Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

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21. Geschichtliches über
das Kaufmannskapital

(Bd. III, I, Kapitel 20)

Im Gang der wisenschaftlichen Untersuchung erscheint die Bildung der allgemeinen Profitrate als ausgehend von den produktiven Kapitalen und ihrer Konkurrenz und erst später berichtigt, ergänzt, verändert durch die Dazwischenkunft des Handelskapitals. Im Gang der historischen Entwicklung verhält sich die Sache geradezu umgekehrt.

Aus dem bisher Entwickelten ergibt sich von selbst, dass nichts abgeschmackter sein kann, als das Kaufmannskapital als eine besondere Art des produktiven Kapitals zu betrachten, ähnlich wie etwa Bergbau, Ackerbau, Viehzucht, Manufaktur, Transportindustrie usw. Schon die einfache Beobachtung, dass jedes produktive Kapital beim Verkauf seiner Produkte und beim Einkauf seiner Rohmateriale ganz dieselben Funktionen verrichtet wie das Kaufmannskapital, müsste diese rohe Auffassung unmöglich machen. Das Handelskapital ist vielmehr nur ein abgelöster und selbständig gewordener Teil des produktiven Kapitals, der dauernd diejenigen Formen annimmt und diejenigen Funktionen ausübt, die zum Umsatz der Waren in Geld (und des Geldes in Waren) nötig sind.

Wir haben bisher das Kaufmannskapital vom Standpunkt und innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise betrachtet. Nicht nur der Handel, sondern das Handelskapital ist aber älter als die kapitalistische Produktionsweise, ist in der Tat die historisch älteste, freie Existenzweise des Kapitals.

Weil das Handelskapital dauernd und ausschließlich in der Zirkulation, in der Vermittlung des Warenaustausches sich betätigt, so sind zu seiner Existenz – abgesehen von unentwickelten Formen, die aus dem unmittelbaren Tauschhandel entspringen – keine anderen Bedingungen nötig als zur einfachen Waren- und Geldzirkulation. Oder die letztere ist vielmehr seine Existenzbedingung. Wie auch immer die Produktion beschaffen sein mag, die Waren zum Verkauf liefert – ob urwüchsiges Gemeinwesen oder Sklavenproduktion, ob kleinbäuerliche, kleinbürgerliche oder kapitalistische; ob sämtliche Produkte verkäuflich sind oder nur der Überschuss der Produzenten über ihren eigenen Bedarf – immer müssen diese Waren verkauft werden, müssen den Austausch durchmachen. Und den vermittelt das Kaufmannskapital.

Wieviel von den Produkten in den Handel und damit in die Hände der Kaufleute übergeht, das hängt ab von der Produktionsweise und erreicht sein Maximum in der voll entwickelten kapitalistischen Produktion, wo das Produkt überhaupt nur noch als Ware, nicht als unmittelbares Unterhaltsmittel produziert wird. Andererseits gibt der Handel aber auch in jeder Produktionsweise einen Anreiz, über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren, um für den Überschuss Genüsse oder Schätze einzutauschen. Wo der Handel einmal existiert, gibt er also der Produktion einen mehr und mehr auf den Tauschwert gerichteten Charakter.

Wie auch die Gesellschaft organisiert sei, deren Warenaustausch der Kaufmann vermittelt, sein Vermögen existiert immer in Geldform und sein Geld fungiert stets als Kapital; d. h. fungiert stets zu dem Zweck, mehr Geld, Mehrwert zu gewinnen. Das treibende Motiv und der bestimmende Zweck, weshalb der Kaufmann sein Geld zur Vermittlung des Warenaustauschs anwendet, ist (nicht nur in der kapitalistischen, sondern auch in allen früheren Gesellschaftsformen), aus Geld mehr Geld zu machen. Die einzelnen Vorgänge des Austausches, G – W und W – G′, erscheinen bloß als Übergangsmomente dieser Verwandlung von G in G′, von Geld in mehr Geld. Die charakteristische Bewegung des Kaufmannskapitals ist G – W – G′, Geld – Ware – mehr Geld, und unterscheidet es von W – G – W, dem Warenhandel zwischen den Produzenten selbst, der auf den Austausch von Gebrauchswerten als letzten Zweck gerichtet ist.

Je unentwickelter die Produktion, desto weniger werden die Produzenten Geld haben, desto mehr wird sich das Geldvermögen konzentrieren in den Händen der Kaufleute oder als eigentümliche Form des Kaufmannsvermögens erscheinen.

So erscheint in allen vorkapitalistischen Zeiten der Handel als die Funktion des Kapitals, als sein einziger und eigentlicher Zweck. Und dies um so mehr, je mehr die Produktion an sich Lebensmittel für den Produzenten liefert. Es gab damals kein anderes Kapital als das Kaufmannskapital, während, wie wir gesehen haben, im kapitalistischen Zeitalter das Kapital sich der Produktion selbst bemächtigt und sie tiefgreifend verändert, sodass nunmehr das Kaufmannskapital nur noch eine besondere Form, eine besondere Funktion neben anderen Arten von Kapital ist.

Es macht also nicht die geringste Schwierigkeit einzusehen, warum das Kaufmannskapital in der Geschichte auftritt, lange bevor das Kapital sich die Produktion selbst unterworfen hat. Vielmehr muss es existieren und zu einer gewissen Höhe entwickelt sein, damit die kapitalistische Produktion entstehen kann,

  1. als Vorbedingung der Konzentration von Geldvermögen, und
     
  2. weil die kapitalistische Produktion den Absatz im großen und nicht an den einzelnen Kunden voraussetzt, also auch einen Kaufmann, der nicht zur Befriedigung seines persönlichen Bedürfnisses kauft, sondern zur Vermittlung der Bedürfnisse vieler.

Andererseits wirkt alle Entwicklung des Kaufmannskapitals darauf hin, der Produktion einen mehr und mehr auf den Tauschwert gerichteten Charakter zu geben, die Produkte mehr und mehr in Waren zu verwandeln. Doch ist seine Entwicklung, für sich genommen, wie wir gleich noch sehen werden, unzureichend, um den Übergang einer Produktionsweise in die andere zu vermitteln und zu erklären.

Innerhalb der kapitalistischen Produktion wird das Kaufmannskapital von Frseiner früheren selbständigen Existenz herabgesetzt zu einer besonderen Art der Kapitalanlage überhaupt, und die Ausgleichung der Profite reduziert seine Profitrate auf den allgemeinen Durchschnitt. Es fungiert nur noch als der Agent des produktiven Kapitals. Die mit der Entwicklung des Kaufmannskapitals sich bildenden besonderen Gesellschaftszustände sind hier nicht mehr bestimmend; im Gegenteil, wo es vorherrscht, herrschen veraltete Zustände. Dies gilt sogar innerhalb desselben Landes, wo z. B. die reinen Handelsstädte ganz andere Vergleichspunkte mit vergangenen Zuständen bilden als die Fabrikstädte. [1]

Selbständige und vorwiegende Entwicklung des Kaufmannskapitals bedeutet, dass das Kapital sich die Produktion nicht unterworfen hat. Die selbständige Entwicklung des Kaufmannskapitals steht also im umgekehrten Verhältnis zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft.

Dies tritt am meisten zutage in der Geschichte des Zwischenhandels, wie bei Venetianern, Genuesen, Holländern usw., wo also der Hauptgewinn gemacht wird nicht durch Ausfuhr der eigenen Landesprodukte, sondern durch Vermittlung des Austauschs der Produkte von Gemeinwesen, die im Handel wie auch sonst wirtschaftlich noch unentwickelt sind, und durch Ausbeutung beider Produktionsländer. [2] Hier haben wir das Kaufmannskapital in seiner reinen Gestalt, abgetrennt von den Produktionen, zwischen denen es vermittelt, und es ist dies eine Hauptquelle seiner Entstehung. Aber dies Monopol des Zwischenhandels, und damit dieser Handel selbst, verfällt im selben Verhältnis wie die ökonomische Entwicklung der Völker fortschreitet, die es beiderseits ausbeutete. (Von der Art und Weise übrigens, wie das Kaufmannskapital da wirtschaftet, wo es direkt die Produktion beherrscht, bietet schlagendes Beispiel nicht nur die Kolonialwirtschaft überhaupt, sondern ganz speziell die Wirtschaft der alten holländisch-ostindischen Kompanie.)

Auf den ersten Blick erscheint der Handelsprofit unmöglich, solange Produkte zu ihren Werten verkauft werden. Wohlfeil kaufen um teuer zu verkaufen, ist das Gesetz des Handels; also nicht der Austausch von gleichen Werten. In welchen Mengen die Produkte sich austauschen, ist zunächst ganz zufällig. Wird aber dauernd ausgetauscht und demzufolge regelmäßiger für den Austausch produziert, so hebt dies die Zufälligkeit mehr und mehr auf. Zunächst aber nicht für die Produzenten und Konsumenten, sondern für den Vermittler zwischen beiden, den Kaufmann, der die Geldpreise vergleicht und die Differenz einsteckt.

Der Handel der ersten selbständigen, großartig entwickelten Handelsstädte und Handelsvölker des Altertums beruhte als reiner Zwischenhandel auf der Barbarei der produzierenden Völker, zwischen denen sie die Vermittler spielten.

In den Vorstufen der kapitalistischen Gesellschaft (d. h. im westlichen Europa im Mittelalter) beherrscht der Handel die Industrie; in der modernen Gesellschaft umgekehrt. Der Handel wird natürlich mehr oder weniger zurückwirken auf die Gemeinwesen, zwischen denen er getrieben wird; er wird die Produktion mehr und mehr dem Tauschwert unterwerfen, indem er Genüsse und Lebensunterhalt mehr abhängig macht vom Verkauf als vom unmittelbaren Gebrauch des Produkts. Er löst dadurch die alten Verhältnisse auf. Er vermehrt die Geldzirkulation. Er ergreift nicht mehr bloß den Überschuss der Produktion, sondern frisst nach und nach diese selbst an und macht ganze Produktionszweige von sich abhängig. Indes hängt diese auflösende Wirkung sehr ab von der Natur des produzierenden Gemeinwesens.

Solange das Handelskapital den Produktenaustausch unentwickelter Gemeinwesen vermittelt, erscheint der Handelsprofit nicht nur als Übervorteilung und Prellerei, sondern entspringt großen Teils aus ihr. Das Handelskapital in überwiegender Herrschaft stellt überall ein System der Plünderung dar, wie denn auch seine Entwicklung bei den Handelsvölkern der alten wie der neueren Zeit direkt mit gewaltsamer Plünderung, Seeraub, Sklavenraub, Unterjochung in Kolonien verbunden ist. So in Karthago, Rom, später bei Venetianern, Portugiesen, Holländern usw.

Die Entwicklung des Handels und des Handelskapitals entwickelt überall die Richtung der Produktion auf den Tauschwert, vergrößert ihren Umfang, vermannigfacht und kosmopolisiert sie, entwickelt das Geld zum Weltgeld. Der Handel wirkt deshalb überall mehr oder minder auflösend auf die vorgefundenen Organisationen der Produktion, die in allen ihren verschiedenen Formen hauptsächlich auf den Gebrauchswert gerichtet sind. Wie weit er aber die Auflösung der alten Produktionsweise bewirkt, hängt zunächst ab von ihrer Festigkeit und inneren Gliederung. Und wohin dieser Prozess der Auflösung ausläuft, d. h. welche neue Produktionsweise an Stelle der alten tritt, hängt nicht vom Handel ab, sondern vom Charakter der alten Produktionsweise selbst. In der antiken Welt resultiert die Wirkung des Handels und die Entwicklung des Kaufmannskapitals stets in Sklavenwirtschaft: je nach dem Ausgangspunkt auch nur in Verwandlung eines patriarchalischen Sklavensystems, das auf die Produktion unmittelbarer Unterhaltsmittel gerichtet war, in ein auf Produktion von Mehrwert gerichtetes. In der modernen Welt dagegen läuft sie aus in die kapitalistische Produktionsweise. Es folgt hieraus, dass diese Resultate selbst noch durch ganz andere Umstände bedingt waren als durch die Entwicklung des Handelskapitals.

Es liegt in der Natur der Sache, dass, sobald städtische Industrie als solche sich von der Landwirtschaft trennt, ihre Produkte von vornherein Waren sind und deren Verkauf also der Vermittlung des Handels bedarf. Soweit ist selbstverständlich, dass der Handel sich an die städtische Entwicklung anlehnt und dass andererseits die städtische Entwicklung durch den Handel bedingt ist. Jedoch hängt es hier durchaus von anderen Umständen ab, wie weit industrielle Entwicklung damit Hand in Hand geht. Das alte Rom entwickelt schon in der späteren republikanischen Zeit das Kaufmannskapital höher, als es je zuvor in der alten Welt bestanden hat, ohne irgendwelchen Fortschritt gewerblicher Entwicklung; während in Korinth und anderen griechischen Städten Europas und Kleinasiens ein hochentwickeltes Gewerbe die Entwicklung des Handels begleitet. Andererseits, im geraden Gegenteil zur städtischen Entwicklung und ihren Bedingungen, ist Handelsgeist und Entwicklung des Handelskapitals oft gerade nichtansässigen, nomadischen Völkern eigen.

Es unterliegt keinem Zweifel – und gerade diese Tatsache hat ganz falsche Anschauungen erzeugt – dass im 16. und im 17. Jahrhundert die großen Umwälzungen, die mit den geographischen Entdeckungen im Handel vorgingen und die Entwicklung des Kaufmannskapitals rasch steigerten, ein Hauptmoment bilden in der Förderung des Übergangs der feudalen Produktionsweise in die kapitalistische. Die plötzliche Ausdehnung des Weltmarkts, die Vervielfältigung der umlaufenden Waren, der Wetteifer unter den europäischen Nationen, sich der asiatischen Produkte und der amerikanischen Schätze zu bemächtigen, das Kolonialsystem, trugen wesentlich bei zur Sprengung der feudalen Schranken der Produktion. Indes entwickelte sich die moderne Produktionsweise, in ihrer ersten Periode – der Manufakturperiode – nur da, wo die Bedingungen dafür sich innerhalb des Mittelalters erzeugt hatten. Man vergleiche z. B. Holland mit Portugal. [3] Und wenn im 16. und zum Teil noch im 17. Jahrhundert die plötzliche Ausdehnung des Handels und die Schöpfung eines neuen Weltmarktes einen überwiegenden Einfluss auf den Untergang der alten und den Aufschwung der kapitalistischen Produktionsweise ausübten, so geschah dies umgekehrt auf Grundlage der einmal geschaffenen kapitalistischen Produktionsweise. Der Weltmarkt bildet selbst die Grundlage dieser Produktionsweise. Andererseits, die ihr innewohnende Notwendigkeit, auf stets größerer Stufenleiter zu produzieren, treibt zur beständigen Ausdehnung des Weltmarkts, sodass der Handel hier nicht die Industrie, sondern die Industrie den Handel beständig revolutioniert. Auch die Handelsherrschaft ist jetzt geknüpft an das größere oder geringere Vorwiegen der Bedingungen der großen Industrie. Man vergleiche z. B. England und Holland. Die Geschichte des Untergangs Hollands als herrschender Handelsnation ist die Geschichte der Unterordnung des Handelskapitals unter das industrielle Kapital. Die Hindernisse, die die innere Festigkeit und Gliederung vorkapitalistischer nationaler Produktionsweisen der auflösenden Wirkung des Handels entgegensetzt, zeigen sich schlagend im Verkehr der Engländer mit Indien und China. Die breite Basis der Produktionsweise ist hier gebildet durch die Vereinigung kleiner Landwirtschaft mit häuslicher Industrie, wobei noch in Indien die auf Gemeineigentum am Boden beruhende Dorfgemeinde hinzukam, die übrigens auch in China die ursprüngliche Form war. In Indien wandten die Engländer zugleich ihre unmittelbare politische und ökonomische Macht, als Herrscher und Grundrentner, an, um diese kleinen ökonomischen Gemeinwesen zu sprengen. Soweit ihr Handel hier auf die Produktionsweise einwirkt, ist es nur, soweit sie durch den niedrigen Preis ihrer Waren die Spinnerei und Weberei vernichten und so die Gemeinwesen zerreißen. Selbst hier gelingt ihnen dieses Auflösungswerk nur sehr allmählich. Noch weniger in China, wo die unmittelbare politische Macht nicht zu Hilfe kommt. Die große Zeit- und Arbeitsersparung, die aus der unmittelbaren Verbindung von Ackerbau und Manufaktur hervorgeht, bietet hier hartnäckigsten Widerstand den Produkten der großen Industrie, deren Preis durch die Unkosten der sie überall durchlöchernden Zirkulation verteuert wird.

Der Übergang aus der feudalen Produktionsweise macht sich auf doppelte Art. Entweder wird der Produzent selber Kaufmann und Kapitalist. Dies ist der wirklich revolutionierende Weg. Oder aber, der Kaufmann bemächtigt sich der Produktion unmittelbar. So sehr der letztere Weg historisch als Übergang wirkt – wie z. B. der englische LllotlUsr (Tuchfabrikant) [?] des 17. Jahrhunderts, der den selbständig bleibenden Webern die Wolle verkauft und das Tuch abkauft – so wenig bringt er es an und für sich zur Umwälzung der alten Produktionsweise, die er vielmehr konserviert und als seine Voraussetzung beibehält. So z. B. war großenteils noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts der Fabrikant in der französischen Seidenindustrie, der englischen Strumpfwaren- und Spitzenindustrie bloß dem Namen nach Fabrikant, in Wirklichkeit bloßer Kaufmann, der die Weber in ihrer alten Weise, jeden für sich in seiner kleinen Werkstatt, fortarbeiten ließ und nur die Herrschaft des Kaufmanns ausübte, für den sie in der Tat arbeiteten. Dasselbe galt von der rheinischen Band- und Litzenwirkerei und Seidenweberei. Diese Manier steht überall der wirklichen kapitalistischen Produktionsweise im Wege und geht unter mit deren Entwicklung. Ohne die Produktionsweise umzuwälzen, verschlechtert sie nur die Lage der Arbeitenden, verwandelt sie in bloße Lohnarbeiter und Proletarier unter schlechteren Bedingungen als die, welche direkt unter dem Kapital arbeiten, und eignet sich ihre Mehrarbeit auf Basis der alten Produktionsweise an. Mit kleinen Unterschieden besteht (1865) dasselbe Verhältnis bei einem Teil der Londoner Möbelfabrikation. Sie ist in viele von einander unabhängige Geschäftszweige geteilt. Das eine Geschäft macht bloß Stühle, das andere bloß Tische, das dritte bloß Schränke usw. Aber diese Geschäfte selbst werden mehr oder weniger handwerksmäßig betrieben, von einem kleinen Meister mit wenigen Gesellen. Dennoch ist die Produktion zu massenhaft, um direkt für Private zu arbeiten. Ihre Käufer sind die Besitzer von Möbelmagazinen. Am Sonnabend begibt sich der Meister zu ihnen und verkauft sein Produkt, wobei ganz so über den Preis geschachert wird, wie im Pfandhaus über den Vorschuss auf dieses oder jenes Stück. Diese Meister bedürfen des wöchentlichen Verkaufs, schon um für die nächste Woche wieder Rohmaterial kaufen und Arbeitslohn auszahlen zu können. Unter diesen Umständen sind sie eigentlich nur Zwischenschieber zwischen dem Kaufmann und ihren eigenen Arbeitern. Der Kaufmann ist der eigentliche Kapitalist, der den größten Teil des Mehrwerts in die Tasche steckt. So ähnlich beim Übergang in die Manufaktur aus den Zweigen, die früher handwerksmäßig oder als Nebenzweige der ländlichen Industrie betrieben wurden. Je nach der technischen Höhe, die dieser kleine Selbstbetrieb hat – wo er selbst schon Maschinen anwendet, die handwerksmäßigen Betrieb zulassen – findet auch Übergang zur Großindustrie statt; die Maschine wird, statt mit der Hand, mit Dampf getrieben; wie dies z. B. in der letzten Zeit (1865) im englischen Strumpfwarengeschäft sich ereignet.

Der Übergang findet also auf dreierlei Art statt: Erstens, der Kaufmann wird direkt Industrieller; dies ist der Fall bei den aus dem Handel erwachsenen Gewerben, namentlich bei Luxusindustrien, welche von den Kaufleuten mitsamt den Rohstoffen und den Arbeitern aus der Fremde eingeführt werden, wie im 15. Jahrhundert in Italien aus Konstantinopel. Zweitens, der Kaufmann macht die kleinen Meister zu seinen Zwischenschiebern oder kauft auch direkt vom Selbstproduzenten: er lässt ihn der Form nach selbständig und lässt seine Produktionsweise unverändert. Drittens, der Industrielle wird Kaufmann und produziert im großen für den Handel.

Im Mittelalter ist der Kaufmann bloß „Verleger“ der, sei es von den Zünftlern, sei es von den Bauern produzierten Waren. Der Kaufmann wird Industrieller oder vielmehr lässt die handwerksmäßige, besonders die ländliche kleine Industrie für sich arbeiten. Andrerseits wird der Produzent Kaufmann. Statt, dass z. B. der Tuchwebermeister seine Wolle nach und nach in kleinen Portionen vom Kaufmann erhält und mit seinen Gesellen für diesen arbeitet, kauft er selbst Wolle oder Garn und verkauft sein Tuch an den Kaufmann. Und statt für den einzelnen Kaufmann, oder für bestimmte Kunden, produziert der Tuchweber jetzt für die Handelswelt. Der Produzent ist selbst Kaufmann. Ursprünglich war der Handel Voraussetzung für die Verwandlung des zünftigen und ländlich-häuslichen Gewerbes und des feudalen Ackerbaus in kapitalistische Betriebe. Er schafft dem Produkt den Markt, er führt neue Roh- und Hilfsstoffe zu und eröffnet damit Produktionszweige, die von vornherein auf den Handel gegründet sind. Sobald die Manufaktur einigermaßen erstarkt, und noch mehr die Großindustrie, schafft sie sich ihrerseits den Markt, erobert ihn durch ihre Waren. Jetzt wird der Handel Diener der industriellen Produktion, für die beständige Erweiterung des Marktes Lebensbedingung ist. Eine stets ausgedehntere Massenproduktion überschwemmt den vorhandenen Markt und arbeitet daher stets an Ausdehnung dieses Marktes. Was diese Massenproduktion beschränkt, ist nicht der Handel (soweit dieser nur existierende Nachfrage ausdrückt), sondern die Größe des funktionierenden Kapitals und der Entwicklungsgrad der Produklivkraft der Arbeit. Der produktive Kapitalist hat beständig den Weltmarkt vor sich, vergleicht und muss beständig vergleichen seine eigenen Kostpreise mit den Marktpreisen nicht nur der Heimat, sondern der ganzen Welt. Diese Vergleichung fällt in der früheren Periode fast ausschließlich den Kaufleuten zu und sichert so dem Handelskapital die Herrschaft über das industrielle.

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Anmerkungen

1. In der modernen englischen Geschichte erscheint der eigentliche Handelsstand und die Handelsstädte auch politisch reaktionär und im Bund mit der Grundarislokratie und Finanzaristokratie gegen das industrielle Kapital. Man vergleiche z. B. die politische Nolle von Liverpool gegenüber Manchester und Birmingham. Die vollständige Herrschaft des industriellen Kapitals ist erst seit Aufhebung der Kornzölle usw. vom englischen Kaufmannskapitals und von der Finanzaristokratie anerkannt.

2. „Die Bewohner der Handelsstädte führten aus reicheren Ländern verfeinerte Manufakturwaren und kostspielige Luxusartikel ein, und boten so der Eitelkeit der großen Grundeigentümer Nahrung, die diese Waren begierig kauften und große Mengen von Rohprodukt ihrer Ländereien dafür zahlten. So bestand der Handel eines großen Teils von Europa in dieser Zeit im Austausch des Rohprodukts eines Landes gegen die Manufakturprodukte eines in der Industrie fortgeschritteneren Landes ... Sobald dieser Geschmack sich verallgemeinerte und eine bedeutende Nachfrage veranlasste, fingen die Kaufleute an, um die Frachtkosten zu sparen, ähnliche Manufakturen in ihrem eigenen Lande anzulegen.“ (Adam Smith, Volkswohlstand, Buch III, Kapitel 3.)

3. Wie sehr überwiegend in der holländischen Entwicklung, von anderen Umständen abgesehen, die in Fischfang, Manufaktur und Landwirtschaft gelegte Grundlage, ist schon von Schriftstellern des 18. Jahrhunderts auseinandergesetzt worden. – Im Gegensatz zu der früheren Auffassung, die Umfang und Bedeutung des asiatischen, antiken und mittelalterlichen Handels unterschätzte, ist es Mode geworden, ihn außerordentlich zu überschätzen. Am besten heilt man sich von dieser Vorstellung, wenn man die englische Aus- und Einfuhr gegen Anfang des 18. Jahrhunderts betrachtet und der heutigen gegenüberstellt. Und doch war sie unvergleichlich größer als die irgend eines früheren Handelsvolks.

 


Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024