Aus Archive für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Nr.14, 1929, S.305-338.
Dank an Rick Kuhn.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
So merkwürdig es auch erscheinen mag, hat der Fragenkomplex, der sich auf den Aufbau des MARXschen Hauptwerkes, sowie dessen Verhältnis zu den Theorien über den Mehrwert einerseits und zu der früher erschienenen Zur Kritik der Politischen Ökonomie andererseits bezieht, nie den Gegenstand einer Untersuchung gebildet. Kaum wird man ein anderes Buch finden, das in diesem Ausmaß ein ganzes Jahrhundert theoretisch und praktisch gestaltet hat und dem trotz dieser seiner gewaltigen Bedeutung hinsichtlich Gestalt, Geschichte seiner Genesis und Logik seines Auf baus eine größere Gleichgültigkeit zuteil wurde!
Es wäre müßig hier über die Ursachen dieses unbefriedigenden Standes der MARXforschung nachzugrübeln. Es sei lediglich festgestellt, daß wir uns – trotz aller MARXdiskussionen, die wir in den letzten drei Jahrzehnten in den kapitalistisch fortgeschrittenen Ländern Europas erlebten –, dennoch erst in den Anfängen einer wissenschaftlichen MARXforschung befinden. Die entscheidende Wendung ist auf diesem Gebiete erst mit der Realisierung der durch das Moskauer Marx-Engels-Institut angekündigten Publikation der MARX-Quellen zu erwarten.
Trotzdem wäre es ein unverzeihlicher Rückfall in die Fehler des Historismus, mit der theoretischen Analyse bis zu jenem Augenblicke in Untätigkeit zu verharren. Vielmehr versucht die nachfolgende Untersuchung, das im Titel umschriebene Problem auf Grund des bisher bereits bekannten Quellenmaterials kritisch zu prüfen und zu zeigen, welche wichtigen Aufschlüsse bereits heute daraus gewonnen werden können.
Das Problem, das hier entsteht, ist ein zweifaches: das erste betrifft die Vorfrage, deren Beantwortung jeder wissenschaftlichen Analyse des MARXschen Gedankensystems vorangehen muß, die Frage nach der Vollständigkeit des ererbten Stoffes, d.h. die Frage, ob das, was vom Kapital vorliegt – die Theorien über den Mehrwert einbegriffen – im wesentlichen, von einzelnen Lücken der Ausführung abgesehen, den ganzen zu behandelnden Stoff umfaßt, ob somit das Kapital im wesentlichen bereits ein in sich abgeschlossenes System darstellt, oder ob wir es hier mit Bruchstücken eines größeren Werkes zu tun haben. Das zweite, das eigentliche Problem betrifft die methodischen Gesichtspunkte, welche bei der Verarbeitung des Stoffes, bei der Anlage des Werks und bei dem Aufbau seiner Elemente entscheidend waren. Beide Probleme stehen, wie sich zeigen wird, im engsten Zusammenhang miteinander.
Das erste Problem konnte selbstverständlich nur dadurch entstehen, daß MARX selbst nur die Ausgabe des ersten Bandes besorgen konnte, daß die übrigen Bände aus den nachgelassenen Handschriften von ENGELS, und, soweit es sich um die Mehrwerttheorien handelt, von KAUTSKY herausgegeben wurden; daß die Entstehungsgeschichte dieses Werkes, von 1859 an gerechnet, dem Erscheinungsdatum von Zur Kritik, der ersten Bearbeitung der Anfangskapitel des Kapital, einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert umfaßt.
Es ist bezeichnend dafür, wie wenig über diese Probleme nachgedacht wurde, daß über die Frage der Vollständigkeit des vorliegenden Stoffes, die zu den ebenso kardinalen wie selbstverständlichen Vorfragen aller MARXanalyse gehört, die haarsträubendsten Unklarheiten herrschen, als deren krassestes Beispiel ich die von R. WILBRANDT geäusserten Ansichten anführen will. Welchen Stoff MARX behandeln wollte, wissen wir aus der Vorrede von Zur Kritik (1859), wo der ursprüngliche Plan des Werkes angegeben wurde: „Ich betrachte das System der bürgerlichen Ökonomie in dieser Reihenfolge: Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit; Staat, auswärtiger Handel, Weltmarkt“. Die Fortsetzung des ursprünglichen Werkes, wie sie uns in den drei Büchern des Kapital vorliegt, ist indes nach einem anderen Plan erfolgt. Bereits 1897 schrieb KAUTSKY anläßlich, der Neuausgabe von Zur Kritik: „So ist die Anlage des Kapital eine andere geworden als die jenes Werkes, dessen erstes Heft MARX 1859 veröffentlichte. Dies beweist schon ein Blick auf die ersten Zeilen der Vorrede zur Kritik und ein Vergleich des dort entwickelten Planes mit dem im Kapital tatsächlich befolgten“. Und obwohl dies bereits auf den „ersten Blick“ zu ersehen ist, ist das Faktum der Planänderung des MARXschen Kapital Professor R. WILBRANDT – trotz vieler Verbeugungen, die er vor diesem „außerordentlichen Werke“ macht, über das er als Verfasser seines MARX-Buches sozusagen von Amts wegen nachzudenken die Pflicht hatte –, entgangen. Indem er auf die Entstehungsgeschichte des Werkes eingeht und den ursprünglichen Plan von 1859 als den Plan eines Werkes in sechs Teilen schildert, belehrt er dann die Welt, daß der einzige von MARX selbst herausgegebene Band des Kapital ein Torso in doppeltem Sinne geblieben ist. Nicht nur, weil er zunächst „nur der erste von mehreren Bänden“ ist, sondern zweitens „ist er nur der erste Band eines Werkes, das seinerseits Teil eines Ganzen ist: der erste von 6 Teilen, die alle vom Verfasser mitgedacht sind als Erledigung vieler Probleme, von denen er im ersten Teil des Gesamtwerkes, im Kapital, absichtlich noch absieht, um sie ... den späteren Teilen vorzubehalten“. [1] – Nach dieser phantastischen Darstellung stellen sich die im Druck vorliegenden 4 Bücher des Kapital bloß als die Ausführung des ersten Teiles des Plans von 1859 dar, welchem noch weitere fünf Teile folgen sollten! Somit wäre das bereits vorliegende MARXsche Werk nur ein kleiner Bruchteil eines erst geplanten Gesamtwerkes, das vielleicht ebenso umfangreiche Darstellungen, wie sie über das Kapital vorliegen, noch über Grundeigentum, Lohnarbeit, auswärtigen Handel usw., zusammen also vielleicht zwanzig weitere Bände bringen sollte, u.zw. über Kardinalgebiete, ohne deren Kenntnis auch das bisher über das Kapital Gesagte, weil aus dem Zusammenhang des Ganzen gerissen, nur schwer verständlich sein müsste.
Dieser Darstellung gegenüber müssen wir die Frage aufwerfen: ist es richtig, daß MARX von der Darstellung dieser Probleme im Kapital „bewußt absieht“, daß er die Fragen der Grundrente, des Arbeitslohns, des Aussenhandels erst zu behandeln beabsichtigte? WILBRANDT hat anscheinend die Analyse aller dieser Fragen im Kapital nicht bemerkt, und er verweist bei Gelegenheit der Erörterung der MARXschen Lohntheorie auf eine hier angeblich bestehende Lücke und meint, ein „näheres Eingehen wäre wohl in dem Teil über Lohnarbeit zu erhoffen gewesen“ [2]; als ob MARX seine Theorie des Lohns im Kapital nicht genügend vollständig behandelt und geklärt hätte!
WILBRANDTs Unkenntnis der elementarsten Tatsachen auf dem von ihm behandelten Gebiete hätte aber nicht zu verhindern brauchen, daß die Änderung des ursprünglichen Planes des Kapital zu seiner Kenntnis gelangte. Nicht nur, weil diese Änderung „auf den ersten Blick“ zu ersehen und bereits von KAUTSKY festgestellt worden ist, sondern weil MARX selbst – wie wir darüber aus seiner Korrespondenz mit KUGELMANN unterrichtet sind – sie ausdrücklich bestätigt hat.
Aus dem neuen Planentwurf, den er KUGELMANN mitteilt, und den wir weiter unten anführen, ist nämlich klar zu ersehen, daß das Kapital, wie es uns gegenwärtig in den vier Büchern vorliegt, im wesentlichen abgeschlossen ist, daß uns in den vorliegenden Bänden, wenn auch die Ausführung der einzelnen Abschnitte stellenweise lückenhaft ist, wenn etwa hie und da ein Kapitel fehlen mag, und die logische Folge öfters unterbrochen wird, im großen und ganzen nicht bloß der gesamte zu behandelnde Stoff vorliegt, sondern daß zugleich, wie ENGELS sich äusserte [3], alles, „was MARX sagen wollte, in dieser oder jener Weise darin gesagt ist“. Dies ist besonders auch aus dem wichtigen MARXschen Brief an ENGELS vom 30. April 1868 zu ersehen, in welchem MARX seinem Freunde den Inhalt des II. und III. Buches detailliert mitteilt und die Stoffbehandlung und Anordnung im wesentlichen in der Art aufzählt, wie wir sie später in den von ENGELS besorgten beiden Büchern des Kapital wiederfinden. [4]
Das Beispiel WILBRANDT zeigt am besten, wie sogar über Dinge, wie das Problem des äusseren, stofflichen Aufbaus des Kapital, die zu den Vorfragen aller MARXanalyse gehören, die verworrensten Anschauungen herrschen. Ist es dann zu verwundern, daß man über den inneren Aufbau des Werkes, über die ihm zugrunde liegenden methodologischen Probleme und Lösungen, welche wirkliche Schwierigkeiten bieten, absolut im Unklaren ist?
Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit dem eigentlichen Gegenstande unserer Analyse zuwenden und die Frage aufrollen, warum der ursprüngliche Plan des Kapital geändert wurde, so müssen wir feststellen, daß bisher diese für das Verständnis des MARXschen Werkes so entscheidende Kardinalfrage nicht nur nicht geklärt ist, sondern daß sie bisher nicht einmal gestellt wurde! Man begnügte sich merkwürdigerweise mit der Feststellung der Tatsache, wie das z.B. KAUTSKY tat, nach dem „warum“ wurde nicht geforscht.
Diese Gleichgültigkeit KAUTSKYs gegenüber so grundlegenden theoretischen Problemen wird verständlich aus seiner ganzen Einstellung zum MARXschen Hauptwerk. Nach KAUTSKY „ist das Kapital wesentlich ein historisches Werk“! [5]
Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß eine Änderung des Aufbauplanes des Kapital doch unmöglich eine Sache des Zufalls oder eine technische Frage der Darstellung, z.B. der Übersichtlichkeit sein konnte, sondern offenbar nach reiflicher Überlegung aus zwingenden Gründen erfolgen mußte. Diese Annahme erseheint umso unabweislicher, als man doch nicht allzu leicht geneigt ist, eine Änderung im Aufbau eines Werkes zu unternehmen, dessen erster Teil bereits im Druck veröffentlicht wurde, und das – wie MARX im Vorwort von 1859 sagt – „das Ergebnis gewissenhafter und langjähriger Forschung“ war. Hat doch MARX bereits seit dem 1847 geschriebenen Anti-Proudhon sich intensiv mit nationalökonomischen Studien beschäftigt. Was bewog also MARX nach einer unermüdlichen sechzehnjährigen Forschungsarbeit, trotz der 1859 erfolgten Veröffentlichung des I. Teiles seines Werkes, die begonnene Arbeit von neuem umzuarbeiten, wodurch offenbar eine neue Verzögerung im Abschluß des Werkes eintreten mußte?
Wenn es nun richtig ist, daß an dem langsamen Fortschreiten des Werkes – nach Erscheinen von Zur Kritik – verschiedene ungünstige äussere Ursachen Schuld waren, die MARX im Vorwort zum Kapital und im Briefe an KUGELMANN [6] vom 28. Dezember 1862 aufzählt, (wiederholte, langjährige Krankheit, Überhäufung mit anderen Arbeiten), so könnten diese Umstände nur die Verzögerung des Abschlusses des Werkes, nicht aber die Änderung des ursprünglichen Planes erklären. Diese Überlegung zeigt uns, daß an der Planänderung gewiß zwingende innere Gründe mitgewirkt haben mußten. Schrieb doch MARX bereits am 28. Dezember 1862 an KUGELMANN: „Der zweite Teil ist nun fertig, das heißt bis zum Reinschreiben in der letzten Feilung für den Druck“. Die Worte „Der zweite Teil“ besagen, daß zu jener Zeit, am 28. Dezember 1862, MARX noch nach dem ursprünglichen Plan von 1859 arbeitete, also noch an die Fortsetzung des unter dem Titel Zur Kritik herausgegeben „ersten Teiles“ dachte. Das Werk sollte ungefähr 30 Druckbogen umfassen und in Kürze erscheinen.
Jedoch am 29. November 1864, also fast zwei Jahre später, teilt MARX KUGELMANN mit, er hoffe, daß seine Schrift über das Kapital „endlich nächstes Jahr zum Druck reif“ sein werde. In der Zwischenzeit, die seit dem Brief vom 28.XII.1862 verstrichen war, ist die bereits fertige Arbeit gar nicht gefeilt und reingeschrieben, sondern umgearbeitet und erweitert worden; ihr Umfang wurde verdoppelt und ist bis auf 60 Bogen gewachsen. Und es ist noch ein weiteres Jahr vergangen, bis MARX – im Anfang 1866 – mit der Reinschrift des ersten Bandes des Kapital beginnen konnte.
War somit die MARXsche Arbeit bereits Ende 1862 bis auf die letzte Feilung „fertig“, und wurde sie trotzdem nachträglich in den folgenden zwei Jahren umgearbeitet, so muß man daraus schließen, daß im Fortgang der Arbeit sich Schwierigkeiten ergaben, welche die Notwendigkeit der Umarbeitung und der Planänderung des Werkes nach sich gezogen haben. Diese für das Schicksal des ganzen Werkes schwerwiegende Tatsache der Planänderung ist also zwischen den beiden genannten Zeitpunkten: 28.XII.1862–29.XI.1864 eingeschlossen.
Aber wir können den entscheidenden Zeitpunkt der Planändernng noch exakter angeben: sie erfolgte, wie aus dem Briefwechsel mit KUGELMANN ersichtlich ist, in der zweiten Hälfte, nämlich im Juli-August 1863. [7]
Welcher Art die Schwierigkeiten waren, an denen die Durchführung des ursprünglichen Planes von 1859 scheiterte, und daß methodologische Rücksichten die Planänderung im Aufbau des Werkes erzwangen, ist aus der Vergleichung des ursprünglichen Planes von 1859 mit dem Plan, den MARX im Kapital tatsächlich befolgte und im Briefe an KUGELMANN bereits am 13. Oktober 1866 ankündigte, ersichtlich. MARX teilt dort nämlich seinem Freunde mit, daß das ganze Werk in folgende Teile zerfalle:
„Buch I. Produktionsprozeß des Kapitals. |
Der Unterschied beider Pläne springt in die Augen. Während in dem Plan von 1859 die Einteilung des Werkes in die sechs Teile, die es umfassen sollte, unter dem Gesichtspunkt des zu behandelnden Stoffes erfolgte: Kapital, Grundeigentum, Lohnarbeit, Außenhandel usw., gliedert sich der Aufbau des Werkes nach dem endgültigen Plan von 1863 unter dem Gesichtspunkte der Erkenntnis: aus methodologischen Erkenntnisrücksichten werden aus der mannigfaltigen Wirklichkeit einzelne Funktionen des industriellen Kapitals, die es während seines Kreislaufs verrichtet: Produktionsprozeß, Zirkulationsprozeß, Gesamtprozeß, gedanklich abstrahiert und gesondert dargestellt ohne Rücksicht auf den Stoff. Erst innerhalb der Darstellung jeder dieser Funktionen wird der gesamte Stoff unter den jeweils maßgebenden funktionellen Gesichtspunkten behandelt. [8]
In der ersten Redaktion des Kapital, die, wie ENGELS in der Vorrede zum III. Bande mitteilt, noch als „Fortsetzung des 1859 in Berlin erschienenen ersten Heftes“ sich darstellt, also nach dem ursprünglichen Plan abgefaßt und nach ENGELS’ Angaben in der Zeit von „August 1861 bis Juni 1863“ geschrieben wurde, sind „die im Buch II, sowie sehr viele, später im Buch III behandelten Themata noch nicht besonders zusammengestellt. Sie werden nebenbei behandelt“. Mit dem Stoff, der im Buch I erörtert wird, werden durcheinander vermengt und gemeinsam behandelt: „Kapital und Profit, Profitrate, Kaufmannskapital und Geldkapital, also Themata, die später im Manuskript zu Buch III entwickelt sind“.
Auch in dieser Darstellung von ENGELS finden wir also die Bestätigung dessen, was sich aus der Vergleichung der Vorrede von Zur Kritik mit dem Aufbauplan des Kapital, sowie aus der Analyse des MARXschen Briefwechsels mit KUGELMANN ergeben hat; die erste Redaktion des Kapital gliedert sich nach dem behandelten empirischen Stoff. Erst eine spätere Redaktion, angefangen in der zweiten Hälfte 1863, sondert den bunt durcheinander gemengten Stoff nach den speziellen Funktionen des Kapitalkreislaufs. Daß damit eine methodologische Wendung von entscheidender Wichtigkeit vollbracht wurde, ist nun ohne weiteres klar. Das hieraus entstehende Problem ist gleichbedeutend mit der Frage: wodurch wurde diese Wendung hervorgerufen? Alles weist darauf hin, daß sie im engsten Zusammenhang mit der Entdeckung des MARXschen Reproduktionsschemas steht.
Der äussere Zusammenhang ist leicht ersichtlich: Bis Juni 1863 wird an dem Werk nach dem ursprünglichen Plan von 1859 gearbeitet. Am 6. Juli 1863 übersendet MARX seinem Freunde den ersten Entwurf des Reproduktionsschemas [9], das er an Stelle des Tableau économique von QUESNAY setzen will; bereits im Briefe vom 15. August hören wir dann weiter, MARX „habe alles umschmeißen müssen“. Die Planänderung erscheint hier als bereits vollzogene Tatsache. Der Zusammenhang zwischen der Planänderung und der Konzeption des Reproduktionsschemas scheint somit äusserlich, d.h. durch den zeitlichen Verlauf der Ereignisse, sehr wahrscheinlich. Es ist die Aufgabe der folgenden Darstellung zu zeigen, daß zwischen der Planänderung des MARXschen Werkes und der methodologischen Konstruktion des Reproduktionsschemas nicht bloß ein äusserer, sondern auch ein notwendiger innerer Zusammenhang besteht, daß der tatsächlich im endgültigen Aufbau des Kapital befolgte methodologische Gesichtspunkt – die Gliederung des empirischen Stoffes nach den Funktionen, die das Kapital in seinem Kreislauf verrichtet –, somit also die Änderung des ursprünglichen Planes von 1859, sich notwendig aus der MARXschen Fragestellung ergeben mußte. Diese Fragestellung aber, wie ich das an anderer Steile zeigte, lautete: „Da bei der kapitalistischen Produktion der Tauschwert – die Vermehrung des Tauschwerts –, der unmittelbare Zweck ist, so ist es wichtig zu wissen, wie ihn zu messen“? [10] Das Problem besteht in der exakten Bestimmung der Variationen der Mehrwertgröße im Fortgang der Akkumulation, also in der Feststellung, wieviel Mehrwert ein gegebenes, in seinem Kreislauf sich befindendes Kapital liefern kann.
Wenn wir das so formulierte Problem zum Ausgangspunkt unserer Analyse nehmen, werden wir leicht einsehen müssen, daß die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise nach dem empirischen Stoff einzelner Teilgebiete: Kapital, Grundrente, Kredit, Aussenhandel, Lohnverhältnisse usw., notwendig an unüberwindlichen Schwierigkeiten hätte scheitern müssen. Darüber, wie MARX zu seiner genialen Konzeption des Reproduktionsschemas gelangte, hat er sich nirgends geäussert. Wir sind daher gezwungen, aus den Bedingungen des Problems seinen Gedankengang zu rekonstruieren. [11]
Nehmen wir ein gegebenes Kapital I z.B. von 1 Million Mk. an, welches in der Textilindustrie investiert ist. Die Frage lautet: wie groß ist der unter gegebenen, exakt umschriebenen Bedingungen von diesem Kapital zu erzielende Mehrwert? Zunächst scheint das Problem unkompliziert zu sein. Ist die Zahl der beschäftigten Arbeiter und die Höhe der Mehrwertrate, schließlich die Länge der Arbeitsperiode und der Umlaufzeit bekannt, dann ist die Größe des jährlich zu erwartenden Mehrwerts leicht berechenbar. Bei näherem Zusehen aber zeigen sich bald große Schwierigkeiten. Wir wissen, daß während des Kreislaufs des Kapitals, dank der spezifischen Bedingungen des Umschlagsmechanismus, nämlich infolge der Ungleichheit der Arbeitsund Zirkulationsperiode „ein Teil des successiv vorgeschossenen Kapitals freigesetzt wird“. [12] Dieses freigesetzte Kapital wird der Unternehmer nicht untätig liegen lassen, sondern kurzfristig den Banken überlassen oder in leicht realisierbaren, festverzinslichen Papieren anlegen [13], und sich so den Genuß von Zinsen, also von Mehrwert sichern. Wenn das freigesetzte Kapital in unserem Beispiel 80.000 Mk. beträgt und für die Dauer von sechs Monaten zu 8% ausgeliehen wird, so wird der Zinsgewinn 3.200 Mk. betragen. Aus welcher Quelle wurde dieser Zinsgewinn erzielt? Offenbar doch nicht aus dem Kreislauf des in der Textilindustrie investierten Kapital I. Vielmehr wurden diese 80.000 Mk. durch die Freisetzung aus dem Kreislauf des Kapital I ausgeschieden. Sie wurden durch die Vermittlung der Bank z.B. an einen Eisenproduzenten ausgeliehen und in den Kreislaufprozeß des in der Eisenindustrie investierten Kapital II einbezogen. Der Kapitalist I, der Textilfabrikant, hat zwar seinen Gesamtmehrwert durch die Kreditvermittlung um 3.200 Mk. vergrößert. Aber dieser Zusatzmehrwert entspringt nicht aus dem Kreislauf des vorgeschossenen Kapital I, sondern er wurde dadurch erzielt, daß der Geldschatz, der aus dem Kreislauf des ursprünglich ausgelegten industriellen Kapital I heraustrat, „dann besondere Kapitalfunktionen ausserhalb des Kreislaufs des industriellen Kapitals, dem er entsprungen“ verrichtet. [14] Der zusätzliche Mehrwert von 3.200 Mk. ist nicht von den Arbeitern in der Textilindustrie, sondern auf dem Umwege der Kreditvermittlung, von den Arbeitern der Eisenindustrie produziert worden. Hätte MARX an dem ursprünglichen Plan der Bearbeitung nach dem Stoffe festgehalten, ohne die einzelnen Kapitalfunktionen zu sondern, dann hätte er sich in unlösbare Widersprüche verwickelt. In der empirischen Wirklichkeit durchkreuzen sich die Kreisläufe verschiedener Kapitale, wodurch die exakte Beantwortung der von MARX gestellten Frage nach der Größe des von einem gegebenen Kapital erzielbaren Mehrwerts ohne Anwendung der Isolierungsmethode unmöglich wird. Für die klare Lösung des Problems war es also geboten, die sich durchschneidenden beiden Kapitalkreisläufe auseinander zu halten, d.h. bei der Analyse des Kreislaufs I diesen gedanklich zu isolieren, d.h. zunächst vom Kreislauf II, also vom Kredit zu abstrahieren. So wird uns verständlich, warum MARX durch die inneren Bedingungen des Problems gezwungen wurde, mit vereinfachenden Voraussetzungen zu arbeiten.
Was soeben vom Kredit gesagt wurde, gilt gleichfalls vom Aussenhandel. Von einem im Inlande, z.B. in der Textilindustrie vorgeschossenen Kapital I ist ein Mehrwert von einer Größe y zu erwarten, wenn die Waren – der von MARX gemachten Voraussetzung entsprechend –, zu Preisen verkauft werden, die ihren Werten gleich sind. Nun hat aber MARX gezeigt [15], daß im Aüssenhandel die Waren nicht zu ihren Werten verkauft werden, daß hier keine Äquivalente ausgetauscht werden, daß vielmehr das Wertgesetz im Aussenhandel, in seiner internationalen Anwendung, dadurch modifiziert wird, daß die Länder mit einer höheren kapitalistischen Entwicklung die ökonomisch weniger entwickelten Länder ausbeuten, „so daß das fortgeschrittenere Land seine Waren über ihrem Werte verkauft ... Das begünstigte Land erhält mehr Arbeit zurück im Austausch für weniger Arbeit“.
Es ist nun ohne weiteres klar, daß durch diese Tatsache die MARXsche Problematik, die Frage nach der Größe des von einem gegebenen Kapital produzierbaren Mehrwerts, notwendig verschleiert werden mußte. Denn durch den Verkauf der Waren z.B. der Textilien zu Überpreisen nach dem Ausland wurde zwar von dem ursprünglich vorgeschossenen Kapital I nebst dem normalen Mehrwert noch ein Zusatzmehrwert erzielt. Aber dieser zusätzliche Mehrwert wurde nicht von den Arbeitern der Textilindustrie im Inland produziert; vielmehr ist dieser zusätzliche Mehrwert von den Arbeitern des Auslandes geschaffen und wurde dann im Wege eines ungleichen Austausches auf den Kapitalisten I übertragen. In der empirischen Wirklichkeit verschlingen sich der Produktionsprozeß des Kapital I mit seinem Zirkulationsprozeß. Um also die exakte Beantwortung der MARXschen Frage zu ermöglichen: wieviel Mehrwert ein bestimmtes Kapital I produzieren kann, mußte MARX, um sozusagen die Produktionssphäre im chemisch reinen Zustand zu erhalten, diese Produktionssphäre von den störenden Einflüssen der Zirkulationssphäre isolieren. Diese Ausschaltung der Zirkulationssphäre und der durch sie bewirkten Größenänderung des vom ursprünglich vorgeschossenen Kapital erzielbaren Mehrwerts geschieht durch die vereinfachende Annahme, daß die Waren im Aussenhandel zu ihren Werten verkauft werden. Denn durch diese, Annahme ist der Verkauf zu Überpreisen, also auch die Vergrößerung des im Inland erzielbaren Mehrwerts, im Wege der Übertragung eines zusätzlichen Mehrwerts aus dem Auslande ausgeschaltet. Da Werte sich gegen gleiche Werte austauschen, ist die Änderung der Wert-, daher auch der Mehrwertgröße durch störende Einflüsse des Aussenhandels unmöglich. Erst jetzt kann die Analyse der von einem gegebenen Kapital produzierbaren Mehrwertgröße in exakter Weise Zustandekommen. Erst in diesem Zusammenhange wird uns verständlich, warum MARX zu seiner Voraussetzung der „normalen“ Reproduktion, des Verkaufs der Waren zu ihren Werten, gelangte. „Wird aber normale jährliche Reproduktion auf einer gegebenen Stufenleiter unterstellt, so ist damit auch unterstellt, daß der auswärtige Handel nur durch Artikel von anderer Gebrauchs- oder Naturalform einheimische Artikel ersetzt, ohne die Wertverhältnisse zu affizieren ... Die Heranziehung des auswärtigen Handels bei Analyse des jährlich reproduzierten Produktenwerts kann also nur verwirren, ohne irgend ein neues Moment, sei es des Problems, sei es seiner Lösung zu liefern. Es ist also ganz davon zu abstrahieren.“ [16]
Das MARXsche Verfahren ist nichts anderes als die Anwendung des Isolierungsverfahrens auf den Prozeß der Mehrwertbildung, um ihn in seiner reinen Form zu erhalten. „Der Physiker – sagt MARX – beobachtet Naturprozesse entweder dort, wo sie in der prägnantesten Form und von störenden Einflüssen mindest getrübt erscheinen, oder womöglich macht er Experimente unter Bedingungen, welche den reinen Vorgang des Prozesses sichern“ ... „Bei der Analyse der ökonomischen Formen kann weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beide ersetzen.“ [17] Das heißt, daß das reale Experiment der Naturwissenschaften in der ökonomischen Forschung von dem Gedankenexperiment ersetzt wird, um die zu erforschenden Funktionen in reiner Form, ungetrübt von störenden Einflüssen zu erhalten An anderer Stelle habe ich gezeigt, daß ebenso, wie MARX hier gezwungen war, von den Modifikationen der Wertgröße durch den Aussenhandel abzusehen, er auch von den Preisveränderungen innerhalb des isoliert gedachten Kapitalismus abstrahieren mußte. Denn diese Preisveränderungen stellen sich als Abweichungen der Preise von den Werten dar, wo Preissteigerungen auf der einen Seite der Gesellschaft Preissenkungen auf der anderen Seite entsprechen und sich daher gegenseitig aufheben. Die Aufgabe, die sich MARX stellte, die exakte Messung des Mehrwertzuwachses über die Anfangsgröße des Kapitalvorschusses, führte ihn zwangsläufig zur Ausschaltung dieser Art von Preisveränderungen. Denn ihn interessierten nur die wirklichen Wertveränderungen, d.h. der Wertzuwachs, die Vermehrung des Tauschwerts. Dagegen sind die Preisschwankungen als Abweichungen von der mittleren Wertlinie das Ergebnis der veränderlichen Gestaltung des Angebots im Verhältnis zur Nachfrage. Die Wertgröße wird jedoch durch die Änderungen im Verhältnis von Angebot und Nachfrage nicht modifiziert. Vom Standpunkt seiner Fragestellung mußte MARX daher von ihnen abstrahieren. So gelangt er notwendig zu der Annahme des Gleichgewichtszustandes als eines Ausgangspunktes für seine Analyse, wo die beiden Wagschalen des Angebots und der Nachfrage sich gerade entsprechen, daher die Preise mit den Werten zusammenfallen. Wie früher für den Aussenhandel, so gilt jetzt für das Inland die Annahme, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden. [18]
Und aus denselben Erwägungen heraus gelangte MARX zu einer weiteren vereinfachenden Annahme. Um den Einfluß der Veränderungen in der Produktivität der Arbeit auf die Mehrwertbildung feststellen zu können, war er gezwungen, die Untersuchung unter der Voraussetzung des unveränderten Wertes des Geldes durchzuführen, zu dem Zweck, einen exakten Maßstab zu besitzen zur Feststellung der Wertveränderungen des industriellen Kapitals während seines Kreislaufs [19], da bei einem variablen Geldwert schwer festzustellen wäre, ob der Wert-(Preis-)Zuwachs der Waren nicht etwa scheinbar und bloß durch den geänderten Wert des Geldes entstanden ist.
So haben wir gezeigt, wie MARX durch die Bedingungen seiner Problematik notwendig dazu gelangt, nicht die unmittelbar gegebene Erscheinungswelt zum Gegenstand seiner Analyse zu nehmen, sondern mit einer Reihe vereinfachender Voraussetzungen zu arbeiten: statt seine Analyse nach dem empirisch gegebenen Stoff, nach den einzelnen Teilgebieten (Kapital, Aussenhandel usw.) zu sondern, abstrahiert er vom Kredit, von der Konkurrenz, vom Aussenhandel, nimmt einen konstanten Geldwert an. Kurz, es wurde gezeigt, wie er dazu kommt, statt der einzelnen Stoffgebiete die einzelnen Kapitalfunktionen zu beschreiben; so z.B. zunächst den Produktionsprozeß des Mehrwerts und nachher die Zirkulatiousfunktion, d.h. die Übertragung von Mehrwert. Erst auf diesem komplizierten Wege der Isolierung der jeweils untersuchten Kapitalfunktion war MARX imstande, den tatsächlich erzielten, empirisch gegebenen Kapitalzuwachs zu erklären, d.h. die Quellen, aus denen er entspringt, exakt zu analysieren.
Aber durch die bisher erwähnten Überlegungen war die Reihe der vereinfachenden Annahmen nicht erschöpft. Die weitereu vereinfachenden Voraussetzungen, die sich aus der MARXschen Problematik ergaben, bestanden darin, daß MARX nicht von den empirisch gegebenen Teilformen des arbeitslosen Einkommens: dem industriellen Profit, dem Zins, der Grundrente, dem Handelsprofit usw., ausgehen konnte, sondern ihre ideelle Zusammenfassung zur gemeinsamen Grundform, dem Mehrwert, als eigene Kategorie seiner Analyse zugrunde legen mußte. Denn zunächst interessierte MARX nicht die Verteilung des Mehrwerts unter die einzelnen Kapitalistengruppen, sondern das Mehrwertproblem selbst, d.h. die erzielbare Mehrwertgröße und ihre Variationen, d.h. ihre Entwicklungstendenzen im Fortgang der Kapitalakkumulation. Sind die Steuern groß, so ist der den Kapitalisten verbleibende Mehrwertteil kleiner; ist der Zinsfuß niedrig, so ist der den Industriekapitalisten, Kaufleuten usw. verbleibende Mehrwertteil umso größer. Durch die Änderungen in der Verteilung des Mehrwerts an den Staat, die Banken, die Industriellen usw., wird die Gesamtgröße des ursprünglich produzierten Mehrwerts nicht geändert. Vom Standpunkt seiner Problematik mußte MARX also von den spezifischen Formen absehen, in die sich der Mehrwert spaltet. Damit war aber das Festhalten an dem ursprünglichen Plan vom Jahre 1859 unmöglich. Wie konnten nun noch, wo es sich um die Gesamtgröße des Mehrwerts handelt, das Kapital und die Grundrente als gesonderte Stoffgebiete behandelt werden? Ist ja doch die Grundrente bloß ein Teil des Mehrwerts. So mußte MARX unter dem Zwange seiner Problematik die Behandlung nach gesonderten Stoffgebieten aufgeben und statt der Analyse der empirisch gegebenen Stoffgebiete: Zins, Rente, Handelsgewinn usw., die Funktion der Mehrwertbildung in den Vordergrund stellen, d.h. den Produktionsprozeß zum Hauptgegenstand seiner Analyse machen, weil dieser zugleich der Prozeß der Mehrwertproduktion ist, in dem der Mehrwert an seiner Quelle, vor seiner Spaltung in seine Teilformen erfaßt wird, was die Analyse der Mehrwertgröße in ihrer Totalität ungemein erleichtert, ja erst ermöglicht. „Andererseits – sagt MARX – gilt uns der kapitalistische Produzent als Eigentümer des ganzen Mehrwerts ... als Repräsentant aller seiner Teilnehmer an der Beute“ ... „Der Bruch des Mehrwerts in verschiedene Stücke ändert nichts an seiner Natur, noch an den notwendigen Bedingungen, worin er zum Element der Akkumulation wird.“ [20]
Durch diese Annahme ergaben sich für die weitere Untersuchung methodologische Folgerungen von größter Wichtigkeit. Denn es mußten zunächst aus der Analyse die Klassen der Grundrentner, der Groß- und Kleinkaufleute, der aus der Steuer lebenden Staatsbeamten usw., d.h. aller Mitesser, Teilnehmer am Mehrwert, also die an der Produktion des Mehrwerts nichtbeteiligten Klassen ausscheiden, die ganze Analyse mußte auf den für die Mehrwertproduktion grundlegenden Gegensatz: Kapitalistenklasse – Arbeiterklasse reduziert werden.
Aus der MARXschen Problemstellung wird endlich auch klar, warum aus der Analyse die selbständigen Produzenten, Bauern und Handwerker, ausscheiden mußten. MARX wollte den kapitalistischen Produktionsprozeß von Mehrwert, d.h. den Kapitalismus in einer „chemisch reinen“ Form, frei von verunreinigenden Beimengungen nichtkapitalistischer Formationen untersuchen, da sonst nie exakt feststellbar wäre, inwieweit das Ergebnis der Analyse auf die kapitalistischen, inwieweit aber auf die damit vermengten nichtkapitalistischen Elemente zurückzuführen ist. Um also einen solchen „chemisch reinen“ Kapitalismus zu erhalten, mußte MARX seine Analyse auf die Klassen beschränken, die den spezifischen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, das Kapitalverhältnis, begründen, während die bürgerlichen Selbstproduzenten als solche Überreste früherer Wirtschaftsformationen darstellen und somit außerhalb des Kapitalverhältnisses verbleiben. So gelangt MARX zu der Voraussetzung „der allgemeinen und ausschließlichen Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise“. [21] Diese theoretische Vereinfachung ist nach MARX in der Realität nie verwirklicht. „Aber in der Theorie wird vorausgesetzt, daß die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise sich rein entwickeln. In der Wirklichkeit besteht immer nur Annäherung; aber diese Annäherung ist um so größer, je mehr die kapitalistische Produktionsweise entwickelt und, je mehr ihre Verunreinigung und Verquickung mit den Resten früherer ökonomischer Zustände beseitigt ist.“ [22]
So haben wir gezeigt, wie MARX aus seiner Problematik heraus eine ganze Reihe vereinfachender Voraussetzungen zwangsläufig machen mußte, mit dem Ergebnis, daß der komplizierte Mechanismus auf die einfache Formel c + v + m = W gebracht wurde. Dieser Zusammenfassung der realen Profitteile in die gemeinsame, allgemeine Kategorie des Mehrwerts als solchen, entspricht eine analoge Zusammenfassung der realen Kapitalteile: des Industrie-, Zins- und Handelskapitals etc. in die gemeinsame, allgemeine Kategorie des Kapitals als solchen. Wie der einmal eingeschlagene Weg MARX gezwungen hat, seinen Blick vom Stoff zur Funktion zu wenden, ebenso führt er ihn von den an der Oberfläche sichtbaren Teilerscheinungen des Profits sowie der verschiedenen Kapitalformen zu seiner gewaltigen Vision der Totalität, des Gesamtmehrwerts und des Gesamtkapitals, und aus einer Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie in sechs Teilen, wird einfach: Das Kapital und die Metamorphosen seines Kreislaufs!
MARX hat dieser Zurückführung sämtlicher empirisch gegebener Formen des arbeitslosen Gewinns, wie Profit, Zins, Grundrente usw., auf die „einfache Grundform“ die größte theoretische Bedeutung zugeschrieben. „Das Beste an meinem Buch ist ... 2). die Behandlung des Mehrwerts unabhängig von seinen besonderen Formen als Profit, Zins, Grundrente usw. Namentlich im zweiten Band wird sich dies zeigen. Die Behandlung der besonderen Formen in der klassischen Ökonomie, die sie beständig mit der allgemeinen Form zusammenwirft, ist eine Olla Potrida.“ [23] Und in einem weiteren Brief an ENGELS von 8. Januar 1868 macht MARX DÜHRING zum Vorwurf, daß er in seiner Besprechung des Kapital das „grundneue Element“ des Buches nicht herausfühlt: „Daß im Gegensatz zu aller früheren Ökonomie, die von vornherein die besonderen Fragmente des Mehrwerts mit ihren fixen Formen von Rente, Profit, Zins als gegeben behandelt, von mir zunächst die allgemeine Form des Mehrwerts, worin all das sich noch ungeschieden, sozusagen in Lösung befindet, behandelt wird.“ [24]
Um die ganze Bedeutung der soeben angeführten kurzen Formel zu begreifen, muß man sich daran erinnern, daß RICARDO bei seiner Analyse des Gleichgewichtsproblems im Kapitalismus dieses wesentliche Element der kapitalistischen Produktionsweise, das Kapitalverhältnis, vernachlässigt hat, daß er in seiner Analyse nicht den grundlegenden Gegensatz: Kapitalistenklasse – Arbeiterklasse, zum Ausgangspunkt nimmt, sondern das Problem am Beispiel selbständiger Produzenten zu verstehen und zu lösen versucht. Eben diese Abstraktion vom Klassenverhältnis als dem notwendigen Merkmal der kapitalistischen Produktion macht ihm SISMONDI zum Vorwurf. „Es gibt vielleicht keine Art zu schließen, die mehr Irrtümern ausgesetzt ist als die, die darin gipfelt, sich eine gedachte Welt, die vollständig von der wirklichen verschieden ist, vorzustellen.“ [25] Die methodologischen Vereinfachungen dürfen nicht zu weit gehen, d.h. sie dürfen nicht von wesentlichen Elementen des untersuchten Gegenstandes absehen, wie dies gerade RICARDO tut. „Mir erscheint diese Abstraktion ... zu stark. Das heißt nicht vereinfachen, sondern verwirren, wenn wir aus unserer Betrachtung alle die Tätigkeiten ... ausschalten sollen, durch die wir gerade die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden imstand sind.“ [26] Und zwar müsse man überall dort, wo es sich um das Verständnis der mit dem Kapitalismus verbundenen Grundübel handelt, von der Lohnarbeiterklasse ausgehen. „Wir nehmen aber die Gesellschaft in ihrer derzeitigen Organisation mit Arbeitern ohne Eigentum ... denn gerade gegen diese wirtschaftliche Organisation richten sich unsere Einwände.“ [27]
Wird in dem Kapitalverhältnis als dem spezifischen Verhältnis zwischen den Unternehmern und Lohnarbeitern das charakteristische Merkmal des Kapitalismus erblickt, so ist damit aus der Analyse von vornherein jede Robinsonade methodologisch ausgeschaltet, sowohl der RICARDOsche Urjäger mit seinem Bogen, als auch das THÜNENsche „Tropenland“ mit seinen noch unentwickelten, vorkapitalistischen Zuständen, wo die grundlegende Klassenscheidung in Unternehmer und Lohnarbeiter noch nicht besteht, und wohin nach THÜNENs Annahme „ein mit allen Fähigkeiten, Kenntnissen und Geschicklichkeiten der zivilisierten europäischen Nationen ausgerüstetes Volk“ versetzt wurde. Und obwohl dieses Land „kein Kapital, also keine Werkzeuge besitzt“ [28], sollen in diesem in den Tropen isolierten und ohne Kapital und ohne Lohnarbeiterklasse lebenden Volke nach THÜNEN die den Kapitalismus beherrschenden Gesetze der Kapitalbildung, des Kapitalzinses und des Arbeitslohns untersucht und bestimmt werden!
Die Bedeutung der MARXschen Formel geht aber über das soeben erwähnte Moment weit hinaus. In der Tat war das MARXsche Verfahren gegenüber den Klassikern ein wichtiger Fortschritt, weil es allein die exakte Formulierung und den Nachweis des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate ermöglichte. Denn die Bewegungen der empirisch sichtbaren Teile des arbeitslosen Einkommens durchkreuzen zeitweise und für bestimmte Teile des Mehrwerts die allgemeine Bewegungstendenz (oder wie heute gesagt wird: die „säkulare Trendlinie“) des Mehrwerts im Fortlauf der Kapitalakkumulation, „weil die Zerspaltung des Mehrwerts und die vermittelnde Bewegung der Zirkulation die einfache Grundform des Akkumula-tionsprozeßes verdunkeln.“ [29] Alle diejenigen, die nur die Teilbewegungen des Mehrwerts, z.B. die großen Profite einzelner Produktionszweige und nicht die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge sehen, wie z.B. CHARASOFF, bestreiten daher die Tatsache des Falls der Profitrate: das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate sei ein offenbarer Irrtum. [30]
Das Gesetz selbst ist indes eine selbstverständliche Konsequenz der Arbeitswerttheorie, wenn die Akkumulation auf Basis einer fortschreitend höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals stattfindet. „Der Fall der Profitrate drückt also das fallende Verhältnis des Mehrwerts selbst zum vorgeschossenen Gesamtkapital aus, und ist daher unabhängig von jeder beliebigen Verteilung dieses Mehrwerts unter verschiedene Kategorien.“ [31] Und in der Tat: geht man von der Formel c + v + m aus und nimmt man als die Vergleichseinheit der Akkumulation einen Zuwachs des konstanten Kapitals c um 10% und des variablen Kapitals v um 5% jährlich an, so ergibt sich in klar zu übersehender Einfachheit, daß mit der Akkumulation und infolge der fortschreitend höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals das Tempo der Akkumulation, wenn eine bestimmte Höhe derselben erreicht ist, trotz der anfänglichen Beschleunigung immer kleiner wird und daß die Akkumulation schließlich unmöglich wird, weil die Mehrwertmasse nicht ausreicht, um für das rasch anwachsende konstante Kapital die erforderliche Zuwachsquote zu liefern.
1. 200.000 c + 100.000 v + 100.000 m 2. 1,000.000 c + 100.000 v + 110.000 m 3. 4,600.000 c + 100.000 v + 120.000 m |
Im ersten Fall kann das konstante Kapital c – wenn der Mehrwert ganz für Akkumulationszwecke verwendet würde –, um 40% seiner Anfangsgröße akkumuliert werden. Im zweiten Fall, bei bedeutend höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals und obwohl die Mehrwertrate gewachsen ist, reicht die gewachsene Mehrwertmasse von 110.000 m kaum dazu aus, um das Anfangskapital um 10% zu vermehren. Im dritten Fall endlich kann aus dem Mehrwert von 120.000 das Anfangskapital blos um 2½% vermehrt werden. Es ist leicht sich auszurechnen, daß bei weiterer Steigerung der organischen Zusammensetzung ein Zeitpunkt kommen muß, wo jede Akkumulation unmöglich fortgesetzt werden kann. Das ist das MARXsche Zusammenbruchsgesetz, – „das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ (K. I, 662), dessen Entdeckung zwar aus der Analyse der tatsächlichen Mehrwertbewegung, jedoch erst durch die Zusammenfassung der empirischen Mehrwertteile zur allgemeinen Kategorie des Mehrwerts, also nur auf Basis der Formel c + v + m möglich wurde. [32]
Die Klassiker, die nur die empirisch gegebenen Mehrwertteile in ihren Sonderbewegungen verfolgten, haben das Gesetz zwar „geahnt“, ohne es jedoch formulieren zu können. Dieses Gesetz bildet nach MARX „das Mysterium, um dessen Lösung sich die ganze politische Ökonomie seit ADAM SMITH dreht, und der Unterschied zwischen den verschiedenen Schulen seit A. SMITH besteht in den verschiedenen Versuchen zu seiner Lösung“. MARX sagt daher richtig:
„So einfach das Gesetz ... erscheint, so wenig ist es aller bisherigen Ökonomie gelungen, ... es zu entdecken. Sie sah das Phänomen und quälte sich in widersprechenden Versuchen ab, es zu deuten ... Erwägt man aber, ... daß sie den Mehrwert nie getrennt vom Profit und den Profit überhaupt nie rein, im Unterschied vonseinen verschiedenen gegeneinander verselbständigten Bestandteilen – wie industrieller Profit, kommerzieller Profit, Zins, Grundrente – darstellte, ... so hört es auf rätselhaft zu sein, daß ihr die Lösung dieses Rätsels nie gelang.“ [33]
Nach dieser Darstellung, die das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate in das Zentrum aller wissenschaftlichen Bestrebungen auf dem Gebiete der politischen Ökonomie seit A. SMITH rückt, verknüpft MARX die Möglichkeit der Entdeckung dieses Gesetzes, das doch mit dem MARXschen Akkumulations-und Zusammenbruchsgesetz identisch ist, mit der Tatsache der methodologischen Vereinfachung und Zusammenziehung der kapitalistischen Produktionsweise auf die Formel c + v + m. Der Grundgedanke des MARXschen ökonomischen Systems und zugleich die Zentralachse der kapitalistischen Ökonomie, um die sich alle wissenschaftlichen Bestrebungen seit A. SMITH drehen, ist nach MARXens eigener Feststellung mit der Konstruktion der Formel aufs innigste verbunden.
Ist aber vom Standpunkt der MARXschen Fragestellung das Problem mit der Zurückführung der Analyse auf das grundlegende Kapitalverhältnis, auf die Formel c + v + m, mit genügender Exaktheit umschrieben? War damit die Reihe der Vereinfachungen erschöpft oder konnten und sollten noch weitere – und welche – gemacht werden? Wie weit konnte man in der Vereinfachung gehen, von welchen Elementen durfte man keinesfalls abstrahieren? Bereits SISMONDI hat, wie wir gesehen haben, diese Frage aufgeworfen. HEGEL sagt vom Vereinfachungsverfahren richtig:
„Es gilt in solchen Verfahren des wissenschaftlichen Verstandes gleichfalls, daß das Wesentliche von dem sogenannten Unwesentlichen geschieden und herausgehoben werden müsse. Um dies aber zu vermögen, muß man das Wesentliche kennen.“ [34]
Tatsächlich bestand für MARX kein Zweifel über das Wesen des Kapitalismus. Er mußte es kennen, bevor er an die Darstellung seines Systems herantrat, bevor er noch die erste Seite seines Werkes niederschrieb. Durch die Reduktion der kapitalistischen Produktionsweise auf das grundlegende Kapitalverhältnis war für MARX die Zahl ihrer notwendigen Voraussetzungen noch nicht erschöpft. Das Kapitalverhältnis bildet nämlich bloß die eine notwendige Grundvoraussetzung und Bedingung des Kapitalismus. Nach der Formel c + v + m = W haben wir es nur mit einem einzigen Unternehmen zu tun, wo daher jeder Warenaustausch, also die Warenproduktion überhaupt unmöglich ist. Damit ist die zweite grundlegende Bedingung der kapitalistischen Produktionsweise, der Warenaustausch, nicht beachtet. [35] Denn „nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber“. [36]. Wo diese Bedingung nicht zutrifft, kann von einer Warenproduktion überhaupt, also auch von einer kapitalistischen Warenproduktion keine Rede sein. „Die Gesellschaft als ein einziges Subjekt betrachten, heißt sie falsch betrachten, spekulativ“. [37] Wo kein Warenaustauch besteht, kann auch von einer Warenproduktion, daher auch von kapitalistischer Warenproduktion keine Bede sein. Wollte MARX also auch den Warenaustausch als notwendige Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise in seiner Formel zum Ausdruck bringen, dann mußte er notwendig nicht einen Kapitalisten, sondern zumindest zwei unabhängige Warenproduzenten oder Produzentengruppen schildern, die ihre Produkte gegenseitig austauschen und dadurch deren Warencharakter erst manifestieren. Tut man das, dann erhält man statt der Formel c + v + m = W eine andere, und zwar:
I. c + v + m = W II. c + v + m = W |
Damit war der Rahmen für die Konstruktion des MARXschen Schemas gegeben, und wir haben Schritt für Schritt die gedankliche Kette gezeigt, welche aus der MARXschen Problematik notwendig zu diesem Ergebnis geführt hat. Nun muß jedoch noch ein weiteres Element in den bisher gewonnenen Schemarahmen eingefügt werden, wenn das Schema ein Abbild der kapitalistischen Produktionsweise sein soll. Denn bei der bisherigen Stufe unserer Gedankenentwicklung wurde lediglich festgestellt, daß Warenaustausch eine notwendige Grundvoraussetzung jeder kapitalistischen Produktion ist, daß daher die schematische Vereinfachung notwendig zumindest zwei in Austauschbeziehungen verbleibende Produzentengruppen darstellen muß. Hier aber entsteht eine weitere Frage, ob es sich dabei um irgend zwei beliebige Produktionszweige, z.B. Kohlenwerke und Stahlwerke handelt, oder aber, ob nicht auch hier sich aus der Problemstellung selbst gewisse notwendige Grundbedingungen für die Gestaltung der Austauschbeziehungen zwischen den beiden Produktionszweigen ergeben? Mit dieser Fragestellung gelangen wir zu dem von ROSA LUXEMBURG in den Mittelpunkt der Diskussion gestellten Problem der Existenzmöglichkeit eines isoliert gedachten Kapitalismus und zu ihrer These, daß in der MARXschen Analyse des Reproduktions- und Akkumulationsprozesses eine „Lücke“ bestehe.
Wir haben früher gesehen, daß MARX aus seiner Analyse der kapitalistischen Mehrwertproduktion alle Außenhandelsbeziehungen, nicht bloß die nichtkapitalistischen, sondern auch die kapitalistischen Außenländer, ausschalten mußte, um die Größe des aus einem gegebenen gesellschaftlichen Kapital erzielbaren Mehrwerts exakt messen zu können. Ist es nun richtig, daß MARX dadurch eine der notwendigen Bedingungen des Reproduktionsprozesses auf erweiterter Stufenleiter – den Absatz an nichtkapitalistische Abnehmer – aus seiner Analyse ausschaltete, daß er zwar die Bedingungen der Produktion des Mehrwerts, nicht aber die Möglichkeit seiner Realisation, seines Absatzes, zeigte, daß also in seiner Darstellung eine „Lücke“ bestehe, da nur der Produktionsprozeß, nicht aber die Möglichkeit des Absatzes gezeigt wurde, so erscheint die ständige Reproduktion als kontinuierlicher Prozeß unmöglich.
ROSA LUXEMBURG versuchte ihre theoretische Kritik der MARXschen Analyse durch den Hinweis zu bekräftigen, „daß der II. Band des Kapital kein abgeschlossenes Werk, sondern Manuskript war, das mitten im Wort abgebrochen wurde“. [38] Allerdings eine bequeme Methode theoretischer Auseinandersetzung. Weiß man aus der Sackgasse, in die man geraten ist, keinen Ausweg, so erklärt man, es bestehe im System eine „Lücke“. MARX sei speziell in der Akkumulationsfrage nicht über die Aufstellung einiger Schemata und den Anfang ihrer Analyse hinausgegangen. [39] R. LUXEMBURG beruft sich auf den unvollständigen Charakter des II. Bandes des Kapital“, vergißt aber, daß die schematische Darstellung des Reproduktionsprozesses zwar erst im II. Bande erfolgte, daß aber die wesentlichen Gesichtspunkte der MARXschen Reproduktions- und Akkumulationstheorie bereits im I. Band, der uns vollständig vorliegt, entwickelt sind; im übrigen ist die Behauptung, daß das Reproduktionsschema bei seiner Aufstellung im II. Bande „mitten im Wort“ abgebrochen wurde, falsch. Vielmehr wurde es tatsächlich bereits 1863, also vor der Publikation des I. Bandes des Kapital konzipiert und es liegt der gesamten Analyse des I. Bandes, sowie der weiteren Bände des MARXschen Hauptwerkes (und nicht bloß dem Reproduktionskapitel des II. Bandes) zugrunde. R. LUXEMBURG übersieht, daß MARX schon in dem Akkumulationskapitel des I. Bandes die wesentlichen Ergebnisse seiner im II. Bande erst näher begründeten Reproduktions- und Akkumulationstheorie vorweggenommen hat.
Angesichts dieses Tatbestandes ist es absolut unzulässig, zu behaupten, MARX wäre über die Aufstellung einiger Schemata und den Anfang ihrer Analyse nicht hinausgegangen. Wir haben demgegenüber zu zeigen versucht, daß das Reproduktionsschema nicht bloß dem Schlußabschnitt des II. Bandes zugrunde liegt, daß es nicht bloß für die Frage des restlosen Warenabsatzes wichtig ist, sondern daß der Aufbauplan des gesamten Werkes mit der methodologischen Vorstellung des Reproduktionsschemas innigst verknüpft ist, daß der Aufbau aller drei Bände des Kapital methodologisch auf dem bis in alle Details fein durchdachten und tatsächlich durchgeführten Annäberungsverfahren erfolgte, welches logisch mit dem Reproduktionsschema unzertrennlich verbunden ist. Jeder vorläufigen Vereinfachung entspricht eine entsprechende spätere Konkretisierung, und ich habe in meinem Buche Das Akkumulations- und Zusammenbruchgesetz (Drittes Kapitel) gezeigt, daß dieses nachträgliche Konkretisierungsverfahren von MARX tatsächlich bis in die feinsten Details durchgeführt wurde, daß daher von einer als Ergebnis seiner Vereinfachungsmethode entstandenen „Lücke“ keine Rede sein kann. Trotz aller vereinfachenden Annahmen ging MARX in seinem Verfahren nie so weit, vom Kapitalverhältnis oder vom Warenaustausch zwischen den beiden Produktionssphären I und II zu abstrahieren, weil beide Elemente notwendige Bedingungen der kapitalistischen Produktion darstellen. Wenn MARX die Außenmärkte aus seiner Analyse des Reproduktionsprozesses ausschied, so geschah es nicht deshalb, weil in der MARXschen Darstellung eine zufällige „Lücke“ besteht, sondern weil die Aussenhandelsbeziehnngen nicht zu den denknotwendigen Bedingungen des Reproduktionsprozesses gehören. Würde MARX die „Realisation“ des Mehrwerts in den nichtkapitalistischen Ländern als notwendige Voraussetzung der Akkumulation betrachten, so müßte sein Reproduktionsschema ganz anders aussehen, und zwar:
I. Das Kapital Verhältnis (kapitalistisches Land): |
|
c + v + m |
wobei die Abteilung I des Schemas nicht bloß die Produktion von Produktionsmitteln, sondern unterschiedslos die ganze Produktion des kapitalistischen Landes umfassen würde. Denn welchen Sinn hätte noch im Fall der Einbeziehung der nichtkapitalistischen Märkte in das Reproduktionsschema die bekannte Zweiteilung der Produktionszweige nach dem Gebrauchswert der produzierten Waren und die Forderung bestimmter Proportionalitätsverhältnisse in dem Umfang dieser beiden Zweige des Produktionsapparates im kapitalistischen Land? Auch wenn solche Proportionalitätsverhältnisse nicht bestehen, wenn z.B. das kapitalistische Land nur eine einzige Abteilung umfaßt, und z.B. nur Produktionsmittel produziert, also für den Absatz seiner v + m Teile auf dem inneren Markte des kapitalistischen Landes keine Möglichkeit hätte, kann die Reproduktion und die Akkumulation dennoch ohne Störung fortgesetzt werden, weil der Absatz der v + m Teile nach den nichtkapitalistischen Aussenländern erfolgen kann, und von dort anderseits auch die benötigten Lebensmittel für Arbeiter und Kapitalisten im Wege des Aussenhandels bezogen werden können. Die Zweiteilung des Produktionsapparates im kapitalistischen Land in die bekannten beiden Abteilungen: I (Produktion von Produktionsmitteln) und II (Produktion von Konsummitteln), hätte in einem solchen Falle keinen Sinn.
Wenn MARX die kapitalistische Produktion nicht in einen, sondern in zwei Produktionszweige zusammenfaßt, und zwar nicht in irgendwelche beliebige Zweige, sondern derart, daß in einem notwendig die Produktionsmittel, in dem anderen notwendig die Lebensmittel produziert werden müssen, so geschieht es darum, weil MARX in seinem Schema alle für die Existenz eines isoliert gedachten Kapitalismus notwendigen Voraussetzungen darstellen wollte. Werden im isoliert gedachten Kapitalismus nur Produktionsmittel produziert, dann müssen Lebensmittel aus dem Ausland bezogen werden, wenn die Reproduktion als ein fortlaufender Prozeß gedacht werden soll. Umgekehrt, werden nur Lebensmittel produziert, dann ist die Einfuhr von Produktionsmitteln unumgänglich. So wären die Aussenhandelsbeziehungen eine notwendige Bedingung des gesamten Reproduktionsprozesses. MARX schließt jedoch – aus den früher genannten Gründen –, aus seiner schematischen Analyse die Aussenhandelsbeziehungen aus! Sollte das von MARX konstruierte Schema der kapitalistischen Produktion kein wirklichkeitsfremdes Gespenst sein, so mußte MARX, wenn er die Aussenhandelsbeziehungen ausschloß, auf andere Weise dafür sorgen, daß das Schema alle für die kapitalistische Produktionsweise wesentlichen, d.h. lebensnotwendigen Elemente in sich einschließe. Indem MARX in dem kapitalistischen Land die Zweiteilung des Produktionsapparates als notwendige Voraussetzung des Gleichgewichts erklärt und sowohl die Produktionsmittel als auch die Lebensmittel herstellen läßt, will er dadurch einen von allen Aussenhandelsbeziehungen unabhängigen, und doch lebensfähigen, selbstgenügsamen Produktionsmechanismus konstruieren. Nur in einem so gedachten Kapitalismus hat es überhaupt einen Sinn, nach den für das Gleichgewicht, d.h. für den restlosen Absatz auf dem inneren Markt notwendigen Proportionalitätsverhältnissen zu fragen. Denn diese Proportionalitätsyerhältnisse bilden nur in diesem Falle eine notwendige Bedingung für den störungslosen Verlauf der Reproduktion. Durch die Einbeziehung der nichtkapitalistischen Märkte in das Schema wird der theoretische Grundgedanke des Schemas, der Nachweis der Notwendigkeit von bestimmten Proportionalitätsverhältnissen, zerstört, also das, was den eigentlichen Inhalt und die große Bedeutung der MARXschen Entdeckung ausmacht, entwertet!
Wir wollen nun die Ergebnisse unserer allgemeinen Analyse der theoretischen Voraussetzungen des MARXscben schematischen Verfahrens, wie sie sich aus den allgemeinen Bedingungen der MARXschen Problematik ergeben haben, mit der konkreten MARXschen Darstellung der Reproduktionsbedingungen vergleichen.
Der Akkumulations- und Reproduktionsprozeß ist nicht erst im II. Bande, sondern bereits im 22. Kapital des I. Bandes des Kapital behandelt, wo die „Verwandlung von Mehrwert in Kapital“ dargestellt wird. Hier war der systematische Ort und die Gelegenheit gegeben, die Rolle der nichtkapitalistischen Absatzgebiete zu erwähnen, wenn sie nach der MARXschen Auffassung eine notwendige Bedingung der Verwandlung des, Mehrwerts in Kapital gebildet hätten, wenn MARX die Existenz des „reinen“ Kapitalismus für unmöglich gebalten hätte. Dies um so mehr, als MARX die Bedingungen der Akkumulation schon im I. Band nicht bloß vom Standpunkt des individuellen Kapitals untersuchte, sondern im 23. Kapitel „das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ und die „kontinuierliche Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital“ (K. I 642) entwickelte, also die gesellschaftlichen Bedingungen der Akkumulation im Auge hatte und im Zusammenhang damit eine Reihe von gesellschaftlichen Gesetzen formulierte, wie z.B. das Gesetz der Konzentration und Zentralisation des Kapitals, das der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliche Populationsgesetz und das Entstehen der Reservearmee als Produkt der Akkumulation und als Existenzbedingung ihrer plötzlichen Expansion, schließlich den notwendigen Zusammenbruch der kapitalistischen Produktionsweise. Hier zählt MARX weiter eine Reihe von Momenten auf, „welche den Umfang der Akkumulation bestimmen“ (K. I. 613).– Die nichtkapitalistischen Abnehmer als Bedingung der Akkumulation werden dabei von MARX nicht erwähnt! Und das soll nur eine zufällige „Lücke“ der Darstellung sein?
Und weiter! MARX bedient sich bei seiner Darstellung der Akkumulation schon im I. Bande einer Reihe vereinfachender Annahmen. Was war der Zweck dieser methodologischen Vereinfachungen, dieser Abstraktion von einer Reihe empirisch gegebener Momente? Die diesbezüglichen MARXschen Ausführungen sind so klar, daß darüber kaum eine Meinungsverschiedenheit auftauchen kann: MARX will bei seiner Analyse des Akkumulationsproblems von allen, wenn auch sonst wichtigen, aber für das Akkumulationsproblem selbst nebensächlichen Momenten abstrahieren, damit eben die wesentlichen Grundbedingungen des Akkumulationsprozesses um so schärfer zum Vorschein gelangen. Bei der Darstellung der Akkumulation des Mehrwerts, d.h. seiner Verwandlung in Kapital, kommt es nämlich nach MARX darauf an, „die notwendigen Bedingungen, worin der (Mehrwert) zum Element der Akkumulation wird“, zu zeigen. Das also ist der Zweck der MARXschen Vereinfachungen! Von allem, was nicht zu den „notwendigen Bedingungen“ gehört, soll abstrahiert werden, zur Analyse gelangt somit nur „die einfache Grundform des Akkumulationsprozesses. Seine reine Analyse erheischt daher vorläufiges Wegsehen von allen Phänomenen, welche das innere Spiel seines Mechanismus verstecken“ (K. I. 579). Würde MARX die „Realisation“ des Mehrwerts in nichtkapitalistischen Absatzgebieten als eine notwendige Bedingung der Akkumulation betrachten, so könnte er unmöglich davon absehen, die Funktion der nichtkapitalistischen Absatzgebiete in seine Analyse der Akkumulationsbedingungen einzubeziehen. MARX müßte sie vielmehr an dieser Stelle darstellen, weil sie eben nach dieser Auffassung einen notwendigen Bestandteil des „inneren Spiels“ des kapitalistischen Mechanismus, seine „einfache Grundform“, gebildet hätten. Wir hätten dann statt des jetzigen MARXschen Schemas ein anderes, nämlich:
I. c + v + m |
Die grundlegende Tatsache, daß MARX das nicht getan hat, daß er hier ausdrücklich vom Aussenhandel überhaupt, also auch vom Aussenhandel mit nichtkapitalistischen Ländern abstrahiert (K. I. 597), und ihn eben zu den „störenden Nebenumständen“ zählt, die das innere Spiel des Mechanismus „in seiner Reinheit“ verschleiern, beweist das Gegenteil der Behauptung ROSA LUXEMBURGs; beweist, daß MARX einen isoliert gedachten Kapitalismus ohne äussere Absatzmärkte für möglich hielt und gerade überzeugt war, daß die Grundgesetze der Akkumulation ohne die „störenden Nebenumstände“ des Aussenhandels schärfer zum Ausdruck gelangen, beweist endlich, daß von einer „Lücke“ in bezug auf die bewußt ausgeschiedenen Aussenmärkte bei MARX nicht gesprochen werden kann! Die „Lücken-Theorie“ ist nichts anderes als ein bequemes Mäntelchen, das die Tatsache verschleiern soll, daß R. LUXEMBURG unter dem Vorwand einer angeblichen „Fortentwicklung“ und „Lückenausfüllung“ tatsächlich in diesem wesentlichen Punkte des MARXschen Gedankengebäudes die MARXsche Akkumulationstheorie preisgegeben und bekämpft hatte!
Daß von einer „Lücke“ in bezug auf diesen Punkt bei MARX nicht gesprochen werden kann, läßt sich noch durch ein weiteres Argument exakt nachweisen. Im Rahmen des Akkumulationskapitels erachtet es MARX als notwendig, nicht bloß positiv die Bedingungen der Akkumulation darzustellen, sondern auch kritisch gegen die „irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter seitens der politischen Ökonomie“ zu polemisieren. (K. I. 601). Nie und nirgends aber hat diese letztere die Notwendigkeit der nichtkapitalistischen Absatzländer als Bedingung der Akkumulation erwogen. War es nicht die beste Gelegenheit, ja ein logischer Zwang, hier gerade ihre theoretischen „Fehler“ aufzuzeigen und auf die notwendige Funktion der nichtkapitalistischen Länder hinzuweisen? Aber davon findet sich bei MARX keine Spur. Derselbe MARX, der die irrige Auffassung, welche die bürgerliche Ökonomie, namentlich A. SMITH, von der Akkumulation hatte, widerlegt und den „närrischen Schnitzer“ SMITHs aufdeckt, welcher behauptete, daß der Mehrwert bei der Akkumulation „nur in Zahlung von Arbeitslohn verausgabt wird“ (K. I. 603), derselbe MARX, der im genannten Kapitel gegen das eherne Lohngesetz, ferner gegen die Kompensationstheorie in bezug auf die freigesetzten Arbeiter polemisiert, hätte mit Stillschweigen jene andere Theorie der ganzen bisherigen Ökonomie übergangen, daß die Akkumulation ohne nichtkapitalistische Absatzgebiete, daß also der „reine“ Kapitalismus möglich sei? Das wäre noch aus einem weiteren Grund höchst unwahrscheinlich. ENGELS erwähnt im Vorwort zum II. Bande des Kapital, die „bloße Aufzählung des von MARX hinterlassenen handschriftlichen Materials ... beweise, mit welcher Gewissenhaftigkeit ohne Gleichen, mit welcher strengen Selbstkritik er seine großen ökonomischen Entdeckungen bis zur äussersten Vollendung auszuarbeiten strebte“. Tatsächlich wissen wir, daß alle wichtigeren Probleme von MARX an verschiedenen Stellen seiner Werke drei und vier Mal und noch öfters erwähnt werden, und MARX versäumt nie die Gelegenheit, um auf die Irrtümer seiner Vorgänger hinzuweisen. Um nur ein Beispiel zu geben: Die bereits erwähnte „irrige Auffassung der erweiterten Akkumulation“ seitens der bürgerlichen Ökonomie, namentlich A. SMITHs, wird bereits im I. Bande widerlegt (K. I. 601), dann nochmals im 3. Abschnitt des II. Bandes (K. II. 362 und 365) bekämpft; und endlich zum dritten und vierten Male beschäftigt sich MARX ausführlich mit diesem Problem in seinen kritischen Auseinandersetzungen in den Mehrwerttheorien, so Bd.I. 179ff. und Bd.II/2. S.255, insbes. S.261. – Dasselbe gilt von einer Reihe anderer Probleme. Wäre es da nicht sonderbar, daß MARX alle übrigen Irrtümer der bürgerlichen Ökonomie immer wieder aufdeckt und nur den kardinalen Irrtum, daß ein isoliert gedachter, ohne nichtkapitalistisches „Milieu“ bestehender Kapitalismus möglich sei, an keiner Stelle seiner im Zeitraum von 30 Jahren niedergeschriebenen Werke und Handschriften auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnt!
Die bisherigen Hinweise genügen wohl, um uns zu dem Schluß zu berechtigen, daß die so bequeme und auf der Linie des kleinsten Widerstandes sich bewegende „Torso“ –, resp. „Lücken“-Theorie absolut unhaltbar ist, und daß sie daher aus der theoretischen Diskussion ein für allemal ausscheiden muß. [40]
Vielmehr ist es für die MARXanalyse geboten bei allen theoretischen Erwägungen von der entgegengesetzten grundlegenden Voraussetzung auszugehen, daß der uns vorliegende, von MARX hinterlassene Stoff im wesentlichen – abgesehen von den Details der Ausführung – abgeschlossen ist und daß daher bei den Schwierigkeiten, die für die Problematik der einzelnen Teilgebiete und Teiltheorien des MARXschen Systems entstehen, als oberstes Prinzip gelten muß, daß die Schwierigkeiten nicht durch mechanische äusserliche Zubauten und Vervollständigungen, sondern innerhalb des gegebenen Stoffs, im Einklang mit der Logik des Gesamtsystems, zu bewältigen sind, was nichts anderes heißt, als daß man an dem Gedanken festhalten muß, daß der ökonomische MARXismus, so wie er uns überliefert worden ist, kein „Fragment“, kein „Torso“, sondern im wesentlichen ein in sich abgeschlossenes, d.h. lückenloses System darstellt.
Indem MARX sein Schema konstruierte, in welchem nur die „notwendigen Bedingungen“, die wesentliche Grundform desRepro-duktions- und Akkumulationsprozesses, zur Darstellung gelangen sollten, mußte er, um mit HEGEL zu reden, das Wesentliche der kapitalistischen Produktion kennen, um es vom Unwesentlichen abzusondern. Diese wesentlichen Grundbedingungen hat MARX bereits im Kopfe, als er an die Niederschrift des Kapitals, an seine Darstellung des ersten Kapitels seines Werkes herangeht. Bereits in den ersten Kapiteln des I. Bandes beschäftigt sich MARX nicht mit den unmittelbar gegebenen empirischen Erscheinungen, nicht mit Profit, Zins, Grundrente, etc., sondern mit ihrer ideellen Zusammenfassung, mit dem Mehrwert. Er beschäftigt sich nicht mit den empirisch gegebenen Preiserscheinungen, sondern geht von der fiktiven Voraussetzung aus, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden, was in sich die weitere Annahme einschließt, daß der Produktionsapparat sich im Gleichgewichtszustand befindet, daß die Ware Arbeitskraft gleichfalls zu ihrem Werte verkauft wird, daß also keine Reservearmee besteht, daß endlich keine Konkurrenz stattfindet. Kurz, MARX hatte schon sämtliche vereinfachende Voraussetzungen seines Reproduktionsschemas im Kopfe, bevor er noch die erste Seite seines Werkes niederschrieb und niederschreiben konnte.
Es ist wahrlich eines der größten Mißverständnisse und Entstellungen des MARXschen Gedankens, wenn man das MARXsche Reproduktionsschema bloß mit dem letzten Kapitel des II. Bandes des Kapital, bloß mit dem Problem des restlosen Absatzes des Jahresprodukts verbindet, schließlich nur die MARXschen vereinfachenden Annahmen, nicht aber die nachträglichen Korrekturen siebt. Wie hier gezeigt wurde, ist das MARXsche Reproduktionsschema mit dem methodologischen Verfahren, das allen drei Bänden des Kapital zugrunde liegt, aufs innigste verknüpft. Eben deshalb ist die Planänderung des MARXschen Lebenswerkes und die Konstruktion des Reproduktionsschemas aus demselben Grundgedanken entsprungen. Die MARXsche Methodik ist in ihren allgemeinen Prinzipien der getreue Ausdruck seiner Problemstellung. Erst im Zusammenhang mit der letzteren läßt auch sie sich in ihren eigentlichen Motiven verstehen.
1. E. WILBRANDT, Karl Marx, 4. Aufl. 1920. S.97.
2. Ebenda, S.101.
3. Vorwort von ENGELS zum II. Band des Kapital.
4. Briefwechsel zwischen Marx und Engels, IV. 40ff.
5. K. KAUTSKY, Karl Marx’ ökonomische Lehren, 20. Aufl. (1921), S.VIII.
6. K. MARX, Briefe an Kugelmann, mit einer Einleitung von N. Lenin, Berlin 1924, S.14.
7. Auch im Briefe an ENGELS vom 16. August 1863 heißt es: „Übrigens, wenn ich jetzt das Machwerk ansehe und sehe, wie ich alles habe umschmeißen müssen“ ... (Briefwechsel, III. 143).
8. Z.B. im Produktionsprozeß: produktives Kapital und das Lohnverhältnis; Warenkapital, Produktion von Mehrwert sowohl in der Industrie wie in der Landwirtschaft usw. – Im Zirkulationsprozeß: Die Umlaufzeit des produktiven Kapitals und des Geldkapitals; Umschlag einzelner Beatandteile des industriellen Kapitals, seines fixen und zirkulierenden Teiles, seines variablen Teiles und seines Mehrwerts. – Im Gesamtprozeß; die Reproduktion und Zirkulation des Gesamtkapitals, sowohl in der Industrie wie in der Landwirtschaft, sowohl das Kapital – wie das Lohnverhältnis umfassend, Spaltung des Mehrwerts in Profit, Zins, Rente, Handelsgewinn usw., Ausgleichung des Profits zum Durchschnittsprofit, Geldhandlungskapital Warenhandlungskapital usw.
9. Briefwechsel zwischen Marx und Engels, III. 139.
10. H. GROSSMANN, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, C.L. Hirschfeld, Leipzig 1929, S.83.
11. Die Behauptung R. LUXEMBURGs (Akkumulation, S.1), daß als ein einziger Vorgänger von MARX bezuglich des Beproduktionsschemas nur QUESNAY in Betracht kommt, ist unrichtig. An anderer Stelle habe ich gezeigt, daß das Reproduktionsschema von SISMONDI zwischen QUESNAY und MARX ein historisches und logisches Bindeglied bildet. Entsprechend der höheren Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zur Zeit SISMONDIs als zur Zeit QUESNAYs um die Mitte des 18. Jahrhunderts, führt SISMONDI wesentliche Verbesserungen des Tableau’s QUESNAYs ein. Die Selbstproduzenten (classe stérile) verschwinden, überall wird der Klassengegensatz von Unternehmern und Lohnarbeitern betont, die Produktion von Lebensmitteln wird in notwendige und Luxusmittel eingeteilt usw. (GROSSMANN, Simonde de Sismondi et ses théories économiques, 1924, S.14f.).
12. MARX, K. II. 264. – MARX zeigt, wie der Kreislauf des industriellen Kapitals vorübergehend noch durch andere Formen der Schatzbildung unterbrochen und begleitet wird; entweder dadurch, daß der Amortisationsfonds des fixen Kapitals allmählich angesammelt wird, bis er die Größe erlangt, um das in der Zwischenzeit abgenützte fixe Kapital zu ersetzen, oder dadurch, daß der Mehrwert zur selbständigen Funktion nicht ausreicht und daher aufgeschatzt werden muß bis er „die zu seiner aktiven Funktion erheischte Minimalgröße“ erreicht hat (K. II. 59), oder endlich, daß auch Teile des zirkulierenden, für den Ankauf von Rohstoffen oder der Arbeitskraft bestimmten Kapitals vorübergehend aufgeschatzt werden. (Vgl. über die Schatzbildung: Zur Kritik, S.122).
13. MARX, K. II. 60 und K. III/2. S.6f.
14. MARX, K. II. 60.
15. H. GROSSMANN, Das Akkumulations- u. Zusammenbruchsgesetz, S.433.
16. MARX, K. II. 469.
17. MARX, Vorwort zum I. Band des Kapital.
18. GROSSMANN, Das Akkumulations- u. Zusammenbruchsegesetz, S.91.
19. Ebenda, S.89.
20. MARX, K. I. 579.
21. MARX, K. I. 597.
22. MARX, K. III/1. S.154. – Die hier von MARX entwickelte, methodologisch höchst wichtige Auffassung über die Wege, die zur Erfassung der dem Kapitalismus eigentümlichen Gesetze führen, ist der von R. LUXEMBURG vertretenen Ansicht direkt entgegengesetzt. Nach ihr ist die Existenz des reinen Kapitalismus ohne nichtkapitalistische Abnehmer unmöglich. Nach der MARXschen Auffassung stellen die nichtkapitalistischen Produzenten bloß die Reste früherer Wirtschaftsformationen dar, welche die Geltung der reinen Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise verunreinigen. Der reine Kapitalismus ist nicht nur nach MARX möglich, sondern seine Gesetze kommen umso reiner zur Geltung, je mehr diese trübenden Reste früherer Formationen verschwinden.
23. MARX an ENGELS, 24. August 1867. (Briefwechsel, III. 395).
24. Briefwechsel, IV. 6.
25. SIMONDE DE SISMONDI, Nouveaux Principes d’écon. pol., 2–e éd. (1827) II. 383.
26. Ebenda, II. 416. – Vgl. dazu: H. GROSSMANN, Simonde de Sismondi et ses théories économiques, 1924. S.114.
27. Ebenda, II. 417.
28. J.H. v. THÜNEN, Der isolierte Staat, 2. Aufl. Jena 1921. S.486.
29. MARX, K. I. 579.
30. Vgl. H. GROSSMANN, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz, S.51.
31. MARX, K. III. 1. S.194.
32. Man hatte in der MARXschen Zusammenbruchslehre, in seiner berühmten „Negation der Negation“, bloß „die Fallstricke der HEGELianisch-dialektischen Methode“ und das Produkt eines Restes HEGELscher Widerspruchsdialektik, entsprechend dem trichotomisch konstruierten Entwicklungsschema HEGELs, erblickt, weil man eben übersehen hat, daß das Zusammenbruchsgesetz ein notwendiges Ergebnis der Akkumulation auf Basis der fortschreitend höheren organischen Kapitalzusammensetzung ist, sich also aus der Analyse des gegebenen, realen Erscheinungsstoffs, der „wirklichen Bewegung“ ergibt. In bezug auf dieses Gesetz gilt daher vornehmlich das, was MARX von der Unterscheidung der Darstellungsweise von der Forschungsweise sagt: „Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wieder, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun“ (Nachwort zur 2. Auflage).
33. MARX, K. III. 1. S.103.
34. G.W.F. HEGEL, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Einleitung, III. c).
35. Vgl. zum folgenden: H. GROSSMANN, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz, S.607.
36. MARX, K. I. 9.
37. MARX, Zur Kritik der pol. Ökonom., Einleitung.
38. R. LUXEMBURG, Die Akkumulation des Kapitals, 1913. S.137.
39. R. LUXEMBURG, Antikritik, Leipzig 1916, S.7.
40. Dies gilt auch gegenüber G. LUKÁCS, der die hier kritisierte „Fragment“-Theorie vertritt und sich gegen die Auffassung wendet, als „ob die Formeln von MARX, die auf Grundlage der methodologisch isolierenden Annahme einer nur aus Kapitalisten und Proletariern bestehenden Gesellschaft beruhen, richtig sind“. Dem gegenüber betont L., „daß diese Annahme bei MARX selbst nur eine methodologische war, um das Problem klarer zu fassen, von der aber zur umfassenderen Fragestellung, zur Einstellung der Frage in die Totalität der Gesellschaft fortgeschritten werden muß“. Bis zu diesem Punkte können wir L. zustimmen. Der Irrtum L.s besteht darin, daß nach seiner Ansicht MARX selbst diese Aufgabe nicht durchgeführt hat, daß MARX zwar – um mit MARX zu reden – von der Vorstellung der konkreten Totalität, von der „Vorstellung des Ganzen“ analytisch, durch vereinfachende methodologische Annahmen die Reise hinunter machte, bis er „auf immer dünnere Abstrakta“, d.h. zu einer abstrakten kapitalistischen Gesellschaft gelangte, die nur aus Kapitalisten und Lohnarbeitern und ohne Aussenhandel besteht –, daß er aber nicht „die Reise wieder rückwärts angetreten“ hat, um den Weg zur konkreten „reichen Totalität von vielen Bestimmungen“, zum „lebendigen Ganzen“ zurückzufinden. Die Folge ist nach L. die, „daß das ganze Kapital gerade in bezug auf diese Frage ein Fragment ist, das gerade dort abbricht, wo dieses Problem aufgerollt werden muß; daß dementsprechend ROSA LUXEMBURG nichts anderes getan hat, als das Fragment von MARX in seinem Sinne zu ergänzen.“ (G. LUKÁCS, Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923. S.43). – An anderer Stelle spricht LUKÁCS von ROSA LUXEMBURGs „wundervollen Weiterführung der MARXschen Reproduktionstheorie“. (G. LUKÁCS, Lenin, Berlin 1924, S.37). Daß diese Versicherung L.s nicht zutrifft, habe ich in meinem Buche Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz gezeigt, und darauf verwiesen, „daß im methodischen Aufbau von MARXens System zu jeder vereinfachenden fiktiven Voraussetzung eine nachträgliche Modifikation gehört“. Erst „durch die Berücksichtigung dieser nachträglichen Korrekturen wird die abstrakte Untersuchung stufenweise an die konkrete Erscheinungswelt angenähert“ (S.VII. und S.288).
Zuletzt aktualisiert am 27.11.2008