J.W. Stalin

 

Zu den Fragen des Leninismus

 

Kapitel 4

Die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats

Worin bestehen die charakteristischen Züge der proletarischen Revolution zum Unterschied von der bürgerlichen Revolution?

Den Unterschied zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Revolution könnte man in fünf Hauptpunkten zusammenfassen:

  1. Die bürgerliche Revolution beginnt gewöhnlich, wenn mehr oder weniger fertige Formen der kapitalistischen Ordnung vorhanden sind, die schon vor der offenen Revolution im Schoße der feudalen Gesellschaft herangewachsen und ausgereift sind, während bei Beginn der proletarischen Revolution fertige Formen des sozialistischen Systems fehlen oder fast fehlen.
  2. Die Hauptaufgabe der bürgerlichen Revolution besteht darin, die Macht zu ergreifen und sie mit der vorhandenen bürgerlichen Ökonomik in Einklang zu bringen, während die Hauptaufgabe der proletarischen Revolution darin besteht, nach der Machtergreifung eine neue, die sozialistische Ökonomik aufzubauen.
  3. Die bürgerliche Revolution wird gewöhnlich mit der Machtergreifung abgeschlossen, während die Machtergreifung in der proletarischen Revolution bloß deren Anfang bildet, wobei die Macht als Hebel für den Umbau der alten Ökonomik und die Organisierung der neuen benutzt wird.
  4. Die bügerliche Revolution beschränkt sich darauf, die Herrschaft einer Ausbeutergruppe durch die einer anderen Ausbeutergruppe zu ersetzen, und bedarf deshalb nicht der Zertrümmerung der alten Staatsmaschine, während die proletarische Revolution alle und jede Ausbeutergruppen von der Macht verdrängt und den Führer aller Werktätigen und Ausgebeuteten, die Klasse der Proletarier, an die Macht bringt, weshalb sie nicht ohne die Zertrümmerung der alten Staatsmaschine und deren Ersetzung durch eine neue auskommen kann.
  5. Die bürgerliche Revolution kann die Millionenmassen der Werktätigen und Ausgebeuteten nicht für eine einigermaßen lange Periode mit der Bourgeoisie zusammenschließen, und zwar deshalb nicht, weil sie Werktätige und Ausgebeutete sind, während die proletarische Revolution sie gerade als Werktätige und Ausgebeutete mit dem Proletariat zu einem dauernden Bund vereinigen kann und muß, wenn sie ihre Hauptaufgabe, die Festigung der Macht des Proletariats und die Errichtung der neuen, der sozialistischen Ökonomik, erfüllen will.

Nachstehend einige grundlegende Thesen Lenins darüber:

„Einer der Hauptunterschiede“, sagt Lenin, „zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Revolution besteht darin, daß für die bürgerliche Revolution, die aus dem Feudalismus hervorwächst, im Schoße der alten Ordnung die neuen Wirtschaftsorganisationen allmählich entstehen, die nach und nach alle Seiten der feudalen Gesellschaft ändern. Die bürgerliche Revolution stand nur vor EINER Aufgabe: alle Fesseln der früheren Gesellschaft hinwegzufegen, beiseitezuwerfen, zu zerstören. Jede bürgerliche Revolution, die diese Aufgabe erfüllt, erfüllt alles, was von ihr verlangt wird: sie stärkt das Wachstum des Kapitalismus. In einer ganz anderen Lage befindet sich die sozialistische Revolution. Je rückständiger das Land ist, das, infolge der Zickzackbewegung der Geschichte, die Revolution beginnen mußte, desto schwieriger ist für dieses Land der Übergang von den alten kapitalistischen Verhältnissen zu sozialistischen. Hier kommen zu den Aufgaben der Zerstörung neue, unerhört schwierige organisatorische Aufgaben hinzu.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.7, S.288.)

„Wenn die Schöpferkraft des Volkes“, fährt Lenin fort, „in der russischen Revolution, eine Kraft, die die große Erfahrung des Jahres 1905 durchgemacht hat, nicht schon im Februar 1917 Sowjets geschaffen hätte, so hätten sie auf keinen Fall vermocht, im Oktober die Macht zu ergreifen, denn der Erfolg hing lediglich davon ab, ob bereits fertige Organisationsformen der Bewegung vorhanden waren, die Millionen umfaßte. Diese fertige Form waren die Sowjets, und deshalb erwarteten uns auf politischem Gebiet jene glänzenden Erfolge, jener ununterbrochene Triumphzug, den wir erlebten, denn die neue Form der politischen Macht war da, und wir brauchten nur mit einigen Dekreten die Sowjetmacht aus dem Embryonalzustand, in dem sie sich in den ersten Monaten der Revolution befand, zur gesetzlich anerkannten Form zu machen, die im Russischen Staat – in der Russischen Sowjetrepublik feste Gestalt erhalten hat.“ (Ebenda, S.288/289.)

„Es blieben“, sagt Lenin, „noch zwei ungeheuer schwierige Aufgaben, deren Lösung auf keinen Fall ein Triumphzug sein konnte, wie ihn unsere Revolution in den ersten Monaten erlebte.“ (Ebenda, S.289.)

„Erstens waren das die Aufgaben der inneren Organisation, vor denen jede sozialistische Revolution steht. Der Unterschied zwischen der sozialistischen und der bürgerlichen Revolution besteht gerade darin, daß die bürgerliche Revolution die fertigen Formen der kapitalistischen Verhältnisse vorfindet, während die Sowjetmacht, die proletarische Macht, diese fertigen Verhältnisse nicht vorfindet, abgesehen von den entwickeltsten Formen des Kapitalismus, die im Grunde genommen nur unbedeutende Spitzen der Industrien erfaßt und die Landwirtschaft erst ganz wenig berührt haben. Die Organisierung der Rechnungsführung, die Kontrolle über die Großbetriebe, die Umwandlung des ganzen staatlichen Wirtschaftsmechanismus in eine einzige große Maschine, in einen Wirtschaftsorganismus, der so arbeitet, daß sich hunderte Millionen Menschen von einem einzigen Plan leiten lassen – das ist die gigantische organisatorische Aufgabe, die uns zugefallen ist. Unter den jetzigen Arbeitsbedingungen ist eine Bewältigung dieser Aufgabe im Sturmlaufen, in der Art, wie wir die Aufgaben des Bürgerkrieges zu lösen vermochten, in keiner Weise möglich.“ (Ebenda, S.289/290.)

„Die zweite ungeheure Schwierigkeit ... ist die internationale Frage. Wenn wir mit den Banden Kerenskis so leicht fertig wurden, wenn wir so leicht eine Staatsmacht bei uns schufen, wenn wir ohne die geringste Mühe das Dekret über die Sozialisierung des Bodens, über die Arbeiterkontrolle bekamen, wenn wir das alles so leicht erzielten, so war das nur möglich, weil eine günstige Gestaltung der Verhältnisse uns für einen kurzen Augenblick vor dem internationalen Imperialismus schützte. Der internationale Imperialismus mit der ganzen Macht seines Kapitals, mit seiner hochorganisierten militärischen Technik, die eine wirkliche Macht, eine wirkliche Festung des internationalen Kapitals darstellt, konnte sich auf keinen Fall, unter keinen Umständen mit der Sowjetrepublik vertragen, sowohl infolge seiner objektiven Lage als auch infolge der ökonomischen Interessen der Kapitalistenklasse, die in ihm verkörpert war, er konnte es nicht wegen der Handelsverbindungen, der internationalen Finanzbeziehungen. Hier ist ein Konflikt unvermeidlich. Hier haben wir die größte Schwierigkeit der russischen Revolution, ihr größtes historisches Problem: die Notwendigkeit, die internationalen Aufgaben zu lösen, die Notwendigkeit, die internationale Revolution auszulösen.“ (Ebenda, S.291.)

Das ist der innere Charakter und der grundlegende Sinn der proletarischen Revolution.

Kann man eine so radikale Umgestaltung der alten, der bürgerlichen Verhältnisse ohne eine gewaltsame Revolution, ohne die Diktatur des Proletariats bewerkstelligen?

Es ist klar, daß man das nicht glauben kann. Zu glauben, daß man eine solche Revolution friedlich, im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, die der Herrschaft der Bourgeoisie angepaßt ist, durchführen kann, bedeutet, entweder den Verstand verloren und die normalen menschlichen Begriffe eingebüßt zu haben oder sich in grober Weise und offen von der proletarischen Revolution loszusagen.

Diese Feststellung muß mit um so größerem Nachdruck und um so größerer Entschiedenheit betont werden, als wir es mit einer proletarischen Revolution zu tun haben, die vorläufig in einem Lande gesiegt hat, das von feindlichen kapitalistischen Ländern umgeben ist und dessen Bourgeoisie vom internationalen Kapital unvermeidlich unterstützt werden wird.

Deshalb sagt Lenin, daß „die Befreiung der unterdrückten Klasse nicht nur ohne gewaltsame Revolution unmöglich ist, sondern auch ohne Vernichtung des von der herrschenden Klasse geschaffenen Apparats der Staatsgewalt“. (Lenin, Staat und Revolution, S.4.)

„‚Möge sich zuerst, bei Aufrechterhaltung des Privateigentums, d.h. bei Aufrechterhaltung der Macht und des Jochs des Kapitals, die Mehrheit der Bevölkerung für die Partei des Proletariats aussprechen – dann erst kann und darf sie die Macht übernehmen‘, sagen die kleinbürgerlichen Demokraten, die faktischen Lakaien der Bourgeoisie, die sich ‚Sozialisten‘ nennen.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.6, S.493.)

„‚Möge zuerst das revolutionäre Proletariat die Bourgeoisie stürzen, das Joch des Kapitals abschütteln, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen – dann wird das siegreiche Proletariat rasch die Sympathien und die Unterstützung der Mehrheit der werktätigen nichtproletarischen Massen für sich gewinnen können, indem es sie auf Kosten der Ausbeuter zufriedenstellt‘ – sagen wir.“ [1] (Ebenda)

„Um die Mehrheit der Bevölkerung für sich zu gewinnen“, führt Lenin weiter aus, „muß das Proletariat erstens die Bourgeoisie stürzen, und die Staatsmacht erobern; es muß zweitens die Sowjetmacht einführen, indem es den alten Staatsapparat in Trümmer schlägt, wodurch es sofort die Herrschaft, die Autorität, den Einfluß der Bourgeoisie und der kleinbürgerlichen Paktierer unter den nichtproletarischen werktätigen Massen untergräbt. Es muß drittens den Einfluß der Bourgeoisie und der kleinbürgerlichen Paktierer unter der Mehrheit der nichtproletarischen werktätigen Massen durch revolutionäre Befriedigung ihrer ökonomischen Bedürfnisse auf Kosten der Ausbeuter endgültig vernichten.“ (Ebenda, S.486.)

Das sind die charakteristischen Merkmale der proletarischen Revolution.

Welches sind im Zusammenhang damit die Grundzüge der Diktatur des Proletariats, wenn anerkannt wird, daß die Diktatur des Proletariats den Hauptinhalt der proletarischen Revolution bildet?

Nachstehend die allgemeinste Definition der Diktatur des Proletariats, wie sie von Lenin gegeben wurde:

„Die Diktatur des Proletariats ist nicht die Beendigung des Klassenkampfes, sondern seine Fortführung in neuen Formen. Die Diktatur des Proletariats ist der Klassenkampf des Proletariats, das gesiegt und die politische Macht erobert hat, gegen die Bourgeoisie, die zwar besiegt, aber nicht vernichtet, nicht verschwunden ist, nicht aufgehört hat, Widerstand zu leisten, gegen die Bourgeoisie, die ihren Widerstand verstärkt hat.“ (Lenin, Vorwort zu: Wie das Volk mit den Losungen der Freiheit und Gleichheit betrogen wird, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.311 russ.)

Lenin wendet sich gegen die Verwechslung der Diktatur des Proletariats mit der „vom gesamten Volk ausgehenden“, „aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden“, „klassenlosen“ Macht und sagt:

„Die Klasse, die die politische Herrschaft erobert hat, tut das in dem Bewußtsein, daß sie sie allein übernimmt. Das ist im Begriff der Diktatur des Proletariats enthalten. Dieser Begriff hat nur dann einen Sinn, wenn die Klasse weiß, daß sie allein die politische Macht in die Hand nimmt und weder sich selbst noch die anderen durch ein Gerede über die ‚vom gesamten Volk ausgehende, aus allgemeinen Wahlen hervorgehende, vom ganzen Volk geheiligte‘ Macht betrügt.“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.354.)

Das bedeutet jedoch nicht, daß die Macht einer Klasse, der Klasse der Proletarier, die die Macht mit anderen Klassen nicht teilt und nicht teilen kann, zur Verwirklichung ihrer Ziele nicht der Hilfe, des Bündnisses mit den werktätigen und ausgebeuteten Massen anderer Klassen bedarf. Im Gegenteil. Diese Macht, die Macht einer Klasse, kann nur durch eine besondere Form des Bündnisses zwischen der Klasse der Proletarier und den werktätigen Massen der kleinbürgerlichen Klassen, vor allem den werktätigen Massen der Bauernschaft, errichtet und bis zu Ende verwirklicht werden.

Was ist das für eine besondere Form des Bündnisses, worin besteht sie? Widerspricht dieses Bündnis mit den werktätigen Massen anderer, nichtproletarischer Klassen nicht überhaupt der Idee der Diktatur einer Klasse?

Diese besondere Form des Bündnisses besteht darin, daß die führende Kraft dieses Bündnisses das Proletariat ist. Diese besondere Form des Bündnisses besteht darin, daß der Führer des Staates, der Führer im System der Diktatur des Proletariats eine Partei ist, die Partei des Proletariats, die Partei der Kommunisten, die die Führung mit anderen Parteien nicht teilt und nicht teilen kann.

Wie man sieht, ist der Widerspruch hier nur ein vermeintlicher, ein scheinbarer.

„Die Diktatur des Proletariats“, sagt Lenin, „ist eine besondere Form des Klassenbündnisses zwischen dem Proletariat, der Avantgarde der Werktätigen, und den zahlreichen nichtproletarischen Schichten der Werktätigen (Kleinbürgertum, Kleineigentümer, Bauernschaft, Intelligenz usw.), oder deren Mehrheit, eines Bündnisses gegen das Kapital, eines Bündnisses zum Zwecke des völligen Sturzes des Kapitals, der völligen Unterdrückung des Widerstandes der Bourgeoisie und ihrer Restaurationsversuche, eines Bündnisses zum Zwecke der endgültigen Errichtung und Festigung des Sozialismus. Das ist ein Bündnis besonderer Art, das sich in einer besonderen Situation herausbildet, nämlich in der Situation eines wütenden Bürgerkrieges; das ist ein Bündnis der festen Anhänger des Sozialismus mit dessen schwankenden Verbündeten, manchmal mit ‚Neutralen‘ (dann wird das Bündnis aus einem Kampfabkommen ein Neutralitätsabkommen), ein Bündnis zwischen ökonomisch, politisch, sozial, geistig ungleichartigen Klassen.[2](Lenin, Vorwort zu: Wie das Volk mit den Losungen der Freiheit und Gleichheit betrogen wird, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.311 russ.)

In einem seiner Instruktionsreferate sagt Kamenev, gegen diese Auffassung von der Diktatur des Proletariats polemisierend:

„Die Diktatur ist kein Bündnis einer Klasse mit einer anderen.“ [3]

Ich glaube, daß Kamenev hier vor allem eine Stelle aus meiner Schrift Die Oktoberrevolution und die Taktik der russischen Kommunisten im Auge hat, wo es heißt:

„Die Diktatur des Proletariats ist keine einfache Regierungsspitze, die von der sorgsamen Hand eines ‚erfahrenen Strategen‘ ‚geschickt‘ ‚ausgewählt‘ wurde und sich auf diese oder jene Schichten der Bevölkerung ‚vernünftig stützt‘. Die Diktatur des Proletariats ist ein Klassenbündnis des Proletariats und der werktätigen Massen der Bauernschaft zum Sturze des Kapitals, zum endgültigen Sieg des Sozialismus, unter der Bedingung, daß die führende Kraft in diesem Bündnis das Proletariat ist.“

Ich stehe vollständig zu dieser Formulierung der Diktatur des Proletariats, denn ich glaube, daß sie mit der eben angeführten Formulierung Lenins völlig übereinstimmt.

Ich behaupte, daß die Erklärung Kamenevs, daß „die Diktatur des Proletariats kein Bündnis einer Klasse mit einer anderen „ sei, in dieser vorbehaltlosen Form gegeben, mit der Leninschen Theorie der Diktatur des Proletariats nichts gemein hat.

Ich behaupte, daß so nur Leute sprechen können, die den Sinn der Idee des Zusammenschlusses, der Idee d es Bündnisses des Proletariats mit der Bauernschaft, der Idee der Hegemonie des Proletariats in diesem Bündnis nicht begriffen haben.

So können nur Leute sprechen, die die folgende Leninsche These nicht verstanden haben:

Nur eine Verständigung mit der Bauernschaft kann die sozialistische Revolution in Rußland retten, solange die Revolution in den anderen Ländern nicht eingetreten ist.“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.294.)

So können nur Leute sprechen, die den folgenden Leitsatz Lenins nicht begriffen haben:

Das höchste Prinzip der Diktatur ist die Wahrung des Bündnisses des Proletariats mit der Bauernschaft, damit das Proletariat die leitende Rolle und die Staatsmacht behaupten könne.“ [3] (Ebenda, S.568.)

Lenin hebt eines der wichtigsten Ziele der Diktatur, die Unterdrückung der Ausbeuter, hervor und sagt:

„Der wissenschaftliche Begriff der Diktatur bedeutet nichts anderes als die durch nichts eingeschränkte, durch keinerlei Gesetze, absolut durch keinerlei Regel gehemmte, sich unmittelbar auf die Gewalt stützende Macht“ ... „Die Diktatur bedeutet – nehmt das ein für allemal zur Kenntnis, ihr Herren Kadetten – die uneingeschränkte, sich auf die Gewalt und nicht auf das Gesetz stützende Macht. Während des Bürgerkrieges kann jede Macht, die den Sieg errungen hat, nur eine Diktatur sein.“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXV, S.549 u. 522.)

Aber die Diktatur des Proletariats erschöpft sich natürlich nicht in der Gewalt, obwohl es keine Diktatur ohne Gewalt gibt.

„Die Diktatur“, sagt Lenin, „bedeutet nicht nur Gewalt, obwohl sie ohne Gewalt unmöglich ist, sie bedeutet auch eine Organisation der Arbeit, und zwar eine höhere, als es die vorhergehende war.“ (Rede Lenins, „Wie das Volk mit den Losungen der Freiheit und Gleichheit betrogen wird“, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.305 russ.)

„Die Diktatur des Proletariats ... ist nicht bloß Gewalt gegenüber den Ausbeutern, und sogar nicht einmal hauptsächlich Gewalt. Die ökonomische Grundlage dieser revolutionären Gewalt, die Bürgschaft ihrer Lebensfähigkeit und ihres Erfolges besteht darin, daß das Proletariat einen höheren Typus der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit im Vergleich zum Kapitalismus repräsentiert und verwirklicht. Das ist das Wesentliche. Darin liegt die Quelle der Kraft und die Bürgschaft für den unausbleiblichen vollen Sieg des Kommunismus.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.9, S.467.) „Ihr (der Diktatur J.St.) Hauptwesen besteht in der Organisation und Disziplin der fortgeschrittensten Abteilung der Werktätigen, ihrer Avantgarde, ihres einzigen Führers, des Proletariats. Sein Ziel ist, den Sozialismus zu schaffen, die Teilung der Gesellschaft in Klassen aufzuheben, alle Mitglieder der Gesellschaft zu Werktätigen zu machen, jeglicher Ausbeutung des Menschen durch den Menschen den Boden zu entziehen. Dieses Ziel kann nicht auf einmal verwirklicht werden, es erfordert eine ziemlich lange Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus, einmal deshalb, weil die Neuorganisation der Produktion eine schwierige Sache ist, dann auch deshalb, weil man für radikale Änderungen auf allen Gebieten des Lebens Zeit braucht, und schließlich deshalb, weil die gewaltige Macht der Gewöhnung an kleinbürgerliches und bürgerliches Wirtschaften nur in langem, beharrlichem Kampfe überwunden werden kann. Deshalb spricht auch Marx von einer ganzen Periode der Diktatur des Proletariats als der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus.“ (Lenin, „Gruß an die ungarischen Arbeiter“, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.314 russ.)

Das sind die charakteristischen Züge der Diktatur des Proletariats.

Daraus ergeben sich drei grundlegende Seiten der Diktatur des Proletariats:

  1. Die Macht des Proletariats wird ausgenutzt zur Unterdrückung der Ausbeuter, zur Verteidigung des Landes, zur Festigung der Verbindungen mit den Proletariern der anderen Länder, zur Entfaltung und zum Sieg der Revolution in allen Ländern.
  2. Die Macht des Proletariats wird ausgenutzt zur endgültigen Loslösung der werktätigen und ausgebeuteten Massen von der Bourgeoisie, zur Festigung des Bündnisses des Proletariats mit diesen Massen, zur Einbeziehung dieser Massen in den sozialistischen Aufbau, zur staatlichen Leitung dieser Massen durch das Proletariat.
  3. Die Macht des Proletariats wird ausgenutzt zur Organisierung des Sozialismus, zur Aufhebung der Klassen, zum Übergang in eine Gesellschaft ohne Klassen, in eine Gesellschaft ohne Staat.

Die proletarische Diktatur ist die Vereinigung aller dieser drei Seiten. Keine dieser Seiten kann als das einzige charakteristische Merkmal der Diktatur des Proletariats hingestellt werden, und umgekehrt, das Fehlen auch nur eines dieser drei Merkmale genügt, damit die Diktatur des Proletariats angesichts der kapitalistischen Umwelt aufhört, eine Diktatur zu sein. Deshalb darf keine dieser drei Seiten ausgeschaltet werden, wenn man nicht Gefahr laufen will, den Begriff der Diktatur des Proletariats zu entstellen. Nur alle diese drei Seiten zusammengenommen geben uns einen vollständigen und abgeschlossenen Begriff von der Diktatur des Proletariats.

Die Diktatur des Proletariats hat ihre Perioden, ihre besonderen Formen, ihre verschiedenartigen Arbeitsmethoden. In der Periode des Bürgerkrieges ist das Merkmal der Gewalt in der Diktatur besonders augenfällig. Aber daraus folgt keineswegs, daß in der Periode des Bürgerkrieges keine Aufbauarbeit geleistet wird. Ohne Aufbauarbeit ist es unmöglich, den Bürgerkrieg zu führen. In der Periode des Aufbaus des Sozialismus ist umgekehrt die friedliche, organisatorische, kulturelle Arbeit der Diktatur, die revolutionäre Gesetzlichkeit usw. besonders augenfällig. Aber daraus folgt wiederum keineswegs, daß das Merkmal der Gewalt in der Diktatur während der Periode des Aufbaus wegfällt oder wegfallen kann. Die Organe der Unterdrückung, die Armee und andere Organisationen sind jetzt, in der Zeit des Aufbaus, nicht minder notwendig als in der Zeit des Bürgerkrieges. Ohne das Vorhandensein dieser Organe ist keine einigermaßen gesicherte Aufbauarbeit der Diktatur möglich. Man darf nicht vergessen, daß die Revolution vorläufig nur in EINEM Lande gesiegt hat. Man darf nicht vergessen, daß, solange es eine kapitalistische Umwelt gibt, auch die Gefahr der Intervention mit allen sich aus dieser Gefahr ergebenden Folgen bestehen wird.

 

Fußnoten

1. Von mir hervorgehoben. J.St.

2. Von mir hervorgehoben. J.St.

3. Von mir hervorgehoben. J.St.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.10.2003