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Nach Schriften zur revolutionären Organisation, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 212–252.
>Um mein Kolloquium mit den Herren Revisionisten abzuschließen, bleiben mir noch zwei Worte über ein völlig vernichtendes Argument von Herr Prokopowitsch zu sagen. In meinem Vorwort stehen einige Zeilen, die ich weiter oben bereits wiederholt streifen musste:
„Ja, wir machten Fehler, begingen Irrtümer und frevelten sogar – und trotzdem vollbrachten wir eine große Sache. Verglichen mit ihnen vollbrachten wir Wunder. Wir waren und bleiben die Trommler und Trompeter einer gewaltigen Klasse, wir waren stolz auf ihre ersten Schritte, wir zweifelten niemals an ihr, wir verließen sie nicht in der Stunde der Not ... Und wir vollbrachten Wunder.“ [N]
Herr Prokopowitsch schreibt zu diesen Worten:
„Was die Behauptung betrifft, die Sozialdemokraten seien immer nur (?) die Trommler und Trompeter des Proletariats gewesen, so hat Herr Trotzki in diesem Punkt (!) – prinzipiell – den Herrn Trotzki widerlegt. Der eine Herr Trotzki (man merke auf! T.) stellt die Sozialdemokratie an den Platz von Trommlern, der andere Herr Trotzki jedoch (hört, hört! T.) sagt geradeheraus, dass die Sozialdemokratie das Proletariat dirigiere. [O] Zwischen dem General und dem Trompeter besteht eine Distanz von gewaltigem Ausmaß. Was stellt die Sozialdemokratie nun dar: die Generale oder die Trommler des Proletariats?“ [P]
So fragt Herr Prokopowitsch mit dämonischem Sarkasmus und bezeichnet daraufhin mich persönlich mit der ihm eigenen Unverfrorenheit – einer keineswegs parteilichen, sondern höchst individuellen Unverfrorenheit – als den „hochverehrten Trommler, der so große Dinge vollbrachte“. Man wird begreifen, wie vernichtend das alles ist: Meine eigenen inneren Widersprüche liegen offen zutage; hier tritt die Sozialdemokratie bei mir als Dirigentin des Proletariats auf, dort als Trommlerin und Trompeterin. „Zwischen dem General und dem Trompeter“ jedoch besteht, wie mein Herr Spötter erklärte, „eine Distanz von gewaltigem Ausmaß“. Meine Sache steht schlecht. Kann man sich nicht irgendwie herauswinden? Wenn ich vielleicht dem Herrn Oberst in aller Einfalt erwidere, dass ich kein Meister bin in der Kunst, Tressen zu unterscheiden – wird das nicht als mildernder Umstand für diesen Widerspruch anzurechnen sein?
Oder sollte man sagen, die sozialdemokratische Partei sei eine demokratisch aufgebaute Armee, in der zwischen General und Trommler keine so strenge „Distanz“ bestehe? Oder vielleicht sollte ich einzuwenden versuchen, dass ich nicht in unmittelbarem Sinn von Trommlern sprach, dass sich unter den Besitztümern unserer Partei keine Trommeln befinden, dass ich „in diesem Punkt“ eine Metapher benutzt habe?
Eine Metapher! Muss ich etwa Heinrich Heine zu Hilfe rufen, der ein General der Poesie war, sich aber einen Trommler nannte?
Oder auf Frechheit setzen und sagen, es sei besser, „nur“ ein Trommler des Proletariats zu sein als – der Trommler einer ausgedienten Ziege?
Oder vielleicht einfach den Kopf schütteln und sagen: „Gehe hin und sündige nicht mehr!“? Gehen Sie hin, Herr Prokopowitsch, und versündigen Sie sich nicht weiter – am Witz. Das ist nicht Ihre „Sache“. Ihre Sache sind tiefgründige Analyse und politische Prophetie auf 8 Jahre im Voraus.
Bevor ich jedoch Herrn Prokopowitsch endgültig gehen lasse, muss ich ihm in aller Ernsthaftigkeit noch das Folgende sagen:
Obgleich ich in meinem Buch über mich persönlich und meine politische Tätigkeit kein Wort verliere – aus Gründen, die sicherlich nicht schwer zu begreifen sind –, zerren Sie mich über Ihren ganzen Artikel hinweg beharrlich am Rockschoß und fragen: Trat er in die Eisenbahnergewerkschaft ein? Hatte er irgend etwas mit dem Rat der Arbeiterdeputierten zu tun? Und zu guter Letzt nennen sie mich den „Trommler? der große Dinge vollbrachte“. Wissen Sie was, Verehrtester? Wie unbedeutend meine Rolle im Rat der Arbeiterdeputierten, wie klein mein Anteil an der Arbeiterbewegung auch sein mag – vor Ihnen und Ihresgleichen den Kopf zu senken habe ich keinerlei Ursache. Nicht ich war es von uns beiden, der vor der Sozialdemokratie davonlief und in seinem intellektuellen Skeptizismus den objektiven Beweis der Unmöglichkeit erblickte, an der Bildung einer proletarischen Partei zu arbeiten. Nicht ich versteckte mich vor der Mühseligkeit aktiver Arbeit im Schatten des „Bundes der Befreiung“, und deshalb musste nicht ich wieder aus dem „Bund“ ausreißen, als sich das kleinbürgerliche Ferkel in das verwandelte, in was es sich nach den Gesetzen der Natur verwandeln musste: in die „konstitutionell-demokratische Partei“. Das dürfen Sie in keinem Fall vergessen!
Herr Peter Struve oder jeder beliebige andere Bankrotteur mögen den Kopf hochhalten – ihre Physiognomie hat sich schon längst in ein narzisstisches Fünfkopekenstück des Liberalismus verwandelt. Die ehrwürdige Autorin des Credo scheint mir ebenso ein völlig hoffnungsloser Fall, weil ihr Denken offensichtlich endgültig von den Motten der Stubenhockerpolitik zerfressen ist. Von Ihnen wage ich das jedoch nicht so kategorisch zu behaupten. Möglicherweise führt Sie Ihr unglückliches Schicksal erneut in die Reihen der Sozialdemokratie, aus deren Kreis heraus Sie eine so lange und so ergebnislose Exkursion gemacht haben. Und wenn Sie wieder zu uns kommen, werden Sie unsere Reihen hundertfach vermehrt vorfinden und an den Früchten langer und beharrlicher Arbeit teilhaben. Ich hoffe, dass meine Genossen genügend Takt besitzen werden, Ihnen nicht ohne Umschweife die Frage vorzulegen: Wo haben Sie sich während der anstrengendsten Jahre unserer Arbeit herumgetrieben? Vergessen Sie nicht Ihr – vermutliches – morgiges Schicksal, und halten Sie, der Sie jetzt noch sozusagen kadettischer Volontär sind, in Ihren Angriffen gegen die Sozialdemokratie die Grenzen eines richtigen und angemessenen Tons ein, so dass es Ihnen nicht peinlich sein wird, später in Arbeiterversammlungen auf uns zu stoßen.
1. Dezember 1906
N. Nascha Rewoljutsija, S. XIX.
O. Kursiv von Herrn Prokopowitsch.
P. Kursiv von mir.
Zuletzt aktualiziert am 14. November 2024