Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

* * *

7. Wie der gleichmäßige Profit zu Stande kommt

(Band HI, 1. Teil, Kapitel 9)

Kehren wir nun zu der Frage zurück, wie der Unterschied zwischen fixem und zirkulierendem Kapital die Profitrate beeinflusst. In unserer Tabelle (Seite 37) haben wir angenommen, dass das ganze konstante Kapital im Wert des Produkts sofort wieder erscheint (dass es also ganz und gar zirkulierendes Kapital ist). Dies kann wohl unter Umständen der Fall sein, aber es ist nicht die Regel. Es muss deshalb berücksichtigt werden, dass gewöhnlich von dem konstanten Kapital nur ein Teil verbraucht wird, der Rest dagegen stehen bleibt. Je nachdem der stehenbleibende Rest größer oder kleiner ist, muss natürlich auch – unter sonst gleichen Umständen – der von mehreren gleich großen Kapitalien tatsächlich erzeugte Mehrwert verschieden sein. Nehmen wir folgende Tabelle (immer unter der Voraussetzung, dass die Mehrwertrate 100 Prozent beträgt, d. h. dass die Arbeitskraft außer ihrem eigenen Wert genau noch einmal so viel Mehrwert ergibt):

Kapital

Mehrwert

Profitrate

Verbrauchtes
c

Wert
der Waren

Kostpreis

 

    I. 80 c + 20 v

  20

  20%

50

90

70

  II. 70 c + 30 v

  30

  30%

51

111

81

III. 60 c + 40 v

  40

  40%

51

131

91

  IV. 85 c + 15 v

  15

  15%

40

70

55

    V. 95 c +   5 v

    5

    5%

10

20

15

    390 c + 110 v

110

110%

 

Summe

      78 c +   22 v

  22

  22%

Durchschnitt

Betrachtet man die Kapitale I – V wieder als ein einziges Gesamtkapital, so sieht man, dass auch in diesem Fall die Zusammensetzung der fünf Kapitale = 500 = 390 c + 110 v, also die Durchschnittszusammensetzung = 78 c + 22 v dieselbe bleibt; ebenso der Durchschnittsmehrwert = 22 Prozent. Diesen Mehrwert gleichmäßig auf I – V verteilt, kämen folgende Warenpreise heraus:

Kapital

Mehrwert

Wert
der Waren

Kostpreis
der Waren

Preis
der Waren

Profitrate

Abweichung des
Preises vom Wert

    I. 80c + 20v

20

  90

70

  92

22%

+  2

  II. 70 c + 30 v

30

111

81

103

22%

−  8

III. 60 c + 40 v

40

131

91

113

22%

−18

  IV. 85 c + 15 v

15

  70

55

  77

22%

+  7

    V. 95 c +   5 v

  5

  20

15

  37

22%

+17

Zusammengenommen, werden die Waren verkauft:

+  2

 

und

 

−  8

 

+  7

−18

+17

  26

 über

  26

 unter dem Wert

Sodass die Preisabweichungen durch gleichmäßige Verteilung des Mehrwerts oder durch Zuschlag des durchschnittlichen Profits von 22 auf 100 vorgeschossenes Kapital zu den verschiedenen Kostpreisen der Waren I–V sich gegenseitig aufheben; in demselben Verhältnis, worin ein Teil der Waren über seinem Wert verkauft wird, wird ein anderer Teil unter seinem Wert verkauft. Und nur ihr Verkauf zu solchen Preisen ermöglicht, dass die Profitrate für I–V gleichmäßig ist, 22 Prozent, ohne Rücksicht auf die verschiedene organische Zusammensetzung der Kapitale I–V. Die Preise, die dadurch entstehen, sind die Produktionspreise. [1] Der Produktionspreis der Ware ist also gleich ihrem Kostpreis plus dem Durchschnittsprofit.

Beim Verkauf ihrer Waren ziehen daher die Kapitalisten der verschiedenen Branchen genau die in der Produktion dieser Waren verbrauchten Kapitalwerte zurück. Anders dagegen steht es mit dem Mehrwert oder Profit. Hiervon fließt dem einzelnen Kapitalisten nicht diejenige Summe zu, die bei der Produktion seiner Waren erzeugt worden ist, sondern so viel, wie nach dem geltenden Durchschnittsprofit vom gesamten Mehrwert der ganzen Kapitalistenklasse auf sein Kapital entfällt. Pro 100 zieht jedes vorgeschossene Kapital, welches immer seine Zusammensetzung, in jedem Jahr den Profit, der für dieses Jahr auf 100 des Gesamtkapitals kommt. Die verschiedenen Kapitalisten verhalten sich hier, soweit der Profit in Betracht kommt, wie bloße Aktionäre einer Aktiengesellschaft, worin die Anteile am Profit gleichmäßig pro 100 verteilt werden, und daher für die verschiedenen Kapitalisten sich nur unterscheiden nach der Größe des von jedem in das Gesamtunternehmen gesteckten Kapitals, nach der Zahl seiner Aktien. Und in dieser Weise ist in der Gesellschaft selbst – die Gesamtheit aller Produktionszweige betrachtet – die Summe der Produktionspreise aller Waren gleich der Summe ihrer Werte. Diesem Satz scheint die Tatsache zu widersprechen, dass die Waren, welche dem einen Kapitalisten als Produktionsmittel dienen – also die Maschinen, Rohstoffe usw. – in der Regel von einem anderen Kapitalisten gekauft sind und daher in ihrem Preise bereits dessen Profit enthalten: dass also der Profit des einen Industriezweigs in dem Kostpreis des andern drinsteckt. Aber wenn wir alle Kostpreise des ganzen Landes auf der einen Seite zusammen addieren, und auf der anderen alle Profite, so muss die Rechnung sich richtig stellen. Zur Produktion von Leinenjacken z. B. ist Leinwand erforderlich, die ihrerseits Flachs braucht. Es beschäftigen sich also eine Anzahl Kapitalisten mit der Produktion von Flachs und verwenden dazu ein Kapital von, sage, 100 (z. B. 100.000 M). Beträgt die Profitrate 10 Prozent, so müssten die Leinwandfabrikanten diesen Flachs zu 110 kaufen und verkaufen ihn an die Jackenhersteller zu 121.

Das gesamte in diesen drei Branchen verwandte Kapital beträgt dann:

in der Flachsproduktion

100

in der Leinwandproduktion

110

in der Jackenproduktion

121

Summe

331

Dieses muss einen Profit von insgesamt 33.1 erbringen, was dadurch geschieht, dass die Jacken zuletzt für 133.1 verkauft werden. [2] Von diesem Profit kommt den Jackenfabrikanten aber nur die Summe von 12.1 zu; den überschießenden Betrag von 21 müssen sie beim Ankauf der Leinwand an deren Produzenten zahlen, die ihrerseits davon nur 11 behalten und den Rest von 10 an die Flachsproduzenten weitergeben. So bekommt jedes der beteiligten Kapitale denjenigen Anteil am Profit, der ihm kraft seiner Größe gehört. Sobald eine allgemeine Profitrate hergestellt ist und infolge dessen der Durchschnittsprofit in allen Branchen der Größe des angewandten Kapitals sich anpasst, ist es nur noch Zufall, wenn in einer bestimmten Branche der wirklich erzeugte Mehrwert mit dem im Verkaufspreis der Ware enthaltenen Profit übereinstimmt. In der Regel sind Profit und Mehrwert, nun wirklich verschiedene Größen. Wieviel Mehrwert in einer bestimmten Branche erzeugt wird, ist direkt wichtig nur für den Gesamt-Durchschnittsprofit sämtlicher Kapitale. Aber für die einzelnen Branchen oder gar für die einzelnen Kapitalisten ist es nur indirekt insofern wichtig, als größerer Mehrwert in seiner Branche den gesamten vorhandenen Mehrwert erhöht und somit einen höheren Durchschnittsprofit ergibt. Aber dies ist ein Prozess, der hinter seinem Rücken vorgeht, den er nicht sieht, nicht versteht, und der ihn in der Tat nicht interessiert. Der tatsächlich vorhandene Größenunterschied zwischen Profit und Mehrwert in den einzelnen Branchen versteckt nun völlig die wahre Natur und den Ursprung des Profits, nicht nur für den Kapitalisten, der hier ein besonderes Interesse hat sich zu täuschen, sondern auch für den Arbeiter.

Schon durch die Tatsache, dass in der Praxis Kostpreis und Profit sich gegenübertreten, kommt dem Kapitalisten der Begriff des Wertes abhanden, weil er nicht die Gesamtarbeit vor sich hat, die die Produktion der Ware kostet, sondern nur den Teil der Gesamtarbeit, den er in den lebendigen und toten Produktionsmitteln bezahlt hat, und ihm so der Profit als etwas außerhalb des inneren Werts der Ware Stehendes erscheint. Diese falsche Vorstellung wird jetzt vollständig bestätigt, befestigt, verknöchert, indem der zum Kostpreis zugeschlagene Profit in der Tat – wenn man die einzelne Branche betrachtet, die der Kapitalist naturgemäß allein im Auge hat – nicht durch die in ihr selbst vorgehende Wertbildung bestimmt, sondern ganz äußerlich dagegen festgesetzt ist. Wirft ja in der Praxis tatsächlich jeder Teil des Kapitals gleichmäßig Profit ab. Wie immer das Kapital zusammengesetzt sei, ob es ¼ tote Arbeit und ¾ lebendige Arbeit, oder ¾ tote und ¼ lebendige Arbeit in Bewegung setzt, ob es in dem einen Fall dreimal so viel Mehrarbeit einsaugt und Mehrwert produziert als in dem anderen – bei gleich starker Ausbeutung der Arbeit (und abgesehen von individuellen Unterschieden, die ohnehin verschwinden, weil wir beide mal nur die Durchschnittszusammensetzung der ganzen Branche vor uns haben) wirft es in beiden Fällen gleichviel Profit ab. Der einzelne Kapitalist, dessen Blick begrenzt ist, glaubt mit Recht, dass sein Profit nicht allein aus der von ihm oder in seiner Branche beschäftigten Arbeit herstamme. Es ist richtig für seinen Durchschnittsprofit. Wie weit dieser Profit vermittelt ist durch die Gesamtausbeutung der Arbeit durch das Gesamtkapital, d. h. durch alle seine Kapitalistengenossen, dieser Zusammenhang ist ihm ein vollständiges Geheimnis, umso mehr als selbst die Bourgeois-Theoretiker, die Professoren der politischen Ökonomie, es bis jetzt nicht enthüllt hatten. Ersparung an Arbeit – nicht nur an der Arbeit, notwendig um eine bestimmte Ware zu produzieren, sondern auch Ersparung an der Anzahl der beschäftigten Arbeiter – und größere Anwendung toter Arbeit (konstanten Kapitals) erscheint als wirtschaftlich ganz richtige Operation.

Wie sollte daher die lebendige Arbeit ausschließliche Quelle des Profits sein, da Verminderung der zur Produktion nötigen Menge Arbeit unter gewissen Umständen als nächste Quelle zur Vermehrung des Profits erscheint, wenigstens für den einzelnen Kapitalisten?

* * *

Fußnoten

1. So wollen wir die Preise nennen, die herauskommen, wenn auf den Kostpreis des Kapitalisten der Durchschnittsprofit aufgeschlagen wird.

2. In Wirklichkeit mich der Preis der Jacken natürlich viel höher sein. Wir haben nur densenigcn Teil des Kapitals in Betracht gezogen, der für den Ankauf der Leinwand erheischt ist.

 


Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024