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Quelle: Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen, Nr. 13, 24. Juni 1896.
In Nummer 14 vom 8. Juli erschien unter dem selben Titel der Artikel mit geändertem Schluss und folgender Einleitung. [A]
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Die deutschen Frauenrechtlerinnen – soweit sie im „Bund deutscher Frauenvereine“ zu einem gemeinsamen Tun geeint sind – haben, wie wir in der letzten Nummer der „Gleichheit“ mitteilten, auf der zweiten Generalversammlung des „Bundes“ zu Kassel beschlossen, eine Aktion zu entfalten gegen die Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuchs, welche die Frau in privatrechtlicher Beziehung unter der Vormundschaft des Mannes unterbürtig halten. Die „Rechtskommission des Bundes“ hat nun diese Aktion in die Wege geleitet mit einem Aufruf, welcher Frauen und Männer zur Unterzeichnung einer Resolution an den Reichstag auffordert, die um zeitgemäße Abänderung der einschlägigen Bestimmungen des Familienrechts ersucht.
Diese Aktion ist etwas schwächlich: die Frauenrechtlerinnen werden sich davon überzeugen müssen – falls sie die Behandlung ihrer bisherigen Petitionen in der Kommission zur Vorberatung des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht genügend belehrt hat – mit welch souveräner Nichtachtung die reaktionäre Majorität unserer Gesetzgeber über Petitionen zur Tagesordnung übergeht. Aber angesichts der rückständigen Entwicklung der deutschen bürgerlichen Frauenrechtsbewegung ist der Entschluss eines Vorgehens überhaupt und zwar eines geschlossenen Vorgehens seitens der verschiedenen Richtungen, schon als ein Fortschritt zu begrüßen. Wir wünschen deshalb und mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung der in Betracht kommenden Frage der „Resolution“ den besten Erfolg.
Die deutschen Genossinnen haben bekanntlich zu der Frage der Rechte der Frau – und der nicht minder wichtiger der unehelichen Kinder – dem vorgeschlagenen neuen Gesetzbuch gegenüber bereits nicht zu missdeutende Stellung genommen durch ihre Anträge auf dem Breslauer Parteitag. Den mit Einstimmigkeit angenommenen Anträgen und dem Programm der Partei entsprechend wird die sozialdemokratische Reichstagsfraktion bei den Verhandlungen des Gesetzbuchs im Plenum für die Rechte der Frau und der unehelichen Kinder eintreten, wie für diese die Rechte der Vertreter der Sozialdemokratie in den Kommissionsberatungen energischer und konsequenter gekämpft haben als die Angehörigen irgend einer anderen politischen Partei. [1] Aber die Sozialdemokratie wird sich nicht auf diese Art der parlamentarischen Aktion gegen das neue bürgerliche Gesetzbuch beschränken. Sie wird ihr den gehörigen Nachdruck verleihen durch eine Massenagitation, die falls sie oben tauben Ohren begegnen sollte – es gibt bekanntlich keine schlimmeren Tauben als die, die nicht hören wollen – doch unten sicher vernommen und hier ihre aufklärende Wirkung nicht verfehlen wird. Denn nicht bloß handelt es sich für das Proletariat in Sachen eines neuen bürgerlichen Gesetzbuchs eine zeitgemäße Rechtsordnung zu fordern zu Gunsten des weiblichen Geschlechts und der unehelichen Kinder, sondern mit höchster Energie Verwahrung einzulegen gegen eine ganze Reihe von Bestimmungen – wir verweisen nur auf die Bestimmungen über den „Dienst- oder Lohnvertrag“ etc. – in welchen sinnenfällig klar der Klassencharakter des bürgerlichen Rechts hervortritt als eines Rechts des Besitzes, als eines Unrechts gegen die Besitzlosen. „Schwerlich hätte sich in aller und neuer Zeit ein Gesetzeswerk finden können, welches die besitzenden Klassen so einseitig begünstigt und diese Begünstigung so unumwunden zu erkennen gibt, wie der deutsche Entwurf“, so beurteilt und verurteilt Professor Anton Menger das Machwerk, das der deutschen Arbeiterklasse als „vollendetstes Monument des deutschen Nationalgeistes“ aufgezwungen werden soll.
Schon hat Deutschlands klassenbewusstes Proletariat in Berlin und anderwärts in imposanten Volksversammlungen gegen die rückschrittlichen Bestimmungen des Entwurfs ein Veto eingelegt. Schon haben zahlreiche große Volksversammlungen – vielfach im Anschluss an Referate von Genossinnen – insbesondere protestiert gegen die Bestimmungen welche die unterbürtige Stellung der Frau im Privatrecht festlegen wollen. Eine weitere planmäßig organisierte Agitation in dem weitesten Kreisen wird erfolgen, eh der Reichstag ein letztes Wort in der Angelegenheit spricht. Die proletarischen Frauen, sie, die durch das neue bürgerliche Recht zwiefach Getroffenen, als Frauen und als Proletarierinnen schwer Beeinträchtigten, sie werden bei den sozialdemokratischen Massenkundgebungen ihre Pflicht tun.
Im Folgenden Aufruf und Resolution der Frauenrechtlerinnen zur Kenntnisnahme: (...)
A. „Die Ausführungen, welche unter obiger Aufschrift die Gleichheit“ in ihrer letzten Nummer brachte, enthalten in Folge eines Zusammentreffens verschiedener unliebsamer Umstände einen unrichtigen Schlusspassus. Derselbe trägt den wenigen, aber wichtigen Reformen nicht genügend Rechnung, welche die sozialdemokratischen Fraktionsvertreter in den letzten Kommissionsberatungen bezüglich des Arbeitsvertrags durchgesetzt haben. Ferner wurde er geschrieben und gedruckt, ehe die Durchpeitschung der Beratung des neuen Gesetzbuchs im Reichstage beschlossene Sache war, so dass von der Entfaltung einer Massenagitation gegen den Entwurf die Rede sein konnte. In Folgendem die berichtigten Ausführungen:“
1. Der geänderte Schluss der Fassung in Nr. 14: „Die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen zeigen so recht deutlich ihre Einseitigkeit dadurch, dass sie auch nicht mit einem Wort die Beseitigung der Gesindeordnungen fordern. Bei ihnen scheint der Begriff der Frau aufzuhören, sobald die Frau der ausgebeuteten Klasse der Arbeiter angehört.
Die Sozialdemokratie hat einiges in der Kommission erreicht, hat aber leider mit ihren weitergehenden berechtigten Ansprüchen nicht durchdringen können. Welche Beschlüsse auch immer der Reichstag im Plenum fassen mag, es wird das klassenbewusste Proletariat unentwegt für volle Erringung der im Programm und auf Parteitagen klar festgelegten Ansprüche kämpfen.
Für die Proletarierin wird die Einheitlichkeit, die das Gesetz in noch so mangelhafter Weise festlegt, insofern gegen den Willen der bürgerlichen Parteien günstig wirken, als sie nun eine gemeinsame Kampfeslinie gegenüber dem bisher zersplitterten Gebiete des Rechts schafft. Frisch auf zum Kampfe für Befreiung aus doppelt drückenden Fesseln.“
Zuletzt aktualisiert am 12. August 2024