L. Sedov

Rotbuch über den Moskauer Prozess


Das tragische Kompromiss: für Geständnisse das Leben


Ein Erlass des Zentralexekutivkomitees der USSR vom 1. Dezember 1934 setzte für Terroristenprozesse ein militärisches Schnellgerichtsverfahren fest, ohne Verteidiger, bei Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Berufungsrecht und mit sofortiger Vollstreckung des Urteils. Beim Moskauer Prozess wurde von diesem Erlass eine „Ausnahme“ gemacht. Formell war hier alles erlaubt: Verteidiger, Berufung ans Zentralexekutivkomitee, öffentliche Verhandlung. Faktisch aber war nichts erlaubt.

Ein auch nur irgendwie von der Regierung unabhängiger Verteidiger würde den Prozess ja unmöglich gemacht haben. Daher verzichten die Angeklagten auf Verteidiger. Das gehörte zu den Bedingungen, die Stalin den Angeklagten stellte, als er ihnen sein „Kompromiss“ vorschlug: gebt mir Aussagen, und ich schenke euch das Leben.

Die Frage des Berufungsrechts ist von ganz besonderer Bedeutung. Warum billigte Stalin ihnen dies Recht zu? Er war doch von vorneherein entschlossen, sie zu erschießen. Die einzige Erklärung für diesen Umstand ist die: durch Zuerkennung des Rechts auf Berufung, unter Verletzung des speziellen Erlasses des Zentralexekutivkomitees, gab Stalin den Angeklagten eine „Garantie“ für das Kompromiss, das er mit ihnen schloss: für Aussagen das Leben. Gäbe es dafür denn eine andere Erklärung? Es gibt keine. Und damit ist die Vereinbarung zwischen Stalin und seinen Opfern unwiderlegbar bewiesen.

Vor Gericht wurde dann Komödie mit verteilten Rollen gespielt. Alles war im Voraus abgemacht. Die Angeklagten hielten die Bedingungen ein, Stalin aber „verletzte“ sie durch ... 16 Salven.

* * *

Statt Verteidigern [1] nur Ankläger – darunter auch die Angeklagten selbst –, statt der Öffentlichkeit zweihundert ausgesuchte GPU-Leute, alle in „militärischer Haltung“, wie die Korrespondenten der englischen Blätter berichteten. Die Anwesenheit dieses Publikums war nur ein weiterer Spott Stalins auf die Angeklagten.

Dies – obgleich ausgesuchte – thermidorianische Pack hat nicht nur die Reden des Staatsanwalts und das Urteil bejubelt, sondern häufig auch die unglückseligen Angeklagten ausgelacht ... Mit Ergötzen schaute es der Erniedrigung und dem Ende der ehemaligen Führer des Bolschewismus und der Revolution zu. Sie, diese Thermidorianer, hatten wie Stalin diese Erschiessung nötig. Die Traditionen und Ideen der Oktoberrevolution bedrücken sie wie ein dumpfer Albdruck, stören sie, ihr Leben „glücklich“ und „froh“ zu gestalten.

Schließlich ziehen die Richter sich zur Beratung zurück. Und um das bereits längst in Stalins Sekretariat verfasste Urteil zu „verfassen“, brauchen sie siebeneinhalb Stunden. Das ist noch eine weitere erbärmliche und gemeine Rache Stalins: diese Leute in ihren letzten Lebensstunden zu quälen, zu verhöhnen. Zwar wurde den Angeklagten das Recht gewährt, um Gnade zu flehen, damit sie ... ihnen nicht zuteil werde. Am 24. August, nachts, wurden die Angeklagten aus dem Verhandlungssaal direkt zur Erschießung abgeführt.

Der Prozess trägt nicht nur im Ganzen, sondern auch in jedem Detail, in jedem Zug den Stempel übermenschlicher Niedertracht.


Anmerkung

1. Wie soll man sich hierbei nicht an den Prozess der Sozialrevolutionäre von 1922 erinnern? Das waren wirkliche Terroristen. Sie hatten Uritzki und Wolodarski getötet, Lenin verletzt. Und das war in einer grimmigen Zeit voller Gefahren für die Revolution. Der Prozess war öffentlich, Rechtsanwälte waren zugelassen, sogar ausländische (Vandervelde, Kurt Rosenfeld, Theodor Liebknecht). Damals gab es nichts zu verheimlichen. Der Prozess erbrachte den vollen Nachweis, dass die Terrorakte nicht Taten Einzelner, wie es anfangs schien, sondern von der Partei der Sozialrevolutionäre organisiert worden waren. Allen Angeklagten, Todfeinden der Oktoberrevolution, wurde dennoch das Leben geschenkt.




Zuletzt aktualisiert am 7.07.2009