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Schon in den der Revolution vorangegangenen Monaten war die Disziplin in der Armee merklich ins Wanken geraten. Man kann nicht wenige Klagen von Offizieren aus jener Zeit finden: die Soldaten benähmen sich ungebührlich gegen die Vorgesetzten, die Behandlung der Pferde, des Fiskusgutes, sogar der Waffen, sei unter jeder Kritik, in den Militärzügen herrsche Unordnung. Nicht überall war die Sache gleich schlecht. Doch bewegte sie sich überall in der gleichen Richtung: dem Zerfall zu.
Nun kam die Erschütterung durch die Revolution hinzu. Der Aufstand der Petrograder Garnison vollzog sich nicht nur ohne den Offiziersstand, sondern gegen ihn. In den kritischen versteckten die Kommandeure einfach die Köpfe. Der Oktobristendeputierte Schidlowski unterhielt sich am 27. Februar mit Offizieren des Preobraschenski-Regiments, offenbar in der Absicht, deren Einstellung zur Duma herauszufühlen, aber er traf bei den Gardearistokraten völliges Unverständnis für die Geschehnisse, was übrigens vielleicht zur Hälfte Verstellung war: waren es doch alles erschrockene Monarchisten. „Wie groß war meine Verwunderung“, berichtet Schidlowski, „als ich am nächsten Morgen auf der Straße das gesamte Preobraschenski-Regiment, in mustergültiger Ordnung in Reih und Glied marschierend, mit einem Orchester an der Spitze, ohne einen einzigen Offizier erblickte ...“ Allerdings kamen einige Truppenteile ins Taurische Palais mit ihren Kommandeuren, genauer gesagt, sie führten diese mit sich. Die Offiziere fühlten sich bei diesem Festzug in der Lage von Gefangenen. Gräfin Kleinmichel, die als Verhaftete diese Szenen beobachtet hat, drückt sich bestimmter aus: die Offiziere ähnelten Hammeln, die man zur Schlachtbank führt.
Die Februarrevolution hat die Trennung zwischen Soldaten und Offizieren nicht geschaffen, sie hat sie nur aufgedeckt. Im Bewußtsein der Soldaten war der Aufstand gegen die Monarchie zuallererst ein Aufstand gegen die Vorgesetzten. „Seit dem Morgen des 28. Februar“, erinnert sich der Kadett Nabokow, der in jenen Tagen Offiziersuniform trug, „war es gefährlich, auszugehen, weil man den Offizieren die Achselstücke herunterriß.“ So sah der erste Tag des neuen Regimes in der Garnison aus!
Die erste Sorge des Exekutivkomitees war, die Soldaten mit den Offizieren zu versöhnen. Das bedeutete nichts anderes, als die Truppenteile wieder den alten Kommandeuren zu unterstellen. Die Rückkehr der Offiziere zu den Regimentern sollte, nach Suchanows Worten, die Armee vor „allgemeiner Anarchie oder der Diktatur der finsteren und zersetzenden Soldateska“ bewahren. Wie die Liberalen, fürchteten diese Revolutionäre die Soldaten und nicht die Offiziere. Indes erwarteten die Arbeiter gemeinsam mit der „finsteren Soldateska“ alles Übel gerade von seiten der glanzvollen Offiziere. Die Versöhnung war deshalb nicht von Dauer.
Stankewitsch schildert das Verhalten der Soldaten gegenüber den nach der Umwälzung zu ihnen zurückgekehrten Offizieren in folgenden Zügen: „Es stellte sich heraus, daß die Soldaten, die unter Verletzung der Disziplin nicht nur ohne Offiziere, sondern ... in vielen Fällen trotz der Offiziere die Kasernen verlassen und jene Vorgesetzten, die ihre Pflicht erfüllten, sogar getötet, ein großes Heldenstück der Befreiung vollbracht hatten. Wenn dies eine Heldentat war und die Offiziere es jetzt selbst behaupteten, weshalb haben sie dann nicht selbst die Soldaten auf die Straße geführt – für sie wäre es doch leichter und gefahrloser gewesen? Jetzt, nach der Tatsache des Sieges, schließen sie sich der Heldentat an. Ob aber aufrichtig und für lange?“ Diese Worte sind um so lehrreicher, als ihr Autor selbst zu jenen „linken“ Offizieren gehörte, die nicht mal daran gedacht hatten, die Soldaten auf die Straße zu führen.
Am Morgen des 28. klärte auf dem Sampsonjewski-Prospekt der Kommandeur einer Genieabteilung seine Soldaten auf: „Die allen verhaßte Regierung ist gestürzt“, eine neue sei gebildet, mit dem Fürsten Lwow an der Spitze, folglich müsse man in alter Weise den Offizieren gehorchen. „Und jetzt – bitte jeder auf seinen Platz in die Kasernen. Einige Soldaten riefen: „Zu Befehl“, die Mehrzahl blickte verwirrt drein: das ist alles? Diese Szene hatte Kajurow zufällig beobachtet. Es ging ihm durch und durch. „Gestatten Sie mir das Wort, Herr Kommandeur“ ... Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, stellte Kajurow die Frage: „Ist denn wegen der Ablösung des einen Gutsbesitzers durch den anderen drei. Tage lang in den Straßen Petrograds Arbeiterblut geflossen?“ Kajurow hatte auch hier den Stier bei den Hörnern gepackt. Die von ihm gestellte Frage bildete den Kampfinhalt der nächsten Monate. Der Antagonismus zwischen Soldat und Offizier war die Widerspiegelung der Feindschaft zwischen Bauer und Gutsbesitzer.
In der Provinz stellten die Kommandeure, die offenbar inzwischen Instruktionen erhalten hatten, die Ereignisse nach einem und demselben Muster dar: der Kaiser habe sich in Sorge um das Land erschöpft und sei gezwungen gewesen, die Last der Regierung seinem Bruder zu übertragen. Man las auf den Gesichtern der Soldaten, klagt ein Offizier aus einem entlegenen Winkel der Krim: Nikolaus oder Michail – alles einerlei. Als jedoch der gleiche Kommandeur gezwungen war, am nächsten Morgen dem Bataillon den Sieg der Revolution mitzuteilen, waren die Soldaten, nach seinen Worten, wie umgewandelt. Ihre Fragen, Gesten, Blicke zeugten klar von der „beharrlichen, langwierigen Arbeit, die jemand an diesen finsteren, grauen, des Denkens ungewohnten Hirnen vollbracht hatte“. Welche Kluft zwischen den Offizieren, deren Gehirne sich so mühelos dem letzten Petrograder Telegramm anpaßten, und diesen Soldaten, die zwar schwer, aber ehrlich ihr Verhältnis zu den Ereignissen bestimmten, sie selbständig auf der schwieligen Hand wägend!
Das Oberste Kommando, das die Umwälzung formell anerkannt hatte, beschloß, die Revolution überhaupt nicht an die Front durchzulassen. Der Stabschef des Hauptquartiers befahl den Oberkommandierenden der Fronten: falls auf den ihnen unterstellten Territorien revolutionäre Delegationen auftauchen sollten, die General Alexejew der Kürze halber Banden nannte, sie unverzüglich gefangenzunehmen und an Ort und Stelle vor ein Feldgericht zu stellen. Am nächsten Tage verlangte der gleiche General im Namen „Seiner Hoheit“, des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch, von der Regierung „Einstellung alles dessen, was heute in den Armeebezirken des Hinterlandes geschieht“, mit anderen Worten – der Revolution.
Das Kommando verschleppte es solange wie möglich, die aktive Armee über die Umwälzung zu unterrichten, weniger aus Treue für die Monarchie als aus Angst vor der Revolution. An einigen Fronten errichtete man wahre Quarantänen: Briefe aus Petrograd wurden nicht durchgelassen, ankommende Personen festgehalten, so stahl das alte Regime von der Ewigkeit einige überzählige Tage. Die Kunde von der Umwälzung erreichte die Kampflinie nicht vor dem 5.-6. März. Aber in welcher Gestalt? Wir haben es schon ungefähr vernommen: zum Höchstkommandierenden sei der Großfürst ernannt, der Zar habe zum Wohle des Vaterlandes auf den Thron verzichtet, sonst sei alles beim alten. In viele Schützengräben, vielleicht in die meisten, gelangten Nachrichten von der Revolution früher durch die Deutschen als aus Petrograd. Konnten bei den Soldaten da noch Zweifel bestehen, daß das gesamte Kommando eine Verschwörung zur Unterdrückung der Wahrheit gebildet hatte? Und konnten die Soldaten auch nur für einen Pfifferling jenen Offizieren Glauben schenken, die sich nach ein bis zwei Tagen rote Schleifchen ansteckten?
Der Stabschef der Schwarzmeerflotte erzählt, die Nachricht von den Ereignissen in Petrograd habe angeblich auf die Matrosen anfangs keinen merklichen Eindruck gemacht. Sobald aber aus der Hauptstadt die ersten sozialistischen Zeitungen angekommen waren, „veränderte sich die Stimmung der Kommandos im Nu, es begannen Meetings, aus den Löchern krochen verbrecherische Agitatoren heraus“. Der Admiral begriff einfach nichts von dem, was sich vor seinen Augen abspielte. Nicht die Zeitungen hatten den Stimmungswechsel hervorgerufen. Sie zerstreuten nur die Zweifel der Matrosen über den Ernst der Umwälzung und erlaubten ihnen, offen ihre wahren Gefühle zu zeigen, ohne Angst vor Strafe seitens der Vorgesetzten. Der gleiche Autor charakterisiert das politische Gesicht der Offiziere der Schwarzmeerflotte, darunter auch sein eigenes, durch einen Satz: „Die Mehrzahl der Offiziere glaubte, das Vaterland werde ohne Zaren zugrunde gehen.“ Die Demokraten glaubten, das Vaterland werde ohne die Rückkehr solcher Leuchten zu den finsteren Matrosen zugrunde gehen.
Der Kommandobestand der Armee und der Flotte sonderte bald zwei Phalangen ab: die eine versuchte, ihre Posten zu behalten, indem sie sich bei der Revolution anbiederte, in die sozialrevolutionäre Partei eintrat; ein Teil von ihnen versuchte später sogar, bei den Bolschewiki unterzukriechen. Die anderen dagegen bäumten sich auf, versuchten, der neuen Ordnung Widerstand leisten, doch schon beim nächsten scharfen Konflikt zerschellten und wurden von der Soldatenüberschwemmung weggespült. Gruppierungen dieser Art sind so natürlich, daß sie sich in allen Revolutionen wiederholen. Die unversöhnlichen Offiziere der französischen Monarchie, jene, die, nach dem Ausdruck eines von ihnen, „gekämpft hatten, solange sie konnten“, litten weniger unter dem Ungehorsam der Soldaten als unter der Liebedienerei der adeligen Kollegen. Schließlich wurde die Mehrzahl des alten Kommandobestandes abgedrängt, unterdrückt, und nur ein kleiner Teil stellte sich um und assimilierte sich. Der Offiziersstand teilte nur in dramatischerer Form das Schicksal jener Klassen, denen er entstammte.
Die Armee stellt überhaupt ein Abbild der Gesellschaft dar, der sie dient, mit dem Unterschiede, daß sie den sozialen Beziehungen einen konzentrierteren Charakter verleiht, deren positive und negative Züge in ihr extremsten Ausdruck finden. Es ist kein Zufall, daß in Rußland der Krieg nicht einen Militär von Namen hervorgebracht hat. Der höchste Kommandobestand ist von einem aus seiner Mitte recht kraß charakterisiert worden. „Viel Abenteuertum, viel Unbildung, viel Egoismus, Intrigen, Karrierismus, Habsucht, Unfähigkeit und Kurzsichtigkeit“, schreibt General Salesski, „aber sehr wenig Kenntnisse, Begabungen, Bereitschaft, sich oder auch nur seinen Komfort oder seine Gesundheit zu riskieren.“ Nikolai Nikolajewitsch, der erste Höchstkommandierende, zeichnete sich nur durch hohen Wuchs und allerdurchlauchtigste Grobheit aus. Die Stärke des Generals Alexejew, einer grauen Mittelmäßigkeit, des höheren Militärschreibers der Armee, war fester Hosenboden. Kornilow, den mutigen Draufgänger, hielten sogar seine Verehrer für einen Einfaltspinsel; Werchowski, Kerenskis Kriegsminister, äußerte sich später über Kornilow: ein Löwenherz mit einem Hammelkopf. Brussilow und Admiral Koltschak überragten wohl die anderen an Intelligenz, aber auch nur das. Denikin war nicht ohne Charakter, im übrigen aber ganz und gar ein Durchschnittsgeneral, der fünf oder sechs Bücher gelesen hatte. Danach folgten die Judenitsch, Dragomirow, Lukomski, mit und ohne Französisch, gewöhnliche Trinker, starke Trinker, aber völlige Nullen.
Im Offizierskorps war allerdings nicht nur das adelige, sondern auch das bürgerliche und demokratische Rußland stark vertreten. Der Krieg ergoß in die Reihen der Armee zu Zehntausenden die kleinbürgerliche Jugend, als Offiziere, Kriegbeamte, Ärzte, Ingenieure. Diese Kreise, die fast durchweg für den Krieg bis zum Siege waren, empfanden die Notwendigkeit irgendwelcher weitgehender Maßnahmen, unterwarfen sich jedoch letzten Endes den reaktionären Oberschichten, unter dem Zarismus – aus Angst, nach der Umwälzung – aus Überzeugung, – wie sich die Demokratie im Hinterlande der Bourgeoisie unterwarf. Der versöhnlerische Teil der Offiziere teilte später das unselige Geschick der Versöhnlerparteien, mit dem Unterschiede, daß sich die Situation an der Front unvergleichlich schärfer gestaltete. Im Exekutivkomitee konnte man sich lange Zeit durch Zweideutigkeiten halten, unter den Augen der Soldaten war das schwieriger.
Mißgunst und Reibungen zwischen demokratischen und aristokratischen Offizieren, die nicht imstande waren, die Armee zu erneuern, trugen in diese nur noch ein weiteres Element der Zersetzung hinein. Die Physiognomie der Armee bestimmte das alte Rußland, und das war durch und durch die Physiognomie der Leibeigenschaft. Die Offiziere hielten in alter Weise für den besten Soldaten den gehorsamen, urteilslosen Bauernjungen, in dem das Bewußtsein der menschlichen Persönlichkeit noch nicht erwacht war. Dies bildete die „nationale“ Suworowsche Tradition der russischen Armee, die sich auf primitiven Ackerbau, Leibeigenschaft und Dorfgemeinde stützte. Im 18. Jahrhundert vermochte Suworow mit diesem Material noch Wunder zu wirken. Leo Tolstoi idealisierte mit der Vorliebe eines Gutsherrn in seinem Platon Karatajew den alten Typ des russischen Soldaten, der sich widerstandslos der Natur, der Willkür und dem Tode unterwirft (Krieg und Frieden); Die Französische Revolution, die den glanzvollen Durchbruch des Individualismus auf allen Gebieten der menschlichen Tätigkeit ermöglichte, hat über die Suworowsche Kriegskunst ein Kreuz gemacht. Im Verlaufe des 19. wie des 20. Jahrhunderts, in der ganzen Epoche zwischen der Französischen und der Russischen Revolution, wurde die zaristische Armee, als eine Leibeigenenarmee, ständig geschlagen. Der auf diesem „nationalen“ Boden herangebildete Kommandobestand zeichnete sich durch Verachtung für die Person des Soldaten aus, durch passiven Mandarinengeist, Unwissen in seinem Handwerk, völligen Mangel heroischen Elements und vollendetes Diebswesen. Die Autorität des Offiziersstandes stützte sich auf äußere Rangabzeichen, auf ein Ritual von Ehrenbezeigungen, ein System von Repressalien und sogar eine besonders festgelegte Sprache, die niederträchtige Mundart der Sklaverei – „Zu Befehl“, „Melde gehorsamst“ –, in der der Soldat mit dem Offizier sprechen mußte. Indem sie die Revolution in Worten akzeptierten und der Provisorischen Regierung den Eid leisteten, unterschoben die zaristischen Marschälle einfach ihre eigenen Sünden der gefallenen Dynastie. Gnädig stimmten sie dem zu, daß Nikolaus zum Sündenbock für die ganze Vergangenheit gemacht wurde. Aber weiter – nicht einen Schritt! Wie sollten sie auch begreifen, daß das moralische Wesen der Revolution in der Vergeistigung jener Menschenmasse bestand, auf deren geistiger Unbeweglichkeit ihr ganzes Wohlergehen beruhte. Der zum Befehlshaber der Front ernannte Denikin erklärte Minsk: „Ich akzeptiere die Revolution ganz und vorbehaltlos. Doch betrachte ich die Revolutionierung der Armee und das Hineintragen von Demagogie in ihre Reihen als verderblich für das Land.“ Eine klassische Formel des Generalsstumpfsinns! Was die Durchschnittsgenerale betrifft, so verlangten sie, nach dem Ausdruck Salesskis, nur eines: „Rührt uns nur nicht an – alles andere ist uns gleichgültig!“ Die Revolution jedoch konnte sie nicht unangerührt lassen. Abkömmlinge privilegierter Klassen, konnten sie nichts gewinnen, aber vieles verlieren. Ihnen drohte nicht nur der Verlust der Kommandoprivilegien, sondern auch des Bodenbesitzes. Unter dem Deckmantel der Loyalität gegen die Provisorische Regierung entfesselten die reaktionären Offiziere einen um so erbitterteren Kampf gegen die Sowjets. Als sie sich davon überzeugten, daß die Revolution unaufhaltsam in die Soldatenmassen und die Erbgüter drang, erblickten sie darin einen unerhörten Treubruch – seitens Kerenskis, Miljukows und sogar Rodsjankos. Von den Bolschewiken nicht erst zu sprechen.
Die Existenzbedingungen der Kriegsflotte bargen in viel höherem Maße als die der Armee ständig lebendige Keime des Bürgerkrieges in sich. Das Leben der Matrosen in den Stahlkisten, in die man sie gewaltsam für einige Jahre hineinpferchte, unterschied sich sogar in der Verpflegung wenig vom Leben der Zuchthäusler. Und daneben die Offiziere, meist aus privilegierten Kreisen, die den Seedienst freiwillig zu ihrem Beruf erwählt hatten, das Vaterland mit dem Zaren, den Zaren mit sich identifizierten und im Matrosen den wertlosesten Bestandteil des Kriegsschiffes erblickten. Zwei einander fremde Welten lebten in enger Berührung, ohne einander aus den Augen zu lassen. Die Schiffe der Flotte hatten ihren Standort in industriellen Hafenstädten mit großer Arbeiterzahl, die für Bau und Reparaturen der Schiffe notwendig war. Dazu gab es unter dem Maschinenpersonal und dem technischen Dienst auf den Schiffen selbst nicht wenig qualifizierte Arbeiter. Das waren die Bedingungen, die die Kriegsflotte in eine revolutionäre Mine verwandelten. In den Umwälzungen und militärischen Aufständen aller Länder bildeten die Matrosen den explosivsten Stoff; fast stets pflegten sie bei der ersten Gelegenheit mit ihren Offizieren grausam abzurechnen. Die russischen Matrosen bildeten keine Ausnahme.
In Kronstadt war die Umwälzung von einem blutigen Racheausbruch gegen die Kommandeure begleitet, die aus Entsetzen vor der eigenen Vergangenheit versucht hatten, die Revolution vor den Matrosen zu verbergen. Als eines der ersten Opfer fiel der Flottenkommandierende, Admiral Wieren, der wohlverdienten Haß genoß. Ein Teil des Kommandobestandes wurde von den Matrosen verhaftet. Die in Freiheit belassenen Offiziere wurden entwaffnet.
In Helsingfors und Sweaborg ließ Admiral Nepenin bis zur Nacht des 4. März keine Nachrichten aus dem aufständischen Petrograd durch und bedrohte Matrosen und Soldaten mit Repressalien. Um so wütender entbrannte hier der Aufstand, der einen Tag und eine Nacht dauerte. Viele Offiziere wurden verhaftet. Die verhaßtesten ließ man unter dem Eis schwimmen. „Urteilt man nach Skobeljews Erzählung über das Verhalten der Vorgesetzten in Helsingfors und bei der Flotte“, schreibt der mit der „finsteren Soldateska“ keinesfalls nachsichtige Suchanow, „so muß man sich nur wundern, daß die Exzesse hier so geringfügig waren.“
Aber auch bei den Landtruppen blieb es nicht ohne blutige Abrechnung, die sich in einigen Zwischenräumen abspielte. Anfangs war es Rache für die Vergangenheit, für die niederträchtigen Peinigungen der Soldaten. An Erinnerungen, brennend wie Wunden, bestand kein Mangel. Seit 1915 war in der zaristischen Armee offiziell die Disziplinarstrafe der Auspeitschung eingeführt. Die Offiziere ließen eigenmächtig Soldaten, nicht selten Familienväter, auspeitschen. Aber es ging nicht immer nur um die Vergangenheit. Auf der Allrussischen Sowjetkonferenz berichtete der Referent über die Lage in der Armee, daß noch in der Zeit vom 5. bis 17. März Befehle über die Anwendung körperlicher Strafen gegen Soldaten erlassen wurden. Ein von der Front zurückgekehrter Dumadeputierter erzählte, Kosaken hätten ihm in Abwesenheit der Offiziere erklärt: „Sie sprechen da von einem Befehl [offenbar der berühmte Befehl Nr. 1, von dem noch die Rede sein wird]. Er ist gestern angekommen, und heute hat mich der Kommandant in die Fresse geschlagen.“ Die Bolschewiki bemühten sich ebenso häufig wie die Versöhnler, die Soldaten von Exzessen zurückzuhalten. Doch blutige Vergeltungen waren ebenso unvermeidlich wie der Rückstoß nach dem Schuß. Jedenfalls hatten die Liberalen keinen anderen Grund, die Februarrevolution unblutig zu nennen, als den, daß sie ihnen die Macht gebracht hatte.
Einige Offiziere verstanden es, scharfe Konflikte heraufzubeschwören, der roten Schleifen wegen. die in den Augen der Soldaten das Symbol des Bruches mit der Vergangenheit waren. Aus diesem Anlaß wurde der Kommandeur des Sumaer Regiments getötet. Ein Korpskommandeur, der die neu eingetroffenen Reserven aufgefordert hatte, die roten Schleifen abzunehmen, wurde von den Soldaten verhaftet und auf die Hauptwache gebracht. Nicht wenige Zusammenstöße gab es auch wegen der Zarenporträts, die man aus den öffentlichen Räumen nicht entfernte. War das Ergebenheit für die Monarchie? In den meisten Fällen nur Unglaube an den Bestand der Revolution und persönliche Rückversicherung. Die Soldaten aber sahen nicht ohne Grund hinter den Porträts das lauernde Gespenst des alten Regimes.
Nicht überlegte Maßnahmen von oben, sondern stürmische Bewegungen von unten begründeten das neue Regime in der Armee. Die Disziplinargewalt der Offiziere war weder abgeschafft noch eingeschränkt; sie erledigte sich im Laufe der ersten Märzwochen einfach von selbst. „Es war klar“, sagt der Stabschef der Schwarzmeerflotte, „hätte ein Offizier es unternommen, einem Matrosen eine Disziplinarstrafe aufzuerlegen, es wären keine Kräfte vorhanden gewesen, diese Strafe durchzuführen.“ Darin besteht eines der Merkmale einer wahren Volksrevolution.
Mit dem Wegfall der Disziplinargewalt offenbarte sich unverhüllt die praktische Unzulänglichkeit der Offiziere. Stankewitsch, dem man weder Beobachtungsgabe noch Interesse für das Kriegshandwerk absprechen kann, gibt auch in dieser Hinsicht ein vernichtendes Urteil über den Kommandobestand: die Ausbildung vollzog sich immer noch nach den alten Statuten, die den Erfordernissen des Krieges absolut nicht entsprachen. „Solche Übungen waren nur Proben auf Geduld und Gehorsam der Soldaten.“ Die Offiziere waren selbstverständlich bestrebt, die Schuld für die eigene Unzulänglichkeit auf die Revolution abzuwälzen.
Mit erbarmungsloser Abrechnung schnell bei der Hand, neigten die Soldaten auch leicht zu kindlicher Vertrauensseligkeit und selbstaufopfernder Dankbarkeit. Für einen flüchtigen Augenblick erschien der Deputierte Filonenko, Geistlicher und Liberaler, den Frontsoldaten als Träger der Befreiungsideen und Seelenhirte der Revolution. Alte kirchliche Vorstellungen vermischten sich wundersam mit dem neuen Glauben. Die Soldaten trugen den Geistlichen auf Händen, hoben ihn hoch über die Köpfe, setzten ihn behutsam in den Schlitten, und er durfte später, vor Begeisterung sich überschlagend, in der Duma berichten: „Wir konnten nicht voneinander Abschied nehmen. Sie küßten uns Hände und Füße:“ Dem Deputierten schien es, als genieße die Duma bei der Armee ungeheure Autorität. In Wirklichkeit besaß Autorität die Revolution, und sie war es, die ihren blendenden Abglanz auf einzelne zufällige Figuren warf.
Die symbolische Säuberung, die Gutschkow an den Spitzen der Armee vorgenommen hatte – Absetzung einiger Dutzend Generale –, konnte die Soldaten nicht befriedigen und erzeugte gleichzeitig unter den höheren Offizieren einen Zustand der Unsicherheit. Jeder fürchtete, sich nicht zu bewähren, die Mehrzahl schwamm mit der Strömung, versuchte, sich einzuschmeicheln, – und machte die Faust in der Tasche. Noch schlimmer war es um den mittleren und den unteren Offiziersstand bestellt, der mit den Soldaten von Angesicht zu Angesicht zu tun hatte. Hier fand eine Säuberung seitens der Regierung überhaupt nicht statt. Auf der Suche nach legalen Wegen schrieben die Artilleristen einer Frontbatterie an das Exekutivkomitee und die Reichsduma über ihren Kommandeur: „Brüder ... wir bitten ergebenst unseren inneren Feind Wantschechasa zu entfernen.“ Da sie keine Antwort bekamen, gingen die Soldaten in der Regel mit eigenen Mitteln vor: Gehorsamsverweigerung, Hinausdrängung, sogar Verhaftungen. Erst dann schreckte die Behörde auf, entfernte die Verhafteten, versuchte manchmal, auch die Soldaten zu bestrafen, häufiger ließ sie sie straflos, um die Sache nicht noch mehr zu verwickeln. Das schuf eine unerträgliche Lage für die Offiziere, ohne Klarheit in die Lage der Soldaten zu bringen.
Sogar viele aktive Offiziere, die das Schicksal der Armee ernst nahmen, betonten die Notwendigkeit einer Generalsäuberung des Kommandobestandes: anders war, nach ihrer Versicherung, eine Erneuerung der Kampffähigkeit der Truppenteile undenkbar. Die Soldaten brachten den Dumadeputierten nicht weniger überzeugende Argumente vor. Waren sie früher beleidigt worden, so mußten sie bei den Vorgesetzten Beschwerde führen, die gewöhnlich unbeachtet blieb. Was wäre jetzt zu tun? Es seien doch die alten Vorgesetzten geblieben, und auch das Schicksal der Beschwerden werde also das alte bleiben. „Diese Frage war sehr schwer zu beantworten“, gesteht ein Deputierter. Indes umfaßte diese einfache Frage das ganze Schicksal der Armee und bestimmte deren Zukunft voraus.
Man darf sich die Wechselbeziehungen in der Armee nicht als einheitlich auf dem gesamten Territorium des Landes, bei allen Waffengattungen und Truppenteilen, vorstellen. Nein, die Mannigfaltigkeit war sehr beträchtlich. Reagierten die Matrosen der Baltischen Flotte bei der ersten Kunde von der Revolution mit einem Strafgericht an den Offizieren, so nahmen nebenan, in der Garnison von Helsingfors, die Offiziere noch Anfang April in den Soldatensowjets leitende Positionen ein, und bei Paraden trat hier im Namen der Sozialrevolutionäre ein achtunggebietender General auf. Solche Gegensätze von Haß und Vertrauensseligkeit gab es nicht wenige. Aber dennoch bildete die Armee ein System verbundener Gefäße, und die politischen Stimmungen der Soldaten und Matrosen gravitierten nach einer Ebene.
Die Disziplin hielt sich noch einigermaßen aufrecht, solange die Soldaten mit schnellen und entschiedenen Maßnahmen rechneten. „Als aber die Soldaten sahen, daß – nach den Worten eines Frontdelegierten – alles beim alten blieb, das alte Joch, Sklaverei und Finsternis, der alte Hohn, – begannen Unruhen.“ Die Natur, die nicht darauf verfallen ist, die Mehrzahl der Menschheit mit Buckeln zu versorgen, hat zum Unglück die Soldaten mit einem Nervensystem versehen. Revolutionen dienen dazu, von Zeit zu Zeit an dieses doppelte Verfehlen zu erinnern.
Wie an der Front, führten auch im Hinterlande zufällige Anlässe leicht zu Konflikten. Den Soldaten war „gleich allen anderen Bürgern“ das Recht des freien Besuches von Theatern, Versammlungen, Konzerten usw. eingeräumt worden. Viele Soldaten deuteten das als Recht unentgeltlichen Theaterbesuches. Der Minister setzte ihnen auseinander, daß man die „Freiheit“ im bildlichen Sinne verstehen müsse. Aufständische Volksmassen jedoch haben noch niemals Neigung zu Platonismus oder Kantianismus bewiesen.
Das abgenutzte Gewebe der Disziplin zerriß erst allmählich, zu verschiedenen Zeitpunkten, in verschiedenen Garnisonen und verschiedenen Truppenteilen. Dem Kommandeur schien nicht selten, in seinem Regiment oder in seiner Division sei alles wohlbestellt gewesen bis zur Ankunft der Zeitungen oder eines Agitators von außen. In Wirklichkeit vollzog sich eine Arbeit tiefschürfender und unabwendbarer Kräfte.
Der liberale Deputierte Januschkewitsch brachte von der Front die Verallgemeinerung mit, die Desorganisation zeige sich am stärksten in den „grünen“ Truppenteilen dort, wo es Bauern gäbe. „In den revolutionären Truppenteilen kommt man mit den Offizieren sehr gut aus.“ In der Tat hielt sich die Disziplin am längsten auf den zwei Polen: bei der privilegierten Kavallerie, bestehend aus wohlhabenderen Bauern, und bei der Artillerie, überhaupt bei den technischen Truppen, mit einem hohen Prozentsatz von Arbeitern und Intellektuellen. Am längsten widerstanden die Kosaken, – Bodenbesitzer, die vor der Agrarrevolution, bei welcher die Mehrzahl von ihnen nur verlieren, nicht aber gewinnen konnte, Angst hatten. Einzelne Kosakentruppenteile haben auch nach der Umwälzung mehr als einmal Unterdrückungsarbeit geleistet. Im allgemeinen aber bestand der ganze Unterschied nur im Tempo und in den Fristen der Zersetzung.
Der dumpfe Kampf hatte seine Fluten und Ebben. Die Offiziere versuchten, sich anzupassen. Die Soldaten begannen, wieder abzuwarten. Doch durch die vorübergehenden Milderungen, durch die Tage und Wochen der Kampfpause erreichte der soziale Haß, der die Armee des alten Regimes zersetzte, immer höhere Spannung. Immer häufiger zuckte er in tragischem Wetterleuchten auf. In Moskau fand in einem Zirkus eine Versammlung von Kriegsinvaliden, Soldaten und Offizieren statt. Der Redner, ein Krüppel, sprach von der Tribüne herab scharf für die Offiziere. Da erhob sich ein Protestlärm, Poltern mit Füßen, Stöcken und Krücken. „Ist es denn lange her, ihr Herren Offiziere, daß ihr die Soldaten mit Ruten und Fäusten gedemütigt habt?“ Verwundete, verkrüppelte Menschen standen wie eine Wand gegeneinander, verstümmelte Soldaten gegen verstümmelte Offiziere, Mehrheit gegen Minderheit, Krücken gegen Krücken. Diese wie ein Alpdruck wirkende Szene in der Arena des Zirkus enthielt bereits die künftige Wildheit des Bürgerkrieges.
Über allen Beziehungen und Widersprüchen in der Armee wie im Lande schwebte die eine Frage, die man mit dem kurzen Wort Krieg bezeichnete. Vom Baltischen bis zum Schwarzen Meer, vom Schwarzen bis zum Kaspischen, und weiter in das Innere Persiens, auf der unübersehbaren Front, standen 68 Infanterie- und 9 Kavalleriekorps. Was sollte mit ihnen nun werden? Was mit dem Kriege?
Auf dem Gebiete der Kriegsausrüstung war die Armee zu Beginn der Revolution bedeutend gefestigt worden. Die einheimische Produktion für den Kriegsbedarf war gestiegen, gleichzeitig hatte sich über Murmansk und Archangelsk die Zufuhr an Kriegsmaterial seitens der Alliierten verstärkt, besonders für die Artillerie. Gewehre, Kanonen und Geschosse gab es in unvergleichlich größerer Zahl als in den ersten Kriegsjahren. Man ging an die Zusammenstellung von neuen Infanteriedivisionen. Die Elitetruppen wurden erweitert. Aus diesem Grund versuchten einige der verkrachten Feldherren später den Nachweis zu führen, daß Rußland am Vorabend des Sieges gestanden und nur die Revolution ihn verhindert habe. Zwölf Jahre vorher hatten Kuropatkin und Linewitsch mit der gleichen Begründung behauptet, Witte habe sie gehindert, die Japaner zu zertrümmern. In Wirklichkeit war Rußland zu Beginn des Jahres 1917 von einem Siege weiter entfernt als je. Neben der gesteigerten Kriegsausrüstung zeigte sieh Ende 1916 bei der Armee scharfer Mangel an Lebensmitteln; Typhus und Skorbut verschlangen mehr Opfer als die Schlachten. Die Zerrüttung des Transports erschwerte immer stärker die Truppenverschiebungen, und das allein schon machte strategische Kombinationen zunichte, die mit bedeutenden Umgruppierungen der Truppenmassen verbunden waren. Schließlich verurteilte der große Mangel an Pferden die Artillerie oft zum Stillstand. Doch lag die Hauptsache nicht darin: hoffnungslos war der moralische Zustand der Armee. Man kann ihn so formulieren: die Armee als Armee gab es nicht mehr. Niederlagen, Rückzüge, Abscheulichkeiten der Regierenden hatten den Geist der Truppen völlig erschüttert. Das war nicht durch administrative Maßnahmen gutzumachen, wie man auch nicht das Nervensystem des Landes verändern konnte. Der Soldat blickte jetzt auf den Haufen der Geschosse mit gleichem Ekel wie auf einen Haufen wurmigen Fleisches: all das schien ihm überflüssig, unbrauchbar, Betrug und Diebstahl. Der Offizier konnte ihm nichts Überzeugendes sagen und wagte nicht mehr, ihm die Zähne einzuschlagen. Der Offizier wähnte sich selbst vom oberen Kommando betrogen und fühlte sich gleichzeitig nicht selten für die Oberen vor dem Soldaten verantwortlich. Die Armee war unheilbar krank. Sie war noch fähig, in der Revolution ihr Wort zu sprechen. Für den Krieg aber existierte sie nicht mehr. Niemand glaubte an den Sieg, Offiziere so wenig wie Soldaten. Niemand mehr wollte kämpfen, weder die Armee; noch das Volk.
Allerdings sprach man noch in den hohen Kanzleien, wo man ein eigenes Leben lebte, automatisch von großen Operationen, in der Frühlingsoffensive, der Eroberung der türkischen Meerengen. In der Krim stellte man für diesen Zweck sogar ein großes Detachement zusammen. Offizielle Nachrichten besagten, für die Landung seien die besten Elemente der Armee ausersehen. Aus Petrograd schickte man Gardetruppen. Nach der Darstellung des Offiziers jedoch, der am 25. Februar, das heißt zwei Tage vor der Umwälzung, sie auszubilden begann, war das Reservematerial unter jeder Kritik. Nicht die geringste Kampflust war in diesen gleichgültigen blauen, braunen und grauen Augen ... „All ihre Gedanken und ihre Wünsche waren einzig und allein – Friede.“
Solche und ähnliche Zeugnisse gibt es nicht wenige. Die Revolution hat nur an den Tag gebracht, was vor ihr entstanden war. Die Parole „Nieder mit dem Krieg“ wurde deshalb eine der Hauptparolen der Februartage. Sie ging aus von den Frauendemonstrationen, von den Arbeitern des Wyborger Bezirks und den Gardekasernen.
Anfang März, bei den Rundreisen der Deputierten an der Front, wurde ihnen von Soldaten, besonders den älteren Jahrgängen, immer wieder die Frage gestellt: „Und was sagt man über den Boden?“ Die Deputierten antworteten ausweichend, die Bodenfrage werde in der Konstituierenden Versammlung gelöst werden. Doch da ertönte eine Stimme, die den geheimen Gedanken aller verriet: „Was Boden! Wenn ich nicht mehr da sein werde, brauche ich auch keinen Boden.“ Das war der Ausgangspunkt des Soldatenprogramms der Revolution: zuerst Frieden, dann Boden.
Auf der Allrussischen Sowjetkonferenz, Ende März, wo es nicht wenige patriotische Phrasen gab, berichtete ein Delegierter, der unmittelbar die Soldaten der Schützengräben vertrat, mit großer Aufrichtigkeit, wie die Front die Nachricht von der Revolution aufgenommen hatte: „Alle Soldaten sagten: Gott sei Dank, vielleicht wird es jetzt bald Frieden geben.“ Die Schützengräben beauftragten diesen Delegierten, der Konferenz mitzuteilen: „Wir sind bereit, unser Leben für die Freiheit hinzugeben, aber dennoch, Genossen, wollen wir das Ende des Krieges.“ Das war eine lebendige Stimme der Wirklichkeit, besonders in der zweiten Hälfte der Botschaft. „Gedulden, – wir wollen’s schon ein wenig, aber, daß die oben sich mit dem Frieden beeilen!“
Die zaristischen Truppen in Frankreich, das heißt in einer für sie völlig fremden Umgebung, waren von denselben Gefühlen bewegt und machten die gleichen Zersetzungsetappen durch wie die Armee in der Heimat. „Als wir hörten, daß der Zar abgedankt habe“, erklärte in der Fremde ein älterer Soldat, ein bäuerlicher Analphabet, einem Offizier, „so dachten wir uns gleich, nun heißt es auch Schluß mit dem Kriege ... hat uns doch der Zar in den Krieg geschickt ... Was nützt mir Freiheit, wenn ich weiter in den Schützengräben faulen muß?“ Diese echte Soldatenphilosophie ist nicht von außen hineingetragen worden: solche einfache und überzeugende Worte kann kein Agitator ausdenken.
Die Liberalen und die halbliberalen Sozialisten versuchten nachträglich, die Revolution als einen patriotischen Aufstand darzustellen. Am 11. März erklärte Miljukow französischen Journalisten: „Die Russische Revolution wurde gemacht, um die Hindernisse, die auf dem Wege zum Siege Rußlands standen, zu beseitigen.“ Hier geht Heuchelei Hand in Hand mit Selbstbetrug, obwohl, wie man annehmen kann, dabei immerhin die Heuchelei größer ist. Aufrichtige Reaktionäre sahen klarer. Von Struve, Panslawist deutscher Abstammung, rechtgläubiger Lutheraner und Monarchist marxistischer Herkunft, bezeichnete, wenn auch in der Sprache reaktionären Hasses, so doch genauer die wahren Quellen der Umwälzung. „Soweit an der Revolution Volksmassen, besonders Soldatenmassen beteiligt waren“, schrieb er, „war sie kein patriotischer Ausbruch, sondern eine eigenmächtige pogromartige Demobilisierung und direkt gegen die Fortsetzung des Krieges gerichtet, das heißt, sie wurde des Kriegsabbruchs wegen unternommen.“
Neben einem richtigen Gedanken enthalten diese Worte jedoch auch eine Verleumdung. Die pogromartige Demobilisierung erwuchs in Wirklichkeit aus dem Kriege selbst. Die Revolution hat sie nicht geschaffen, sondern im Gegenteil sogar unterbrochen. Die am Vorabend der Revolution außerordentlich häufige Desertion ließ in den ersten Wochen nach der Umwälzung nach. Die Armee wartete ab. In der Hoffnung, die Revolution werde Frieden bringen, war der Soldat bereit, die Front mit seiner Schulter noch zu stützen: andernfalls könnte ja die neue Regierung auch den Frieden nicht schließen.
„Die Soldaten äußern die bestimmte Ansicht“, berichtet am 23. März der Chef einer Grenadierdivision, „daß wir uns nur verteidigen, nicht aber angreifen können.“ Militärische Rapporte und politische Berichte wiederholen diesen Gedanken in verschiedenen Variationen. Der Fähnrich Krylenko, ein alter Revolutionär und später Oberstkommandierender bei den Bolschewiki, bezeugt, daß die Soldaten in jener Zeit die Frage des Krieges durch die Formel lösten: „Die Front halten, keinen Angriff unternehmen.“ In einer feierlichen, aber völlig aufrichtigen Sprache hieß das auch, die Freiheit verteidigen.
„Man darf die Bajonette nicht in die Erde stecken!“ Unter dem Einfluß verworrener und widerspruchsvoller Stimmungen weigerten sich die Soldaten in jener Zeit nicht selten, die Bolschewiki auch nur anzuhören. Sie glaubten, vielleicht unter dem Einfluß einzelner ungeschickter Reden, die Bolschewiki kümmerten sich nicht um die Verteidigung der Revolution und könnten die Regierung hindern, Frieden zu schließen. Darin bekräftigten die sozialpatriotischen Zeitungen und Agitatoren sie immer mehr. Aber wenn sie auch mitunter die Bolschewiki am Sprechen hinderten, lehnten die Soldaten doch von den ersten Tagen der Revolution an jeden Gedanken an eine Offensive entschieden ab. Den Hauptstadtpolitikern erschien dies als eine Art Mißverständnis, das man durch gebührenden Druck auf die Soldaten beseitigen könnte. Die Agitation für die Fortsetzung des Krieges wuchs in außerordentlichem Umfange an. Die bürgerliche Presse schilderte in Millionen von Exemplaren die Aufgaben der Revolution im Lichte des Krieges bis zum Siege. Die Versöhnler sangen bei dieser Agitation mit, anfangs leise, dann kühner. Der Einfluß der Bolschewiki, sehr schwach im Augenblick der Umwälzung, verkleinerte sich noch, als die Tausende Arbeiter, die wegen Streiks an die Front geschickt worden waren, die Reihen der Armee verließen. Das Streben nach Frieden fand auf diese Weise keinen offenen und klaren Ausdruck gerade dort, wo es am gespanntesten war. Den Kommandeuren und Kommissaren, die tröstende Illusionen suchten, ermöglichte diese Situation, sich über den wirklichen Stand der Dinge hinwegzutäuschen. In Artikeln und Reden aus jener Zeit gibt es häufig Behauptungen, die Soldaten verweigerten die Offensive angeblich ausschließlich aus falscher Deutung der Formel „ohne Annexionen und Kontributionen“ heraus. Die Versöhnler wurden nicht müde, zu beweisen, daß der Verteidigungskrieg den Angriff nicht ausschließe, ihn manchmal sogar erfordere. Als ob es um die Scholastik ging! Eine Offensive bedeutete Wiederaufnahme des Krieges. Das abwartende Halten der Front bedeutete Waffenstillstand. Die soldatische Theorie und Praxis des Verteidigungskrieges war die Form der stillschweigenden und späterhin auch offenen Verständigung mit den Deutschen: „Laßt uns in Ruhe, und wir werden euch in Ruhe lassen.“ Mehr vermochte die Armee dem Krieg schon nicht zu geben.
Die Soldaten fielen auf die kriegerischen Ermahnungen. um so weniger herein, als die reaktionären Offiziere unter dem Schein der Vorbereitung der Offensive sich offensichtlich bemühten, die Zügel stramm zu ziehen. Ein unter Soldaten üblicher Satz war: „Das Bajonett gegen den Deutschen, den Kolben gegen den inneren Feind.“ Das Bajonett bedeutete hier jedenfalls die Verteidigung. An die Meerengen dachten die Soldaten in den Schützengräben nicht. Die Friedenssehnsucht bildete eine mächtige, unterirdische Strömung, die bald nach außen dringen sollte.
Ohne zu leugnen, daß in der Armee schon vor der Revolution negative Erscheinungen „beobachtet“ worden waren, versuchte Miljukow dennoch längere Zeit nach der Umwälzung zu behaupten, die Armee wäre fähig gewesen, die ihr von der Entente vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen. „Die bolschewistische Propaganda“, schrieb er in der Eigenschaft eines Historikers, „drang nicht sogleich an die Front. Den ersten Monat oder die ersten anderthalb Monate nach der Revolution blieb die Armee gesund.“ Die ganze Frage wird in der Ebene der Propaganda betrachtet, als wäre mit dieser der historische Prozeß erschöpft. Unter dem Schein des verspäteten Kampfes gegen die Bolschewiki, denen er eine mystische Kraft zuschreibt, führt Miljukow einen Kampf gegen Tatsachen. Wir haben bereits gesehen, wie es mit der Armee in Wirklichkeit bestellt war. Jetzt wollen wir sehen, wie die Kommandeure selbst ihre Kampffähigkeit in den ersten Wochen und sogar Tagen nach der Umwälzung einschätzten.
Am 6. März teilt der Oberstkommandierende der Nordfront, General Russki, dem Exekutivkomitee mit, die Soldaten verweigerten den Vorgesetzten vollständig den Gehorsam; die Ankunft populärer Führer an der Front sei unbedingt notwendig, um irgendwie Beruhigung in die Armee zu bringen.
Der Chef des Stabes der Schwarzmeerflotte erzählt in seinen Erinnerungen: „Seit den ersten Tagen der Revolution war es mir klar geworden, daß man den Krieg nicht weiterführen könne, daß er verloren sei.“ Der gleichen Ansicht war, nach seinen Worten, auch Koltschak, und wenn er im Amte des Frontkommandierenden verblieb, so nur, um die Offiziere gegen Gewalttaten zu schützen.
Graf Ignatjew, der einen hohen Kommandoposten bei der Garde innehatte, schrieb im März an Nabokow: Man muß sich klar Rechenschaft darüber geben, daß der Krieg zu Ende ist, daß wir nicht mehr kämpfen können und nicht kämpfen werden. Kluge Männer müßten ein Mittel ersinnen, den Krieg schmerzlos zu liquidieren, andernfalls naht eine Katastrophe ... Gutschkow sagte damals zu Nabokow, er erhalte Briefe solcher Art in Massen.
Einzelne, sehr seltene, äußerlich günstigere Urteile werden in der Regel durch ergänzende Erklärungen umgestoßen. „Der Wunsch der Truppe nach einem Sieg ist geblieben“, berichtet der Kommandierende der 2. Armee, Danilow, „bei einzelnen Truppenteilen sogar gewachsen.“ Aber er vermerkt sogleich: „Die Disziplin ist gesunken ... Es ist wünschenswert, Offensivaktionen so lange zu vertagen, bis die zugespitzte Situation vorüber sein wird (1–3 Monate).“ Danach ein überraschender Nachtrag: „Von dem Nachschub kommen nur 50 Prozent an; wenn sie weiter so hinschmelzen und sich so undiszipliniert benehmen sollten, ist mit einer erfolgreichen Offensive nicht zu rechnen.“
„Zu Defensivaktionen ist die Division durchaus fähig“, meldet der wackere Befehlshaber der 51. Infanteriedivision – und fügt sofort hinzu: „Es ist unbedingt notwendig, die Armee von dem Einfluß der Soldaten- und Arbeiterdeputierten zu befreien.“ Das jedoch war nicht so einfach!
Der Befehlshaber der 182. Division meldete dem Korpskommandeur: „Mit jedem Tag entstehen immer häufiger Mißverständnisse, eigentlich wegen Nichtigkeiten, aber bedrohlichen Charakters; die Soldaten, und noch mehr die Offiziere, werden immer nervöser gemacht.“
Hier handelt es sich noch immer um vereinzelte, wenn auch zahlreiche Zeugnisse. Aber am 18. März fand im Hauptquartier eine Beratung der höheren Kommandos über den Zustand der Armee statt. Die Schlußfolgerungen der zentralen Verwaltungen stimmten überein. „Die Mannschaftsauffüllung durch Abgabe der nötigen Zahl an die Front ist in den nächsten Monaten unmöglich, denn bei allen Reservetruppenteilen herrscht Gärung. Die Armee macht eine Krankheit durch. Die Beziehungen zwischen Offizieren und Soldaten in Ordnung zu bringen, wird wahrscheinlich erst in zwei bis drei Monaten gelingen. (Die Generale begreifen nicht, daß die Krankheit nur noch fortschreiten wird.) Gegenwärtig bemerkt man ein Sinken des Mutes bei den Offizieren, Gärung bei den Truppen, beträchtliche Desertionen. Die Schlagfähigkeit der Armee ist gemindert, und es ist schwer damit zu rechnen, daß die Truppen in dieser Zeit vorwärtsgehen würden.“ Schlußfolgerung: „Heute die für den Frühling vorgemerkten aktiven Operationen durchzuführen, ist unmöglich.“
In den folgenden Wochen verschlimmert sich die Lage schnell, wofür sich die Beweise endlos mehren.
Ende März schreibt der Kommandierende der 5. Armee, General Dragomirow, an General Russki: „Die Kampfstimmung ist gesunken. Den Soldaten fehlt nicht nur jede Lust zum Angriff, sondern auch das einfache Ausharren in der Verteidigung ist bis zu einem Grade hinabgemindert, der den Ausgang des Krieges bedroht ... Die Politik, die alle Schichten der Armee breit erfaßt hat, ... zwingt die Masse der Truppen nur das eine zu wünschen – Abbruch des Krieges und Heimkehr.“
General Lukomski, eine der Stützen des reaktionären Hauptquartiers, sattelte, unzufrieden mit der neuen Ordnung, zu Beginn der Revolution zum Korpskommandeur um und fand, nach seinem Bericht, daß die Disziplin sich nur noch bei den Artillerie- und den Elitetruppen hielte, in denen es viel Kaderoffiziere und -soldaten gab. „Was die drei Infanteriedivisionen betrifft, so waren sie auf dem Wege zum völligen Zerfall.“
Die Desertion, die unter dem Einfluß der Hoffnungen nach dem Umsturz abgenommen hatte, nahm unter dem Einfluß der Enttäuschung wieder zu. In einer Woche, vom 1. bis zum 7. April, desertierten, nach den Mitteilungen General Alexejews, etwa 8.000 Soldaten der Nord- und Westfront. „Mit großem Erstaunen“, schrieb er an Gutschkow, „lese ich die Berichte unverantwortlicher Männer über die „vorzügliche“ Stimmung in der Armee. Wozu? Die Deutschen werden wir nicht täuschen, und für uns ist es ein verhängnisvoller Selbstbetrug.“
Man muß sich merken, daß es vorläufig noch nirgendwo einen Hinweis auf die Bolschewiki gibt: die Mehrzahl der Offiziere hatte sich kaum diesen seltsamen Namen gemerkt. Ist in den Rapporten von den Ursachen der Zersetzung in der Armee die Rede, so nennt man Zeitungen, Agitatoren, Sowjets, die „Politik“ überhaupt, mit einem Wort, die Februarrevolution.
Man begegnet noch einzelnen optimistischen Befehlshabern, die da hoffen, es werde noch alles gut werden. Es gab allerdings mehr solche, die absichtlich die Augen vor den Tatsachen verschlossen, um der neuen Macht keine Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wie auch umgekehrt eine bedeutende Zahl der Kommandeure, besonders der höheren, bewußt die Anzeichen des Zerfalls übertrieb, um von der Regierung entschiedene Maßnahmen zu erreichen, die sie aber selbst nicht bei Namen nennen konnten oder wollten. Das wesentliche Bild bleibt unbestritten. Die Umwälzung fand eine kranke Armee vor und kleidete den Prozeß ihres unabwendbaren Zerfalls in politische Formen, die mit jeder Woche eine immer unbarmherzigere Deutlichkeit bekamen. Die Revolution steigerte nicht nur die leidenschaftliche Sehnsucht nach Frieden auf höchste, sondern auch den Haß der Soldatenmasse gegen den Kommandobestand und die herrschenden Klassen überhaupt.
Mitte April erstattete Alexejew persönlich der Regierung Bericht über die Stimmung der Armee, wobei er sichtlich mit Farben nicht sparte. „Ich erinnere mich gut“, schreibt Nabokow, „welches Gefühl des Grauens und der Hoffnungslosigkeit mich erfaßte.“ Es ist anzunehmen, daß bei dieser Berichterstattung, die sich ja nur auf die ersten 6 Wochen nach der Revolution beziehen kann, auch Miljukow anwesend war; es ist sehr wahrscheinlich, daß gerade er Alexejew auftreten ließ, um seinen Kollegen und durch sie den sozialistischen Freunden Angst einzujagen. Gutschkow hatte tatsächlich danach eine Unterredung mit Vertretern des Exekutivkomitees. „Es haben katastrophale Veränderungen begonnen“, klagte er. „Es sind Fälle von offenem Ungehorsam registriert worden. Befehle werden zuerst in Armeeorganisationen und auf offenen Meetings diskutiert. Von aktiven Operationen will man in solchen Truppenteilen nichts hören ... Wenn Menschen hoffen, es werde morgen Frieden sein“, sagte nicht unberechtigt Gutschkow, „dann kann man nicht erwarten, daß sie heute geneigt sein werden, ihren Kopf zu lassen.“ Daraus zog der Kriegsminister die Schlußfolgerung: „Man muß aufhören, laut vom Frieden zu sprechen.“ Da aber gerade die Revolution die Menschen gelehrt hat, laut auszusprechen, was sie früher nur für sich gedacht, so bedeutet das: man muß die Revolution ersticken.
Der Soldat hatte freilich auch am ersten Kriegstage weder sterben noch kämpfen wollen. Aber er hatte es ebenso nicht gewollt, das Artilleriepferd ein schweres Geschütz nicht durch den Morast ziehen will. So wenig wie das Pferd hatte er gedacht, sich der ihm aufgebürdeten Last entledigen zu können. Zwischen seinem Willen und den Kriegsereignissen bestand keine Beziehung. Die Revolution hatte ihm diese Beziehung eröffnet. Für Millionen von Soldaten bedeutete sie das Recht auf ein besseres Leben, vor allem das Recht auf Leben überhaupt, das Recht, sein Leben vor Kugeln und Geschossen zu schützen und gleichzeitig auch sein Gesicht vor der Offiziersfaust. In diesem Sinne ist auch oben gesagt, daß der grundlegende psychologische Prozeß in der Armee im Erwachen der Persönlichkeit bestand. In dem vulkanischen Ausbruch des Individualismus, der nicht selten anarchische Formen annahm, sahen die gebildeten Klassen Verrat an der Nation. Während sich in Wirklichkeit die Nation in dem stürmischen Auftreten der Soldaten, in ihren ungezähmten Protesten, sogar in ihren blutigen Exzessen aus dem rohen unpersönlichen prähistorischen Material erst formierte. Die der Bourgeoisie so verhaßte Überschwemmung des Massenindividualismus war durch den Charakter der Februarrevolution hervorgerufen worden, und zwar als einer bürgerlichen Revolution.
Doch das war nicht ihr einziger Inhalt. Denn außer dem Bauern und seinem Sohn, dem Soldaten, war auch der Arbeiter an der Revolution beteiligt. Er fühlte sich längst als Persönlichkeit, ging in den Krieg nicht nur mit Haß gegen diesen, sondern auch mit dem Gedanken des Kampfes gegen ihn, und die Revolution bedeutete für den Arbeiter nicht nur die nackte Tatsache des Sieges, sondern auch den teilweisen Triumph seiner Ideen. Die Niederwerfung der Monarchie war für ihn nur die erste Stufe, und er hielt sich bei ihr nicht auf, anderen Zielen zueilend. Für ihn bestand die ganze Frage darin, wie weit Soldat und Bauer ihn unterstützen werden. „Was nützt mir Boden, wenn ich nicht mehr sein werde?“ fragte der Soldat. „Was nützt mir Freiheit“, sprach er dem Arbeiter nach, vor den für ihn verschlossenen Türen des Theaters, „wenn die Schlüssel zur Freiheit bei den Herren sind?“ So leuchteten durch das unübersichtliche Chaos der Februarrevolution hindurch bereits die stählernen Umrisse des Oktobers.
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Zuletzt aktualisiert am 15.10.2003