Eugen von Böhm-Bawerk

Zum Abschluß des Marxschen Systems

III. Die Frage des Widerspruches

<64> Der Verfasser dieser Zeilen hatte vor einer langen Reihe von Jahren, lange ehe sich die eingangs geschilderte Literatur über die Vereinbarkeit einer gleichen Durchschnittsprofitrate mit dem Marxschen Wertgesetz entwickelte, seine Ansicht über diesen Gegenstand in folgende Worte gefaßt: „Entweder vertauschen sich die Produkte wirklich auf die Dauer im Verhältnis der daran haftenden Arbeit ... – dann ist eine Nivellierung der Kapitalgewinne unmöglich. Oder es findet eine Nivellierung der Kapitalgewinne statt – dann ist es unmöglich, daß die Produkte fortfahren, sich im Verhältnis der daran haftenden Arbeit auszutauschen.“ (8)

Die tatsächliche Unvereinbarkeit dieser beiden Voraussetzungen war aus dem Marxschen Lager zuerst vor einigen Jahren von Conrad Schmidt zugestanden worden. (9) Nunmehr besitzen wir die authentische Bestätigung des Meisters selbst. Ganz klipp und klar hat er es ausgesprochen, daß eine gleichmäßige Profitrate nur durch den Verkauf der Waren zu solchen Preisen ermöglicht wird, wobei ein Teil der Waren über, ein anderer unter seinem Wert, also abweichend im Verhältnis der darin verkörperten Arbeit vertauscht wird. Auch darüber hat er uns nicht im Zweifel gelassen, welche der beiden unvereinbaren Satzungen er für diejenige hält, welche der Realität entspricht. Er lehrt mit dankenswerter Klarheit und Unumwundenheit, daß dies die Nivellierung der Kapitalgewinne ist. Und er steht nicht an, mit derselben Klarheit und Unumwundenheit zu lehren, daß tatsächlich die einzelnen Waren sich untereinander nicht im Verhältnisse der daran haftenden Arbeit, sondern in jenem davon abweichenden Verhältnis vertauschen, welches durch die Nivellierung der Kapitalgewinne erfordert wird.

In welchem Verhältnis steht diese Lehre des dritten Bandes zu dem berühmten Wertgesetze des ersten? Enthält sie die mit so viel Spannung erwartete Lösung des „scheinbaren“ Widerspruchs? Enthält sie den Nachweis, „wie nicht nur ohne Verletzung des Wertgesetzes, sondern vielmehr auf Grundlage desselben eine gleiche Durchschnittsprofitrate sich bilden kann und muß“? Oder enthält sie nicht vielmehr das gerade Gegenteil: nämlich die Konstatierung eines wirklichen unversöhnlichen Widerspruchs und den Nachweis, daß die gleiche Durchschnittsprofitrate sich nur bilden kann, wenn und weil das angebliche Wertgesetz nicht gilt?

Ich glaube, wer unbefangen und nüchtern zusieht, wird nicht lange im Zweifel bleiben können. Im ersten Bande war mit dem größt <65> möglichen Nachdruck gelehrt worden, daß aller Wert sich auf Arbeit und nur auf Arbeit gründet, daß die Werte der Ware sich zu einander verhalten, wie die zu ihrer Produktion notwendige Arbeitszeit; es waren diese Sätze abgeleitet und herausdestilliert worden geradezu und ausschließlich aus den Austauschverhältnissen der Waren, denen sie „immanent“ sind; wir waren angeleitet worden, „vom Tauschwert und Austauschverhältnis der Waren auszugehen um ihrem darin versteckten Wert auf die Spur zu kommen“ (I. 23) [MEW 23, S. 62]; der Wert wurde uns als das Gemeinsame erklärt, „was sich im Austauschverhältnis der Waren darstellt“ (I. 13) [MEW 23, S. 53], in der Form und mit dem Nachdruck eines zwingenden, keine Ausnahme zulassenden Schlusses war uns gesagt worden, daß die Gleichstellung zweier Waren im Tausche besagt, daß „ein Gemeinsames von derselben Größe“ in ihnen existiert, auf welches jede der beiden „reduzierbar sein muß“ (I. 11) [MEW 23, S. 51], es müssen demnach, von momentanen, zufälligen Abweichungen abgesehen, die aber „als Verletzung des Gesetzes des Warenaustausches erscheinen“ (I. 142) [MEW 23, S. 173], auf die Dauer und grundsätzlich Waren, die gleichviel Arbeit verkörpern, gegen einander vertauscht werden. – Und jetzt, im dritten Bande, wird uns bündig und trocken erklärt, daß das, was nach der Lehre des ersten Bandes sein muß, nicht ist und nicht sein kann; daß sich, und zwar nicht zufällig oder vorübergehend, sondern notwendig und dauernd, die einzelnen Waren in einem anderen Verhältnis als dem der verkörperten Arbeit gegen einander austauschen und austauschen müssen!

Ich kann mir nicht helfen, ich sehe hier nichts von einer Erklärung und Versöhnung eines Widerstreites, sondern den nackten Widerspruch selbst. Der dritte Band Marx verleugnet den ersten. Die Theorie der Durchschnitteprofitrate und der Produktionspreise verträgt sich nicht mit der Theorie vom Werte. Das ist der Eindruck, von dem ich glaube, daß ihn jeder logisch Denkende empfangen muß. Er scheint sich auch ziemlich allgemein eingestellt zu haben. Loria, in seiner lebhaften und bilderreichen Ausdrucksweise, fühlt sich zum „harten aber gerechten Urteil“ gezwungen, daß Marx „statt einer Lösung eine Mystifikation“ geboten habe; er erblickt in der Veröffentlichung des dritten Bandes „den russischen Feldzug“ des Marxschen Systems, seinen „vollständigsten theoretischen Bankrott“, einen „wissenschaftlichen Selbstmord“, die „formellste Preisgebung seiner eigenen Lehre“ (1‘ abdicazione piu explicita alla dottrina stessa) und den „vollen und gänzlichen Anschluß an die orthodoxesten Lehren der verabscheuten Ökonomisten“. (10)

Aber auch ein Mann, der dem Marxschen System so nahe steht, wie Werner Sombart, muß als die wahrscheinlichste Wirkung, welche der dritte Band bei der Mehrzahl der Leser hervorbringen werde, „ein allgemeines Schütteln des Kopfes“ bezeichnen. „Die <66> meisten werden die ‚Lösung‘ des ‚Durchschnittprofitratenrätsels‘, wie sie nun gegeben wird, gar nicht als eine ‚Lösung‘ zu betrachten geneigt sein; sie werden meinen, der Knoten sei durchhauen, aber keineswegs gelöst. Denn wenn nun plötzlich aus der Versenkung eine ‚ganz gewöhnliche‘ Produktionskostentheorie auftauchte, dann bedeute das eben, daß die berühmte Wertlehre unter den Tisch gefallen sei. Denn wenn ich schließlich doch zu den Produktionskosten komme, um den Profit zu erklären: wozu dann der ganze schwerfällige Apparat der Wert- und Mehrwerttheorie?“ (11) Für sich selbst reserviert Sombart sich freilich ein anderes Urteil. Er unternimmt einen eigenartigen Rettungsversuch, bei dem aber von dem zu Rettenden so viel über Bord geworfen wird, daß es mir recht fraglich erscheint, ob er sich damit den Dank irgend eines Beteiligten erringen wird. Ich werde diesem auf alle Fälle interessanten und lehrreichen Rettungsversuche noch näher treten. Doch soweit sind wir noch nicht; vor dem posthumen Verteidiger müssen wir noch dem Meister selbst, und zwar mit aller Aufmerksamkeit und Sorgfalt, die eine so wichtige Sache verdient, Gehör schenken.

Wie es ja ganz selbstverständlich ist, hat nämlich Marx selbst voraussehen müssen, daß man seiner „Lösung“ den Vorwurf machen werde, daß sie keine „Lösung“, sondern eine Preisgebung seines Wertgesetzes sei. Dieser Voraussicht verdankt offenbar eine antizipierte Selbstverteidigung ihren Ursprung, die sich, wenn nicht der Form, so doch der Sache nach in dem Marxschen Werke findet. Marx versäumt nämlich nicht, an zahlreichen Stellen die ausdrückliche Behauptung einzuflechten, daß trotz der unmittelbaren Beherrschung der Austauschverhältnisse durch die von den Werten abweichenden Produktionspreise sich doch noch alles im Rahmen des Wertgesetzes bewege, und daß doch noch dieses, wenigstens „in letzter Instanz“, die Herrschaft über die Preise ausübe. Er versucht, diese Auffassung durch verschiedene Darlegungen und Bemerkungen plausibel zu machen. Dieselben tragen kein einheitliches Gepräge. Marx führt über dieses Thema nicht, wie es sonst seine Gewohnheit ist, einen förmlichen geschlossenen Beweisgang durch, sondern gibt lediglich eine Anzahl nebeneinander herlaufender gelegentlicher Bemerkungen, welche verschiedenartige Beweisgründe oder Wendungen, welche als solche gedeutet werden können, enthalten. Bei dieser Sachlage läßt sich nicht beurteilen, auf welchen dieser Beweisgründe Marx selbst das Hauptgewicht legen wollte, noch wie er sich das gegenseitige Verhältnis dieser verschiedenartigen Beweisgründe vorstellte. Wie dem auch sei, jedenfalls sind wir, wenn wir sowohl dem Meister als auch unserer kritischen Aufgabe gerecht werden wollen, jedem dieser Beweisgründe die genaueste Aufmerksamkeit und unbefangene Würdigung schuldig.

Die in Betracht kommenden Bemerkungen scheinen mir in ihrer <67> Summe folgende vier Argumente zu Gunsten einer ganz oder teilweise fortdauernden Geltung des Wertgesetzes zu enthalten:

  1. Argument: wenn auch die einzelnen Waren sich untereinander über oder unter ihren Werten verkaufen, so heben sich diese entgegengesetzten Abweichungen doch gegenseitig auf, und in der Gesellschaft selbst – die Totalität aller Produktionszweige betrachtet – bleibt daher doch die Summe der Produktionspreise der produzierten Waren gleich der Summe ihrer Werte [MEW 25, S. 169].
     
  2. Argument: das Wertgesetz beherrscht die Bewegung der Preise, indem Verminderung oder Vermehrung der zur Produktion erheischten Arbeitszeit die Produktionspreise steigern oder fallen macht (III. 158, ähnlich III. 156) [MEW 25, S. 189 u. 186].
     
  3. Argument: das Wertgesetz beherrscht, nach der Behauptung von Marx, mit ungeschmälerter Autorität den Warenaustausch in gewissen „ursprünglichen“ Stadien, in welchen sich die Verwandlung der Werte in Produktionspreise noch nicht vollzogen hat.
     
  4. Argument: In der verwickelten Volkswirtschaft „reguliert“ das Wertgesetz wenigstens indirekt und „in letzter Instanz“ die Produktionspreise, indem der nach dem Wertgesetze sich bestimmende Gesamtwert der Waren den Gesamtmehrwert, dieser aber die Höhe des Durchschnittsprofits und daher die allgemeine Profitrate regelt (III. 159) [MEW 25, S. 189].

Prüfen wir diese Argumente, jedes für sich, auf ihren Gehalt.
 

Erstes Argument

Es wird von Marx zugestanden, daß die einzelnen Waren, je nachdem bei ihrer Erzeugung konstantes Kapital mit einem über- oder unterdurchschnittlichen Anteil mitgewirkt hat, sich untereinander über oder unter ihrem Werte vertauschen. Es wird aber Gewicht darauf gelegt, daß diese individuellen Abweichungen, die nach entgegengesetzter Seite hin stattfinden, sich jederzeit gegenseitig kompensieren oder aufheben, so daß die Summe aller bezahlten Preise doch genau der Summe aller Werte entspricht. „In demselben Verhältnis, worin ein Teil der Waren über, wird ein anderer unter seinem Wert verkauft“ (III. 135) [MEW 25, S. 167]. „Der Gesamtpreis der Waren I – V (in dem von Marx benützten tabellarischen Beispiel) wäre also gleich ihrem Gesamtwert, ... in der Tat also Geldausdruck für das Gesamtquantum Arbeit, vergangener und neu zugesetzter, enthalten in den Waren I – V. Und in dieser Weise ist in der Gesellschaft selbst – die Totalität aller Produktionszweige betrachtet – die Summe der Produktionspreise der produzierten Waren gleich der Summe ihrer Werte“ (III. 138) [MEW 25, S. 169]. Daraus wird schließlich – mehr oder weniger deutlich – das Argument gezogen, daß wenigstens für die Summe aller Waren oder für die Gesellschaft im ganzen das Wertgesetz seine Geltung erweise.

<68> „Indes löst sich dies immer dahin auf, daß, was in der einen Ware zu viel, in der anderen zu wenig für Mehrwert eingeht, und daß daher auch die Abweichungen vom Wert, die in den Produktionspreisen der Waren stecken, sich gegeneinander aufheben. Es ist überhaupt bei der ganzen kapitalistischen Produktion immer nur in einer sehr verwickelten und annähernden Weise, als nie festzustellender Durchschnitt ewiger Schwankungen, daß sich das allgemeine Gesetz als die beherrschende Tendenz durchsetzt.(III. 140) [MEW 25, S. 171])

Dieses Argument ist in der Marxliteratur nicht neu. Es ist vor einigen Jahren in verwandter Situation von Conrad Schmidt mit großem Nachdruck und vielleicht mit noch größerer prinzipieller Klarheit als jetzt von Marx selbst geltend gemacht worden. Bei seinem Versuch, das Rätsel der Durchschnittsprofitrate zu lösen, war auch Schmidt, wenngleich mit einer anderen Zwischenmotivierung als Marx, zu dem Ergebnis gelangt, daß die einzelnen Waren untereinander sich nicht im Verhältnis der daran haftenden Arbeit vertauschen können. Auch er müsse sich die Frage aufwerfen, ob und wie angesichts dessen von einer Geltung des Marxschen Wertgesetzes noch die Rede sein könne, und er stützte seine bejahende Ansicht eben auf das jetzt vorgetragene Argument. (12)

Ich halte dasselbe für vollkommen unzutreffend. Ich habe dies seinerzeit gegenüber Conrad Schmidt mit einer Begründung ausgesprochen, an der ich noch heute und gegenüber Marx selbst nicht ein Wort zu ändern Anlaß habe. Ich kann mich daher begnügen, sie einfach wörtlich zu wiederholen. Ich habe gegenüber Schmidt gefragt, wieviel oder wie wenig nach jener tatsächlichen Einräumung vom berühmten Wertgesetz noch übrig bleibe, und fuhr dann fort:

„Daß aber nicht viel übrig bleibt, wird am besten gerade durch die Bemühungen illustriert, die der Verfasser an den Nachweis wendet, daß das Wertgesetz trotz alledem in Geltung bleibe. Nachdem er nämlich zugestanden hat, daß der tatsächliche Preis der Waren von ihrem Wert divergiere, bemerkt er, daß diese Divergenz sich doch nur auf diejenigen Preise beziehe, welche die einzelnen Waren erzielen; daß sie dagegen verschwinde, sobald man die Summe aller einzelnen Waren, das jährliche Nationalprodukt, betrachte. Die Preissumme, die für das gesamte Nationalprodukt zusammengenommen bezahlt werde, falle allerdings mit der darin tatsächlich kristallisierten Wertsumme völlig zusammen.“ (Böhm-Bawerk, S. 51)

Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, die Tragweite dieser Behauptung gebührend zu illustrieren. Ich will wenigstens eine Andeutung darüber versuchen.

„Was ist denn überhaupt die Aufgabe des „Wertgesetzes“? Doch nichts anderes, als das in der Wirklichkeit beobachtete Austauschverhältnis der Güter auf zuklären. Wir wollen wissen, warum im Austausch z. B. ein Rock gerade so viel wie 20 Ellen Leinwand, warum 10 Pfund Tee so viel wie ½ Tonne Eisen gelten u. s. f. So hat auch Marx selbst die Erklärungsaufgabe des Wertgesetzes gefaßt. Von einem Austauschverhältnis kann nun offenbar nur zwischen verschiedenen einzelnen Waren untereinander die Rede sein. Sowie man aber alle Waren zusammengenommen ins Auge faßt und ihre Preise summiert, so sieht man von dem im Innern dieser Gesamtheit bestehenden Verhältnis notwendig und geflissentlich ab. Die relativen Preisverschiedenheiten im Innern kompensieren sich ja in der Summe. Um was z. B. der Tee gegenüber dem Eisen mehr gilt, um das gilt das Eisen gegenüber dem Tee weniger, und vice versa. Jedenfalls ist es keine Antwort auf unsere Frage, wenn wir nach dem Austauschverhältnis der Güter in der Volkswirtschaft uns erkundigen, und man uns mit der Preissumme antwortet, die alle zusammen erzielen; gerade so wenig, als wenn wir uns erkundigen, um wieviele Minuten oder Sekunden der Sieger in einem Wettrennen zur Durchmessung der Rennbahn weniger benötigt hat, als seine Konkurrenten, und man uns antwortet: alle Konkurrenten zusammengenommen haben 25 Minuten 13 Sekunden benötigt“.

„Nun steht die Sache folgendermaßen. Auf die Frage des Wertproblems antworten die Marxisten zunächst mit ihrem Wertgesetz, daß sich die Waren im Verhältnis zu der in ihnen verkörperten Arbeitszeit vertauschen; dann revozieren sie – verblümt oder unverblümt – diese Antwort für das Gebiet des Austausches einzelner Waren, also gerade für dasjenige Gebiet, auf dem die Frage überhaupt einen Sinn hat, und halten sie in voller Reinheit nur noch aufrecht für das ganze Nationalprodukt zusammengenommen, also für ein Gebiet, auf dem jene Frage als gegenstandslos gar nicht gestellt werden kann. Als Antwort auf die eigentliche Frage des Wertproblems wird somit das „Wertgesetz“ zugestandenermaßen durch die Tatsachen Lügen gestraft, und in der einzigen Anwendung, in der es nicht Lügen gestraft wird, ist es keine Antwort auf die eigentlich Lösung heischende Frage mehr, sondern könnte bestenfalls eine Antwort auf irgend eine andere Frage sein“.

„Es ist aber nicht einmal eine Antwort auf eine andere Frage, sondern es ist gar keine Antwort, es ist eine einfache Tautologie. Denn wie jeder Nationalökonom weiß, vertauschen sich, wenn man durch die verhüllenden Formen des Geldverkehrs hindurch blickt, die Waren schließlich wieder gegen die Waren. Jede in Austausch tretende Ware ist zugleich Ware, aber auch der Preis ihrer Gegengabe. Die Summe der Waren ist somit identisch mit der Summe der dafür gezahlten Preise. Oder: der Preis für das gesamte Nationalprodukt zusammengenommen ist nichts anderes als – das Nationalprodukt selbst. Unter diesen Umständen ist es freilich ganz richtig, daß die Preissumme, die für das gesamte Nationalprodukt zusammen gezahlt wird, mit der in letzterem kristallisierten Wert- oder Arbeitssumme völlig zusammentrifft. Allein dieser tautologische Ausspruch bedeutet weder irgend einen Zuwachs an wirklicher <70> Erkenntnis, noch kann er insbesondere als Richtungsprobe für das angebliche Gesetz dienen, daß sich die Güter nach dem Verhältnis der in ihnen verkörperten Arbeit vertauschen. Denn auf diesem Wege ließe sich ebenso gut – oder vielmehr ebenso schlecht – auch jedes beliebige andere „Gesetz“, z. B. das „Gesetz“ verifizieren, daß sich die Güter nach dem Maßstabe ihres spezifischen Gewichtes vertauschen! Denn wenn auch freilich ein Pfund Gold als „einzelne Ware“ sich nicht gegen ein Pfund Eisen, sondern gegen 40.000 Pfund Eisen vertauscht, so ist doch die Preissumme, die für ein Pfund Gold und 40.000 Pfund Eisen zusammengenommen bezahlt wird, nicht mehr und nicht weniger als 40.000 Pfund Eisen und 1 Pfund Gold. Es entspricht also das Gesamtgewicht der Preissumme – 40.001 Pfund – ganz genau dem in der Warensumme verkörperten Gesamtgewicht von ebenfalls 40.001 Pfund, und folglich ist das Gewicht der wahre Maßstab, nach dem sich das Austauschverhältnis der Güter regelt?!“

Ich habe von diesem Urteil heute, wo ich es gegen Marx selbst kehre, nichts nachzulassen, noch auch ihm etwas hinzuzufügen, außer etwa, daß Marx sich bei der Vorbringung des hier beurteilten Arguments noch eines gewissen Extraversehens schuldig macht, das Schmidt seiner Zeit nicht begangen hatte. Marx sucht nämlich in der eben zitierten Stelle auf S. 140 des dritten Bandes [S. 171] für die Idee, daß seinem Wertgesetze doch eine gewisse reelle Herrschaft zugeschrieben werden könne, auch wenn ihm die einzelnen Fälle nicht gehorchen, durch eine allgemeine Sentenz Stimmung zu machen, welche die Wirkungsweise dieses Gesetzes zum Gegenstande hat. Nachdem er davon gesprochen hat, daß „die Abweichungen vom Werte, die in den Produktionspreisen stecken, sich gegeneinander aufheben“, fügt er nämlich die Bemerkung an, daß das allgemeine Gesetz sich bei der ganzen kapitalistischen Produktion „überhaupt immer nur in einer sehr verwickelten und annähernden Weise, als ein festzustellender Durchschnitt ewiger Schwankungen, als die beherrschende Tendenz durchsetzt“.

Marx verwechselt hier zwei sehr verschiedene Dinge: einen Durchschnitt von Schwankungen und einen Durchschnitt zwischen dauernd und grundsätzlich ungleichen Größen. Darin hat er ja ganz recht, daß gar manches allgemeine Gesetz sich nur in der Weise durchsetzt, daß der aus beständigen Schwankungen resultierende Durchschnitt der vom Gesetze ausgesprochenen Norm entspricht. Jeder Nationalökonom kennt solche Gesetze, wie z. B. das Gesetz, daß die Preise den Produktionskosten gleichkommen, daß die Höhe des Arbeitslohnes in verschiedenen Beschäftigungszweigen, die Höhe des Kapitalgewinnes in verschiedenen Produktionsbranchen sich, von besonderen Gründen der Ungleichheit abgesehen, auf ein gleiches Niveau zu stellen tendiert, und jeder Nationalökonom ist geneigt, diese Gesetze als „Gesetze“ anzuerkennen, obwohl ihnen vielleicht nicht ein einziger Fall mit minutiösester Genauigkeit entspricht. Und darum liegt auch im Hinweise auf eine solche, bloß im Durchschnitt und im ganzen sich <71> äußernde Wirkungsweise ein stark kaptivierendes Moment.

Aber der Fall, zu dessen Gunsten Marx diesen kaptivierenden Hinweis gebraucht, ist von einer ganz anderen Art. In dem Fall der Produktionspreise, die von den „Werten“ abweichen, handelt es sich nicht um Schwankungen, sondern um notwendige und dauernde Divergenzen. Von zwei Waren A und B, die gleichviel Arbeit verkörpern, aber mit Kapitalien von ungleicher organischer Zusammensetzung erzeugt worden sind, schwankt nicht jede um einen und denselben Durchschnitt, z. B. um den Durchschnitt von 50 f1., sondern jede nimmt dauernd ein anderes Preisniveau ein, z. B. die Ware A, bei der wenig konstantes Kapital mitgewirkt hat und Verzinsung heischt, das Niveau von 40 f1., die Ware B, welche viel konstantes Kapital zu verzinsen hat, das Niveau von 60 fl., vorbehaltlich von Schwankungen um diese abweichenden Niveaus herum. Würden wir es nur mit Schwankungen um dasselbe Niveau zu tun haben, so daß etwa bald die Ware A 48 fl. und die Ware B 52 f1., bald umgekehrt die Ware A 52 und die Ware B nur 48 fl. hoch stünde, dann würde man allerdings sagen können, daß im Durchschnitt beide Waren gleich hoch im Preise stehen, und man würde in diesem Tatbestande, wenn er allgemein sich beobachten ließe, trotz der Schwankungen eine Verifikation des „Gesetzes“ erblicken können, daß Waren, in denen gleichviel Arbeit verkörpert ist, sich auf gleichem Fuß gegeneinander austauschen.

Wenn aber von zwei Waren, die gleichviel Arbeit verkörpern, die eine dauernd und regelmäßig einen Preis von 40 und die andere ebenso dauernd und regelmäßig einen Preis von 60 fl. behauptet, dann kann freilich der Mathematiker auch zwischen diesen ungleichen Größen einen Durchschnitt von 50 f1. ziehen. Aber ein solcher Durchschnitt hat eine ganz andere, oder richtiger gesagt, er hat für unser Gesetz gar keine Bedeutung. Ein mathematischer Durchschnitt läßt sich ja immer auch zwischen den ungleichsten Größen ziehen, und wenn man ihn einmal gezogen hat, „heben sich“ die entgegengesetzten Abweichungen von ihm der Größe nach immer „gegenseitig auf“: um was die eine Größe den Durchschnitt überragt, um gerade so viel muß ja dann notwendig die andere hinter ihm zurückbleiben! Aber offenbar läßt sich durch ein solches Spiel mit „Durchschnitten“ und „sich aufhebenden Abweichungen“ die Tatsache, daß zwischen Waren von gleichen Arbeitskosten, aber ungleicher Kapitalzusammensetzung notwendige und dauernde Preisdifferenzen bestehen, ebensowenig aus einer Widerlegung in eine Bestätigung des prätendierten Wertgesetzes umdeuten, als man etwa Neigung und Berechtigung haben dürfte, damit den Satz zu beweisen, daß alle Tiergattungen, Eintagsfliegen und Elefanten eingeschlossen, eine gleiche Lebensdauer besitzen. Denn freilich leben die Elefanten durchschnittlich 100 Jahre, die Eintagsfliegen nur einen einzigen Tag. Aber zwischen diesen Größen läßt sich ja ein gemeinsamer Durchschnitt von 50 Jahren ziehen; um was die Elefanten länger leben, leben die Eintagsfliegen eben kürzer; die Abweichungen vom Durchschnitt „heben sich also gegenseitig auf“, und im ganzen und <72> im Durchschnitt siegt also doch das Gesetz, daß alle Tiergattungen gleiche Lebensdauer haben! –

Gehen wir weiter.
 

Zweites Argument

Marx nimmt an verschiedenen Stellen des dritten Bandes für das Wertgesetz in Anspruch, daß es „die Bewegung der Preise beherrsche“, und sieht als Beweis dieser Herrschaft die Tatsache an, daß, wo die zur Produktion der Waren erheischte Arbeitszeit fällt, auch die Preise fallen, wo sie steigt, auch die Preise steigen, bei sonst gleichbleibenden Umständen. (13)

Auch dieser Schluß beruht auf einem Denkversehen, das so auffallend ist, daß es befremden muß, wie es Marx selbst entgehen konnte. Daß nämlich unter sonst gleichbleibenden Umständen mit der Größe des Arbeitsaufwandes die Preise steigen und fallen, beweist offenbar nicht mehr und nicht weniger, als daß die Arbeit ein Bestimmgrund der Preise ist. Es beweist also eine Tatsache, über die alle Welt einig ist, die nicht Sondermeinung von Marx, sondern ganz ebenso von den Klassikern und „Vulgärökonomen“ anerkannt und gelehrt wird. Marx aber hatte mit seinem Wertgesetz viel mehr behauptet: er hatte behauptet, daß der Arbeitsaufwand der einzige Umstand ist, der die Austauschverhältnisse der Waren (von den zufälligen momentanen Schwankungen von Angebot und Nachfrage abgesehen) regelt. Daß dieses Gesetz die Bewegung der Preise beherrscht, würde man augenscheinlich erst dann sagen können, wenn eine (dauernde) Veränderung der Preise durch gar keine andere Ursache bewirkt oder vermittelt werden könnte, als durch eine Änderung in der Größe der Arbeitszeit. Das behauptet aber Marx gar nicht und kann es nicht behaupten; denn es liegt in der Konsequenz seiner eigenen Lehre, daß eine Preisveränderung z. B. auch dann eintreten muß, wenn der Arbeitsaufwand unverändert bleibt, aber infolge einer Abkürzung des Produktionsprozesses u. dgl. die organische Zusammensetzung des Kapitales sich ändert. Man kann also dem von Marx herangezogenen Satze ohne weiteres den anderen Satz als vollkommen gleichberechtigt an die Seite stellen: daß die Preise steigen und fallen, wo unter sonst gleichbleibenden Umständen die Dauer der Kapitalinvestition steigt und fällt. Sowenig man aber offenbar mit dem letzteren Satze beweisen oder verifizieren kann, daß die Dauer der Kapitalinvestition der einzige die Austauschverhältnisse beherrschende Umstand ist, geradeso wenig kann man umgekehrt in dem Umstande, daß Änderungen in der Größe des Arbeitsaufwandes überhaupt Spuren in der Preisbewegung hinterlassen, eine Bekräftigung des prätendierten Gesetzes erblicken, daß die Arbeit allein die Austauschverhältnisse beherrsche.
 

Drittes Argument

<73> Dieses Argument ist von Marx nicht mit ausdrücklicher Deutlichkeit entwickelt, wohl aber das Materiale dazu in jene Ausführungen hinein verwoben worden, welche die Erläuterung der „eigentlich schwierigen Frage“, „wie die Ausgleichung der Profitrate zur allgemeinen Profitrate vorgeht“, zum Gegenstande haben (III. 153 ff.) [MEW 25, S. 183 ff.]

Der Kern des Argumentes läßt sich am kürzesten in folgender Weise herausschälen. Marx behauptet – und muß behaupten –, daß „die Profitraten ursprünglich sehr verschieden“ sind (III. 136) [MEW 25, S. 167], und daß ihre Ausgleichung zu einer allgemeinen Profitrate erst „ein Resultat ist und nicht ein Ausgangspunkt sein kann“ (III. 153) [MEW 25, S. 183]. Diese These beinhaltet weiter den Anspruch, daß es irgendwelche „ursprüngliche“ Zustände gibt, in welchen die zur Ausgleichung der Profitraten führende „Verwandlung der Werte in Produktionspreise“ sich noch nicht vollzogen hat, und welche demnach noch unter der vollen und buchstäblichen Herrschaft des Wertgesetzes stehen. Es wird also für dieses ein gewisses, ihm vollkommen botmäßiges Geltungsgebiet in Anspruch genommen.

Sehen wir genauer zu, welche Gebiete dies sein sollen, und welche Belege Marx dafür beibringt, daß in ihnen die Austauschverhältnisse wirklich nur durch die in den Waren verkörperte Arbeit normiert werden.

Die Ausgleichung der Profitraten ist nach Marx an zwei Voraussetzungen gebunden: erstens, daß überhaupt schon eine kapitalistische Produktionsweise herrsche (III. 154) [MEW 25, S. 184]‚ und zweitens, daß die Konkurrenz ihre nivellierende Tätigkeit wirksam äußert (III. 136, 151, 159, 175/76) [MEW 25, S. 167, 182, 190, 205 f.]. Wir werden daher logischer Weise die „ursprünglichen Zustände“ mit reinem Regime des Wertgesetzes dort zu suchen haben, wo es entweder an der einen oder an der anderen der beiden Voraussetzungen (oder natürlich an beiden zugleich) gebricht.

Über den ersten Fall hat sich Marx selbst einläßlich ausgesprochen. Er macht die Vorgänge in einem Gesellschaftszustande, in welchem noch nicht kapitalistisch produziert wird, sondern, „wo dem Arbeiter die Produktionsmittel gehören“, zum Gegenstand einer ausführlichen Schilderung, welche die Preise der Waren in diesem Stadium in der Tat ausschließlich durch ihre Werte beherrscht zeigt. Um dem Leser ein unbefangenes Urteil darüber zu ermöglichen, wieviel Anspruch auf beweinende Kraft dieser Schilderung innewohnt, muß ich sie in ihrem ganzen Wortlaut vorführen.

„Das punctum saliens wird zumeist heraustreten, wenn wir die Sache so fassen: Unterstelle, die Arbeiter selbst seien im Besitz ihrer respektiven Produktionsmittel und tauschten ihre Waren miteinander aus. Diese Waren wären dann nicht Produkte des Kapitals. Je nach der technischen Natur ihrer Arbeiten wäre der Wert der in den verschiedenen Arbeitszweigen angewandten Arbeitsmittel und <74> Arbeitsstoffe verschieden; ebenso wäre, abgesehen von dem ungleichen Wert der angewandten Produktionsmittel, verschiedene Masse derselben erheischt für gegebene Arbeitsmasse, je nachdem eine bestimmte Ware in einer Stunde fertig gemacht werden kann, eine andere erst in einem Tag etc. Unterstelle ferner, daß diese Arbeiter im Durchschnitt gleichviel Zeit arbeiten, die Ausgleichungen eingerechnet, die aus verschiedener Intensität etc. der Arbeit hervorgehen. Zwei Arbeiter hätten dann beide in den Waren, die das Produkt ihrer Tagesarbeit bilden, erstens ersetzt ihre Auslagen, die Kostpreise der verbrauchten Produktionsmittel. Diese wären verschieden je nach der technischen Natur ihrer Arbeitszweige. Beide hätten zweitens gleichviel Neuwert geschaffen, nämlich den den Produktionsmitteln zugesetzten Arbeitstag. Es schlösse dies ein ihren Arbeitslohn plus den Mehrwert, der Mehrarbeit über ihre notwendigen Bedürfnisse hinaus, deren Resultat aber ihnen selbst gehörte. Wenn wir uns kapitalistisch ausdrücken, so erhalten beide denselben Arbeitslohn plus denselben Profit, aber auch den Wert, ausgedrückt z. B. im Produkt eines zehnstündigen Arbeitstags. Aber erstens wären die Werte ihrer Waren verschieden. In der Ware I z. B. wäre mehr Wertteil für die aufgewandten Produktionsmittel enthalten, als in der Ware II. Die Profitraten wären auch sehr verschieden für I und II, wenn wir hier das Verhältnis des Mehrwerts zum Gesamtwert der ausgelegten Produktionsmittel die Profitrate nennen. Die Lebensmittel, die I und II während der Produktion täglich verzehren, und die den Arbeitslohn vertreten, werden hier den Teil der vorgeschossenen Produktionsmittel bilden, den wir sonst variables Kapital nennen. Aber die Mehrwerte wären für gleiche Arbeitszeit dieselben für I und II, oder noch genauer: da I und II jeder den Wert des Produkts eines Arbeitstages erhalten, erhalten sie, nach Abzug des Wertes der vorgeschossenen „konstanten“ Elemente, gleiche Werte, wovon ein Teil als Ersatz der in der Produktion verzehrten Lebensmittel, der andere als darüber hinaus überschüssiger Mehrwert betrachtet werden kann. Hat I mehr Auslagen, so sind diese ersetzt durch den größeren Wertteil seiner Ware, der diesen „konstanten“ Teil ersetzt, und er hat daher auch wieder einen größeren Teil des Gesamtwerts seines Produkts rückzuverwandeln in die stofflichen Elemente dieses konstanten Teils, während II, wenn er weniger dafür einkassiert, dafür auch um so weniger rückzuverwandeln hat. Die Verschiedenheit der Profitraten wäre unter dieser Voraussetzung also ein gleichgültiger Umstand, ganz wie es heute für den Lohnarbeiter ein gleichgültiger Umstand ist, in welcher Profitrate das ihm abgepreßte Quantum Mehrwert sich ausdrückt, und ganz wie im internationalen Handel die Verschiedenheit der Profitraten bei den verschiedenen Nationen für ihren Warenaustausch ein gleichgültiger Umstand ist.“ ((III. 154 fg.) [MEW 25, S. 185 f.])

Und nun geht Marx aus der hypothetischen Redeweise der „Unterstellung“ mit ihrem „seien“ und „wären“ mit einem Male zu ganz <75> positiven Schlußfolgerungen über. „Der Austausch von Waren zu ihren Werten oder annähernd zu ihren Werten erfordert also eine viel niedrigere Stufe als der Austausch zu Produktionspreisen ..“ .. und „es ist also durchaus sachgemäß, die Werte der Waren nicht nur theoretisch, sondern historisch als das Prius der Produktionspreise zu betrachten. Es gilt dies für Zustände, wo dem Arbeiter die Produktionsmittel gehören, und dieser Zustand findet sich in der alten wie in der modernen Welt, beim selbstarbeitenden grundbesitzenden Bauer und beim Handwerker“ (III. 155, 156) [MEW 25, S. 186].

Was haben wir von diesen Ausführungen zu halten?

Vor allem bitte ich den Leser, sich zu überzeugen und festzustellen, daß der im Tone der „Unterstellung“ gehaltene Teil zwar eine sehr konsequent gehaltene Schilderung darüber enthält, wie der Tauschverkehr in jenen primitiven Gesellschaftszuständen aussehen müßte, wenn alles nach dem Marxschen Wertgesetze vorginge, daß darin aber auch nicht der Schatten eines Beweises oder auch nur Beweisversuches darüber enthalten ist, daß unter den gegebenen Voraussetzungen alles so zugehen müsse. Marx erzählt, „unterstellt“, behauptet, aber er beweist mit keinem Worte. Es ist daher ein kühner, um nicht zu sagen, naiver Sprung, wenn Marx daraufhin, gleichsam als ob er einen wirklichen Beweisgang glücklich durchgeführt hätte, es als ausgemachtes Ergebnis proklamiert, es sei „also“ durchaus sachgemäß, die Werte auch historisch als das Prius der Produktionspreise zu betrachten. Tatsächlich kann nicht die Rede davon sein, daß Marx mit seiner „Unterstellung“ die historische Existenz eines solchen Zustandes erwiesen hätte; er hat sie lediglich aus seiner Theorie heraus als eine Hypothese postuliert, über deren Glaubwürdigkeit es uns natürlich freistehen muß, uns ein begründetes Urteil zu bilden.

Tatsächlich bestehen nun gegen ihre Glaubwürdigkeit die ernstesten inneren und äußeren Bedenken. Sie ist innerlich unwahrscheinlich, und soviel hier von einer Erfahrungsprobe die Rede sein kann, spricht auch diese gegen sie.

Sie ist innerlich vollkommen unwahrscheinlich. Sie würde nämlich erfordern, daß den Produzenten die Zeit, zu welcher sie die Entlohnung für ihre Tätigkeit erhalten, etwas vollkommen Gleichgültiges ist – und das ist wirtschaftlich und psychologisch unmöglich. Machen wir uns das klar, indem wir das von Marx selbst gebrauchte Beispiel ziffermäßig ausgestalten. Marx vergleicht zwei Arbeiter I und II. Arbeiter I repräsentiert einen Produktionszweig, welcher technisch relativ viele und wertvolle vorbereitende Produktionsmittel, Rohstoffe, Werkzeuge, Hilfsstoffe benötigt. Nehmen wir, um das Beispiel ziffermäßig zu gestalten, an, die Herstellung der vorbereitenden Produktionsmittel erfordere fünf Arbeitsjahre, während ihre Aufarbeitung zu fertigen Produkten in einem sechsten Arbeitsjahr erfolgt. Nehmen wir ferner an, was gewiß nicht gegen den Geist der Marxschen Hypothese ist, die ja einen recht primi- <76> tiven, ursprünglichen Zustand schildern will, der Arbeiter I vollführe beiderlei Arbeiten, sowohl die Herstellung der vorbereitenden Produktionsmittel als auch ihre Aufarbeitung zu fertigen Produkten, selbst. Unter diesen Umständen wird er offenbar aus dem Verkauf des fertigen Produktes, der nicht früher als am Ende des sechsten Arbeitsjahres erfolgen kann, die Vergütung auch für die vorbereitende Arbeit der ersten Jahre empfangen, oder mit anderen Worten, er wird auf die Vergütung für die Arbeit des ersten Jahres fünf Jahre, für die des zweiten Jahres vier Jahre, für die des dritten Jahres drei Jahre u. s. w. oder er wird im Durchschnitt aller sechs Arbeitsjahre beiläufig drei Jahre nach getaner Arbeit auf die Vergütung warten müssen. Der Arbeiter II dagegen, der einen Produktionszweig repräsentiert, der relativ wenig vorbereitende Produktionsmittel benötigt, wird vielleicht alle vorbereitenden und fertig stellenden Arbeiten in einem nur einmonatlichen Turnus vollenden und wird daher nahezu unmittelbar nach der Ableistung seiner Arbeit auch die Vergütung für dieselbe aus dem Erlöse seines Produktes empfangen.

Die Hypothese von Marx unterstellt nun, daß die Preise der Warengattungen I und II genau im Verhältnis der aufgewendeten Arbeitsmengen sich festsetzen, daß somit das Produkt von sechs Jahresarbeiten in der Gattung I sich nur genau ebenso teuer verkauft, als die Summe der Produkte von sechs Jahresarbeiten in der Gattung II. Daraus folgt weiter, daß in der Gattung I der Arbeiter sich für je ein Arbeitsjahr mit der um durchschnittlich drei Jahre verzögerten Zahlung desselben Betrages zufriedenstellt, welchen der Arbeiter in der Gattung II ohne jede Verzögerung erhält; daß daher die zeitliche Verzögerung eines Lohnempfanges ein Umstand ist, welcher in der Marxschen Hypothese gar keine Rolle spielt und insbesondere nicht imstande ist, irgend einen Einfluß auf die Konkurrenz, auf die stärkere oder schwächere Besetzung der verschiedenen Produktionszweige mit Rücksicht darauf zu üben, ob sie wegen der Länge ihrer Produktionsperiode eine kürzere oder längere Wartezeit auferlegen.

Ob dies wahrscheinlich ist, überlasse ich dem Leser zu beurteilen. Marx erkennt sonst ganz richtig an, daß besondere Nebenumstände, die der Arbeit irgend eines Produktionszweiges anhaften, besondere Intensität, Anstrengung, Unannehmlichkeit einer Arbeit, durch das Spiel der Konkurrenz sich eine Kompensation in der Höhe des Arbeitslohnes erzwingen. Soll ein jahrelanger Aufschub der Arbeitsvergütung nicht auch ein kompensationsbedürftiger Umstand sein? Und weiter: gesetzt, es würden wirklich alle Produzenten ebenso gerne drei Jahre als gar nicht auf ihren Lohn warten wollen, können sie denn auch alle warten? Marx setzt freilich voraus, „die Arbeiter seien im Besitz ihrer respektiven Produktionsmittel“, aber er setzt nicht voraus und darf wohl auch nicht voraussetzen, daß jeder von ihnen im Besitz von so vielen Produktionsmitteln ist, als zur Ausübung desjenigen Produktionszweiges erforderlich sind, welcher aus technischen Gründen die Verfügung über die größte <77> Summe an Produktionsmitteln erfordert. Es sind daher die verschiedenen Produktionszweige durchaus nicht allen Produzenten gleichmäßig zugänglich. Sondern diejenigen Zweige, welche den geringsten Vorschuß an Produktionsmitteln erfordern, sind am allgemeinsten zugänglich, die Zweige mit stärkerem Kapitalerfordernis sind es für eine zunehmend kleinere Minorität. Soll dies gar keinen Einfluß darauf nehmen, daß das Angebot in den letzteren Zweigen eine gewisse Einschränkung erfährt, durch die schließlich der Preis ihrer Produkte über das verhältnismäßige Niveau jener Zweige gesteigert wird, die ohne die odiose Nebenbedingung des Wartens betrieben werden und einem viel weiteren Kreise von Konkurrenten zugänglich sind?

Daß hier eine gewisse Unwahrscheinlichkeit im Spiel ist, hat auch Marx selbst gefühlt. Er registriert zunächst gleichfalls, wenn auch in anderer Form, daß die Ausmessung der Preise lediglich im Verhältnis zur Arbeitsmenge nach einer anderen Richtung zu einer Unverhältnismäßigkeit führt. Er registriert dies in der – überdies gleichfalls zutreffenden – Form, daß der „Mehrwert“, den die Arbeiter beider Produktionszweige über ihren Unterhaltsbedarf hinaus erzielen, auf die vorgeschossenen Produktionsmittel berechnet, ungleiche Profitraten darstellt. Natürlich drängt sich die Frage auf, warum diese Ungleichheit nicht ebenso wie in der „kapitalistischen“ Gesellschaft durch die Konkurrenz abgeschliffen werden soll? Marx fühlt die Nötigung, hierauf eine Antwort zu geben, und dies ist auch die einzige Beimischung, die den Charakter des Versuchs einer Begründung neben bloßen Behauptungen trägt. Was antwortet er nun? Das Wesentliche sei, daß beide Arbeiter für gleiche Arbeitszeit die gleichen Mehrwerte, oder noch genauer bezeichnet: daß sie für gleiche Arbeitszeit „nach Abzug des Werts der vorgeschossenen konstanten Elemente, gleiche Werte erhalten“‚ und unter dieser Voraussetzung sei die Verschiedenheit der Profitraten für sie „ein gleichgültiger Umstand, ganz wie es heute für den Lohnarbeiter ein gleichgültiger Umstand ist, in welcher Profitrate das ihm abgepreßte Quantum Mehrwert sich ausdrückt“

Ist das ein glücklicher Vergleich? Wenn ich etwas nicht bekomme, dann kann es mir allerdings vollkommen gleichgültig sein, ob das, was ich nicht bekomme, auf das Kapital eines dritten berechnet, einen hohen oder niederen Prozentsatz ausmacht. Aber wenn ich etwas grundsätzlich bekomme, wie der Arbeiter in der nicht kapitalistischen Hypothese den Mehrwert als Profit bekommen soll, dann ist es für mich durchaus nicht gleichgültig, nach welchem Maßstab dieser Profit bemessen und verteilt werden soll. Es kann allenfalls eine offene Frage sein, ob dieser Profit bloß nach dem Maße der geleisteten Arbeit oder auch nach dem Maße der vorgeschossenen Produktionsmittel bemessen und verteilt werden soll: aber einfach „gleichgültig“ ist dies für die Beteiligten gewiß nicht, und wenn daher die etwas unwahrscheinliche Tatsache behauptet <78> wird, daß ungleiche Profitraten dauernd nebeneinander bestehen können, ohne durch die Konkurrenz abgeschliffen zu werden, so läßt sich dies gewiß nicht damit motivieren, daß die Höhe der Profitraten für die Interessen der Beteiligten etwas ganz Gleichgültiges sei.

Aber sind die Arbeiter in der Marxschen Hypothese auch nur als Arbeiter gleich behandelt? Sie bekommen für gleiche Arbeitszeit gleiche Werte und Mehrwerte als Lohn, aber sie bekommen sie zu verschiedener Zeit, der eine sofort nach geleisteter Arbeit, der andere muß jahrelang auf die Vergütung warten. Ist das eine wirklich gleiche Behandlung, oder schließt dieser Vorgang nicht vielmehr eine Ungleichheit in einem Nebenumstande der Entlohnung ein, der den Arbeitern nicht gleichgültig sein kann, für den sie im Gegenteile, wie die Erfahrung zeigt, und zwar mit vollem Recht, sehr empfindlich sind? Welchem Arbeiter wäre es heute gleichgültig, ob er seinen Wochenlohn am Samstagabend oder aber ein Jahr später oder drei Jahre später erhält? Und solche empfindliche Ungleichheiten sollten durch die Konkurrenz nicht abgeschliffen werden? Das ist eine Unwahrscheinlichkeit, für welche Marx uns die Aufklärung schuldig geblieben ist.

Seine Hypothese ist aber nicht bloß innerlich unwahrscheinlich, sondern auch mit den Erfahrungstatsachen im Widerstreit. Zwar über den unterstellten Fall in seiner vollen typischen Reinheit haben wir natürlich überhaupt keine unmittelbare Erfahrung, da ein Zustand, in welchem Lohnarbeit überhaupt nicht vorkommt, und jeder Produzent unabhängiger Eigentümer seiner Produktionsmittel ist, in seiner vollen Reinheit nirgends mehr beobachtet werden kann. Wohl aber finden sich auch „in der modernen Welt“ Zustände und Verhältnisse, die der Marxschen Hypothese wenigstens annähernd entsprechen. Sie finden sich, wie Marx selbst hervorhebt (III. 156) [MEW 25, S. 186], „beim selbstarbeitenden grundbesitzenden Bauern und beim Handwerker“. Nach der Marxschen Hypothese müßte sich nun beobachten lassen, daß die Größe des Einkommens dieser Personen vollkommen unabhängig von der Größe des Kapitales ist, das sie in ihrer Produktion anwenden. Sie müßten jeder den gleichen Betrag an Arbeitslohn und Mehrwert beziehen, einerlei, ob das Kapital, welches ihre Produktionsmittel repräsentieren, 10 f1. oder 10.000 fl. beträgt. Ich glaube aber bei keinem Leser auf Zweifel zu stoßen, wenn ich behaupte, daß in den geschilderten Kreisen zwar selten eine so genaue Buchführung besteht, um die Verhältnisse mit ziffermäßiger Genauigkeit feststellen zu können, daß aber der vorwaltende Eindruck gewiß nicht die Marxsche Hypothese bestätigen, sondern im Gegenteil dahin gehen wird, daß im großen und ganzen bei denjenigen Wirtschaftszweigen und Personen, die mit der Unterstützung eines ansehnlichen Kapitales arbeiten, auch ein reichlicheres Einkommen zu finden ist, als bei jenen, die über nichts als über die Arme des Produzenten verfügen.

Diese der Marxschen Hypothese ungünstige Tatsachenprobe erfährt <79> aber endlich eine nicht geringe indirekte Bekräftigung dadurch, daß auch in dem zweiten Falle, in welchem nach der Marxschen Theorie eine reine Herrschaft des Wertgesetzes sich beobachten lassen sollte, und welcher für die direkte Tatsachenprobe viel zugänglicher ist, tatsächlich keine Spur des von Marx prätendierten Ganges der Erscheinungen aufzufinden ist.

Marx lehrt nämlich, wie wir wissen, daß auch in einer voll entwickelten Wirtschaft die Ausgleichung der ursprünglich verschiedenen Profitraten erst durch die Wirkung der Konkurrenz vor sich geht. „Werden die Waren zu ihren Werten verkauft“ – schreibt er an der einläßlichsten der betreffenden Stellen (14) –‚ „so entstehen, wie entwickelt, sehr verschiedene Profitraten in den verschiedenen Produktionssphären, je nach der verschiedenen organischen Zusammensetzung der darin angelegten Kapitalmassen. Das Kapital entzieht sich aber einer Sphäre mit niedriger Profitrate und wirft sich auf die andere, die höheren Profit abwirft. Durch diese beständige Aus- und Einwanderung, mit einem Wort durch seine Verteilung zwischen den verschiedenen Sphären, je nachdem dort die Profitrate sinkt, hier steigt, bewirkt es solches Verhältnis der Zufuhr zur Nachfrage, daß der Durchschnittsprofit in den verschiedenen Produktionssphären derselbe wird“.

Logischer Weise müßten wir nun erwarten, daß überall dort, wo diese Art der Konkurrenz der Kapitale nicht oder wenigstens noch nicht voll wirksam geworden ist, auch die von Marx behauptete ursprüngliche Gestaltung der Preis- und Profitbildung in ihrer vollen Reinheit oder doch wenigstens annähernd anzutreffen ist. Mit anderen Worten, es müßten sich Tatsachenspuren davon zeigen, daß vor der Nivellierung der Profitraten die Produktionszweige mit dem verhältnismäßig größten konstanten Kapitale den kleinsten, die Zweige mit dem kleinsten konstanten Kapitale den größten Profitsatz davongetragen haben und davontragen. Solche Spuren sind nun tatsächlich nirgends zu finden, weder in der historischen Vergangenheit noch in der Gegenwart. Dies ist von einem für Marx sonst in hohem Grade eingenommenen Gelehrten unlängst so überzeugend dargelegt worden, daß ich nichts Besseres tun kann, als einfach die Worte Werner Sombarts zu zitieren.

„Nie und nimmer hat sich die Entwickelung in der angegebenen Weise vollzogen, noch vollzieht sie sich so, was doch wohl wenigstens bei jedem neu aufkommenden Geschäftszweig der Fall sein müßte. Wäre jene Auffassung richtig, so würde man sich das Vordringen des Kapitalismus historisch offenbar so zu denken haben, daß er zunächst die Sphäre mit vorwiegend lebendiger Arbeit, also von unterdurchschnittlicher Kapitalzusammensetzung (kleines c, großes V), okkupiert habe und dann langsam in andere Sphären <80> übergegangen sei in dem Maße, als durch Überhandnehmen der Produktion in jenen ersten Sphären die Preise gesunken wären. In einer Sphäre mit Hervortreten der Produktionsmittel gegenüber lebendiger Arbeit hätte er bei einem Angewiesensein auf den individuell erzeugten Mehrwert naturgemäß in den Anfängen einen so winzigen Profit realisiert, daß ihn nichts verlockt hätte, in jene Sphäre zu wandern. Nun beginnt aber die kapitalistische Produktion historisch sich z. T. gerade auch in Produktionszweigen der letzteren Art zu entwickeln: Bergbau etc. Das Kapital hätte keine Veranlassung gehabt, aus der Zirkulationssphäre, wo es sich sehr wohl fühlte, in die Produktionssphäre überzugehen, ohne Aussicht auf einen „landesüblichen Profit“, welcher – das muß doch bedacht werden – vor aller kapitalistischen Produktion im kommerziellen Profit existierte. Aber man kann die Irrtümlichkeit jener Annahme auch von der anderen Seite her erweisen: Wenn in Sphären mit vorwiegend lebendiger Arbeit in den Anfängen kapitalistischer Produktion exorbitant hohe Profite gemacht würden, so setzte das voraus, daß das Kapital mit einem Schlage den betreffenden, bisher selbständigen Produzentenkreis als Lohnarbeiter beschäftigte, d. h. sage zum halben Verdienstsatze, als sie vorher eingenommen hatten, und die Differenz bei zunächst den Werten entsprechenden Warenpreisen völlig in seine Tasche steckte. Was weiter eine vollständig unrealistische Vorstellung wäre: die kapitalistische Produktion hat mit deklassierten Existenzen in zum Teil ganz neu geschaffenen Produktionszweigen begonnen und ist sicher bei der Preisfestsetzung sofort von der Kapitalauslage ausgegangen“

„Wie aber die Annahme einer empirischen Anknüpfung der Profitrate an die Mehrwertrate historisch, d. h. für die Anfänge des Kapitalismus, falsch, ebenso und noch mehr für die Zustände entwickelter kapitalistischer Produktionsweise. Ob heute ein Betrieb mit noch so hoher oder noch so niedriger Kapitalzusammensetzung sich auftut: die Preisfestsetzung seiner Produkte und die Berechnung (und Realisierung) des Profits erfolgt ausschließlich auf Grund der Kapitalauslage“.

„Wenn zu jeder Zeit, früher wie jetzt, unausgesetzt in der Tat Kapitale von einer Produktionssphäre in die andere wandern, so hat das seinen Hauptgrund gewiß in der Ungleichheit der Profitraten. Aber diese Ungleichheit rührt ganz sicher nicht von der organischen Zusammensetzung der Kapitalien, sondern von irgend welchen Ursachen der Konkurrenz her. Die heute noch am ehesten florierenden Produktionszweige sind z. T. gerade solche mit sehr hoher Kapitalzusammensetzung, wie Bergwerke, chemische Fabriken, Bierbrauereien, Dampfmüllereien etc. Sind das Gebiete, aus denen sich Kapitalien zurückgezogen haben, ausgewandert sind, bis die Produktion entsprechend eingeschränkt wurde, und die Preise stiegen?“ (15)

<81> Diese Darlegungen würden den Stoff zu manchen gegen die Marxsche Theorie sich kehrenden Nutzanwendungen bieten. Ich ziehe daraus vorläufig eine einzige, die unmittelbaren Bezug auf das Argument hat, bei dem unsere Untersuchung eben hält: das Wertgesetz, welches zugestandenermaßen in der der vollen Konkurrenz unterworfenen Volkswirtschaft seine prätendierte Herrschaft an die Produktionspreise abtreten muß, hat eine reelle Herrschaft auch in ursprünglichen Zuständen niemals geübt und nicht üben können.

Wir haben somit der Reihe nach drei Ansprüche scheitern gesehen, welche die Existenz gewisser reservierter Herrschaftsgebiete behaupteten, in welchen das Wertgesetz zu unmittelbarer Geltung kommen soll: die Anwendung des Wertgesetzes auf die Summe aller Waren und Warenpreise statt auf ihre individuellen Austauschverhältnisse (erstes Argument) hat sich überhaupt als begrifflicher Nonsens erwiesen; die Bewegung der Preise (zweites Argument) gehorcht tatsächlich dem prätendierten Wertgesetze nicht, und ebensowenig übt dieses eine reelle Herrschaft in „ursprünglichen“ Zuständen aus (drittes Argument). Es bleibt nun nur noch eine Möglichkeit: Übt das Wertgesetz, welches sich nirgends in reeller, unmittelbarer Geltung zeigt, vielleicht wenigstens eine indirekte Herrschaft, eine Art Oberkönigtum aus?

Marx versäumt nicht, auch dies zu behaupten. Es ist der Stoff des vierten Arguments, dessen Betrachtung wir uns nunmehr zuzuwenden haben.
 

Viertes Argument

Dieses Argument wird von Marx häufig scblagwortartig angedeutet, jedoch, soviel ich sehe, nur an einer einzigen Stelle genauer erläutert. Es geht im Wesen dahin, daß die die aktuelle Preisbildung beherrschenden „Produktionspreise“ ihrerseits wieder unter dem Einflusse des Wertgesetzes stehen, und dieses somit durch das Mittel der Produktionspreise die faktischen Austauschverhältnisse beherrsche. Die Werte „stehen hinter den Produktionspreisen“ und „bestimmen sie in letzter Instanz“ (III. 188) [MEW 25, S. 219]; die Produktionspreise sind, wie Marx oft sich ausdrückt, bloß „verwandelte Werte“ oder „verwandelte Formen des Werts“ (III. 142, 147,152 und öfters) [MEW 25, S. 173, 177 f.‚ 183]. Die Art und das Maß des Einflusses, den das Wertgesetz auf die Produktionspreise nimmt, findet aber ihre genaue Erläuterung in einer Stelle auf S. 158 u. 159 [MEW 25, S. 189]. „Der Durchschnittsprofit, der die Produk- <82> tionsweise bestimmt, muß immer annähernd gleich sein dem Quantum Mehrwert, das auf ein gegebenes Kapital als aliquoten Teil des gesellschaftlichen Gesamtkapitals fällt. Da nun der Gesamtwert der Waren den Gesamtmehrwert, dieser aber die Höhe des Durchschnittsprofits und daher der allgemeinen Profitrate regelt – als allgemeines Gesetz oder als das die Schwankungen Beherrschende –‚ so reguliert das Wertgesetz die Produktionspreise“.

Gehen wir diesem Gedankengang Schritt für Schritt prüfend nach. Der Durchschnittsprofit, sagt Marx zu Anfang, bestimmt die Produktionspreise. Das ist im Sinne der Marxschen Lehre richtig, aber nicht vollständig. Machen wir das Verhältnis vollständig klar.

Der Produktionspreis einer Ware setzt sich zunächst aus dem „Kostpreis“ der Produktionsmittel für den Unternehmer und aus dessen Durchschnittsprofit vom ausgelegten Kapitale zusammen. Der Kostpreis der Produktionsmittel setzt sich wieder aus zwei Komponenten zusammen: aus der Auslage an variablem Kapital, d. i. aus den unmittelbar gezahlten Löhnen, und aus der Auslage für verbrauchtes oder vernutztes konstantes Kapital, Rohstoffe, Maschinen u. dgl. Wie Marx ferner ganz richtig auf S. 138 f., 144 u. 186 [MEW 25, S. 169 f., 174 f., u. 216 f.] erläutert, entspricht in einer Gesellschaft, in der sich die Werte bereits in Produktionspreise verwandelt haben, auch der Anschaffungs- oder Kostpreis dieser sachlichen Produktionsmittel nicht ihrem Werte, sondern der Summe der Auslagen, die die Produzenten dieser Produktionsmittel ihrerseits auf Löhne und sachliche Hilfsmittel gewendet haben, plus dem Durchschnittsprofit von diesen Auslagen. Setzt man diese Analyse weiter fort, so gelangt man, ganz wie bei dem natural price von Adam Smith, mit dem ja Marx seinen Produktionspreis auch ausdrücklich identifiziert (III. 178) [MEW 25, S. 208], schließlich zur Auflösung des Produktionspreises in zwei Komponenten oder Determinanten: in die Summe aller während der verschiedenen Produktionsstadien bezahlten Löhne, die zusammen den eigentlichen Kostpreis der Ware darstellen (16), und in die Summe aller von diesen Lohnauslagen pro rata temporis berechneten und zwar nach der Durchschnittsprofitrate berechneten Profite.

Es ist also allerdings der bei der Erzeugung einer Ware auflaufende Durchschnittsprofit ein Bestimmgrund des Produktionspreises der betreffenden Ware. Von dem zweiten Bestimmgrund, der bezahlten Lohnsumme, spricht Marx an dieser Stelle nicht weiter. Da er aber, wie erwähnt, an einer anderen Stelle ganz allgemein davon spricht, daß „die Werte hinter den Produktionspreisen stehen“, und „das Wertgesetz diese in letzter Instanz bestimme“, <83> müssen wir, um keine Lücke zu lassen, auch diesen zweiten Faktor in unsere Untersuchung einbeziehen und demgemäß zusehen, ob und in welchem Grade sich von ihm behaupten läßt, daß er durch das Wertgesetz bestimmt werde.

Offenbar ist die Summe der gezahlten Löhne ein Produkt aus der Menge der aufgewendeten Arbeit multipliziert mit der Höhe des Lohnsatzes. Da nun nach dem Wertgesetze die Austauschverhältnisse ausschließlich durch die Menge der aufgewendeten Arbeit bestimmt werden sollen, und Marx wiederholt mit dem größten Nachdruck der Höhe des Arbeitslohnes jeden Einfluß auf den Wert der Waren abspricht (17), so ist es ebenso offenbar, daß von den beiden Komponenten des Faktors „Lohnauslage“ nur eine, die Menge der aufgewendeten Arbeit, mit dem Wertgesetze harmoniert, während in der zweiten Komponente, Höhe des Arbeitslohnes, ein dem Wertgesetze fremder Bestimmgrund unter die Bestimmgründe der Produktionspreise eintritt.

Art und Maß der Wirkungsweise dieses Momentes sei, um alle Mißverständnisse abzuschneiden, noch an einem einfachen ziffermäßigen Beispiel illustriert.

Nehmen wir drei Waren A, B und C, welche anfänglich den gleichen Produktionspreis von je 100 Mark, aber bei verschiedener typischer Zusammensetzung der Kostenbestandteile, repräsentieren. Nehmen wir weiter an, der Arbeitslohn für einen Tag betrage anfänglich 5 Mk., die Rate des Mehrwerts oder der Grad der Exploitation betrage 100 %‚ so daß vom gesamten Warenwert von 300 Mk. 150 Mk. auf Löhne, andere 150 Mk. auf Mehrwert entfallen; das (auf die drei Waren in ungleichem Verhältnis angewendete) Gesamtkapital betrage 1500 Mk., die Durchschnittsprofitrate demnach 10 %. Dieser Annahme entspricht folgende tabellarische Darstellung:

Tabelle 3

Ware Aufgewendete Arbeitstage Aufgewendete Arbeitslöhne Angewendetes Kapital Entfallender Durchschnittsprofit Produktionspreis
A 10 50 500 50 100
B 6 30 700 70 100
C 14 70 300 30 100
Summe 30 150 1500 150 300

<84> Nun supponieren wir eine Steigerung des Arbeitslohnes von 5 auf 6 Mk. Dieselbe kann bei sonst ungeänderten Umständen nach Marx nur auf Kosten des Mehrwerts gehen. (18) Von dem gleich gebliebenen Gesamtprodukt von 300 Mk. werden daher – unter Verminderung des Grades der Exploitation – auf die Arbeitslöhne 180, auf den Mehrwert nur 120 Mk. entfallen, wonach die Durchschnittsprofitrate für das verwendete Kapital von 1500 Mk. auf 8 % sinkt. Die hierdurch in der Zusammensetzung der Kapitalbestandteile und in den Produktionspreisen eintretenden Verschiebungen zeigt die folgende Tabelle.

Tabelle 4

Ware Aufgewendete Arbeitstage Aufgewendete Arbeitslöhne Angewendetes Kapital Entfallender Durchschnittsprofit Produktionspreis
A 10 60 500 40 100
B 6 36 700 56 92
C 14 84 300 24 108
Summe 30 180 1500 120 300

Es zeigt sich sonach, daß die Steigerung der Arbeitslöhne bei ungeänderter Arbeitsmenge eine empfindliche Verschiebung der anfänglich gleichen Produktionspreise und Austauschverhältnisse herbeigeführt hat. Diese Verschiebung ist zum Teile, aber augenscheinlich nicht gänzlich auf die gleichzeitige, notwendige Veränderung der durch die Lohnlinderung ins Mitleiden gezogenen Durchschnittsprofitrate zurückzuführen. Gewiß nicht gänzlich, sage ich, weil ja z. B. der Produktionspreis der Ware C, trotz des Sinkens des darin begriffenen Profitbetrages, gestiegen ist, also diese Preisänderung gewiß nicht durch die Änderung des Profites allein herbeigeführt worden sein kann. Ich hebe diese – übrigens selbstverständliche – Sache nur deshalb hervor, um außer Zweifel zu stellen, daß wir es in der Lohnhöhe mit einem Preisbestimmungsgrund zu tun haben, dessen Wirksamkeit sich in der Beeinflussung der Profithöhe nicht erschöpft, der vielmehr auch einen eigenen, direkten Einfluß ausübt, und daß wir daher in der Tat Ursache hatten, das von Marx an der oben zitierten Stelle übersprungene Glied der Preisbestimmungsgründe einer selbständigen Betrachtung zu unterziehen. Die schließlichen Ergebnisse dieser Betrachtung zu resumieren, behalte ich mir für später vor. Folgen wir einstweilen, schrittweise prüfend, der Darlegung, welche Marx von der Art und Weise gibt, in welcher der zweite Bestimmgrund der Produktionspreise, der Durchschnittsprofit, durch das Wertgesetz reguliert werden soll.

Der Zusammenhang ist nichts weniger als ein direkter. Er wird <85> durch folgende, von Marx zum Teile nur elliptisch angedeutete, aber jedenfalls in seinem Gedankengang gelegene Glieder vermittelt: Das Wertgesetz bestimmt den Gesamtwert sämtlicher in der Gesellschaft produzierter Waren (19); der Gesamtwert der Waren bestimmt den darin enthaltenen Gesamtmehrwert; dieser regelt, auf das gesellschaftliche Gesamtkapital repartiert, die Durchschnittsprofitrate; diese, auf das bei der Produktion einer einzelnen Ware beschäftigte Kapital angewendet, ergibt den konkreten Durchschnittsprofit, der endlich als Element in den Produktionspreis der betreffenden Ware eingeht. Auf diese Weise „reguliert“ der am Anfang dieser Reihe stehende Faktor, das „Wertgesetz“, das Schlußglied, die Produktionspreise.

Begleiten wir diese logische Kette mit unseren Bemerkungen.

1) Zunächst fällt auf und ist festzustellen, daß Marx einen Zusammenhang des in den Produktionspreis der Waren eingehenden Durchschnittsprofits mit dem auf Grund des Wertgesetzes in bestimmten einzelnen Waren verkörperten Werte überhaupt nicht behauptet. Er hebt im Gegenteile an zahlreichen Stellen mit Nachdruck hervor, daß das Quantum Mehrwert, das in den Produktionspreis einer Ware eingeht, unabhängig, ja grundsätzlich verschieden ist von dem „in der besonderen Produktionssphäre wirklich erzeugten Mehrwert“ (III. 146; ähnlich III. 144 und öft.) [MEW 24, S. 177, ähnlich S. 174 f.]. Er knüpft daher den dem Wertgesetz zugeschriebenen Einfluß überhaupt nicht an die charakteristische Funktion des Wertgesetzes an, vermöge deren dieses die Austauschverhältnisse der einzelnen Waren normiert, sondern lediglich an eine vermeintliche andere Funktion, über deren höchst problematischen Charakter wir uns schon früher unser Urteil gebildet haben: nämlich an die Bestimmung des Gesamtwertes aller Waren zusammengenommen. In dieser Anwendung ist, wie wir uns überzeugt haben, das Wertgesetz einfach inhaltslos. Wenn man, wie es ja doch auch Marx tut, den Begriff und das Gesetz des Wertes auf die Austauschverhältnisse der Güter münzt (20), so hat es keinen Sinn, Begriff und Gesetz auf ein Ganzes anzuwenden, welches als solches in jene Verhältnisse nie eintreten kann: für den nicht stattfindenden Austausch dieses Ganzen gibt es natürlich weder einen Maßstab noch einen Bestimmgrund, und daher kann es auch keinen Inhalt für ein „Wertgesetz“ geben. Wenn aber das Wertgesetz einen reellen Einfluß auf einen chimärischen „Gesamtwert aller Waren zusammengenommen“ überhaupt nicht hat, kann natürlich ein solcher Einfluß auch nicht auf andere Verhältnisse weiter geleitet werden, und die ganze vielgegliederte <86> Kette, die Marx mit äußerlich säuberlicher Logik weiter zu knüpfen bemüht war, hängt daher in der Luft.

2) Aber sehen wir von diesem ersten fundamentalen Mangel ganz ab, und prüfen wir die übrigen Glieder der Kette unabhängig davon auf ihre eigene Haltbarkeit. Nehmen wir also an, der Gesamtwert der Waren sei wirklich eine reelle und zwar durch das Wertgesetz bestimmte Größe: so besagt das zweite Glied, daß dieser Gesamtwert der Waren den Gesamtmehrwert regelt. Ist dies richtig?

Der Mehrwert stellt zweifellos keine feste oder unveränderliche Quote des gesamten Nationalproduktes dar, sondern ergibt sich aus der Differenz zwischen dem „Gesamtwert“ des Natlonalproduktes und dem Betrag des Lohnes, der an die Arbeiter gezahlt wird. Jener Gesamtwert regelt also jedenfalls nicht für sich allein schon die Größe des Gesamtmehrwerts, sondern vermag im besten Falle einen Bestimmgrund für seine Größe abzugeben, neben welchen als ein zweiter, fremder Bestimmgrund die Höhe des Arbeitslohnes tritt. Gehorcht aber nicht vielleicht auch dieser dem Marxschen Wertgesetze?

Im ersten Bande hatte Marx dies noch bedingunglos behauptet. „Der Wert der Arbeitskraft“, schreibt er auf S. 155 [S. 184], „gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit“. Und auf der nächsten Seite fährt er, diesen Satz genauer bestimmend, fort: „Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel“. Im dritten Bande ist Marx aber gezwungen, auch von der Strenge dieser Behauptung, Erhebliches nachzulassen. Er macht nämlich auf S. 186 [S. 217] des dritten Bandes mit vollem Recht auf die Möglichkeit aufmerksam, daß auch die notwendigen Lebensmittel der Arbeiter sich zu Produktionspreisen verkaufen können, die von der notwendigen Arbeitszeit abweichen. In diesem Falle, lehrt Marx, kann auch der variable Teil des Kapitales, (d. i. die bezahlten Löhne) „von seinem Werte abweichen“. Mit anderen Worten: auch der Arbeitslohn kann (ganz abgesehen von bloß temporären Oszillationen) dauernd von demjenigen Satze abweichen, welcher der in den notwendigen Lebensmitteln verkörperten Arbeitsmenge oder der strengen Anforderung des Wertgesetzes entsprechen würde. Es nimmt also schon bei der Bestimmung des Gesamtmehrwerts mindestens ein dem Wertgesetze fremder Bestimmgrund teil.

3) Der so determinierte Faktor Gesamtmehrwert „regelt“ nach Marx die Durchschnittsprofitrate. Offenbar aber wieder nur auf die Weise, daß der Gesamtmehrwert einen Bestimmgrund abgibt, während als zweiter, hiervon und auch vom Wertgesetz ganz unabhängiger Bestimmgrund die Größe des in der Gesellschaft existie- <87> renden Kapitales wirkt. Ist, wie in der obigen Tabelle, bei einem Mehrwerte von 100 % der Gesamtmehrwert 150 Mk., so beträgt die Profitrate 10 %‚ wenn und weil das in allen Produktionszweigen verwendete Gesamtkapltal 1.500 Mk. beträgt; sie würde offenbar, bei ganz gleichbleibendem Gesamtmehrwert, nur 5 % betragen, wenn das Gesamtkapital, das daran partizipiert, sich auf 3.000 Mk. belaufen würde, und volle 20 %‚ wenn das Gesamtkapital nur 750 Mk. ausmachen würde. Es kommt also offenbar abermals ein dem Wertgesetz ganz fremder Bestimmgrund in die beeinflussende Kette.

4) Die Durchschnittsprofitrate, so haben wir weiter zu schließen, regelt die Größe des konkreten Durchschmttsprofites, der bei der Produktion einer bestimmten Ware aufläuft. Das ist abermals nur mit derselben Einschränkung wie bei den früheren Gliedern richtig. Nämlich die Summe des Durchschnittsprofits, der bei einer bestimmten Ware aufläuft, ist das Produkt aus zwei Faktoren: Größe des vorgeschossenen Kapitals multipliziert mit der Durchschnittsprofitrate. Die Größe des in den verschiedenen Stadien vorzuschießenden Kapitales bestimmt sich aber wiederum nach zwei Faktoren: nämlich nach der Menge der zu honorierenden Arbeit (ein Faktor, der allerdings zum Marxschen Wertgesetz nicht in Disharmonie steht), aber auch nach der Höhe des zu entrichtenden Lohnes, und bei diesem Faktor kommt, wie wir uns soeben überzeugt haben, ein dem Wertgesetz fremder Faktor ins Spiel.

5) Mit dem nächsten Gliede leiten wir wieder zum Anfang zurück. Der nach Glied 4 bestimmte Durchschnittsprofit soll den Produktionspreis der Ware regeln. Das ist richtig, mit der zu Anfang vorausgeschickten Korrektur, daß der Durchschnittsprofit nur ein preisbestimmender Faktor ist neben der Lohnauslage, in welcher letzteren, wie wiederholt dargelegt, ein dem Marxschen Wertgesetz fremdes Element mitbestimmend einwirkt.

Fassen wir zusammen. Was ist das Beweisthema gewesen, das Marx zu erhärten unternahm? Es lautete: „Das Wertgesetz reguliert die Produktionspreise“, oder, nach einer anderen Ausdrucksform, „die Werte bestimmen in letzter Instanz die Produktionspreise“. Oder, wenn wir den Inhalt des Wertes und Wertgesetzes, wie ihn Marx im ersten Bande bestimmt hatte, in die Formel einsetzen, so lautet die Behauptung: Die Produktionspreise werden „in letzter Instanz“ von dem Satze beherrscht, daß die Arbeitsmenge der einzige Umstand ist, der dem Austauschverhältnisse der Waren zu Grunde liegt.

Und was zeigt die Nachprüfung der einzelnen Glieder des Beweisganges? Sie zeigt, daß der Produktionspreis zunächst aus zwei Komponenten sich zusammensetzt. Die eine, die Lohnauslage, ist das Produkt zweier Faktoren, von denen der eine, die Menge der Arbeit, mit der Substanz des Marxschen Wertes homogen ist, der zweite, die Lohnhöhe, nicht. Von der zweiten Komponente, der auflaufenden Durchschnittsprofitsumme, vermochte Marx selbst einen Zusammenhang mit dem Wertgesetz überhaupt nur mit Hilfe einer gewaltsamen <88> Ausrenkung dieses Gesetzes zu behaupten, indem er ihm eine Wirksamkeit auf einem Gebiete zuschrieb, auf dem es Austauschverhältnisse gar nicht gibt. Aber auch davon abgesehen, mußte sich jedenfalls der Faktor „Gesamtwert der Waren“, den Marx noch aus dem Wertgesetz ableiten will, in die Bestimmung des nächsten Gliedes, des Gesamtmehrwerts, mit einem dem Wertgesetze schon nicht mehr homogenen Faktor „Höhe des Arbeitslohnes“ teilen; der „Gesamtmehrwert“ mußte sich mit einem vollkommen fremden Element, der Masse des Gesellschaftskapitales, in die Bestimmung der Durchschnittsprofitrate, diese endlich mit dem teilweise fremden Elemente Lohnauslage in die Bestimmung der auflaufenden Profitsumme teilen. Der mit sehr problematischer Berechtigung dem Marxschen Wertgesetze zu gute gebuchte Faktor „Gesamtwert aller Waren“ wirkt daher erst nach einer dreimaligen homöopathischen Verdünnung seines Einflusses und natürlich auch mit einem dieser Verdünnung entsprechend geringen Anteil an der Bestimmung des Durchschnittsprofits und weiter der Produktionspreise mit. Eine nüchterne Schilderung des Tatbestandes hätte also folgendermaßen zu lauten: Die Menge der Arbeit, welche nach dem Marxschen Wertgesetze die Austauschverhältnisse der Waren voll und ausschließlich beherrschen soll, erweist sich tatsächlich als ein Bestimmgrund der Produktionspreise neben anderen Bestimmgründen. Sie hat einen starken und ziemlich unmittelbaren Einfluß auf die eine Komponente der Produktionspreise, welche in der Lohnauslage besteht, einen viel entfernteren, schwächeren und größtenteils (21) sogar problematischen auf die zweite Komponente, den Durchschnittsprofit.

Ich frage nun: Enthält dieser Tatbestand eine Bestätigung oder eine Widerlegung des Anspruchs, daß in letzter Instanz doch das Wertgesetz die Produktionspreise bestimme? – Ich glaube, die Antwort kann nicht einen Augenblick zweifelhaft sein: Das Wertgesetz prätendiert, daß die Arbeitsmenge allein die Austauschverhältnisse bestimme, die Tatsachen beinhalten, daß nicht die Arbeitsmenge oder ihre homogene Faktoren allein die Austauschverhältnisse bestimmen. Diese beiden Sätze verhalten sich zu einander wie Ja und Nein, wie Behauptung und Widerspruch. Wer den zweiten Satz anerkennt – und Marx’ Theorie von den Produktionspreisen enthält diese Anerkennung –, widersagt faktisch dem ersten. Und wenn Marx wirklich geglaubt haben sollte, daß er sich und seinem ersten Satze nicht widersprochen habe, so hat er sich durch eine derbe Verwechselung täuschen lassen. Er hätte dann nicht gesehen, daß es denn doch <89> zwei sehr verschiedene Dinge sind, ob irgend ein in einem Gesetze berufener Faktor irgend eine Art von Einfluß in irgend einem Grade ausübt, oder ob das Gesetz selbst seine Herrschaft ausübt.

Das trivialste Beispiel wird in einer so handgreiflichen Sache vielleicht das beste sein. Man spricht über die Wirkung der Geschütze auf Schiffspanzer, und jemand stellt die Behauptung auf, daß der Grad der zerstörenden Wirkung des Schusses einzig und allein von der Größe der verwendeten Pulverladung abhänge. Man stellt ihn zur Rede und weist ihm an der Hand der tatsächlichen Erfahrung unter seiner eigenen schrittweisen Zustimmung nach, daß es für die Schußwirkung nicht bloß auf die Menge des verladenen Pulvers, sondern auch auf dessen Stärke, weiter aber auch auf die Konstruktion, Länge u. dgl. des Geschützrohrs, dann auf die Gestalt und Härte des Geschosses, weiter auf die Entfernung des Objekts und nicht am wenigsten endlich auf die Dicke und Festigkeit der Panzerplatten ankomme. Und nun, nachdem alles das schrittweise zugestanden ist, würde unser Mann sagen, er habe also mit seiner anfänglichen Behauptung doch recht; denn, wie sich gezeigt habe, übe der von ihm berufene Faktor Pulvermenge doch einen maßgebenden Einfluß auf die Schußwirkung aus, was sich unter anderem daran erweise, daß unter sonst gleichen Umständen mit der Stärke der Pulverladung die Schußwirkung sich steigere und umgekehrt!

Nicht anders Marx. Er peroriert erst mit dem denkbar größten Nachdruck, daß den Austauschverhältnissen der Ware nichts anderes zu Grunde liegen könne, als einzig und allein die Arbeitsmenge; er polemisiert auf das schärfste gegen die Ökonomen, welche außer der Arbeitsmenge – deren Einfluß auf den Tauschwert der beliebig reproduzierbaren Güter ja niemand leugnet – auch noch andere Bestimmgründe des Wertes und Preises anerkennen; er baut auf die ausschließliche Stellung der Arbeitsmenge als einzigen Bestimmgrund der Austauschverhältnisse zwei Bände lang die wichtigsten theoretischen und praktischen Folgerungen, seine Theorie des Mehrwerts und sein Anathem gegen die kapitalistische Gesellschaftsorganisation auf – um im dritten Bande eine Theorie der Produktionspreise zu entwickeln, welche materiell den Einfluß auch noch anderer Bestimmgründe anerkennt. Aber statt diese anderen Bestimmgründe vollkommen zu analysieren, legt er immer nur mit triumphierender Geste den Finger auf diejenigen Punkte, an denen sein Idol, die Arbeitsmenge, auch jetzt noch wirklich oder seiner Meinung nach einen Einfluß ausübt: auf die Veränderung der Preise, wenn sich die Arbeitsmenge verändert, auf die Beeinflussung der Durchschnittsprofitrate durch den „Gesamtwert“ u. dgl. Über den koordinierten Einfluß fremder Bestimmgründe wie über die Beeinflussung der Profitrate durch die Größe des gesellschaftlichen Kapitales, über die Änderung der Preise durch Veränderung der organischen Zusammensetzung der Kapitale oder durch Änderung der Lohnhöhe schweigt er sich in diesem Zusammenhange aus. Erörterungen, in denen er diese Einflüsse anerkennt, fehlen nicht in seinem Werke. Der Einfluß der Lohnhöhe auf die Preise <90> ist z. B. auf S. 179 ff. [S. 210 ff.]‚ dann 186 [S. 217], der Einfluß der Größe des Gesellschaftskapitals auf die Höhe der Durchschnittsprotitrate auf S. 145, 184, 191 f., 197 f.‚ 203 u. öft. [S. 176, 215, 221, 227, 232 f.], der Einfluß der organischen Zusammensetzung der Kapitale auf die Produktionspreise auf S. 142 ff. [S. 173 ff.] zutreffend entwickelt. Aber charakteristischer Weise gleitet Marx an den der Apologie des Wertgesetzes gewidmeten Stellen über diese andersartigen Einflüsse wortlos hinweg, hebt bloß einseitig den Anteil der Arbeitsmenge hervor, um aus der richtigen und von niemandem bestrittenen Prämisse, daß der Faktor Arbeitsmenge an mehreren Punkten in die Gestaltung der Produktionspreise mitbestimmend eingreift, den ganz und gar ungerechtfertigten Schluß zu ziehen, daß denn doch „in letzter Instanz“ das Wertgesetz, welches die Alleinherrschaft der Arbeit ausspricht, die Produktionspreise bestimme! Das heißt sich dem Eingeständnis des Widerspruchs entziehen, gewiß aber nicht den Widerspruch selbst vermeiden!

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Anmerkungen des Verfassers

(8) Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorien, Innsbruck 1884, S. 413.

(9) Siehe dessen Schrift über Die Durchschnittsprofitrate auf Grundlage des Marxschen Wertgesetzes, Stuttgart 1889, besonders Paragraph 13; dann meine Besprechung dieser Schrift in der Tübinger Zeitschrift f. d. ges. Staatewissensch., 1890, S. 590 ff.

(10) L’opera postuma di Carlo Marx, Nuova Antologia vom 1. Februar 1895, S. 20, 22, 23.

(11) Zur Kritik des ökonomischen Systems von Karl Marx im Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. VII., Heft 4, S. 571 fg.

(12) Siehe dessen oben zitierte Schrift, besonders Paragraph 13.

(13) III. 156 [MEW, Bd. 25, S. 186]‚ ganz ähnlich in der früher zitierten Stelle III. 158 [MEW, Bd. 25, S. 189]

(14) III. 175 fg. [MEW, Bd. 25, S. 206 f.]. Vgl. auch die kürzeren Aussprüche III. 136, 151, 159 u. öfters [MEW, Bd. 25, S. 167, 182, 190].

(15) Zur Kritik des ök. Systems von Karl Marx, Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. VIL S. 584–586. Ich bin übrigens verpflichtet, hervorzuheben, daß Sombart mit der zitierten Stelle Marx nur bedingungsweise zu bekämpfen beabsichtigte, für den Fall nämlich, daß Marx mit seiner Lehre wirklich den ihr im Texte beigelegten Sinn verbunden haben sollte. Er selbst unterlegt ihr bei seinem von mir schon einmal erwähnten „Rettungsversuche“ eine andere, wie ich glaube, etwas exotische Deutung, auf welche ich noch später besonders zu sprechen kommen werde.

(16) „Der Kostpreis einer Ware bezieht sich nur auf das Quantum der in ihr enthaltenen bezahlten Arbeit“: Marx III. 144 [MEW, Bd. 25, S. 175].

(17) z. B. III. 187 [MEW, Bd. 25, S. 218], wo Marx betont, „daß unter allen Umständen Steigen oder Sinken des Arbeitslohnes nie den Wert der Waren ... affizieren kann“.

(18) Vgl. III. 179 ff. [MEW, Bd. 25, S. 210 ff.]

(19) Dieses Glied hat Marx an der zitierten Stelle nicht ausdrücklich eingeschaltet. Seine Einschaltung ist jedoch selbstverständlich.

(20) Zur abweichenden Meinung W. Sombarts werde ich, wie schon erwähnt, noch besonders Stellung nehmen.

(21) Nämlich soweit er durch den Faktor „Gesamtwert“ vermittelt werden soll, welcher m. E. mit der inkorporierten Arbeitsmenge gar nichts zu tun hat. Da aber in den folgenden Gliedern auch der Faktor Lohnauslage erscheint, bei dessen Bestimmung die Menge der zu entlohnenden Arbeit allerdings als Element mitwirkt, findet die Arbeitsmenge immerhin auch unter den indirekten Bestimmgründen des Durchschnittsprofits ihren Platz.


Zuletzt aktualisiert am 21. März 2020