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Zuerst veröffentlicht in Socialist Appeal, 4. Mai 1940.
Später veröffentlicht 1942 in der Sammlung In Defense of Marxism.
Transkription: Tim Vanhoof.
HTML-Markierung: Tim Vanhoof u. Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Die Diskussion in der Socialist Workers Party der Vereinigten Staaten war gründlich und demokratisch. Die Vorbereitungen zum Parteitag wurden mit absoluter Loyalität durchgeführt. Die Minderheit beteiligte sich am Parteitag, womit sie dessen Legalität und Autorität anerkannte. Die Mehrheit bot der Minderheit alle notwendigen Garantien, die es ihr erlaubten, nach dem Parteitag einen Kampf für die eigenen Ansichten zu führen. Die Minderheit verlangte die Erlaubnis, sich über den Kopf der Partei an die Massen wenden zu können. Die Mehrheit wies diesen absurden Anspruch natürlich zurück. Währenddessen setzte die Minderheit hinter dem Rücken der Partei anrüchige Machenschaften ins Werk und eignete sich die New International an, die auf Bemühen der ganzen Partei und der Vierten Internationale hin veröffentlicht wurde. Ich sollte hinzufügen, daß die Mehrheit beschlossen hatte, der Minderheit zwei der fünf Stellen des Redaktionsausschusses dieses theoretischen Organs abzutreten. Aber wie kann die intellektuelle „Aristokratie“ die Minderheit in einer Arbeiterpartei bleiben? Einen Professor auf die gleiche Ebene zu stellen mit einem Arbeiter - das ist doch schließlich “bürokratischer Konservatismus“!
In seinem jüngsten polemischen Artikel gegen mich erklärt Burnham, daß der Sozialismus eine „moralische Idee“ sei. Freilich, das ist nicht so sehr neu. Am Anfang des vergangenen Jahrhunderts diente die Moral als Grundlage für den „Wahren Deutschen Sozialismus“, den Marx und Engels gleich am Anfang ihres Schaffens kritisierten. Am Anfang unseres Jahrhunderts setzten die russischen Sozialrevolutionäre das „moralische Ideal“ dem materialistischen Sozialismus entgegen. Traurig zu sagen, daß diese Träger der Moral sich im Feld der Politik als gewöhnliche Schwindler erwiesen. 1917 lieferten sie die Arbeiter vollständig in die Hände der Bourgeoisie und des ausländischen Imperialismus.
Lange politische Erfahrung hat mich gelehrt, daß man immer gut auf seine Brieftasche aufpassen muß, wenn ein kleinbürgerlicher Professor oder Journalist über hohe moralische Normen zu reden beginnt. Das geschah auch diesmal. Im Namen der „moralischen Idee“ hat ein kleinbürgerlicher Intellektueller die Tasche der proletarischen Partei, die Tasche ihres theoretischen Organs ausgeplündert. Hier hat man ein winziges lebendiges Beispiel für die organisatorischen Methoden dieser Neuerer, Moralisten, und Verfechter der Demokratie.
Was ist Parteidemokratie in den Augen eines „gebildeten“ Kleinbürgers? Eine Herrschaftsform, die ihm erlaubt, alles zu sagen und zu schreiben, was er will. Was ist „Bürokratismus“ in den Augen eines „gebildeten“ Kleinbürgers? Ein Regime, in dem die proletarische Mehrheit ihre Beschlüsse und ihre Disziplin mit demokratischen Methoden durchsetzt. Arbeiter, behaltet das gut im Gedächtnis!
Die kleinbürgerliche Minderheit in der SWP spaltete sich von der proletarischen Mehrheit aufgrund eines Kampfes gegen den revolutionären Marxismus. Burnham verkündete, der dialektische Materialismus sei unvereinbar mit seiner mottenzerfressenen „Wissenschaft“. Shachtman erklärte, der revolutionäre Marxismus sei vom Standpunkt der „praktischen Aufgaben“ belanglos. Abern beeilte sich seine kleine Bretterbude an den antimarxistischen Block zu kleben. Und nun versehen diese Herren die Zeitschrift, die sie von der Partei stibitzten, mit der Aufschrift Organ des revolutionären Marxismus. Was ist das, wenn nicht ideologisches Quacksalbertum? Die Leser sollen von diesen Herausgebern fordern, daß sie die einzige programmatische Arbeit dieser Minderheit, nämlich Burnhams Artikel Wissenschaft und Stil veröffentlichen. Wenn die Herausgeber nicht einen Hausierer nachahmen würden, der verfaulte Waren unter phanthasievollen Bezeichnungen auf den Markt bringt, hätten sie sich verpflichtet gefühlt, diesen Artikel zu veröffentlichen. Jedermann könnte dann selbst sehen, um welche Art von „revolutionärem Marxismus“ es hier geht. Aber sie werden nicht wagen, das zu tun. Sie schämen sich, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Burnham versteht es, seine allzu aufschlußreichen Artikel und Resolutionen in seiner Aktentasche zu versteckte, während Shachtman es sich zum Beruf gemacht hat, aus Mangel an eigenen Ansichten als Anwalt für die Ansichten anderer Leute aufzutreten.
Die ersten „programmatischen“ Artikel in diesem gestohlenen Organ verrieten bereits vollständig die Leichtfertigkeit und Hohlheit dieser neuen antimarxistischen Gruppierung, die unter dem Namen drittes Lager auftritt. Was ist das für ein Tier? Es gibt das Lager des Kapitalismus, es gibt das Lager des Proletariats. Aber gibt es vielleicht ein „drittes Lager“ – einen kleinbürgerlichen Zufluchtsort? Dem Wesen nach ist es nichts anderes. Aber, wie immer, versteckt der Kleinbürger dieses „Lager“ hinter rhetorischen Papierblumen. Schenken wir ihnen Gehör! Hier ist ein Lager: England und Frankreich. Dort ist ein anderes Lager: Hitler und Stalin. Und ein drittes Lager: Burnham, zusammen mit Shachtman. Für sie wendet sich die Vierte Internationale Hitlers Lager zu. (Stalin machte diese Entdeckung bereits vor langer Zeit.) Und daher ein neuer großer Slogan: Wirrköpfe und Pazifisten aller Länder, alle, die ihr unter den Nadelstichen des Schicksals leidet, schließt euch dem „dritten“ Lager an!
Der Fehler ist nur, daß zwei sich bekämpfende Lager die bürgerliche Welt durchaus nicht schwächen. Was ist mit all den neutralen und halb-neutralen Ländern? Was mit den Vereinigten Staaten? Wozu sollen Italien und Japan gezählt werden? Und die skandinavischen Länder? Indien? China? Wir denken hier nicht an die revolutionären indischen und chinesischen Arbeiter, sondern vielmehr an Indien und China als unterdrückte Länder. Das kindische Schema der drei Lager übersieht ein unbedeutendes Detail: die koloniale Welt, den größeren Teil der Menschheit!
Indien nimmt am imperialistischen Krieg auf der Seite Großbritanniens teil. Bedeutet das, daß unsere Stellung zu Indien – nicht zu den indischen Bolschewiki, sondern zu Indien – die gleiche ist wie zu Großbritannien? Wenn es außer Shachtman und Burnham nur zwei imperialistische Lager gibt, wo sollen wir dann, mit Verlaub, Indien hinzurechnen? Ein Marxist wird sagen, trotz der Tatsache, daß Indien ein wesentlicher Bestandteil des britischen Empire ist und am imperialistischen Krieg teilnimmt, trotz der verräterischen Politik Gandhis und anderer nationalistischer Führer, unterscheidet sich unsere Stellung zu Indien ganz und gar von der zu England. Wir verteidigen Indien gegen England. Warum kann sich dann unsere Haltung zur Sowjetunion von der zu Deutschland unterscheiden, obgleich Stalin mit Hitler verbündet ist?. Warum können wir nicht die fortschrittlicheren Gesellschaftsformen, die zur Weiterentwicklung imstande sind, gegen die reaktionären verteidigen, die sich nur zersetzen können? Wir können nicht nur, wir müssen! Die Theoretiker der gestohlenen Zeitschrift ersetzen die Klassenanalyse durch eine mechanistische Konstruktion, die wegen ihrer Pseudo-Symmetrie für kleinbürgerliche Intellektuelle sehr anziehend ist. Genau wie die Stalinisten ihre Unterwürfigkeit dem Nationalismus (den Nazis) gegenüber mit rauhen Beiworten verschleiern, die sie an die imperialistischen Demokratien richten, so decken Shachtman & Co. ihre Kapitulation vor der kleinbürgerlichen öffentlichen Meinung Amerikas mit der hochtrabenden Ausdrucksweise des „dritten Lagers“. Als ob dies „dritte Lager“ (was ist das? eine Partei? ein Klub? ein Bund der aufgegebenen Hoffnungen? eine Volksfront?) nicht verpflichtet wäre, eine richtige Politik gegenüber dem Kleinbürgertum, gegenüber den Gewerkschaften, gegenüber Indien und der UdSSR zu betreiben!
Erst kürzlich bezeichnete sich Shachtman in der Presse selbst als „Trotzkist“. Wenn das Trotzkismus ist, dann bin ich wenigstens kein Trotzkist. Mit den gegenwärtigen Ideen Shachtmans, ganz zu schweigen von Burnham, habe ich nichts gemein. Ich habe immer mit der New International aktiv zusammengearbeitet und protestierte dabei in Briefen gegen Shachtmans leichtfertige Haltung zur Theorie und gegen seine gewissenlosen Zugeständnisse an Burnham, den versteiften kleinbürgerlichen Pedanten. Aber zu dieser Zeit wurden beide, Burnham und Shachtman, von der Partei und der Internationale im Zaum gehalten. Heute hat der Druck der kleinbürgerlichen Demokratie ihnen die Zügel schießen lassen. Meine Haltung zu ihrer neuen Zeitschrift kann keine andere sein als gegen alle anderen kleinbürgerlichen Fälschungen des Marxismus. Was ihre „organisatorischen Methoden“ und ihre politische „Moral“ betrifft, so haben diese bei mir nichts als Verachtung hervorgerufen.
Wenn bewußte Agenten des Klassenfeindes Shachtman benutzt hätten, hätten sie ihm nichts anderes empfehlen können, als das, was er selbst tat. Er vereinigte sich mit Antimarxisten, um einen Kampf gegen den Marxismus zu führen. Er half, eine kleinbürgerliche Fraktion gegen die Arbeiter aufzubauen. Er unterließ es, die innerparteiliche Demokratie auszunutzen und ernsthaft zu versuchen, die proletarische Mehrheit zu überzeugen. Er führte während des Weltkrieges eine Spaltung herbei. Um dem allen noch die Krone aufzusetzen, warf er dieser Spaltung den Schleier einer kleinlichen und dreckigen Verleumdung über, die besonders dazu bestimmt scheint, unsere Feinde mit Munition zu versorgen. Das sind „Demokraten“, das ist ihre „Moral“!
Doch all das nützt ihnen nichts. Sie sind bankrott. Trotz dieses Verrats schwankender Intellektueller und trotz des billigen Spotts all ihrer demokratischen Vettern wird die Vierte Internationale auf ihrem Weg vorwärtsschreiten und eine echte Avantgarde proletarischer Revolutionäre schaffen und erziehen, die verstehen, was die Partei ist, was Loyalität gegenüber ihrem Banner bedeutet und was revolutionäre Disziplin heißt.
Arbeiter der Avantgarde! Nicht für einen Pfennig Vertrauen in das „dritte Lager“ der Kleinbourgeoisie!
23. April 1940
Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008