Moses Heß

 

Philosophie der That [1]

Vom Verfasser der Europäischen Triarchie

(1843)


Ursprünglich veröffentlicht: Georg Herwegh (Hrsg.): Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Zürich u. Winterthur 1843, S.309-251.
Diese Version: Georg Herwegh (Hrsg.): Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Leipzig 1989, S.426-452.
Transkription/HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Von der Kartesischen Philosophie ist nur das erste Wort wahr; er konnte nicht cogito ergo sum, sondern nur cogito sagen. Das Erste (und Letzte), was ich erkenne, ist eben meine Geistesthat, mein Erkennen. Der Geist, das zum Selbstbewußtsein erwachte Leben, konstatirt seine Sichselbstgleichheit oder Identität durch das Denken des Denkens. – Alles weitere Erkennen ist nur eine Explikation dieser Idee, der Idee par excellence. Ich weiß, daß ich denke, daß ich geistig thätig bin oder, da es keine andere Thätigkeit gibt, daß ich thätig bin, nicht aber, daß ich bin. Nicht das Sein, sondern die That ist das Erste und Letzte. – Gehen wir zur Explikation dieses Aktes, so finden wir dreierlei: ein Denkendes, ein Gedachtes, und die Identität Beider, das Ich. „Ich denke“ heißt: Ich stellt sich (oder setzt sich) sich selber vor, als ein Anderes, kommt aber durch die Aufhebung dieser Reflexion wieder zu sich, nachdem es gleichsam durch die Entdeckung seines eignen Lebens im Spiegel außer sich gekommen. Es sieht ein, daß das Spiegelbild sein eignes ist. – Das Erwachen des Lebens zum Selbstbewußtsein ist ein komplizirter Akt. Das einfache Ichsagen konstatirt keine Identität. Wer da sagt: Ich bin Ich, oder: Ich weiß, daß ich bin, der weiß Nichts, der glaubt nur an einen mathematischen Punkt, der sieht in’s Schwarze, sieht nur, was nicht wirklich, nämlich den Unterschied des Denkenden vom Gedachten, des Subjektes vom Objekte, nicht deren Identität. Das einfache Ich, das Denkende im Unterschiede vom Gedachten, ist leer, hat’keinen Inhalt; es ist keine Raison drin, in diesem Ichsagen; es ist hohl, kein moi raisonné, kein Gedachtes, sondern ein Geglaubtes. Erst das „Ich denke“ konstatirt Etwas, die Sichselbstgleichheit des Einen im Ändern. Was der Ichsager glaubt, das Ich, die Identität, wird hier zum begriffenen Inhalt der That – wogegen sich hier der mathematische Punkt, das schwarze Nichts, das sich Sein nennt, als der mitten in seiner Thätigkeit fixirte, erstarrte Akt des Selbstbewußtseins zeigt. Wird nämlich dieser Akt nur halb vollzogen, das Denkende im Unterschiede von sich, dem Gedachten, fest gehalten, so rennt der Geist seinen Kopf wider die Mauer, wider die Schranke, die er geschaffen und nicht durchbrochen; er verrennt sich in eine Sackgasse. Die That erstarrt. Die Brücke, der steile Ueber-gang vom Denkenden zum Gedachten, ist abgebrochen, die Lebensarterie unterbunden. Das lebendige Werden wird todtes Sein und das Selbstbewußtsein zum theologischen Bewußtsein, das sich nun einen Uebergang aus dem schwarzen Nichts zum blassen Sein vorlügen muß. Das Schattenreich hebt an. Alles Gedachte ist nur noch sein Schatten, wie andrerseits das Denkende zum lichtlosen Punkte zusammenschrumpft. Das wirkliche Leben, das lebendige Ich, die selbstbewußte Identität, erscheint nun, wo Denkendes und Gedachtes getrennt sind, außerhalb Beider; es ist das Unerkannte, aber Geahnte oder Geglaubte. Dieses äußerlich vorgestellte Leben ist eine leere Reflexion des leeren Ichs, der Schatten eines Schatten, der theologische Gott, das „ewig Seiende“, der „absolute Geist“, u.s.w.

Das selbstbewußte Ich, von dem alle Philosophie ausgehen muß, weil das „Ich denke“ eben so sehr unbeweisbar, wie über allen Beweis erhaben (da der Zweifel daran ebenfalls ein Akt des Denkens ist), dieses moi raisonne des Kartesius ist also keineswegs ein Beweis für das abstrakte Sein, sondern für’s Denken, für die Geistesthat. Das „Ich denke“ hat sich uns als die That gezeigt, die drei Momente in sich hat, welche zusammen das Ich bilden, und welches Letztere eben deshalb kein Sein, weder ein denkendes, noch ein gedachtes, sondern die Vollziehung eines Aktes ist: die Bewegung des sich auf sich als ein Anderes beziehenden oder sich von sich unterscheidenden, aber in diesem Sichandereswerden oder Sichunterscheiden seine Sichselbstgleichheit erkennenden Lebens. – Das Ich ist mithin nicht etwas Ruhendes oder Bleibendes, wie die Ichsager meinen, sondern im Wechsel, in steter Bewegung, wie das Leben, bevor es zum Selbstbewußtsein erwacht ist, ebenfalls in stetem Wechsel. Wie die „Weltkörper“, so wie Alles, was wir wachsen und sich bewegen sehen, ist auch der Mensch, und zwar nicht etwa bloß der sinnliche, sondern auch der geistige Theil desselben, sein Selbstbewußtsein, in stetem Wechsel, in einer sich stets ändernden Thätigkeit. Bleibend ist nur diese Thätigkeit selber oder das Leben. Nothwendig ist die stete Veränderung des Ich, weil es nur Ich ist dadurch, daß es sich ein Anderes wird, d.h., sich bestimmt, beschränkt, und in diesem Sichandereswerden oder Sichbeschränken seine Sichselbstgleichheit oder freie Selbstbestimmung erkennt. Ohne diesen Akt ist es kein wirkliches Ich, keine Identität, sondern entweder seiner eignen That unbewußt (unschuldiges, natürliches Leben), oder im Zwiespalte mit sich selbst, ein zerrissener Lebensfaden, eine unterbrochene Linie, ein schwarzes Nichts. – Die Reflexion ist die Parze, die mit der Scheere des Verstandes den kontinuirlichen Lebensfaden durchschneidet, die Bewegung unterbricht, den Athemzug erstickt. Ich ist eine Geistesthat, eine Idee, welche nur im Wechsel zu begreifen. Ueber dem Wechsel steht nur das Gesetz, welches demselben die Bewegung bedingt. Der Geist erkennt dieses Gesetz durch die Erkenntniß seines Lebens. Indem er sich, seine eigne Thätigkeit erkennt, so erkennt er alle Thätigkeit, alles Leben, mit derselben Gewißheit. Leben ist Thätigkeit. Thätigkeit aber ist Herstellung einer Identität durch Setzen und Aufheben seines Gegentheils, Erzeugung seines Gleichen, seiner Sichselbstgleichheit, durch den Durchbruch der Schranke, in welcher Ich Nichtich. Thätigkeit ist, mit Einem Worte, Selbsterzeugung – deren Gesetz der Geist durch seine eigne Selbsterzeugung erkennt.

Der Wechsel, die Verschiedenheit des Lebens, kann nicht als ein Wechsel des Gesetzes der Thätigkeit, als objektiv verschiedenes Leben, sondern nur als eine Verschiedenheit des Selbstbewußtseins begriffen werden. – Die Reflexion, die Alles auf den Kopf stellt, sagt umgekehrt: „das objektive Leben ist verschieden, das Ich stets dasselbe“. Sie erfaßt das, was Wechsel des Ichs, des Selbstbewußtseins ist, als einen Wechsel des vom Ich vorgestellten Andern (welches es selbst ist); alle ihre Vorstellungen werden ihr zu objektivem Leben, das denn freilich sehr verschieden, in jedem Momente ein Anderes, weil eben das Ich sich in jedem Momente ein Anderes wird, weil das Selbstbewußtsein eine kontinuirliche Kette von Vorstellungen, weil die Idee, die Eine Geistesthat, nichts Fixes ist, sondern Bewegung, Erregung, auf- und absteigt vom niedrigsten Selbstbewußtsein (welches diesen Namen im gewöhnlichen Sinne freilich noch nicht verdient) bis zum höchsten oder klarsten, und eben so umgekehrt. Die verschiedenen Arten oder Erregungen des Selbstbewußtseins, welche sich in der Zeit als verschiedene Momente, Stufen, Schichten, Geschichten – im Raume als verschiedene Exemplare oder Naturen darstellen, sind wirklich das Produkt einer und derselben Thätigkeit, die das Selbstbewußtsein am Ende als seine eigne erkennt. – Aber die Reflexion, die Thätigkeit, die nie zu ihrer Sichselbstgleichheit kommen kann, sieht überall das Gegentheil der Wirklichkeit. So erscheint ihr denn auch das objektive Leben verschieden, das Ich aber (von dem sie nichts weiß, das sie nur glaubt) als das Bleibende, Unsterbliche!

Aus jeder bestimmten Idee, aus jeder Stufe des Selbstbewußtseins folgt nothwendig ihr Gegentheil, ihr Gleiches als Anderes, und zwar so lange, bis sich die bestimmte Idee explizirt hat, d.h., jedes Wesen verdoppelt sich, bis es erschöpft ist, schafft so lange, lebt so lange, ist so lange thätig, bis es sich ausgewirkt. Dann ist die Zeit dieser bestimmten Idee, dieses bestimmten Ichs, eben zu Ende. – „Nein“, sagt die Reflexion, „dann fängt’s erst recht zu leben an!“ – Der Geist, der sich nirgend selbst im Leben fand, der, wenn er sein Bild im Lebensspiegel schaute, den Kindern ähnlich seinen Kopf hinter diesen Spiegel steckte, um zu sehen, ob was dahinter ist, und dort natürlich stets das leere, schwarze Nichts fand – dieser Geist, der, nachdem er sich selbst erzeugt, reflektirt, explizirt hat, in seinem Andern nicht sich, sondern ein von ihm wirklich Verschiedenes zu erblicken glaubte – er mithin überall Schranke, Negation, Nichtigkeit erblickte – steckt auch zuletzt noch seinen Kopf hinter den Lebensspiegel, um dort zu suchen, was er in sich hätte suchen und finden müssen. – Der arme Teufel, der stets verneint, aber nie zur Negation der Negation, zum Durchbruch der Schranke kommt, der eine Pupille hat, die Alles auf den Kopf stellt, aber keinen Sehnerv, der den Gegenständen wieder auf die Beine hilft, reißt mit ungeschickter Hand die Wurzel, die verborgene Basis des Lebensbaumes, aus dem Boden und gibt sie den Lüften preis, während er die Wipfel in die Erde senkt und der Fäulniß überliefert. Nachdem er seine That entgeistet, zum Körper, zum todten Kadaver gemacht hat, will er diesen Körper verewigen. Er stellt sich die Ewigkeit als die zeitliche Fortdauer eines unveränderlichen Körpers vor. Er stellt sich das Zeitliche, das bestimmte Ich, als ewig, und das Ewige, das Gesetz, als zeitliches, bestimmtes, beschränktes Ich vor. Es liegt im Wesen der Reflexion, Absurdes zu denken.

Das Expliziren einer bestimmten Idee oder Geistesthat, das Auswirken einer bestimmten Stufe des Selbstbewußtseins oder Lebens, der Menschheit etwa, ist deren Verwirklichung, deren Individualisirung. – Das Individuum ist das Sichanderswerden der bestimmten Idee, wodurch diese eben wirklich, Identität wird. So wird im menschlichen Individuum das humane Selbstbewußtsein wirklich. Das Individuum ist die einzige Wirklichkeit der Idee; nur in ihm kann das Leben überhaupt zum Selbstbewußtsein kommen, da keine Identität, kein Ich denkbar ist außer der That, von der wir im Eingange gesprochen. Das Allgemeine ist mithin unwirklich, nur eine Abstraktion des Individuums, welches die Idee reflektirt, welcher es angehört, sich aber im Gegensatze zu ihr, nicht als ihre Wirklichkeit begreift. Die Lebensidee im Allgemeinen, das ewige Gesetz, „absoluter Geist“, „Weltgeist“, „Gott“, oder wie man das Allgemeine und Ewige eigentlich oder uneigentlich nennen mag, ist nur ein Wechsel, ein Sichanderswerden, in der Verschiedenheit, iim Individuum oder richtiger in einer unendlichen Reihe von Individuen, im unendlichen Sichanderswerden oder Sichselbsterzeugen wirklich; das Allgemeine kommt, mit andern Worten, aus den Individuen zu seinem Selbstbewußtsein, und der Mensch, der die Lebensidee, das Allgemeine, als sein Leben erkennt, ist seine höchste oder vollkommenste Wirklichkeit. – Das ist freilich nichts Neues, sondern bei allen Philosophen, namentlich bei den neuern zu finden. Auch soll hier keine neue Wahrheit ausgesprochen, sondern die alte wiederholt werden, weil das Folgende diese alte Wahrheit zur Grundlage hat und man sie dem in der Sackgasse der Reflexion festgerennten theologischen Bewußtsein gegenüber nicht oft genug wiederholen kann. Das theologische Bewußtsein ist die große Lüge, das Prinzip aller Knechtschaft (und Herrschaft), welcher unser Geschlecht unterworfen ist, so lange die Lebensidee ihm eine äußerliche, so lange es die selbstbewußte That noch nicht erkennt. Gegenwärtig, wo dieselbe sich Bahn zu brechen anfängt, verbindet sich das theologische Bewußtsein mit den bestehenden materiellen Mächten, mit den Institutionen, die es selbst ins Leben gerufen, um mit deren Hülfe die freie Geistesthat zu bekämpfen – eine sehr natürliche Allianz, eine Allianz von Vater und Sohn, die Beide ihr Haus vertheidigen – eine Familienallianz, die nicht zu verachten!

Noch ist diese Familienallianz nicht genug von allen Seiten beleuchtet, gewürdigt worden. Auf der einen Seite vergaß man über dem Vater den Sohn, auf der ändern über dem Sohn den Vater. Das theologische Bewußtsein, die Religion, der Vater, wurde dort in seiner innern Lügenhaftigkeit erkannt; wo man sich um den Sohn, die Politik, wenig kümmerte und ängstigte. In Deutschland hat man über dem religiösen Dualismus den politischen schier vergessen, und in neuester Zeit, wo man auch hier anfängt, sich um die Politik zu kümmern, zeigt sich die allerdings natürliche Erscheinung, daß man hier kaum über das ABC der modernen sozialen Bewegung gekommen ist. Man fängt mit Anno 1 der Republik an und rechnet’s dem, der von den neuesten Erscheinungen im Gebiete der politisch-sozialen Bewegung ein dürftiges Referat, vom abstraktesten, engherzigsten Gesichtspunkte aufgefaßt, nach Deutschland bringt, als eine Heldenthat an. [2] – In Frankreich dagegen, wo man den Sohn, den politischen Dualismus entlarvt, steckt man noch bis heute im religiösen. Proudhon, der tüchtigste Vorkämpfer in der neuesten sozialen Bewegung, spricht sehr salbungsvoll vom „Gotte“, dem „Vater“, und von seinen „Kindern“, den Menschen, die alle „Brüder“; glaubt auch das Möglichste gethan zu haben, indem er gegen die „Pfaffen“ loszieht, wie die guten Deutschen in der Politik aufgeräumt zu haben vermeinen, wenn sie gegen die Könige polemisiren. Aber Proudhon läßt sich’s nicht träumen, daß das, was er selbst noch anerkennt, vollständig hinreicht, um, konsequent durchgeführt, Pfaffen und Könige, Willkür und Eigenthum wieder in ihre alten Rechte einzusetzen oder zu erhalten. Die vaguen Phantasiebilder von Gott dem Vater und seinen Kinderchen sind es eben, welche, von den Königen und Pfaffen ausgebeutet, zur Herrschaft benutzt worden. Denn die Kinderchen müssen Vormünder haben, und unter den Söhnen des Vaters kann nur Einer der Erstgeborne sein; auch gibt es ungleiche Brüder – und nichts ist natürlicher, als daß die menschliche Gesellschaft, wenn ihr Verhältniß zu ihrem Wesen in kindlicher Weise als ein Familienverhältniß aufgefaßt wird, auch von Autoritäten beherrscht, am „altehrwürdigen“ Glaubensgängelbande gelenkt werden muß. Wer aber sagt denn unserm französischen Philosophen, der so sehr gegen alle äußere Herrschaft protestirt, daß wir einen Vater außer oder über uns haben, daß wir Kinder eines Andern sind? – Sein Geist, der die Identität, die Einheit mit seinem eignen Wesen, ahnt oder fühlt, aber nicht erkennt, stellt in der Weise der Reflexion diese Einheit sich vor, vor sich hin, als ein ihm äußerliches Andere. Er hält diese Trennung für wirklich. Wenn aber diese Trennung eine wirkliche, so sind auch die Menschen wirklich getrennt, nicht verbunden, verschieden, nicht gleich, entgegengesetzt, nicht einig –, und wenn sie mit solchen religiösen Vorstellungen an die Aufhebung des Eigenthums gehen wollten, so würden sie, trotz aller Protestationen Proudhon’s gegen den rohen, materiellen Kommunismus, doch nur zum rohesten, abstraktesten, zum mönchischen oder christlichen Kommunismus, zur Vernichtung aller Selbständigkeit der Individuen, zur Ertödtung des Lebens oder der Freiheit gelangen. Denn sie würden nur dazu gelangen, indem sie dem Allgemeinen, welches sie sich außer sich, als himmlische Macht, als Persönlichkeit vorstellen, sich vollständig unterwerfen oder dieser Persönlichkeit gegenüber ihre eigne verläugnen oder ertödten – eine unerträgliche Knechtschaft, wenn konsequent durchgeführt, ein unmöglicher Zustand, mit dem sich das Mittelalter, das Justemilieu-Zeitalter längst abgefunden, indem es neben der himmlischen Tyrannei die irdische Willkür ins Leben rief und herrschen ließ, so daß ein beständiger Kampf zwischen den Repräsentanten der unwahren Individuen und des unwirklichen Allgemeinen, zwischen den irdischen und himmlischen Interessen herauf beschworen wurde. – Die soziale Freiheit ist entweder eine Folge der Geistesfreiheit, oder sie ist bodenlos und schlägt um so gewisser in ihr Gegentheil um, je revolutionärer sie sich gegen die bestehenden Zustände, die uns aus dem Justemilieu-Zeitalter überkommen sind, verhält. – Dem christlichen Kommunismus würde ein christliches Mittelalter auf dem Fuße folgen, wenn es denkbar wäre, daß die Geschichte am Ende einer Entwickelung wieder von vorn anfinge.

Auf beiden Seiten sind, wie man sieht, die Kämpfer für die Freiheit, weil sie isolirt, nicht stark genug, um den vereinigten Gegnern zu widerstehen.

Die Lüge der Religion und Politik muß mit Einem Schlage und schonungslos entlarvt, die Schlupfwinkel, Verschanzungen, Esels- und Teufelsbrücken der Gegner müssen zumal verbrannt und vernichtet werden. – Wir wissen wohl, daß es zahme und lahme Philosophen gibt, die, weil ihnen der Zornmuth der That abhanden gekommen ist, in dem Lügendreckhaufen der Religion und Politik mit ihrer Diogeneslaterne umherstöbern, um wo möglich noch einige brauchbare Gegenstände hier aufzugabeln. Aber es löhnt sich nicht der Mühe, die armseligen Lumpen aus dem Schutte der Vergangenheit hervorzusuchen, um sie in die Papiermühle der Dialektik zu bringen und metamorphosirt zu Markte zu tragen, vorgebend, es sei das alte, bekannte Material, nur anders formirt. Die Form ist das Wesen; der Geist muß jedenfalls seine Produkte selbst erzeugen, und die Philister, die eher zugreifen, wenn sie glauben, die Waare, die man ihnen bietet, sei aus ihrer alten Rumpelkammer, merken’s doch am Ende, daß es nagelneue Produkte sind, die man ihnen so billig als alte verkaufen will. Man kann nun einmal der gaffenden Menge das Stützen nicht ersparen; die Philister werden vor jeder Urgeistesthat wie vor einer Teufelserfindung scheu zurückbeben, bis sie sich nach und nach mit ihr befreundet, sie begriffen haben. – Was ist denn Wahres in der Religion und Politik? – Allerdings, es schlummert Wahrheit in ihnen. Aber nicht die Wahrheit, sondern das Schlummern derselben ist dasjenige, was der Religion und Politik eigenthümlich ist. Hört die Wahrheit auf zu schlummern, erwacht sie, so hört sie auch auf, im Dualismus der Religion und Politik zu erscheinen. – Religion und Politik sind Uebergänge von der Bewußtlosigkeit zum Selbstbewußtsein des Geistes. Der religiöse Dualismus, die himmlische Politik, ist ein Produkt der Reflexion, des Zwiespaltes, des Unglücks – eben so der politische Dualismus, die irdische Religion. Obgleich die Reflexion nichts davon weiß, daß sie die Eselsbrücke des Geistes, so ahnt sie es doch, und diese Ahnung spricht sich in Träumereien von einem verflossenen goldenen Zeitalter, später in Prophezeihungen eines zukünftigen bessern Zustandes aus, in welchem aller Kampf, Zwiespalt, Sünde aufhören soll. – Die Bibel selbst, dieses altehrwürdige Aktenstück vom Ursprünge unserer Religion und Politik, das uns mit der größten Naivetät in die theologische Sackgasse einführt, läßt Adam die erste Stimme eines ihm äußerlichen höhern Wesens erst nach dem Sündenfalle vernehmen. Sie prophezeiht in ihrem letzten Abschnitte einen Zustand der Erkenntniß, in welchem alle Kreatur einig, nicht mehr unterschieden sein werde von einander und ihrem Gotte. Der ganze Christus ist eine Anticipation dieser Erkenntniß. Gerade deshalb aber ist seine Rolle beendigt von dem Augenblicke an, wo die Prophezeihung nicht mehr statthaft, weil sie in Erfüllung gegangen. Auch der Staat ist eben so, wie die Kirche, eine Antizipation des einigen sozialen Lebens. Gerade weil Religion und Politik auf ein Zukünftiges hinweisen, werden sie nie zugeben, daß dieses Zukünftige ein Gegenwärtiges sei, indem sie sich dann selbst aufheben würden. Ja, sie müssen, weil ihre Rolle im Hinweisen auf eine Zukunft besteht, in welcher diese ihre Rolle zu Ende gespielt ist, die Gegenwart dieser Zukunft stets hinausschieben. – Um von der Wahrheit nicht Lügen gestraft oder verläugnet zu werden, müssen sie selbst die Wahrheit lügen und läugnen. – Das ist die beste Seite, die man der Religion und Politik abgewinnen kann; doch das ist nicht ihr ganzes Wesen.

Das Wesen der Religion und Politik besteht, wie gesagt, darin, daß sie das wirkliche Leben, das Leben der wirklichen Individuen, von einem Abstraktum, von dem „Allgemeinen“, welches nirgend wirklich, außer im Individuum selber, absorbiren lassen, – Das ist der Begriff und das zeigt auch die Geschichte dieses edeln Schwesterpaares. Der Moloch ist der Urtypus desselben. Menschenopfer bilden überall den Grundton des Gottesdienstes und Staatsdienstes. Der „absolute Geist“, der im „Staate“ seine Wirklichkeit feiert, ist eine Nachbildung des christlichen Gottes, der seinen erstgebornen Sohn kreuzigen läßt, der Wohlgefallen hat am Marterthum und auf einem Märtyrer, „auf diesem Felsen“, seine Kirche baut. Der christliche Gott ist eine Nachbildung des jüdischen Moloch-Jehova, dem die Erstgeburt geopfert wird, um ihn zu „versöhnen“, und den das Justemilieu-Zeitalter des Judenthums mit Geld abgefunden hat, indem es die Erstgeburt „auslöste“ und Vieh statt Menschen opferte. Das ursprüngliche Schlachtopfer war überall der Mensch – und wenn er auch später sich „auszulösen“ oder zu „erlösen“ versuchte, so ist er’s doch immer, so lange die Religion und Politik bestanden, im figürlichen Sinne geblieben, und ist’s noch jetzt. – Religion und Politik sind als Gegengewicht gegen den rohen Materialismus der Individuen, die sich, bevor sie zum Selbstbewußtsein gelangt sind, einander bekämpften, ins Leben getreten und haben Repräsentanten allgemeiner Interessen geschaffen, die als unwirkliche Wahrheit der unwahren Wirklichkeit feindlich entgegen getreten sind. Im „Gottesdienst“ warfen sich die Priester, im „Staatsdienste“ die Könige, Aristokraten und sonstige Ehrgeizige und Egoisten, Narren und Betrüger als die Repräsentanten „allgemeiner“ Interessen auf, lebten vom Schweiße und Blute ihrer Untergebenen und schrien die Aufopferung als höchste Tugend aus. – Es ist nicht nöthig, stets zu wiederholen, daß die saubere Geschichte aller Religionen und Staaten eine nothwendige war. So lange die Völker und Individuen noch nicht zur Sittlichkeit oder Selbsterkenntniß gelangt waren, mußten sie sich’s allerdings gefallen lassen, von Ihresgleichen wie das liebe Vieh behandelt zu werden; so lange sie sich selbst nicht zu beherrschen verstanden, wurden sie von äußern Mächten beherrscht. Das ist klar. Aber klar ist auch, daß, wenn Religion und Politik das Produkt eines viehischen Zustandes, sie selbst oder ihre Repräsentanten eben nur die andere Seite jenes Materialismus sind, in welchem Individuen und Völker befangen. – Die Priester und Herrscher können nicht dadurch entschuldigt werden, daß die Völker sie nothwendig machten, eben so wenig wie die Individuen und Völker ihre Sklaverei etwa durch ihre Priester und Herrscher entschuldigen können. Sklaverei und Tyrannei, abstrakter Materialismus und Spiritualismus, bedingen sich gegenseitig – und beklagenswerth sind nur die, welche nicht einsehen, daß aus diesem geschlossenen Kreise der Knechtschaft nur durch radikalen Bruch mit der Vergangenheit, herauszukommen ist. Diesen Bruch haben die Franzosen und Deutschen zu Stande gebracht, die erstern, indem sie die Anarchie in der Politik, die andern, indem sie dieselbe Anarchie in der Religion hervorriefen. Aber die Hauptsache ist, den Mittelpunkt zu finden, aus welchem diese Macht der Negation auf beiden Seiten entstanden. Ohne diesen Mittelpunkt ist Alles Stückwerk und schlägt wieder in sein Gegentheil um, wie dies zuletzt in Deutschland und Frankreich wirklich geschehen ist.

Die Knechtschaft hat ihr geschlossenes System; sie hat einen wohlgeordneten Bau der Lüge aufgeführt, wodurch ihr über die hoch ungeborne Freiheit ein Uebergewicht gegeben ist, ein theoretisches und praktisches Uebergewicht, so lange die Freiheit ihr nicht ebenfalls mit Konsequenz, mit der Konsequenz der Wahrheit, entgegen tritt. Die Freiheit wird der geschlossenen Phalanx der Knechtschaft gegenüber stets den Kürzern ziehen, so lange sie ihr Prinzip nicht eben so konsequent durchführt, wie die Knechtschaft das ihrige. So lange der Dualismus nicht überall, im Geiste wie im sozialen Leben, überwunden ist, hat die Freiheit noch nicht gesiegt. Die dualistische Weltanschauung mußte freilich in der Geschichte nothwendig hervortreten. Aber die Lüge ist darum nicht minder Lüge. Unsere ganze bisherige Geschichte, war so zu sagen eine Nothlüge. Der Christ, um wirklich zu werden, mußte als Individuum gegen Andere erscheinen, zunächst also im Gegensatze zu sich selber. Der Geist entwickelt sich an und in dem Widerspruche mit sich selbst. – Die Geschichte, die nichts Anderes als eben diese Entwickelung des Geistes ist, konnte mithin auch nichts Anderes als die Erscheinung des Widerspruchs sein – und man darf sich daher nicht wundern, daß bisher nur dieser Widerspruch, der Kampf des Individuums mit sich und dem Allgemeinen, zum Vorschein kam. Das wahrhafte Individuum – der selbstbewußte Geist, der freie Mensch, das wirkliche Allgemeine – war bisher noch nicht herausgebildet. – Das Allgemeine hatte mithin, da es außer dem Individuum nicht wirklich ist, noch keine Wirklichkeit. Das Individuelle erschien, im Gegensatze zu seinem Wesen, dem Allgemeinen, als Besonderes; das Allgemeine, im Gegensatze zur Wirklichkeit, als Abstraktum – Gott, Priester, Papst, Kirche, Staat, Monarch u.s.w. So tritt uns überall das abstrakt Allgemeine auf der einen Seite, auf der ändern dagegen das materielle Individuum entgegen, ein zwiespaltiges, in sich selbst nichtiges Lügenphantom, da das Allgemeine ohne Wirklichkeit leblos, das Besondere ohne Wahrheit aber geistlos ist. Dieser Zwiespalt des Geistes offenbarte sich, wie gesagt, in der ganzen bisherigen Geschichte. Seine höchste Spitze aber hat er in der vollendetsten Religion, im Christenthum, so wie in der vollendetsten Staatsform, in der Monarchie, erlangt. Es ist ganz richtig: das Christenthum ist die wahre Religion, und die Monarchie ist die Spitze aller Staatsformen. Mit ändern Worten: die absolute Religion und der absolute Staat ist eben nichts anderes als der Absolutismus der himmlischen und irdischen Tyrannen über Sklaven. – Die Herrschaft und ihr Gegensatz, die Unterthänigkeit, ist das Wesen der Religion und Politik, und in je vollkommnerer Weise sich dieses Wesen manifestirt, desto vollkommener ist die Form der Religion und Politik. – In der absoluten Religion und Politik ist der Herr Ein Herr Aller. Die Allgemeinheit zeigt sich hier als die Negation alles Individuellen. Vor Gott und dem Monarchen verschwinden alle Existenzen. Der Gott und der Monarch selbst sind keine wirklichen Individuen; sie sind erhaben über alle Wirklichkeit, sind geheiligte Personen, gar keine Personen: der Monarch, wie der Gott, ist die Majestät, unbegreifbar! Denkt nicht darüber – betet nur an – fallt aufs Knie!! – – Die Abstraktion kann nicht weiter getrieben werden, und der Dualismus, auf dieser Höhe angelangt, kann sich nicht mehr halten – er schlägt um: die Revolution und der Kritizismus beginnen. Das abstrakt Allgemeine muß dem abstrakt Individuellen weichen; aber dieses ist nicht mehr, wie im Anfange der Geschichte, das natürliche Individuum, sondern das geistige Subjekt. Nicht die individuelle Willkür, sondern die subjektive Freiheit, nicht die, natürliche Gleichheit oder gleiche Berechtigung der unvermittelten Gegensätze einander bekämpfender Individuen, sondern die abstrakten Mehschenrechte oder das gleiche Recht der abstrakten Persönlichkeit, des reflektirten Ichs, des mathematischen Punktes, kommen nunmehr zum Vorschein. Die Majestät und Souveränität des Einen hat sich in die Majestät und Souveränität Aller umgekehrt. Während dort das abstrakt Allgemeine in der Form des Einen über das Besondere herrscht und die Individuen unterdrückt, herrscht hier das abstrakt Individuelle in der Form der Vielen über das Allgemeine und unterdrückt die Einheit. An die Stelle der Hierarchie und der Stände, an die Stelle der gefesselten Individuen tritt die Repräsentation und die Konkurrenz der Einzelnen. Durch diese Revolution entsteht eine wesentlich neue Geschichte. Das Individuum fängt wieder mit sich, die Geschichte mit Anno 1 an, macht in raschen Zügen, auf den Schwingen des Geistes, den Weg von der Anarchie der abstrakten Freiheit aus durch die Knechtschaft, zum letzten Male, und gelangt endlich zur wirklichen Freiheit, indem es nicht nur das Gesetz der Negation, sondern den Mittelpunkt begreift, von welchem aus sich diese Macht der Negation auf der einen und ändern Seite als subjektive und objektive Geistesthat manifestirte.

Die Revolution hat den Dualismus bestehen lassen; die geistige, wie die soziale, die deutsche, wie die französische Revolution hat wirklich Alles beim Alten gelassen, so scheint’s wenigstens, und es ist kein bloßer Schein, das fühlt Jeder. Es ist Alles wieder restaurirt worden, das ist geschichtlich, und die Geschichte hat immer Recht. Was hat auch die Revolution gethän? – Ihre Freiheit und Gleichheit, ihre abstrakten Menschenrechte waren nur eine andere Form der Knechtschaft. Die andere Seite des Gegensatzes, das abstrakt Individuelle, kam zur Herrschaft, ohne daß der Gegensatz von Herrschaft und Knechtschaft aufgehoben, überwunden wurde. Die unpersönliche Herrschaft der Gerechtigkeit, die Selbstbeherrschung des sich selbst gleichen Geistes, hat die Herrschaft der Einen über die Ändern nicht verdrängt. „Die Tyrannen haben gewechselt, die Tyrannei ist geblieben.“ Das Volk, sagt Proudhon, war nur der Affe der Könige. Diese motivirten ihre Gesetze durch die Formel: Car tel est notre plaisir. – Das Volk wollte auch einmal das Plaisir haben, Gesetze zu machen. Seit fünfzig Jahren hat es deren tausende gemacht, und es scheint noch immer Plaisir daran zu haben. – Wir fügen hinzu: das Volk war nur der Affe der Priester. Robespierre, der die Existenz eines „höchsten Wesens“ dekretirte, gefiel sich in der Rolle eines Pontifex Maximus. – Unsere Burschenschaftler sind gute Christen und möchten aus ihrer Mitte einen frommen Kaiser salben, der zugleich Papst. – Der St. Simonismus war eine Nachäffung der Hierarchie. Die „Bramanen der Logik“ wollten aus ihrem Meister einen zweiten Christus machen, feierten in ihm die „Wiederkunft des Herrn“ oder den Paraklet. – Die frommen Demagogen treiben fortwährend in Deutschland und Frankreich ihr Unwesen, und ihrer Einer hat den Thron bestiegen. – Daneben werden alle möglichen Freiheiten beansprucht: die Handels-, Gewerbe-, Lehr- und Gewissensfreiheit. Wozu? Zu Gunsten der Privatinteressen und Privatmeinungen, welche durch „freie Konkurrenz“ der Wahrheit und Gerechtigkeit die Herrschaft abzuringen gedenken! – Was ist diese Demokratie anders, als die Herrschaft der individuellen Willkür unter dem Namen der „subjektiven“ oder „persönlichen“ Freiheit? Worin unterscheidet sie sich von der Herrschaft des Einen? –

Allerdings, die Revolution unterscheidet sich vom ancien regime. Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte eingetreten, und zwar ein ebenso wichtiger, als zu jener Zeit, da das Selbstbewußtsein das erste Lebenszeichen von sich gab und sich als das Allgemeine im Unterschiede von der Besonderheit erfaßte, als die Königs- und Priesterherrschaft, die Herrschaft des Moloch, begann. Jetzt nämlich nimmt das Individuum wieder sein Recht in Anspruch – aber zunächst doch eben nur als das Besondere, nicht als das wirkliche Allgemeine. Jetzt aber ist der Widerspruch, in dem sich der Geist mit sich selber befindet, ein unerträglicher von Haus aus; denn es ist nicht mehr das unbewußte, natürliche Individuum, sondern das bewußte, geistige Subjekt, welches, sich mit seinem Wesen im Widerspruche befindet. Es erkennt seine Unwahrheit als Einzelnes, ohne daß es diese Erkenntniß bethätigt; es weiß, daß es im Unterschiede von der Allgemeinheit in der Unwahrheit, aber es will diesen Unterschied fest halten, weiles sich noch vor dem „Menschenteig“ des ancien régime, den es kaum negirt, aber nicht überwunden hat, fürcbtet. Das Gespenst des Absolutismus läßt das Individuum jetzt noch nicht sogleich zur Besinnung kommen. Es umarmt die Freiheit in einer Art von Fieberwuth, so daß sie in seiner Umarmung erstickt. Aus purer Angst, in den „Menschenteig“ zurückzufallen, macht es sich zum Stein und wirft sich mit aller Macht auf seinen Gegensatz, das abstrakte Allgemeine, ohne zu bedenken, daß es eben dadurch seinen Todfeind, der am Sterben liegt, noch erhält. Das abstrakt Allgemeine hat keine Kraft mehr, ist zu altersschwach, um noch die Individuen zu unterdrücken, das Besondere zu absorbiren; aber dieses wirft sich ihm freiwillig in den Rachen – und Moloch verschlingt’s noch, wie ein Kranker, dem man, um ihn noch einige Zeit zu erhalten, die Nahrung einzutrichtern sucht.

Im natürlichen Leben sind die Gegensätze die Formen, in welchen die Lebensidee erscheint, so daß es hier ohne Gegensätze kein Leben gibt. Aber das natürliche Leben ist nicht die Verwirklichung der Freiheit, und solange der Geist noch mit der Natürlichkeit behaftet ist, kann von Freiheit auch bei ihm keine Rede sein. – Aber der Geist und seine Welt, das soziale Leben, der Mensch und die Menschheit kommen endlich zu ihrem sichselbstgleichen Dasein, wo alle die Formen, in welchen sieh seine Thätigkeit bis dahin fixirte, zur Gewohnheit und „ändern Natur“ wurde, gesprengt werden und nichts als die Thätigkeit übrig bleibt – wo sich alle Naturbestimmtheit in freie Selbstbestimmung umgestaltet. Die deutsche Philosophie hat dieses Ziel des Geistes in Einer Beziehung, in Bezug aufs Denken, längst erkannt, und obgleich die Philister, als sie ihren ganzen Vorrath an verkörperten Ideen, an welchen sie etwas Greifbares hatten, was sie als ihr „Eigenthum“ betrachten konnten, in Rauch aufgehen sahen, Zeter über die Mordbrenner schrien, die ihnen Alles „negirten“, so hat man sich doch wenig daran gestört. Was bei uns in Bezug auf’s Denken, das geschah in Frankreich in Bezug aufs soziale Leben. – Die französischen Sozialphilosophen, früher schon Babeuf, ein Zeitgenosse Fichte’s, in neuester Zeit Proudhon, legten das Feuer des modernen Geistes an das Gebäude der alten Gesellschaft – wie die deutschen Philosophen es an das Gebäude des alten Glaubens legten. – Aber beide, die französischen wie die deutschen Mordbrenner, wissen es kaum, wohin sie gelangen. Das Ziel des Sozialismus ist kein anderes, als jenes des Idealismus; es ist dieses: nichts von alle dem alten Plunder übrig zu lassen, als die Thätigkeit. Keine von den Formen, in welchen sich diese letztere bisher fixirte, kann bestehen vor dem freien Geiste, der sich eben nur als thätiger erfaßt, nicht bei irgend einem gewonnenen Resultate stehen bleibt, dieses fixirt, verkörpert, materialisirt und als sein „Eigenthum“ aufspeichert – der vielmehr, als die Macht über alles Endliche, Bestimmte, stets darüber hinausgeht, um sich stets von Neuem als Thätiger – freilich jedesmal, in bestimmter Weise – zu erfassen. Darin eben unterscheidet sich, die freie That von der unfreien Arbeit, daß hier, in der Knechtschaft, die Schöpfung den Schöpfer selbst fesselt, während dort, in der Freiheit, jede Beschränkung, in welche der Geist sich entäußert, nicht zur Naturbestimmtheit, sondern überwunden und so Selbstbestimmung wird.

Es ist jetzt die Aufgabe der Philosophie des Geistes, Philosophie der That zu werden. Nicht nur das Denken, sondern die ganze menschliche Thätigkeit muß auf jenen Standpunkt erhoben werden, wo alle Gegensätze schwinden. Der himmlische Egoismus, ja, das theologische Bewußtsein, wogegen die deutsche Philosophie gegenwärtig so sehr eifert, hat diese doch bis jetzt verhindert, zur That fortzuschreiten. – Fichte ist in dieser Beziehung schon viel weiter gegangen, als die neueste Philosophie. Die Junghegelianer, wie paradox es auch klingen mag, stecken noch immer im theologischen Bewußtsein; denn obgleich sie den Hegelschen „absoluten Geist“, die Nachbildung des christlichen Gottes, obgleich sie auch die Hegelsche Restaurations- und Justemilieu-Politik aufgegeben haben, obgleich sie endlich den religiösen Dualismus negiren, so stellen sie doch dem Individuum noch immer das Allgemeine, als „Staat“, entgegen, kommen höchstens zur Anarchie des Liberalismus, nämlich zur Schrankenlosigkeit, aus welcher sie aber wieder in den theologischen „Staat“ zurückfallen, weil sie nicht zur Selbstbestimmung oder Selbstbeschränkung fortschreiten, sondern im Fürsichsein der Reflexion verharren. Das soziale Leben hat bei ihnen den Standpunkt der Reflexion, die Stufe des Fürsichseins, noch nicht überwunden. Auf dieser Stufe erscheint das Objekt der Thätigkeit noch als ein wirklich Anderes, und das Subjekt, um zum Genüsse seiner selbst, seines Lebens, seiner Thätigkeit zu gelangen, muß das von ihm getrennte Objekt als sein Eigenthum fest halten, weil es außerdem mit dem Verluste seiner selbst bedroht ist. – Erst in dem materiellen Eigenthum kommt es dem Subjekte, das auf der Stufe der Reflexion steht, zum Bewußtsein, daß es für sich thätig ist – nein, thätig war. Seine That erfaßt es nie als präsente; es lebt nie in der Gegenwart, sondern nur in der Vergangenheit. Seines wirklichen Eigenthums, seiner gegenwärtigen That geht es stets verlustig, weil es sich noch nicht in seiner Wahrheit zu erfassen vermag; nur den Schein, den Widerschein seines Eigenthums, seiner Thätigkeit, seines Lebens hält es fest, als ob eben dieser Widerschein sein wahres Leben, sein wirkliches Eigenthum, seine eigene That wäre! – Das ist der Fluch, der in der ganzen bisherigen Geschichte auf dem Menschen lastete, daß er nämlich die Thätigkeit nicht als Selbstzweck, und den Genuß stets von ihr getrennt erfaßte, weil eben die ganze bisherige Geschichte nichts Anderes als die Entwickelung des Geistes darstellt, der, um wirklich zu werden, in Gegensatz zu sich treten mußte. So wie dieser Fluch mit der Religion und Politik in’s Leben trat, so wird er auch wieder verschwinden, nachdem die Herrschaft der Religion und Politik zu Ende, die Stufe der Reflexion überwunden ist und das Reich der Spekulation, die philosophische Ethik, beginnt und das ganze Leben umfaßt. – Das erste Wort, wodurch sich der Gott der Reflexion dem Menschen offenbarte, war jener Fluch; den die Bibel uns in dem bekannten Spruche: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod verzehren“, getreulich überlieferte. Das erste Wort dagegen, wodurch sich der freie Geist dem Menschen offenbarte, ist der bekannte Ausspruch der Ethik des Spinoza: „Gut ist, was die Thätigkeit fördert, die Lebenslust erhöht.“ Die „Arbeit im Schweiße des Angesichts“ hat den Menschen zum Sklaven und elend gemacht; die „Thätigkeit aus Lust“ wird ihn frei und glücklich machen.

Weil man bis jetzt in Deutschland und Frankreich nicht vereint, sondern jede Seite isolirt nach der Freiheit strebte, ist zuletzt auf beiden Seiten eine Reaktion eingetreten, und zwar französischerseits, wo man die Geistesfreiheit noch nicht errungen, von der Religion oder Kirche, in Deutschland dagegen, wo man die soziale Freiheit vernachlässigt hat, von der Politik oder dem Staate aus. Dort sehen wir den Klerus und die Legitimisten, hier den Adel und die Pietisten täglich an Macht gewinnen. Dort ist es die aus der Revolution hervorgegangene Staatsmacht, hier die aus der Reformation hervorgegangene Wissenschaft, welche sich bedroht fühlt. Und .weil beide revolutionären Mächte in ihrer Einseitigkeit oder Isolirtheit ohne Boden sind, so suchen sie, im Gefühle ihrer Schwäche, den Gegner, den sie, vereint, vernichten könnten, zu besänftigen und machen Konzessionen. Daneben aber entwickelt sich jetzt auf beiden Seiten das Gefühl des Mangels, so daß neben dem, was bisher errungen wurde, in Deutschland also neben det offiziellen Wissenschaft, in Frankreich neben der offiziellen, revolutionären Regierung, eine sogenannte radikale Partei auftaucht, welche nichts von Vermittlung und Nachgiebigkeit wissen will, weil sie ihre Kraft, den Zusammenhang der Geistesfreiheit mit der sozialen, zu ahnen beginnt. – Die radikale Partei in beiden Ländern tritt den aus der geistigen und sozialen Bewegung hervorgegangenen offiziellen Mächten feindlich entgegen. Der Protestantismus und die Juliregierung werden angegriffen. Der französische Arnold Rüge, Pierre Leroux, polemisirt gegen die Justemilieu-Regierung, wie der deutsche gegen den Protestantismus, weij sie die Halbheit dieser Errungenschaft, wie gesagt, zu erkennen anfangen und einsehen, daß dieselbe, unzureichend, den Gegner zu vernichten, sich ihm am Ende auch wohl noch ganz unterwerfen müßte, um ihre Scheinexistenz schmachvoll zu retten. Hierdurch entsteht eine scheinbare Allianz des Radikalismus mit der Reaktion. Die Allianz des Radikalismus mit der Reaktion ist freilich nur eine ironische, wie sie z.B. in der „Posaune“ Bruno Bauers deutlich genug diesen ihren Charakter zu erkennen gibt. Daß es in Frankreich mit der Allianz des Radikalismus und der Legitimisten eine ähnliche Bewandtniß hat, wie in Deutschland mit jener zwischen den Radikalen und Pietisten gegen den alten Rationalismus, liegt auf der Hand. Aber hier, wo man sich zu praktischen Zwecken verbindet, tritt die Ironie in den Hintergrund und man zeigt der Welt eine ernste Maske. Dem nicht ganz oberflächlichen Beobachtet erscheint diese Allianz darum nur noch um so komischer. Das Volk läßt sich aber hier durch diese ironische Allianz hinter’s Licht führen, d.h. zur Religion zurück, die hier als unerhelltes Gebiet beiden Parteien, der radikalen und reaktionären, zum Stützpunkt dient; wie es in Deutschland der „Staat“ ist, der von den Philosophen und Pietisten zu entgegengesetzten Zwecken und mit entgegengesetzten Mitteln (nämlich von diesen mittelst der materiellen Staatsmacht, von jenen mittelst des abstrakten Begriffs) ausgebeutet wird, so ist es in Frankreich die „Kirche“, die Religion. – Die Sache des Volkes hat dadurch auf beiden Seiten verloren. Wie in Deutschland der „Staat“, die Politik, so ist in Frankreich die „Kirche“, die Religion, zum Verräther geworden an denen, die mit einem Gegenstande, den sie nicht kannten, spielten. Bis auf diesen Punkt ist die Bewegung in Deutschland und Frankreich, das Streben nach Freiheit voifder Philosophie und vom sozialen Leben, aus, im gegenwärtigen Augenblicke gediehen. Die Isolirtheit der Bestrebungen für Geistesfreiheit und für demokratische Institutionen hat endlich in Deutschland aus der politischen, in Frankreich aus der religiösen Macht eine gefährliche Waffe gegen, den Fortschritt geschmiedet. Diejenigen, die volksfeindliche Zwecke verfolgen, sind die Demagogen geworden. Es ist, wie man sieht, hohe Zeit, daß die isolirten Bestrebungen sich zusammenfassen.

Die freie Geistesthat ist der Mittelpunkt, von dem alle Bestrebungen der Neuzeit ausgegangen und auf den sie alle wieder hinaus laufen. Es ist daher nöthig, das Gesetz derselben, ihren Organismus, ihre Konsequenzen zu erforschen. Die Basis der freien That ist die Ethik des Spinoza, und die vorliegende Philosophie der That soll eben nur eine weitere Entwickelung derselben sein. Fichte hat den Grundstein zu dieser Fortentwickelung gelegt; aber die deutsche Philosophie konnte als solche eben nicht über den Idealismus hinaus kommen. Um zum Sozialismus zu gelangen, hätte Deutschland auch einen Kant für den alten Organismus der Gesellschaft haben müssen, wie einen für’s Denken. Ohne Revolution fängt sich keine neue Geschichte an. Wie sehr auch in Deutschland die französische Revolution Anklang fand, so wurde doch das Wesen derselben, das eben in dem Umsturz der bisherigen Säulen des sozialen Lebens bestand, durchaus verkannt. Für das Denken wird in Deutschland der Werth der Negation erkannt, für’s Handeln nicht. Der Werth der Anarchie besteht aber darin, daß das Individuum wieder auf sich selbst angewiesen wird, von sich ausgehen muß. – Der philosophische Kritizismus Imanuel Kant’s brachte aber nur für’s Denken diese Anarchie hervor, und sein nächster Nachfolger, Fichte, legte den Grundstein der neuen Geschichte daher auch nur für’s Denken, nicht für das ganze Leben des Geistes, nicht für die freie soziale Thätigkeit. In dieser Beziehung hat man sich begnügt, die „Resultate der französischen Revolution“ sich anzueignen. Aber damit ist nichts gethan. In der Geschichte, im Leben des Geistes, handelt es sich nicht um Resultate, sondern um das Hervorbringen derselben. Das „Wirken, nicht das Werk“ ist die Hauptsache. Mit dem „Werk“ hat der Geist nichts weiter zu schaffen; als neuerdings daraus zu wirken, zu spinnen und zu spännen. – Resultate sich aneignen, heißt, alte Flicken auf alte Kleider setzen. Mit solchem Flickwerk hat man sich, was die soziale Thätigkeit betrifft, bei uns begnügt, und glaubte, was Rechtes gethan zu haben. Nur in Frankreich widerfuhr dem Geiste sein Recht in Betreff der freien sozialen Thätigkeit. Aus der Anarchie des Terrorismus ging Babeuf hervor, der französische Fichte, der erste Kommunist, der den Grundstein zur Fortentwickelung der neuen Ethik in Bezug auf die soziale Thätigkeit gelegt, wie Fichte, der erste gründliche Atheist, diesen Grundstein in Bezug auf das Denken gelegt hat. Dagegen wurde in Frankreich, was das Denken betrifft, nichts Rechtes geschaffen, und wie sehr man sich hier wiederum abmüht, die „Resultate der deutschen Philosophie“ sich anzueignen, so ist doch bis jetzt nichts Gescheidtes dabei herausgekommen, aus demselben Grunde, weßhalb in Deutschland dieses Aneignen von Resultaten, fehl schlug.

Der Mensch muß mit sich anfangen, mit dem Ich, wenn er schaffen, thätig sein will. – Wie die alte Geschichte, die Naturgeschichte, mit dem ersten Menschen anfing, so muß auch die neue, die Geschichte des Geistes, mit dem ursprünglichen Individuum anfangen. Cartesius hat einen unglücklichen Versuch gemacht – er ist, wie wir gesehen haben, beim zweiten Worte gescheitert. Spinoza hat Alles gethan, aber die Geschichte hat sich nicht sogleich seiner That bemeistert; seine Ethik lag mehrere Jahrhunderte Unfruchtbar im Boden, bis endlich das zweischneidige Schwert der geistigen und sozialen Revolution den Schutt wegräumte, der den Keim der Neuzeit erdrückte. Da zeigten sich plötzlich zwei Blättchen, deren Wurzel unbekannt. Atheismus und Kommunismus wurden von Fichte und Babeuf in den beiden Hauptstädten diesseits und jenseits des Rheins, in Berlin und Paris, zum Schrecken der Philister gelehrt, und Jünger strömten herbei, die sich für die Lehre begeisterten. Atheismus und Kommunismus!Besehen wir uns das neue Pflänzchen.

Das Furchtbare desselben ist seine scheinbare Bodenlosigkeit. Die Anarchie, auf welche sich die beiden Erscheinungen, Atheismus und Kommunismus, zurückführen lassen, die Negation aller Herrschaft, im geistigen wie im sozialen Leben, erscheint zunächst als schiechthinige Vernichtung aller Bestimmung, mithin aller Wirklichkeit. Aber es ist in der That nur das äußerliche Bestimmtwerden, die Herrschaft des Einen über den Ändern, was die Anarchie aufhebt. Die Selbstbestimmung wird hier so wenig negirt, daß vielmehr deren Negation (die durch das Bestimmtwerden von Außen gesetzt) wieder aufgehoben wird. Die durch den Geist geschaffene Anarchie ist nur eine Negation der Beschränktheit, nicht der Freiheit, Nicht die Schranken, die der Geist sich selber setzt, werden in der Anarchie aufgehoben –denn die Schranken, welche der Geist sich selber setzt, bilden den Inhalt seiner freien Thätigkeit – also dieses Sichsetzen, Sichbestimmen oder Sichbeschränken ist es nicht, was vom freien Geiste negirt werden kann, sondern das Beschränktwerden von Außen. Wenn ich eine Macht außer oder über meinem Ich glaube, so bin ich von Außen beschränkt. Wenn ich dagegen das Objekt denke, selbstbewußt nach dem Gesetze meines Geistes erzeuge, so beschränke ich mich selber, ohne von Außen beschränkt zu werden. Ebenso kann ich im sozialen Leben mich selber bestimmen, in dieser oder jener bestimmten Weise thätig sein, ohne eine äußere Schranke meiner Thätigkeit anzuerkennen – ohne einem Ändern das Recht einzuräumen, mich zu beschränken. – Wie nun, wenn aller Kommunismus und Atheismus, alle Anarchie darauf hinausliefe, die äußerlichen Schranken in Selbstbeschränkung, den äußern Gott in den innern, das materielle Eigenthum in geistiges umzuschaffen? – Das klänge schon minder schrecklich, ist aber gerade das, was die Atheisten, Kommunisten und Anarchisten wollen, wollen müssen, da sie nichts Unmögliches wollen können.

Erkennen wir inzwischen an, daß die Anarchisten nicht sogleich das volle Bewußtsein dessen hatten, was sie wollten. Das aus der Revolution hervorgegangene freie Individuum hat nicht seine Schranken, sondern zunächst seine Schrankenlosigkeit, nicht seine Selbstbestimmung, sondern seine Bestimmungslosigkeit, sein Unbestimmtsein begriffen. Es erkannte noch nicht, daß die wahre Negation des Bestimmtwerdens von Außen die Selbstbestimmung von Innen heraus sei. Die Folge davon war, daß es nicht zur Ueberwindung der äußern Schranken kommen konnte, daß die Anarchie vielmehr wieder in ihr Gegentheil, in die Herrschaft des Einen über den Ändern umschlug. Man mußte wieder die äußere Schranke, das materielle Eigenthum, die absolute Verschiedenheit der Individuen toleriren, weil man nicht verstand, sich selbst zu beschränken, seine Thätigkeit selbst zu bestimmen, das Ich in seinem Anderswerden, die Thätigkeit in ihrem Fürsichsein geistig zu erfassen. Die Terroristen und Babeufisten schrien über Verrath der Revolution, während zwei tiefsinnige Männer, weiche erkannten, was dieser Verrath nothwendig erzeugen mußte, St. Simon und Fourier, sich bemühten, dem Uebel abzuhelfen, indem sie die Schrankenlosigkeit der sozialen Thätigkeft, welche den Gegensatz der Individualitäten schärfer hervortreten ließ, als je zuvor, zu bestimmen, zu beschränken, wieder neu zu „organisiren“ strebten. – In ähnlicher Weise entsetzten sich die Kantianer und Idealisten, während Schelling und Hegel schon darauf sannen, wie die negirte objektive Welt wieder herzustellen sei. – Aber in diesem Restaurationseifer verkannte man andererseits wiederum das Wesen der Revolution. St. Simon nahm die persönliche Autorität, Fourier das materielle Eigenthum, Schelling das Gefühl und Hegel das Sein zu Hülfe, um die objektive Welt wieder herzustellen – alles äußerliche, vom modernen Geiste längst negirte Bestimmungen. – Endlich begann, in Deutschland, wie in Frankreich, im Mikrokosmus der Nationen, wie im Mikrokosmus der Individuen, die bekannte neue Bewegung, die Rückkehr zum Ausgange der Revolution; der Restaurationskönig wurde vertrieben, Hegel, der Restaurationsphilosoph, starb an der Cholera morbus, die Philosophen und Sozialisten der alten Schule flackerten noch einmal auf und flackern theilweise noch immer fort, ohne ursprüngliches Licht schaffen zu können; man kommt endlich auf die ersten Helden der Revolution, in Frankreich auf Babeuf, in Deutschland auf Fichte zurück, um mit dem Anfange anzufangen und ohne Sprung fortzuschreiten. Proudhon geht von der Anarchie, die deutsche Philosophie vom Selbstbewußtsein aus. In Deutschland wird wieder der Atheismus, in Frankreich der Kommunismus gelehrt; aber man bleibt nicht mehr bei der Bestim-mungslosigkeit stehen; das dialektische Moment hat Proudhon, wie Feuerbach, aufgenommen, ohne es zur Wiederherstellung der alten, äußerlichen, negirten Objektivität zu gebrauchen. Auf dieser Bahn muß fortgefahren werden, so wird endlich die Freiheit errungen.

Die Freiheit ist die Ueberwindung der äußern Schranke durch Selbstbeschränkung, das Selbstbewußtsein des Geistes als Thätiges, die Aufhebung der Natürbestimmtheit in Selbstbestimmung. Die ganze bisherige Geschichte war, was das soziale Leben und das Denken betrifft, eben so die Naturgeschichte des Geistes, wie Alles, was wir objektive, materielle oder Körperwelt nennen, nichts Anderes, als diese seine Naturgeschichte ist. – Der Unterschied der Geschichte der Menschheit von der Naturgeschichte im eigentlichen Sinne ist nur der, daß in der Natur jede Selbstbeschränkung des Geistes fixirt, der Gegensatz, in den der Geist zu sich selbst tritt, ein bleibender, während in der Menschheit jede Selbstbeschränkung des Geistes nur eine Entwickelungsstufe und darüber hinausgegangen wird. Die wahre Geschichte des Geistes beginnt erst da, wo alle Naturbestimmtheit aufhört, der Geist entwickelt, das Selbstbewußtsein reif und die Geistesthat klar erkannt ist. Mit dieser Erkenntniß beginnt das Reich der Freiheit, an dessen Pforten wir stehen und anklopfen. Diese Erkenntniß ist der wahre Himmelsschlüssel, der uns lange genug von dem römischen Bischof vorenthalten wurde. Die deutsche Kirchenreformation hat zuerst den Arm nach ihm ausgestreckt, aber ihr Arm war nicht lang genug. Doch die Reformation wuchs heran zur deutschen Philosophie, und neben ihr entstand die französische Revolution. Mit diesen beiden Armen entreißen die europäischen Völker ihren Vormündern den Schlüssel, das ist gewiß! – Vereinigung der Bestrebungen ist jetzt die Hauptsache. Es gibt nur Eine Freiheit, wie es nur Einen Geist gibt.

Der Mittelpunkt der sozialen und Geistesfreiheit ist die Sittlichkeit, das höchste Gut, die „Erkenntniß Gottes“, wie sich Spinoza, oder das Selbstbewußtsein des „absoluten Geistes“, wie sich die Hegelianer uneigentlieh ausdrücken. Es ist das Bewußtsein des Geistes von seiner Sichselbstgleichheit in seinem Sichandereswerden, die Ueberwindung des Anderessein als Fixes, die Umwandlung der Naturbestimmtheit in Selbstbestimmung. Ohne dieses ist keine Gleichheit, mithin keine Freiheit möglich. An sich ist freilich Alles Eins, Alles also gleich. Aber dieses beweist zu viel, beweist mithin gar nichts. Wenn Alles gleich, so ist auch die Pflanze, das Thier dem Menschen gleich, und Heine, der abstrakte Pantheist, könnte mit vollem Rechte, von dem ironischen Gesichtspunkte des Atta Troll ausgehend, die Freiheit und Gleichheit der Menschen (welche Aristokraten gegen die Thiere sind) persifliren, indem er den Kommunismus vom Bären, den Menschen gegenüber, vertreten läßt. – Nicht nur das Streben nach Freiheit, nicht nur der Kommunismus, sondern jedes ernste Streben der Menschen, jede sittliche That ist lächerlich, wenn Alles Eins ist. – Wer keine andere Freiheit als die Schrankenlosigkeit, keine andere Gleichheit als das Nivellement kennt – Pantheismus und Kommunismus im Sinne des Spiritualismus – wer die Einheit nur als Negation der Verschiedenheit,auffaßt und zum Idealismus nur durch den Materialismus gelangt, wie die Christen dazu gelangt sind; wer nicht über die abstrakte Anarchie zu gelangen vermag, wie die Radikalen vom Schlage Heine’s – dieser letzte Ritter der modernen Romantik, dieser Verwesungsprozeß des Mittelalters – der muß jeden Augenblick in sein Gegentheil umschlagen und zuletzt die Welt für verrückt erklären,- weil er selbst verrückt geworden. – Es ist eine moralische Verrücktheit, dieselbe, in welche die Welt verfiel, als sie, zur Zeit Christi, an sich selbst irre wurde, die irdischen Interessen negirte und die himmlischen proklamirte. Kommunismus und Anarchie tauchten auch damals auf, nämlich Bärenkommunismus, Freiheit als Schrankenlosigkeit, wo die Weltlichkeit oder die Staatsmacht zur Geistlichkeit wurde. Man würde, wie bereits gesagt, die Geschichte des Mittelalters wieder neuerdings beginnen, wenn man bei dem abstrakten Kommunismus und Idealismus stehen bliebe. Aber diesem ist nicht nur in der Religionsgeschichte, sondern auch philosophisch, nicht nur in der Staatengeschichte, sondern auch durch den Sozialismus sein Recht widerfahren. Die deutsche Philosophie ist bereits über den Idealismus Fichte’s, wie der französische Sozialismus über den Kommunismus Babeufs hinausgegangen. Man hat die Geschichte des Mittelalters schon wieder geistig durchlebt. Wir sägen nicht mehr: es ist Alles Eins; wir sagen nicht mehr: es ist Alles gleich – eben so wenig, wie wir sagen: es ist Alles entgegengesetzt, Alles verschieden – sondern der Geist macht Alles entgegengesetzt und Eins, verschieden und gleich; er schafft sich sein Gegentheil, das Andere, die Welt, das Leben, um jedesmal über diese Bestimmung, Beschränkung seiner selbst hinaus zu gehen, zu sich selbst zurück zu kehren und zu erkennen, daß es sein Gegentheil, seine That, sein Leben ist, um sich selbst, mit ändern Worten, als lebender oder thätiger zu begreifen, nicht materiell zu erfassen und festzuhalten, wodurch die freie That objektive Thatsache, die ihn beschränkte, das geistige Fürsichsein materielles Eigenthum würde, das seine Sichselbstgleichheit; seine Sittlichkeit aufhebt, seine Freiheit negirt, den Fluß seines Lebens, seiner Bewegung hemmt, und fixirt. – Das materielle Eigenthum ist das zur fixen Idee gewordene Fürsichsein des Geistes. Weil er die Arbeit, das Ausarbeiten oder Hinausarbeiten seiner selbst nicht als seine freie That, als sein eignes Leben geistig begreift, sondern als ein materiell Anderes erfaßt, muß er’s auch für sich fest halten, um sich nicht in’s Endlose zu verlieren, um zu seinem Fürsichsein zu kommen. Eigenthum hört aber auf, dasjenige dem Geiste zu sein, was es sein soll, nämlicli sein Fürsichsein, wenn nicht die That im Schaffen, sondern das Resultat, die Schöpfung als das Fürsichsein des Geistes – das Phantom, die Vorstellung des Geistes, als sein Begriff, kurz, sein Anderssein als sein Fürsichsein erfaßt und mit beiden Händen festgehalten wird. Es ist eben die Seinsucht, die Sucht nämlich, fortzubestehen als bestimmte Individualität, als beschränktes Ich, als endliches Wesen – die zur Habsucht führt. Es ist wiederum die Negation aller Bestimmtheit, das abstrakte Ich und der abstrakte Kommunismus, die Folge des leeren „Ding an sich“, des Kritizismus und der Revolution, des unbefriedigten Sollens, was zum Sein und Haben geführt. So wurden aus den Hülfszeitwörtern Hauptwörter. So wurden aus allen Zeitwörtern Hauptwörter, und so wurde, was zur wandelnden Peripherie gehört, zum bleibenden Mittelpunkt gemacht; ja, so wurde die Welt auf den Kopf gestellt!

Freiheit ist Sittlichkeit, Vollziehung des Gesetzes des Lebens überhaupt, der geistigen Thätigkeit, sowohl im engern Sinne, wo die That Idee, wie im weitern, wo die Idee That genannt wird, mit klarem Bewußtsein desselben, also nicht aus Näturnothwendigkeit oder Naturbestimmtheit, wie bis-heran in dem Leben aller Kreatur geschehen ist, sondern aus Selbstbestimmung. – Ohne diese Sittlichkeit ist kein Zustand der Gemeinschaft denkbar, aber ohne Gemeinschaft auch keine Sittlichkeit. Das Räthsel, wie aus dem geschlossenen Kreise der Knechtschaft hinausgegangen werden kann, löst der Geist, er allein, durch dialektischen Fortschritt, durch seine Geschichte. Die Geschichte hat bereits den geschlossenen Kreis der Knechtschaft durchbrochen. Die Revolution ist der Durchbruch aus der Gefangenschaft, Gefangenheit und Befangenheit, in welcher sich der Ge.ist befand, bevor er selbstbewußt. Die Anarchie hat freilich zunächst nur, wie wir sahen, die äußere Schranke durchbrochen, ohne zur Selbstbestimmung oder Selbstbeschränkung, zur Sittlichkeit fortzuschreiten. Aber die Revolution ist noch unvollendet, und sie weiß, daß sie unvollendet. Aber die Anarchie konnte nidht bei dem Anfange stehen bleiben, und sie ist wirklich nicht dabei stehen geblieben. Und indem wir, Kinder der Revolution, über sie hinaus zur Sittlichkeit fonschreiten, so ist eben das Räthsel gelöst. – Die Vorläufer der Revolution haben diese Lösung des Räthsels geahnt. Montesquieu schon sagte, die Republik sei nicht möglich ohne Tugend. Die Vorläufer der Revolution hatten, wie aus diesem Ausspruche sowohl, als aus manchen ändern von Andern, z.B. von Jean Jacques Rousseau, deutlich genug hervorgeht, eine Ahnung vom Zustande der Gemeinschaft und der Sittlichkeit, deren Reich beginnt. Aber sie erkannten diesen Zustand nicht und griffen, in Ermangelung von klaren, bestimmten, inhaltvollen Ideen, zu Worten, die vergangenen Zuständen angehörten, und glaubten damit dasjenige zu bezeichnen, was werden sollte. – Das Wort Tugend war bis jetzt ein unbegriffenes Symbol, eben so das Wort Republik. Res publica und virtus sind inhaltlose Worte, wie der Zustand, den sie bezeichneten, ein inhaltloser war! Ihr Inhalt mußte erst durch die Geschichte herausgebildet werden. Unsere Sittlichkeit ist eine andere als die Tugend der Alten, unsere Freiheit nicht die ihrige – wie sollte der zukünftige soziale Zustand dem alten gleichen? – Die alten Zustände sind längst negirt, das Christenthurn ist schon über sie hinaus gegangen, und das Mittelalter über das Christenthum. Montesquieu hat in der Politik einen ähnlichen Fehler begangen, wie Luther, der Vorläufer der deutschen Philosophie, in der Religion. Die Revolution wollte in ihrem noch blinden Triebe den Urstaat rehabilitiren, wie die Reformation das Urchristenthum, während die Geschichte längst über diese Urzustände hinausgegangen. Das kam daher, weil sie das Bewußtsein der Ausartung, der Abirrung hatten, aber nicht wußten, daß der Irrthum der Durchgang sei von der Bewußtlosigkeit zum selbstbewußten Geiste. Jeder Urzustand ist ein unentwickelter Keim, der verwesen muß, um zum lebensvollen Baume, zur kraft- und saftvollen Frucht zu werden. Wer den Urzustand, der will die Geschichte wieder ganz von vorn anfangen. – Das wollen wir schönstens bleiben lassen, und müssen’s wohl! Was wir wollen, ist etwas Nagelneues, wa,s noch gar nicht da gewesen. Darum müssen wir es erst entwickeln. Freiheit und Gleichheit sind schöne Worte. Wir haben uns für sie geschlagen, für sie geopfert, und wir wollen für sie wieder auferstehen und einstehen!




Fußnoten

1. Aus der Einleitung zu einem später erscheinenden, größern Werke.

2. Man sehe die Kritik der Stein’schen Schrift: Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs im letzten Quartal-Heft der Rheinischen Zeitung.

 


Zuletzt aktualisiert am 16 October 2009