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Ich denke, daß der Unglaube an den Sieg des sozialistischen Aufbaus der Hauptfehler der neuen Opposition ist. Dieser Fehler ist meines Erachtens deshalb der Hauptfehler, weil sich aus ihm alle übrigen Fehler der neuen Opposition ergeben. Die Fehler der neuen Opposition in der Frage der NÖP, des Staatskapitalismus, der Natur unserer sozialistischen Industrie, der Rolle der Genossenschaften unter der Diktatur des Proletariats, der Methoden des Kampfes gegen das Kulakentum, der Rolle und Bedeutung der Mittelbauernschaft – alle diese Fehler folgen aus dem Hauptfehler der Opposition, dem Unglauben an die Möglichkeiten der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft mit den Kräften unseres Landes.
Was ist der Unglaube an den Sieg des sozialistischen Aufbaus in unserem Lande?
Das ist vor allem die mangelnde Überzeugung, daß die Hauptmassen der Bauernschaft, infolge bestimmter Entwicklungsbedingungen unseres Landes, in das Werk des sozialistischen Aufbaus einbezogen werden können.
Das ist zweitens die mangelnde Überzeugung, daß das Proletariat unseres Landes, das die Kommandohöhen der Volkswirtschaft innehat, fähig ist, die Hauptmassen der Bauernschaft in das Werk des sozialistischen Aufbaus einzubeziehen.
Von diesen Voraussetzungen geht die Opposition in ihren Entwürfen über die Wege unserer Entwicklung stillschweigend aus – einerlei, ob sie das bewußt oder unbewußt tut.
Kann man die Hauptmasse der Sowjetbauernschaft in das Werk des sozialistischen Aufbaus einbeziehen?
In der Schrift Über die Grundlagen des Leninismus sind diesbezüglich zwei grundlegende Leitsätze enthalten:
- „Man darf die Bauernschaft der Sowjetunion nicht mit der Bauernschaft des Westens verwechseln. Eine Bauernschaft, die durch die Schule dreier Revolutionen gegangen ist, die gegen den Zaren und die bürgerliche Macht zusammen mit dem Proletariat und mit dem Proletariat an der Spitze gekämpft hat, eine Bauernschaft, die Land und Frieden aus der Hand der proletarischen Revolution erhalten hat und infolgedessen zur Reserve des Proletariats geworden ist – eine solche Bauernschaft muß sich von derjenigen Bauernschaft unterscheiden, die während der bürgerlichen Revolution unter der Führung der liberalen Bourgeoisie gekämpft hat, die den Grund und Boden aus der Hand dieser Bourgeoisie erhalten hat und infolgedessen zur Reserve der Bourgeoisie geworden ist. Es erübrigt sich wohl nachzuweisen, daß die Sowjetbauernschaft, die die politische Freundschaft und die politische Zusammenarbeit mit dem Proletariat schätzen gelernt hat und die dieser Freundschaft und dieser Zusammenarbeit ihre Freiheit verdankt, für die ökonomische Zusammenarbeit mit dem Proletariat ganz besonders geeignet sein muß.“
- „Man darf die Landwirtschaft Rußlands nicht mit der Landwirtschaft des Westens verwechseln. Dort vollzieht sich die Entwicklung der Landwirtschaft in den gewöhnlichen Bahnen des Kapitalismus, unter den Verhältnissen einer tiefgehenden Differenzierung der Bauernschaft, mit großen Gütern und privatkapitalistischen Latifundien auf dem einen Pol und mit Pauperismus, Elend und Lohnsklaverei auf dem anderen. Dort sind infolgedessen Zerfall und Zersetzung ganz natürlich. Anders in Rußland. Bei uns kann die Entwicklung der Landwirtschaft schon deswegen nicht diesen Weg gehen, weil das Bestehen der Sowjetmacht und die Nationalisierung der wichtigsten Produktionsmittel und -instrumente eine solche Entwicklung nicht zulassen. In Rußland muß die Entwicklung der Landwirtschaft einen anderen Weg gehen, den Weg der genossenschaftlichen Organisierung der Millionen Klein- und Mittelbauern, den Weg der Entwicklung von Massengenossenschaften auf dem Lande, die vom Staat durch Gewährung von Vorzugskrediten unterstützt werden. Lenin hat in seinen Artikeln über das Genossenschaftswesen treffend darauf hingewiesen, daß die Entwicklung der Landwirtschaft bei uns einen neuen Weg gehen muß, den Weg der Einbeziehung der Mehrheit der Bauern in den sozialistischen Aufbau durch die Genossenschaft, den Weg der allmählichen Durchdringung der Landwirtschaft mit den Prinzipien des Kollektivismus, zuerst auf dem Gebiete des Absatzes und dann auf dem Gebiete der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse ... Es erübrigt sich wohl nachzuweisen, daß die gewaltige Mehrheit der Bauernschaft gern diesen neuen Entwicklungsweg beschreiten und den Weg der privatkapitalistischen Latifundien und der Lohnsklaverei, den Weg des Elends und des Ruins verschmähen wird.“
Sind diese Leitsätze richtig?
Ich glaube, diese beiden Leitsätze sind richtig und unbestreitbar für unsere gesamte Aufbauperiode unter den Bedingungen der NÖP.
Sie sind nur der Ausdruck der bekannten Thesen Lenins über den Zusammenschluß des Proletariats und der Bauernschaft, über die Einbeziehung der Bauernwirtschaften in das System der sozialistischen Entwicklung des Landes, darüber, daß das Proletariat zusammen mit den Hauptmassen der Bauernschaft zum Sozialismus fortschreiten muß, daß die genossenschaftliche Organisierung der Millionenmassen der Bauernschaft die breite Heerstraße des sozialistischen Aufbaus im Dorfe ist, daß beim Wachstum unserer sozialistischen Industrie „das einfache Wachstum der Genossenschaften für uns identisch ist mit dem Wachstum des Sozialismus“. (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.9, S.442/443.)
In der Tat, welchen Weg kann und soll die Entwicklung der Bauernwirtschaft in unserem Lande gehen?
Die Bauernwirtschaft ist keine kapitalistische Wirtschaft. Die Bauernwirtschaft ist, wenn wir die erdrückende Mehrzahl der Bauernwirtschaften in Betracht ziehen, eine kleine Warenwirtschaft. Was aber ist eine kleine bäuerliche Warenwirtschaft? Das ist eine Wirtschaft, die am Scheidewege zwischen Kapitalismus und Sozialismus steht. Sie kann sich sowohl in der Richtung zum Kapitalismus entwickeln, wie das jetzt in den kapitalistischen Ländern geschieht, als auch in der Richtung zum Sozialismus, wie das bei uns, in unserem Lande, unter der Diktatur des Proletariats der Fall sein muß.
Woher kommt diese Unbeständigkeit, diese Unselbständigkeit der Bauernwirtschaft? Wodurch ist sie zu erklären?
Sie ist zu erklären durch die Zersplitterung der Bauernwirtschaften, durch ihre Unorganisiertheit, ihre Abhängigkeit von der Stadt, von der Industrie, vom Kreditsystem, vom Charakter der Staatsmacht im Lande, schließlich durch den allgemein bekannten Umstand, daß das Dorf sowohl in materieller als auch in kultureller Hinsicht der Stadt folgt und folgen muß.
Der kapitalistische Entwicklungsweg der Bauernwirtschaft bedeutet eine Entwicklung mit tiefgehender Differenzierung der Bauernschaft, mit großen Latifundien auf dem einen Pol und Massenverelendung auf dem anderen Pol. Dieser Entwicklungsweg ist in den kapitalistischen Ländern unvermeidlich, weil das Dorf, die Bauernwirtschaft, von der Stadt, von der Industrie, vom konzentrierten Kredit der Stadt, vom Charakter der Staatsmacht abhängt, in der Stadt aber die Bourgeoisie, die kapitalistische Industrie, das kapitalistische Kreditsystem, die kapitalistische Staatsmacht herrscht.
Ist dieser Entwicklungsweg der Bauernwirtschaften auch in unserem Lande obligatorisch, wo die Stadt ein völlig anderes Aussehen hat, wo die Industrie sich in der Hand des Proletariats befindet, wo das Verkehrswesen, das Kreditsystem, die Staatsmacht usw. in der Hand des Proletariats konzentriert sind, wo die Nationalisierung des Bodens ein allgemeines Gesetz im Lande ist? Natürlich nicht. Im Gegenteil. Gerade weil die Stadt der Führer des Dorfes ist und bei uns in der Stadt das Proletariat herrscht, das alle Kommandohöhen der Volkswirtschaft innehat, gerade deswegen müssen die Bauernwirtschaften in ihrer Entwicklung einen anderen Weg gehen, den Weg des sozialistischen Aufbaus.
Was ist das für ein Weg?
Das ist der Weg der genossenschaftlichen Massenorganisierung der Millionen Bauernwirtschaften in Genossenschaften aller Art, der Weg der Vereinigung der zersplitterten Bauernwirtschaften um die sozialistische Industrie, der Weg der Verbreitung der Grundlagen des Kollektivismus unter der Bauernschaft – zuerst auf dem Gebiete des Ansatzes der Erzeugnisse der Landwirtschaft und der Versorgung der Bauernwirtschaften mit den Erzeugnissen der Stadt, späterhin aber auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Produktion.
Und je weiter, desto mehr wird dieser Weg unter den Verhältnissen der Diktatur des Proletariats unvermeidlich, denn die genossenschaftliche Organisierung des Absatzes, die genossenschaftliche Organisierung der Versorgung und schließlich die genossenschaftliche Organisierung des Kredits und der Produktion (landwirtschaftliche Genossenschaften) ist der einzige Weg zur Hebung des Wohlstands im Dorfe, das einzige Mittel zur Rettung der breiten Bauernmassen vor Elend und Ruin.
Man sagt, daß die Bauernschaft bei uns ihrer Lage nach nicht sozialistisch, und daher einer sozialistischen Entwicklung unfähig sei. Es ist natürlich richtig, daß die Bauernschaft iher Lage nach nicht sozialistisch ist. Doch ist das kein Argument gegen die Entwicklung der Bauernwirtschaften in der Richtung zum Sozialismus, sobald erwiesen ist, daß das Dorf der Stadt folgt, in der Stadt aber die sozialistische Industrie herrscht. Während der Oktoberrevolution war die Bauernschaft ihrer Lage nach auch nicht sozialistisch, und sie wollte keineswegs den Sozialismus im Lande errichten. Sie wollte damals hauptsächlich die Beseitigung der Macht der Gutsbesitzer und die Beendigung des Krieges, sie wollte den Frieden. Nichtsdestoweniger folgte sie damals dem sozialistischen Proletariat. Warum? Weil der Sturz der Bourgeoisie und die Machtergreifung durch das sozialistische Proletariat damals der einzige Ausweg aus dem imperialistischen Kriege, der einzige Weg zum Frieden war. Weil es damals keine anderen Wege gab und geben konnte. Weil es unserer Partei damals gelungen war, herauszufühlen und herauszufinden, bis zu welchem Grad die Vereinigung und die Unterordnung der spezifischen Interessen der Bauernschaft (Sturz der Gutsbesitzer, Frieden) unter die allgemeinen Interessen des Landes (Diktatur des Proletariats) für die Bauernschaft annehmbar und vorteilhaft war. Und die Bauernschaft ist damals, obwohl sie nicht sozialistisch war, dem sozialistischen Proletariat gefolgt.
Das gleiche muß man vom sozialistischen Aufbau in unserem Lande, von der Einbeziehung der Bauernschaft in den Strom dieses Aufbaus sagen. Die Bauernschaft ist iherer Lage nach nicht sozialistisch. Aber sie muß und wird unbedingt den Weg der sozialistischen Entwicklung beschreiten, denn für die Bauernschaft gibt es und kann es keine anderen Wege geben, um sich vor Elend und Ruin zu retten, als den Zusammenschluß mit dem Proletariat, als den Zusammenschluß mit der sozialistischen Industrie, als die Einbeziehung der Bauernwirtschaft in den allgemeinen Strom der sozialistischen Entwicklung durch die genossenschaftliche Massenorganisierung der Bauernschaft.
Warum gerade durch die genossenschaftliche Massenorganisierung der Bauernschaft?
Weil wir in der genossenschaftlichen Massenorganisierung „jenen Grad der Vereinigung der Privatinteressen, der privaten Handelsinteressen, ihrer Überwachung und Kontrolle durch den Staat, den Grad ihrer Unterordnung unter die allgemeinen Interessen“ (Lenin) gefunden haben, der für die Bauernschaft annehmbar und vorteilhaft ist und dem Proletariat die Möglichkeit sichert, die Hauptmasse der Bauernschaft in das Werk des sozialistischen Aufbaus einzubeziehen. Gerade weil es für die Bauernschaft vorteilhaft ist, den Absatz ihrer Waren und die Versorgung ihrer Wirtschaft mit Maschinen durch Genossenschaften zu organisieren, gerade darum muß und wird sie den Weg der genossenschaftlichen Massenorganisierung beschreiten.
Was bedeutet aber die genossenschaftliche Massenorganisierung der Bauernwirtschaften beim Vorherrschen einer sozialistischen Industrie?
Sie bedeutet die Abkehr der bäuerlichen kleinen Warenwirtschaften von dem alten, dem kapitalistischen Weg, der die Bauernschaft zum Massenruin zu führen droht, und den Übergang auf einen neuen Entwicklungsweg, auf den Weg des sozialistischen Aufbaus.
Darum ist der Kampf für einen neuen Entwicklungsweg der Bauernschaft, der Kampf für die Einbeziehung der Hauptmasse der Bauernschaft in das Werk des Aufbaus des Sozialismus die nächste Aufgabe unserer Partei.
Der XIV. Parteitag der KpdSU (B) hat deshalb richtig gehandelt, als er beschloß:
„Der Hauptweg des Aufbaus des Sozialismus auf dem Lande besteht darin, bei zunehmender ökonomischer Führung seitens der sozialistischen staatlichen Industrie, der staatlichen Kreditinstitutionen und anderer in der Hand des Proletariats befindlicher Kommandohöhen die Hauptmasse der Bauernschaft in die genossenschaftliche Organisation einzubeziehen und dieser Organisation eine sozialistische Entwicklung zu sichern, wobei deren kapitalistische Elemente ausgenutzt, überwunden und verdrängt werden müssen.“(Siehe Resolution des Parteitags zum Bericht des Zentralkomitees.)
Der größte Fehler der neuen Opposition besteht darin, daß sie an diesen neuen Entwicklungsweg der Bauernschaft nicht glaubt, die Unvermeidlichkeit dieses Weges unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats nicht sieht oder nicht begreift. Und zwar begreift sie dies deshalb nicht, weil sie nicht an den Sieg des sozialistischen Aufbaus in unserem Lande glaubt, nicht an die Fähigkeit unseres Proletariats glaubt, die Bauernschaft den Weg des Sozialismus zu führen.
Daher das Unverständnis für den zwiespältigen Charakter der NÖP, die Überschätzung der negativen Seiten der NÖP und die Auffassung, daß die NÖP vorwiegend ein Rückzug sei.
Daher die Überschätzung der Rolle, die die kapitalistischen Elemente unserer Wirtschaft spielen, und die Unterschätzung der Rolle, die den Hebeln unserer sozialistischen Entwicklung (sozialistische Industrie, Kreditsystem, Genossenschaften, Staatsmacht des Proletariats usw.) zukommt.
Daher das Unverständnis für die sozialistische Natur unserer staatlichen Industrie und die Zweifel an der Richtigkeit des Leninschen Genossenschaftsplans.
Daher die Überschätzung der Differenzierung im Dorfe, die Panik vor dem Kulaken, die Unterschätzung der Rolle des Mittelbauern, die Versuche, die Politik der Partei zur Sicherung des festen Bündnisses mit dem Mittelbauern zu vereiteln, und überhaupt das Hin- und Herpendeln in der Frage der Politik der Partei auf dem Lande.
Daher das Unverständnis für die so gewaltige Arbeit der Partei zur Einbeziehung der Millionenmassen der Arbeiter und Bauern in den Aufbau der Industrie und Landwirtschaft, in die Belebung der Genossenschaften und der Sowjets, in die Verwaltung des Landes, in den Kampf gegen den Bürokratismus, in den Kampf für die Verbesserung und Umgestaltung unseres Staatsapparates, ein Kampf, der eine neue Entwicklungsphase bezeichnet und ohne den kein sozialistischer Aufbau denkbar ist.
Daher die Hoffnungslosigkeit und Ratlosigkeit gegenüber den Schwierigkeiten unseres Aufbaus, die Zweifel an der Möglichkeit der Industrialisierung unseres Landes, das pessimistische Geschwätz über die Entartung der Partei usw.
Bei ihnen, bei den Bourgeois, sei alles mehr oder minder gut, bei uns aber, bei den Proletariern, mehr oder minder schlecht; wenn vom Westen nicht rechtzeitig die Revolution kommt, so sei unsere Sache verloren – das ist der allgemeine Ton der neuen Opposition, der meines Erachtens ein liquidatorischer Ton ist, aber von der Opposition aus irgendeinem Grunde (wohl spaßeshalber) für „Internationalismus“ ausgegeben wird.
Die NÖP sei Kapitalismus, sagt die Opposition. Die NÖP sei vorwiegend ein Rückzug, sagt Sinowjew. Das alles ist natürlich falsch. In Wirklichkeit ist die NÖP eine Politik der Partei, die den Kampf der sozialistischen und der kapitalistischen Elemente zuläßt und auf den Sieg der sozialistischen Elemente über die kapitalistischen Elemente abzielt. In Wirklichkeit hatte die NÖP bloß mit einem Rückzug begonnen, sie zielt aber darauf ab, im Verlaufe des Rückzugs eine Umgruppierung der Kräfte vorzunehmen und die Offensive zu ergreifen. In Wirklichkeit führen wir schon seit mehreren Jahren eine Offensive, führen sie mit Erfolg, indem wir unsere Industrie entwickeln, den Sowjethandel entfalten und das Privatkapital zurückdrängen.
Was ist aber der Sinn der These: die NÖP ist Kapitalismus, die NÖP ist vorwiegend ein Rückzug? Wovon geht diese These aus?
Sie geht von der falschen Annahme aus, daß bei uns gegenwärtig eine einfache Wiederherstellung des Kapitalismus, eine einfache „Rückkehr“ des Kapitalismus stattfinde. Nur durch diese Annahme kann man die Zweifel der Opposition über die sozialistische Natur unserer Industrie erklären. Nur durch diese Annahme kann man die Panik der Opposition vor dem Kulaken erklären. Nur durch diese Annahme kann man die Voreiligkeit erklären, mit der die Opposition die falschen Zahlen über die Differenzierung der Bauernschaft aufgriff. Nur durch diese Annahme kann man die besondere Vergeßlichkeit der Opposition gegenüber der Tatsache erklären, daß der Mittelbauer bei uns die zentrale Figur der Landwirtschaft ist. Nur durch diese Annahme kann man die Unterschätzung der Bedeutung des Mittelbauern und die Zweifel über Lenins Genossenschaftsplan erklären. Nur durch diese Annahme kann man den Unglauben der neuen Opposition an den Entwicklungsweg des Dorfes, an den Weg der Einbeziehung des Dorfes in den sozialistischen Aufbau „begründen“.
In Wirklichkeit vollzieht sich bei uns jetzt nicht der einseitige Prozeß der Wiederherstellung des Kapitalismus, sondern der doppelseitige Prozeß der Entwicklung des Kapitalismus und der Entwicklung des Sozialismus, der widerspruchsvolle Prozeß des Kampfes der sozialistischen Elemente gegen die kapitalistischen Elemente, der Prozeß der Überwindung der kapitalistischen Elemente durch die sozialistischen Elemente. Dies ist gleichermaßen unbestreitbar für die Stadt, wo die staatliche Industrie die Basis für den Sozialismus ist, wie für das Dorf, wo die mit der sozialistischen Industrie eng verbundene Massengenossenschaft den grundlegenden Anknüpfungspunkt der sozialistischen Entwicklung bildet.
Die einfache Wiederherstellung des Kapitalismus ist schon deswegen unmöglich, weil bei uns die Staatsmacht proletarisch ist, die Großindustrie sich in der Hand des Proletariats befindet und der proletarische Staat über das Verkehrs- und Kreditwesen verfügt.
Die Differenzierung kann nicht die früheren Dimensionen annehmen, der Mittelbauer bleibt die Hauptmasse der Bauernschaft, der Kulak aber kann schon allein deswegen nicht die frühere Stärke erlangen, weil der Grund und Boden bei uns nationalisiert ist, nicht gekauft und verkauft werden kann, und weil unsere Handels-, Kredit-, Steuer- und Genossenschaftspolitik darauf gerichtet ist, die Ausbeutertendenzen des Kulakentums einzuschränken, den Wohlstand der breitesten Massen der Bauernschaft zu heben und die Extreme im Dorf auszugleichen. Ich spreche schon gar nicht davon, daß der Kampf gegen das Kulakentum bei uns jetzt nicht nur auf der alten Linie vor sich geht, auf der Linie der Organisierung der Dorfarmut gegen das Kulakentum, sondern auch auf einer neuen Linie, auf der Linie der Festigung des Bündnisses des Proletariats und der Dorfarmut mit den Massen der Mittelbauernschaft gegen den Kulaken. Die Tatsache, daß die Opposition Sinn und Bedeutung des Kampfes gegen das Kulakentum auf dieser zweiten Linie nicht versteht, diese Tatsache bestätigt ein übriges Mal, daß die Opposition auf den alten Entwicklungsweg des Dorfes abweicht, auf den Weg seiner kapitalistischen Entwicklung, unter welcher der Kulak und die Dorfarmut die Hauptkräfte des Dorfes bildeten, der Mittelbauer aber „weggespült“ wurde.
Die Genossenschaften seien eine Abart des „Staatskapitalismus“, sagt die Opposition unter Berufung auf Lenins Schrift Die Naturalsteuer und glaubt deswegen nicht an die Möglichkeit, die Genossenschaften als grundlegenden Anknüpfungspunkt für die sozialistische Entwicklung ausnützen zu können. Die Opposition begeht auch hier einen überaus groben Fehler. Diese Auffassung von den Genossenschaften war genügend und befriedigend im Jahre 1921, als die Schrift Die Naturalsteuer verfaßt wurde, als wir keine entwickelte sozialistische Industrie hatten, als Lenin an den Staatskapitalismus als die mögliche Grundform unserer Wirtschaft dachte und die Genossenschaften in Gemeinschaft mit dem Staatskapitalismus betrachtete. Aber diese Auffassung genügt jetzt schon nicht mehr und ist von der Geschichte überholt, denn seither haben sich die Zeiten geändert, die sozialistische Industrie hat sich bei uns entwickelt, der Staatskapitalismus hat nicht in dem Maße, wie es wünschenswert war, Fuß gefaßt, die Genossenschaften aber, die jetzt über zehn Millionen Mitglieder umfassen, haben begonnen, sich mit der sozialistischen Industrie eng zu verbinden.
Wie ließe sich anders die Tatsache erklären, daß Lenin bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen der Schrift Die Naturalsteuer, im Jahre 1923, die Genossenschaften auf andere Art zu betrachten begann und meinte, daß „die Genossenschaften unter unseren Verhältnissen sich in der Regel völlig mit dem Sozialismus decken“? (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.9, S.442.)
Wie ließe sich das anders erklären als dadurch, daß die sozialistische Industrie während dieser zwei Jahre bereits emporzuwachsen vermochte, der Staatskapitalismus dagegen nicht in gebührendem Maße Fuß gefaßt hat, weswegen Lenin die Genossenschaften schon nicht mehr in Gemeinschaft mit dem Staatskapitalismus, sondern in Gemeinschaft mit der sozialistischen Industrie zu betrachten begann?
Die Entwicklungsbedingungen der Genossenschaften hatten sich verändert. Auch die Behandlung der Frage des Genossenschaftswesens mußte sich ändern.
Da haben wir z.B. eine ausgezeichnete Stelle aus Lenins Schrift Über das Genossenschaftswesen (1923), die Licht in diese Frage bringt:
„Unter dem Staatskapitalismus unterscheiden sich genossenschaftliche Betriebe von staatskapitalistischen dadurch, daß sie erstens private, zweitens kollektive Betriebe sind. In der bei uns bestehenden Gesellschaftsordnung unterscheiden sich genossenschaftliche Betriebe von privatkapitalistischen als kollektive Betriebe, aber sie unterscheiden sich nicht von sozialistischen Betrieben, wenn sie auf dem Grund und Boden gegründet und mit Produktionsmitteln ausgerüstet sind, die dem Staat, d.h. der Arbeiterklasse gehören.“ [1] (Ebenda, S.441/442.)
In diesem kleinen Zitat sind zwei große Fragen gelöst. Erstens, daß „die bei uns bestehende Gesellschaftsordnung“ kein Staatskapitalismus ist. Zweitens, daß genossenschaftliche Betriebe, in Gemeinschaft mit „unserer Gesellschaftsordnung“ genommen, sich von sozialistischen Betrieben „nicht unterscheiden“.
Ich glaube, man könnte sich nicht deutlicher ausdrücken.
Und nun noch eine Stelle aus derselben Schrift Lenins:
„Das einfache Wachstum der Genossenschaften ist für uns (mit der obenerwähnten ‚kleinen‘ Ausnahme) identisch mit dem Wachstum des Sozialismus, und zugleich damit müssen wir eine grundlegende Änderung unserer ganzen Auffassung vom Sozialismus zugeben.“ (Ebenda, S.442/443.)
Es ist offenkundig, daß wir es in der Schrift Über das Genossenschaftswesen mit einer neuen Einschätzung der Genossenschaften zu tun haben, was die neue Opposition nicht zugeben will und was sie sorgfältig verschweigt, den Tatsachen zum Trotz, der offenkundigen Wahrheit zum Trotz, dem Leninismus zum Trotz.
Die Genossenschaften in Gemeinschaft mit dem Staatskapitalismus und die Genossenschaften in Gemeinschaft mit der sozialistischen Industrie sind zwei verschiedene Dinge.
Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, daß zwischen den Schriften Die Naturalsteuer und Über das Genossenschaftswesen ein Abgrund liege. Das wäre natürlich falsch. Es genügt z.B. folgende Stelle aus der Schrift Die Naturalsteuer anzuführen, um sogleich die untrennbare Verbindung zwischen den Schriften Die Naturalsteuer und Über das Genossenschaftswesen in der Einschätzung der Genossenschaften festzustellen. Diese Stelle lautet:
„Der Übergang von den Konzessionen zum Sozialismus bedeutet den Übergang von einer Form der Großproduktion zu einer anderen Form der Großproduktion. Der Übergang von den Genossenschaften der Kleinbesitzer zum Sozialismus ist der Übergang von der Kleinproduktion zur Großproduktion, d.h. ein komplizierter Übergang, der aber dafür im Falle des Gelingens geeignet ist, breitere Massen der Bevölkerung zu erfassen, geeignet ist, die tieferen und zäheren Wurzeln der alten, vorsozialistischen, ja selbst vorkapitalistischen Verhältnisse auszureißen, die im Sinne des Widerstandes gegen jede ‚Neuerung‘ am zählebigsten sind.“ [2] (Lenin, Sämt. Werke, Bd.XXVI, S.421.)
Aus diesem Zitat ist ersichtlich, daß Lenin bereits zur Zeit der Naturalsteuer, als es bei uns noch keine entwickelte sozialistische Industrie gab, es für möglich hielt, die Genossenschaften im Falle des Gelingens in ein mächtiges Kampfmittel gegen die „vorsozialistischen“ und folglich auch gegen die kapitalistischen Verhältnisse zu verwandeln. Ich glaube, daß es gerade dieser Gedanke war, der ihm in der Folge als Ausgangspunkt für seine Schrift Über das Genossenschaftswesen diente.
Was aber folgt aus alledem?
Daraus folgt, daß die neue Opposition an die Genossenschaftsfrage nicht marxistisch, sondern metaphysisch herangeht. Sie betrachtet die Genossenschaften nicht als historische Erscheinung, die in Gemeinschaft mit anderen Erscheinungen genommen wird, sagen wir, in Gemeinschaft mit dem Staatskapitalismus (im Jahre 1921) oder mit der sozialistischen Industrie (im Jahre 1923), sondern als etwas Feststehendes und ein für allemal Gegebenes, als „Ding an sich“.
Daher die Fehler der Opposition in der Genossenschaftsfrage, daher ihr Unglaube an die Entwicklung des Dorfes zum Sozialismus mit Hilfe der Genossenschaft, daher das Abschwenken der Opposition auf den alten Weg, auf den Weg der kapitalistischen Entwicklung des Dorfes.
Das ist im allgemeinen die Stellung der neuen Opposition in den praktischen Fragen des sozialistischen Aufbaus.
Die Schlußfolgerung hieraus ist die eine: die Linie der Opposition, soweit sie eine Linie hat, die Schwankungen der Opposition, ihr Unglaube und ihre Ratlosigkeit gegenüber den Schwierigkeiten führen zur Kapitulation vor den kapitalistischen Elementen unserer Wirtschaft. Denn, wenn die NÖP vorwiegend ein Rückzug ist, wenn die sozialistische Natur der staatlichen Industrie angezweifelt wird, wenn der Kulak nahezu allmächtig ist, wenn auf die Genossenschaften wenig zu hoffen ist, die Rolle des Mittelbauern fortschreitend geringer wird, der neue Entwicklungsweg des Dorfes zweifelhaft ist, die Partei fast entartet, die Revolution vom Westen aber noch nicht so nahe ist, was bleibt nach alledem im Arsenal der Opposition übrig, worauf rechnet sie im Kampfe gegen die kapitalistischen Elemente unserer Wirtschaft? Man kann doch nicht allein mit der „Philosophie der Epoche“ in den Kampf ziehen.
Es ist klar, daß das Arsenal der neuen Opposition kein beneidenswertes ist, wenn man es überhaupt ein Arsenal nennen kann. Das ist kein Arsenal für den Kampf. Noch weniger für den Sieg.
Es ist klar, daß sich die Partei mit einem solchen Arsenal „Hals über Kopf“ ins Verderben stürzen würde, wenn sie sich in einen Kampf einließe, – sie würde einfach vor den kapitalistischen Elementen unserer Wirtschaft kapitulieren müssen.
Darum hat der XIV. Parteitag völlig richtig gehandelt, als er in seinem Beschluß erklärte, daß „der Kampf für den Sieg des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion die grundlegende Aufgabe unserer Partei ist“; daß eine der unerläßlichen Bedingungen zur Lösung dieser Aufgabe „der Kampf gegen den Unglauben an den Aufbau des Sozialismus in unserem Lande ist sowie gegen die Versuche, unsere Betriebe, die Betriebe von ‚konsequent-sozialistischen Typus‘ (Lenin) sind, als ‚staatskapitalistische‘ Betriebe hinzustellen“; daß „ideologische Strömungen, die ein bewußtes Verhalten der Massen zum Aufbau des Sozialismus im allgemeinen und der sozialistischen Industrie im besonderen unmöglich machen, nur geeignet sind, das Wachstum der sozialistischen Elemente der Wirtschaft zu hemmen und ihre Bekämpfung durch das Privatkapital zu erleichtern“; daß „der Parteitag deshalb eine umfassende Erziehungsarbeit zur Überwindung dieser Entstellungen des Leninismus für notwendig hält“. (Siehe Resolution zum Bericht des ZK der KPdSU (B).)
Die historische Bedeutung des XIV. Parteitags der KPdSU (B) besteht darin, daß er es verstand, die Fehler der neuen Opposition bis auf die Wurzeln aufzudecken, daß er ihren Unglauben und ihr Flennen völlig unbeachtet ließ, klar und deutlich den Weg des weiteren Kampfes für den Sozialismus vorzeichnete, der Partei die Perspektive des Sieges gab und damit das Proletariat mit dem unerschütterlichen Glauben an den Sieg des sozialistischen Aufbaus ausgerüstet hat.
25. Januar 1926
1. Von mir hervorgehoben, J.St.
2. Von mir hervorgehoben, J.St.
Zuletzt aktualisiert am 16.10.2003