MIA > Deutsch > Referenz > Stirner > Der Einzige u. sein Eigentum
Feuerbach pocht in den Grundsätzen der Philosophie der Zukunft immer auf das Sein. Darin bleibt auch er, bei aller Gegnerschaft gegen Hegel und die absolute Philosophie, in der Abstraktion stecken; denn „das Sein“ ist Abstraktion, wie selbst „das Ich“. Nur Ich bin nicht Abstraktion allein, Ich bin Alles in Allem, folglich selbst Abstraktion oder Nichts, Ich bin Alles und Nichts; Ich bin kein bloßer Gedanke, aber Ich bin zugleich voller Gedanken, eine Gedankenwelt. Hegel verurteilt das Eigene, das Meinige, die – „Meinung“. Das „absolute Denken“ ist dasjenige Denken, welches vergißt, daß es mein Denken ist, daß Ich denke und daß es nur durch Mich ist. Als Ich aber verschlinge Ich das Meinige wieder, bin Herr desselben, es ist nur meine Meinung, die Ich in jedem Augenblicke ändern, d. h. vernichten, in Mich zurücknehmen und aufzehren kann. Feuerbach will Hegels „absolutes Denken“ durch das unüberwundene Sein schlagen. Das Sein ist aber in Mir so gut überwunden als das Denken. Es ist mein Sinn [Sein?], wie jenes mein Denken.
Dabei kommt Feuerbach natürlich nicht weiter, als zu dem an sich trivialen Beweise, daß Ich die Sinne zu Allem brauche oder daß Ich diese Organe nicht gänzlich entbehren kann. Freilich kann Ich nicht denken, wenn Ich nicht sinnlich existiere. Allein zum Denken wie zum Empfinden, also zum Abstrakten wie zum Sinnlichen brauche Ich vor allen Dingen Mich, und zwar Mich, diesen ganz Bestimmten, Mich diesen Einzigen. Wäre Ich nicht dieser, z. B. Hegel, so schaute Ich die Welt nicht so an, wie Ich sie anschaue, Ich fände aus ihr nicht dasjenige philosophische System heraus, welches gerade Ich als Hegel finde usw. Ich hätte zwar Sinne wie die andern Leute auch, aber Ich benutzte sie nicht so, wie Ich es tue.
So wird von Feuerbach gegen Hegel der Vorwurf aufgebracht [103], daß er die Sprache mißbrauche, indem er anderes unter manchen Worten verstehe, als wofür das natürliche Bewußtsein sie nehme, und doch begeht auch er denselben Fehler, wenn er dem „Sinnlichen“ einen so eminenten Sinn gibt, wie er nicht gebräuchlich ist. So heißt es S. 68–69: „das Sinnliche sei nicht das Profane, Gedankenlose, das auf platter Hand Liegende, das sich von selbst Verstehende“. Ist es aber das Heilige, das Gedankenvolle, das verborgen Liegende, das nur durch Vermittlung Verständliche – nun so ist es nicht mehr das, was man das Sinnliche nennt. Das Sinnliche ist nur dasjenige, was für die Sinne ist; was hingegen nur denjenigen genießbar ist, die mit mehr als den Sinnen genießen, die über den Sinnengenuß oder die Sinnenempfängnis hinausgehen, das ist höchstens durch die Sinne vermittelt oder zugeführt, d. h. die Sinne machen zur Erlangung desselben eine Bedingung aus, aber es ist nichts Sinnliches mehr. Das Sinnliche, was es auch sei, in Mich aufgenommen, wird ein Unsinnliches, welches indes wieder sinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung meiner Affekte und meines Blutes.
Es ist schon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Ehren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus seiner „neuen Philosophie“ mit dem bisherigen Eigentum des Idealismus, der „absoluten Philosophie“, zu bekleiden. So wenig die Leute sich’s einreden lassen, daß man vom „Geistigen“ allein, ohne Brot, leben könne, so wenig werden sie ihm glauben, daß man als ein Sinnlicher schon alles sei, also geistig, gedankenvoll usw.
Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das Gedachte ist so gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf der Straße ist und meine Vorstellung von ihm ist auch. Beide sind nur in verschiedenen Räumen, jener im luftigen, dieser in meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße.
Die Zünftigen oder Privilegierten dulden keine Gedankenfreiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem „Geber alles Guten“ kommen, hieße dieser Geber Gott, Papst, Kirche oder wie sonst. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, so muß er sie seinem Beichtvater ins Ohr sagen und sich von ihm so lange kasteien lassen, bis den freien Gedanken die Sklavenpeitsche unerträglich wird. Auch auf andere Weise sorgt der Zunftgeist dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen, vor allem durch eine weise Erziehung. Wem die Grundsätze der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von moralischen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid, Übervorteilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die ihn keine Gedankenfreiheit schützt. Er hat seine Gedanken „von oben“ und bleibt dabei.
Anders die Konzessionierten oder Patentierten. Jeder muß Gedanken haben und sich machen können, wie er will. Wenn er das Patent oder die Konzession einer Denkfähigkeit hat, so braucht er kein besonderes Privilegium. Da aber „alle Menschen vernünftig sind“, so steht jedem frei, irgendwelche Gedanken sich in den Kopf zu setzen, und je nach dem Patent seiner Naturbegabung einen größeren oder geringeren Gedankenreichtum zu haben. Nun hört man die Ermahnungen, daß man „alle Meinungen und Überzeugungen zu ehren habe“, daß „jede Überzeugung berechtigt sei“, daß man „gegen die Ansichten Anderer tolerant“ sein müsse usw.
Aber „eure Gedanken sind nicht meine Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“. Oder vielmehr das Umgekehrte will Ich sagen: Eure Gedanken sind meine Gedanken, mit denen Ich schalte, wie Ich will, und die ich unbarmherzig niederschlage: sie sind mein Eigentum, welches Ich, so Mir’s beliebt, vernichte. Ich erwarte von Euch nicht erst die Berechtigung, um eure Gedanken zu zersetzen und zu verblasen. Mich schiert es nicht, daß Ihr diese Gedanken auch die eurigen nennt, sie bleiben gleichwohl die meinigen, und wie Ich mit ihnen verfahren will, ist meine Sache, keine Anmaßung. Es kann Mir gefallen, Euch bei euren Gedanken zu lassen; dann schweige Ich. Glaubt Ihr, die Gedanken flögen so vogelfrei umher, daß sich Jeder welche holen dürfte, die er dann als sein untastbares Eigentum gegen Mich geltend machte? Was umherfliegt, ist alles – mein.
Glaubt Ihr, eure Gedanken hättet Ihr für Euch und brauchtet sie vor keinem zu verantworten, oder, wie Ihr auch wohl sagt, Ihr hättet darüber nur Gott Rechenschaft abzulegen? Nein, eure großen und kleinen Gedanken gehören Mir, und Ich behandle sie nach meinem Gefallen.
Eigen ist Mir der Gedanke erst, wenn Ich ihn jeden Augenblick in Todesgefahr zu bringen kein Bedenken trage, wenn Ich seinen Verlust nicht als einen Verlust für Mich, einen Verlust Meiner, zu fürchten habe. Mein eigen ist der Gedanke erst dann, wenn Ich zwar ihn, er aber niemals Mich unterjochen kann, nie Mich fanatisiert, zum Werkzeug seiner Realisation macht.
Also Gedankenfreiheit existiert, wenn Ich alle möglichen Gedanken haben kann; Eigentum aber werden die Gedanken erst dadurch, daß sie nicht zu Herren werden können. In der Zeit der Gedankenfreiheit herrschen Gedanken (Ideen); bringe Ich’s aber zum Gedankeneigentum, so verhalten sie sich als meine Kreaturen.
Wäre die Hierarchie nicht so ins Innere gedrungen, daß sie den Menschen allen Mut benahm, freie, d. h. Gott vielleicht mißfällige Gedanken zu verfolgen, so müßte man Gedankenfreiheit für ein ebenso leeres Wort ansehen, wie etwa eine Verdauungsfreiheit.
Nach der Meinung der Zünftigen wird Mir der Gedanke gegeben, nach der der Freidenker suche Ich den Gedanken. Dort ist die Wahrheit bereits gefunden und vorhanden, nur muß Ich sie vom Geber derselben durch Gnade – empfangen; hier ist die Wahrheit zu suchen und mein in der Zukunft liegendes Ziel, nach welchem Ich zu rennen habe.
In beiden Fällen liegt die Wahrheit (der wahre Gedanke) außer Mir, und Ich trachte ihn zu bekommen, sei es durch Geschenk (Gnade), sei es durch Erwerb (eigenes Verdienst). Also 1) Die Wahrheit ist ein Privilegium, 2) Nein, der Weg zu ihr ist Allen patent, und weder die Bibel, noch der heilige Vater, oder die Kirche oder wer sonst ist im Besitz der Wahrheit; aber man kann ihren Besitz – erspekulieren.
Beide, das sieht man, sind eigentumslos in Beziehung auf die Wahrheit: sie haben sie entweder als Lehen (denn der „heilige Vater“ z. B. ist kein Einziger; als Einziger ist er dieser Sixtus, Clemens usw., aber als Sixtus, Clemens usw. hat er die Wahrheit nicht, sondern als „heiliger Vater“, d. h. als ein Geist), oder als Ideal. Als Lehen ist sie nur für Wenige (Privilegierte), als Ideal für Alle (Patentierte).
Gedankenfreiheit hat also den Sinn, daß Wir zwar alle im Dunkel und auf den Wegen des Irrtums wandeln, Jeder aber auf diesem Wege sich der Wahrheit nähern könne und mithin auf dem rechten Wege sei („Jede Straße führt nach Rom, ans Ende der Welt usw.“). Gedankenfreiheit bedeutet daher so viel, daß Mir der wahre Gedanke nicht eigen sei; denn wäre er dies, wie wollte man Mich von ihm abschließen?
Das Denken ist ganz frei geworden, und hat eine Menge von Wahrheiten aufgestellt, denen Ich Mich fügen muß. Es sucht sich zu einem System zu vollenden und zu einer absoluten „Verfassung“ zu bringen. Im Staate z. B. sucht es etwa nach der Idee so lange, bis es den „Vernunft-Staat“ herausgebracht hat, in welchem Ich Mir’s dann recht sein lassen muß; im Menschen (der Anthropologie) so lange, bis es „den Menschen gefunden hat“.
Der Denkende unterscheidet sich vom Glaubenden nur dadurch, daß er viel mehr glaubt als dieser, der sich seinerseits bei seinem Glauben (Glaubensartikel) viel weniger denkt. Der Denkende hat tausend Glaubenssätze, wo der Gläubige mit wenigen auskommt; aber jener bringt in seine Sätze Zusammenhang und nimmt wiederum den Zusammenhang für den Maßstab ihrer Würdigung. Paßt ihm einer oder der andere nicht in seinen Kram, so wirft er ihn hinauS.
Die Denkenden laufen in ihren Aussprüchen den Gläubigen parallel. Statt: „Wenn es aus Gott ist, werdet Ihr’s nicht tilgen“, heißt’s: „Wenn es aus der Wahrheit ist, wahr ist“; statt: „Gebt Gott die Ehre“ [10*] – „Gebt der Wahrheit die Ehre“. Es gilt Mir aber sehr gleich, ob Gott oder die Wahrheit siegt; zuvörderst will Ich siegen.
Wie soll übrigens innerhalb des Staates oder der Gesellschaft eine „unbeschränkte Freiheit“ denkbar sein? Es kann der Staat wohl Einen gegen den Andern schützen, aber sich selbst darf er doch nicht durch eine ungemessene Freiheit, eine sogenannte Zügellosigkeit, gefährden lassen. So erklärt der Staat bei der „Unterrichtsfreiheit“ nur dies, daß ihm Jeder recht sei, der, wie es der Staat, oder faßlicher gesprochen, die Staatsgewalt haben will, unterrichtet. Auf dies „wie es der Staat haben will“ kommt es für die Konkurrierenden an. Will z. B. die Geistlichkeit nicht, wie der Staat, so schließt sie sich selber von der Konkurrenz aus (s. Frankreich). Die Grenze, welche im Staate aller und jeder Konkurrenz notwendig gezogen wird, nennt man „die Überwachung und Oberaufsicht des Staates“. Indem der Staat die Unterrichtsfreiheit in die gebührenden Schranken weist, setzt er zugleich der Gedankenfreiheit ihr Ziel, weil nämlich die Leute in der Regel nicht weiter denken, als ihre Lehrer gedacht haben.
Man höre den Minister Guizot [104]: „Die große Schwierigkeit der heutigen Zeit ist die Leitung und Beherrschung des Geistes. Ehemals erfüllte die Kirche diese Mission, jetzt ist sie dazu nicht hinreichend. Die Universität ist es, von der dieser große Dienst erwartet werden muß, und sie wird nicht ermangeln, ihn zu leisten. Wir, die Regierung, haben die Pflicht, sie darin zu unterstützen. Die Charte will die Freiheit des Gedankens und die des Gewissens.“ Zu Gunsten also der Gedanken- und Gewissensfreiheit fordert der Minister „die Leitung und Beherrschung des Geistes“.
Der Katholizismus zog den Examinanden vor das Forum der Kirchlichkeit, der Protestantismus vor das der biblischen Christlichkeit. Es wäre nur wenig gebessert, wenn man ihn vor das der Vernunft zöge, wie z. B. Ruge will. [105] Ob die Kirche, die Bibel oder die Vernunft (auf die sich übrigens schon Luther und Huß beriefen) die heilige Autorität ist, macht im Wesentlichen keinen Unterschied.
Lösbar wird die „Frage unserer Zeit“ noch nicht einmal dann, wenn man sie so stellt: Ist irgend ein Allgemeines berechtigt oder nur das Einzelne? Ist die Allgemeinheit (wie Staat, Gesetz, Sitte, Sittlichkeit usw.) berechtigt oder die Einzelheit? Lösbar wird sie erst, wenn man überhaupt nicht mehr nach einer „Berechtigung“ fragt und keinen bloßen Kampf gegen „Privilegien“ führt. – Eine „vernünftige“ Lehrfreiheit, die „nur das Gewissen der Vernunft anerkennt“ [106], bringt Uns nicht zum Ziele; Wir brauchen vielmehr eine egoistische, eine Lehrfreiheit für alle Eigenheit, worin Ich zu einem Vernehmbaren werde und mich ungehemmt kund geben kann. Daß Ich Mich „vernehmbar“ mache, das allein ist „Vernunft“, sei Ich auch noch so unvernünftig; indem Ich Mich vernehmen lasse und so Mich selbst vernehme, genießen Andere sowohl als Ich selber Mich, und verzehren Mich zugleich.
Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das rechtgläubige, das loyale, das sittliche usw. Ich frei war, nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dies die Freiheit Meiner?
Bin Ich als „vernünftiges Ich“ frei, so ist das Vernünftige an Mir oder die Vernunft frei, und diese Freiheit der Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal der christlichen Welt. Das Denken – und, wie gesagt, ist der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube ist – wollte man freimachen, die Denkenden, d. h. sowohl die Gläubigen als die Vernünftigen, sollten frei sein, für die Übrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denkenden aber ist die „Freiheit der Kinder Gottes“ und zugleich die unbarmherzigste – Hierarchie oder Herrschaft des Gedankens: denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, so bin Ich ihr Sklave, so habe Ich keine Gewalt über sie und werde von ihnen beherrscht. Ich aber will den Gedanken haben, will voller Gedanken sein, aber zugleich will Ich gedankenlos sein, und bewahre Mir statt der Gedankenfreiheit die Gedankenlosigkeit.
Kommt es darauf an, sich zu verständigen und mitzuteilen, so kann Ich allerdings nur von den menschlichen Mitteln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Mensch bin, zu Gebote stehen. Und wirklich habe Ich nur als Mensch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos. Wer einen Gedanken nicht los werden kann, der ist soweit nur Mensch, ist ein Knecht der Sprache, dieser Menschensatzung, dieses Schatzes von menschlichen Gedanken. Die Sprache oder „das Wort“ tyrannisiert Uns am ärgsten, weil sie ein ganzes Heer von fixen Ideen gegen uns aufführt. Beobachte Dich einmal jetzt eben bei deinem Nachdenken, und Du wirst finden, wie Du nur dadurch weiter kommst, daß Du jeden Augenblick gedanken- und sprachlos wirst. Du bist nicht etwa bloß im Schlafe, sondern selbst im tiefsten Nachdenken gedanken- und sprachlos, ja dann gerade am meisten. Und nur durch diese Gedankenlosigkeit, diese verkannte „Gedankenfreiheit“ oder Freiheit vom Gedanken bist Du dein eigen. Erst von ihr aus gelangst Du dazu, die Sprache als dein Eigentum zu verbrauchen.
Ist das Denken nicht mein Denken, so ist es bloß ein fortgesponnener Gedanke, ist Sklavenarbeit oder Arbeit eines „Dieners am Worte“. Für mein Denken ist nämlich der Anfang nicht ein Gedanke, sondern Ich, und darum bin Ich auch sein Ziel, wie denn sein ganzer Verlauf nur ein Verlauf meines Selbstgenusses ist; für das absolute oder freie Denken ist hingegen das Denken selbst der Anfang, und es quält sich damit, diesen Anfang als die äußerste „Abstraktion“ (z. B. als Sein) aufzustellen. Ebendiese Abstraktion oder dieser Gedanke wird dann weiter ausgesponnen.
Das absolute Denken ist die Sache des menschlichen Geistes, und dieser ist ein heiliger Geist. Daher ist dies Denken Sache der Pfaffen, die „Sinn dafür haben“, Sinn für die „höchsten Interessen der Menschheit“, für „den Geist“.
Dem Gläubigen sind die Wahrheiten eine ausgemachte Sache, eine Tatsache; dem frei Denkenden eine Sache, die erst noch ausgemacht werden soll. Das absolute Denken sei noch so ungläubig, seine Ungläubigkeit hat ihre Schranken, und es bleibt doch ein Glaube an die Wahrheit, an den Geist, an die Idee und ihren endlichen Sieg: es sündigt nicht gegen den heiligen Geist. Alles Denken aber, das nicht gegen den heiligen Geist sündigt, ist Geister- oder Gespensterglaube.
Dem Denken kann ich so wenig entsagen, als dem Empfinden, der Tätigkeit des Geistes so wenig als der Sinnentätigkeit. Wie das Empfinden unser Sinn für die Dinge, so ist das Denken unser Sinn für die Wesen (Gedanken). Die Wesen haben ihr Dasein an allem Sinnlichen, besonders am Worte. Die Macht der Worte folgt auf die der Dinge: erst wird man durch die Rute bezwungen, hernach durch Überzeugung. Die Gewalt der Dinge überwindet unser Mut, unser Geist; gegen die Macht einer Überzeugung, also des Wortes, verliert selbst die Folter und das Schwert seine Übermacht und Kraft. Die Überzeugungsmenschen sind die pfäffischen, die jeder Lockung des Satans widerstehen.
Das Christentum nahm den Dingen dieser Welt nur ihre Unwiderstehlichkeit, machte Uns unabhängig von ihnen. Gleicherweise erhebe Ich Mich über die Wahrheiten und ihre Macht: Ich bin wie übersinnlich so überwahr. Die Wahrheiten sind vor Mir so gemein und so gleichgültig wie die Dinge, sie reißen Mich nicht hin und begeistern mich nicht. Da ist auch nicht Eine Wahrheit, nicht das Recht, nicht die Freiheit, die Menschlichkeit usw., die vor Mir Bestand hätte, und der ich mich unterwürfe. Sie sind Worte, nichts als Worte, wie dem Christen alle Dinge nichts als „eitle Dinge“ sind. In den Worten und den Wahrheiten (jedes Wort ist eine Wahrheit, wie Hegel behauptet, daß man keine Lüge sagen könne) ist kein Heil für Mich, so wenig als für den Christen in den Dingen und Eitelkeiten. Wie Mich die Reichtümer dieser Welt nicht glücklich machen, so auch die Wahrheiten nicht. Die Versuchungsgeschichte spielt jetzt nicht mehr der Satan, sondern der Geist, und dieser verführt nicht durch die Dinge dieser Welt, sondern durch die Gedanken derselben, durch den „Glanz der Idee“.
Neben den weltlichen Gütern müssen auch alle heiligen Güter entwertet hingestellt werden.
Wahrheiten sind Phrasen, Redensarten, Worte (lógos); in Zusammenhang oder in Reih’ und Glied gebracht, bilden sie die Logik, die Wissenschaft, die Philosophie.
Zum Denken und Sprechen brauche Ich die Wahrheiten und Worte, wie zum Essen die Speisen; ohne sie kann Ich nicht denken noch sprechen. Die Wahrheiten sind der Menschen Gedanken, in Worten niedergelegt und deshalb ebenso vorhanden, wie andere Dinge, obgleich nur für den Geist oder das Denken vorhanden. Sie sind Menschensatzungen und menschliche Geschöpfe, und wenn man sie auch für göttliche Offenbarungen ausgibt, so bleibt ihnen doch die Eigenschaft der Fremdheit für Mich, ja als meine eigenen Geschöpfe sind sie nach dem Schöpfungsakte Mir bereits entfremdet.
Der Christenmensch ist der Denkgläubige, der an die Oberherrschaft der Gedanken glaubt und Gedanken, sogenannte „Prinzipien“ zur Herrschaft bringen will. Zwar prüft Mancher die Gedanken und wählt keinen derselben ohne Kritik zu seinem Herrn, aber er gleicht darin dem Hunde, der die Leute beschnoppert, um „seinen Herrn“ herauszuriechen: auf den herrschenden Gedanken sieht er’s allezeit ab. Der Christ kann unendlich viel reformieren und revoltieren, kann die herrschenden Begriffe von Jahrhunderten zu Grunde richten: immer wird er wieder nach einem neuen „Prinzipe“ oder neuen Herrn trachten, immer wieder eine höhere oder „tiefere“ Wahrheit aufrichten, immer einen Kultus wieder hervorrufen, immer einen zur Herrschaft berufenen Geist proklamieren, ein Gesetz für Alle hinstellen.
Gibt es auch nur Eine Wahrheit, welcher der Mensch sein Leben und seine Kräfte widmen müßte, weil er Mensch ist, so ist er einer Regel, Herrschaft, Gesetz usw. unterworfen, ist Dienstmann. Solche Wahrheit soll z. B. der Mensch, die Menschlichkeit, die Freiheit usw. sein.
Dagegen kann man so sagen: Ob Du mit dem Denken Dich des weiteren befassen willst, das kommt auf Dich an; nur wisse, daß, wenn Du es im Denken zu etwas Erheblichem bringen möchtest, viele und schwere Probleme zu lösen sind, ohne deren Überwindung Du nicht weit kommen kannst. Es existiert also keine Pflicht und kein Beruf für Dich, mit Gedanken (Ideen, Wahrheiten) Dich abzugeben, willst Du’s aber, so wirst Du wohltun, das, was Anderer Kräfte in Erledigung dieser schwierigen Gegenstände schon gefördert haben, zu benutzen.
So hat also, wer denken will, allerdings eine Aufgabe, die er sich mit jenem Willen bewußt oder unbewußt setzt; aber die Aufgabe zu denken oder zu glauben hat Keiner. – Im ersteren Falle kann es heißen: Du gehst nicht weit genug, hast ein beschränktes und befangenes Interesse, gehst der Sache nicht auf den Grund, kurz bewältigst sie nicht vollständig. Andererseits aber, so weit Du auch jedesmal kommen magst, Du bist doch immer zu Ende, hast keinen Beruf weiter zu schreiten und kannst es haben, wie Du willst oder vermagst. Es steht damit, wie mit einer andern Arbeit, die Du aufgeben kannst, wenn Dir die Lust dazu abgeht. Ebenso wenn Du eine Sache nicht mehr glauben kannst, so hast Du zum Glauben Dich nicht zu zwingen oder als mit einer heiligen Glaubenswahrheit Dich fortdauernd zu beschäftigen, wie es die Theologen oder Philosophen machen, sondern kannst getrost dein Interesse aus ihr zurückziehen und sie laufen lassen. Die pfäffischen Geister werden Dir freilich diese Interesselosigkeit für „Faulheit, Gedankenlosigkeit, Verstocktheit, Selbsttäuschung“ u. dgl. auslegen. Aber laß Du den Bettel [11*] nur dennoch liegen. Keine Sache, kein sogenanntes „höchstes Interesse der Menschheit“, keine „heilige Sache“ ist wert, daß Du ihr dienest, und um ihretwillen Dich damit befassest; ihren Wert magst Du allein darin suchen, ob sie Dir um Deinetwillen wert ist. Werdet wie die Kinder, mahnt der biblische Spruch [12*]. Kinder aber haben kein heiliges Interesse und wissen nichts von einer „guten Sache“. Desto genauer wissen sie, wonach ihnen der Sinn steht, und wie sie dazu gelangen sollen, das bedenken sie nach besten Kräften.
Das Denken wird so wenig als das Empfinden aufhören. Aber die Macht der Gedanken und Ideen, die Herrschaft der Theorien und Prinzipien, die Oberherrlichkeit des Geistes, kurz die – Hierarchie währt so lange, als die Pfaffen, d. h. Theologen, Philosophen, Staatsmänner, Philister, Liberale, Schulmeister, Bedienten, Eltern, Kinder, Eheleute, Proudhon, George Sand, Bluntschli usw., usw. das große Wort führen: die Hierarchie wird dauern, solange man an Prinzipien glaubt, denkt, oder auch sie kritisiert: denn selbst die unerbittlichste Kritik, die alle geltenden Prinzipien untergräbt, glaubt schließlich doch an das Prinzip.
Es kritisiert Jeder, aber das Kriterium ist verschieden. Man jagt dem „rechten“ Kriterium nach. Dies rechte Kriterium ist die erste Voraussetzung. Der Kritiker geht von einem Satze, einer Wahrheit, einem Glauben auS. Dieser ist nicht eine Schöpfung des Kritikers, sondern des Dogmatikers, ja er wird sogar gewöhnlich aus der Zeitbildung ohne Weiteres aufgenommen, wie z. B. „die Freiheit“, „die Menschlichkeit“ usw. Der Kritiker hat nicht „den Menschen gefunden“, sondern als „der Mensch“ ist diese Wahrheit vom Dogmatiker festgestellt worden, und der Kritiker, der übrigens mit jenem dieselbe Person sein kann, glaubt an diese Wahrheit, diesen Glaubenssatz. In diesem Glauben und besessen von diesem Glauben kritisiert er.
Das Geheimnis der Kritik ist irgend eine „Wahrheit“: diese bleibt ihr energierendes Mysterium.
Aber Ich unterscheide zwischen dienstbarer und eigener Kritik. Kritisiere Ich unter der Voraussetzung eines höchsten Wesens, so dient meine Kritik dem Wesen und wird um seinetwillen geführt: bin Ich z. B. besessen von dem Glauben an einen „freien Staat“, so kritisiere Ich alles dahin Einschlagende von dem Gesichtspunkte aus, ob es diesem Staate konveniert; denn Ich liebe diesen Staat; kritisiere ich als Frommer, so zerfällt Mir Alles in göttlich und teuflisch, und die Natur besteht vor meiner Kritik aus Gottesspuren oder Teufelsspuren (daher Benennungen wie: Gottesgabe, Gottesberg, Teufelskanzel usw.), die Menschen aus Gläubigen und Ungläubigen usw.; kritisiere Ich, indem Ich an den Menschen als das „wahre Wesen“ glaube, so zerfällt Mir zunächst Alles in den Menschen und den Unmenschen usw.
Die Kritik ist bis auf den heutigen Tag ein Werk der Liebe geblieben: denn wir übten sie allezeit einem Wesen zu Liebe. Alle dienstbare Kritik ist ein Liebesprodukt, eine Besessenheit, und verfährt nach jenem neutestamentlichen: „Prüfet Alles und das Gute behaltet.“ [107] „Das Gute“ ist der Prüfstein, das Kriterium. Das Gute, unter tausenderlei Namen und Gestalten wiederkehrend, blieb immer die Voraussetzung, blieb der dogmatisch feste Punkt für diese Kritik, blieb die – fixe Idee.
Unbefangen setzt der Kritiker, indem er sich an die Arbeit macht, die „Wahrheit“ voraus, und in dem Glauben, daß sie zu finden sei, sucht er die Wahrheit. Er will das Wahre ermitteln und hat daran eben jenes „Gute“.
Voraussetzen heißt nichts anders, als einen Gedanken voranstellen, oder etwas vor allem Andern denken und von diesem Gedachten aus das Übrige denken, d. h. es daran messen und kritisieren. Mit andern Worten sagt dies so viel, daß das Denken mit einem Gedachten beginnen soll. Begönne das Denken überhaupt, statt begonnen zu werden, wäre das Denken ein Subjekt, eine eigene handelnde Persönlichkeit, wie schon die Pflanze eine solche ist, so wäre freilich nicht davon abzustehen, daß das Denken mit sich anfangen müsse. Allein die Personifikation des Denkens bringt eben jene unzähligen Irrtümer zu Stande. Im Hegelschen Systeme wird immer so gesprochen, als dächte und handelte das Denken oder „der denkende Geist“, d. h. das personifizierte Denken, das Denken als Gespenst; im kritischen Liberalismus heißt es stets: „die Kritik“ tue das und das, oder auch: „das Selbstbewußtsein“ finde das und daS. Gilt aber das Denken für das persönlich Handelnde, so muß das Denken selbst vorausgesetzt sein, gilt die Kritik dafür, so muß gleichfalls ein Gedanke voranstehen. Denken und Kritik könnten nur von sich aus tätig, müßten selbst die Voraussetzung ihrer Tätigkeit sein, da sie, ohne zu sein, nicht tätig sein könnten. Das Denken aber, als Vorausgesetztes, ist ein fixer Gedanke, ein Dogma: Denken und Kritik könnten also nur von einem Dogma ausgehen, d. h. von einem Gedanken, einer fixen Idee, einer Voraussetzung.
Wir kommen damit wieder auf das oben Ausgesprochene zurück, daß das Christentum in der Entwicklung einer Gedankenwelt bestehe, oder daß es die eigentliche „Gedankenfreiheit“ sei, der „freie Gedanke“, der „freie Geist“. Die „wahre“ Kritik, die Ich die „dienstbare“ nannte, ist daher ebenso die „freie“ Kritik, denn sie ist nicht mein eigen.
Anders verhält es sich, wenn das Deinige nicht zu einem Fürsichseienden gemacht, nicht personifiziert, nicht als ein eigener „Geist“ verselbständigt wird. Dein Denken hat nicht „das Denken“ zur Voraussetzung, sondern Dich. Aber so setzest Du Dich doch voraus? Ja, aber nicht Mir, sondern meinem Denken. Vor meinem Denken bin – Ich. Daraus folgt, daß meinem Denken nicht ein Gedanke vorhergeht, oder daß mein Denken ohne eine „Voraussetzung“ ist. Denn die Voraussetzung, welche Ich für mein Denken bin, ist keine vom Denken gemachte, keine gedachte, sondern ist das gesetzte Denken selbst, ist der Eigner des Denkens, und beweist nur, daß das Denken nichts weiter ist, als – Eigentum, d. h. daß ein „selbständiges“ Denken, ein „denkender Geist“ gar nicht existiert.
Diese Umkehrung der gewöhnlichen Betrachtungsweise könnte einem leeren Spiel mit Abstraktionen so ähnlich sehen, daß selbst diejenigen, gegen welche sie gerichtet ist, ihrer harmlosen Wendung sich ergäben, wenn nicht praktische Folgen sich daran knüpften.
Um diese in einen bündigen Ausdruck zu bringen, so wird nun behauptet, daß nicht der Mensch das Maß von Allem, sondern daß Ich dieses Maß sei. Der dienstbare Kritiker hat ein anderes Wesen, eine Idee, vor Augen, welchem er dienen will; darum schlachtet er seinem Gotte nur die falschen Götzen. Was diesem Wesen zu Liebe geschieht, was wäre es anders, als ein – Werk der Liebe? Ich aber habe, wenn Ich kritisiere, nicht einmal Mich vor Augen, sondern mache Mir nur ein Vergnügen, amüsiere Mich nach meinem Geschmacke: je nach meinem Bedürfnis zerkaue Ich die Sache, oder ziehe nur ihren Duft ein.
Sprechender noch wird der Unterschied beider Verfassungsarten sich herausstellen, wenn man bedenkt, daß der dienstbare Kritiker, weil ihn die Liebe leitet, der Sache selbst zu dienen meint.
Die Wahrheit oder „die Wahrheit überhaupt“ will man nicht aufgeben, sondern suchen. Was ist sie anders als das être suprême, das höchste Wesen? Verzweifeln müßte auch die „wahre Kritik“, wenn sie den Glauben an die Wahrheit verlöre. Und doch ist die Wahrheit nur ein – Gedanke, aber nicht bloß einer, sondern sie ist der Gedanke, der über alle Gedanken ist, der unumstößliche Gedanke, sie ist der Gedanke selbst, der alle andern erst heiligt, ist die Weihe der Gedanken, der „absolute“, der „heilige“ Gedanke. Die Wahrheit hält länger vor, als alle Götter; denn nur in ihrem Dienste und ihr zu Liebe hat man die Götter und zuletzt selbst den Gott gestürzt. Den Untergang der Götterwelt überdauert „die Wahrheit“, denn sie ist die unsterbliche Seele dieser vergänglichen Götterwelt, sie ist die Gottheit selber.
Ich will antworten auf die Frage des Pilatus: Was ist Wahrheit? Wahrheit ist der freie Gedanke, die freie Idee, der freie Geist; Wahrheit ist, was von Dir frei, was nicht dein eigen, was nicht in deiner Gewalt ist. Aber Wahrheit ist auch das völlig Unselbständige, Unpersönliche, Unwirkliche und Unbeleibte; Wahrheit kann nicht auftreten, wie Du auftrittst, kann sich nicht bewegen, nicht ändern, nicht entwickeln; Wahrheit erwartet und empfängt alles von Dir und ist selbst nur durch Dich: denn sie existiert nur in – deinem Kopfe. Du gibst das zu, daß die Wahrheit ein Gedanke sei, aber nicht jeder Gedanke sei ein wahrer, oder, wie Du’s auch wohl ausdrückst, nicht jeder Gedanke ist wahrhaft und wirklich Gedanke. Und woran missest und erkennst Du den wahren Gedanken? An deiner Ohnmacht, nämlich daran, daß Du ihm nichts mehr anhaben kannst! Wenn er Dich überwältigt, begeistert und fortreißt, dann hältst Du ihn für den wahren. Seine Herrschaft über Dich dokumentiert Dir seine Wahrheit, und wenn er Dich besitzt und Du von ihm besessen bist, dann ist Dir wohl bei ihm, denn dann hast Du deinen – Herrn und Meister gefunden. Als Du die Wahrheit suchtest, wonach sehnte sich dein Herz da? Nach deinem Herrn! Du trachtetest nicht nach deiner Gewalt, sondern nach einem Gewaltigen, und wolltest einen Gewaltigen erhöhen („Erhöhet den Herrn, unsern Gott!“). Die Wahrheit, mein lieber Pilatus, ist – der Herr, und Alle, welche die Wahrheit suchen, suchen und preisen den Herrn. Wo existiert der Herr? Wo anders als in deinem Kopfe? Er ist nur Geist, und wo immer Du ihn wirklich zu erblicken glaubst, da ist er ein – Gespenst; der Herr ist ja bloß ein Gedachtes, und nur die christliche Angst und Qual, das Unsichtbare sichtbar, das Geistige leibhaftig zu machen, erzeugte das Gespenst und war der furchtsame Jammer des Gespensterglaubens.
Solange Du an die Wahrheit glaubst, glaubst Du nicht an Dich und bist ein – Diener, ein – religiöser Mensch. Du allein bist die Wahrheit, oder vielmehr, Du bist mehr als die Wahrheit, die vor Dir gar nichts ist. Allerdings fragst auch Du nach der Wahrheit, allerdings „kritisierst“ auch Du, aber Du fragst nicht nach einer „höhern Wahrheit“, die nämlich höher wäre als Du, und kritisierst nicht nach dem Kriterium einer solchen. Du machst Dich an die Gedanken und Vorstellungen wie an die Erscheinungen der Dinge nur zu dem Zwecke, um sie Dir mundgerecht, genießbar und eigen zu machen, Du willst sie nur bewältigen und ihr Eigner werden, willst Dich in ihnen orientieren und zu Hause wissen, und befindest sie wahr oder siehst sie in ihrem wahren Lichte dann, wenn sie Dir nicht mehr entschlüpfen können, keine ungepackte oder unbegriffene Stelle mehr haben, oder wenn sie Dir recht, wenn sie dein Eigentum sind. Werden sie nachgehends wieder schwerer, entwinden sie deiner Gewalt sich wieder, so ist das eben ihre Unwahrheit, nämlich deine Ohnmacht. Deine Ohnmacht ist ihre Macht, deine Demut ihre Hoheit. Ihre Wahrheit also bist Du oder ist das Nichts, welches Du für sie bist und in welches sie zerfließen, ihre Wahrheit ist ihre Nichtigkeit.
Erst als das Eigentum Meiner kommen die Geister, die Wahrheiten, zur Ruhe, und sie sind dann erst wirklich, wenn ihnen die leidige Existenz entzogen und sie zu einem Eigentum Meiner gemacht werden, wenn es nicht mehr heißt: die Wahrheit entwickelt sich, herrscht, macht sich geltend, die Geschichte (auch ein Begriff) siegt u. dergl. Niemals hat die Wahrheit gesiegt, sondern stets war sie mein Mittel zum Siege, ähnlich dem Schwerte („das Schwert der Wahrheit“). Die Wahrheit ist tot, ein Buchstabe, ein Wort, ein Material, das Ich verbrauchen kann. Alle Wahrheit für sich ist tot, ein Leichnam; lebendig ist sie nur in derselben Weise, wie meine Lunge lebendig ist, nämlich in dem Maße meiner eigenen Lebendigkeit. Die Wahrheiten sind Material wie Kraut und Unkraut; ob Kraut oder Unkraut, darüber liegt die Entscheidung in Mir.
Mir sind die Gegenstände nur Material, das Ich verbrauche. Wo Ich hingreife, fasse Ich eine Wahrheit, die Ich Mir zurichte. Die Wahrheit ist Mir gewiß, und Ich brauche sie nicht zu ersehnen. Der Wahrheit einen Dienst zu leisten, ist nirgends meine Absicht; sie ist Mir nur ein Nahrungsmittel für meinen denkenden Kopf, wie die Kartoffel für meinen verdauenden Magen, der Freund für mein geselliges Herz. Solange Ich Lust und Kraft zu denken habe, dient Mir jede Wahrheit nur dazu, sie nach meinem Vermögen zu verarbeiten. Wie für den Christen die Wirklichkeit oder Weltlichkeit, so ist für Mich die Wahrheit „eitel und nichtig“. Sie existiert gerade so gut, als die Dinge dieser Welt fortexistieren, obgleich der Christ ihre Nichtigkeit bewiesen hat; aber sie ist eitel, weil sie ihren Wert nicht in sich hat, sondern in Mir. Für sich ist sie wertlos. Die Wahrheit ist eine – Kreatur.
Wie Ihr durch eure Tätigkeit unzählige Dinge herstellt, ja den Erdboden neu gestaltet und überall Menschenwerke errichtet, so mögt Ihr auch noch zahllose Wahrheiten durch euer Denken ermitteln, und Wir wollen Uns gerne daran erfreuen. Wie Ich Mich jedoch nicht dazu hergeben mag, eure neu entdeckten Maschinen maschinenmäßig zu bedienen, sondern sie nur zu meinem Nutzen in Gang setzen helfe, so will Ich auch eure Wahrheiten nur gebrauchen, ohne Mich für ihre Forderungen gebrauchen zu lassen.
Alle Wahrheiten unter Mir sind Mir lieb; eine Wahrheit über Mir, eine Wahrheit, nach der Ich Mich richten müßte, kenne Ich nicht. Für Mich gibt es keine Wahrheit, denn über Mich geht nichts! Auch nicht mein Wesen, auch nicht das Wesen des Menschen geht über Mich! Und zwar über Mich, diesen „Tropfen am Eimer“, diesen „unbedeutenden Menschen“!
Ihr glaubt das Äußerste getan zu haben, wenn Ihr kühn behauptet, es gebe, weil jede Zeit ihre eigene Wahrheit habe, keine „absolute Wahrheit“. Damit laßt Ihr ja dennoch jeder Zeit ihre Wahrheit, und erschafft so recht eigentlich eine „absolute Wahrheit“, eine Wahrheit, die keiner Zeit fehlt, weil jede Zeit, wie ihre Wahrheit auch immer sei, doch eine „Wahrheit“ hat.
Soll nur gesagt sein, daß man in jeder Zeit gedacht, mithin Gedanken oder Wahrheiten gehabt hat, und daß diese in der folgenden Zeit andere waren, als in der früheren? Nein, es soll heißen, daß jede Zeit ihre „Glaubenswahrheit“ hatte; und in der Tat ist noch keine erschienen, worin nicht eine „höhere Wahrheit“ anerkannt worden wäre, eine Wahrheit, der man als „Hoheit und Majestät“ sich unterwerfen zu müssen glaubte. Jede Wahrheit einer Zeit ist die fixe Idee derselben, und wenn man später eine andere Wahrheit fand, so geschah dies immer nur, weil man eine andere suchte: man reformierte nur die Narrheit und zog ihr ein modernes Kleid an. Denn man wollte doch – wer durfte an der Berechtigung hierzu zweifeln? – man wollte von einer „Idee begeistert“ sein. Man wollte von einem Gedanken beherrscht, – besessen sein! Der modernste Herrscher dieser Art ist „unser Wesen“ oder „der Mensch“.
Für alle freie Kritik war ein Gedanke das Kriterium, für die eigene Kritik bin Ich’s, Ich, der Unsagbare, mithin nicht bloß Gedachte; denn das bloß Gedachte ist stets sagbar, weil Wort und Gedanke zusammenfallen. Wahr ist, was mein ist, unwahr das, dem Ich eigen bin; wahr z. B. der Verein, unwahr der Staat und die Gesellschaft. Die „freie und wahre“ Kritik sorgt für die konsequente Herrschaft eines Gedankens, einer Idee, eines Geistes, die „eigene“ für nichts als meinen Selbstgenuß. Darin aber gleicht die letztere in der Tat – und Wir wollen ihr diese „Schmach“ nicht ersparen! – der tierischen Kritik des InstinkteS. Mir ist es, wie dem kritisierenden Tiere, nur um Mich, nicht „um die Sache“ zu tun. Ich bin das Kriterium der Wahrheit, Ich aber bin keine Idee, sondern mehr als Idee, d. h. unaussprechlich. Meine Kritik ist keine „freie“, nicht frei von Mir, und keine „dienstbare“, nicht im Dienste einer Idee, sondern eine eigene.
Die wahre oder menschliche Kritik bringt nur heraus, ob etwas dem Menschen, dem wahren Menschen konveniere; durch die eigene Kritik aber ermittelst Du, ob es Dir konveniert.
Die freie Kritik beschäftigt sich mit Ideen, und ist deshalb stets theoretisch. Wie sie auch gegen die Ideen wüten möge, so kommt sie doch von ihnen nicht los. Sie schlägt sich mit den Gespenstern herum, aber sie kann dies nur, indem sie dieselben für Gespenster hält. Die Ideen, mit denen sie’s zu tun hat, verschwinden nicht völlig: der Morgenhauch eines neuen Tages verscheucht sie nicht.
Der Kritiker kann zwar zur Ataraxie gegen die Ideen kommen, aber er wird sie niemals los, d. h. er wird nie begreifen, daß nicht über dem leibhaftigen Menschen etwas Höheres existiere, nämlich seine Menschlichkeit, die Freiheit usw. Es bleibt ihm immer noch ein „Beruf“ des Menschen übrig, die „Menschlichkeit“. Und diese Idee der Menschlichkeit bleibt unrealisiert, weil sie eben „Idee“ bleibt und bleiben soll.
Fasse Ich dagegen die Idee als meine Idee, so ist sie bereits realisiert, weil Ich ihre Realität bin: ihre Realität besteht darin, daß Ich, der Leibhaftige, sie habe.
Man sagt, in der Weltgeschichte realisiere sich die Idee der Freiheit. Umgekehrt, diese Idee ist reell, sowie ein Mensch sie denkt, und sie ist in dem Maße reell als sie Idee ist, d. h. als Ich sie denke oder habe. Nicht die Idee der Freiheit entwickelt sich, sondern die Menschen entwickeln sich und entwickeln in dieser Selbstentwicklung natürlich auch ihr Denken.
Kurz der Kritiker ist noch nicht Eigner, weil er mit den Ideen noch als mit mächtigen Fremden kämpft, wie der Christ nicht Eigner seiner „schlechten Begierden“ ist, solange er sie zu bekämpfen hat: wer gegen das Laster streitet, für den existiert das Laster.
Die Kritik bleibt in der „Freiheit des Erkennens“, der Geistesfreiheit, stecken, und der Geist gewinnt seine rechte Freiheit dann, wenn er sich mit der reinen, der wahren Idee erfüllt; das ist die Denkfreiheit, die nicht ohne Gedanken sein kann.
Es schlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menschheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.
Überhaupt tritt der Anfang des Christentums in seinem kritischen Ende wieder auf, indem hier wie dort der „Egoismus“ bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, sondern die Idee, das Allgemeine, soll Ich zur Geltung bringen.
Krieg des Pfaffentums mit dem Egoismus, der geistlich Gesinnten mit den weltlich Gesinnten macht ja den Inhalt der ganzen christlichen Geschichte auS. In der neuesten Kritik wird dieser Krieg nur allumfassend, der Fanatismus vollständig. Freilich kann er auch so erst, nachdem er sich ausgelebt und ausgewütet hat, vergehen.
Ob, was Ich denke und tue, christlich sei, was kümmert’s Mich? Ob es menschlich, liberal, human, ob unmenschlich, illiberal, inhuman, was frag’ Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin befriedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.
Auch Ich wehre Mich vielleicht schon im nächsten Augenblicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweise; aber nicht darum, weil sie der Christlichkeit nicht entspricht, nicht darum, weil sie gegen die ewigen Menschenrechte läuft, nicht darum, weil sie der Idee der Menschheit, Menschlichkeit und Humanität ins Gesicht schlägt, sondern – weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil sie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an (419) dem früheren Gedanken zweifle oder in der eben geübten Handlungsweise Mir nicht mehr gefalle.
Wie die Welt als Eigentum zu einem Material geworden ist, mit welchem Ich anfange, was Ich will, so muß auch der Geist als Eigentum zu einem Material herabsinken, vor dem Ich keine heilige Scheu mehr trage. Zunächst werde Ich dann nicht ferner vor einem Gedanken schaudern, er erscheine so verwegen und „teuflisch“ als er wolle, weil, wenn er Mir zu unbequem und unbefriedigend zu werden droht, sein Ende in meiner Macht liegt; aber auch vor keiner Tat werde Ich zurückbeben, weil ein Geist der Gottlosigkeit, Unsittlichkeit, Widerrechtlichkeit darin wohne, so wenig als der heilige Bonifatius von dem Umhauen der heiligen Heideneiche aus religiöser Bedenklichkeit abstehen mochte. Sind einst die Dinge der Welt eitel geworden, so müssen auch die Gedanken des Geistes eitel werden.
Kein Gedanke ist heilig, denn kein Gedanke gelte für „Andacht“, kein Gefühl ist heilig (kein heiliges Freundschaftsgefühl, Muttergefühl usw.), kein Glaube ist heilig. Sie sind alle veräußerlich, mein veräußerliches Eigentum, und werden von Mir vernichtet wie geschaffen.
Der Christ kann alle Dinge oder Gegenstände, die geliebtesten Personen, diese „Gegenstände“ seiner Liebe, verlieren, ohne Sich, d. h. im christlichen Sinne seinen Geist, seine Seele, verloren zu geben. Der Eigner kann alle Gedanken, die seinem Herzen lieb waren und seinen Eifer entzündeten, von sich werfen und wird gleichfalls „tausendfältig wieder gewinnen“, weil Er, ihr Schöpfer, bleibt.
Unbewußt und unwillkürlich streben Wir alle der Eigenheit zu, und schwerlich wird Einer unter Uns sein, der nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen heiligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl keinem, der sich nicht aus einem oder dem andern seiner heiligen Gedanken noch erlösen könnte. All unser Streit wider Überzeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner etwa aus seinen Gedankenverschanzungen zu vertreiben fähig seien. Aber was Ich unbewußt tue, das tue Ich halb, und darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wieder der Gefangene (Besessene) eines Glaubens, der dann von neuem mein ganzes Ich in seinen Dienst nimmt und Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich für die Bibel zu schwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer für die Idee der Menschheit, nachdem Ich lange genug für die der Christenheit gefochten habe.
Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken so gut mein Eigentum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen lasse; aber lächelnd zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegensehen, lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geschlagen bin, triumphieren. Das eben ist der Humor von der Sache. Seinen Humor an den Kleinlichkeiten der Menschen auszulassen, das vermag Jeder, der „erhabnere Gefühle“ hat; ihn aber mit allen „großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeisterung und heiligem Glauben“ spielen zu lassen, das setzt voraus, daß Ich der Eigner von Allem sei.
Hat die Religion den Satz aufgestellt, Wir seien allzumal Sünder, so stelle Ich ihm den andern entgegen: Wir sind allzumal vollkommen! Denn wir sind jeden Augenblick Alles, was Wir sein können, und brauchen niemals mehr zu sein. Da kein Mangel an Uns haftet, so hat auch die Sünde keinen Sinn. Zeigt Mir noch einen Sünder in der Welt, wenn’s Keiner mehr einem Höheren recht zu machen braucht! Brauche Ich’s nur Mir recht zu machen, so bin Ich kein Sünder, wenn Ich’s Mir nicht recht mache, da Ich in Mir keinen „Heiligen“ verletze; soll Ich dagegen fromm sein, so muß Ich’s Gott recht machen, soll Ich menschlich handeln, so muß Ich’s dem Wesen des Menschen, der Idee der Menschheit usw. recht machen. Was die Religion den „Sünder“ nennt, das nennt die Humanität den „Egoisten“. Nochmals aber, brauche Ich’s keinem Andern recht zu machen, ist dann der „Egoist“, in welchem die Humanität sich einen neumodischen Teufel geboren hat, mehr als ein Unsinn? Der Egoist, vor dem die Humanen schaudern, ist so gut ein Spuk, als der Teufel einer ist: er existiert nur als Schreckgespenst und Phantasiegestalt in ihrem Gehirne. Trieben sie nicht zwischen dem altfränkischen Gegensatz von Gut und Böse, dem sie die modernen Namen von „Menschlich“ und „Egoistisch“ gegeben haben, unbefangen hin und her, so würden sie auch nicht den ergrauten „Sünder“ zum „Egoisten“ aufgefrischt und einen neuen Lappen auf ein altes Kleid geflickt haben. Aber sie konnten nicht anders, denn sie halten’s für ihre Aufgabe, „Menschen“ zu sein. Den Guten sind sie los, das Gute ist geblieben!
Wir sind allzumal vollkommen, und auf der ganzen Erde ist nicht Ein Mensch, der ein Sünder wäre! Es gibt Wahnsinnige, die sich einbilden, Gott Vater, Gott Sohn oder der Mann im Monde zu sein, und so wimmelt es auch von Narren, die sich Sünder zu sein dünken; aber wie jene nicht der Mann im Monde sind, so sind diese – keine Sünder. Ihre Sünde ist eingebildet.
Aber, wirft man verfänglicherweise ein, so ist doch ihr Wahnsinn oder ihre Besessenheit wenigstens ihre Sünde. Ihre Besessenheit ist nichts als das, was sie – zustande bringen konnten, das Resultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibelgläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen – vermochte. Der Eine bringt sich mit seiner Entwicklung ins Narrenhaus, der Andere bringt sich damit ins Pantheon [13*] und um die – Walhalla [14*].
Es gibt keinen Sünder und keinen sündigen Egoismus!
Geh’ Mir vom Leibe mit Deiner „Menschenliebe“! Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die „Höhlen des Lasters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und „egoistisch“ zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist, aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, daß ein Kamel eher durch ein Nadelöhr gehe [15*], als daß ein Reicher kein „Unmensch“ sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht unter die „egoistische Masse“ würfest? Was hat also deine Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen! Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Menschenliebe! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne die Menschen nicht Sünder, so sind sie’s nicht: Du allein bist der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lieben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Kot der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem Geifer deiner Besessenheit; denn Du liebst nicht die Menschen, sondern den Menschen. Ich aber sage Dir, Du hast niemals einen Sünder gesehen, Du hast ihn nur – geträumt.
Der Selbstgenuß wird Mir dadurch verleidet, daß Ich einem Andern dienen zu müssen meine, daß Ich Mich ihm verpflichtet wähne, daß Ich Mich zu „Aufopferung“, „Hingebung“, „Begeisterung“ berufen halte. Wohlan, diene Ich keiner Idee, keinem „höheren Wesen“ mehr, so findet sich’s von selbst, daß Ich auch keinem Menschen mehr diene, sondern – unter allen Umständen – Mir. So aber bin Ich nicht bloß der Tat oder dem Sein nach, sondern auch für mein Bewußtsein der – Einzige.
Dir kommt mehr zu, als das Göttliche, das Menschliche usw.; Dir kommt das Deinige zu.
Sieh Dich als mächtiger an, als wofür man Dich ausgibt, so hast Du mehr Macht; sieh Dich als mehr an, so hast Du mehr.
Du bist dann nicht bloß berufen zu allem Göttlichen, berechtigt zu allem Menschlichen, sondern Eigner des Deinigen, d. h. alles dessen, was Du Dir zu eigen zu machen Kraft besitzest, d. h. Du bist geeignet und befähigt zu allem Deinigen.
Man hat immer gemeint, Mir eine außerhalb Meiner liegende Bestimmung geben zu müssen, so daß man zuletzt Mir zumutete, Ich sollte das Menschliche in Anspruch nehmen, weil Ich – Mensch sei. Dies ist der christliche ZauberkreiS. Auch Fichtes Ich ist dasselbe Wesen außer Mir, denn Ich ist Jeder, und hat nur dieses Ich Rechte, so ist es „das Ich“, nicht Ich bin es. Ich bin aber nicht ein Ich neben andern Ichen, sondern das alleinige Ich: Ich bin einzig. Daher sind auch meine Bedürfnisse einzig, meine Taten, kurz Alles an Mir ist einzig. Und nur als dieses einzige Ich nehme Ich Mir Alles zu eigen, wie Ich nur als dieses Mich betätige und entwickle: Nicht als Mensch und nicht den Menschen entwickle Ich, sondern als Ich entwickle Ich – Mich.
Dies ist der Sinn des – Einzigen.
103. Grundsätze der Philosophie der Zukunft. Zürich und Winterthur 1843, S. 47 ff.
104. Pairskammer den 25. April 1844.
105. Arnold Ruge: Bruno Bauer und die Lehrfreiheit, In: Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publizistik. Hrsg. von Arnold Ruge, Bd. 1, Zürich und Winterthur 1843, S. 120.
106. Anekdota. Bd. 1, S. 127.
107. 1. Thess. 5, 21.
10*. Joh. 9, 24.
11*. minderwertiges Zeug, Kram
12*. Matth. 18, 3.
13*. Tempel aller Götter, Ehrentempel
14*. Halle Odins, Aufenthalt der im Kampf Gefallenen
15*. Matth. 19, 24; Mark. 10, 25; Luk. 18, 25.
Zuletzt aktualisiert am 27. Juli 2017