Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

* * *

6. Konstantes und variables Kapital
Fixes und zirkulierendes (flüssiges) Kapital

(Band I, Kapitel 6 – 7; Band III, 1. Teil, Kapitel 8 – 10; Band II, Kapitel 8)

Nachdem wir nun wissen, dass und auf welche Weise der Mehrwert in der Produktion der Ware entsteht, ist es klar, dass der in jedem einzelnen Unternehmen erzeugte Mehrwert verschieden groß sein muss, und zwar ohne Rücksicht auf die Größe des Kapitals. Denn wir haben gesehen, dass der Mehrwert nur aus der lebendigen, neu geleisteten Arbeit entspringt, nicht aus den schon vorhandenen Produktionsmitteln. In unserem Beispiel des Baumwollspinners hat der Kapitalist für die sämtlichen Produktionsmittel (Baumwolle und Arbeitsinstrumente) 24 M bezahlt; dazu 3 M Arbeitslohn. An den 24 M – d. h. an dem Wert der Produktionsmittel – hat die Spinnarbeit nichts geändert; sie hat ihn in genau derselben Größe auf das Garn übertragen. Dagegen sind die 3 M Arbeitslohn verzehrt worden, und an ihre Stelle ist ein neuer Wert von 6 M getreten.

Der Teil des Kapitals also, den der Kapitalist für Produktionsmittel – d. h. für Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel – verwendet, ändert seine Wertgröße nicht im Produktionsprozess. Wir nennen ihn daher konstantes Kapital.

Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozess. Er reproduziert seinen eigenen Wert und einen Überschuss darüber, den Mehrwert, der selbst größer oder kleiner sein kann. Aus einer konstanten (feststehenden) Größe verwandelt sich dieser Teil des Kapital fortwährend in eine variable (veränderliche). Wir nennen ihn daher variables Kapital.

Nun liegt aus der Hand, dass auf dieselbe Menge Arbeitslohn (variables Kapital) in den verschiedenen Branchen sehr verschiedene Mengen Produktionsmittel (konstantes Kapital) kommen können. In einer Maschinenfabrik wird die Masse Produktionsmittel, die eine Arbeitskraft verarbeitet, anders sein als in einer Baumwollspinnerei, wieder anders in einer Kohlengrube usw. Die „organische Zusammensetzung“ des Kapitals (wie wir dieses Verhältnis zwischen seinem konstanten und seinem variablen Teil nennen wollen), wechselt also von Branche zu Branche. Die allerverschiedensten Verhältnisse sind da nicht nur denkbar, sondern auch wirklich vorhanden. Stellen wir uns nun drei verschiedene Kapitale (aus drei verschiedenen Branchen) mit der folgenden organischen Zusammensetzung vor:

    I 80 c

(konstant)
 
 

+ 20 v

(variabel)

  II 50 c

+ 50 v

III 20 c

+ 80 v

Wenn wir annehmen, dass die Ausnutzung der Arbeitskraft in allen drei Branchen genau dieselbe ist, also z. B. dass überall die Arbeitskräfte genau doppelt so viel Wert liefern wie sie im Arbeitslohn kriegen, so ergibt sich folgendes Resultat:

Kapital     I erzielt 20 m (Mehrwert)

Kapital   II erzielt 50 m (Mehrwert)

Kapital III erzielt 80 m (Mehrwert)

Da der Profit als Prozentsatz des Überschusses auf das ganze verzehrte Kapital berechnet wird, so bedeutet dies einen Profit von 20 Prozent und 50 Prozent und 80 Prozent. Dazu kommt noch, dass ja die Ausnutzung der Arbeiter nicht überall dieselbe, sondern in dem einen Unternehmen größer, in dem anderen kleiner ist.

Es kommt ferner hinzu, dass noch andere Umstände auf die Größe des Mehrwerts in den einzelnen Branchen und sogar in den einzelnen Unternehmungen einwirken, wie z. B. die Geschwindigkeit, mit der das Kapital umgeschlagen wird, wovon später noch zu handeln. Aus alledem folgt, dass die Menge des wirklich erzeugten Mehrwerts noch nicht einmal von einem Unternehmen zum andern, geschweige denn von einer Branche zur andern gleich sein kann. Wie kommt trotzdem die doch tatsächlich vorhandene gleiche Profitrate zu Stande? Nehmen wir fünf verschiedene Produktionszweige mit jedes Mal verschiedener organischer Zusammensetzung der in ihnen angelegten Kapitale, (und unter der Voraussetzung, dass die Arbeitskraft jedes Mal 100 Prozent ihres eigenen Wertes als Mehrwert liefert), etwa wie folgt:

Kapital

Mehrwert

Wert des Produkts

Profitrate

    I. 80 c + 20 v

20

120

20 %

  II. 70 c + 30 v

30

130

30 %

III. 60 c + 40 v

40

140

40 %

 IV. 85 c + 15 v

15

115

15 %

   V. 95c +   5 v

  5

105

  5 %

Wir haben hier für verschiedene Branchen bei gleichmäßiger Ausnutzung der Arbeit sehr verschiedene Profitraten. Die Gesamtsumme der in den fünf Branchen angelegten Kapitale ist = 500; die Gesamtsumme des von ihnen produzierten Mehrwertes – 110; der Gesamtwert der von ihnen produzierten Waren – 610. Betrachten wir die 500 als ein einziges Kapital von dem I bis V nur verschiedene Teile bilden, (wie etwa in einer Baumwollfabrik in den verschiedenen Abteilungen, im Kardierraum, Vorspinnraum, Spinnsaal und Websaal verschiedenes Verhältnis von variablem und konstantem Kapital existiert und das Durchschnittsverhältnis für die ganze Fabrik erst berechnet werden muss) so wäre erstens die Durchschnittszusammensetzung des Kapitals von 500 = 390 c + 110 v, oder in Prozente umgerechnet 78 c + 22 v. Jedes der Kapitale von 100 nur als ⅕ des Gesamtkapitals betrachtet, wäre seine Zusammensetzung diese durchschnittliche von 78 c + 22 v; ebenso fiele auf jedes 100 als durchschnittlicher Mehrwert 22. Daher wäre die Durchschnittsrate des Profits = 22 Prozent, und endlich wäre der Preis von jedem Fünftel des Gesamtprodukts = 122. Das Produkt von jedem Fünftel des vorgeschossenen Gesamtkapitals müsste also zu 122 verkauft werden. Nun ist aber, um nicht zu ganz falschen Schlüssen zu kommen, noch ein Umstand zu berücksichtigen. Das konstante Kapital – d. h. also die Produktionsmittel – besteht selbst wieder aus zwei wesentlich verschiedenen Teilen. Die Produktionsmittel, welche das konstante Kapital bilden, sind von verschiedener Art. Es sind im wesentlichen Gebäude, Maschinen und Apparate, Rohstoffe, Hilfsstoffe; also die Arbeitsmittel, mit deren Hilfe gearbeitet wird, und die Arbeitsgegenstände, an denen die Arbeit sich vollzieht. Es leuchtet ein, dass die Arbeitsmittel in der Produktion eine wesentlich andere Rolle spielen als die Arbeitsgegenstände. Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos, ebenso das Oel, womit man die Achse des Rades schmiert, usw. Farbe und andere Hilfsstoffe verschwinden, zeigen sich aber in den Eigenschaften des Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz des Produkts, hat aber seine Form verändert. Kurz, das Rohmaterial und die Hilfsstoffe werden in der Produktion vollständig verzehrt; von der selbständigen Gestalt, womit sie in den Arbeitsprozess eintraten, bleibt nichts übrig. Anders mit den Arbeitsmitteln. Ein Instrument, eine Maschine, ein Fabrikgebäude, ein Gefäß usw. dienen im Arbeitsprozess nur, solange sie ihre ursprüngliche Gestalt bewahren und morgen wieder in eben derselben Form in den Arbeitsprozess eingehen wie gestern. Wie sie während ihres Lebens, des Arbeitsprozesses, ihre selbständige Gestalt dem Produkt gegenüber bewahren, so auch nach ihrem Tode. Die Leichen von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebäuden usw. existieren immer noch getrennt von den Produkten, die sie bilden halfen. Betrachten wir nun die ganze Zeit, während der ein solches Arbeitsmittel dient, von dem Tage seines Eintritts in die Werkstätte bis zum Tage seiner Verbannung in die Rumpelkammer, so ist während dieser Zeit sein Gebrauchswert von der Arbeit vollständig verzehrt worden und sein Tauschwert daher vollständig auf das Produkt übergegangen.

Hat eine Spinnmaschine z. B. in 10 Jahren ausgelebt, so ist während des 10-jährigen Arbeitsprozesses ihr Gesamtwert auf das 10-jährige Produkt übergegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmittels umfängt also eine größere oder kleinere Anzahl stets von neuem wiederholter Arbeitsprozesse. Und es geht dem Arbeitsmittel wie dem Menschen. Jeder Mensch stirbt täglich um 24 Stunden ab. Man sieht aber keinem Menschen genau an, wie viel Tage er bereits verstorben ist. Dies verhindert Lebensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus dem Durchschnittsleben der Menschen sehr sichere und, was noch viel mehr ist, sehr profitliche Schlüsse zu ziehen. So mit dem Arbeitsmittel. Man weiß aus der Erfahrung, wie lang ein Arbeitsmittel, z. B. eine Maschine von gewisser Art, durchschnittlich vorhält. Gesetzt, sein Gebrauchswert im Arbeitsprozess dauere nur sechs Tage, so verliert es im Durchschnitt jeden Arbeitstag ⅙ seines Gebrauchswertes und gibt daher ⅙ seines Wertes an das tägliche Produkt ab. In dieser Art wird der Verschleiß aller Arbeitsmittel berechnet. Es zeigt sich so schlagend, dass ein Produktionsmittel nie mehr Wert an das Produkt abgibt, als es im Arbeitsprozess durch Vernichtung seines eigenen Gebrauchswertes verliert. Hätte es keinen Wert zu verlieren, d. h. wäre es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit, so würde es keinen Wert an das Produkt abgeben. Es diente als Bildner von Gebrauchswert, ohne als Bildner von Tauschwert zu dienen. Dies ist daher der Fall mit allen Produktionsmitteln, die von Natur, ohne menschliches Zutun, vorhanden sind, mit Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem Holze des Urwaldes usw. Wenn aber auch mit vermindertem Tauschwert, so muss doch das Arbeitsmittel stets mit seiner ganzen Leiblichkeit am Produktionsprozess mitwirken. Eine Maschine sei z. B. 1.000 M wert und schleiße sich in 1.000 Tagen ab.

In diesem Fall geht täglich ein Tausendstel des Werts der Maschine von ihr selbst auf ihr tägliches Produkt über. Zugleich, wenn auch mit abnehmender Lebenskraft, wirkt stets die Gesamtmaschine im Arbeitsprozess. Das Eigentümliche dieses Teils des konstanten Kapitals – der Arbeitsmittel – ist also das: mit der Funktion und daher der Abnutzung des Arbeitsmittels geht ein Teil seines Wertes auf das Produkt über, ein anderer bleibt fixiert im Arbeitsmittel und daher im Produktionsprozess. Der so fixierte Wert nimmt beständig ab, bis das Arbeitsmittel ausgedient und daher auch sein Wert sich über eine Masse von Produkten verteilt hat, die aus einer Reihe beständig wiederholter Arbeitsprozesse hervorgehen. Solange es aber noch als Arbeitsmittel wirksam ist, also nicht durch ein neues Exemplar derselben Art ersetzt werden muss, bleibt stets konstanter Kapitalwert in ihm fixiert, während ein anderer Teil des ursprünglich in ihm fixierten Wertes auf das Produkt übergeht und daher als Bestandteil des Warenwerts zirkuliert. Dieser im Arbeitsmittel fixierte Teil des Kapitalwerts zirkuliert so gut wie jeder andere. Der ganze Kapitalwert ist in beständiger Zirkulation begriffen und in diesem Sinne ist daher alles Kapital zirkulierendes Kapital. Aber die Zirkulation des hier betrachteten Kapitalteils ist eigentümlich. Er zirkuliert nicht in seiner Gebrauchsform, sondern nur sein Wert zirkuliert, und zwar allmählich, bruchweis, im Maß wie er von ihm auf das Produkt übergeht, das als Ware zirkuliert. Während seiner ganzen Funktionsdauer bleibt ein Teil seines Werts stets in ihm fixiert, selbständig gegenüber den Waren, die es produzieren hilft. Durch diese Eigentümlichkeit enthält dieser Teil des konstanten Kapitals die Form: Fixes Kapital. Alle anderen Bestandteile des vorgeschossenen Kapitals dagegen bilden im Gegensatz dazu: Zirkulierendes oder flüssiges Kapital.

Es versteht sich, dass dieser Unterschied, wie die einzelnen Teile des Kapitals ihren Wert an das Produkt abgeben, auch einen Einfluss ausüben muss auf die Menge Mehrwert, die von jedem einzelnen Kapital tatsächlich produziert wird. Außerdem trägt er dazu bei, die Entstehung des Mehrwerts überhaupt zu verschleiern. [1]

Wenn der Kapitalist die fertiggestellte Ware betrachtet, so kann ihm darin der Unterschied zwischen konstantem Kapital (Produktivmitteln) und variablem Kapital (Arbeitslohn) nicht auffallen. Wohl weiß er, dass von seinen Selbstkosten (dem Kostpreis der Ware) ein Teil für Produktionsmittel und ein anderer Teil für Arbeitslohn ausgegeben ist, und dass er, soll die Produktion fortgesetzt werden, das durch den Verkauf der Ware erzielte Geld wieder in der gleichen Weise zum Ankauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft teilen muss. Aber über die Entstehung des Wertes und des Mehrwerts sagt ihm das nichts. Was er sieht, ist vielmehr nur, dass im Kostpreis der Ware der Wert der Produktionsmittel genauso wiederkehrt, wie er vor Beginn der Produktion vorhanden war, und der Arbeitslohn ebenfalls genauso wiederkehrt, wie er vor Beginn der Produktion vorhanden war. Der charakteristische Unterschied zwischen konstantem und variablem Kapital ist also durch den Schein der Dinge ausgelöscht, und der nach Abschluss der Produktion vorhandene Mehrwert scheint aus allen Teilen des Kapitals gleichmäßig hervorgegangen zu sein.

Dagegen fällt der Unterschied zwischen fixem und zirkulierendem Kapital sehr deutlich in die Augen. Nehmen wir an, es seien ursprünglich Arbeitsmittel im Werte von 1.200 M vorhanden gewesen, dazu Rohstoffe etc. für 380 M und Arbeitskräfte für 100 M. Nehmen wir weiter an, es seien bei diesem Produktionsvorgang für 20 M Arbeitsmittel verschlissen, so ist der Kostpreis des Produkts = 20 M für Verschleiß der Arbeitsmittel + 380 M für Roh- und Hilfsstoffe + 100 M für Arbeitslohn = 500 M. Diesen Wert von 500 M (noch nicht gerechnet den Mehrwert) hält der Kapitalist in der fertigen Ware in seiner Hand. Daneben aber existieren noch Maschinen, Fabrikgebäude usw. im Wert von 1180 M. [2] Die sind schlechterdings nicht zu übersehen, und somit kleidet sich der Sachverhalt im Kopf des Kapitalisten in folgende Form: 20 M des Warenwerts sind entstanden durch Verbrauch von Arbeitsmitteln (fixem Kapital), 480 M durch Verbrauch von Rohstoffen und Arbeitslohn (zirkulierendem Kapital). Oder: alles, was ich (der Kapitalist) an Rohstoffen und Arbeitslohn in die Produktion werfe, bekomme ich durch einmalige Produktion wieder heraus; was mich die Arbeitsmittel kosten, bleibt länger drin stehen und kommt nur stückweise wieder heraus, muss deshalb auch stückweise wieder angesammelt werden, damit nach vollständiger Abnutzung der Maschinen usw. der Gegenwert zu ihrer Neuanschaffung wieder da ist. So wird der Unterschied zwischen fixem und zirkulierendem Kapital dem Kapitalisten sozusagen in den Kopf gehämmert. Aber in diesem Sinne gilt der Arbeitslohn ohne weiteres mit als zirkulierendes Kapital. Genau wie die Ausgaben für Rohstoffe, muss auch er aus der einmaligen Produktion wieder hervorgehen und zu neuem Ankauf von Arbeitskraft bereit stehen. So wird der Arbeitslohn (das variable Kapital) durch den Schein der Dinge mit den Rohstoffen (einem Teil des konstanten Kapitals) in einen Topf geworfen, und in gemeinsamen Gegensatz gebracht zu den Arbeitsmitteln (dem anderen Teil des konstanten Kapitals). Für den oberflächlichen Beobachter der Praxis stehen jetzt auf der einen Seite die Gebäude, Maschinen usw. als fixes Kapital, auf der anderen Seite die Rohstoffe und Hilfsstoffe gemeinsam mit dem Arbeitslohn als zirkulierendes Kapital. Dass zwischen dem Arbeitslohn und den anderen Teilen des zirkulierenden Kapitals gewichtige Unterschiede bestehen, wird hierdurch ganz und gar verschleiert.

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Anmerkung

1. Von hier ab Bd. III, 1. Teil, Kapitel 1.

2. Die Zahlen sind nur beispielsweise gewählt: es können ebenso gut 1.180 Millionen M sein.

 


Zuletzt aktualisiert am 12. Juli 2024