Leo Trotzki

Zwischen Imperialismus und Revolution

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Mythus und Wirklichkeit

Wie stellen die gestürzten Menschewiki und ihre sehr verschiedenartigen Protektoren die Schicksale Georgiens dar? In dieser Beziehung hat sich bereits ein ganzer Mythus gebildet, der auf den Fang von Einfältigen berechnet ist. Einfältige aber gibt es in der Welt.

Das georgische Volk beschloß kraft seines freien Willens, sich in Frieden und Freundschaft von Rußland zu trennen. So beginnt der Mythus. Diesem seinem Entschluß gab das georgische Volk durch demokratische Abstimmung Ausdruck. Zugleich schrieb es die Losung unbedingter Neutralität in internationaler Beziehung auf seine Fahne. Georgien mischte sich weder tätlich noch ideell in den russischen Bürgerkrieg ein. Weder die Mittelmächte noch die Entente konnten es von der Bahn der Neutralität abbringen. Seine Losung war: „Leben und leben lassen!“ Als einige bekannte gottesfürchtige Pilger der Zweiten Internationale (Vandervelde, Renaudel, Mistreß Snowden) von diesem Lande der Seligen hörten, versorgten sie sich sofort mit direkten Fahrkarten dorthin. Gleich nach ihnen traf dort der durch Jahre und Weisheit beschwerte Kautsky ein. Sie alle redeten, gleich den alten Aposteln, in Zungen, die sie nicht kannten, und hatten Visionen, die sie später in Artikeln und Büchern beschrieben. Kautsky sang auf seiner Rückreise, von Tiflis bis Wien, ununterbrochen den Vers: „Herr, nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren ..., denn meine Augen haben Deinen Heiland gesehen ...“

Noch hatten aber die Pilger keine Zeit gefunden, ihrer Gemeinde die frohe Kunde zu bringen, als sich Schreckliches ereignete: ohne jeglichen Grund warf Sowjetrußland seine Armee in das friedliche, neutrale, demokratische Georgien und zertrümmerte erbarmungslos die sozialdemokratische Republik, die die volle und unbeschränkte Liebe der Volksmassen genoß. Der Grund dieser beispiellosen Missetat ist im Imperialismus und Bonapartismus der Sowjetmacht zu suchen, im besonderen in ihrem Neid auf die demokratischen Erfolge der georgischen Menschewiki. Hier endet eigentlich der Mythus. Darauf folgen die bereits apokalyptischen Prophetien, daß die Bolschewiki unvermeidlich zu Falle kommen und die Menschewiki in ihrer vollen Glorie erstrahlen werden.

Der Begründung des Mythus ist das gottesfürchtige Buch Kautskys gewidmet. [1] Auf den Mythus gegründet sind sowohl die Resolution der Zweiten Internationale über Georgien, als auch die Artikel der Times, sowohl die Reden Vanderveldes, als auch die zweifellosen Sympathien der belgischen Königin und die Schriften Hervé- Merrheims. Wenn in bezug hierauf noch keine päpstliche Enzyklika erlassen ist, so liegt der Grund hiervon in dem vorzeitigen Tode Benedikts XV. Wir wollen hoffen, daß sein Nachfolger diese Lücke ausfüllen wird.

Wir müssen jedoch erklären, daß, wenn auch der Mythus über Georgien gleich vielen anderen nicht der poetischen Vorzüge entbehrt, er doch gleich allen Mythen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Genauer ausgedrückt, der georgische Mythus ist durch und durch Lüge, an der nicht die Volkspoesie, sondern die maschinelle Produktion der kapitalistischen Presse schuld ist. Lüge und nur Lüge liegt der Antisowjet-Agitation zugrunde, bei der die Führer der Zweiten Internationale die erste Geige spielen. Dies wollen wir jetzt Schritt für Schritt nachweisen!

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Mister Henderson erfuhr zum erstenmal von der Existenz Georgiens durch Mistreß Snowden, während Mistreß Snowden mit der Tätigkeit Dschordanias und Zeretellis während ihrer Bildungsreise nach Batum und Tiflis Bekanntschaft machte. Was uns selbst anbelangt, so kannten wir diese Herrschaften bereits früher, und zwar nicht als Herrscher des unabhängigen demokratischen Georgiens, an das sie selbst niemals auch nur gedacht haben, sondern als russische Politiker in Petrograd und Moskau. Tschcheidse stellte sich an die Spitze des Petrograder Sowjets und in der Epoche Kerenskis auch an die Spitze des Zentralexekutivkomitees der Sowjets, als in den Sowjets die Sozialrevolutionäre und Menschewiki herrschten. Zeretelli war Minister der Regierung Kerenskis und der ideelle Inspirator der Kompromißpolitik. [2] Tschcheidse diente zusammen mit Dan und anderen als Vermittler zwischen dem menschewistischen Sowjet und der Koalitionsregierung. Gegetschkori und Tschenkeli führten die verantwortungsvollsten Aufträge der Interimsregierung aus. Tschenkeli war ihr bevollmächtigter Kommissar für Transkaukasien.

Die Position der Menschewiki war im Grunde genommen folgende: die Revolution soll ihren bourgeoisen Charakter beibehalten; an ihrer Spitze muß darum die Bourgeoisie bleiben; die Koalition der Sozialisten mit der Bourgeoisie muß es sich zur Aufgabe machen, die Volksmassen an die Herrschaft der Bourgeoisie zu gewöhnen; das Streben nach Eroberung der Macht durch das Proletariat ist für die Revolution verderbenbringend; den Bolschewiki muß erbarmungsloser Krieg erklärt werden. Als Ideologen der bourgeoisen Republik traten die Zeretelli-Tschcheidse und alle ihre Gesinnungsgenossen unversöhnlich für die Einheit und Unteilbarkeit der Republik innerhalb der Grenzen des alten Zarenreiches ein. Die Ansprüche Finnlands auf Erweiterung seiner Autonomie, das Streben der ukrainischen nationalen Demokratie auf dem Gebiete der Selbstverwaltung begegnete von seiten der Zeretelli-Tschcheidse erbarmungslosem Widerstand. Tschenkeli wetterte auf dem Sowjetkongreß gegen die separatistischen Tendenzen einiger Randgebiete, obgleich zu jener Zeit sogar Finnland keine volle Selbständigkeit verlangte. Für die Unterdrückung dieser autonomistischen Tendenzen bereiteten die Zeretelli-Tschcheidse eine bewaffnete Macht vor. Sie hätten sie in Anwendung gebracht, wenn die Geschichte ihnen dazu genügend Zeit gelassen hätte.

Ihre Hauptkräfte aber widmeten sie dem Kampf gegen die Bolschewiki.

Die Geschichte, die vieles kennt, kennt wohl kaum einen anderen Feldzug der Bosheit, des Hasses und der Hetzerei, der jenem gleichkommt, der in der Epoche Kerenskis gegen uns geführt wurde. Die Zeitungen aller Schattierungen und Richtungen verspotteten, verwünschten und brandmarkten uns Bolschewiki in allen ihren Artikeln und Abteilungen in Prosa und Versen, durch Worte und Zeichnungen. Es gab keine Schändlichkeit, die man uns nicht zugeschrieben hätte: allen zusammen und jedem einzelnen. Wenn die Hetze ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien, verlieh ihr irgend eine Episode, manchmal eine ganz nichtige, wieder neue Energie. Sie schwang sich noch höher auf, berauscht von den Ausdünstungen ihres eigenen Tobens. Die Bourgeoisie ahnte eine tödliche Gefahr. Der Irrsinn der Angst phantasierte mit der Zunge fanatischer Raserei. Die Menschewiki spiegelten wie immer die Stimmungen der Bourgeoisie wider. In der ärgsten Hitze dieses Feldzuges erstattete Mister Henderson der Provisorischen Regierung eine Visite und kam zu dem beruhigenden Schluß, daß Sir Buchanan mit der erforderlichen Würde und mit Erfolg die Ideale der britischen Demokratie unter der Demokratie Kerenski-Zeretelli vertrete.

Die Zarenpolizei und die Konterspionage, die zeitweilig aus Angst vor Mißgriffen untätig geblieben waren, strebten eifrig danach, den neuen Herrschaften ihre Ergebenheit zu beweisen. Alle Parteien der gebildeten Gesellschaft wiesen ihnen einmütig ein Objekt ihrer Pflege und Sorge zu: die Bolschewiki. Die dummen Erfindungen von unserer Verbindung mit dem Generalstab des Hohenzollern, denen in der Tat niemand Glauben schenkte, außer vielleicht die kleinen Spitzel und die Moskauer Kaufmannsfrauen, wurden wiederholt, weiterentwickelt, variiert, breitgetreten, von Tag zu Tag und in allen Tonarten. Die Führer der Menschewiki kannten besser als sonst jemand den wahren Wert dieser Beschuldigung. Aber Zeretelli und Co. hielten es aus politischen Motiven für nützlich, sie aufrechtzuerhalten.

Im Brustbariton gibt Zeretelli den Ton an, mit heiserem Gebell antworten ihm die Schwarzen Hundert aus den Hinterhöfen. Das Resultat ist, daß die Kommunistische Partei formell des Hochverrats, des Dienstes im Interesse des deutschen Militarismus beschuldigt wird. Der bürgerliche Volkshaufe zertrümmert unsere Druckereien und Büros unter der Führung der patriotischen Offiziersclique, Kerenski schließt unsere Zeitungen, Tausende und Abertausende von Kommunisten werden in Petrograd und an allen Enden des Landes verhaftet.

Die Menschewiki und ihre Bundesgenossen, die Sozialrevolutionäre, haben die Macht aus den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte empfangen. Aber sie fühlten sehr bald, daß ihnen der Boden unter den Füßen schwand. Ihr Denken war darauf gerichtet, als Gegengewicht zu den Arbeiter- und Soldatenräten den kleinbürgerlichen und bürgerlichen Elementen behilflich zu sein, sich durch Vermittlung der demokratischen Munizipalitäten und Semstwos politisch zu organisieren. Da aber die Sowjets sich zu schnell nach links entwickelten, so wurde die Arbeit auf dem Gebiete des Zusammenschlusses der bürgerlichen Klassen bei den Menschewiki durch die Arbeit zur Schwächung und Desorganisierung der Sowjets ergänzt. Die Neuwahlen wurden böswillig in die Länge gezogen, der Zweite Sowjetkongreß offen sabotiert. Zeretelli inspirierte diese Politik, Tschcheidse krönte sie organisatorisch. Im Zentralorgan der Sowjets wurde bereits seit August-September 1917 bewiesen, daß das Sowjetsystem sich überlebt habe, daß die Sowjets „in Zersetzung begriffen seien“. Je revolutionärer, hartnäckiger, ungeduldiger die Arbeiterund Bauernmassen wurden, desto gröberen und offeneren Charakter nahm die Abhängigkeit der Menschewiki von den besitzenden Klassen an. Die bürgerlich-demokratischen Munizipalitäten und Semstwos retteten die Situation nicht. Die revolutionäre Welle stürmte über dieses traurige Wehr hinweg. Der trotzdem von den Menschewiki – unter unserem Druck – einberufene Zweite Allrussische Sowjetkongreß nahm, unterstützt von der Petrograder Garnison, die Macht in die Hand, fast ohne Kampf und Opfer. Da stellten sich die Menschewiki zusammen mit den Sozialrevolutionären und Kadetten auf die Bahn des erbitterten und, wo dies möglich war, des bewaffneten Kampfes gegen die Sowjets, d. h. gegen die Arbeiter und Bauern. So wurde das Fundament für die weißen Fronten gelegt.

Im Laufe der ersten neun Monate der Revolution ließen die Menschewiki folglich drei Etappen einander ablösen: Frühjahr 1917 sind sie die unbeschränkten Führer der Sowjets; im Sommer versuchen sie eine „neutrale“ Position zwischen den Sowjets und der Bourgeoisie einzunehmen; im Herbst erklären sie gemeinsam mit der Bourgeoisie den Sowjets den Bürgerkrieg. Diese deutliche Aufeinanderfolge der Etapppen charakterisiert das ganze Wesen des Menschewismus und enthält, wie wir weiter sehen werden, die ganze Geschichte des menschewistischen Georgiens.

Noch vor dem Oktoberumsturz entwischt Tschcheidse in den Kaukasus: die Vorsicht war stets seine stärkste Bürgertugend. Er wurde später zum Vorsitzenden des transkaukasischen Koalitionssejm gewählt: auf diese Weise setzt Tschcheidse seine Holle, die er in Petrograd in folio spielte, im Kaukasus in octavo fort.

Die Menschewiki, verbündet mit den Sozialrevolutionären und Kadetten, wurden zu Inspiratoren des gegenrevolutionären „Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution“, das sofort mit der gegen Petrograd anrückenden Kosakenkavallerie Krasnows in Verbindung trat und einen bewaffneten Aufstand der Junker organisierte. Die Führer der Menschewiki, denen Kautsky das Patent für die Einrichtung unblutiger Demokratien verleiht, sind die tatsächlichen Initiatoren und Organisatoren des Bürgerkrieges in Rußland. Vom Petrograder „Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution“, in dem die Menschewiki mit allen weißgardistischen Organisationen zusammenarbeiteten, führen direkte Fäden zu allen weiteren gegenrevolutionären Aufständen, Verschwörungen, Attentaten: zu den Tschechoslowaken an der Wolga, zum Samara-Komitee der Konstituante und zu Koltschak, zur Regierung Tschaikowskis und zum General Miller im Korden, zu Denikin und Wrangel im Süden, zu den Generalstäben der bürgerlichen Randrepubliken, zu den ausländischen Emigranten-Zufluchtsorten und zu den Geheimfonds der Entente. An dieser ganzen Arbeit beteiligten sich die Führer der Menschewiki, darunter auch die der georgischen, jedoch nicht im Kamen der Verteidigung des unabhängigen Georgiens, von dem noch gar keine Rede war, sondern als Führer einer der antisowjetistischen Parteien, die im ganzen Lande ihre Stützpunkte hatten. Als Führer des Antisowjetblocks in der Konstituante trat niemand anders als Zeretelli auf.

Zusammen mit der ganzen Gegenrevolution zogen sich die Menschewiki vom Industriezentrum an die rückständige Peripherie zurück. Sie benutzten natürlich Transkaukasien als eine der äußersten Grenzen. Während sie sich in Samara hinter der Losung der Konstituierenden Versammlung verschanzten, versuchten sie in Tiflis in einem bestimmten Moment die Fahne der unabhängigen Republik zu entfalten. Doch geschah das nicht plötzlich. Der Uebergang von der bürgerlich-zentralistischen Position zur kleinbürgerlich-separatistischen, der nicht durch die nationalen Forderungen der georgischen Massen, sondern durch die Erwägungen des allgemein-russischen Bürgerkrieges diktiert wurde, hatte in seiner Entwicklung einige Etappen durchzumachen.

Drei Tage nach dem Oktoberumsturz in Petrograd erklärte Dschordania in der Sitzung der Tifliser Stadtduma: „Der Aufstand in Petrograd geht seinen letzten Tagen entgegen. Er war von Anfang an zu einem Mißerfolg verurteilt.“ Das ist ganz in der Ordnung der Dinge: niemand konnte verlangen, daß Dschordania in Tiflis mehr Scharfklick an den Tag lege, als die anderen Philister an allen Enden der Welt. Der Unterschied ist nur der, daß Tiflis einer der Punkte der russischen Revolution ist, und daß Dschordania einer der aktiven Teilnehmer an jenem Kampfe ist, der dem bolschewistischen Aufstande ein Ende machen sollte. Aber die „letzten Tage“ verflossen und waren doch nicht die letzten. Bereits im November mußte in Eile ein selbständiges Transkaukasisches Kommissariat geschaffen werden: kein Staat, sondern ein zeitweiliger gegenrevolutionärer Waffenplatz, von dem aus die georgischen Menschewiki der Wiederherstellung der „demokratischen“ Ordnung in ganz Rußland entscheidende Hilfe zu erweisen hofften. Diese Hoffnungen waren mehr oder weniger begründet. Wirtschaftliche Zurückgebliebenheit, äußerste Schwäche des industriellen Proletariats, die Entfernung von Zentralrußland, Verflechtung von Nationalitäten mit verschiedenartigen sozialen, die Lebensweise und die Religion betreffenden Bedingungen, das Vorhandensein von Mißtrauen und nationalem Antagonismus zwischen den Nationalitäten, schließlich die Nachbarschaft von Don und Kuban, – das alles zusammen schuf günstige Bedingungen für die Wühlereien gegen die Arbeiterrevolution und verwandelte tatsächlich für lange Zeit Vorderkaukasien und den Kaukasus in eine Vendée und Gironde, die durch den gemeinsamen Kampf gegen die Sowjets verbunden waren.

In dieser Periode befanden sich in Transkaukasien noch zahlreiche Zarentruppen der türkischen Front. Die Nachrichten vom Friedensangebot der Sowjetregierung und von der Bodenreform erschütterten nicht nur die Soldatenmassen, sondern auch die lokale werktätige Bevölkerung Transkaukasiens. Es beginnt eine aufgeregte Epoche für die Gegenrevolutionäre, die sich in Transkaukasien verschanzt hatten. Sie bildeten sofort einen „Ordnungs“-Block, dem alle Parteien angehörten, mit Ausnahme natürlich der Bolschewiki. Die Menschewiki, die die führende Rolle beibehielten, inspirierten das Bündnis der georgischen adligen Gutsbesitzer und der Kleinbourgeoisie, der armenischen Krämer und Naphthaindustriellen, der tatarischen Beys und Chane. Die russische weiße Offiziersclique stellte sich ganz dem antibolschewistischen Block zur Verfügung.

Ende Dezember fand der Delegiertenkongreß der transkaukasischen Front statt, der unter der Führung der Menschewiki selbst einberufen wurde. Die Linken hatten die Mehrheit. Da veranstalteten die Menschewiki gemeinsam mit dem rechten Flügel des Kongresses einen Umsturz und schufen ohne die Linken, d. h. ohne die Mehrheit, den Gebietssowjet der transkaukasischen Truppen. Nach Uebereinkunft mit diesem Sowjet bestimmte das Transkaukasische Kommissariat im Januar 1918 folgendes: „Es ist als erwünscht zu betrachten, in jene Gegenden, in denen gegenwärtig Unruhen stattfinden, Kosakenabteilungen zu entsenden ...“ Usurpation als Methode und Kornilowkosaken als bewaffnete Macht – das sind die tatsächlichen Ausgangspunkte der transkaukasischen Demokratie.

Der menschewistische coup d’état in Transkaukasien ist keine Ausnahme. Als sich herausstellte, daß auf dem Zweiten Allrussischen Sowjetkongreß (Oktober 1917) die Bolschewiki die erdrückende Mehrheit darstellten, weigerte sich das alte Exekutivkomitee (aus Menschewiki und SR. bestehend), das den Kongreß einberufen hatte, die Geschäfte dem auf dem Kongreß gewählten Exekutivkomitee zu übergeben. Zum Glück hatten wir nicht nur die formale Mehrheit des Kongresses, sondern auch die ganze Garnison der Hauptstadt auf unserer Seite. Das rettete uns vor der Sprengung und gestattete uns, den Menschewiki eine anschauliche Lektion über die Sowjetdemokratie zu geben ...

Die transkaukasischen Truppen blieben aber nach wie vor eine Gefahr für die „Ordnung“, auch nach der Palastrevolution der Menschewiki. Der Unterstützung der revolutionär gesinnten Soldaten sicher, legten die Arbeiter- und Bauernmassen Transkaukasiens die unzweideutige Absicht an den Tag, dem Beispiel der Nordbevölkerung zu folgen. Um die Situation zu retten, mußte man die revolutionären Truppen entwaffnen und zerstreuen.

Der Plan der Entwaffnung der Armee wurde von der Regierung Transkaukasiens in Gemeinschaft mit Vertretern der Zarengeneralität geheim ausgearbeitet. An der Verschwörung beteiligten sich der weiße General Prschewalski, der künftige Kampfgenosse Wrangels, Oberst Schatilow, der künftige georgische Minister des Innern, Ramischwili u. a. Zugleich mit den Maßnahmen zur Entwaffnung der revolutionären Truppenabteilungen wurde bestimmt, daß die Kosakenregimenter, die Stütze Kornilows, Kaledins, Krasnows, nicht entwaffnet werden sollten. Das Zusammenarbeiten der menschewistischen Gironde und der Kosaken-Vendée nimmt hier kriegerischen Charakter an.

Die Entwaffnung artete in gemeine Beraubung und oftmals in Vernichtung der in die Heimat zurückkehrenden Soldaten durch spezielle gegenrevolutionäre Abteilungen aus. An einigen Eisenbahnstationen fanden unter Anwendung von Panzerzügen und Artillerie große Gefechte statt. Tausende von Opfern fielen bei diesem Schlachten, dessen Inspiratoren die georgischen Menschewiki gewesen sind.

Der glückselige Kautsky stellt die bolschewistisch gesinnten transkaukasischen Truppen als zügellose Banden dar, die plünderten, vergewaltigten und mordeten. Ganz genau ebenso wurden sie seinerzeit von dem ganzen gegenrevolutionären Gesindel dargestellt. Diese Betrachtungsweise benötigt Kautsky, um die georgischen Menschewiki, die Initiatoren der Entwaffnung, als „Ritter im besten Sinne des Wortes“ darzustellen. Es stehen uns aber einige Zeugnisse zur Verfügung, und zwar solche, die von den Menschewiki selbst gegeben sind. Diese letzteren erschraken selbst vor dem Werk ihrer Hände, als die Entwaffnung blutigen Pogromcharakter annahm. Der angesehene Menschewik Dschugeli erklärte am 14. Januar 1918:

„Das war keine Entwaffnung, sondern eine Ausplünderung der Soldaten. Den unglücklichen, abgequälten, nach ihrem Heim sich sehnenden Leuten wurde alles bis auf die Stiefel abgenommen. An Ort und Stelle wurde Handel damit getrieben. Die Räuberbanden verkauften Waffen. Es waren empörende Vorgänge.“ (Slowo, No. 10)

Dschugeli, der selbst an der Entwaffnung der Garnison von Tiflis teilgenommen hat (wir werden diesem Herrn noch im weiteren begegnen), beschuldigte einige Tage später Ramischwili, eine der räuberischen Abteilungen der transkaukasischen Gegenrevolution zu der Entwaffnungsarbeit herangezogen zu haben. Zwischen den beiden Politikern fand aus diesem Anlaß folgender öffentlicher „Meinungsaustausch“ statt, den wir anführen müssen:

N. Ramischwili: Dschugeli ist ein Verleumder.

Dschugeli: Und Hoj Ramischwili ein Lügner.

Ramischwili (wiederholend): Dschugeli ist ein Verleumder.

Dschugeli: Bitte mit den gegen mich gerichteten beleidigenden Ausdrücken aufzuhören.

Ramischwili.: Ich erkläre, daß das von Dschugeli Gesagte eine Insinuation ist, und daß Dschugeli ein Verleumder ist.

Dschugeli: Und Sie sind ein niederträchtiger Kerl und ein Schuft, und ich werde mit Ihnen, wie es sich gehört, verfahren. (Slowo, No. 22.)

Wir sehen, daß die Entwaffnung durchaus nicht eine so unzweifelhaft ritterliche Arbeit war, wie Kautsky schreibt, wenn zwei Gesinnungsgenossen, die dieser Sache so nahe stehen, in so unritterlicher Weise die Verantwortung für sie von sich abzuwälzen suchen.

Aber man kann doch nicht umhin, mitfühlend den Kopf über Kautsky zu schütteln: da sieht man, was ein Ueberschuß an Eifer bei Schwächung der Hemmungszentren zu bedeuten hat! Wir wollen gleich hier bemerken, daß die ganze Broschüre Kautskys durch ihren ungeschliffenen apologetischen Ton außerordentlich an die Schriften einiger hochbetagter französischer Akademiker über die zivilisatorische Mission des Fürstentums Monako oder die wohltätige Rolle der Karadjordje erinnert. Die hochbetagten Akademiker, die bei sich in der Heimat außer Kurs gesetzt worden waren, bekamen von der dankbaren Regierung des von ihnen entdeckten Arkadiens Orden und Pension. Kautsky wurde, soweit uns bekannt, nur zum Ehrenmitglied der georgischen Volksgarde ernannt. Das zeugt davon, daß er uneigennütziger ist als die französischen Akademiker. Während er ihnen aber in der Tiefe der historischen Verallgemeinerung gleichkommt, steht er ihnen in der Gewähltheit des Stiles seiner Lobreden bedeutend nach.

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Der Friede von Brest-Litowsk erwuchs aus dem Zerfall der alten Armee. Diese war durch eine lange Reihe von Niederlagen stark erschöpft. Schon die Tatsache der Märzrevolution versetzte ihrer inneren Organisation einen äußerst empfindlichen Schlag. Sie hätte von unten bis oben durch Veränderung ihrer sozialen Basis, durch Setzung neuer Ziele und neuer innerer Beziehungen umgebaut werden müssen. Statt dessen wurde sie durch die vollständige Nichtübereinstimmung von Wort und Tat, durch das leere Revolutionsgerede bei dem Mangel an Willen zu Veränderungen, kurz, durch die demokratische Maskerade der Kerenski-Zeretelli endgültig getötet. General Werchowski, Kriegsminister der Regierung Kerenski, wiederholte immer wieder hartnäckig, daß die Armee vollständig außerstande sei, den Krieg fortzusetzen, und daß es notwendig sei, Frieden um jeden Preis zu schließen. Die weiteren Hoffnungen auf ein Wunder und Unschlüssigkeit, die durch patriotische Hysterie verdeckt wurde, machten nur die Hoffnungslosigkeit der Lage offenbar. Hieraus erwuchs Brest-Litowsk. Die Menschewiki verlangten von uns eine Fortsetzung des Krieges gegen Deutschland, in der Hoffnung, daß wir uns auf diese Weise sicher das Genick brechen würden. Unter dieser antideutschen Fahne vereinigten sie sich mit allen Kräften der Reaktion. Sie versuchten gegen uns die letzten Ueberreste des kriegerischen Beharrungsvermögens des Volkes auszunützen. Die georgischen leaders marschierten hierbei in der ersten Reihe.

Der Brest-Litowsker Friedensschluß gab den äußeren Anlaß für die Proklamierung der Unabhängigkeit Transkaukasiens (22. April 1918). Nach der patriotischen Rhetorik der Vergangenheit zu schließen, konnte man meinen, daß die Fortführung des Krieges gegen die Türkei und Deutschland das Ziel sei. Im Gegenteil: die formelle Loslösung Transkaukasiens von Rußland war diktiert durch das Bestreben, eine unangreifbare juristische Situation für eine ausländische Intervention zu schaffen. Die Menschewiki hofften nicht ohne Grund, mit deren Hilfe in Transkaukasien das bürgerlich-demokratische Regime aufrechtzuerhalten und darauf dem Sowjetnorden einen Schlag zu versetzen.

Nicht nur die mit den Menschewiki verbündeten bürgerlich-gutsherrlichen Parteien, sondern auch die Führer des georgischen Menschewismus selbst sprachen und schrieben offen vom Kampfe gegen den allrussischen Bolschewismus als von der Hauptursache der Loslösung Transkaukasiens. Am 26. April sagte Zeretelli im Transkaukasischen Sejm:

„Als in Rußland der Bolschewismus aufkam, als sich dort die Hand des Todes auf das Leben des Staates senkte, kämpften wir mit allen verfügbaren Kräften gegen den Bolschewismus ... Wir kämpften dort gegen die Mörder des Staates und die Mörder der Nation und werden mit der gleichen Selbstverleugnung hier gegen die Mörder der Nation kämpfen“ (Stürmischer Beifall)

Mit der gleichen Selbstverleugnung und – mit dem gleichen Erfolg!

Lassen aber etwa diese Worte auch nur einen Schatten des Zweifels darüber, worin die Menschewiki die Aufgabe eines „selbständigen“ Transkaukasiens erblickten? Nicht in der Schaffung einer zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meere gelegenen idealen sozialdemokratischen Republik, die heilig und neutral ist, sondern im Kampfe gegen die Mörder des Staates (des bürgerlichen!), gegen die Bolschewiki, im Kamen der Wiederherstellung der bürgerlich-demokratischen „Nation“ im alten Staatsrahmen. Die ganze eben erst zitierte Rede Zeretellis besteht aus Wiederholungen der gleichen pathetischen Gemeinplätze, die wir aus seinem Munde Dutzende von Malen in Petrograd zu hören bekamen. Den Vorsitz in dieser „historischen“ Sitzung des Transkaukasischen Sejm hatte eben derselbe Tschcheidse, der als ständiger Vorsitzender mehr als einmal den Bolschewiki in Petrograd den Mund stopfte. Nur mit dem Unterschiede, daß, was sie im Norden in folio taten, sie hier in oktavo reproduzierten. Mit der gleichen Selbstverleugnung und – mit dem gleichen Erfolg!

In praktischer Hinsicht hat die Nichtanerkennung des Brest-Litowsker Vertrages Transkaukasien sofort als „Staat“ in eine ausweglose Situation gestellt, denn sie gab den Türken und ihren Verbündeten endgültig die Hände frei. Schon einige Wochen später baten die transkaukasische Regierung und der Sejm die Türkei, den Brest-Litowsker Vertrag als Basis anzunehmen. Aber die Türken wollten hiervon durchaus nichts hören. Die Paschas und die deutschen Generäle wurden in Transkaukasien die unbeschränkten Herren der Situation. Aber die Hauptsache war doch erreicht: mit Hilfe ausländischer Truppen wurde die Revolution vorübergehend unterdrückt und der Sturz des bürgerlichen Regimes auf eine spätere Zeit verschoben.

Bei der Proklamierung der Unabhängigkeit Transkaukasiens (22. April 1918), ohne jegliche Befragung der Bevölkerung, proklamierten die georgischen Menschewiki, wie das so üblich ist, eine neue Aera der Brüderschaft seiner verschiedenen Stämmen angehörenden Völkerschaften auf der Grundlage der Demokratie. Kaum war indessen die neue Republik entstanden, als sie auch schon zerfiel. Asserbeidshan suchte bei der Türkei Rettung, Armenien fürchtete die Türken mehr als das Feuer, Georgien suchte bei Deutschland Schutz. Fünf Wochen nach ihrer feierlichen Proklamierung wurde die Transkaukasische Republik liquidiert. Bei ihrer Beerdigung gab es nicht weniger demokratische Deklamationen als bei ihrer Geburt. Aber das Wesen der Sache ändert sich hierdurch nicht: die kleinbürgerliche Demokratie zeigt ihre vollständige Unfähigkeit, nationale Reibungen zu überwinden und nationale Interessen in Uebereinstimmung zu bringen. Am 26. Mai 1918 wird – wiederum ohne jegliche Befragung der Bevölkerung – das unabhängige Georgien, als ein Splitter Transkaukasiens, gegründet. Wiederum fließen Ströme feierlich demokratischen Lobredens! Es vergehen nur fünf Monate, und schon entsteht zwischen dem demokratischen Georgien und dem ebenso demokratischen Armenien ein Krieg um einen strittigen Territoriumfetzen. Von beiden Seiten hören wir Reden von den höchsten Geboten der Zivilisation und von dem treubrüchigen Ueberfall des Feindes. Ueber den armenisch-georgischen „demokratischen“ Krieg finden wir bei Kautsky kein Wort! Unter der Führung der Dschordania-Zeretelli und ihrer armenischen und tatarischen Doppelgänger verwandelt sich Transkaukasien sofort in eine Balkanhalbinsel, auf der nationales Gemetzel und demokratisches Scharlatantum schon lange eine gleich hohe Entwicklung erreicht haben. Bei diesem widerlichen Schwanken und blutigen Umstürzen führt aber der georgische Menschewismus treu seine wirkliche Leitidee durch: erbarmungsloser Kampf gegen die bolschewistische „Anarchie“.

Die Selbständigkeit Georgiens ermöglicht den Menschewiki, oder richtiger zwingt sie, offen zu zeigen, welchen Platz sie im Kampfe der Sowjetrepublik gegen den Imperialismus einnehmen. Die Antwort Dschordanias konnte keine deutlichere sein.

„Die georgische Regierung bringt der Bevölkerung zur Kenntnis – so lautet die Regierungsmitteilung vom 13. Juli 1918 –, daß die in Tiflis eingetroffenen deutschen Truppen von der Regierung Georgiens selbst zum Kommen aufgefordert worden sind und die Aufgabe haben, in vollem Einvernehmen mit der Regierung und nach ihren Weisungen die Grenzen der georgischen demokratischen Republik zu verteidigen. Ein Teil dieser Truppen ist bereits in den Bortschalinski-Kreis entsandt, um ihn von den Räuberbanden zu säubern.“ (In Wirklichkeit für den inoffiziellen Krieg gegen das demokratische Asserbeidshan, wiederum wegen eines Territoriumfetzens.)

Der glückselige Kautsky stellt die Sache so dar, als wenn die deutschen Truppen ausschließlich zum Schutz gegen die Türken gerufen worden wären und Georgien in allem übrigen seine volle Selbständigkeit wahrte. Selbst wenn man annehmen wollte, daß irgendwelche demokratischen Kälber den General v. Kreß aufgefordert hätten, als einfache Außenwache für die Institutionen der georgischen Demokratie zu kommen, so paßte der General v. Kreß selbst wenig für eine solche Rolle. Es wäre aber durchaus nicht am Platze, die Naivität der demokratischen Kälber zu überschätzen. Es ist jetzt ganz klar, worin die Rolle der deutschen Truppen in den Randstaaten Rußlands im Laufe des Jahres 1918 bestanden hat. In Finnland traten sie als Henker der Arbeiterrevolution auf. Im Baltikum ebenfalls. Sie durchzogen die ganze Ukraine, indem sie die Sowjets vernichteten, die Kommunisten ausrotteten, die Arbeiter und Bauern entwaffneten. Dschordania hatte gar keinen Grund, zu erwarten, daß sie mit anderen Zielen in Georgien einmarschieren würden. Gerade deshalb aber hatte die menschewistische Regierung die Truppen des siegreichen Hohenzollern aufgefordert zu kommen. Vor den türkischen Truppen hatten sie alle Vorzüge der Disziplin. „Es ist noch eine große Frage, welche Gefahr für uns die schlimmere ist“, erklärte am 28. April 1918 der offizielle Berichterstatter des Transkaukasischen Sejm, der Menschewik Oniaschwili, „ob die bolschewistische oder die türkische?“ Daß die bolschewistische Gefahr unvergleichlich schlimmer sei als die deutsche, darüber bestand bei ihnen kein Zweifel. Sie verheimlichten das nicht in ihren Reden und haben es durch die Tat bewiesen. Als Minister der Allrussischen Regierung beschuldigten uns die georgischen Menschewiki des Bündnisses mit dem deutschen Generalstab und ließen durch die Untersuchungsrichter des Zaren die Beschuldigung des Hochverrats gegen uns aussprechen. Den Frieden von Brest-Litowsk, der dem deutschen Imperialismus die „Tore der Revolution“ öffnete, erklärten sie als einen Verrat an Rußland. Unter dieser Losung riefen sie zum Sturz der Bolschewiki auf. Als aber der Boden der Revolution ihnen zu heiß unter den Füßen wurde, spalteten sie Transkaukasien von Rußland ab, darauf Georgien von Transkaukasien und öffneten tatsächlich die Tore der „Demokratie“ sperrangelweit für die Heere des Kaisers mit dem tiefsten Bückling und den schmeichelhaftesten Reden. Nach der Vernichtung Deutschlands wiederholten sie, wie wir sehen werden, die gleichen Worte und Gesten an die Adresse der siegreichen Entente. In dieser Beziehung, wie auch in jeder anderen, bildet die Politik der Menschewiki eine deutliche Widerspiegelung der Politik der russischen Bourgeoisie. In der Person der Kadetten (Miljukow!) traten sie in der Ukraine mit den deutschen Okkupationsbehörden ins Einvernehmen und entsandten nach der Vernichtung Deutschlands die gleichen Kadetten in den Schoß der Entente, als verlorene Söhne, die trotz ihres Zickzackweges doch die Hauptsache sowohl für sich selbst als auch für die Entente nicht aus dem Auge ließen: den Kampf gegen die Bolschewiki. Das war der Grund, warum die Entente ihnen so leicht ihr Herz und, was noch wichtiger ist, ihre Kasse von neuem öffnete. Das war der Grund, warum der Kriegsminister Henderson, der in Petrograd mit dem Kriegsminister Zeretelli Brüderschaft geschlossen hatte, ihn wieder wie einen Bruder begrüßte, nachdem Zeretelli in den Armen des Hohenzollerngenerals von Kreß gelegen hatte. Zickzack-Linien, Widersprüche, Verrat – aber stets gegen die Revolution des Proletariats.

Am 25. September 1918 versicherte Dschordania dem General v. Kreß schriftlich: „Es liegt nicht in unserem Interesse, das Prestige Deutschlands im Kaukasus zu verringern.“ Zwei Monate später aber mußten sie bereits den britischen Truppen die Tore öffnen. Es gingen Verhandlungen voraus, deren Hauptaufgabe darin bestand, zu beweisen, klar zu machen, zu überzeugen, daß die georgische „Demokratie“ mit dem deutschen General v. Kreß eine durch die Verhältnisse aufgezwungene Halbehe aus Vernunftgründen geschlossen hatte; die wahre Ehe aber, aus tiefer Neigung, stehe ihr gerade mit dem britischen General Wakker bevor. Am 15. Dezember antwortete der alte Menschewik Topuridse, der Vertreter der Regierung in Batum, auf die Fragen der Ententemission: „Ich nehme an“ – so sagt er, nach seinem eigenen Bericht –, „daß unsere Republik mit allen Mitteln und aus allen Kräften die alliierten Großmächte im Kampf gegen die Bolschewiki unterstützen wird ...“ Dem englischen Agenten Webster berichtet der gleiche Topuridse, daß Georgien „die Erfüllung seiner Pflicht darin sehen wird, England im Kaukasus in seinem Kampfe gegen den Bolschewismus zu unterstützen“. Nachdem der britische Oberst Jordan erklärt hatte, daß der Hineintransport der alliierten Truppen nach Georgien „gemäß dem allgemeinen Schema des internationalen Friedens und der Ruhe“ vor sich gehen werde, d. h. zum Zwecke der Erdrosselung der Bolschewiki im allrussischen Maßstabe und zum Zwecke der Unterordnung aller Völker Rußlands unter den Admiral Koltschak, da benachrichtigte Gegetschkori den Oberst Jordan, „die georgische Regierung, begeistert von dem Wunsche, im Einvernehmen mit den Verbündeten an der Verwirklichung der von den Verbündeten proklamierten Grundsätze des Rechts und der Gerechtigkeit zu arbeiten, gibt ihre Einwilligung zu dem Einzug der Truppen“. Kurz, beim Tausch der deutschen Untertanschaft gegen die Entente-Untertanschaft haben die Führer des georgischen Menschewismus den guten alten Rat des russischen Dichters übermäßig vernachlässigt: „Ihr Schmeichler! Wisset selbst in höchster Niedertracht den Schein des Edelmuts zu wahren!“

Ich erinnere mich nur zu gut an den Sitzungstisch in Brest-Litowsk. Ich erinnere mich nur zu gut an die an diesem Tisch Sitzenden, an Baron Kühlmann, General Hoffmann und Graf Czernin. Aber noch deutlicher und schärfer erinnere ich mich an die Vertreter der ukrainischen kleinbürgerlichen Demokratie, die sich ebenfalls Sozialisten nannten und die – ihrem politischen Niveau nach – sehr gut zu den georgischen Menschewiki paßten. Während der Verhandlung selbst bildeten sie hinter unserem Bücken einen Block mit den feudalen Vertretern Deutschlands und Oesterreich-Ungarns. Man muß gesehen haben, wie sie vor jenen scharwenzelten und wedelten, wie sie ihren neuen Herrschaften sklavisch und liebevoll in die Augen schauten und mit welchem hochmütigen Triumph sie auf uns blickten, auf die isolierten Vertreter des Proletariats bei diesen Brest-Litowsker Sitzungen!

Ich weiß, wie diese Schufte nach dem Wind sich drehen: sie schmeicheln, stiften Streit und gießen Oel ins Feuer, sind knechtisch dienstbereit, und hündisch laufen sie den Herren nach!

Die Ereignisse der letzten Jahre waren nicht arm an Prüfungen. Ich weiß aber keine schwereren Minuten, keine unerträglicheren als jene, als wir die Atmosphäre brennender Scham über die Ehrlosigkeit, den Mangel an Würde, die Geringwertigkeit der kleinbürgerlichen Demokratie einatmen mußten, die im Kampfe gegen das Proletariat sich vor den Vertretern der feudal-kapitalistischen Welt auf die Knie warf. War es aber nicht Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe das gleiche, was der georgische Menschewismus zweimal begangen hat?

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Anmerkungen

1. Georgien. Eine sozialdemokratische Bauernrepublik, Wien 1921. „Ich habe nicht mehr zu sehen bekommen“ – erzählt Kautsky selbst –, „als sich von der Eisenbahn und von Tiflis aus sehen läßt. Dazu kam meine Unkenntnis des Georgischen wie des Russischen.“ Ferner teilt er noch mit: „Die Kommunisten hielten sich von mir fern.“. Es wäre noch hinzuzufügen, daß die gastfreundlichen Menschewiki den Ehrengast auf Schritt und Tritt betrogen, wobei er seinerseits ihnen gerne entgegenkam. Das Resultat des Zusammentreffens dieser glücklichen Umstände war eine Broschüre, die eine würdige theoretische Krönung des internationalen Feldzuges gegen Sowjetrußland darstellt.

2. Kautsky macht sogar in dieser Beziehung Konfusion und schwindelt auch dort, wo dies von seinem hohen Ziel nicht verlangt wird. So erzählt er, Tschcheidse und Zeretelli hätten 1905 an der Spitze des Petrograder Sowjets gestanden. In Wirklichkeit aber hat niemand in jener Periode in Petrograd ihren Namen zu hören bekommen.


Zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2019