Clara Zetkin

Dem Proletariat die beste sozialistische Literatur!

Redebeitrag auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu Hamburg

(5. Oktober 1897)


Quelle: Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Abgehalten zu Hamburg vom 3. bis 9. Oktober 1897, Berlin 1897, S. 111.
Nach Ausgewählte Reden und Schriften, Band I, S. 118–120.
Kopiert mit Dank von der Webseite Sozialistische Klassiker 2.0.
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Ich will mich nur kurz gegen den Genossen Hoffmann wenden. Seine Ausführungen waren – er möge den Ausdruck entschuldigen, ich bin überzeugt, dass es nicht beabsichtigt war – im höchsten Grade demagogisch gehalten. („Sehr richtig!“) Sie waren darauf zugespitzt, einen Gegensatz zu konstruieren zwischen der schwieligen Faust und dem Proletarier der Kopfarbeit, und zwar wurde der Anschein erweckt, als werde hinsichtlich der Veröffentlichung von Parteiliteratur der Handarbeiter zurückgesetzt hinter den Akademiker. Es ist meine Überzeugung, dass niemand in unserer Partei nach dem Beruf und der Stellung des Verfassers fragt, sondern nach dem Grade seines politischen und sozialen Geschultseins. Das ist der Maßstab, nach dem wir unsere Parteiliteratur, unsere Presse zu beurteilen haben, und es drängt mich, hier auszusprechen: Wenn wir die Literatur, die Hoffmann verteidigt hat, nach ihrem Inhalt beurteilen, so müssen wir sagen: Gewogen und zu leicht befunden! Der Erfolg jener Broschüren, auf den er sich beruft, ist noch kein Beweis für ihre Güte, sondern nur dafür, wie gering die Ansprüche ihrer Leser sind; er beweist, dass man sich in den Kreisen der Genossen noch vielfach bestechen lässt durch die populäre leichte Form, durch das Witzwort, durch Schlager, kurz, durch alle die Eigenschaften, die den Genossen Hoffmann als Schriftsteller und Redner auszeichnen und die ihm auch vorhin hier seinen Erfolg verschafft haben. Aber wenn wir bezüglich des Inhalts fragen: Was lassen diese Broschüren als sozialistischen Kern zurück, was leisten sie für die Ausbreitung unserer Grundsätze, für die Aufklärung in Betreff unserer Ziele? – dann kommen wir zu der Überzeugung, dass es besser wäre, jener billige Erfolg wäre nicht erreicht worden. Nichts scheint mir gefährlicher, als dass man hingeht und unsere Ideen in oberflächlicher und schiefer Weise vertritt.

Nicht den Proletarier mundtot machen heißt es, wenn man an den Inhalt große Ansprüche stellt, im Gegenteil: Der Proletarier, der für seine Fortbildung ein großes Maß von Energie, von Hingebung, von Begabung aufwendet, verdient alle Hochachtung, alle Anerkennung und vor allem alle Unterstützung und Förderung. Aber unsere Broschüren sind nicht ein Experimentierfeld für strebsame Genossen, die sich bilden wollen. Die Gelegenheit zur Weiterentwicklung liegt in anderer Richtung. Was hinaus geht, das muss schon möglichst vollendet sein. Gerade für die noch unaufgeklärten Massen des Proletariats ist das allerbeste gerade gut genug. (Beifall.) Deshalb möchte ich entschieden Verwahrung dagegen einlegen, dass der Standpunkt des Genossen Hoffmann bezüglich der Beurteilung unserer Parteiliteratur maßgebend wird. Wenn heute die Broschüren, die sein Entzücken hervorrufen, eine herbe Kritik erfahren haben, so ist das kein Anzeichen, dass einzelne Parteigenossen missgünstig sind, einzelne Parteigenossen anderen Hindernisse in den Weg legen wollen, sondern es ist ein erfreuliches Anzeichen, dass die Parteigenossen auf ein höheres geistiges Niveau aufgerückt sind, dass sie höhere Ansprüche stellen und mit der so genannten populären, seichten Literatur sich nicht mehr begnügen. Und wenn wir weiter in dieser Richtung streben wollen, dann wäre nichts törichter, als sich auf den Standpunkt des Genossen Hoffmann zu stellen. Nicht herunterschrauben sollen wir unsere Ansprüche, sondern umgekehrt, wir müssen sie immer höher und höher steigern. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)


Zuletzt aktualisiert am 13. August 2024