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Aus Przegląd Socjaldemokratyczny, Nr. 12, Juni 1909.
Übersetzung von Sozialistische Klassiker 2.0 nach dem russischen Text.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Das Kadettenprogramm (oder besser gesagt, das frühere Kadettenprogramm) der Zwangsenteignung von Gutsbesitzerland nach „gerechter“ Bewertung gibt das Maximum dessen, was auf dem Wege gesetzgeberischen Schaffens erreicht werden kann. Dies beteuerte der arme Romantiker des politischen „Realismus“ Peter Struve zu der Zeit, als die Kadettenpartei versuchte, den Absolutismus unter einem Haufen von Erste-Duma-Abstimmungs-Bulletins zu begraben. Indessen führte in der Tat der liberale Versuch der gesetzgeberischen Enteignung von Gutsbesitzerland nur zur staatlichen Enteignung von Wahlrechten und zum Umsturz des 3. Juni. Die Kadetten sahen in der Liquidierung des Gutsbesitzeradels eine rein finanzielle Operation und hatten die ehrliche Absicht, ihrer „gerechten Bewertung“ einen für die Grundbesitzer akzeptablen Inhalt zu geben, wann immer dies möglich wäre. Aber der Adel sah es anders. Durch seinen unfehlbaren Instinkt verstand er, dass es nicht darum ginge, einfach 50 Millionen Desjatinen Land zu verkaufen, wenn auch zu hohen Preisen, sondern um die Liquidierung seiner gesamten sozialen Rolle als herrschende Klasse – und er weigerte sich rundweg, sich unter dem Auktionshammer zu verkaufen. „Lassen Sie es Ihre Parole und Losung sein“, ruft Herr Saltykow im Jahr der ersten Duma, gewendet an die Grundbesitzer: „Keine Spanne unseres Landes, kein Korn unserer Felder, kein Grashalm unserer Wiesen, kein Zweig unseres Waldes.“ Und es war keine Stimme, die in der Wüste schrie, oh nein: Es waren die Jahre der Revolution, die die Zeit der Klassenkonzentration und politischen Konsolidierung des russischen Adels waren. Zur Zeit der schwersten Reaktion Alexanders III. war der Adel einer der Stände, wenn auch das erste. Seine Unabhängigkeit schützend, befreite der Absolutismus den Adel nicht von der Polizeiaufsicht und verhängte sogar seine Zensur über die Sprache von dessen Standeshabgier. Aber jetzt ist der Adel im wahrsten Sinne des Wortes der herrschende Stand; er verfügt über die Gouverneure, bedroht die Minister und entlässt sie, stellt der Regierung offen Ultimaten und strebt ihre Umsetzung an. Seine Losung lautet: nicht eine Spanne unseres Landes und nicht ein Körnchen unserer Privilegien!
Zur Verfügung von 60.000 privaten Eigentümern mit einem jährlichen Einkommen von mehr als 1.000 Rubel gibt es etwa 75 Millionen Desjatinen Land: mit einem Marktpreis von 5,9 Milliarden bringt es seinen Besitzern mehr als 450 Millionen Rubel Einkommen pro Jahr. Mindestens ⅔ dieser Menge fällt auf den Adel. Mit dem Gutsbesitzer-Landbesitz ist eng die Bürokratie verbunden. Der Anteil der 90.000 Beamten, die mehr als 1.000 Rubel erhalten, macht fast 200 Millionen Rubel pro Jahr aus. Aber gerade in diesen mittleren und höheren Schichten der Bürokratie gehört der Hauptplatz dem Adel. Schließlich stehen zu seiner ungeteilten Verfügung die Organe der Semstwo-Selbstverwaltung und alle damit verbundenen Vorteile. Wenn vor der Revolution an der Spitze von gut der Hälfte der Semstwos „liberale“ Gutsbesitzer standen, die auf der Grundlage „kultureller“ Semstwoarbeit voranschritten, dann führten die Jahre der Revolution zu einem vollständigen Umsturz in diesem Bereich, als deren Ergebnis in der ersten Reihe die unversöhnlichsten Vertreter der Gutsbesitzerreaktion standen. Der allmächtige Rat des vereinten Adels, der seinen Minister für Landverwaltung Kriwoschein stellt, unterdrückt im Keime die im Interesse der kapitalistischen Industrie unternommenen Versuche der Regierung, die Semstwos zu „demokratisieren“ oder die Standesfesseln der Bauernschaft zu schwächen.
Angesichts dieser Tatsachen erweist sich das Agrarprogramm des Kadetten als Grundlage einer Gesetzesvereinbarung als hoffnungslos utopisch, und es ist nicht verwunderlich, wenn die Kadetten es schweigend aufgegeben haben.
Die Sozialdemokratie kritisierte das Kadettenprogramm vor allem entlang der Linie der „gerechten Bewertung“, und sie hatte Recht. Bereits nach der finanziellen Seite würde der Rückkauf aller Güter, die ihren Eigentümern mehr als 1.000 Rubel pro Jahr bringen, zu unseren neun Milliarden Staatsschulden eine runde Summe von 5–6 Milliarden hinzufügen; das bedeutet, dass ein Prozent anfangen würde, jährlich ¾ Milliarden zu verschlingen. Entscheidend ist aber nicht der finanzielle Blickpunkt, sondern der politische.
Die Bedingungen der so genannten Befreiungsreform von 1861 mit
Hilfe eines übertriebenen Ablösungsbetrags für
Bauernland belohnten tatsächlich Gutsbesitzer für
Bauernseelen (ca. ¼ Mrd., d. h. 25% des gesamten
Ablösungsbetrags). In diesem Fall wurden in der Tat mit Hilfe
der „gerechten Bewertung“ große historische Rechte
und Privilegien des Adels liquidiert, und letzterer vermochte es,
sich an die Halbbefreiungsreform anzupassen und sich mit ihr zu
versöhnen. Er zeigte dann den gleichen richtigen Instinkt wie
heute, wenn es sich entschieden weigert, als Stand Selbstmord zu
begehen, auch wenn der auf einer „gerechten Bewertung“
beruht. Nicht eine Spanne unseres Landes und nicht ein Körnchen
unserer Privilegien! – unter diesem Banner bemächtigte
sich der Adel schließlich des von der Revolution erschütterten
Regierungsapparat und zeigte, dass er mit all der Grausamkeit kämpfen
werde, zu der eine herrschende Klasse fähig ist, wenn die Sache
für sie um Leben und Tod geht.
Wenn ein Muschik einen Herrensitz in Brand steckte, um den Gutsbesitzer ein für allemal auszuräuchern, schien er zu sagen, dass es für einen von ihnen keinen Platz im Dorf gebe. Aber diesen völlig richtigen Gedanken konnte er immer noch weder theoretisch noch hauptsächlich praktisch zu Ende führen.
In groben Zügen lassen sich drei Becken der bäuerlichen „Revolution“ unterscheiden: 1) der Norden, gekennzeichnet durch eine beträchtliche Entwicklung der verarbeitenden Industrie, 2) der Südosten, relativ reich an Land und 3) das Zentrum, wo der Mangel an Land durch den jämmerlichen Zustand der Industrie verstärkt wird. In Übereinstimmung mit diesen Bezirken hat die Bauernbewegung drei Haupttypen des Kampfes entwickelt: die Wegnahme von Getreide, Vieh, Heu und das Fällen von Wald – um die Bedürfnisse des hungrigen und kalten Dorfes direkt zu befriedigen; die Wegnahme von Gutsbesitzerland, mit der Vertreibung der Gutsbesitzer und der Zerstörung von Wirtschaften, um die bäuerliche Landnutzung auszuweiten, und schließlich die Streik-Boykott-Bewegung, die entweder eine Senkung der Pachtgebühren oder eine Erhöhung der Löhne verfolgte. Den ungestümsten Charakter nahm die Bauernbewegung im benachteiligten Zentrum an. Hier verbreiteten sich die Zerstörungen wie ein verheerender Wirbelsturm. Im Süden griff man hauptsächlich auf Streiks und Boykotte der Gutsbesitzerwirtschaften zurück. Schließlich wurde im Norden, wo die Bewegung am schwächsten war, der erste Platz von Waldfällungen eingenommen. Die Weigerung der Bauern, die Verwaltungsmacht anzuerkennen und die Steuern zu zahlen, fand überall dort statt, wo die spontane Empörung ihre Boden- und ökonomische Hülle durchstieß und als rudimentäre revolutionär-politische Bewegung wirkte.
Gegen die Bauernrevolution stand dem gutsbesitzenden Adel bereitwillig der zentralisierte Staatsapparat zur Verfügung. Überwinden könnte ihn die Bauernschaft nur mit einen gleichzeitigen und entschlossenen Aufstand. Aber dazu erwies sie sich als unfähig, sowohl nach den technischen als auch nach den psychologischen Bedingungen ihrer Existenz. Verstreut auf eine Fläche von 5 Millionen Quadratwerst des europäischen Russlands – auf 500.000 Ansiedlungen – erlernte die Bauernschaft aus ihrer Vergangenheit keinerlei Fähigkeiten eines abgestimmten politischen Kampfes. Die Aufgabe reduzierte sich für die sich aufbäumenden Bauern auf die Vertreibung der Gutsbesitzer aus den Grenzen ihres Dorfes, ihrer Gemeinde und schließlich ihres Kreises. Lokaler Kretinismus ist der historische Fluch aller Bauernbewegungen.
Der Knoten der gesellschaftlich-politischen Barbarei Russlands ist im Dorf gebunden; das bedeutet aber nicht, dass das Dorf eine Kraft hervorgebracht hat, die diesen Knoten durchschneiden kann. Eine solche Kraft kann nur im Prozess der Revolution aus der Wechselwirkung zwischen dem Dorf und der revolutionären Stadt entstehen.
In seinem Werk Der deutsche Bauernkrieg [a] gibt uns Engels eine äußerst lehrreiche Darstellung der Bauernrevolution in Deutschland im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Schon damals stellte sich die Bauernbewegung trotz der wirtschaftlichen Schwäche und der politischen Bedeutungslosigkeit der Städte natürlich unter die direkte Führung der städtischen Parteien. Das verhängnisvolle Missverhältnis zwischen dem objektiven Radikalismus der sozialen Interessen der Bauernschaft und ihrer politischen Zersplitterung, Dummheit und Hilflosigkeit führte dazu, dass die aufständische Bauernschaft, die nicht in der Lage war, eine eigene Partei zu gründen, je nach örtlichen Gegebenheiten das Übergewicht entweder der bürgerlich-oppositionellen oder der plebejisch-revolutionären Partei der Stadt gab. Diese letztere war die einzige Partei, die nach der Ansicht von Engels den Sieg der Bauernbewegung sichern konnte. Aber auch sie, obwohl sie sich auf die radikalste Klasse der damaligen Gesellschaft stützte, auf den Embryo des modernen Proletariats (das Vorproletariat [1]), war völlig frei von einer nationalen Verbindung und einem klaren Bewusstsein für die revolutionären Ziele. Das eine wie das andere war aufgrund der wirtschaftlichen Rückständigkeit, der Primitivität der Kommunikationswege und des Staatspartikularismus nicht möglich. Dergestalt wurde die Aufgabe der revolutionären Zusammenarbeit des aufständischen Dorfes und der städtischen Plebs nicht siegreich gelöst und konnte es damals nicht werden. Die Bauernbewegung wurde niedergeschlagen,,, Drei Jahrhunderte später wiederholten sich die gleichen Beziehungen in der Revolution des Jahres [18]48. Die liberale Bourgeoisie wollte nicht nur nicht sondern konnte auch nicht die Bauernschaft emporheben und um sich selbst vereinen, sondern sie fürchtete mehr als alles das Wachstum der Bauernbewegung, gerade weil diese als erstes von allem die Position der plebejisch-radikalen Elemente der Stadt gegen sie gestärkt und gefestigt hätte. Auf der anderen Seite hatten letztere ihre gesellschaftlich-politische Formlosigkeit und Zersplitterung noch nicht überwunden und waren daher nicht in der Lage, nach dem Beiseiteschieben der liberalen Bourgeoisie an der Spitze der Bauernmassen zu stehen. Die Revolution des Jahres ’48 wurde besiegt ... Aber sechs Jahrzehnte zuvor sehen wir in Frankreich die siegreiche Verwirklichung der Aufgaben der Revolution gerade mit Hilfe der Zusammenarbeit der Bauernschaft und des städtischen Plebs, d. h. der Proletarier, Halbproletarier und Lumpenproletarier jener Epoche. Diese „Kooperation“ nahm die Form einer Diktatur des Konvents an, d. h. einer Diktatur der Stadt über das Dorf, von Paris über die Provinz und der Sansculotten über Paris.
Unter den Bedingungen unserer Revolution ist das politische Übergewicht der Industriebevölkerung gegenüber dem Agrarsektor noch größer, aber in unseren Städten hat den Platz des chaotischen Pöbels das Industrieproletariat eingenommen. Auf die Bauernschaft kann sich zur Zeit der Revolution nur die Partei stützen, die die revolutionärsten Massen der Stadt anführt, die keine Angst hat, die Fundamente von Privateigentum, Klassenstaatlichkeit und kapitalistischer Kultur zu erschüttern. Eine solche Partei ist die Sozialdemokratie.
Es stimmt, die Entstehung des Bauernverbandes und insbesondere der Trudowiki-Gruppe schien darauf hinzudeuten, dass die russische Bauernschaft eine eigene unabhängige Dorfpartei gründen könnte, die nicht nur viel Arbeit, sondern auch den Hauptanteil der politischen Verantwortung für den Verlauf und das Ergebnis der Agrarrevolution übernehmen werde. Diese Art von Erwartungen betrachten wir als im Kern fehlerhaft. Was die Trudowiki betrifft, darf man nicht eine Minute aus dem Blick verlieren, dass diese parteilose „Partei“ nicht nur Produkt des objektiven Radikalismus der bäuerlichen Interessen ist, sondern auch des Wahlsystem Bulygin-Witte. Abgeschnitten von den politischen Parteien der Stadt, beraubt der Vorstellung der Verbindung ihrer lokalen Aufgaben mit dem Verlauf der gesamten Revolution, waren die Bauern außerdem dazu verurteilt, bevollmächtigte Wahlmänner und Deputierte aus ihrem eigenen Umfeld auszuwählen. Das unbeholfene Kamel der Agrarrevolution war gezwungen, durch das Nadelöhr des ständisch-kurialen Wahlsystems zu kriechen. Indem es das Dorf von der Stadt abschottete, fixierte dieses Wahlsystem die politische Hilflosigkeit der Bauern in Gestalt der Trudowiki. Gestoßen von der Unversöhnlichkeit der Muschik-Interessen setzten sich diese letzteren sofort – fast instinktiv – in der Duma links von den Vertretern der liberalen Bourgeoisie; aber beklommen durch ihre eigene Hilflosigkeit und angesteckt vom Misstrauen des Dorfbewohners gegenüber den Stadtbewohnern, konnten sie nicht wissen und wussten sie nicht, wie sie die Vertreter des Proletariats systematisch unterstützen sollten. Der Hauptinhalt des Lebens der zweiten Duma war der Streit zwischen der Sozialdemokratie und den Kadetten um die Trudowiki.
Unter einem neuen revolutionären Aufschwung werden wir eine
unschätzbare Schatzkammer der Erfahrung der drei Dumas haben,
aus der wir mit vollen Händen für unsere Agitation auf dem
Dorfe schöpfen werden. Wir werden dort einen unvergleichlich
besser vorbereiteten Boden finden, und unser direkter Gegner, die
Kadettenpartei, kann jetzt, nach ihrer dreijährigen Entwicklung,
noch weniger als 1905 damit rechnen, sich der Bauernschaft zu
bemächtigen.
Bei der Erörterung der Frage des Verhältnisses zwischen Sozialdemokratie und Bauernschaft unter den Bedingungen der russischen Revolution ignorieren wir gewöhnlich die Erfahrung eines kleinen Landes, das an unserer Fingerspitze liegt: Finnland. Im zweiten finnischen Sejm sind von 200 Abgeordneten 83 Sozialdemokraten. Indessen ist Finnland in weitaus größerem Maße als Russland ein kleinbürgerlich-bäuerliches Land; die Großindustrie ist dort unbedeutend, die Sozialdemokratie ist jünger als in Russland, und ihr Einfluss ist in großen Ausmaß eine Widerspiegelung die revolutionäre Rolle des russischen Proletariats. Und was ist los? In der Zeit, in der die finnische Sozialdemokratie in den kleinbürgerlichen Städten 33,3% der Stimmen erhielt, stimmten im Dorf 37,6% der Wähler für sie. Und in Finnland, wie auch in Russland, steht im Zentrum des sozialen Kampfes die Agrar- (Häusler [2]-) Frage, wobei der Eigentümer-Konservatismus des bürgerlichen Liberalismus ihn vollständig von der armen Bauernschaft abschneidet und diese ins Lager der Sozialdemokratie drängt. Der „Bauernverband“, ähnlich wie unsere Trudowiki, spielt trotz der großen Rolle der Häuslerfrage eine unbedeutende Rolle: Bei den letzten Sejmwahlen sammelte er rund 9 Abgeordnete mit nur etwa 6% der gesamten Stimmen. Man muss berücksichtigen, dass der gesamte Umsturz in Finnland das Ergebnis des ersten Schwungs der russischen Revolution war, und die Wahlen zum Sejm, insbesondere die zweiten, in einer Atmosphäre der Angst vor dem Ansturm einer siegreichen Reaktion stattfanden.
Welch einen Einfluss auf die Bauernschaft wird unsere Partei im Prozess und als Resultat der Führung einer neuen, unvergleichlich breiteren Massenbewegung von Stadt und Dorf gewinnen! Natürlich, wenn wir selbst nicht die Waffen niederlegen, erschreckt von den Versuchungen der politischen Macht, zu der uns eine neue Welle zwangsläufig führen wird.
Die führende Rolle der Arbeiter in der Bauernbewegung, ihr politischer Einfluss nach dem ersten entscheidenden Sieg der Revolution wird dadurch erheblich erleichtert, dass unsere Industrie, insbesondere die große, hauptsächlich außerhalb der Stadtmauern angesiedelt ist.
Davon: |
Unternehmen, die mehr als |
% |
Anzahl |
% |
In den Städten |
146 |
32 |
351.000 |
30 |
Außerhalb der Städte |
312 |
68 |
804.000 |
70 |
Gesamt |
458 |
100 |
1.155.000 |
100 |
In dieser Tabelle sind nur gigantische Unternehmen berücksichtigt,
die mehr als 1.000 Arbeiter beschäftigen. Im Allgemeinen machen
Fabriken und Werke aller Größen außerhalb der Städte
57% der Gesamtzahl aus und beschäftigen 58% der Gesamtmasse der
Arbeiter. Man muss jedoch den Vorbehalt zu machen, dass hier als
nichtstädtische Unternehmen auch in Vorstädten ansässige
Fabriken und Werke aufgeführt werden (wir konnten diese
Kategorie aus Mangel an Daten nicht aussondern), aber über all
das hinaus ist es gewiss, dass die Topographie der russischen
Industrie den politischen Einfluss der Sozialdemokratie auf die
breiten Bauernmassen erheblich erleichtert.
Aber dafür lehrte auf der anderen Seite die Revolution auch die Zarenregierung etwas. Diese bietet alle Kräfte der Staatsmacht dafür auf, die Lösung der Agrarfrage auf einen nichtrevolutionären Weg zu lenken. Ihre erste Aufgabe ist die Zerstörung der Land- und der Verwaltungs- und Steuer-Dorfgemeinde, die die dörflichen Massen in einer Einheit der Armut verband und zu einem natürlichen Organ revolutionärer Selbstverwaltung in Bauernaufständen wurde („dorfgemeinschaftliche“ Resolutionen über die Zerstörung der Gutsbesitzerwirtschaften, „dorfgemeinschaftliche“ Verteilung der in Besitz genommenen Ländereien und Gerätschaften ...). Das Gesetz vom 9. November 1906 gab jedem Landwirt das Recht, von der Dorfgemeinde zu verlangen, ihm einen Teil des Gemeinschaftslandes als Privateigentum zuzuweisen, und dieses Recht ist im Gesetz mit großen faktischen Vorteilen zugunsten von Großbauern mit viel Anteilland verbunden. Das Ziel der Regierung war völlig klar: die Dorfgemeinde, die im Kampf mit dem Gutsbesitzer um Land vereint war, in feindliche Lager zu teilen, die um Anteilland kämpften; mit Hilfe der Staatsmacht helfen, die wohlhabende Minderheit der Bauernschaft in eine starke Klasse von Kleineigentümern zu verwandeln, die ihre ganze Stellung der konterrevolutionären Gesetzgebung verdanken, so wie die französischen Bauern ihren neuen Landbesitzgüter der Gesetzgebung der Revolution verdanken. – Was sind die realen Resultate der Stolypin-Gesetzgebung zu Artikel 87?
Bis zum 1. August wurden 303.000 Landwirte aus ihren Dorfgemeinden
ausgesondert, die für sich 2.305.000 Desjatinen sicherten. Die
Ziffern sind zweifellos auf den ersten Blick sehr wichtig. Man muss
jedoch zuallererst die Aufmerksamkeit darauf richten, dass in diesen
ersten zwei Jahren die Maßnahmen des neuen Gesetzes der
Regierung allen jenen Elementen die Möglichkeit gaben, sich aus
den Dorfgemeinden auszusondern, die im Verlauf einer langen
vorherigen Zeit wirtschaftlich reif für eine solche Aussonderung
waren. Die weitere Arbeit zur Schaffung einer Klasse von bäuerlichen
Eigentümern wird daher bei jedem weiteren Schritt auf wachsende
Schwierigkeiten stoßen. Aber auch abgesehen von diesen
Überlegungen sind die tatsächlich erzielten Ergebnisse der
konterrevolutionärer Agrarmaßnahmen in den obigen Zahlen
schrecklich übertrieben. Schließlich ist der eigentliche
Zweck des Gesetzes vom 9. November die Schaffung selbständiger,
von der Dorfgemeinde unabhängiger, an einem Ort ausgesonderter
(Bauern-, Farmer-) Wirtschaften. Indessen hat die überwiegende
Mehrheit der „Aussonderungen“ sauber-formalen Charakter:
für einzelne Dorfgemeindemitglieder wurden einfach als Eigentum
all jene isolierten Streifen von Gemeinschaftsland festgeschrieben,
die ihnen als Folge der letzten Umteilung zugeteilt waren. Von
Farmer-Landwirtschaft kann unter solchen Bedingungen keine Rede sein:
Die „Ausgesonderten“ bleiben in voller Abhängigkeit
von den wirtschaftlichen Sitten der Dorfgemeinde. Tatsächliche
Bauerngütern wurden in zwei Jahren nur 22.000 mit 114.000
Desjatinen Land ausgesondert, d.h. nur etwa 7% der ausgesonderten
Dorfgemeindemitglieder und 5% des ausgesonderten Landes. [A]
Diese 114.000 Desjatinen sind absolut unbedeutend, wenn sie den 88
Millionen gegenübergestellt werden, die im Eigentum der
Dorfgemeinden sind. Unvergleichlich größeren Schwung bekam
die Tätigkeit der Bauernbank, die in den letzten drei Jahren mit
dem Weiterverkauf von Bauernland mit einer Fläche von 8
Millionen Desjatinen im Wert von fast einer Milliarde Rubel begann.
Aber auch diese Zahl gibt eine extrem übertriebene Vorstellung
von der landwirtschaftlichen Arbeit der Regierung: Die Landverkäufe
laufen extrem straff, die Bank kürzt die Operationen, neue
„Eigentümer“ sind nicht in der Lage, dringende
Zahlungen zu leisten, und ausgesonderte Anteile kehren, wie von
verschiedenen Orten berichtet wird, zur Bank zurück oder gehen
unter den Auktionshammer. Jetzt die ziffernmäßigen
Ergebnisse aller agrarischen Maßnahmen der Konterrevolution
zusammenzufassen, gibt es keinerlei Möglichkeit, aber aus dem
Gesagten ist klar, dass, egal welche bürokratische Energie die
Regierung an den Tag legt, das russische Dorf noch eine lange Reihe
von Jahren ein Herd tiefer Gärung und revolutionärer
Explosionen bleiben wird.
Lokaler Kretinismus ist der historische Fluch der Bauernbewegungen. An der politischen Beschränktheit des Muschiks, der in seinem Dorf den Gutsherrn niedermachte, um sein Land zu erobern, aber eine Soldatenjacke anzog und Arbeiter erschoss, zerschellte die erste Welle der russischen Revolution. Alle Ereignisse können als eine Reihe von rücksichtslosen Unterrichtsstunden mit Anschauungsmaterial betrachtet werden, mit denen die Geschichte den Bauern zum Bewusstsein der Verbindung zwischen seinen örtlichen Landbedürfnissen und dem zentralen Problem der Staatsmacht bringt. Auf dieselbe Seite sollte unsere agitatorische Wirkung auf die Bauern gerichtet sein, die vor allem dadurch charakterisiert ist, wie wir die Agrarfrage unter dem Proletariat selbst stellen.
Egal wie wir uns die Formen des Landeigentums vorstellen, die sich nach der Agrarrevolution entwickeln werden, so ist doch klar, dass es heute, wo sich das Land im Eigentum der Gutsbesitzer befindet, wo der Zarismus zum Schutz dieses Eigentums dasteht, absolut unmöglich ist, Munizipalisierung der Nationalisierung entgegenzustellen. Nur eine neue Macht, die aus der Revolution hervorginge, kann neue Formen des Landeigentums schaffen. Die Übertragung des beschlagnahmten Landes in das Eigentum des gesamten Volkes (resp. des Staates) ist in jedem Fall die notwendige revolutionär-politische Voraussetzung für die Munizipalisierung des Bodens. Die ganze Aufgabe der Revolution besteht nun genau darin, diese Voraussetzung zu schaffen. In der gegenwärtigen Phase der Revolution die Munizipalisierung der Nationalisierung entgegenzustellen, bedeutet – ohne es zu wollen –, den lokalen Kretinismus des Muschiks prinzipiell zu sanktionieren. Er trat in die Revolution mit dem Vorurteil ein, dass es genüge, die Grundbesitzer seiner Nachbarschaft zu vertreiben und die adligen Semstwos und die Bezirkspolizei einem Boykott zu unterziehen, um die Gemeinde oder den Bezirk zum Herrn des gesamten lokalen Landes zu machen. Unsere Aufgabe ist es, ihm zu erklären, dass er diese Arbeit im gesamtstaatlichen Umfang erledigen sollte und dass er das benötigte Land nur aus den Händen eines neuen, demokratischen Staates erhalten kann. Die Munizipalisierung ist ein Programm, über das wir in einer Verfassungsgebenden Versammlung sprechen können; dies setzt aber bereits das Vorhandensein einer Verfassungsgebenden Versammlung voraus, in deren Händen die Verfügung über den Bodenfonds des Landes liegt.
„Die Nationalisierung des Landes wird die Bauern abschrecken.“ Warum? Weil sie im allgemeinen die Stellung der Agrarfrage im staatlichen Umfang abschreckt! Aber wir müssen diese „munizipale“ Beschränktheit durchbrechen, um auch nur zumindest die Möglichkeit der Munizipalisierung des Landes zu haben. Oder weil sich die Bauern vor der Nationalisierung ihrer Parzellen und kleinen Anteilländereien fürchten. Aber schließlich steht die Landfrage vor der Bauernschaft nicht als Frage, was mit ihrem eigenen Land zu tun ist (an dem sich niemand vergreift oder vergreifen wird), sondern als Frage, wie man das Gutsbesitzerland zur Verfügung bekommen kann. Wir antworten: durch das Mittel eines demokratischen Staates. Die Nationalisierung des Landes kann zu ihrer Zeit zu einer Stütze der Restauration werden! Alles kann passieren. Aber ist sie zur jetzigen Zeit ein Hebel der Revolution?
Was machen wir mit konfisziertem Land?
Oben haben wir versucht zu zeigen, dass die Liquidierung des Gutsbesitzer-Grundeigentums nur bei einer solchen Wucht der Revolution möglich ist, dass sie die Sozialdemokratie an die Macht bringt. Es ist unnötig zu sagen, dass sie sich nicht mit der Enteignung von Parzellenland und kleinem Anteilland befassen wird. Es kann auch keine Rede davon sein, dass eine proletarische Regierung, nachdem sie Landgüter mit Großproduktion konfisziert hat, diese in Abschnitte zerlegt und an Kleinproduzenten zur Ausbeutung übergibt – das einzige Ergebnis wäre eine kooperative Produktion unter kommunaler oder direkter staatlicher Kontrolle. Privates Land, das mit bäuerlichem Inventar bewirtschaftet wird, muss direkt an die Erzeuger übertragen werden, und die natürlichen und unvermeidlichen Vermittler zwischen ihnen und dem Staat werden die örtlichen Selbstverwaltungsorgane [B] sein. Die Munizipalisierung des Landes wird nur möglich und lebendig bei allgemeiner Stabilität des revolutionären Regimes. Eine Gutsbesitzer-Restauration ist sowohl bei „Nationalisierung“ als auch bei „Munizipalisierung“ furchtbar, denn nach einem Sieg wird sie natürlich nicht nur von der Zentralregierung, sondern auch von den Semstwos Besitz ergreifen. Angesichts der Zerbrechlichkeit eines neuen Regimes (und diese bestimmt sich nicht nur durch inländische, sondern auch durch internationalen Bedingungen) kann eine revolutionäre Regierung sich festigen, indem sie das Land aufteilt, denn die wildeste Restauration wird vor der Aufgabe haltmachen, Millionen von Kleineigentümern zu enteignen. Alles, was ihr in einem solchen Fall bleibt, ist, wie bei der Restauration der Bourbonen, die Gutsbesitzer für das ihnen genommene Land aus der Staatskasse zu entschädigen. Dann kann die kadettische „gerechte Bewertung“ Verwendung finden – nicht als Programm einer ständischen Vereinbarung und gesetzgeberische Lösung der Agrarfrage, sondern als ein Programm der Kompensation der Schäden und Verluste für den Adel, die ihm durch eine siegreiche Agrarrevolution entstanden sind.
Sei es wie es sei, jetzt aber erarbeiten wir keine Maßnahmen gegen eine kommende Restauration, sondern ein Programm des Kampfes gegen den bestehenden Zarismus.
Unsere Tätigkeit in der dritten Duma muss für uns in der Perspektive auf unsere gemeinsamen revolutionären Aufgaben stehen. Je mutiger und energischer unsere Fraktion die Forderungen unseres Programms vorbringen wird, das jetzt, da in der Handels- und industriellen Sphäre eine schwere Krise und auf dem Land Hunger herrscht, unweigerlich die Aufmerksamkeit breiter Volksmassen auf sich ziehen wird, desto schneller wird die Selbstbestimmung der Bauernfraktion gehen, desto größere Schwierigkeiten werden wir der Stolypinregierung und ihrer Duma in den Weg legen und die Hauptsache – desto enger werden wir um unsere Partei die sozialistischen Elemente der Arbeiterklasse sammeln. Niemand kann sagen, wann große Ereignisse kommen werden, aber auf jeden Fall ist die beste Weise, sich auf sie vorzubereiten, vor den Massen das Banner der Revolution breit zu entfalten.
a. F. Engels, Der deutsche Bauernkrieg (1850).
1. „das Vorproletariat“ im Original auf Deutsch.
2. Im Original „Torpar“, Häusler, Kätner, Kötter o. ä scheint mir eine angemessene Übersetzung der schwedisch-finnischen Bezeichnung zu sein.
A. Die Hauptmasse dieser ausgesonderten Anteile fällt auf die Kiewer und Saratower Gouvernements, die in landwirtschaftliche Versuchsbetriebe umgewandelt wurden. Nach Abzug dieser beiden Gouvernements gibt es in ganz Russland weniger als 5.000 Bauerngut-Anteile.
B. Siehe dazu N. Trotzki Unsere Revolution, St. Petersburg, 1906, S. 254 ff. und 273 ff.
Zuletzt aktualiziert am 18. Dezember 2024