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Die Vereinigung zweier zu verschiedener Zeit erschienenen Bücher – Terrorismus und Kommunismus und Zwischen Imperialismus und Revolution – im vorliegenden Bande wird dadurch gerechtfertigt, daß beide Bücher ein und demselben Grundthema gewidmet sind, wobei das letztere, das im Namen eines selbständigen Zweckes – der Verteidigung unserer Politik in bezug auf das menschewistische Georgien – geschrieben wurde, zugleich nur eine konkretere Illustration der Hauptthesen des ersten Buches an einem historischen Einzelbeispiel ist.
In beiden Arbeiten sind die Grundfragen der Revolution eng mit den brennendsten politischen Tagesfragen, mit konkreten militärischen, politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen verknüpft. Ganz natürlich, ganz unvermeidlich sind hierbei zwei wichtige Unrichtigkeiten in den Bewertungen oder einzelne Verletzungen der Perspektive. Sie nachträglich zu korrigieren, wäre schon allein deshalb unrichtig, weil auch in den einzelnen Fehlern sich gewisse Etappen unserer Sowjetarbeit und des Parteidenkens widergespiegelt haben. Die Grundthesen des Buches behalten meines Erachtens auch heute noch ihre volle Kraft. Da in dem ersten Buch von den Methoden unserer wirtschaftlichen Aufbauarbeit in der Periode des Kriegskommunismus die Rede ist, riet ich dem Verlag, dieser Ausgabe in Form einer Beilage meinen Bericht auf dem IV. Kongreß der Kommunistischen Internationale über die neue ökonomische Politik der Sowjetmacht beizufügen. Auf diese Weise werden jene Kapitel des Buches Terrorismus und Kommunismus, die der Wirtschaft unter dem Gesichtswinkel unserer Erfahrung der Jahre 1919–1920 gewidmet sind, unter den erforderlichen Gesichtswinkel gestellt.
Beide hier vereinigten Bücher, die in erster Linie gegen die russischen Menschewiki und Sozialrevolutionäre gerichtet sind, haben, soviel ich weiß, von seiten derselben auch nicht im entferntesten eine theoretische Entgegnung gefunden. Und das ist auch nicht verwunderlich: die durch die Revolution außer Kurs gesetzten kleinbürgerlichen Parteien haben jedes Interesse für die theoretische Behandlung der Hauptfragen der Revolution verloren.
Was von diesen Parteien übrig geblieben ist, lebt von Insinuation, Verleumdung, kleinen Gaunereien, kleinlichem Lakaientum und Almosen.
Der deutsche Menschewismus, der über ein viel größeres historisches Beharrungsvermögen verfügt – die Dampfwalze der proletarischen Revolution ist noch nicht über sein Rückgrat hinweggerollt –, antwortete mit einer Reihe kritischer und polemischer Arbeiten, unter denen der gelehrte Wortschwall Kautskys, was hoffnungslose Banalität anbelangt, den ersten Platz einnimmt. Jene unter seinen Argumenten, die auch nur irgendwie für die revolutionäre Kritik von Nutzen waren, sind seinerzeit von dem Genossen Radek gebührend bewertet worden. Es liegt auch nicht der geringste Grund vor, hier auf diese Fragen zurückzukommen. Der deutsche Menschewismus ist ebenso wie der der ganzen Welt zum Untergang verurteilt, – er wird seinen Weg des Zerfalls und der Verwesung bis zu Ende gehen.
Das bedeutet jedoch durchaus nicht, daß wir auf theoretischem Gebiet auch weiterhin wie früher von den Zinsen des alten Kapitals leben können. Im Gegenteil. Die theoretische Bearbeitung der Fragen der Revolution – nicht nur ihrer Methoden (denen hauptsächlich das gegenwärtige Buch gewidmet ist), sondern auch ihrer materiellen Grundlagen – ist für uns gegenwärtig dringender und notwendiger als je. Was Kompliziertheit anbelangt, so findet die Epoche, in der wir jetzt leben, in der Vergangenheit nicht ihresgleichen. Die unmittelbaren revolutionären Perspektiven, wie sie sich vor uns in den Jahren 1918 – 1920 erhoben, sind gleichsam in die Feme gerückt, der Kampf der sozialen Hauptmächte hat einen langwierigen Charakter angenommen, während zu gleicher Zeit die unterirdischen Stöße auch nicht für einen Augenblick aufhören und bald mit einer militärischen, bald mit einer klassenmäßigen, bald mit einer nationalen Explosion drohen. Die angespannte theoretische Arbeit des revolutionären Denkens an der Klärung und Bewertung der inneren Kräfte des weltgeschichtlichen Prozesses und ihrer nicht selten widerspruchsvollen Tendenzen ist eine Bürgschaft vor allem für die prinzipielle und aktive Selbsterhaltung der kommunistischen Partei und eine Bürgschaft ihres Sieges.
Die Umwandlung der revolutionären Parteien findet unmerklich statt, tritt aber katastrophal zutage. Die deutsche Sozialdemokratie trat unter der Führung Wilhelm Liebknechts und August Bebels durchaus nicht mit jenen Gefühlen und Gedanken ins Leben, mit denen sie 50 Jahre später unter der Leitung Scheidemanns und Eberts in den Weltkrieg eintrat. Die Generationen haben sich im Laufe des halben Jahrhunderts allmählich erneuert, und was für die Alten nur etwas Zeitweiliges und Vereinzeltes war, lagerte sich im Bewußtsein der Jungen als Grundlage ab. Der geringwertige Praktizismus der Jungen beeinflußte seinerseits auch die Alten, indem er die Partei immer tiefer und tiefer vom revolutionären Standpunkt hinabdrängte. Die erste russische Revolution (1905) spiegelte sich in Deutschland vor allem dadurch wider, daß sie den automatischen Prozeß des Niederganges der Partei unterbrach, indem sie bei dem besten Teil der jungen Generation einen Aufschwung der revolutionären Stimmungen und – wie immer, gleichzeitig! – der theoretischen Interessen hervorrief. Von dieser Quelle nährten sich die Elemente des radikalen Flügels der deutschen Sozialdemokratie und später die Spartakusleute. Aber im ganzen trat die Partei W. Liebknechts und A. Bebels dem Krieg und der Revolution gänzlich umgewandelt entgegen und erhob den Henker Noske auf ihren Schild.
Die heute von der Kommunistischen Internationale durchgeführte Taktik der Einheitsfront und des Kampfes für die Uebergangsforderungen ist die notwendige Politik für die kommunistischen Parteien der bürgerlichen Staaten in der heutigen vorbereitenden Periode. Aber man darf die Augen nicht demgegenüber verschließen, daß diese Politik zugleich zweifellos die Gefahren der Versimpelung und sogar der vollständigen Entartung der kommunistischen Parteien in sich birgt, wenn einerseits die vorbereitende Periode sich zu sehr in die Länge zieht und wenn andererseits die tagtägliche Arbeit der westlichen Parteien nicht durch das aktive theoretische Denken befruchtet wird, das die Dynamik der historischen Hauptkräfte in vollem Umfange umfaßt.
Dieselbe Gefahr erhebt sich bis zu einem gewissen Grade auch vor unserer Partei, im Lande der proletarischen Diktatur. Unsere Arbeit spezialisiert sich notwendigerweise und geht in die Details. Die Fragen der staatlichen Sparsamkeit, der wissenschaftlichen Organisation der Arbeit, der Herabsetzung der Selbstkosten der Industrieprodukte, des Profits und der Akkumulation müssen gegenwärtig im Mittelpunkt des Parteilebens stehen. Ohne richtige, systematische Arbeit und ohne reale und dauerhafte Erfolge auf diesem Gebiet wird alles übrige verspätetes Agitatorentum, d. h. klägliches und banales Geschwätz sein. Andererseits aber würden selbst unsere zweifellosen wirtschaftlichen Erfolge die Partei zu schwächen und zu zerrütten drohen, indem sie in ihr engen Praktizismus, amtliche und geschäftliche Beschränktheit und Kleinkrämerei erzeugen würden, – wenn das theoretische Denken der Partei nicht nach wie vor immer neue und neue Positionen im Kampfe nehmen wird, indem es unsere ganze Arbeit durch richtige Weltorientierung und innere Orientierung befruchtet. Kurzsichtiger Praktizismus auf dem einen Pol, über die Oberfläche aller Fragen hingleitendes Agitatorentum am anderen – das sind die zwei unbestreitbaren Gefahren oder die zwei polaren Ausdrucksformen ein und derselben Gefahr, die uns auf unserem nicht leichten Wege warnen.
Diese Gefahr würde zu einer verhängnisvollen werden, wenn wir ein Durchbrechen der theoretischen Tradition der Partei zulassen würden. Auf dem Gebiet der materiellen Kultur sahen und sehen wir, wie schwer die Wiederherstellung ist, wenn die Kontinuität der Arbeit unterbrochen ist, – aber hier war die Unterbrechung unabwendbar, da sie aus der Natur des Klassenkampfes und seiner revolutionären Kulmination hervorging. Auf ideologischem Gebiet bedürfen wir als Partei am allerwenigsten der Revolution, im Gegenteil, die Aufrechterhaltung der geistigen Kontinuität ist gegenwärtig die gebieterische Forderung des revolutionären Denkens. Die Linie unserer weiteren theoretischen Entwicklung ist in genügendem Maße durch zwei Punkte im Reiche des Gedankens bestimmt: der eine von ihnen ist Marx, der andere – Lenin.
Die synthetische Erfassung der Situation auf Grund der materialistischen, tief bohrenden Analyse ihrer Grundelemente stellt das Wesen des Marxismus (mit dem Uebergewicht nach der Seite des historischen Voraussehens) und des Leninismus (mit dem Uebergewicht nach der Seite der aktivistischen Schlußfolgerungen) dar. Die Besonderheiten des einen und des anderen gehen nicht aus der Verschiedenheit der Methoden, sondern aus der Verschiedenheit der Epochen hervor. Den Leninismus kann man definieren als den in die Sprache der Epoche der imperialistischen Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft übersetzten Marxismus.
Obwohl Lenin als Theoretiker stets selbst verallgemeinerten Ausdruck dem verlieh, was der Politiker Lenin tat, so stellt doch – noch besser wäre es zu sagen, gerade deshalb – das theoretische Studium und die Verallgemeinerung der revolutionären Arbeit Lenins im Laufe eines Dritteljahrhunderts eine selbständige und ungeheure Aufgabe dar, deren Bearbeitung schon an und für sich zu einer Schule für die Theoretiker der Partei der neuen Generation werden kann und muß. Von diesem Standpunkt betrachtet ist die Schöpfung unserer Moskauer Parteiorganisation, das Lenin-Institut, schon an und für sich ein Unternehmen von erster Wichtigkeit. Die ganze Partei muß hier Moskau zu Hilfe kommen, denn die ganze Partei wird in Zukunft ihren geistigen Durst aus dieser Quelle stillen ...
Die kapitalistische Gesellschaft liegt in der Agonie. Aber ihre Agonie hat einen langwierigen Charakter angenommen, in Uebereinstimmung mit der mächtigen Lebenszähigkeit ihres Organismus. Wir sehen, wie nach den verzweifelten Nachkriegskrämpfen eine relative „Beruhigung“ eintritt, wie sich zwischen den Lebensfunktionen des kapitalistischen Organismus so etwas wie ein Gleichgewicht einstellt, wie die revolutionären Perspektiven gewissermaßen verschwommen werden und verblassen, wie die Bourgeoisie von Hochmut erfüllt wird und auf ihrem schwächsten, dem Apenninischen Territorium, die Diktatur eines Narren errichtet. Am Maßstabe des großen historischen Voraussehens gemessen, bleibt ein Narr – ein Narr. Für den heutigen revolutionären Kampf aber ist ein mit dem Apparat eines imperialistischen Staates bewaffneter Narr – ein großer politischer Faktor. Auf diesem kurzen Abschnitt – zwischen der blutigen Diktatur des Imperialismus und der Narrenmaske eines Harlekins und Charlatans – bringt die Geschichte die ganze Mannigfaltigkeit der Mittel und Methoden der abgewirtschafteten Ausbeuterklasse unter. Unsere Zeit ist stets überraschungsschwanger: eine blutige Drohung kann stets mit einer Narrenposse enden, aber die Narrheit der imperialistischen Bourgeoisie ist stets mit blutigen Verbrechen schwanger.
Die heutige, sich in die Länge ziehende Epoche birgt in sich die Möglichkeit schroffer Durchbrechungen des Tempos und tiefer Erschütterungen. Unsere nüchterne, vorsichtige, abwägende Politik muß darum die Fähigkeit, schroffe Wendungen zu machen, beibehalten. Andernfalls könnte eine neue revolutionäre Welle, indem sie die kommunistische Partei überrascht, diese aus dem Gleichgewicht werfen. Das aber würde fast mit Sicherheit eine neue Niederlage der Revolution bedeuten. Angespannte theoretische Arbeit der Partei, die das Gestern mit dem Morgen verbindet, ist die notwendige Voraussetzung dafür, daß die Partei ihre Fähigkeit bewahrt, schroffe Wendungen zu machen.
Von den Fragen der „Politik“ im engen Sinne des Wortes muß die theoretische Aufmerksamkeit der Partei von neuem tiefer zu den Fragen der Oekonomik hinabsteigen – zu der Oekonomik nicht nur unserer Sowjetwirtschaft, sondern auch des kapitalistischen Weltmarktes. In diesem historischen Hauptlaboratorium findet gegenwärtig eine Umgruppierung und Vorbereitung der Streitkräfte für eine neue Epoche des offenen Bürgerkrieges statt. Schon der III. Kongreß der Kommunistischen Internationale hat – sobald sich die Veränderungen des Entwicklungstempos bemerkbar machten – den Stäben der kommunistischen Parteien die Notwendigkeit in Erinnerung gebracht, zur Feststellung des weiteren Weges mit dem Seziermesser der Analyse tiefer einzudringen. Wenn damals einige Genossen dazu neigten, hierin fast „Oekonomismus“ (!) zu sehen, so wird heute eine solche Bewertung wohl kaum bei irgend jemandem Unterstützung finden. In seinem Bericht über die Lage der Kommunistischen Internationale auf dem XII. Kongreß unserer Partei hat der Genosse Bucharin der Analyse des ökonomischen Zustandes der wichtigsten Länder viel Platz eingeräumt, und das war kein Zufall. Die Zeit der summarischen revolutionären Verallgemeinerungen ist vorüber. Sie wird von neuem beginnen, sobald das heutige halbstabile Gleichgewicht durch die in seinem Inneren sich beständig ansammelnden Widersprüche umgestoßen werden wird. Vorläufig aber ist diese Explosion erst in Vorbereitung. Beachtung der Oekonomik! das ist es, was die heutige Periode vom Parteidenken fordert, und zwar streng fordert. Denn während man in der reinen Politik vieles instinktiv und im Fluge erfassen kann, verhält es sich hiermit in der Oekonomik schwieriger: hier ist ernsthafte und gewissenhafte Arbeit des Studiums der Tatsachen in ihren quantitativen und qualitativen Relationen notwendig. Dafür vermag aber nur eine solche wissenschaftliche Kollektivarbeit das Parteibewußtsein frisch und elastisch zu erhalten.
Die automatische Bewegung in ein und demselben Geleise ist selbstverständlich nicht ein Befolgen der Tradition, denn gerade die größte und ruhmvollste Tradition unserer Partei besteht in ihrer unvergleichlichen Manövrierfähigkeit, unter deren Gesichtswinkel betrachtet, ein Rückzug ebenso wie ein Vormarsch nur Kettenglieder ein und desselben Planes sind. Eine schroffe Wendung erfordert eine große Anspannung sowohl des Denkens als auch des Wollens: man muß die Notwendigkeit der Wendung verstehen, muß sie wollen und – vollbringen. Der enge Praktizismus ist hierzu ebenso unfähig wie hohles Agitatorentum: sowohl der eine als auch der andere Typus neigt in der gleichen Weise zur Hilflosigkeit, zum Kleinmut und zur Panik in Minuten, die besonders hohe Konzentration des Bewußtseins und des Willens erfordern. Die Aufrechterhaltung der Parteitradition, d. h. im Grunde genommen die Aufrechterhaltung der Partei, ist nur denkbar durch Heranziehung der Blüte der jungen Generation zur selbständigen theoretischen Bearbeitung der Fragen der Revolution im engen Zusammenhang mit unserer ganzen inneren und internationalen Tätigkeit.
Es gibt und kann keine Gründe zum Zweifel daran geben, daß wir diese Aufgabe, wie auch alle anderen, bewältigen werden!
4. Mai 1923 |
L. Trotzki |
Zuletzt aktualisiert am 1. Juli 2019