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Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903, S. 293 f., 295 f., 297.
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Der Zweck des Antrages 4 [1] ist ein praktischer. Wir erstreben damit keineswegs, eine Prinzipienerklärung darüber herbeizuführen, wie das internationale Proletariat zur Frage des Frauenwahlrechts steht. Das hieße offene Türen einrennen, und wir haben wichtigeres zu tun als das. Zwei internationale Kongresse haben sich bereits rückhaltlos prinzipiell für das Frauenwahlrecht erklärt. Ws wir mit unsrem Antrag sagen wollen ist, dass in der Praxis in all‘ den Fällen, wo das Proletariat gezwungen ist, den Kampf für die weitere demokratische Ausgestaltung des Wahlrechts aufzunehmen, auch der Forderung des Frauenwahlrechts die ihr gebührende Bedeutung zuerkannt wird. Gerade in der gegenwärtigen Situation hat aus rein praktischen Rücksichten das Proletariat aller Kulturländer im eigenen Interesse die Pflicht dazu. In allen Kulturländern, wo das Proletariat politisch aufgeklärt und organisiert kämpfend auf den Plan tritt, da versucht mehr oder weniger offen die Reaktion die Rechte des Volkes zu schmälern. Das Proletariat wird geradezu herausgefordert, alle Versuche, seine politische Bewegungsfreiheit zu mindern, dadurch zu beantworten, dass es der Ausgestaltung des Wahlrechts in demokratischem Sinne mehr und mehr praktische Bedeutung beimisst. Wir haben die Kämpfe um die Erweiterung des Wahlrechts in Norwegen, Schweden, Belgien, wir haben sie vor allem in nächster Zeit hier in Sachsen, im Rahmen des Dreiklassenwahl-Unrechts, wir haben sie in Preußen, dem Lande des Dreiklassenwahl-Unrechts. Und dabei darf die Forderung des Frauenwahlrechts nicht hintangestellt werden, sei es in Rücksicht auf so genannte bürgerliche Verbündete wie in Belgien, sei es in Rücksicht auf den Unverstand der Massen in den eigenen Reihen. Wir bezwecken mit unserer Resolution, dass der internationale Kongress auf die Bedeutung der Frage hinweist und den Genossen in allen Ländern erklärt: es genügt nicht, auf der prinzipiellen Stellungnahme zum Frauenwahlrecht auszuschlafen, sondern wir müssen zu Gunsten der vollen politischen Gleichberechtigung der Geschlechter handeln.
Aber wenn wir auch dieser Auffassung sind, so sind wir doch gegen
den Antrag 4a [2], das Frauenwahlrecht
als besonderen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. Mit diesem
Antrage würden Sie sich in Widerspruch setzen zu einem vorher
abgelehnten Antrage. Sie haben vorhin beschlossen, dass wir die
Forderung des Frauenwahlrechts nicht herausgreifen und als
Sonderforderung vertreten wollen, sondern im Zusammenhang mit den
Reformen, die wir auch noch zu Gunsten der Männer auf dem Gebiet
des Wahlrechts zu verlangen haben. Halten wir diesen allgemeinen
Zusammenhang fest, so erreichen wir weit mehr. Wir verfallen dann
nicht, unbekümmert um alle Sticheleien von frauenrechtlerischer
Seite, in eine einseitige Frauenrechtelei, sondern wahren auf dem
Boden unserer grundsätzlichen Auffassung den Zusammenhang
zwischen Frauenrecht und proletarischem Recht, und wir gewinnen
dadurch praktisch, indem wir der Agitation eine kräftigere
breitere Grundlage geben, als wenn wir lediglich für das
Frauenwahlrecht eintreten. Ich würde es durchaus begrüßen,
wenn auf die Tagesordnung des nächsten internationalen
Kongresses gesetzt würde: der Kampf um die Eroberung eines
völlig demokratischen Wahlrechts. Aber die Forderung des
Frauenwahlrechts, so wie die Dinge heute im Proletariat liegen,
einzeln als Punkt der Tagesordnung zu behandeln, finde ich so wenig
der Bedeutung des Kongresses angemessen, als wollte man auf die
Tagesordnung eines internationalen Kongresses die Forderung unseres
Programms setzen, den Beginn des Wahlrechts auf das 20. Lebensjahr zu
normieren, Ich möchte Sie also bitten, die Resolution 4
anzunehmen, dagegen den Antrag 4a abzulehnen. (Lebhafter
Beifall.)
Nur einige Bemerkungen gegen Brauns Ausführungen! Es handelt
sich hier nicht, wie ich bereits betonte, um die Aufstellung einer
theoretischen Forderung, sondern um die Erzielung praktischer
Resultate. Dass wir die Agitation der Frauenrechtlerinnen nicht
unterschätzen dürfen, ist gewiss richtig. Aber in
Deutschland stehen wir leider vor der Tatsache, die
frauenrechtlerische Agitation für das Frauenstimmrecht gar nicht
hochschätzen zu können. (Sehr richtig!) Der Verein
für Frauenstimmrecht hatte bei den letzten Wahlen nichts
eiligeres zu tun, als die Forderung des Frauenstimmrechts aus seinem
Programm zu streichen, als für die Kandidaten der Freisinnigen
Volkspartei (Sehr wahr!) und gegen die sozialdemokratischen
Kandidaten zu stimmen, obgleich die Sozialdemokraten für das
Frauenwahlrecht kämpfen, während sich die Freisinnige
Volkspartei gar nicht darum kümmert. Es trifft zu, dass in
England aus bürgerlichen Kreisen für das Frauenwahlrecht
lebhaft agitiert wird. Unrichtig aber ist es, dass die englischen
Genossen gegen das Frauenwahlrecht eingetreten seien. Sie sind nicht
gegen das Frauenwahlrecht im Allgemeinen eingetreten, sondern nur
dagegen, dass es als beschränktes Wahlrecht zur Einführung
gelangen und mithin die Macht der besitzenden Klassen stärken
sollte. Ich verweise auf das treffliche Material, das Genossin Lilly
Braun hierüber im Archiv für soziale Gesetzgebung und
Statistik veröffentlicht hat. Gewiss wäre es Torheit,
wenn wir uns in der Frage des Frauenwahlrechts von der bürgerlichen
Frauenbewegung um den bürgerlichen Parteien den Wind aus den
Segeln nehmen lassen wollten. Die praktische Notwendigkeit zwingt uns
dazu, energisch für das Frauenstimmrecht einzutreten. Je mehr es
der Sozialdemokratie gelingt, die Männer aus dem Proletariat um
ihre Fahne zu scharen, um so mehr werden die Reaktionäre dazu
gedrängt, die Forderung des Frauenwahlrechts in ihr Programm
aufzunehmen, weil sie hoffen, auf diese Weise die unaufgeklärte
Frau gegen den aufgeklärten Mann ausspielen zu können.
(Sehr richtig!) aus diesem Grunde ist in Belgien ein großer
Teil des Zentrums für das Frauenwahlrecht, aus diesem Grunde
konnte bei uns Herr von Kardorff erklären, er fürchte das
Frauenwahlrecht nicht. Wir müssen deshalb allen bürgerlichen
Parteien in der Forderung des Frauenwahlrechts vorangehen und die
Frauen des Proletariats politisch aufgeklärt um unsere Fahne
sammeln. Aber zu diesem Zwecke genügt es vollständig, dass
der internationale Kongress der Resolution 4 zustimmt. Ihr
praktischer Zweck wird unzweideutig erkenntlich, wenn der Wortlaut
etwas abgeändert und klarer formuliert wird. An Stelle des
Wortes gefordert muss treten in den gesetzgebenden
Körperschaften beantragt wird. Ich ersuche Sie, bei Ihrer
Abstimmung diese von mir hiermit beantragte Abänderung in
Berücksichtigung zu ziehen. Die Resolution gibt genügenden
Spielraum für die Behandlung der Frage. Diese zu einem
besonderen Punkt der Tagesordnung des internationalen Kongresses zu
machen ist nicht notwendig, da die sozialistischen Parteien aller
Länder in dieser Frage grundsätzlich übereinstimmen.
Ich konstatiere, dass Singer gegen eine Rede gesprochen hat, die ich gar nicht gehalten habe. (Heiterkeit.) Ich habe nicht gesagt, dass wir die Frage des Frauenwahlrechts von den andren Frauenforderungen nicht lösen können, sondern, dass wir sie nicht von unseren allgemeinen demokratischen Forderungen, die wir für Männer und Frauen erheben, lostrennen sollten. (Sehr richtig!)
1. Der Parteitag erklärt: Bei den
Kämpfen, welche das Proletariat für die Eroberung des
allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts in Staat und
Gemeinde führt, muss das Frauen-Wahlrecht gefordert, in der
Agitation grundsätzlich festgehalten und mit allem Nachruck
vertreten werden.
Genossinnen von Altona, Berlin, Dresden IV.,
V. und VI. Kreis, Elberfeld, Esslingen, Eichlingsstadt, Glauchau,
Görlitz, Blankenese a. E., Halberstadt, Iserlohn, Köln
a. Rh., Königsberg, Klein-Auheim, Leipzig, Ohrdruf i. Th.,
Oberreichenbach i. V., Augsburg, Hamburg, Raumburg, Kreis
Nieder-Barnim, Magdeburg, Mühlhausen im Elsaß,
Quedlinburg, Reichenbach i. W., Stralsund, Kreis
Teltow-Beeskow-Charlottenburg, Worms, Wittenberge und Oberursel
(a.a.O., S. 117).
2. Bei dem internationalen Büro
zu Brüssel, das den Internationalen Sozialistenkongress zu
Amsterdam für das Jahr 1904 vorbereitet, zu beantragen, dass die
Frage der Eroberung des Frauenwahlrechts auf seine Tagesordnung
gesetzt werde.
Parteigenossen von Frankfurt-Lebus (a. a. O.).
Zuletzt aktualisiert am 28. August 2024