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Während es bei der Manufaktur eine ganze Stufenleiter von Arbeitern mit verschiedener Geschicklichkeit gibt, verschwinden in der Fabrik solche große Ungleichheiten; es gibt da im allgemeinen nur noch Durchschnittsarbeiter, die sich lediglich durch Alter und Geschlecht voneinander unterscheiden und daher auch nach dem Grade der Körperkraft, also nicht nach dem Grade des Geschicks verschieden belohnt werden.
Die Fabrik wendet im wesentlichen nur zweierlei Sorten Arbeiter an: solche, die wirklich an den Maschinen beschäftigt sind (auch Dampfmaschinenwärter etc. gehören hierher), und Handlanger, welche den Maschinen die Rohstoffe reichen (meist Kinder). Neben diesen beiden Hauptklassen erscheint noch das Personal, das mit der Kontrolle und Reparatur der Maschinen beschäftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker etc.
Mußte bei der Manufaktur ein Arbeiter sein Leben lang eines Werkzeuges sich bedienen, so verdammt ihn nun die Fabrik, lebenslänglich einer Maschine zu dienen. Die Maschinerie wird mißbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen an in den Teil einer Teilmaschine zu verwandeln. Die Herstellungskosten der Arbeitskraft werden vermindert, also auch ihr Preis, und die Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapitalisten erreicht den höchsten Gipfel. Durch seine Verwandlung in einen Automaten tritt das Arbeitsmittel während des Arbeitsprozesses selbst dem Arbeiter als Kapital gegenüber, als tote Arbeit, welche die lebendige Arbeitskraft beherrscht und aussaugt.
Handarbeit und geistige Arbeit sind in der Fabrik vollkommen getrennt; es gibt Handarbeiter und Arbeitsaufseher. Es waltet eine kasernenmäßige Disziplin, ein despotisches Regiment. Der Kapitalist herrscht wie ein absoluter Monarch, die verschiedenen Offiziere (Direktoren, Werkführer etc.) befehlen, und die Gemeinen, die Arbeiter, haben schweigend zu gehorchen. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers tritt das Strafbuch des Aufsehers. Alle Strafen lösen sich natürlich auf in Geldstrafen und Lohnabzüge, und der gesetzgeberische Scharfsinn der Fabrik-Lykurge macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze womöglich noch eindringlicher als deren Befolgung.
Dies sind aber nicht die einzigen schlimmen Seiten der Fabrik; der Arbeiter wird vielmehr in der mannigfaltigsten Weise durch sie geschädigt. Die hohe Temperatur, das Getöse, der Staub wirken auf alle Sinnesorgane höchst nachteilig ein, abgesehen von der beständigen Lebensgefahr, in welcher der Arbeiter schwebt und die ihre Illustration durch zahllose Unglücksfälle jahraus, jahrein erhält. Unter solchen Umständen wird die kapitalistische Produktion nicht nur zum Ausbeutungsmittel, sondern zum systematischen Raub an den Lebensbedingungen des Arbeiters während der Arbeit, wie an Raum, Luft, Licht und persönlichen Schutzmitteln wider die lebensgefährlichen und gesundheitswidrigen Einrichtungen der Produktion, von Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu reden. Nennt Fourier mit Unrecht die Fabriken „gemäßigte Bagnos“ [11] (Zuchthäuser)? - -
Und welche Leiden haben die Arbeiter zu bestehen, wenn ein neuer Geschäftszweig vom Handwerk- oder manufakturmäßigen Betrieb in fabrikmäßigen übergeht?! Entweder es erfolgt solch ein Übergang langsam, und die Handarbeit versucht gegen die Maschinenarbeit zu konkurrieren, oder er erfolgt rasch und wirft plötzlich eine Masse Arbeiter aufs Pflaster. Im ersteren Falle ringt eine ganze Gattung von Arbeitern jahrzehntelang mit dem Hungertod, wie die englischen Handbaumwollweber zu Anfang dieses Jahrhunderts (unter den Handwebern Sachsens, Schlesiens, Böhmens etc. spielt sich gegenwärtig ein ähnliches Schauerdrama ab); im letzteren Falle verhungern oft Tausende auf der Stelle. So schrieb 1834-35 der Gouverneur Ost-Indiens, wo die mechanische Baumwollweberei Englands plötzlich die dortigen Handfabrikate verdrängte: „Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels. Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von Indien.“[12]
Jede Verbesserung der Maschinerie wirft einen Teil der Arbeiter aufs Pflaster oder verdrängt die Männer durch Weiber und diese durch Kinder. Schon um jeden Widerstand der Arbeiter unmöglich zu machen und deren Sklaverei fester zu begründen, ist das Kapital ununterbrochen darauf bedacht, ihr Geschick durch neue Maschinen überflüssig zu machen.
Man braucht sich daher nicht darüber zu verwundern, daß die Arbeiter lange Zeit die Maschinen, die Grundbedingungen der Fabrik, fanatisch bekämpften und gar oft der Zerstörung weihten. (Ihr Fehler bestand nur darin, daß sie nicht einsahen, wie vorteilhaft die Maschinen für die Menschheit an und für sich sind, und daß das Übel nur in den verkehrten herrschenden Eigentumsverhältnissen besteht, die es einzelnen ermöglichen, diese Dinge ausschließlich zu ihrem Nutzen zu verwenden.)
Durch die ungeheure, stoßweise Ausdehnungsfähigkeit des Fabrikwesens und dessen Abhängigkeit vom Weltmarkt wechseln natürlich fieberhafte Produktion und Überfüllung der Märkte mit allgemeinen Stockungen ab. Daher ist die Beschäftigung und Lebenslage der Arbeiter eine höchst unbeständige.
Zwischen den Kapitalisten rast, ausgenommen zu Zeiten besonders günstigen Geschäftsganges, heftiger Kampf ums Absatzgebiet, der durch die Waffe größtmöglicher Wohlfeilheit der Waren ausgefochten wird. Ermöglichen Maschinenverbesserungen etc. keine Unterbietung, dann muß neuerdings der Arbeiter herhalten; der Preis seiner Arbeitskraft wird heruntergedrückt.
Meist hat die Einführung des Maschinenbetriebs in einem Geschäftszweig unmittelbar zur Folge, daß in ihm die Arbeiterzahl verringert wird, während bei anderen Geschäftszweigen, die Rohstoffe für jenen beschaffen oder dessen Produkte weiterverarbeiten, die Zahl der Arbeiter zunimmt.
Neben der Manufaktur- und Fabrikarbeit läuft noch die sogenannte Hausarbeit her, eine Arbeitsart, bei welcher die Ausbeutung des Arbeiters am tollsten betrieben wird. Durch die Zerstreuung der Hausarbeiter sind dieselben weit weniger widerstandsfähig als die in den Manufakturen und Fabriken Beschäftigten. Obendrein arbeiten sie meist mit veralteten Werkzeugen, und drängen sich verschiedene Agenten zwischen sie und die Kapitalisten und saugen sie aus.
Nach und nach verwandelt sich indes in der Regel Hausarbeit in Manufaktur- und diese in Fabrikarbeit. Ein zwangsgesetzlich auferlegter Normalarbeitstag untergräbt sie, da sie neben der Fabrikarbeit überhaupt nur bei völlig schrankenloser Ausbeutung des Arbeiters haltbar ist.
Die Fabrikgesetze haben zahlreiche Erfindungen ins Leben gerufen, durch welche nicht allein ein plötzliches Beginnen und Aufhören der Arbeit, wie es ein Normalarbeitstag bedingt, ermöglicht, sondern auch der ganze Produktionsprozeß verwohlfeilert wurde. So z. B. in den Töpfereien, Tapetendruckereien, Schwefelholzfabriken etc.
Meist setzt man einen Termin fest, an welchem solche Gesetze in Kraft zu treten haben, und die Fabrikanten benützen die Zwischenzeit, um während derselben die Proletarier der Wissenschaft zur Ausklügelung neuer Erfindungen zu bestimmen, damit gleichzeitig mit dem betreffenden Gesetze resp. dem kürzeren Arbeitstage auch Einrichtungen in Kraft treten, die womöglich für den Kapitalisten mehr Gewinn eintragen als die früheren.
Im Durchschnitt können die kleineren Kapitalisten mit den großen in dieser Hinsicht nicht Schritt hallen und gehen daher zugrunde. Folge hiervon ist stetige Konzentrierung des Kapitals.
Daß das Kapital gegen jedes neue Fabrikgesetz zetert und dessen Durchführung so lange für absolut unmöglich erklärt, bis dieselbe erzwungen ist, bringt schon seine Vampirnatur mit sich. Und doch ist die Fabrikgesetzgebung ein ganz natürliches Produkt des Kapitalismus, dessen eigener Fortbestand eine solche bedingt.
Dabei ist zu erinnern, daß viele dieser Gesetze leicht umgangen werden können und in der Tat in zahllosen Fällen umgangen werden, daß für die Gesundheit der Arbeiter und für Erziehung der Kinder noch immer wenig Vorkehrungen getroffen sind und daß noch eine Unmasse von Übelständen existieren, um die sich die Fabrikgesetzgebung gar nicht kümmert. (Marx hat hier vorzugsweise England im Auge; in den meisten anderen Staaten kann der Arbeiter fast ohne jedwede Schranke ausgebeutet werden.)
Bekanntlich war man zur Zeit der Handwerkerzunft bemüht, die Erzeugungsweisen der verschiedenen Waren auf das zäheste vor Umänderungen zu bewahren. Anders bei der Großindustrie, die keine Form eines Produktionsprozesses als endgültig anerkennt, vielmehr alle Produktionszweige beständig revolutioniert.
Es werden nicht nur ältere Maschinen fortwährend durch neuere verdrängt, sondern die gesellschaftliche Teilung der Arbeit erleidet ebenfalls beständige Umgestaltungen.
Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden ist, verallgemeinert und beschleunigt sie andererseits, wie bereits angedeutet, die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse auf Zwergmaßstab in kombinierte Arbeitsprozesse auf großer Stufenleiter, die Konzentration des Kapitals und das Fabriksregime selbst. Sie zerstört alle altertümlichen und Übergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch teilweise versteckt, und ersetzt sie durch seine direkte, unverhüllte Herrschaft. Sie verallgemeinert damit auch den direkten Kampf gegen diese Herrschaft!
Die Umgestaltung des Ackerbaues durch die große Industrie bringt für die Arbeiter zwar nicht die physischen Nachteile, welche der Fabrikarbeit anhaften, dafür macht sie aber desto mehr „überzählig“, ohne anderweitige Verwendung zu schaffen.
In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den „Bauer“, und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Der Gegensatz zwischen Stadt und Land wird so ausgeglichen und ihr soziales Umwälzungsbedürfnis ein gemeinsames.
Je mehr die Agrikultur großindustriell betrieben wird, desto entschiedener wird nicht nur der Arbeiter ausgebeutet, sondern auch der Boden. Die kapitalistische Produktionsweise entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.
[11] Zitiert bei Karl Marx: Das Kapital, 2. verb. Aufl., Hamburg 1872, S. 449 (MEW, Bd. 23, S. 450).
[12] Zitiert ebenda, S. 453/454 (MEW, Bd. 23, S. 455).
Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008