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<119> In Werner Sombart ist Marx kürzlich (39) ein ebenso warmer als geistvoller Apologet erstanden, dessen Apologie indes einen eigentümlichen Zug aufweist. Um nämlich die Lehre von Marx verteidigen zu können, hat er ihr erst eine neue Deutung untergelegt.
Gehen wir unmittelbar auf die Hauptsache los. Sombart gesteht zu und steuert selbst sehr scharfsinnige Beweisgründe dafür bei (40), daß das Marxsche Wertgesetz falsch ist, wenn man es mit dem Anspruche behauptet, daß es der empirischen Wirklichkeit entspreche. Er sagt vom Marxschen Werte (S. 573), daß er „in dem Austauschverhältnis der kapitalistisch produzierten Waren nicht in die Erscheinung tritt“, daß er „nicht etwa den Punkt bezeichnet ...‚ nach dem die Marktpreise gravitieren“, daß er „ebensowenig eine Rolle etwa als Distributionsfaktor bei der Aufteilung des gesellschaftlichen Jahresproduktes spielt“, daß er überhaupt „nirgends in die Erscheinung tritt“ (S. 577). Der „gescheuchte Wert“ hat vielmehr nur „eine Zufluchtstätte: das Denken des ökonomischen Theoretikers ... Will man ein Schlagwort zur Charakteristik des Marxschen Wertes haben, so ist es dieses: sein Wert ist keine empirische, sondern eine gedankliche Tatsache“ (S. 574).
Was diese „gedankliche Existenz“ im Sinne Sombarts bedeuten soll, <120> werden wir sofort sehen. Vorher müssen wir aber noch einen Moment bei dem Geständnis stehen bleiben, daß der Marxsche Wert in der tatsächlichen Erscheinungswelt keine Existenz hat. Ich bin einigermaßen gespannt, ob die Marxisten dieses Zugeständnis ratifizieren werden. Man darf es billig bezweifeln, da ja Sombart selbst schon eine Stimme aus dem Marxschen Lager zitieren mußte, die durch eine Äußerung C. Schmidts veranlaßt, im voraus gegen eine solche Auffassung protestiert hat. „Das Wertgesetz ist nicht ... ein Gesetz unseres Denkens; ... das Wertgesetz ist vielmehr sehr realer Natur, es ist ein Naturgesetz menschlichen Handelns.“ (41) Auch ob Marx selbst dieses Zugeständnis ratifiziert hätte, halte ich für sehr fragwürdig. Wiederum ist es Sombart selbst, der mit anerkennenswerter Offenheit dem Leser eine ganze Reihe Marxscher Stellen vorlegt, welche diese Deutung erschweren (42). Ich für meine Person halte dieselbe mit dem Wortlaut und mit dem Geiste der Marxschen Lehre für geradezu unvereinbar.
Man lese doch nur mit Unbefangenheit die Ausführungen, in denen Marx seine Werttheorie entwickelt. Seine Untersuchung beginnt ausgesprochenermaßen auf dem Boden „der kapitalistisch organisierten Gesellschaften, deren Reichtum eine ungeheuere Warensammlung ist“, mit der Analyse der Ware (I. 9) [MEW 23, S. 49]. Um dem Wert „auf die Spur zu kommen“, geht er vom Austauschverhältnis der Ware aus. Vom wirklichen Austauschverältnis, frage ich, oder von einem erträumten? Hätte er das letztere gesagt oder gemeint, hätte es wohl kein Leser der Mühe wert gefunden, eine so mäßige Spekulation weiter zu verfolgen. In der Tat bezieht er sich, wie es ja auch gar nicht anders sein konnte, im bestimmtesten Tone auf die Erscheinungen der wirklichen Wirtschaftswelt. Das Austauschverhältnis zweier Waren, sagt er, ist stets darstellbar in einer Gleichung, z. B. 1 Quarter Weizen = a Ztr. Eisen. „Was besagt diese Gleichung? Daß ein Gemeinsames von derselben Größe in beiden Dingen existiert, und jedes der beiden, soweit als Tauschwert, muß auf dieses dritte reduzierbar sein“, welches dritte, wie wir auf der nächsten Seite erfahren, Arbeit von gleicher Menge ist.
Wenn man in diesem Tone spricht, daß in den im Austausch einander gleichgesetzten Dingen Arbeit gleicher Menge existiert, und daß dieselben auf gleiche Arbeitsmengen reduzierbar sein müssen, so erhebt man doch wohl den Anspruch, daß die hier ausgesagten Beziehungen nicht bloß in Gedanken, sondern in der wirklichen Welt sich vorfinden. Man vergegenwärtige sich nur: Marx' damalige Argumentation wäre ja doch ganz unmöglich gewesen, wenn er daneben für die wirklichen Austauschverhältnisse die Lehrmeinung aufstellen wollte, daß grundsätzlich sich Produkte von ungleichen Arbeitsmengen gegen einander vertauschen. <121> Hätte er diesem Gedanken Raum gegeben – und daß er ihm nicht Raum gegeben hat, darin liegt ja eben die Entzweiung mit den Tatsachen, die ich ihm zum Vorwurf mache -‚ so hätte ja seine Schlußfolgerung ganz anders ausfallen müssen. Entweder hätte er erklären müssen, daß die sogenannte Gleichsetzung im Austausch keine rechte Gleichung ist und nicht den Schluß auf das Vorhandensein eines „Gemeinsamen von derselben Größe“ in den vertauschten Dingen gestattet, oder er hätte schließen müssen, daß das gesuchte Gemeinsame von gleicher Größe nicht die Arbeit ist und sein kann! Unmöglich hätte er aber so zu schließen fortfahren können, wie er es getan hat!
Und auch im folgenden spricht Marx bei zahllosen Gelegenheiten im tatsächlichen Tone davon, daß sein „Wert“ den Austauschverhältnissen zu Grunde liegt, und zwar so, daß Produkte der gleichen Arbeitsmenge, daß „Äquivalente“ gegen einander vertauscht werden. (43) Er reklamiert an vielen, zum Teil auch von Sombart selbst (44) zitierten Stellen für sein Wertgesetz den Charakter und auch die Macht eines Naturgesetzes, das sich in der tatsächlichen Welt „gewaltsam durchsetzt wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopfe zusammenpurzelt“. (45) Selbst im dritten Bande entwickelt er ganz ausdrücklich die tatsächlichen Bedingungen (sie laufen auf eine lebhafte beiderseitige Konkurrenz hinaus, S. oben), die gegeben sein müssen, „damit die Preise, wozu Waren sich gegen einander austauschen, ihren Werten annähernd entsprechen“, und gibt dazu noch die Erläuterung, dies <122> „bedeute natürlich nur, daß ihr Wert der Gravitationspunkt ist, um den ihre Preise sich drehen“ (III. 156 fg.) [MEW 25, S. 187].
Nur nebenbei sei bemerkt, daß Marx auch oft ältere Schriftsteller zustimmend zitiert, die den Satz, daß der Tauschwert der Güter durch die ihnen verkörperte Arbeit bestimmt werde, behauptet und zwar zweifellos als einen den wirklichen Austauschverhältnissen entsprechenden Satz behauptet hatten. (46)
Sombart selbst registriert ferner eine Beweisführung von Marx, in der er „empirische“ und „historische“ Wahrheit für sein Wertgesetz ganz ausdrücklich in Anspruch nimmt (III. 155 im Zusammenhange mit III. 175 fg.) [MEW 25, S. 185 f. u. S. 205]
Und endlich: welche Bedeutung hätten denn die von uns geschilderten krampfhaften Bemühungen Marx’, darzutun, daß trotz der Theorie der Produktionspreise sein Wertgesetz die faktischen Austauschverhältnisse beherrsche, indem es einerseits die „Bewegung der Preise“ und andererseits die Produktionspreise selbst reguliere, wenn er seinem Wertgesetze nur eine gedankliche und nicht eine tatsächliche Geltung hätte vindizieren wollen?
Kurz, ich glaube, Marx hat seine Arbeitswerttheorie in dem anspruchsloseren Sinn, welchen Sombart ihr jetzt beilegen will, weder selbst gelehrt, noch auch lehren können, wenn das Gewebe logischer Schlußfolgerungen, auf welches er seine Theorie gründet, einen halbwegs vernünftigen Sinn haben sollte. Übrigens ist das eine Angelegenheit, über die sich Sombart mit den Anhängern der Marxschen Lehre auseinandersetzen mag. Für diejenigen, welche die Marxsche Werttheorie für verfehlt halten, wie ich, ist sie vollständig belanglos. Denn entweder hat Marx sein Wertgesetz in dem anspruchsvollen Sinne behauptet, daß es der Wirklichkeit entspreche – dann quittieren wir zustimmend die Erklärung Sombarts, daß es in diesem Sinne behauptet falsch ist. Oder Marx hat ihm eine tatsächliche Geltung selbst nicht zugeschrieben – dann läßt sich meines Erachtens überhaupt kein Sinn konstruieren, in welchem es eine wissenschaftlich belangreiche Existenz führen könnte. Es ist praktisch und theoretisch eine Null.
Hierüber ist allerdings Sombart anderer Meinung. Indem ich einer ausdrücklichen Einladung dieses geistvollen Gelehrten, der von einem frischen, „fröhlichen“ Kampf der Meinungen das Beste für den Fortschritt der Wissenschaft erwartet, gerne Folge leiste, bin ich mit Vergnügen bereit, mich auch über diesen Punkt mit ihm auseinanderzusetzen. Ich tue dies allerdings mit dem Bewußtsein, mich hiermit nicht mehr auf den Boden der „Marx-Kritik“, die er mich auf Grundlage der neuen Deutung zu revidieren einlud, zu bewegen, sondern ausschließlich „Sombart-Kritik“ zu treiben.
Was soll denn die Existenz des Wertes als „gedanklicher Tatsache“ <123> bei Sombart bedeuten? Sie soll bedeuten, daß „der Wertbegriff ein Hilfsmittel unseres Denkens ist, dessen wir uns bedienen, um die Phänomene des Wirtschaftslebens uns verständlich zu machen“. Genauer bestimmt, die Leistung der Wertvorstellung ist, „uns die als Gebrauchsgüter qualitativ verschiedenen Waren in quantitativer Bestimmtheit erscheinen zu lassen. Es ist klar, daß ich dieses Postulat erfülle damit, daß ich Käse, Seide und Stiefelwichse als Nur-Produkte abstrakt menschlicher Arbeit denke und sie als Arbeitsmengen, deren Größe durch das in ihnen enthaltene dritte, in Zeitlängen meßbare Gleiche bestimmt wird, nur quantitativ aufeinander beziehe“. (47)
So weit ist, bis auf ein gewisses Häkchen, alles in Ordnung. Gewiß ist es an sich statthaft, für bestimmte wissenschaftliche Zwecke von allerlei Verschiedenheiten zu abstrahieren, welche die Dinge in der einen oder der anderen Richtung aufweisen, und sie nur nach einer einzigen Eigenschaft in Betracht zu ziehen, die ihnen gemeinsam ist, und deren Gemeinsamkeit den Boden für Vergleichbarkeit, Kommensurabilität u. s. w. abgibt. Ganz ebenso abstrahiert ja z. B. die mechanische Dynamik mit Recht für viele ihrer Probleme gänzlich von der verschiedenen Form, Farbe, Dichte, Struktur der bewegten Körper und sieht in ihnen nichts als Massen: gestoßene Billardkugeln, fliegende Kanonenkugeln, laufende Kinder, fahrende Eisenbahnzüge, stürzende Steine, im Weltraum dahineilende Weltkörper, kommen dann lediglich als bewegte Massen in Betracht. Nicht minder kann es also gestattet und zweckmäßig sein, sich Käse, Seide und Stiefelwichse als „Nur-Produkte abstrakt-menschlicher Arbeit“ vorzustellen.
Das Häkchen fängt damit an, daß Sombart für diese Vorstellung mit Marx den Namen Wertvorstellung in Anspruch nimmt. Dieser Vorgang läßt – um ganz erschöpfend vorzugehen – denkbarer Weise zwei Auslegungen zu. Bekanntlich dient der Name Wert in seinen beiden Nuancen von Gebrauchswert und Tauschwert bereits sowohl in der wissenschaftlichen als in der Volkssprache zur Bezeichnung ganz bestimmter Phänomene. Jene Namengebung kann nun entweder mit dem Anspruch erfolgt sein, daß die allein in Betracht gezogene Eigenschaft der Dinge, Arbeitsprodukt zu sein, das maßgebende Moment für die Werterscheinungen im sonst üblichen wissenschaftlichen Sinne, also z. B. für die Tauschwerterscheinungen darstelle; oder jene Namensgebung kann ohne diesen Hintergedanken, als eine rein willkürliche Benennung erfolgt sein, für welche Benennungen es ja leider kein strenges, erzwingbares Gesetz, sondern nur Zweckmäßigkeit und Takt als Richtschnur gibt.
Würde die zweite Auslegung zutreffen, würde also die Benennung der „verkörperten Arbeit“ als „Wert“ nicht mit dem Anspruch verknüpft, daß verkörperte Arbeit das Wesen des Tauschwertes ist, dann wäre die Sache recht harmlos. Es läge nichts vor als eine <124> vollkommen statthafte Abstraktion, verbunden mit einer allerdings möglichst unpraktische; unzweckmäßtgen, Irreführenden Nomenklatur. Es wäre etwa so, als wenn es einem Physiker plötzlich einfallen würde, die verschiedenen Körper, die er unter Abstraktion von Form, Farbe, Struktur etc. bloß als Massen auffaßt, als „lebendige Kräfte“ zu bezeichne; welcher Name bekanntlich schon ein festes Bürgerrecht in dem Sinne besitzt, daß er eine Funktion von Massen und Geschwindigkeiten, also etwas von der bloßen Masse recht Verschiedenes bezeichnet. Immerhin läge hier nicht wissenschaftlicher Irrtum, sondern nur eine (freilich praktisch recht gefährliche) grobe Unzweckmäßigkeit in der Nomenklatur vor.
Aber so steht die Sache in unserem Falle augenscheinlich nicht; nicht bei Marx, aber auch nicht bei Sombart. Und damit fängt unser Häkchen an zu wachsen.
Mein geehrter Gegner wird mir sicherlich zugestehen, daß man nicht jede beliebige Abstraktion für jeden beliebigen wissenschaftlichen Zweck machen darf. Es wäre z. B. offenbar unzulässig, die für gewisse dynamische Probleme gerechtfertigte Auffassung der verschiedenen Körper als „Nur-Massen“ auch der Betrachtung der optischen oder akustischen Probleme zu Grunde zu legen. Auch innerhalb der mechanischen Dynamik selbst ist es sicherlich unzulässig, an der Abstraktion von Form und Aggregationszustand z. B. auch bei der Entwickelung des Gesetzes des Keiles festzuhalten. An diesen Beispielen zeigt sich, daß in der Wissenschaft auch die „Gedanken“ und die „Logik“ sich nicht ganz ungebunden von den Tatsachen entfernen dürfen. Auch für sie gilt der Satz: „Est modus in rebus, sunt certi denique fines“. Und diese „bestimmten Grenzen“ glaube ich, ohne einen Widerspruch meines geschätzten Gegners besorgen zu müssen, dahin bezeichnen zu könne; daß man jeweils nur von jenen Besonderheiten abstrahieren darf, welche für die der Erforschung zu unterziehende Erscheinung irrelevant sind, nota bene wirklich, tatsächlich irrelevant sind. Man muß dagegen in dem der ferneren Betrachtung zu unterziehenden Reste, gleichsam dem Vorstellungsskelett, alles belassen, was in der konkreten Richtung tatsächlich relevant ist.
Ziehen wir die Anwendung auf unseren Fall.
Die Marxsche Lehre legt in der nachdrücklichsten Weise die Auffassung der Waren als „Nur-Produkte“ der wissenschaftlichen Erforschung und Beurteilung der Austauschverhältnisse der Warennicht zu Grunde. Sombart billigt das und geht sogar, in etwas unbestimmten Ausdrücken, über die ich, gerade wegen ihrer Unbestimmtheit, mit ihm nicht weiter rechten will, so weit, die Grundlagen des ganzen „wirtschaftlichen Daseins“ der Menschen im Lichte jener Abstraktion zu betrachten. (48).
Daß die verkörperte Arbeit in der ersten oder gar in der zweiten <125> Richtung das allein Relevante ist, wagt nun Sombart selbst gar nicht einmal zu behaupten. Er begnügt sich mit der Behauptung, daß mit jener Auffassung die „ökonomisch objektiv relevanteste Tatsache“ hervorgehoben wird. (49) Diese Behauptung will ich gar nicht bestreiten. Nur darf man ihr nicht etwa die Bedeutung beilegen wollen, als ob die anderen neben der Arbeit relevanten Tatsachen von einer so tief untergeordneten Bedeutung wären, daß sie wegen ihrer Geringfügigkeit ganz oder fast ganz vernachlässigt werden können. Nichts wäre falscher als das. Für das wirtschaftliche Dasein der Menschen ist es z. B. in sehr hohem Grade relevant, ob das Land, das sie bewohnen, mehr der Rheinebene, oder aber der Sahara oder Grönland gleicht; und auch das ist von gewaltiger Bedeutung, ob die Arbeit der Menschen von einem von früher her aufgesammelten Gütervorrat unterstützt wird, ein Moment, welches sich auch nicht ganz rein in Arbeit allein auflösen läßt. Vollends in Bezug auf die Austauschverhältnisse ist für manche Güter, wie z. B. für alte Eichenstämme, für Kohlenlager, für Grundstücke, die Arbeit ganz gewiß der objektiv relevanteste Umstand; und wenn letzteres auch für die Hauptmasse der Waren zugegeben werden kann, so muß doch nachdrücklich hervorgehoben werden, daß auch die anderen, neben der Arbeit maßgebenden Faktoren einen so bedeutenden Einfluß ausüben, daß sich die faktischen Austauschverhältnisse doch ganz erheblich von derjenigen Linie entfernen, welche der verkörperten Arbeit allein entsprechen würde.
Ist aber für die Austauschverhältnisse und den Tauschwert die Arbeit nicht der allein relevante, sondern nur ein relevanter Faktor, wenn auch der stärkste, neben anderen, gleichsam ein primus inter pares, dann ist es nach dem Vorausgeschickten einfach unrichtig und unerlaubt, eine auf den Tauschwert gemünzte „Wertvorstellung“ auf die Arbeit allein zu basieren; gerade so unrichtig und unerlaubt, als wenn ein Physiker die „lebendige Kraft“ auf die Masse der Körper allein basieren und die Geschwindigkeit derselben durch Abstraktion aus seinem Kalkül ganz eliminieren wollte.
Ich bin wirklich erstaunt, daß Sombart dies nicht gesehen oder empfunden hat, um so mehr, als er bei der Formulierung seiner Meinung zufälligerweise Ausdrücke anwendet, die, ich möchte sagen, von so herausfordernder Inkongruenz mit seinen eigenen Prämissen sind, daß man meinen möchte, er hätte über diese offensichtige Inkongruenz stolpern müssen. Er ist davon ausgegangen, daß der Charakter der Waren als Produkte gesellschaftlicher Arbeit die ökonomisch objektiv relevanteste Tatsache in ihnen darstelle, begründet dies damit, daß die Versorgung der Menschen mit wirtschaftlichen Gütern, „die Naturbedingungen gleich gesetzt“, in der Hauptsache von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit abhängig sei, und zieht daraus den Schluß, daß diese Tatsache in der auf die Arbeit allein <126> gegründeten Wertvorstellung ihren „adäquaten“ ökonomischen Ausdruck finde. Er wiederholt diesen Gedanken auf S. 576 und 577 in etwas verschiedener Redewendung zweimal, wobei aber der Ausdruck „adäquat“ jedesmal unverändert wiederkehrt.
Ich frage nun: Ist es nicht im Gegenteile offenbar, daß die auf Arbeit allein gegründete Wertvorstellung der Prämisse, daß die Arbeit bloß die relevanteste unter mehreren relevanten Tatsachen ist, nicht adäquat ist, sondern über sie weit hinausgeht? Sie wäre nur adäquat, wenn als Prämisse hätte behauptet werden dürfen, daß die Arbeit die allein relevante Tatsache ist. Das hat aber Sombart gar nicht behauptet. Seine Behauptung besagt nur, daß die Arbeit viel, daß sie mehr als jeder andere Faktor für die Austauschverhältnisse und für das ganze menschliche Dasein bedeutet, und für diesen Tatbestand ist die Marxsche Wertformel, nach welcher die Arbeit allein alles bedeutet, doch gewiß ebensowenig ein adäquater Ausdruck, als es adäquat wäre, für 1 + ½ + ¼ eins allein zu setzen!
Die Behauptung von der „adäquaten“ Wertvorstellung ist aber nicht allein tatsächlich unzutreffend, sondern hinter ihr lauert, wie mir scheint – bei Sombart sicherlich unbewußt – ein wenig auch der Schalk. Sombart hat nämlich mit dem ausdrücklichen Zugeständnis, daß der Marxsche Wert eine Probe auf die Tatsachen nicht verträgt, für den „gescheuchten Wert“ ein Asyl im „Denken des ökonomischen Theoretikers“ reklamiert. Aus diesem Schutzbezirk macht er aber unversehens einen ganz artigen Ausfall in die Welt der Tatsachen, wenn er für seine Wertvorstellung doch wieder in Anspruch nimmt, daß sie der objektiv relevantesten Tatsache adäquat sei, oder, in noch anspruchsvolleren Worten, daß in ihr „eine die wirtschaftliche Existenz der menschlichen Gesellschaft objektiv beherrschende technische Tatsache den adäquaten ökonomischen Ausdruck gefunden hat“ (S. 577).
Ich glaube, das ist ein Verfahren, gegen das man zu protestieren berechtigt ist. Entweder – oder! Entweder man will für den Marxschen Wert in Anspruch nehmen, daß er den Tatsachen entspricht: dann halte man aber auch mit dieser Behauptung in der vordersten Feuerlinie aus, ohne gegen eine volle, strenge Tatsachenprobe hinter der Position Deckung zu suchen, daß man ja gar keine empirische Tatsache behaupten, sondern nur ein „Hilfsmittel unseres Denkens“ konstruieren wolle. Oder man sucht hinter diesem Schutzwall Deckung, man entzieht sich der strengen Tatsachenprobe: dann versuche man nicht, auf dem Umwege vager, beiläufiger Behauptungen für den Marxschen Wert doch wieder eine Gattung empirischer Geltung in Anspruch zu nehmen, die ihm rechtmäßigerweise nur dann gebühren würde, wenn er die ausdrücklich abgelehnte Tatsachenprobe bestanden hätte. Die Redensart von dem „der beherrschenden Tatsache adäquaten Ausdruck“ bedeutet ja doch nichts anders, als daß Marx in der Hauptsache auch empirisch recht hat. Gut. Will das <127> Sombart oder sonst jemand behaupte; so behaupte er es offen, lasse das Zwischenspiel mit der bloß „gedanklichen Tatsache“ weg und stelle sich dafür klipp und klar zur Tatsachenprobe; diese wird ja zeigen, wie viel oder wie wenig die vollen Tatsachen vom „adäquaten Ausdruck der beherrschenden Tatsache“ differieren. Bis dahin aber glaube ich mich mit der Feststellung begnügen zu können, daß wir es auch bei Sombart nicht mit der harmlosen Variante einer gestatteten und bloß unzutreffend benannten Abstraktion zu tun haben, sondern mit einem anspruchsvollen Vorstoß in das Gebiet von tatsächlichen Behauptungen, für die ein Beweis nicht erbracht, auch nicht versucht, sondern vermieden wurde.
Auch in einer anderen Beziehung hat sich Sombart, wie ich glaube, eine unerlaubt anspruchsvolle Behauptung von Marx mit zu wenig eigener Kritik angeeignet. Ich meine die Behauptung, daß die Auffassung der Waren als „Nur-Produkte“ gesellschaftlicher Arbeit die einzige Möglichkeit bietet, die Waren für unser Denken in quantitative Beziehung zu bringen, „kommensurabel“ zu machen und daher die Phänomene der wirtschaftlichen Welt unserem Denken überhaupt erst „zugänglich zu machen“. (50) Sollte Sombart auch nach kritischer Prüfung daran festhalten wollen? Sollte er wirklich meinen, daß wir die Austauschverhältnisse nur entweder auf Grund des Marxschen Wertbegniffes, oder gar nicht unserem wissenschaftlichen Denken zugänglich machen können? Ich kann es nicht glauben. Die famose dialektische Beweisführung von Marx auf S. 12 [MEW 23, S. 52] des ersten Bandes kann ja doch für einen Sombart keine überzeugende Kraft haben. Auch sieht und weiß Sombart so gut als ich, daß nicht bloß Arbeitsprodukte, sondern auch reine Naturprodukte im Austausch in quantitative Beziehung gesetzt werden und daher sowohl unter sich als mit Arbeitsprodukten praktisch kommensurabel sind. Und da sollten sie für unser Denken gar nicht kommensurabel sein, außer auf Grund eines Merkmals, das bei ihnen gar nicht zutrifft und auch bei den Arbeitsprodukten zwar der Art nach vorhanden, aber der Größe nach nicht zutreffend ist, indem zugestandenermaßen auch die Arbeitsprodukte sich nicht im Verhältnis der darin verkörperten Arbeit vertauschen? Sollte das nicht für den unbefangenen Theoretiker vielmehr ein gar nicht mißzuverstehenden Fingerzeig sein, daß trotz Marx der wahre gemeinsame Nenner, das wahre „Gemeinsame“ im Austausch, erst noch zu suchen, und zwar in einer anderen Richtung zu suchen ist, als es durch Marx geschehen ist?
Dies führt mich auf einen letzten Punkt, den ich Sombart gegen- <128> über noch berühren möchte. Sombart will den Gegensatz, der zwischen dem Marxschen System einerseits und den Anschauungen der entgegenstehenden theoretischen Systeme und zumal der sogenannten österreichischen Ökonomisten andererseits besteht, in letzter Linie auf einen methodologischen Prinzipienstreit zurückführen. Marx sei ein Vertreter eines extremen Objektivismus, wir anderen vertreten einen Subjektivismus, der in Psychologismus ausläuft. Marx spüre nicht den Motiven nach, welche die einzelnen wirtschaftlich handelnden Subjekte in ihrer Handlungsweise bestimmen, sondern er suche die objektiven Faktoren, die „ökonomischen Bedingungen“ auf, „die vom Willen (ich darf wohl einschalten, oft auch vom Wissen) des Einzelnen unabhängig sind“; er suche zu ermitteln, „was hinter dem Rücken des Einzelnen durch die Macht von ihm unabhängiger Verhältnisse vorgeht“. Wir dagegen „versuchen, die Vorgänge des Wirtschaftslebens am letzten Ende aus der Psyche der wirtschaftlichen Subjekte zu erklären“ und „verlegen die Gesetzmäßigkeit des Wirtschaftslebens in die psychologische Motivierung“. (51)
Das ist sicherlich eine feine und geistvolle Bemerkung, deren überhaupt im Sombartschen Aufsatze eine Fülle zu finden ist. Aber sie scheint mir, trotz ihres unzweifelhaft richtigen Kernes, doch nicht die Hauptsache zu treffen: weder retrospektiv, für die Erklärung des bisherigen Verhaltens der Marx-Kritiker gegen Marx, und infolge davon auch nicht prospektiv, mit der Forderung einer ganz neuen Ära der Marx-Kritik, die eigentlich erst begonnen werden müsse, für die es sogar noch „so gut wie völlig an Vorarbeiten fehlt“ (52), und bei der vor allem erst für die methodologische Vorfrage eine Entscheidung gesucht werden müsse. (53)
Mir scheint die Sache vielmehr so zu stehen. Gewiß besteht die von Sombart aufgewiesene Differenz in den Forschungsmethoden. Aber die „alte“ Marx-Kritik hat, so viel ich nach meiner eigenen Person beurteilen kann, Marx nicht wegen der Wahl seiner Methode, sondern wegen seiner Fehler bei der Ausübung der gewählten Methode bekämpft. Für andere Marx-Kritiker habe ich kein Recht zu reden, ich muß also von mir selbst sprechen. Ich persönlich stehe nun in der Methodenfrage auf einem ähnlichen Standpunkte, wie ihn rücksichtlich der schönen Literatur jener Literat vertreten hat, der erklärte, jedes Genre gelten zu lassen, mit einziger Ausnahme des „Genre enmiyeux“. Ich lasse jede Methode gelten, unter der Voraussetzung, daß sie so gehandhabt wird, daß etwas Richtiges dabei herauskommt. Ich habe auch gegen die objektivistische Methode gar nichts einzuwenden. Ich glaube, daß sie auch auf solchen Erscheinungsgebieten, welche mit menschlichen Handlungen zu tun haben, die Gewinnung von realen Erkenntnissen <129> vermitteln kann. Ich stimme auch dem ganz bereitwillig zu und habe gelegentlich auch selbst auf ähnliche Erscheinungen aufmerksam gemacht, daß gewisse objektive Faktoren in gesetzmäßigen Zusammenhang mit typischen menschlichen Handlungen treten können, ohne daß den gesetzmäßig Handelnden der Einfluß des betreffenden Faktors selbst deutlich ins Bewußtsein tritt. Wenn z. B. die Statistik ausweist, daß die Selbstmorde in bestimmten Monaten, etwa im Juli und November, besonders zahlreich erfolgen, oder daß mit der Güte der Ernte die Zahl der jährlichen Eheschließungen steigt und fällt, so bin ich überzeugt, daß die meisten der Selbstmordkandidaten, deren Hinzutritt die Selbstmordtangente der Monate Juli und November so schwellen macht, gar nicht daran denken, daß es gerade Juli oder November ist, und daß ebenso in den Heiratslustigen der Gedanke an die augenblicklich billigeren Lebensmittelpreise gar keine unmittelbare Rolle bei ihrer Entschließung spielt. (54) Gleichwohl hat die Aufdeckung solcher objektiver Zusammenhänge unzweifelhaften Erkenntniswert.
Ich muß aber dabei gewisse, wie ich glaube, selbstverständliche Reserven machen. Erstens scheint mir klar, daß die Erkenntnis solcher objektiver Zusammenhänge ohne die Erkenntnis der subjektiven Zwischenglieder, die die Kausalkette vermitteln, gewiß noch nicht die höchste Stufe der Erkenntnis bedeutet, sondern daß das vollkommene Verständnis erst durch die Erkenntnis der äußeren und inneren Zusammenhänge vermittelt wird. Und damit scheint mir auch die von Sombart aufgeworfene Frage, „ob die objektivistische Richtung in der nationalökonomischen Wissenschaft ausschliessend oder ergänzend berechtigt ist“ (55), selbstredend dahin erledigt <130> zu sein, daß jene Richtung nur „ergänzend berechtigt“ sein kann.
Zweitens glaube ich, will aber darüber als über eine Ansichtssache mit Andersmeinenden hier nicht rechten, daß gerade für das Wirtschaftsgebiet, in dem wir es ja so vorwiegend mit bewußten, berechneten menschlichen Handlungen zu tun haben, von jenen beiden Quellen der Erkenntnis die erste, die objektivistische, auch bestenfalls nur einen recht ärmlichen, und zumal für sich allein durchaus ungenügenden Teil der gesamten erreichbaren Erkenntnis beisteuern kann.
Drittens aber – und das geht speziell die Marx-Kritik an – muß ich mit aller Bestimmtheit fordern, daß, wenn man die objektivistische Methode handhabt, man sie richtig handhabe. Man konstatiere äußere, objektive Zusammenhänge, die fatumartig mit oder ohne Wissen, mit oder ohne Willen der Handelnden ihre Handlungen beherrsche; aber man konstatiere sie dann richtig. Und das hat Marx nicht getan. Seine Fundamentalthese, daß die Arbeit allein alle Austauschverhältnisse beherrscht, hat er weder auf objektivistischem Wege aus der äußeren, greifbaren, objektiven Tatsachenwelt konstatiert, mit der sie im Gegenteile im Widerspruche steht, noch subjektivistisch aus den Motiven der Tauschenden abgeleitet, sondern sie als eine Fehlgeburt einer Dialektik in die Welt gesetzt, wie sie willkürlicher und tatsachenfremder vielleicht noch nie in der Geschichte unserer Wissenschaft aufgetreten ist.
Und noch eines. Marx ist nicht bei der „objektivistischen“ Stange geblieben. Er konnte es nicht vermeiden, sich doch auch auf Motive der Handelnden als auf eine wirkende Kraft seines Systems zu berufen. Er tut dies vornehmlich mit seiner Berufung auf die „Konkurrenz“. Ist es da zuviel verlangt, daß, wenn er schon subjektivistische Einschaltungen in sein System macht, er diese richtig, gründlich und widerspruchslos machen solle? Und gegen diese billige Forderung hat Marx wiederum verstoßen. Diese Verstöße, die, ich wiederhole es, nichts mit der Wahl der Methode zu tun haben, sondern die unter der Herrschaft jeder Methode verpönt sind, sind für mich der Grund gewesen, warum ich die Marxsche Theorie als irrig bekämpft habe und bekämpfe: sie repräsentiert nach meiner Meinung das einzig unerlaubte Genre, das Genre der falschen Theorien!
Ich stehe und stand daher schon längst auf dem Standpunkte, auf welchen Sombart eine erst aufzuerweckende künftige Marx-Kritik hinüberleiten will. Er denkt sich, „daß man doch wohl in folgender Weise eine Würdigung und Kritik des Marxschen Systems versuchen müßte: Ist die objektivistische Richtung in der nationalökonomischen Wissenschaft ausschließend oder ergänzend berechtigt? Hätte man diese Frage mit ja beantwortet, dann etwa wäre weiter zu fragen: ist die Marxsche Methode einer quantitativen Bestimmung der wirtschaftlichen Tatsachen durch das gedankliche Hilfsmittel des Wertbegriffs geboten? Wenn ja: ist die Arbeit der richtig gewählte Inhalt des Wertbegriffs. Wenn ja: sind die Marxsche <131> Beweisführung, der systematische Aufbau, die Schlußfolgerungen u. s. w. anfechtbar?“
Ich habe mir die erste methodologische Vorfrage längst zu Gunsten einer „ergänzenden“ Berechtigung der objektivistischen Methode beantwortet. Ebenso stand und steht mir außer Zweifel, daß, um bei den Worten Sombarts zu bleibe; auch „eine quantitative Bestimmung der wirtschaftlichen Tatsachen durch das gedankliche Hilfsmittel“ eines Wertbegriffs geboten ist. Die dritte Frage aber, ob die Arbeit den richtig gewählte Inhalt dieses Wertbegriffs sei, hielt ich längst für entschieden zu verneinen, und die vierte Frage, ob die Marxsche Beweisführung, Schlußfolgerungen u. s. w. anfechtbar seien, für ebenso entschieden zu bejahen.
Wie die Welt schließlich darüber entscheiden wird? – Darüber habe ich keinen Zweifel. Das Marxsche System hat eine Vergangenheit und eine Gegenwart, aber keine dauernde Zukunft. Von allen Arten der wirtschaftlichen Systeme glaube ich, sind diejenigen am sichersten dem Untergange geweiht, die, wie das Marxsche, auf einer hohlen dialektischen Grundlage ruhen. Der Menschengeist läßt sich momentan, aber nicht dauernd von einer geschickten Rhetorik imponieren. Auf die Dauer kommen doch immer die Tatsachen, die solide Verkettung nicht von Worten und Phrasen, sondern von Ursachen und Wirkungen zur Geltung. Im Bereich der Naturwissenschaften wäre ein Werk wie das Marxsche heute schon eine Unmöglichkeit. In den sehr jugendlichen Sozialwissenschaften konnte es Einfluß, großen Einfluß erlangen, und wird ihn wahrscheinlich nur langsam, recht langsam verlieren. Langsam, denn es hat seine mächtigste Stütze nicht in den überzeugten Köpfen den Anhänger, sondern in ihren Herzen, in ihren Wünschen und Begierden. Auch hat es an dem großen Kapital von Autorität, die es sich bei vielen Leuten erworben hat, lange zu zehren. Ich habe in den Eingangsworten dieses Aufsatzes gesagt, daß Marx als Schriftsteller großes Glück hatte. Nicht der mindest glückliche Umstand seines Schriftstellerschicksals scheint mir zu sein, daß der Abschluß seines Systems erst 10 Jahre nach seinem Tode, fast dreißig Jahre nach dem ersten Bande erschien. Wären die Lehren und Feststellungen des dritten Bandes noch unbefangenen Lesern gleichzeitig mit dem ersten Bande zu Gesichte gekommen, da wären, glaube ich, nur wenige Leser gewesen, denen die Logik des ersten Bandes nicht doch etwas bedenklich vorgekommen wäre! Jetzt bildet ein durch 30 Jahre eingewurzelten Autoritätsglaube ein Bollwerk gegen das Eindringen der kritischen Erkenntnis, das freilich sicher, aber doch nur langsam abbröckeln wird.
Aber auch, wenn dies geschehen sein wird, wird mit dem Marxschen System gewiß nicht auch der Sozialismus überwunden sein; weder der theoretische noch der praktische. So gut es einen Sozialismus vor Marx gegeben hat, wird es ihn auch nach Marx noch geben. Für das, was am Sozialismus triebkräftig ist – und daß trotz aller Übertreibungen etwas in ihm triebkräftig ist, beweist <132> nicht nur die unleugbare Auffrischung, welche die ökonomische Theorie durch das Auftreten der sozialistischen Theoretiker gewonnen hat, sondern auch der berühmte „Tropfen sozialen Öles“, mit welchem die Maßnahmen praktischer Staatskunst, und vielfach gewiß nicht zu ihrem Nachteil, sich heutzutage allerorten zu salben pflegen – für das also, sage ich, was am Sozialismus triebkräftig ist, werden seine klugen leitenden Köpfe sicherlich nicht versäumen, rechtzeitig die Anknüpfung an ein lebensfähigeres wissenschaftliches System zu suchen. Sie werden die morsch gewordene Stütze auszuwechseln suchen. Mit wie viel oder wie wenig Läuterung der gärenden Ideen, wird die Zukunft erweisen. Vielleicht, hoffentlich, daß die Sache doch nicht immer einfach im Kreise herumgetrieben, sondern daß bei dieser Gelegenheit ein paar Irrtümer für immer abgeschüttelt und ein paar Erkenntnisse dem Schatze sicheren und auch von der Parteileidenschaft nicht mehr angezweifelten Wissens endgültig hinzugewonnen werden.
Marx aber wird einen bleibenden Platz in der Geschichte der Sozialwissenschaften behaupten, aus denselben Gründen, mit demselben Gemisch positiven und negativen Verdienstes, wie sein Vorbild Hegel. Beide waren persönlich Denkgenies. Beide haben, jeder in seinem Bereich, einen ungeheuren Einfluß auf das Denken und Fühlen ganzer Generationen, fast kann man sagen, auf den Zeitgeist selbst gewonnen. Und ihr spezifisch theoretisches Werk war bei beiden ein äußerst kunstreich erdachtes, mit fabelhafter Kombinationskraft in zahllosen Gedanken-Etagen aufgebautes, mit bewundernswerter Geisteskraft zusammengehaltenes – Kartenhaus.
(39) Siehe die schon oben mehrfach erwähnte Abhandlung Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx im Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Bd. VII. Heft 4 S. 555 ff.
(40) Siehe oben S. 133. [S. 80/81 d. A.].
(41) Hugo Lande; Neue Zeit, XI. S. 591.
(42) A. a. O., S. 575, dann S. 584 ff.
(43) z. B. I. 25 [MEW, Bd. 23, S. 64]: Äquivalent = Austauschbares. „Nur als Wert ist sie (die Leinwand) auf den Rock als Gleichwertiges oder mit ihr Austauschbares bezüglich“ „Indem der Rock als Wertding der Leinwand gleichgesetzt wird, wird die in ihm steckende Arbeit der in ihr steckenden Arbeit gleichgesetzt“. Siehe ferner S. 27, 31 [S. 66, 70] (die Proportion, worin Röcke und Leinwand austauschbar sind, hängt von der Wertgröße der Röcke ab), S. 35 [S. 74] (wo Marx als das „wirklich Gleiche“ in dem gegen einander vertauschten Polster und Haus die menschliche Arbeit erklärt), S. 39, 40, 41, 42, 43, 50, 51, 52, 53 [S. 77, 78, 79, 80, 81, 87, 88, 89] (Analyse der Warenpreise doch auch nur der wirklichen! führt zur Bestimmung der Wertgröße), S. 60 [S. 97] (der Tauschwert ist die gesellschaftliche Manier, die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudrücken), S. 80 [S. 116] („der Preis ist der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit“), S. 141 [S. 172] („der selbe Tauschwert, d. h. dasselbe Quantum vergegenständlichter gesellschaftlicher Arbeit“), S. 174 [S. 202] („Nach dem allgemeinen Wertgesetz sind z. B. 10 lbs. Garn ein Äquivalent für 10 lbs. Baumwolle und ½ Spindel ...‚ wenn dieselbe Arbeitszeit erfordert ist, um beide Seiten dieser Gleichung zu produzieren“) und ähnlich oft.
(44) A. a. O., S. 575.
(45) I. 52 [MEW, Bd. 23, S. 89].
(46) z. B. I. 14, Note 9 [MEW, Bd. 23, S. 54].
(47) A. a. O., S. 574.
(48) z. B. S. 576, 588.
(49) S. 576.
(50) A. a. O., S. 574, 582. Sombart hat diese Behauptung nicht wörtlich im eigenen Namen ausgesprochen, aber er billigt eine in dieser Richtung laufende Äußerung C. Schmidts, die er nur in einem untergeordneten Detail korrigiert (574), er sagt ferner, daß die Wertlehre Marx’ eben diesen „Dienst leiste“ (582) und unterläßt jedenfalls völlig, ihr zu widersprechen.
(51) A. a. O., S. 591 fg.
(52) A. a. O., S. 556.
(53) S. 593 fg.
(54) Irgendwie muß freilich ein Einfluß, der vom objektiven Faktor ausgeht, oder doch mit ihm in symptomatischem Zusammenhang steht, eine Motivation bei den Handelnden hervorrufen, z. B. in den im Texte benützten Beispielen mag vielleicht die auf die Nerven wirkende Julihitze oder die trübe, melancholisch stimmende Herbstwitterung die Disposition zum Selbstmord erhöhen. Es mündet dann gleichsam der vom „objektiven Faktor“ stammende Einfluß in ein allgemeineres typisches Motiv, wie etwa Nervenstörung oder Melancholie ein, und wirkt durch dieses auf die Handlung. Daß Gesetzmäßigkeit von Handlungen nicht ohne Gesetzmäßigkeit in den Motiven zu erwarten ist, daran halte ich allerdings auch gegenüber der Bemerkung Sombarts l. c., S. 593 fest; aber ich halte es daneben, womit sich Sombart von seinem methodologischen Standpunkt aus vielleicht begnügen wird, ganz gut für möglich, daß wir objektive Gesetzmäßigkeiten in den menschlichen Handlungen wahrnehmen und induktiv feststellen können, ohne den Gang ihrer Motivation zu kennen und zu verstehen. Also zwar nicht gesetzmäßige Handlungen ohne gesetzmäßige Motivation, wohl aber Kenntnis von gesetzmäßigen Handlungen ohne Kenntnis der zugehörigen Motivation!
(55) A. a. O., S. 593.
Zuletzt aktualisiert am 21. März 2020