Clara Zetkin

 

Reaktionäre Kurpfuschereien

(1. März 1899)


Die Gleichheit, Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Nr. 5, 1. März 1899.
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Neben ihrem Hauptgewerbe, die ausgebeuteten Massen dem Kapital zins- und tributpflichtig zu halten durch reaktionäre Bestimmungen und die Sorge für deren reaktionärste Handhabung, sind die herrschenden Gewalten in Deutschland jederzeit im Nebenamt mit Vorliebe der „Rettung der Sittlichkeit“ nachgegangen. Jenen eigengearteten Versuchen zur „Rettung der Sittlichkeit“, die für den Vorurteilslosen und sozialpolitisch Einsichtigen bezeichnenderweise stets auf „Gänsefüßchen“ einher schritten. Denn diese Versuche werden samt und sonders charakterisiert durch das mangelnde Verständnis für die wesentlichen wirtschaftlichen und sozialen Ursachen der Unsittlichkeit. An die Stelle von Reformen, welche eine gesunde wirtschaftliche Grundlage schaffen, auf der eine gesunde Sittlichkeit empor zu sprossen vermag, setzen sie den Aberglauben an die versittlichende Kraft dreh- und deutelbarer toter Gesetzestexte und fauststarker Büttelgewalt. Es eignet ihnen eine grobe, niedere Wertung der Sittlichkeit; es durchweht sie der fanatische Hass des gescheitelten und geschorenen Muckertums auf alle Äußerungen modernen Geistes- und Kulturlebens; es lebt in ihnen das Bestreben, unter der Etikette: Wahrung der Moral die schamloseste Reaktionspolitik zu treiben und alles freiheitliche Streben zu erdrosseln. Die neueste Auflage der „lex Heinze“, welche die Regierung dem Reichstag kürzlich präsentiert hat und die aus dem Geschlecht jener gesetzgeberischen Würmer ist, welche nicht leben können und nicht leben wollen, fällt in die Kategorie der charakterisierten reaktionären Stümpereien.

Am 29. Februar 1892 wurde dem Reichstag eine erste „lex Heinze“ vorgelegt und zwar von der Regierung. Der Gesetzentwurf war dadurch veranlasst worden, dass der Skandalprozess Heinze-Berlin ein Zipfelchen des Schleiers gelüftet hatte, mit welchem „bürgerliche Wohlanständigkeit“ die Welt zu verhüllen trachtet, in der sich die traurigen Galeerensklavinnen der Lust und die Ritter der Ballonmütze bewegen. Überflüssig zu sagen, dass die damals eingebrachte „lex Heinze“ nicht an die Wurzeln der Unsittlichkeit rührte. Sie begnügte sich damit, das Laster aus den breiten Straßen vertreiben zu wollen, allwo sein Anblick die „satte Tugend“ beleidigt, und es in die dunklen Winkel zu pferchen, allwo die „zahlungsfähige Moral“ es zu sündiger, aber fröhlicher Kurzweil zu finden versteht. Denn ach, das Fleisch ist schwach, und die „Erbsünde“ treibt nach allerhöchster Auffassung nicht nur die Völker zum Kriege, sie treibt laut geschichtlicher Erfahrung auch Fürsten, Generäle, Geistliche, Politiker und gemeinere Sterbliche in die Arme der Dirne höherer und niederer Art. Es versteht sich am Rande, dass die 1892er Regierungsvorlage unter dem Deckmantel des Sittlichkeitsschutzes mehr als ein reaktionäres Schäflein ins Trockene treiben wollte: Knebelung der Presse, Einengung des öffentlichen Lebens. Stärkung der Polizeigewalt; Unterwertung der Kunst unter die Machtfülle der Büttelei und Juristerei. Der Gesetzentwurf kam damals nicht über die Kommissionsberatung hinaus. 1897 brachte das Zentrum in reaktionärem Wetteifer mit der Regierung eine zweite „lex Heinze“ ein. Dieselbe unterschied sich in einer Hinsicht vorteilhaft von dem früheren Regierungsentwurfe. Sie enthielt zwei Bestimmungen, welche Zustimmung verdienten. Gefängnisstrafe sollte Arbeitgeber, Dienstherren und deren Vertreter treffen, welche das Arbeits- und Dienstverhältnis dazu missbrauchen würden, Arbeiterinnen und Dienstmädchen zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu zwingen. Sie sah des Weiteren Gefängnis- und Geldstrafe für den Fall vor, wo die bewusste Übertragung von Geschlechtskrankheiten durch den Geschlechtsverkehr erfolgt war. In den Kommissionsberatungen wurde diesen beiden Bestimmungen noch eine dritte annehmbare hinzugefügt: eine Erhöhung der Altersgrenze für die Strafbarkeit der Verführung vom 16. auf das 18. Lebensjahr der jungen Mädchen. Die gegen modernes Kunst- und Kulturleben gerichteten Paragraphen des Zentrumsantrags wurden von der Kommission im Allgemeinen nur unwesentlich gemildert. Die „lex Heinze II“ gelangte nicht zur Verabschiedung. Sang und klanglos ließ sie der Reichstag im Frühjahre 1898 in der Versenkung verschwinden.

Nun ist die Regierung mir einem neuesten einschlägigen Entwurf vor den Reichstag getreten, mit einer „lex Heinze III“, die im großen Ganzen eine modernisierte Kopie aller Pläne ist. Modernisiert aber, das heißt in unseren Zeitläuften des Stumm-Posadowsky-Kurses: reaktionär verbösert. Der neuesten „lex Heinze“ sind die Fehler und Schwächen ihrer Vorgängerinnen eigentümlich, es mangeln ihr die kleinen Tugenden der beratenen „lex Heinze II“. Sie kämpft nicht gegen die wichtigsten Ursachen der Unsittlichkeit an: die unfreiwillige Ehelosigkeit weiter Kreise der Männerwelt einerseits, die wirtschaftliche Not weiter Schichten der Frauenwelt andererseits. Sie kurpfuschert vielmehr in oberflächlicher Art an Begleiterscheinungen des Übels herum. Sie verknüpft ganz wesensungleiche Dinge miteinander, fängt mit Strafbestimmungen gegen Zuhälter und Kuppelei an und schmiedet dann Fesseln für Kunst und Literatur, Fesseln, die von der herrschenden Reaktion auch dem politischen Leben des Proletariats angelegt werden können. Dagegen hat der Regierungsentwurf die drei oben angeführten Bestimmungen fallen lassen, welche den annehmbaren Kern der „lex Heinze II“ ausmachten.

Gestrichen ist § 174a, der die Schärfe des Gesetzes gegen Arbeitgeber und Dienstherren kehrte, die mit der Lohnsklavin auch die Lustsklavin gekauft zu haben wähnten. In der Begründung zu der Regierungsvorlage heißt es: Dass die betreffende Bestimmung „voraussichtlich die Quelle gehässiger Angeberei bilden, einen gefährlichen Anreiz zu Erpressungen erzeugen“ würde. Diese „Begründung“ beweist sinnenfällig, dass die Regierung sehr übel beraten ist und die ins Spiel kommenden Verhältnisse durch die Brille der berichte erblickt, welche kapitalistenfromme Gesinnungstüchtigkeit diktiert hat. Wäre dem nicht so, sie müsste wissen, dass auf einen Fall versuchter Erpressung von Seiten der Arbeiterinnen und Dienstmädchen sicherlich mindestens zehn Fälle von geschlechtlichem Missbrauch der Proletarierinnen durch ihre Brotherren kommen, in denen die Gemissbrauchten und Geschändeten nicht einmal Klage führen und ihr Recht zu fordern wagen. Die Furcht vor Entlassung, der Verlust des Brotes und nicht die physische Gewalt oder die Reizung und Lockung zwingt in der Regel das Weibtum der Proletarierin der geilen Brunst des Arbeitgebers. Die Furcht vor den Verlust des Brotes schließt in den meisten Fällen der Vergewaltigung den Mund der Opfer und lässt die erlittene Schmach schweigend tragen. Wer die tatsächlichen Machtverhältnisse kennt, welche hinter dem Arbeitgeber stehen, der weiß des Ferneren, dass die gestrichene Strafbestimmung für Arbeiterinnen und Dienstmädchen durchaus nicht eine gefährliche Lockung zu Erpressungsversuchen darstellen kann. Im Falle der Klage gegen einen Dienstherrn, der in seiner Köchin „das Mädchen für alles“ in des Wortes verwegenster Bedeutung erblickte; gegen den Arbeitgeber, der das weibliche Arbeitstier zum Lusttier erniedrigte, steht gewöhnlich Aussage gegen Aussage. Die Aussage der „leichtsinnigen Fabriklerin“ und des „abgefeimt verlogenen“ Dienstmädchens gegen die Aussage des „angesehen“ Schuhwichsfabrikanten, des „verdienstvollen“ Industriellen, dessen Ruf der Biedermännigkeit sich nach den Tausenden seines Einkommens bemisst, und der die Anklage für Erpressung erklärt. Aus den Gerichtsverhandlungen über ähnliche Fälle kann der simple Laienverstand die Überzeugung gewinnen, als ob die größere Sittenstrenge und höhere Wahrheitsliebe gemeiniglich da entdeckt wird, wo der größere Geldbeutel vorhanden ist.

Die richtige Bewertung dieser Umstände bewahrt davor, die praktische Tragweite der fallen gelassenen Strafbestimmungen zum Schutze der Arbeiterinnen und Dienstmädchen zu überschätzen. Sie drängt die Überzeugung auf, dass der wirksamste Schutz der Ausgebeuteten gegen unsittliche Zumutungen auf anderen Gebieten liegt, auf dem der Erweiterung ihrer Kampfesrechte für bessere Arbeitsbedingungen; auf dem des gesetzlichen Schutzes gegen übermäßige Ausbeutung. Durch Juristenweisheit und Polizeiallmacht unbeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht; unverkümmerte Koalitionsfreiheit; Aufhebung der Gesindeordnungen; volle politische Gleichberechtigung; ein gutes Arbeiterschutzgesetz, das sinngemäße Ausdehnung auf die Dienstboten findet: tragen sicher mehr zur Wahrung der Tugend proletarischer Frauen und Mädchen bei als Strafbestimmungen gegen Wüstlinge.

Immerhin sei anerkannt, dass auch solche Strafbestimmungen geeignet sind, durch den Hinweis auf die drohende Strafe, durch Stärkung der Widerstandskraft der gefährdeten Schwachen in manchen Fällen die Paschagelüste ausbeutungsfroher Unternehmer und übermütiger Rentbürgersöhnchen zu zügeln. Es ist deshalb ein bedeutsames Zeichen der Zeit, dass der Regierungsentwurf die von „lex Heinze II“ vorgesehenen Bestimmungen nicht übernommen hat. Unsere Sozialpolitik steht im Zeichen des Kapitalistenschutzes. Daher auch die eigenartige Begründung der Verböserung, eine Begründung, die fast wie ein staatliches Leumundszeugnis für die unbefleckte Tugend der Herren Bourgeois aussieht die aber mit einer geradezu beleidigend niedrigen Einschätzung der Ehrhaftigkeit der Proletarierinnen aufwartet. Arbeiterinnen und Dienstmädchen würden durch einen § 174a nicht weniger der Anreizung zur Erpressung unterliegen als trotz dieses Paragraphen Arbeitsherren und Unternehmer der Versuchung, durch Gewalt, Drohungen und Versprechungen Lohnsklavinnen ihren schmutzigen Wünschen zu kirren.

Merkwürdig mutet auch die Begründung an, weshalb der Entwurf nicht die vorgeschlagenen Strafbestimmungen aufnahm die bewusste Verbreitung von Geschlechtskrankheiten durch den Geschlechtsverkehr betreffend. Es heißt nämlich, die einschlägige Frage können nicht im Rahmen des vorliegenden Gesetzes zum Austrag kommen, da dieses „zur Abstellung anderer Schäden bestimmt sei“. Man hat doch kühn die [un]gleichartigsten Dinge zusammengekoppelt, weshalb also dem Entwurf nicht noch das winzige Reförmchen einfügen? Denn mehr als ein winziges Reförmchen stellte auch diese beantragte Bestimmung nicht dar. Die bewusste Übertragung der Geschlechtskrankheiten durch den Geschlechtsverkehr ist in der Mehrzahl der Fälle durch das Gesetz nicht zu fassen. Ganz abgesehen davon, dass z. B. die Ehefrau nur selten die Versuchung durch ihren Ehemann zur Anzeige bringt, dass das Berufsgeheimnis des Arztes durchbrochen werden muss etc., fällt hier besonders eine Tatsache ins Gewicht. Sehr zahlreiche Geschlechtskranke lassen sich überhaupt oder gerade im ansteckungsfähigen Stadium der Krankheit nicht von einem Arzt behandeln. Sie suchen Heilung durch die Geheimmittel der Apotheker und Drogisten, durch „Rat und Hilfe“, die auch „nach auswärts und brieflich“ von Quacksalbern und durchgefallenen Medizinern in den besten bürgerlichen Blättern feilgeboten werden. Aufklärung der weitesten bürgerlichen Kreise über die Geschlechtskrankheiten; Durchführung sanitärer und hygienischer Maßregeln, denen kein polizeilicher und infamierender Beigeschmack anhaftet, so dass sich ihnen jeder unterwirft: sind die wirksamste Mittel, um der Ausbreitung der entsetzlichen geschlechtlichen Verseuchung entgegenzutreten.

Weshalb „lex Heinze III“ die Erhöhung des Schutzalters der Mädchen gegen Verführung nicht vorgesehen hat, ist unbegründet geblieben. Die Frau wird nach dem Gesetz ihr Lebtag nicht reif und mündig, ihre Interessen durch die Ausübung politischer Rechte zu verteidigen. Dagegen soll sie mit 16 Jahren reif und mündig sein, selbstverantwortlich ihre Tugend zu schützen, reif und mündig, straflos der Verführung anheim zu fallen. Eine Logik, die den „höher veranlagten“ Männerhirnen der Gesetzgeber alle Ehre macht.

Von den Bestimmungen der „lex Heinze III“, die sich gegen Kuppelei und Zuhältertum wenden, gilt im Allgemeinen, dass sie den Pelz der Prostitution waschen, ohne ihn nass zu machen. Einen kleinen Fortschritt stellt die Bestimmung dar, wonach das bloße Vermieten von Wohnungen an Dirnen nicht mehr als Förderung der Unzucht betrachtet werden soll. Sie beseitigt einen lächerlichen Widerspruch zwischen dem Strafgesetz und den Polizeivorschriften. Denn während die einen die Prostitution reglementieren und konzessionieren, ist nach dem andren das Vermieten von Wohnungen an Dirnen straffällig, ohne Rücksicht darauf, dass die konzessionierten Freudenmädchen doch schließlich nicht auf den Bäumen hängen können. Nur sozialpolitische Kinder können von den vorgesehenen Strafbestimmungen gegen Kuppelei und Zuhälterei eine Eindämmung der Unsittlichkeit erwarten, sowie einen Rückgang der widerlichen Gilde der Gelegenheitsmacherinnen und Ritter von der Ballonmütze. Die Strafbestimmungen steigern nur das „Gefahrenrisiko“ des eklen Gewerbes und damit die „Gefahrenprämie“, d. h. die Ausbeutung der Dirnen. Der Vermehrung und dem verhängnisvollen Einfluss der Louis und Kupplerinnen tritt die Gesellschaft am wirksamsten durch ein Mittel entgegen: durch die Aufhebung der sittenpolizeilichen Kontrolle, durch die unbeschränkte Gewerbefreiheit der Prostitution. Zuhälter und „Vermieterinnen“ werden in der Folge als Bundesgenossen im Kampfe gegen Polizeimaßregeln entbehrlich. Man fürchte von diesen Reformen nicht ein Überhandnehmen schamlosen Straßentreibens. Die berüchtigten Plätze und Straßen eines großstädtischen „Babels“ können eine Sittlichkeitsvereins-Physiognomie erhalten, wenn die Behörden den Dirnen gegenüber den Groben-Unfugs-Paragraphen mit einem Anflug der Deutungskunst und Schneidigkeit handhaben, die sie im Kampfe mit der Arbeiterklasse betätigen.

Das wesentliche Interesse beanspruchen in dem Gesetzentwurf die Bestimmungen, welche sich gegen die geschriebene, gesungene, gemalte etc. „Unsittlichkeit“ wenden. Sie sind in dem bereits berüchtigten § 184 enthalten. Der Regierungsentwurf weicht hier mehrfach von den Kommissionsbeschlüssen zur „lex Heine II“ ab. In der Begründung wird gesagt, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen teils „sachlich zu weit gingen“, teils „zu unbestimmt gefasst“ waren, so dass sie „einer nach mehrfachen Richtungen hin bedenklichen Auslegung der Strafgesetze den Weg öffnen würden“. Mit dieser Begründung hat die Regierungsvorlage dem neu gefassten § 184 das Urteil gesprochen. Die geübte Kritik gilt durchaus auch für das, was er festlegt. Der neue § 184 ist und bleibt ein Vorstoß zur Schädigung modernen Geisteslebens; er kann als „Mädchen für alles“ von der Reaktion auf jedem Gebiete gebraucht und gemissbraucht werden. Er beschränkt die Bewegungsfreiheit der Presse, er öffnet der Rückwärtserei in künstlerischer Hinsicht Tür und Tor, er erweitert die Machtbefugnisse der Juristen und Polizeier. Welche ungemessene Horizonte erschließen sich nicht der Niederbüttelung modernen Lebens, wenn der Entscheid über den Begriff „unzüchtig“, über das, „was ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzt“, in die Hand strebsamer Rechtsgelahrter und forscher Polizeigewaltiger gegeben wird? Man denke der Würdigung, die z. B. Goethes und Heines Werke, die klassischen Statuen etc. seitens muckerischer Gemüter erfahren, deren Sittlichkeit offenbar auf schwachen Füßen steht. Eine freie Kunstentfaltung ist in unserem Polizeireich auch ohne „lex Heinze III“ nicht möglich, nicht Beschränkung, sondern Erweiterung der künstlerischen Bewegungsfreiheit muss die Losung sein. Zuletzt und nicht am wenigsten: mit etwas Lust und Liebe zur Sache kann die oder jene der vorgesehenen Bestimmungen auch auf das politische Leben Anwendung finden. Die „vollendeten Rechtsgarantien“ des Herrn von Posadowsky schützen nicht davor, dass z. B. unter Umständen die politische, die soziale Karikatur unter den Begriff dessen fällt, „was ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzt“ Man denke des peinlich fein entwickelten „Schamgefühls“ der Behörden in Punkte einer unverlogenen Kritik an sozialen Einrichtungen, an fürstlichen Personen, an kapitalistischen Tugenden! Geht den Gesetzentwurf durch – und das Zentrum hilft ihn sicher mit Begeisterung unter Dach und Fach bringen – so wird nicht bloß die schwache Tugend muckerischer Kreise die Freude erleben, dass „heidnische“ Statuen mit sittlichen Feigenblättern und sittsamen Bauchbinden bekleidet werden. Politischen Reaktionären kann eventuell die Genugtuung blühen, dass behördliche Eichung das „Schamgefühl“ nur dann nicht „gröblich verletzt“ sieht, wenn Blätter und Schriften ausschließlich Lobeshymnen auf Herrn von Stumm veröffentlichen, die sozialen Zustände über den grünen Klee preisen und wenn die Arbeiterinnen in ihren Versammlungen Strümpfe als Weihnachtsgeschenke für kapitalistische Wohltäter stricken.

Der Sittlichkeitspudel birgt einen durch und durch reaktionären Kern. Ein Quäntchen Reform, ein Zentner Reaktion ist das Wesen der „lex Heinze III“.

 


Zuletzt aktualisiert am 16. August 2024