Aus Zeitschrift für Sozialforschung, 1 (1/2), 1932, S.55-84.
Danke an Rick Kuhn.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Die Aufgabe aller Wissenschaft besteht in der Erforschung und dem Verständnis der konkret gegebenen Totalität der Phänomene, ihres Zusammenhanges und ihrer Veränderungen. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt darin, daß die Phänomene nicht unmittelbar mit dem Wesen der Dinge zusammenfallen. Die Erforschung des Wesens bildet die Voraussetzung für die Erkenntnis der Erscheinungswelt. Allein wenn Marx im Gegensatz zur Vulgärökonomie das „verborgene Wesen“ und den „inneren Zusammenhang“ der ökonomischen Realität erkennen will (Marx, Kapital III 2, S.352 [1]), so besagt das nicht, daß ihn die konkreten Erscheinungen nicht interessieren. Im Gegenteil! Unmittelbar sind dem Bewußtsein nur die Erscheinungen gegeben, woraus sich – schon rein methodologisch – ergibt, daß man nur durch die Analyse der Erscheinungen zu ihrem verborgenen wesentlichen „Kern“ gelangen kann (vgl. Marx, Kapital, III 1, S.17, 22).
Aber die konkreten Erscheinungen sind für Marx nicht nur deshalb wichtig, weil sie Ausgangspunkt und Mittel für die Erkenntnis der „wirklichen Bewegung“ sind, sondern sie selbst sind es, die Marx letzten Endes in ihrem Zusammenhang erkennen und verstehen will. Denn keinesfalls will er sich – unter Ausschaltung der Phänomene – lediglich auf die Erforschung des „Wesens“ beschränken. Vielmehr hat das erkannte Wesentliche die Funktion, uns zu befähigen, die konkreten Erscheinungen zu begreifen. Deshalb ist Marx bemüht, „das Gesetz der Phänomene“, das sie beherrscht, also „das Gesetz ihrer Veränderungen“ zu finden. (Nachwort zur 2. Ausg. d. Kapital.)
Unverständlich und „prima facie abgeschmackt“ sind nach Marx nur die Phänomene an sich, ohne Zusammenhang mit dem „verborgenen Wesen“ der Dinge. Aber es wäre ein verhängnisvoller Fehler der ökonomischen Wissenschaft, wenn sie – in den umgekehrten Irrtum der Vulgärökonomie verfallend – nun in der Analyse bei dem gefundenen „verborgenen Wesen“ der Dinge verbliebe, ohne von ihm her den Rückweg zur konkreten Erscheinung, um deren Erklärung es sich doch handelt, zu finden, d.h. ohne die vielen Vermittlungen zwischen Wesen und Erscheinungsform zu rekonstruieren! Deshalb sieht auch Marx in diesem Wege vom Abstrakten zum Konkreten „offenbar die wissenschaftlich richtige Methode“. Hier „führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Wege des Denkens“, weil „die Methode, vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen, nur die Art für das Denken ist, sich das Konkrete anzueignen, es als ein Konkretes geistig zu reproduzieren“. (Einltg. z. Kritik d. Polit. Ökonomie, S.XXXVI).
An einem konkreten Beispiel zeigt Marx, daß es nicht genügt, die in der industriellen Produktion geschaffenen Werte auf das allgemeine Gesetz, d.h. darauf zurückzuführen, „daß die Werte der Waren bestimmt sind durch die in ihnen enthaltene Arbeitszeit“. Denn die empirischen Vorgänge in der Zirkulationssphäre, z.B. der praktisch sichtbare Einfluß des Kaufmannskapitals auf die Warenpreise, zeigt „Phänomene, die ohne sehr weitläufige Analyse der Mittelglieder eine rein willkürliche Bestimmung der Preise vorauszusetzen scheinen“, so daß der Schein entsteht, „als ob der Zirkulationsprozeß als solcher die Preise der Waren bestimme, unabhängig (innerhalb gewisser Grenzen) vom Produktionsprozeß“, also von der Arbeitszeit. Um also das Illusorische dieses Scheins nachzuweisen und den „inneren Zusammenhang“ zwischen dem Phänomen und dem ..wirklichen Vorgang“ herzustellen – was „ein sehr verwickeltes Ding xmd eine sehr ausführliche Arbeit ist“ –, „ist es ein Werk der Wissenschaft, die sichtbare, bloß erscheinende Bewegung auf die innere wirkliche Bewegung zu reduzieren“ (Kapital, III 1, S.297), „ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt“ (Kapital, I, S.314).
Das entscheidend wichtige „Werk der .Wissenschaft“ ist also, die „Vermittlungen“, die „Mittelglieder“ zu finden, die von dem Wesen zum konkreten Phänomen führen, da ohne diese Mittelglieder die Theorie, d. h. das „Wesen“ der Dinge im Widerspruch zur konkreten Wirklichkeit stünde. Mit Recht verspottet Marx solche „Theoretiker“, die sich in wirklichkeitsfremden Konstruktionen verlieren. Nur „der Vulgus hat daher geschlossen, daß die theoretischen Wahrheiten Abstraktionen sind, die den wirklichen Verhältnissen widersprechen“ (Mehrwert, II 1, S.166).
Diesem methodologischen Grundgedanken Marxens entspricht auch, wie ich dies bereits gezeigt habe [2], der Aufbau des Marxschen Kapital und das darin angewandte „Annäherungsverfahren“, das seinen prägnantesten Ausdruck in der Konstruktion des Marxschen Reproduktionsschemas gefunden hat. Unter Anwendung zahlreicher vereinfachender Annahmen wird dort zunächst die „Reise“ vom Konkreten zum Abstrakten unternommen. Es wird von der gegebenen Erscheinungswelt, von den konkreten Teilformen, in denen der Mehrwert in der Zirkulationssphäre auftritt (Unternehmergewinn, Zins, Handelsprofit usw.), abgesehen und die ganze Analyse des I. und II. Bandes des Kapital auf den Wert und Mehrwert als Ganzes, auf ihre Schöpfung und ihre Größenvariation im Produktions- und Akkumulationsprozeß konzentriert. Dabei wird der „dem Zirkulationsprozeß angehörige Schein“ (K. I, S.600) ausgeschaltet. Bestand die Aufgabe der Analyse im I. und II. Band des Kapital darin, die Schöpfung des Mehrwerts als das Wesen des ökonomischen Gesamtprozesses zu erforschen, so galt es nachher – und das bildet, wie dies Marx ausdrücklich betont, gerade die Aufgabe und den Inhalt des III. Bandes –, den „inneren Zusammenhang“ zwischen dem aufgedeckten „Wesen“ und seiner Erscheinungsform: den empirisch gegebenen Formen des Mehrwerts, herzustellen, d.h. „die konkreten Formen aufzufinden und darzustellen, welche aus dem Bewegungsprozeß des Kapitals als Ganzes betrachtet hervorwachsen. In ihrer wirklichen Bewegung treten sich die Kapitale in solchen konkreten Formen gegenüber“ (Kapital, III 1, S.1).
Hier, im III. Bande werden daher die früher gemachten vereinfachenden Voraussetzungen (z.B. der Verkauf der Waren zu ihren Werten, die Ausschaltung der Zirkulationssphäre und der Konkurrenz, die Behandlung des Mehrwerts in seiner Totalität und unter Ausschaltung der Teilformen, in die er sich spaltet usw.) fallen gelassen und nachträglich, in dieser zweiten Etappe des Annäherungsverfahrens, schrittweise die bisher vernachlässigten Vermittlungen berücksichtigt und die konkreten Profitformen, wie sie in der empirischen Wirklichkeit sichtbar sind (Grundrente, Zins, Handelsprofit usw.), behandelt. Erst dadurch wird der Kreis der Marxschen Analyse geschlossen und der Nachweis erbracht, daß die Arbeitswerttheorie keine wirklichkeitsfremde Konstruktion ist, daß sie vielmehr tatsächlich das „Gesetz der Phänomene“, d.h. die Grundlage bildet, die uns befähigt, die reale Welt der Erscheinungen zu erklären. Mit nicht mißzuverstehender Klarheit wird dieser methodologische Grundgedanke formuliert, wenn Marx sagt: „Wir hatten es in Buch I und II nur mit den Werten der Waren zu tun“ ... „Jetzt“, d.h. im III. Buch, „hat sich der Produktionspreis als eine verwandelte Form des Werts entwickelt.“ (Kapital, III 1, S.142). –
„Die Gestaltungen des Kapitals, wie wir sie in diesem (dritten) Buch entwickeln, nähern sich also schrittweise der Form, worin sie auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten.“
Bildet somit, wie gezeigt wurde, die Reproduktion der konkreten Wirklichkeit im Wege des Denkens das Ziel der Marxschen Erkenntnis, dann ist auch die Funktion des Marxschen Reproduktionsschemas innerhalb der Marxschen Forschungsmethode klar zu erkennen: es beansprucht nicht, für sich allein ein Abbild der konkreten kapitalistischen Wirklichkeit zu sein, es ist nur ein Glied im j Marxschen Annäherungsverfahren, das, zusammen mit den vereinfachenden Annahmen, die dem Schema zugrunde liegen, und den nachträglichen Modifikationen im Sinne einer progressiven Konkretisierung ein unzertrennlichos Ganzes bildet. Dabei verliert jeder dieser drei Teile für sich allein, ohne die beiden anderen, für die Erkenntnis der Wahrheit jeden Sinn und kann nur ein vorläufiges Erkenntnisstadium, die erste Etappe im Annäherungsverfahren an die konkrete Wirklichkeit, bedeuten,
Ist man sich über diesen Charakter des Marxschen Reproduktionsschemas im klaren, weiß man, daß es nur ein Hilfsmittel unseres Denkens und keine Wiedergabe konkreter Vorgänge ist, dann kann man auch über den Charakter der einzelnen Elemente, aus welchen das Schema aufgebaut ist – Werte, Mehrwerte, verschiedene Profitraten in den einzelnen Produktionssphären – keinen Zweifel haben. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, ist der Mehrwert eine reale Größe. (Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz, S.196.) Dies gilt jedoch nur für die Gesamtgesellschaft, für welche die Werte und Preise, daher auch Mehrwert und Profit, quantitativ identische Größen sind. Anders verhält sich die Sache in bezug auf die einzelnen Produktionssphären. Innerhalb dieser haben wir in der kapitalistischen Wirklichkeit nicht Werte, sondern die von ihnen quantitativ divergierenden Produktionspreise, wir haben nicht Mehrwertgrößen, sondern Profitgrößen. Kurz, die im Reproduktionsschema vorkommenden Werte und Mehrwerte sind, quantitativ betrachtet, keine Wirklichkeitskategorien, sie sind nicht unmittelbar in der Welt der kapitalistischen Wirklichkeit gegeben, sind vielmehr aus methodologischen Gründen der Vereinfachung freigewählte Annahmen, die zunächst der Wirklichkeit widersprechen. Nehmen wir zunächst die Werte. Ist es noch nötig, daran zu erinnern, daß bei Marx der Verkauf der Waren zu ihren Werten nur den Charakter einer theoretischen vorläufigen Annahme hat, daß aber Marx nie und nirgends behauptet, daß diese Annahme der Wirklichkeit entspricht ? So wird doch im I. Band des Kapital ausdrücklich gesagt: „Wir unterstellen hier also ..., daß der Kapitalist, der die Waren produziert, sie zu ihrem Wert verkauft“ (Kapital, I, S.579) – „Wir unterstellen, daß die Waren zu ihrem Wert verkauft werden“ (Kapital, I, S.530). – Auch im II. Band wird der theoretische Charakter dieser Voraussetzung betont, indem Marx sagt: „Im I. Buch ... wurde unterstellt, daß der Kapitalist ... das Produkt zu seinem Wert verkauft“ (Kapital, II, S.343). Aber nirgends wird behauptet, daß diese Annahme der Wirklichkeit entspricht, vielmehr wird das Gegenteil gesagt, daß man sich durch diese Annahme von der Wirklichkeit entfernt und prima facie mit ihr in einen offenbaren Widerspruch gerät. Mit ungewöhnlicher Klarheit konstatiert nämlich Marx bereits im I. Band des Kapital, daß der Verkauf der Waren zu ihren Werten nur für den von ihm angenommenen theoretischen „Normalverlauf“ gilt, „sofern“ und „wenn“ das Phänomen „rein“ vor sich geht: „In seiner r einen Form bedingt der Zirkulationsprozeß den Warenaustausch von Äquivalenten. Jedoch gehen die Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu“ (Kapital, I, S.136). – Hier wird also der „reine“ Vorgang der Wirklichkeit gegenübergestellt. Nur im ersteren, nicht aber in der letzteren werden die Waren zu ihren Werten ausgetauscht. In einem Brief an Kugelmann vom 11. Juli 1868 geißelt Marx dann mit dem ihm eigentümlichen Sarkas-mus die in der bürgerlichen Ökonomie oft vorkommende Verwechslung der theoretischen Annahme mit der Erfahrung. „Der Vulgärökonom hat nicht die geringste Ahnung davon, daß die wirklichen täglichen Austauschverhältnisse und die Wertgrößen nicht unmittelbar identisch sind.“
An unzähligen anderen Stellen in allen Bänden des Kapital und in den Theorien über den Mehrwert wiederholt Marx immer wieder, daß die Waren in der Wirklichkeit nicht zu ihren Werten, sondern zu Produktionspreisen verkauft werden, wobei „die Produktionspreise der meisten Waren von ihren Werten ... abweichen müssen“ (Mehrwert, III, S.92). Eben deshalb polemisiert er gegen die Ricardosche Behauptung, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden: „Das ist die erste falsche Voraussetzung ... Die Waren tauschen sich nur ausnahmsweise aus zu ihren Werten“ (Mehrwert, II 1, S.191). Und A. Smith gegenüber wird gesagt: – „Wie ich später nachweisen werde, selbst der Durchschnittspreis der Waren ist stets von ihrem Werte verschieden“ (Mehrwert, I, S.162).
Was hier vom Wert gesagt wurde, gilt auch vom Mehrwert. Im Reproduktionsschema haben wir zwar Mehrwerte, nicht aber in der Wirklichkeit. Denn Mehrwert ist das „Unsichtbare“, während in der Realität des Kapitalismus nur verschiedene Profitformen wie Unternehmergewinn, Zins, Handelsprofit, Grundrente vorkommen. Die in jeder Produktionssphäre des Schemas dargestellten Mehrwerte sind daher nur vorläufige Annahmen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen. Dasselbe gilt endlich in bezug auf die im Schema sichtbaren Profitraten. In einem auf Werten aufgebauten Reproduktionsschema, also unter Annahme, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden, müssen in jeder Abteilung des Schemas verschiedene Profitraten bestehen, während doch die Erfahrung eines konkurrenzbedingten kapitalistischen Systems zeigt, daß in der Wirklichkeit eine Tendenz zur Ausgleichung der verschiedenen Profitraten in den einzelnen Sphären zu einer allgemeinen, d.h. Durchschnittsprofitrate herrscht, was schen-im Begriff des Produktionspreises eingeschlossen ist: „Dasein und Begriff des Produktionspreises und der allgemeinen Profitrate, die er einschließt, beruhen darauf, daß die einzelnen Waren nicht zu ihren Werten verkauft werden“ (Kapital, III, 2, S.293), wie umgekehrt „die bloße Existenz einer allgemeinen Profitrate von den Werten unterschiedene Produktionspreise bedingt“ (Mehrwert, II 1, S.17). –
So ergibt es sich, daß das Reproduktionsschema, indem es nur Werte, Mehrwerte und in den einzelnen Sphären verschiedene Profitraten aufweist, zunächst im Widerspruch zur konkreten Wirklichkeit steht. Der theoretische, vorläufige Charakter des Reproduktionsschemas und speziell der Annahme, daß die Waren sich zu ihren Werten austauschen, ist somit klar. Die wirklichen Vorgänge spielen sich ganz anders als im Reproduktionsschema ab. Und zwar handelt es sich dabei nicht etwa um zufällige, vorübergehende Abweichungen von den im Schema dargestellten Vorgängen, die somit von der Wissenschaft vernachlässigt werden dürfen, sondern der wirkliche Ablauf der Reproduktion ist wesentlich ein anderer, als das Schema zeigt. Die Abweichungen der Preise von den Werten, wie sie in der Wirklichkeit vorkommen, sind keine bloß vorübergehenden Schwankungen, wie dies z.B. bei den Marktpreisen der Fall ist, sondern die faktisch eintretende Verwandlung der Werte in Produktionspreise „schafft dauernd Abweichungen von den Werten“ (Mehrwert, II 1, S.164). Im Schema werden in den einzelnen Sphären die von ihnen produzierten Mehrwerte realisiert. Ganz anders in der Wirklichkeit. Auf die Dauer werden nicht die Mehrwerte, sondern der von ihnen dauernd abweichende Durchschnittsprofit realisiert. „So streben alle Kapitale, welches immer der von ihnen selbst erzeugte Mehrwert, an Stelle dieses Mehrwertes den Durchschnittsprofit durch die Preise ihrer Waren zu realisieren“ (Kapital, III 1, S.152).
„Es scheint also – sagt daher Marx – daß die Werttheorie hier unvereinbar ist mit der wirklichen Bewegung, unvereinbar mit den tatsächlichen Erscheinungen der Produktion, und daß daher überhaupt darauf verzichtet werden muß, die letzteren zu begreifen“ (Kapital, III 1, S.132).
Für das Verständnis des kapitalistischen Mechanismus genügt es indessen nicht, sich auf die Feststellung zu beschränken, daß das Wertschema des Reproduktionsprozesses und die darin enthaltenen Kategorien des Mehrwertes sowie der besonderen Profitraten in den einzelnen Produktionssphäreu der konkreten Realität nicht entsprechen. Wir müssen weiter fragen: Welche Kategorien sind dann für die kapitalistische Wirklichkeit maßgebend und für die „wirkliche Bewegung“ des kapitalistischen Mechanismus entscheidend wichtig? Die Marxsche Antwort auf diese Frage – und sie bildet den Inhalt des III. Bandes des Kapital – ist bekannt. Nicht die theoretisch angenommenen Werte, sondern die erfahrungsgemäß gegebenen Produktionspreise bilden das objektive Gravitationszentrum, um welches die täglichen Marktpreise oszillieren. Für die konkreten Kapitalbewegungen sind nicht die im Schema theoretisch angenommenen verschiedenen Profitraten, sondern die erfahrungsmäßig gegebene allgemeine Durchschnittsprofitrate entscheidend wichtig.
“Andererseits – sagt Marx – unterliegt es keinem Zweifel, daß in der Wirklichkeit (von unwesentlichen, zufälligen und sich ausgleichenden Unterschieden abgesehen) die Verschiedenheit der durchschnittlichen Profitraten für die verschiedenen Industriezweige nicht existiert und nicht existieren könnte, ohne das ganze System der kapitalistischen Produktion aufzuheben“ (Kapital, III 1, S.132). Von dieser allgemeinen Profitrate sagt Marx, sie „sei die treibende Macht in der kapitalistischen Produktion“ (Kapital, III 1, S.241). Dieser „Durchschnittsprofit ist ... wie es in der kapitalistischen Produktionsweise der Fall ist, als Regulator der Produktion überhaupt“ zu betrachten (Kapital, III 2, S.316), er ist das „regelnde Gesetz ... der kapitalistischen Gesellschaft“. (Kapital, III 2, S.355.) Aus demselben Grunde ist für Marx „das Grundgesetz der kapitalistischen Konkurrenz das Gesetz, welches die allgemeine Profitrate und die durch sie bestimmten sog. Produktionspreise regelt“ (Kapital, III 1, S.12). Von der Ausgleichung endlich meint Marx, daß „die Bewegung dieser Ausgleichung (die Grundlage ist, H.G.), worauf die ganze kapitalistische Produktion beruht“ (Kapital, III 1, S.422). Denn nicht die Werte, sondern die Produktionspreise „sind die wirklich regulierenden Durchschnitts-Marktpreise“, d.h. sie bilden die Basis, um welche die wirklichen Marktpreise oszillieren: „Die Marktpreise steigen über und fallen unter diese regulierenden Produktionspreise“ (Kapital, III 2, S.396), „da nicht die Werte, sondern die von ihnen verschiedenen Produktionspreise in jeder- Produktionssphäre die regulierenden Durchschnittspreise bilden“ (Kapital, III 2, S.409; vgl. Kapital, III 2, S.181, 187, 364, 381, 396 u. öfters).
„Regulierende Durchschnittspreise“ heißt aber nichts anderes, als daß auf die Dauer eben der Produktionspreis und nicht der Wert die Bedingung der Reproduktion bildet, wie dies Marx ausdrücklich feststellt:
„Es ist tatsächlich dasselbe, was ... Ricardo price of production, cost of production, die Physiokraten prix necessnire nennen, ... weil er auf die Dauer Bedingung der Zufuhr, der Reproduktion der Ware jeder besonderen Produktionssphäre ist“ (Kapital, III 1, S.178).
Noch mehr aber! Die praktische Wichtigkeit und Bedeutung der allgemeinen Profitrate wird noch klarer hervortreten, wenn wir erwägen, daß auf ihr die Gemeinsamkeit der ökonomischen Klasseninteressen der Unternehmer beruht. Würden sich nämlich die Waren zu ihren Werten austauschen, dann wäre jeder Unternehmer nur an der Exploitation der von ihm selbst beschäftigten Arbeiter interessiert und sein Gewinn mit dem von „seinen“ Arbeitern produzierten Mehrwert identisch. Erst die Verwandlung des Mehrwerts in den Durchschnittsprofit bewirkt,
“daß jeder einzelne Kapitalist, wie die Gesamtheit aller Kapitalisten, ... in der Exploitation der Gesamtarbeiterklasse durch das Gesamtkapital und in dem Grad dieser Exploitation nicht nur aus allgemeiner Klassensympathie. sondern direkt ökonomisch beteiligt ist, weil ... die Durchschnittsprofitrate abhängt von dem Exploitationsgracl der Gesamtarbeit durch das Gesamtkapital“ (Kapital, III 1, S.177).
Hält man sich an das Wertschema, wo der Verkauf der Waren zu ihren Werten stattfindet, daher auch in den einzelnen Sphären verschiedene Profitraten bestehen, so bleibt die Konkurrenz und ihr Ergebnis – die Tatsache der regulierenden Produktionspreise – unberücksichtigt [3], und die Durchschnittsprofitrate, also die „treibende Macht“ – „worauf die ganze kapitalistische Produktion beruht“ – geht verloren!
Weil aber ein solches Wertschema uns nichts über die Produktionspreise und den Durchschnittsprofit als Ganzes sagt und sagen kann, so kann es selbstverständlich ebensowenig auch die einzelnen Teil-formen des Profits, die aus der Spaltung des Mehrwerts entstehen, erklären; es ist also ungeeignet „die konkreten Formen ... darzustellen, welche aus dem Bewegungsprozeß des Kapitals, als Ganzes betrachtet, hervorwachsen“. Die Existenz aller dieser Profitformen ist mit dem Wertschema unvereinbar, daher auch vom Standpunkt der ihm zugrundeliegenden Werttheorie zunächst nicht erklärbar.
Das Wertschema umfaßt nämlich bloß das produktive, an der Produktion von Wert und Mehrwert beteiligte, nicht aber das in der Zirkulationssphäre fungierende Geld- und Kaufmannskapital. Wenn also die industriellen Produzenten die Waren zu ihren Werten, d.h. zu „Wertpreisen“, die mit den Werten quantitativ identisch sind (Kapital, III 1, S.153), verkaufen (wie dies im Wertschema geschieht), so ist die Existenz des Handelsprofits, also der Profit des Kaufmannskapitals, das an der Produktion gar nicht beteiligt ist, ein unlösbares Rätsel. „Prima facie erscheint der reine, unabhängige Handelsprofit unmöglich, solange Produkte zu ihren Werten verkauft werden.“ (Kapital, III 1, S.313). „Die aus der Betrachtung des industriellen Kapitals unmittelbar abgeleiteten Sätze über Wertbildung, Profit usw. passen nicht direkt auf das Kaufmannskapital“ (Kapital III 1, S.308). Solange wir also innerhalb der Wertbetrachtung verbleiben, solange ist zugleich ein großer und wichtiger Teil der Phänomene der kapitalistischen Wirklichkeit – der Profit des Kaufmannskapitals – speziell auch in seiner internationalen Gestalt, d.h. die Erscheinungen des Weltmarktes und des Welthandels unerklärbar.
Indes auch die Verwandlung der Werte (der Wertpreise) des Schemas in Produktionspreise und die Ausgleichung der verschiedenen Profitraten in den einzelnen Sphären des Schemas zur allgemeinen Profitrate würden zur Erklärung der Existenz des Handelsgewinns noch keinesfalls ausreichen. Denn wir hätten damit bloß die produktiven, d.h. an der Schöpfung des Mehrwerts beteiligten Kapitale bei der Bildung der allgemeinen Profitrate und der Umwandlung der Wertpreise in Produktionspreise berücksichtigt. Ein solches Ausgleichsverfahren wäre somit bloß „die erste Betrachtung“ der allgemeinen Profitrate, keinesfalls aber ihre „fertige Gestalt“ (Kapital, III 1, S.322). Immer noch bliebe das an der Schöpfung des Mehrwerts unbeteiligte Handelskapital unberücksichtigt. Um die Existenz des Handelsprofits zu erklären, wäre daher eine weitere Stufe im Annäherungsverfahren erforderlich, nämlich die, daß das erste Ausgleichungsverfahren der produktiven Kapitale allein nachher durch „die Teilnahme des Handelskapitals an dieser Ausgleichung,“ also durch eine Ausgleichung zweiten Grades „ergänzt“ wird (ebenda). Erst dadurch wird die „fertige Gestalt“ der Durchschnittsprofitrate erreicht, nachdem die Produktionspreise nunmehr eine „einschränkende Bestimmung“ erfahren haben (Kapital, III 1, S.269) und weiter in „merkantile Preise“ (Kapital, III 1, S.298) modifiziert werden, wodurch auch der ursprüngliche Durchschnittsprofit „sich jetzt innerhalb engerer Grenzen“ als vorher darstellt (Kapital, III 1, S.322). Wir sehen: will man die konkrete, empirisch gegebene Form des Handelsprofits verstehen, so muß vorher das Wertschema eine Reihe von Wandlungen im Annäherungsverfahren durchmachen. Unter den Voraussetzungen des Wertschemas, d.h, ohne Auffindung dieser Zwischenstufen, die von den „Wertpreisen“ über die „Produktionspreise“ zu der Erscheinung der „merkantilen Preise“ führen, wäre die Existenz des Handelsprofits weder möglich noch begreifbar.
Und nicht nur dies allein! Es kommt der weitere Umstand hinzu, daß der im Wertschema dargestellte Verlauf des Akkumulations-prozesses durch die Existenz des Handelsprofits, d.h. durch die Umwandlung der Werte in Produktions- resp. merkantile Preise, stark modifiziert wird.
Denn es ist ohne weiteres klar, daß jener Teil des im Wertschema dargestellten Mehrwerts, der dem Handelskapital als Profit zufällt und innerhalb der Zirkulationssphäre akkumuliert wird (Geschäftsgebäude der Handelsunternehmungen, Büroeinrichtungen, Betriebskapital usw.) einen „Abzug vom Profit des industriellen Kapitals“ (Kapital, III 1, S.270) bedeutet und „pro tanto den Umfang, worin das vorgesbhossene Kapital produktiv fungiert, vermindert“ (Kapital, II, S.109). Für die Zukunft scheidet dieser Teil des Mehrwerts aus der im Wertschema dargestellten Akkumulation des produktiven Kapitals aus und ist an der Schöpfung des Mehrwerts nicht mehr beteiligt, nimmt jedoch teil an der Verteilung des Profits. Durch beide Tatsachen: durch die Verminderung der Aktivseite und die Vergrößerung der Passivseite wird das Tempo der Akkumulation des industriellen Kapitals pro tanto verlangsamt. „Je größer das Kaufmannskapital im Verhältnis zum industriellen Kapital, desto kleiner die Rate des industriellen Profits“ (Kapital, III 1, S.270). Zugleich ist es klar, daß durch die Tatsache des Handelsprofits ein Teil des Mehrwerts – vom Standpunkt R. Luxemburgs ein Teil des „unabsetzbaren Mehrwertrestes“ – aus der Produktionssphäre in die Zirkulationssphäre verschoben wird. Die Umrechnung der Wertpreise in Produktionspreise resp. in merkantile Preise hat somit eine Störung aller im Wertschema errechneten Proportionalitäten zur Folge!
Was hier vom Handelskapital gesagt wurde, gilt wörtlich und aus denselben Gründen auch für das Geld- und Bankkapital. Auch dieses Kapital fungiert ausschließlich in der Zirkulationssphäre, ist zwar an der Verteilung, nicht aber an der Produktion von Mehrwert beteiligt. Werden die Waren zu ihren Werten verkauft, d.h. behalten die Industriellen den ganzen Mehrwert, den sie sich zunächst aneigneten, dann „wäre bei dieser Annahme (das) ... Bankkapital unmöglich“, weil es keinen Profit machte. [4]
Schließlich ist auf Basis des Wertschemas nicht bloß die Existenz des Geldzinses unmöglich, sondern auch die Bewegung des Zinsfußes nicht verständlich. „Der Zinsfuß verhält sich zur Profitrate ähnlich wie der Marktpreis der Ware zu ihrem Wert. Soweit der Zinsfuß durch die Profitrate bestimmt ist, ist es stets durch die allgemeine Profitrate, nicht durch die spezifischen Profitraten, die in besonderen Industriezweigen herrschen mögen“ ... „Die allgemeine Profitrate erscheint daher in der Tat als empirisches, gegebenes Faktum wieder in der Durchschnittszinsrate“ (Kapital, III 1, S.350).
„In diesem Sinn“, heißt es an anderer Stelle, „kann man sagen, daß der Zins reguliert wird ... durch die allgemeine Profitrate“ (Kapital, III 1, S.344). In einem Wertschema mit seinen verschiedenen Profitraten in den einzelnen Sphären und mit seinem Gesamtmehrwert sind weder die Existenz des Zinfußes noch dessen Bewegungen erklärbar, daher auch das Bank- und Finanzkapital, also diejenige konkrete Form des Kapitals unmöglich, der gerade Hilferding für die neueste Entwicklung des Kapitalismus eine entscheidend wichtige Bedeutung zuerkennt.
Und dasselbe gilt von der Grundrente in ihrer modernen, kapitalistischen Form, die „nur in einer Gesellschaft existiert, deren Basis die kapitalistische Produktionsweise ist“ (Mehrwert, III, S.454). Aus einem Wertschema, d.h. unter der Annahme, daß sämtliche Waren zu ihren Werten verkauft werden, ist die Existenz der Grundrente nicht erklärbar [5].
Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich zur Genüge, daß für die Erkenntnis des konkreten Ablaufs des kapitalistischen Produktionsprozesses unmittelbar nicht die im Reproduktionsschema dargestellten Kategorien: Wert, Mehrwert und die verschiedenen Profitraten von entscheidender Bedeutung sind, sondern die darin nicht erfaßten Kategorien: Produktionspreise, Profit und seine Teilformen, schließlich die allgemeine Durchschnittsprofitrate. Diesen Kategorien muß somit das Primat für die unmittelbare Erkenntnis der konkreten kapitalistischen Produktion zuerkannt werden, weil eben der Durchschnittsprofit der „Regulator“ und die „treibende Macht“ dieser Produktion ist, und weil auf der Ausgleichsbewegung verschiedener Profitraten „die ganze kapitalistische Bewegung beruht“.
Vergegenwärtigt man sich diesen Sachverhalt, dann ist es klar, daß ein Wertschema, in dem alle diese realen Kategorien fehlen, auf denen die wirkliche kapitalistische Bewegung beruht, uns wohl die geschichtlichen Entwicklungstendenzen, also „das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“, wie es Marx bereits im I. Bande des Kapital darstellt, zu erkennen erlaubt, aber unmöglich imstande ist, die konkreten Bewegungsformen des Kapitals im Wege des Denkens zu reproduzieren. Eben deshalb sind die aus einem Wertschema gezogenen Schlußfolgerungen über die Proportionalität oder Disproportionalität der einzelnen Produktionssphären nicht beweiskräftig und zumindest verfrüht.
Legt man den erfahrungsmäßig gegebenen Kategorien Produktionspreis, Durchschnittsprofit und allgemeine Profitrate die Rolle des Regulators, der treibenden Macht der kapitalistischen Produktion bei, so drängt sich die Frage auf: welche Funktion erfüllen dann die Werte? Ist ein auf Werten aufgebautes Reproduktionsschema nicht bedeutungslos, nachdem es doch kein adäquates Abbild der kapitalistischen Warenproduktion darstellt und keine unmittelbare Wirklichkeitsgeltung besitzt ? Eine solche Folgerung wäre verfehlt. Die Werte behalten trotz der Realität der Produktionspreise ihre zentrale Bedeutung für den Kapitalismus, und zwar, wie Marx betont, in doppelter Hinsicht:
Wir sehen, der Verkauf der Waren zu ihren Werten gilt nicht für die kapitalistische Wirklichkeit. „Der Austausch von Waren zu ihren Werten . . .“ sagt Marx, „erfordert also eine viel niedrigere Stufe als der Austausch zu Produktionspreisen, wozu eine bestimmte Höhe kapitalistischer Entwicklung nötig ist“ (Kapital, III 1, S.156). Die Ausgleichung verschiedener Profitraten einzelner Industriesphären (daher auch die Herausbildung der Produktionspreise) gelingt dem Kapital um so mehr, „je höher die kapitalistische Entwicklung in einer gegebenen nationalen Gesellschaft ist“ (Kapital, III 1, S.176 und III 1, S.159).
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Beweisführung R. Luxemburgs und ihrer Anhänger, aber ebenso auch Hilferdings und Otto Bauers von vornherein verfehlt sein mußte, da sie es unternahmen, die Krisengesetzmäßigkeit des Kapitalismus an einem Schema zu demonstrieren (oder zu negieren), das nur den Verkauf von Waren zu ihren Werten kennt, also nach Marx Ausdruck einer „niedrigeren Stufe“ der Entwicklung, nämlich der vorkapitalistischen Warenproduktion, ist. Damit ignorierten sie das für den entwickelten Kapitalismus maßgebende Produktionspreisschema, also gerade alle jene Momente, wie Produktionspreise und Durchschnittsprofit, die für die Proportionalität oder Disproportionalität der Kapitalverteilung im entwickelten Kapitalismus entscheidend sind. Die wirklichen, den ganzen Mechanismus regulierenden Kategorien werden vernachlässigt; berücksichtigt werden dagegen Kategorien, die unwirklich sind (Verschiedenheit der Profitraten) und die – wenn sie verwirklicht wären – „das ganze System der kapitalistischen Produktion aufheben“ müßten!
Das Unzureichende eines solchen Verfahrens ist klar. Soll der früher geschilderte Gegensatz zwischen der Werttheorie und den „tatsächlichen Erscheinungen der Produktion“, zwischen dem Wertschema und der kapitalistischen Wirklichkeit beseitigt werden, dann darf man in der Analyse des kapitalistischen Reproduktionsprozesses nicht bei dem Wertschema mit seinen verschiedenen Profitraten stehen bleiben, dann muß man es tatsächlich nur als ein „theoretisches Prius“ betrachten, d.h. die Werttheorie, also auch das Wertschema nur als den Ausgangspunkt einer Analyse nehmen, von dem aus mit Hilfe einer Reihe von Mittelgliedern die Brücke zu finden ist, die zu den tatsächlichen Erscheinungen, zu den Produktionspreisen und zur allgemeinen Profitrate, führt. Kurz, das Wertschema muß in einer mehrstufigen und schrittweisen Annäherung in ein Produktionspreisschema verwandelt werden. „Es ist klar, daß die Darstellung, Verwirklichung, Herstellung der allgemeinen Profitrate die Verwandlung der Werte in von ihnen verschiedene Produktionspreise ernötigt“ (Mehrwert, II 1, S.161).
Wohl beginnt Marx im II. Band des Kapital seine Analyse der Krisenproblematik an einem Wertschema. Aber seine Beweisführung auf dieser von der Wirklichkeit entfernten und zunächst mit ihr im Widerspruch sich befindenden Abstraktionsstut'e ist nicht und kann nicht definitiv sein. Sie hat einen bloß vorläufigen Charakter und wird durch die Lehre des III. Bandes des Kapital, durch die Lehre von der Transformation der Werte in Produktionspreise, vervollständigt. Das Wertschema bildet in der Marxschen Analyse lediglich die Keimform, die erste Etappe im Annäherungsverfahren, die erst durch eine Reihe von Metamorphosen zur Prcisform heranreifen muß!
Das Marxsehe Wertschema beschränkt die Analyse lediglich auf die Wert- und Mehrwertschöpfung als Ganzes, d.h. in der Form, wie sie aus dem Produktionsprozeß hervorgehen, wobei zunächst von der Konkurrenz und von den Einflüssen der Zirkulationssphäre auf die Verteilung dieses Mehrwerts abgesehen wird. Nachträglich müssen jedoch die ausgeschiedenen Elemente berücksichtigt werden und daher die Analyse der Schöpfung des Mehrwerts im Produktionsprozeß durch die Analyse seiner vermittels der Konkurrenz erfolgenden Verteilung im Zirkulationsprozeß ergänzt werden.
Aus dem Gesagten ergibt sich für die Kriscnproblernatik – soweit sie die gegenseitigen Abhängigkeits- und Proportionalitätsverhält-nisse der einzelnen Produktionssphären betrifft – der folgende Schluß, der zugleich auch den einzuschlagenden Forschungsweg anzeigt.
Soll die Analyse der Krisengesetzmäßigkeit für die kapitalistische Realität beweiskräftig sein, dann darf sie sich unmöglich auf das Wertschema, auf die erste Etappe im Annäherungsverfahren, beschränken, sondern muß vielmehr für alle seine Etappen erfolgen und auch an einem Produktionspreisschema nachgewiesen werden.
Das soeben formulierte Forschungsprogramm steht indes in eklatantem Gegensatz zur tatsächlichen Geschichte der Krisenproblematik im marxistischen Lager. „In der politischen Ökonomie“ – sagt Marx – „ist die gedankenlose Tradition mächtiger als in jeder anderen Wissenschaft“ (Mehrwert, III, S.387). Wir werden sehen, daß dies nicht bloß für die bürgerliche Ökonomie allein, sondern ebenso auch von der politischen Ökonomie mancher Marx-Epigonen gilt. Zunächst wurde die Bedeutung der im II. Band des Kapital entwickelten Reproduktionsschemata für die Krisenproblematik überhaupt nicht erkannt. In einer 1886 in der Neuen Zeit erschienenen Besprechung des II. Bandes des Kapital führt K. Kautsky die Gründe an, warum nach seiner Meinung dieser Band für die Arbeiterklasse geringeres Interesse habe als der erste. Für sie sei nur die Produktion des Mehrwerts in der Fabrik von Wichtigkeit. Die weitere Frage, wie dieser Mehrwert realisiert wird, interessiere mehr die Kapitalisten als die Arbeiterklasse. Und dasselbe Urteil, zum Teil sogar mit denselben Worten, wiederholt kritiklos 10 Jahre später (1895) Ed. Bernstein, anläßlich des Erscheinens des III. Kapital-Bandes in einem Überblick über das ganze nun zum Abschluß gelangte Marxsche Hauptwerk. Die Praktiker der Bewegung haben oft nur den ersten Band gelesen, die weiteren Bände durch Jahrzehnte überhaupt nicht in der Hand gehabt. „Da Du im Loch Kapital II und III ochsen willst“, schreibt F. Engels noch am 16.III.1895 an Viktor Adler nach Wien, „so will ich Dir zur Erleichterung einige Winke geben.“ Mit Recht spricht daher Hilferding von den bis zum Erscheinen des Buches von Tugan-Baranowsky, 1901, „unbeachteten Analysen des II. Bandes“ (Finanzkapital, Wien 1910, S.303) und fügt dann hinzu: „Es ist das Verdienst Tugan-Baranowskys, auf die Bedeutung dieser Untersuchungen für das Krisenproblem in seinen bekannten Studien ... hingewiesen zu haben. Merkwürdig ist nur, daß es erst eines solchen Hinweises bedurfte“ (ebda, S.304).
Mit der Wendung, die seit dem Erscheinen des Tuganschen Buches eintrat, fiel man in das entgegengesetzte Extrem. Wurde bis dahin die Bedeutung des Reproduktionsschemas für das Krisenproblem überhaupt nicht gesehen, so beginnt man es nun – wie ich an anderer Stelle gezeigt habe [8] –, in überschwenglichster Weise zu verherrlichen, man schreibt ihm eine „objektive, gesellschaftliche Existenz“ zu und erblickt in ihm ein exaktes Abbild des kapitalistischen Reproduktionsprozesses, so daß aus den Verhältnissen des Reproduktionsschemas unmittelbar Schlußfolgerungen über die Vorgänge in der kapitalistischen Wirklichkeit gezogen werden! So sagt z.B. Rosa Luxemburg: „Wir haben uns zu fragen, welche Bedeutung das analysierte Schema des Reproduktionsprozesses für die Wirklichkeit hat“ (Akkumulation des Kapitals, S.76). Ihre Antwort geht dahin, daß die exakten Proportionen des Marxschen Schemas die „allgemeine absolute Grundlage der gesellschaftlichen Reproduktion“ bilden, und zwar sowohl für die kapitalistische, als auch für die sozialistische, überhaupt jede planmäßige Produktion! (l.c., S.56, 75, 103.) In einer planmäßig geleiteten sozialistischen Wirtschaft würde die Produktion exakt den Schemaverhältnissen entsprechen.
„In der kapitalistischen Wirtschaft“, sagt Rosa Luxemburg weiter, „fehlt jede planmäßige Organisation des Gesamtprozesses. Deshalb (! H.G.) geht in ihr auch nichts so glatt nach der mathematischen Formel, wie es im Schema aussieht. Der Kreislauf der Reproduktion verläuft vielmehr unter ständigen Abweichungen von den Verhältnissen des Schemas“ (l.c., S.76). – „Bei all diesen Abweichungen jedoch stellt das Schema jenen gesellschaftlich notwendigen Durchschnitt dar, um den sich jene Bewegungen vollziehen und dem sie immer wieder zustreben, nachdem sie sich von ihm entfernt haben“ (l.c., S.77).
Nicht anders verhält sich die Sache bei Otto Bauer. Auch bei ihm stellt schon das Wertschema jenen ausgeglichenen Gleichgewichtszustand zwischen Kapitalakkumulation und Bevölkerung dar, um welchen der Kreislauf der wirklichen Reproduktion oszilliert. Die Wirklichkeit zeigt zwar ständige zyklische Abweichungen vom Gleichgewichtszustand des Wertschemas, indem der Produktionsapparat im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum eine Überakkumulation oder Unterakkumulation aufweist. Zugleich aber besteht in der kapitalistischen Produktionsweise eine Tendenz, welche – wenn auch „durch Vermittlung großer Krisen“ – „selbsttätig Überakkumulation und Unterakkumulation aufhebt, die Akkumulation des Kapitals immer wieder dem Wachstum der Bevölkerung anpaßt“ (Neue Zeit, 1913, Bd.I, S.872), d.h., daß die wirkliche Bewegung jenem theoretisch errechneten Gleichgewichtszustand, welcher durch das Wertschema repräsentiert wird, zustrebt.
Im frappanten Gegensatz zu der oben entwickelten Lehre Marxens von der regulierenden Funktion des Durchschnittsprofits und der Produktionspreise, im Gegensatz zur Lehre, daß nicht Werte, sondern erst ihre verwandelte Form, die Produktionspreise, das Gravitationszentrum für die Schwankungen der Marktpreise bilden, schreiben R. Luxemburg und O. Bauer diese Funktion den Werten zu. Die Verhältnisse des Wertschemas sind bei beiden nicht nur die erste Etappe im Annäherungsverfahren wie bei Marx, sondern sie spiegeln unmittelbar die Wirklichkeit wider.
Aus dieser Divergenz in der Auffassung des Wertschemas bei Marx einerseits und R. Luxemburg und O. Bauer andererseits ergeben sich auch die weiteren Konsequenzen für die Analyse der Krisenproblematik. Das im II. Band des Kapital entwickelte Reproduktionsschema mit seinen Werten und verschiedenen – mangels Konkurrenz nicht ausgeglichenen – Profitraten entspricht nicht der Wirklichkeit. Soll die Werttheorie den wirklichen Erscheinungen nicht widersprechen, sondern sie erklären, dann müssen die Werte – im Einklang mit der Marxschen Lehre des III. Bandes des Kapital – mit Hilfe der Konkurrenz in konkretere Produktionspreise umgewandelt, d.h. „eine Masse von Mittelgliedern“ entwickelt werden, die zur allgemeinen Profitrate, schließlich zu den empirisch gegebenen Profitformen (Zins, Grundrente, Handelsgewinn) führen. Indem R. Luxemburg und O. Bauer der methodologischen, vorläufigen Marxschen Annahme, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden, Wirklichkeitsgeltung zuerkennen, daher das Wertschema als Widerspiegelung der Wirklichkeit betrachten, schalten sie damit von vornherein aus dem Kreis ihrer Problematik die Notwendigkeit der Umwandlung der Werte in Produktionspreise und weiter in merkantile Preise aus. Sie verzichten auf die Methode der fortschreitenden Konkretisierung der im Schema dargestellten Verhältnisse, auf die Methode zunehmender Genauigkeit des Reproduktionsschemas. Man braucht sich nicht erst stufenweise der Erfassung der Wirklichkeit zu nähern, nachdem doch, nach R. Luxemburg und O. Bauer, das Schema bereits die Wirklichkeit widerspiegelt!
Es ist somit nur die logische Konsequenz dieses verhängnisvollen Fehlers, daß für R. Luxemburg und O. Bauer nicht nur das Problem der Wert-Preis-Transformation, sondern auch das damit verknüpfte Problem der allgemeinen Profitrate, sowie das Problem der Verwandlung des Mehrwerts in seine besonderen Profitformen (Handelsgewinn, Zins usw.), also die ganze Lehre des III. Bandes des Marxschen Kapital nicht existiert! Sie bleiben innerhalb der „Keimform“ des Wertschemas, bei der von der Wirklichkeit entfernten Abstraktionsstufe, stehen, ohne die „Metamorphosen“, d.h. den Weg, der zur Annäherung an die konkrete kapitalistische Wirklichkeit führt, zu betreten. Daß infolge dieser fatalen Verkennung der Marxschen Methodik der Zusammenhang des Problems der Wert-Preis-Transformation mit dem Krisenproblem nicht gesehen und nicht behandelt wird, ist nach dem Gesagten selbstverständlich.
Worin besteht nun dieser Zusammenhang und die spezifische Funktion der Preisrechnung? Um dies zu zeigen, wenden wir uns an die Problemstellung, wie sie sich bei R. Luxemburg vorfindet. Durch ihre kritische Analyse des Marxschen Reproduktionsschemas gelangte sie nämlich zum Ergebnis, daß innerhalb eines solchen Schemas – soweit in dessen beiden Abteilungen verschiedene organische Zusammensetzung des Kapitals besteht – ein restloser Absatz der Waren, somit ein Gleichgewicht, nicht möglich sei, weil „mit jedem Jahre ... ein wachsender Überschuß an Konsumtionsmitteln entstehen muß“ (l.c., S.306).
„Dieser unabsetzbare Mehrwertrest in der Abteilung II wird durch die Berücksichtigung der steigenden Produktivität der Arbeit noch verstärkt, weil diese ... auf einen viel stärkeren Überschuß unabsetzbarer Konsumtionsmittel hinweist, als dies aus der Wertsumme dieses Überschusses hervorgeht“ (l.c., S.308).
Unterstellen wir einmal, R. Luxemburg wäre dieser Nachweis gelungen. Was hätte sie damit bewiesen? Lediglich den Umstand, daß der „unabsetzbare Rest“ in der Abteilung II innerhalb des Wertschemas entsteht, d.h. unter der Voraussetzung, daß die Waren zu ihren Werten ausgetauscht werden. Aber wir wissen, daß diese Voraussetzung der Wirklichkeit nicht entspricht. Im Wertschema, das der Analyse R. Luxemburgs zugrunde liegt, sind in den einzelnen Produktionsabteilungen verschiedene Profitraten, die mangels der Konkurrenz nicht zur Durchschnittsrate ausgeglichen werden. Auch dies widerspricht der Wirklichkeit, wo infolge der Konkurrenz eine Tendenz zur Ausgleichung verschiedener Profitraten zur allgemeinen Profitrate besteht. Welche Beweiskraft für die Wirklichkeit haben somit die Schlußfolgerungen R. Luxemburgs – der Nachweis eines unabsetzbaren Konsumtionsrestes –, die aus einem Schema abgeleitet werden, dem keine Wirklichkeitsgeltüng zukommt? Da infolge der Konkurrenz die Umwandlung der Werte in Produktionspreise und dadurch eine Neuverteilung des Mehrwerts unter die einzelnen Industriezweige im Schema stattfindet, wodurch notwendigerweise auch eine Änderung der bisherigen Proportionalitätsverhältnisse der einzelnen Sphären des Schemas erfolgt, so ist es durchaus möglich und wahrscheinlich, daß ein „Konsumtionsrest“ im Wertschema nachher im Produktionspreisschema verschwindet und umgekehrt, daß ein ursprüngliches Gleichgewicht des Wertschemas sich nachher im Produktionspreisschema in eine Disproportionalität verwandelt. Die Mangelhaftigkeit der Beweisführung, die sich lediglich auf die Analyse des Wertschemas beschränkt und mit Werten und verschiedenen Profitraten, statt mit Produktionspreisen und der allgemeinen Profitrate operiert, ist evident. Sagt doch R. Luxemburg selbst: „Das gesellschaftliche Gesamtkapital mit seinem Gegenstück, dem gesellschaftlichen Gesamtmehrwert, sind also nicht bloß reale Größen von objektiver Evidenz, sondern ihr Verhältnis, der Durchschnittsprofit, leitet und lenkt – vermittels des Mechanismus des Wertgesetzes – den ganzen Austausch, nämlich die quantitativen Austauschverhältnisse der einzelnen Waren unabhängig von ihren besonderen Wertverhältnissen.“ Die Durchschnittsprofitrate ist nämlich die leitende Macht, „die tatsächlich jedes Privatkapital nur als Teil des gesellschaftlichen Gesamtkapitals behandelt, ihm den Profit als einen ihm nach Größe zukommenden Teil des in der Gesellschaft herausgepreßten Gesamtmehrwertes ohne Rücksicht auf das von ihm tatsächlich erzielte Quantum zuweist“ (l.c., S.50).
Nach dieser Darstellung R. Luxemburgs lenkt der Durchschnittsprofit den ganzen Warenaustausch. Trotzdem prüft sie die Frage, ob ein restloser Austausch möglich ist, an einem Schema, das keinen Durchschnittsprofit kennt. Kann man sich einen größeren Widerspruch vorstellen ? Wenn weiter, wie R. Luxemburg feststellt, die Austauschverhältnisse einzelner Wären in der konkreten Wirklichkeit „unabhängig von ihren besonderen Wertverhältnissen“ stattfinden, wenn jedes Kapital nicht das von ihm selbst erzeugte Quantum Mehrwert realisiert, sondern bloß den zu seiner Größe proportionalen Durchschnittsprofit erhält, so gibt doch R. Luxemburg damit indirekt zu, daß ihre Theorie von der Notwendigkeit der Realisierung des Mehrwerts falsch ist, so gibt sie indirekt zu, daß die Waren sich nicht zu ihren Werten, sondern zu Preisen, nämlich zu Produktionspreisen, austauschen, die von den Werten dauernd abweichen, da es nach Marx „die Durchschnittsrate des Profits ist, die allein die Produktionspreise herstellt“ (Mehrwert II 1, S.78). Sind ja im Marxschen System gleicher Durchschnittsprofit und von den Werten abweichende Produktionspreise korrelative Begriffe! Es ist daher ein offenbarer logischer Widerspruch, wenn R. Luxemburg aus ihrer eigenen Feststellung des empirischen Faktums des Durchschnittsprofits und seiner zentralen leitenden Rolle für den weiteren Gang ihrer Analyse keine Konsequenzen zieht, daß sie zwar die Existenz der Durchschnittsprofitrate anerkennt, gleichwohl aber an der Vorstellung festhält, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden! Die oben angeführte Stelle ihres Buches ist auch die einzige, wo sie vom Durchschnittsprofit und in verhüllter Weise von den Produktionspreisen spricht. Nirgends aber wird diese Erkenntnis für die Analyse des Krisenproblems verwertet.
R. Luxemburg hatte offenbar selbst das Gefühl, daß das Wertschema eine wirklichkeitsferne Konstruktion ist, wenn sie in ihrer Antikritik vom III. Bande des Kapital und dessen Verhältnis zur Wertlehre des I. Bandes sagt:
„Denn hier steht im Mittelpunkt als eine der wichtigsten Entdeckungen der Marxschen ökonomischen Theorie die Lehre von dem Durchschnittsprofit. Dies gibt der Werttheorie des ersten Bandes erst realen Sinn.“ (S.38.)
Sie stellt somit selbst fest, daß nicht die Wertlehre des I. Bandes, sondern erst die „Produktionspreise“ und der Durchschnittsprofit des III. Bandes einen „realen Sinn“ haben. Aber in ihrem Buche über die Akkumulation und in ihrer Antikritik werden die Produktionspreise nicht einmal erwähnt und es wird an der falschen Voraussetzung festgehalten, daß der Austausch der Waren zwischen I (v + m) und II c zu ihren Werten keine bloß methodologische Annahme, sondern in der kapitalistischen Wirklichkeit ein tatsächlicher Vorgang ist! So sagt sie z.B., daß der Lebensmittelbedarf für die Abteilung I des Schemas, durch das variable Kapital und den Mehrwert dieser Abteilung ausgedrückt, aus dem Produkt der Abteilung II „doch nur im Austausch gegen die gleiche Wertmenge des Produkts 1 erhältlich“ ist. (Akkumulation, S.100, 311.) Noch in ihrem letzten posthum erschienenen Werke behauptet sie: „Alle Waren tauschen sich gegeneinander nach ihrem Wert“ (Einführung in die Nationalökonomie, Berlin 1925, S.239). [9] Diese in sich widerspruchsvolle Stellungnahme R. Luxemburgs, durch welche sie in die schlimmsten Irrtümer des Vulgärsozialismus verfällt, ist kein Zufall. Sie entspringt aus ihrer falschen Vorstellung von der ein für allemal durch die Naturgestalt des Mehrwerts bereits gegebenen Funktionsbestimmung desselben, entweder als Produktionsmittel innerhalb der Abteilung I oder als Konsumtionsmittel innerhalb der Abteilung II zu wirken. Aus dieser funktioneilen Vorausbestimmung ergibt sich für R. Luxemburg, daß irgendwelche Verschiebungen des Mehrwert s (oder eines Teiles desselben) aus der Abteilung II in die Abteilung I unmöglich ist. Eine solche Übertragung des Mehrwerts scheitert nach R. Luxemburg noch aus einem zweiten Grund, nämlich an der Gleichwertigkeit der Austauschverhältnisse zwischen beiden Abteilungen (Die Akkumulation, S.311).
Mit dieser Behauptung gelangt R. Luxemburg notwendig zur Negation des ganzen Inhalts des III. Bandes des Kapital und speziell der dort entwickelten Lehre von den Produktionspreisen und von der Herausbildung einer gleichen Profitrate. Ihr Wortzugeständnis, daß im Mittelpunkt des III. Bandes die Lehre von dem Durchschnittsprofit, „eine der wichtigsten Entdeckungen der Marxschen Theorie“, steht, kann den wahren Sachverhalt, daß sie die Lehre vom Durchschnittsprofit preisgegeben hat, nicht verschleiern; vielmehr wird diese Preisgabe noch dadurch unterstrichen, daß R. Luxemburg den einzigen Weg, auf welchem sich ein gleicher Durchschnittsprofit herausbilden kann, als unmöglich bezeichnet. Vergegenwärtigen wir uns den Sachverhalt an dem Marxschen Schema der einfachen Reproduktion:
I 4000 c + 1000 v + 1000 m = 6000 Profitrate = 20% |
Wir sehen, hält man an dem Wertschema, an dem Austausch von Äquivalenten fest, also daran, daß 1000 v + 1000 m der Abteilung I sich gleichwertig gegen 2000 c der Abteilung II austauschen, dann fällt die Marxsche Lehre von den Produktionspreisen unter den Tisch, dann müssen in beiden Abteilungen verschiedene Profitraten bestehen. Die Profitrate derAbteilung-I beträgt 20%, die der Abteilung II 33%. Wie kann sich in den beiden Abteilungen des Marxschen Schemas eine gleiche Profitrate – im gegebenen Fall eine Profitrate von 25% – herausbilden? Es erscheint der Hinweis fast banal, daß dies nur im Wege der Herausbildung von Produktionspreisen möglich ist, also durch den Umstand, daß die an die Abteilung II abzutretenden Waren der Abteilung I über ihren Werten, dagegen die Waren der Abteilung II, soweit sie an Abteilung I gelangen, unter ihren Werten verkauft werden. Nur dadurch, daß die Abteilung I für ihre (v + m) = 2000 Werteinheiten von der Abteilung II mehr bekommt, nämlich 2250 Werteinheiten, kann in beiden Abteilungen die gleiche Profitrate entstehen. Auf diese Weise wird ein Teil des Mehrwerts der Abteilung II in die Abteilung I im Wege des Austausches übertragen. Nur dadurch kann in der Abteilung I ein gegenüber dem ursprünglich erzielten Mehrwert (= 1000 m) größerer Profit, (nämlich 1250) erworben werden, was bei dem ausgelegten Kapital von 5000 C eine Profitrate von 25% ausmacht. In der Abteilung II bleibt statt des ursprünglichen Mehrwerts (= 1000 m) bloß ein Profit von 750, was beim vorgeschossenen Kapital von 3000 C eine Profitrate von gleichfalls 25% ergibt.
Daß durch die Tendenz zur Nivellierung der Profitraten, durch die Tatsache der Übertragung eines Teiles des Mehrwertes aus der Abteilung II in die Abteilung I die Lehre R. Luxemburgs vom „unabsetzbaren Konsumtionsrest“ in der Abteilung II in ihren Grundlagen erschüttert wird, ist nach dem Gesagten ohne weiteres klar, und ihre „unerschütterliche Position“ (Sternberg) erweist sich als eine Seifenblase, die bei der Berührung mit der Wirklichkeit sofort platzt. Wollte R. Luxemburg ihren Gedanken vom unabsetzbaren Konsumtionsrest tatsächlich beweisen, dann hätte sie diesen Nachweis nicht bloß auf der Basis des Wertschemas, sondern weiter auch innerhalb des Produktionspreisschemas führen und zeigen müssen, daß ein solcher unabsetzbarer Rest sich auch nach Herausbildung der Durchschnittsprofitrate notwendig ergeben muß. [10] Einen solchen Nachweis hat sie aber nicht geführt und nicht einmal zu führen versucht.
Die Tendenz zur Nivellierung der Profitrate in verschiedenen Produktionszweigen ist eine durch die Erfahrung bestätigte Beobachtung, die während eines ganzen Jahrhunderts von Theoretikern verschiedener wissenschaftlicher Richtungen gleichermaßen anerkannt wurde. Als Tatsache wurde sie bereits von Ricardo und Malthus gesehen. Auch Marx spricht von ihr als von einem „empirisch gegebenen Faktum“ (Kapital, III 1, S.350), als von einer „praktischen Tatsache“ (ebenda, S.149). „Die Beobachtung der Konkurrenz – der Phänomene der Produktion – zeigt, daß Kapitalien von gleicher Größe im Durchschnitt gleich viel Profit liefern“ (Mehrwert III, 73). Diese Nivellierungstendenz ist auch von neueren Theoretikern, z.B. von Böhm-Bawerk und anderen, für den kon-kurrenzbedingten Kapitalismus nicht bestritten worden. [11]
Nur in der Art der Erklärung dieser Tatsache schieden sich die Richtungen und an der Schwierigkeit dieser Erklärung scheiterte speziell die nachricardosche Schule, weil sie es nicht verstand, die Tatsache der gleichen Profitrate mit der Theorie des Arbeitswertes in Einklang zu bringen. Hier war der Punkt, wo die historische Großtat Marxens einsetzte. Er hat es verstanden, durch seine Lehre von der Divergenz zwischen den Produktionspreisen und den Werten die Tatsache der gleichen Profitrate, die prima facie dem Arbeitswertgesetz widerspricht, aus diesem Wertgesetz zu erklären. Indem R. Luxemburg aller Erfahrung zum Trotz die Möglichkeit der Übertragung eines Teiles des Mehrwerts aus Abteilung II in Abteilung I, also die Möglichkeit der Bildung der Produktionspreise, negiert und daran festhält, daß der Austausch der Waren in den einzelnen Sphären zu ihren Werten erfolgt, vermag sie nicht vom Boden der Arbeitswertlehre aus die Durchschnittsprofitrate zu erklären; obwohl sie starr an der Wertlehre festhält, gibt sie hier tatsächlich die Grundlage des Marxschen theoretischen Systems preis. Denn unter der Voraussetzung, daß die Waren zwischen den verschiedenen Produktionssphären sich gleichwertig austauschen, ist die Tatsache der gleichen Profitrate nicht zu erklären. Statt also jene falsche Voraussetzung vom „gleichwertigen Austausch“ zwischen beiden Schemaabteilungen, sowie ferner von der Unmöglichkeit der Mehrwertübertragung aus Abteilung II in Abteilung I fallen zu lassen, um die Tatsachen erklären zu können, opfert R. Luxemburg eher die Tatsachen und zieht es vor, an jener falschen Voraussetzung vom „gleichwertigen“ Warenaustausch festzuhalten! Mit einem Federstrich wird so die ganze Marxsche Lehre vom gleichen Durchschnittsprofit, nach R. Luxemburg selbst „eine der wichtigsten Entdeckungen der Marxschen ökonomischen Theorie“, einfach aus der Welt geschafft.
Was wir oben von der Aufrollung der Krisenproblematik durch R. Luxemburg gesagt haben, das gilt wörtlich in bezug auf alle marxistischen Theoretiker, die sich mit dem Krisen- und Akkumulationsproblem beschäftigt haben. Wie seltsam das auch klingen mag, es ist dennoch eine Tatsache, daß in der ganzen bisherigen, mit dem Buche Tugan-Baranowskys 1901 eröffneten, nunmehr 30jährigen Diskussion über die Möglichkeit eines störungslosen Verlaufs des kapitalistischen Produktionsprozesses das eigentliche Problem – die Krisenproblematik auf allen Stufen des Annäherungsverfahrens nachzuweisen – von niemandem auch nur gestellt wurde. Ob es sich um die Neo-Harmoniker Kautsky, Hilferding und Otto Bauer oder um Rosa Luxemburg und ihre Anhänger, oder endlich um Bucharin und andere Theoretiker des Kommunismus handelt – sie alle haben das Problem nur an seiner Schwelle, an Hand des Wertschemas, das Werte, Mehrwerte und verschiedene Profitraten kennt, behandelt, statt ihre Analyse und Schlußfolgerungen weiter auch auf Grundlage eines Produktionspreisschemas zu erhärten, eines Schemas also, das die regulierenden Kategorien der Produktionspreise, der Konkurrenz und der allgemeinen Profitrate zeigt. Ganz unabhängig davon, ob man sich für die Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit der Krisen im Kapitalismus ausspricht oder, wie die Neo-Harmoniker es tun, die Möglichkeit eines krisenlosen Verlaufs behauptet, ist es klar, daß die aus einem Wertschema gezogenen Schlußfolgerungen voreilig und nicht beweiskräftig sind. Wie könnte uns denn auch die Analyse eines Wertschemas über die Notwendigkeit der Proportionalität oder der Disproportionalität des Warenaustausches im Kapitalismus belehren, wenn die im Wertschema so mühsam errechneten Proportionalitätsverhältnisse nachher durch die Tendenz zur Ausgleichung der Profitraten und die dadurch bewirkte Neuverteilung des Mehrwerts notwendig umgeworfen werden! Keiner von den genannten Theoretikern hat die Bedeutung und die Tragweite der Umwandlung der Werte in die Produktionspreise für die Krisenproblematik erkannt und auch nur mit einem einzigen Worte erwähnt, geschweige denn behandelt. [12]
Die bürgerliche Ökonomie hat die „praktische Tatsache“ (Kapital, III 1, S.149) der gleichen Profitrate seit Ricardo und Malthus gesehen. Aber weder die Klassiker noch die nachricardosche Schule haben es verstanden, diese Tatsache in Übereinstimmung mit der Wertlehre zu bringen und sind in eine theoretische Sackgasse geraten, indem sie gezwungen waren, entweder die Theorie zugunsten der Tatsachen, oder die Tatsachen zugunsten der Theorie preiszugeben [13] An diesem Widerspruch zwischen der Theorie und den Tatsachen, an der Unmöglichkeit, aus dem abstrakten Arbeitswertgesetz die allgemeine Profitrate ableiten zu können, ist die nachricardosche Schule schließlich zugrunde gegangen, und mit Recht gab Marx in seinem Epitaph als Auflösungsursache der Schule an: „Bildung der allgemeinen Profitrate ... Unverstandenes Verhältnis zwischen Wert und Produktionspreis“ (Mehrwert, III, S.280). Speziell gegen Ricardo erhebt er den Vorwurf, daß dieser in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zwar eine allgemeine Profitrate „unterstellt“, ohne indes zu „untersuchen, inwieweit ihre Existenz überhaupt der Bestimmung der Werte durch die Arbeitszeit entspricht“, während doch faktisch „sie ihr prima facie widerspricht, ihre Existenz also erst durch eine Masse Mittelglieder zu entwickeln ist“ (Mehrwert, II 1, S.14). Deshalb betont Marx die „wissenschaftliche Unzulänglichkeit“ der Methode Ricardos, die ihn „zu irrigen Resultaten führt“ und darin besteht, daß Ricardo, „von der Bestimmung der Wertgrößen der Waren durch die Arbeitszeit ausgeht“ und dann untersucht, ob die übrigen ökonomischen Verhältnisse und Kategorien den Werten entsprechen oder widersprechen. Die Unzulänglichkeit dieser Methode liege also darin, „daß sie notwendige Mittelglieder überspringt und in unmittelbarer Weise die Kongruenz der ökonomischen Kategorien untereinander nachzuweisen sucht“ (Mehrwert, II 1, S.2).
Indem Marx diese „Mittelglieder“ rekonstruiert hat und durch seine Lehre von der Bildung der allgemeinen Profitrate sowie von der Verwandlung der Werte in Produktionspreise resp. merkantile Preise die Arbeitswertlehre in Einklang mit den Tatsachen gebracht hat, hat er die ökonomische Theorie über den Punkt fortentwickelt, an dem die nachricardosche Schule zugrunde gegangen ist.
Und gerade dieses spezifische Ergebnis der theoretischen Forschung Marxens verschwindet aus der ganzen bisherigen Diskussion über das Krisen- und Akkumulationsproblem. Es existiert für R. Luxemburg ebensowenig wie für Otto Bauer, Hilferding oder Bucharin. Sie alle bleiben in ihrer Analyse in der von der Wirklichkeit entfernten Sphäre des Wertschemas stecken, ohne sich darum zu kümmern, daß dieses Schema nur die erste Annäherung an die Wirklichkeit, nicht aber diese Wirklichkeit selbst darstellt. Sie übersehen, daß dieses Schema ohne die weiteren „Mittelglieder“ kein geeignetes Mittel für die Erforschung der entwickelten kapitalistischen Produktionsweise und jener konkreten Formen ist, in welchen die Kapitale „in ihrer wirklichen Bewegung“ sich gegenübertreten. Denn wie Engels richtig im Vorwort zum II. Bande des Kapital sagt, „sind die Untersuchungen dieses Buch II ... nur Vordersätze zum Inhalt des Buch III, das die Schlußergebnisse der Marxschen Darstellung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses auf kapitalistischer Grundlage entwickelt“ (Kapital, II, S.XXIII). Die im II. Bande des Kapital gegebene Darstellung des Reproduktionsprozesses auf Basis der Wertschemata enthält somit nur die Vordersätze einer Beweisführung, deren Schlußsätze erst im III. Bande des Kapital, in der Lehre von der Umwandlung der Wertschemata in Produktionspreisschemata folgen. Erst durch diese Lehre wird die Marxsche Gedankenkette geschlossen und das Annäherungsverfahren, in dem es durch alle Stufen hindurch bei der konkreten Wirklichkeit angelangt ist, beendet. Es ist allerdings eine sonderbare Manier der bisherigen Marxdiskussion, sich nicht an die Totalität der Marxschen Beweisführung auf allen ihren Stufen, sondern bloß an die aus dieser geschlossenen Gedankenkette herausgerissenen „Vordersätze“, d.h. an die Wertschemata zu halten. Anstatt, wie die genannten Theoretiker meinen, Marx fortzuentwickeln, kehren sie alle zu jenem Punkte zurück: „unverstandenes Verhältnis zwischen Wert und Produktionspreis“, an dem die nachricardosche Schule um 1850 stehen geblieben und schließlich gescheitert ist.
1. Im folgenden werden der I. und der III. Band des Marxschen Kapital nach der dritten, der II. Band nach der ersten Auflage, Theorien über den Mehrwert als Mehrwert zitiert.
2. H. Grossmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, Leipzig 1929, S.VIff. – Die Änderung des ursprünglichen Aufbauplans des Marxschen Kapital und ihre Ursachen (Arch. f. d. Gesch. d. Sozialismus, Jahrg. XIV, 1929). – Die Goldproduktion im Reproduktionsschema v. Marx und Rosa Luxemburg, Festschrift für C. Grünberg, Leipzig 1932, S.152.
3. Der Einwand Sternbergs gegen meine Wertauffassung, daß sie „die Bedeutung der Konkurrenz im Kapitalismus übersehe“ (Die Umwälzung der Wissenschaft, Berlin 1930, S.12), stellt die Tatsachen auf den Kopf. Nicht ich habe die Konkurrenz übersehen, vielmehr blieb sie in der ganzen bisherigen 30jährigen Diskussion über das Akkumulations- und Krisenproblem unberücksichtigt. Herr Sternberg spricht zwar von der Notwendigkeit, die Konkurrenz zu berücksichtigen, tut es aber ebensowenig wie die anderen Autoren von Tugan-Baranowsky bis Bucharin, da sie alle mit einem Schema operieren, das nur Werte kennt. Im Begriff des Wertes ist aber auch die Verschiedenheit der Profitraten in den einzelnen Sphären, daher auch die Ausschaltung der Konkurrenz, eingeschlossen, da „erst die Konkurrenz der Kapitale in den verschiedenen Sphären den Produktionspreis hervorbringt, der die Profitraten zwischen den verschiedenen Sphären egalisiert“ (Kapital, III 1, S.156). Wo man die Krisen als primär partielle, aus der Disproportionalität der einzelnen Sphären sich ergebende behandelt – wie in den Arbeiten der genannten Autoren –, ist die Berücksichtigung der Konkurrenz, d.h. der Tendenz zur Ausgleichung der Profitraten, unbedingt notwendig. Anders ist es in meinem Buche, wo es um die Erklärung der primär allgemeinen, sämtliche Sphären zugleich erfassenden Überakkumulationskrisen geht. Für die Gesamtgesellschaft „verliert die Unterscheidung der Werte von den Produktionspreisen jede Bedeutung“ (vgl. mein Akkumulationsgesetz, S.107 und 211), da hier beide Größen identisch sind.
Ebenso unrichtig ist der weitere Einwand, daß die Wirkung der Konkurrenz schon im Werte selbst enthalten wäre, weil die Konkurrenz den Wert, d.h. die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, bestimme. Diese Auffassung ist mit den wesentlichen Grundlagen der Marxschen Wertlehre absolut unvereinbar. Tatsächlich ist die Funktion der Konkurrenz für den Wert nicht konstitutiv, sondern bloß deklaratorisch. Sie bestimmt nicht die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, stellt sie vielmehr nur nachträglich fest. Die Konkurrenz spielt sich nämlich auf dem Markt, also innerhalb der Zirkulationssphäre, ab. Der Wert aber wird in der Produktion geschaffen, geht also aller Konkurrenz voraus. „Der Wert der Waren“ – sagt Marx – „ist in ihren Preisen dargestellt, bevor sie“in. die Zirkulation treten, also Voraussetzung und nicht Resultat derselben“ (Kapital, I, S.133. Ähnlich Zur Kritik, S.49). Bereits die Physiokraten Quesnay und Mercier de la Rivière wußten, daß die Waren den Tauschwert besitzen, bevor sie zum Austausch auf den Markt kommen (vgl. Marx, Kapital, I, S.133 und Aug. Oncken, Gesch. d. Nationalökon., Leipzig 1902, S.370).
4. Brief von Engels 15.X.1888 an Nikolaion (Die Briefe von K. Marx und Fr. Engels an Danielson, Leipzig 1929, S.45).
5. Denn die absolute Rente ist bloß ein „Überprofit“, d.h. ein „Überschuß über den Durchschnittsprofit“ (Mehrwert, III, S.450, Mehrwert, II 2, S.4, Kapital, III 2, S.174, 316). „So bildet der Überschuß dieses Wertes (der Agrikulturprodukte) über den Produktionspreis die absolute Rente. Aber damit dieser Überschuß des Wertes über den Produktionspreis (gemessen) werden könne, muß der Produktionspreis das Prius sein, also der Agrikultur von der Industrie als Gesetz aufgezwängt werden“ (Mehrwert, III, S.114). – „Die Rente ist ... absolut nicht zu erklären, wenn der industrielle Profit nicht den landwirtschaftlichen regulierte“ (l.c., S.113). „Um überhaupt von einem Überschuß über den Durchschnittsprofit sprechen zu können, muß dieser Durchschnittsprofit selbst als Maßstab und wie es in der kapitalistischen Produktionsweise der Fall ist, als Regulator der Produktion überhaupt hergestellt sein“ (Kapital, III 2, S.316). Aus dem Wertschema, in dem dieser Regulator nicht besteht, ist daher die Existenz der absoluten Grundrente unerklärbar.
6. Es ist somit unrichtig, wenn K. Diehl, scheinbar Marx entgegenkommend, zwar die Inkongruenz der Preise und der Werte einzelner Waren innerhalb der Marxschen Theorie als berechtigt und notwendig anerkennt, dann aber behauptet: „Für die durchschnittlichen Marktpreise nimmt Marx entschieden den Arbeitswert als das Gravitationszentrum an.“ (K. Diehl, Über das Verhältnis von Wert und Preis im ökonomischen System von K. Marx, Jena 1898, S.6 und ebenso noch in der 3. Ausgabe von Sozialwissenschaftl. Erläuterungen zu D. Ricardos Grundgesetzen d. Volkswirtschaft, 1921, Bd.I. 96.)
7. „Der ganze kapitalistische Produktionsprozeß ist reguliert durch die Preise der Produkte. Aber die regulierenden Produktionspreise sind selbst wieder reguliert durch die Ausgleichung der Profitrate und die ihr entsprechende Verteilung des Kapitals in den verschiedenen gesellschaftlichen Produktionssphären. Der Profit erscheint hier also als Hauptfaktor, nicht der Verteilung der Produkte, sondern ihrer Produktion selbst“ (Kapital, III 2, S.419).
8. Die Goldproduktion im Reproduktionsschema von Marx und Rosa Luxemburg, l.c., S.153ff.
9. Ähnlich sagt auch E. Heimann: „Auf dem Markte tauschen sich Warenmengen gleichen Wertes.“ (Mehrwert und Gemeinwirtschaft, Berlin 1922, S.10.)
10. In dem bekannten Reproduktionsschema Otto Bauers werden im ersten Produktionsjahr in jeder Abteilung aus dem Mehrwert 10000 c und 2500 v für Akkumulationszwecke bereitgestellt. Die faktische Akkumulation ist eine andere. Sie beträgt nämlich in der Abt. I mehr, und zwar 14666 c und 3667 v, dagegen in der Abt. II weniger, und zwar bloß 5334 c und 1333 v. Das besagt, daß Bauer einen Teil des zur Akkumulation in Abt. II bestimmten Mehrwerts in die Abt. I verschoben hat, ohne jedoch irgendeinen wissenschaftlich plausiblen Grund zur Rechtfertigung einer solchen Verschiebung angeben zu können. Der Rettungsversuch Helene Bauers, ihr Hinweis, daß eine solche Vorschiebung im Kreditwege erfolge, muß als eine naive Ausflucht betrachtet werden. Die Verschiebungen im Kreditwege – mögen sie in der Wirklichkeit eine große Rolle spielen – sind bei der theoretischen Analyse des Reproduktionsprozesses unzulässig. Gehört ja doch zu den vielen vereinfachenden Voraussetzungen des Marxschen Reproduktions-schemas auch die methodologische Annahme, daß vom Kredit abstrahiert wird. Die Aufgabe des Schemas besteht doch gerade darin, die Austauschbeziehungen zwischen seinen beiden Abteilungen aufzuzeigen und zu prüfen, ob ein restloser Absatz möglich sei. Nachdem man bei der Problemlösung in Schwierigkeiten geraten ist, ist es unzulässig, die ursprünglich gemachten Voraussetzungen nachträglich zu ändern. So konnte Fr. Sternberg einen allzu leichten Triumph über Bauer davontragen. Bildete indes f ür O. Bauer die Verschiebung eines Teils des Mehrwerts aus II nach I eine nicht zu erklärende Schwierigkeit, an der er gestolpert ist, so ist sie vom Standpunkt der im Text vertretenen Auffassung nicht nur zulässig und gerechtfertigt, sondern notwendig. Man übersah in der bisherigen Diskussion den Umstand, daß in den Abteilungen des Bauerschen Schemas verschiedene Profitraten bestehen. (In Abt. I p = 29,4%, in Abt. II p = 38,4%.) Soll eine gleiche, d.h. eine Durchschnittsprofitrate von 33,3% hergestellt werden, dann müssen aus Abt. II nicht bloß (wie bei O. Bauer) 5833, nämlich 4666 c und 1167 v, sondern sogar 6667 aus Abt. II in Abt. I übertragen werden. Und diese Übertragung erfolgt im Wege des Austausches! Allerdings eines ungleichen Austausches, bei dem die Waren beider Abteilungen nicht zu ihren Werten, sondern zu Produktionspreisen ausgetauscht werden.
11. So spricht Böhm-Bawerk von der „als Erfahrungstatsache unzweifelhaft feststehenden, Annahme, daß „eine Nivellierung der Kapitalgewinne stattfindet“. (Kapital und Kapitalzins, 3. Aufl. 1914, I. S.537.) – Ebenso S. Budge: „Die Erfahrung lehrt, daß die Profitraten ... dahin tendieren, sich auszugleichen, daß sie mithin in dem fingierten Gleichgewichtszustand des Wirtschaftsgetriebes, der ‚Statik‘ der Wirtschaft ausgeglichen sind.“ (Der Kapitalprofit, Jena 1920, S.6.)
12. Dies gilt auch von J.J.Rubin, der in seinem Buch Skizzen zur Marxschen Werttheorie (4. Aufl. Moskau 1929, russisch) zwar feststellt: „Die Theorie des Arbeitswertes und der Produktionspreise repräsentieren nicht Theorien für zwei verschiedene Wirtschaftstypen, sondern die Theorie ein-und derselben kapitalistischen Wirtschaft auf zwei Stufen wissenschaftlicher Abstraktion“ (S.217); dennoch behandelt er aber weder eingehender die Frage der Umwandlung der Werte in Produktionspreise„ noch die sich daraus für die Krisenproblematik ergebenden Konsequenzen, obwohl nach R. die Produktionspreise eine konkretere Abstraktionsstufe als die Werte zu repräsentieren scheinen. – Dasselbe gilt auch von zahlreichen anderen Autoren wie K. Diehl (Über das Verhältnis von Wert und Preis im ökonomischen System von Karl Marx, Jena 1898), Tugan-Baranowsky (Theoretische Grundlagen des Marxismus, Leipzig 1905, bes. S. 174ff.), v. Bortkiewicz (Wertrechnung und Preisrechnung, Archiv f. Sozialwiss., 1907 und Zur Berichtigung der grundlegenden theoretischen Konstruktion von Marx im III. Band des Kapital in Conrads Jahrb. für Nationalök., 1907) und in neuester Zeit Hans Zeisl (Ein Einwand gegen die Marxsche Wertlehre, Der Kampf, Wien 1930) und Emil Walter (Liquidation der Arbeitswertlehre?, ebenda). Sie alle stellen zwar das Problem der Wert- und Preisrechnung in das Zentrum ihres Interesses. Aber sie behandeln es ausschließlich unter dem Gesichtspunkte„ inwieweit die Marxsche Ableitung der Produktionspreise aus den Werten richtig und mit den Grundlagen der Marxschen Wertlehre vereinbar ist. Keiner dieser Autoren hat jedoch die Bedeutung der Wert-Preis-Transformation für die Krisenproblematik erkannt.
13. Nach Marx bestand diese „Verwirrung der Theoretiker“ darin, „daß ... die bisherige Ökonomie entweder gewaltsam von den Unterschieden zwischen Mehrwert und Profit, Mehrwertsrate und Profitrate abstrahierte, um die Wertbestimmung als Grundlage festhalten zu können, oder aber mit dieser Wertbestimmung allen Grund und Boden wissenschaftlichen Verhaltens aufgab, um an jenen in der Erscheinung auffälligen Unterschieden festzuhalten“ (Kapital, III 1, S.147).
Zuletzt aktualisiert am 20.11.2008