussagen beruhen auf den unseren“, gesteht Radek. Mit anderen Worten: sie beruhen auf nichts. Die Hauptanklage ist zusammengebrochen. Sie zerfällt in Staub. Man braucht die Ziegelsteine des Gebäudes nicht auseinanderzunehmen, wenn die zwei Grundpfeiler, auf die es sich stützte, eingestürzt sind. Meine Herren Ankläger können im Schutt auf dem Bauche herumkriechen und die Ziegelsteinsplitter sammeln ...
Zuletzt aktualisiert am 10. Juni 2018