Julian Borchart

Das Kapital: Zur Kritik der politischen Ökonomie
von Karl Marx

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1. Ware, Preis und Profit

Bd. III, 1. Teil, Abschnitt 1 und 2, dazu Bd. III, 2. Teil S. 356–358 und 398–402)

Die politische Ökonomie handelt von der wirtschaftlichen Versorgung der Menschen mit den Gütern, deren sie zu ihrem Lebensunterhalt bedürfen. Diese geschieht in den modernen kapitalistischen Staaten ausschließlich durch Kauf und Verkauf von Waren, in deren Besitz sich die Menschen sehen, indem sie sie für das Geld kaufen, das ihr Einkommen bildet. Es gibt sehr verschiedene Arten von Einkommen, die sich jedoch in drei große Gruppen zusammenfassen lassen: das Kapital wirft jahraus jahrein dem Kapitalisten Profit ab, der Boden dem Grundeigentümer Grundrente und die Arbeitskraft – unter normalen Verhältnissen und solange sie eine brauchbare Arbeitskraft bleibt – dem Arbeiter Arbeitslohn. Dem Kapitalisten erscheint sein Kapital, dem Grundeigentümer sein Boden, und dem Arbeiter seine Arbeitskraft oder vielmehr seine Arbeit selbst so als drei verschiedene Quellen ihrer Einkünfte, des Profits, der Grundrente und des Arbeitslohns. Und die Einkünfte erscheinen als jährlich zu verzehrende Früchte eines nie vergehenden Baumes, oder vielmehr dreier Bäume; sie bilden das jährliche Einkommen dreier Klassen: des Kapitalisten, des Grundeigentümers und des Arbeiters. Aus dem Kapital, dem Grundeigentum und der Arbeit als aus drei verschiedenen, unabhängigen Duellen scheinen also die Werte zu entspringen, welche jene Einkünfte bilden.

Für das Maß der Versorgung mit wirtschaftlichen Gütern sind neben der Höhe der Einkünfte der drei Klassen offenbar die Preise der Waren ausschlaggebend, und die Frage, wonach die Höhe der Preise sich richtet, hat denn auch die politische Ökonomie von jeher auf das Eingehendste beschäftigt.

Auf den ersten Blick scheint diese Frage keine Schwierigkeit zu bieten. Betrachten wir ein beliebiges Industrieprodukt, so kommt die Höhe des Preises zu Stande, indem der Fabrikant auf seine Selbstkosten den in seiner Branche üblichen Profit aufschlägt. Der Preis hängt demnach ab von der Höhe der Selbstkosten und von der Höhe des Profits.

Als Selbstkosten rechnet der Fabrikant alles, was er für die Herstellung der Ware ausgegeben hat. Das sind in erster Linie die Ausgaben für Rohstoffe und Hilfsstoffe der Fabrikation (z. B. Baumwolle, Kohlen usw.), ferner für Maschinen, Apparate, Baulichkeiten: sodann was er an Grundrente (z. B. Miete) zahlen muss, und endlich der Arbeitslohn. Man kann also sagen, dass die Selbstkosten des Fabrikanten sich aus drei Posten zusammensetzen:

  1. den Produktionsmitteln (d. h. Rohstoffe, Hilfsstoffe, Maschinen, Apparate, Baulichkeiten);
     
  2. der zu entrichtenden Grundrente (die auch dann berechnet wird, wenn die Fabrik auf eigenem Grund und Boden steht);
     
  3. dem Arbeitslohn.

Betrachtet man nun jeden dieser drei Posten näher, so zeigen sich ungeahnte Schwierigkeiten. – Nehmen wir zuerst den Arbeitslohn. Je höher oder niedriger er ist, desto höher oder niedriger sind die Selbstkosten, desto höher oder niedriger also auch der Preis der fertigen Ware. Aber wonach richtet sich die Höhe des Arbeitslohnes? Wir wollen sagen, nach Angebot und Nachfrage von Arbeitskraft. Die Nachfrage nach Arbeitskraft geht vom Kapital aus, das Arbeiter für seine Betriebe braucht. Starke Nachfrage nach Arbeitskräften ist also gleichbedeutend mit starker Zunahme des Kapitals. Wo¬ raus aber besteht das Kapital? Aus Geld und Waren. Oder vielmehr, da das Geld (wie später noch genauer gezeigt werden wird) auch nur eine Ware ist, so besteht das Kapital einfach aus Waren. Je wertvoller diese Waren, desto größer das Kapital, desto größer die Nachfrage nach Arbeitskräften und ihr Einfluss auf die Höhe des Lohns, sowie – weiterwirkend – auf den Preis der Fabrikate. Wonach aber richtet sich der Wert (oder Preis) der Waren, die das Kapital bilden? Nach der Höhe der Selbstkosten, die zu ihrer eigenen Fabrikation nötig waren. Und unter diesen Selbstkosten befindet sich Arbeitslohn! Es wird also letzten Endes die Höhe des Arbeitslohns aus der – Höhe des Arbeitslohns erklärt oder der Preis der Waren aus dem – Preis der Waren!

Oder aber, man nimmt an, dass der Arbeitslohn durch den Preis der notwendigen Lebensmittel der Arbeiter bestimmt wird. Die Lebensmittel jedoch sind selbst Waren, in deren Preisbestimmung der Arbeitslohn mitwirkt, und so liegt der Fehler sofort auf der Hand.

Ein zweiter Posten in den Selbstkosten des Fabrikanten waren die Produktionsmittel. Es bedarf keiner längeren Darlegungen, um einzusehen, dass die Baumwolle, die Maschinen, die Kohlen usw. ebenfalls Waren sind, für die genau das gleiche gilt, wie für die Waren, welche die Lebensmittel der Arbeiter oder das Kapital der Kapitalisten bilden.

Der Versuch, die Höhe des Preises aus den Selbstkosten zu erklären, ist also kläglich misslungen. Er läuft ganz einfach darauf hinaus, die Höhe des Preises aus sich selbst zu erklären.

Auf die Selbstkosten schlägt der Fabrikant den üblichen Profit. Hier scheinen alle Schwierigkeiten beseitigt, denn der Prozentsatz (die Rate) des Profits, den er sich berechnen muss, ist dem Fabrikanten bekannt, er ist in der Branche allgemein üblich. Natürlich schließt das nicht aus, dass ein einzelner Fabrikant infolge besonderer Umstände in einzelnen Fällen mehr oder weniger als den üblichen Profit nimmt. Aber im allgemeinen Durchschnitt ist der Profitsatz in allen Unternehmungen derselben Branche der gleiche. Es besteht also in der Branche eine gemeinsame Durchschnittsprofitrate.

Doch nicht nur das. Auch die Profitraten verschiedener Branchen werden durch die Konkurrenz in einen gewissen Einklang mit einander gesetzt. Das kann auch nicht anders sein. Denn sobald in einer Branche besonders hohe Profite gemacht werden, strömen die Kapitale aus anderen Branchen, die nicht so günstig gestellt sind, in die bevorzugte Branche hinein. Oder die fortwährend neu entstehenden Kapitale, die nach gewinnbringender Anlage suchen, wenden sich mit Vorliebe solchen besonders rentablen Branchen zu, die Produktion darin müsste alsbald bedeutend wachsen, und um die stark vermehrten Waren an den Mann zu bringen, müssten die Preise und damit die Profite ermäßigt werden. Das Umgekehrte müsste eintreten, wenn in irgendeiner Branche besonders niedrige Profite gemacht werden: die Kapitale würden diese Branche so schnell wie möglich verkästen, es würde darin umso viel weniger produziert, was eine Erhöhung der Preise und der Profite zur Folge haben müsste.

So wirkt die Konkurrenz auf eine allgemeine Ausgleichung der Profitraten in allen Branchen hin, und man kann mit Recht von einer allgemeinen Durchschnittsprofitrate sprechen, die in sämtlichen Zweigen der Produktion zwar nicht genau, aber doch annähernd die gleiche ist. Allerdings springt das nicht so in die Augen, wie die Gleichheit der Profitrate innerhalb einer Branche, weil in den verschiedenen Branchen die allgemeinen Unkosten, die Verwendung und Abnutzung von Maschinen usw. sehr verschieden sein können. Um diese Verschiedenheiten auszugleichen, kann es sein, dass der Bruttoprofit – das ist derjenige Prozentsatz, den der Fabrikant auf seine errechneten Selbstkosten tatsächlich aufschlägt – in der einen Branche wesentlich höher oder niedriger ist als in der anderen. Dies verschleiert den wahren Sachverhalt. Aber nach Abzug der verschiedenen Unkosten bleibt eben doch in den verschiedenen Branchen ein annähernd gleicher Nettoprofit übrig.

Da somit eine allgemeine Durchschnittsprofitrate besteht, so richtet sich die Höhe des Profits, den eine Unternehmung tatsächlich abwirft, nach der Größe ihres Kapitals. Zwar ist es – wie bereits erwähnt – nicht ganz gleichgültig, ob das Unternehmen Kanonen oder baumwollene Strümpfe fabriziert, weil je nach der Sicherheit der Anlage, der Leichtigkeit des Absatzes usw. der Profitsatz ein wenig schwankt. Aber diese Unterschiede sind nicht allzu erheblich. Nehmen wir nun an, dass die allgemeine Durchschnittsprofitrate 10 Prozent betrage, so leuchtet ein, dass ein Kapital von einer Million 10mal so viel Profit erbringen muss als ein Kapital von 100.000 M. (Natürlich unter der Voraussetzung sachgemäßer Geschäftsführung, sowie überhaupt ohne Berücksichtigung aller besonderen Glücks- oder Unglücksfälle, die ein einzelnes Unternehmen treffen können.)

Es kommt hinzu, dass nicht nur die Industriebetriebe – d. h. diejenigen Betriebe, die Waren produzieren – Profit machen, sondern auch die Handelsgeschäfte, welche nur den Umsatz der Waren vom Produzenten bis zum Konsumenten vermitteln; ebenso die Bankgeschäfte, die Transportunternehmer, die Eisenbahnen usw. Und bei ihnen allen richtet sich der Profit, wenn nur die Geschäfte ordentlich erledigt werden, nach der Höhe des in ihnen angelegten Kapitals. Was Wunder, dass sich im Bewusstsein derer, welche praktisch mit der Erledigung dieser Geschäfte zu tun haben, die Überzeugung festsetzt, der Profit entstehe von selbst aus dem Kapital; er wachse aus ihm empor, sowie die Früchte aus einem Baum, wenn er richtig gepflegt wird. Soweit aber nicht als Natureigenschaft des Kapitals, wird der Profit als Frucht der Arbeit des Kapitalisten angesehen. Denn in der Tat: wir mussten immer und immer wieder die Voraussetzung sachgemäßer Geschäftsführung machen. Sehr viel kommt auf die persönliche Tüchtigkeit des Geschäftsführers an. Fehlt es daran, so wird der Profit des einzelnen Unternehmens leicht unter die allgemeine Durchschnittsprofitrate herabsinken, während es einem tüchtigen Geschäftsführer gelingen mag, ihn darüber hinaus zu treiben.

 


Zuletzt aktualisiert am 19. Juni 2024