August Thalheimer

 

Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus?

I. Die Gefahr

1. Der Faschismus an der Schwelle der Macht

Jedermann sieht heute, daß die Regierung Papen-Schleicher nur noch ein kurzer Zwischenakt zur offenen direkten faschistischen Diktatur ist; wenn nicht die Arbeiterklasse in letzter Stunde entscheidend eingreift.

Bereits die Brüning-Regierung war nur noch eine schwach parlamentarisch verbrämte Generals-Diktatur. Sie war noch überwiegend aus Vertretern parlamentarischer Parteien zusammengesetzt und stützte sich noch auf parlamentarische Parteien. Die parlamentarische Stütze hatte jedoch nur noch geringe Bedeutung, Ihre ausschlaggebenden Stützen waren außerparlamentarisch, die Reichswehr einerseits, die freien und christlichen Gewerkschaften andererseits.

Die Regierung Papen-Schleicher hat die parlamentarische Verbrämung und Stütze ganz fallen lassen. Sie ist auch nicht mehr aus Vertretern parlamentarischer Parteien zusammengesetzt. Sie ist nicht nur überwiegend außerparlamentarisch, sondern von vornherein gegenparlamentarisch. Sie hat ausschließlich außerparlamentarische Stützen, die zugleich gegenparlamentarisch sind, die Reichswehr und die faschistischen Massenorganisationen. Die Reichswehr ist aber auf die Länge keine selbständige politische Kraft gegenüber dem Faschismus, wie sehr die Reichswehr-Generale sich das auch einbilden mögen. Die Reichswehr steht bereits in einem solchen Umfang unter faschistischem Einfluß, daß sie im Falle eines Konfliktes nicht mehr gegen den Faschismus eingesetzt werden könnte. Das bedeutet aber nichts Geringeres, als daß der Faschismus bereits der tatsächliche Herr der Lage ist und zu einem beliebigen Zeitpunkt die indirekte Herrschaft die er bereits jetzt ausübt, in eine direkte umwandeln, die junkerlich-militaristische Regierung beiseiteschieben und selbst die volle und ausschließliche Macht übernehmen kann.

Das alles ist keineswegs „plötzlich“ gekommen. Es hat sich von langer Hand mit deutscher Langsamkeit und Gründlichkeit „entwickelt“.

Die Reichstagswahlen vom 14. September 1930 signalisierten zum erstenmal der Masse des Proletariats die gewaltige Größe und die drohende Nähe der faschistischen Gefahr. Andere ernste Warnungszeichen waren im Laufe des Jahres 1929 vorausgegangen. Sie waren weder von der SPD. noch von der KPD. beachtet oder verstanden worden. Die frühzeitigen und hartnäckigen Warnungen der Kommunistischen Opposition wurden in den Wind geschlagen. Die Sozialdemokratie klammerte sich an die grobe Koalition, an die „Macht“. Die Kommunistische Partei phantasierte vom „revolutionären Aufschwung“, – sie schritt in ihrer Einbildung – von Sieg zu Sieg, während die Arbeiterklasse in Wahrheit Schritt um Schritt kampflos zurückwich.

Indessen kümmerte sich die Geschichte weder um die Illusionen der einen noch der anderen. Sie zog mit eiserner Logik, unerbittlich die Folgerungen aus den Tatsachen.

Die Reichspräsidentenwahlen vom 13. März und 10. April und die Preußenwahlen vom 24. April beleuchteten grell die in eineinhalb Jahren vom Faschismus zurückgelegte gewaltige Wegstrecke und die schwere Niederlage der Arbeiterbewegung. Der Faschismus ist an die Schwelle der Macht gelangt. Wenn am 10. April die Sozialdemokratie die wirkliche Lage sich mit dem lächerlichen Wahn verschleiern konnte, als ob die durch ihre Hilfe zustande gekommene Wahl Hindenburgs den Sieg der Weimarer Republik und den beginnenden Abstieg des Faschismus bedeute, so haben der 24. April, die Oldenburger Wahl, der Sturz der Brüningregierung, die Bildung der Regierung Papen-Schleicher, die Aufhebung des SA-Verbots, dieser Täuschung ein schnelles und verdientes Ende bereitet. Jedem Arbeiter ist heute klar, daß nicht die Militärpartei mit Hindenburg an der Spitze sich der Weimarer Republik, sondern daß die „Republikaner“ sich der Militärpartei verschrieben haben und daß die Militärpartei sich den faschistischen Siegern zuwendet.

Der Nationalsozialismus hat sich am 24. April zur weitaus stärksten Partei aufgeschwungen, Er erlangte die doppelte Zahl der Stimmen wie die Sozialdemokratie und mehr als Sozialdemokratie und Kommunistische Partei zusammen. (8 Millionen gegen 7½ Millionen der SPD und KPD.) Wenn die Sozialdemokratie am 10. April tobte, daß kommunistische Wähler in mehr oder minder großer Zahl zu den Nationalsozialisten abgeschwenkt seien, so offenbarte der 24. April, daß auch ein beträchtlicher Teil des kleinbürgerlichen Anhangs der Sozialdemokratie von der schwarzrotgoldenen Fahne zum Hakenkreuz gegangen war. Es waren dies nicht nur die Karrieremacher, die die Regierungspartei von gestern verließen, um der Regierungspartei von morgen zu folgen. Es waren breite Massen des Kleinbürgertums, Opfer der Krise,. enttäuscht von der Sozialdemokratie, die sie unter die Räder der Wirtschaftskrise warf, enttäuscht von der Kommunistischen Partei, die sich als kampfunfähig erwiesen hatte, Wähler, die jetzt sich entschlossen, auf die letzte Karte zu setzen, die noch nicht erprobt war, die des Faschismus.

Dem Faschismus gelang am 13. März, am 10. und 24. April zum erstenmal ein tiefer Einbruch in die Front der Arbeiterklasse. Niemand kann sagen. daß dieser Einbruch ein überraschender Handstreich war. Er war planmäßig, von langer Hand vorbereitet.

Alle die eingebildeten natürlichen“ Schranken des Faschismus mit denen sich abwechselnd bürgerliche Liberale und Demokraten, Sozialdemokraten und offizielle Kommunisten getröstet hatten, erwiesen sich der Reihe nach als Einbildungen. Der Faschismus rieb zuerst die bürgerlichen Mittelparteien, die traditionellen liberalen demokratischen und konservativ-reaktionären Parteien des Bürgertums und Kleinbürgertums auf. Liberale, Demokraten, Sozialdemokraten, Kommunisten trösteten sich: Der Faschismus gruppiert nur Bürgertum und Kleinbürgertum um; das Arbeiterlager ist einbruchsicher! Der Faschismus schritt weiter. Er räumte unter den faschistischen Konkurrenzgruppen auf, zog die Truppen Hugenbergs wie die des Stahlhelms an sich und brach in das Arbeiterlager an.

Die „natürlichen“ Grenzen des Faschismus bestanden nur in der schier unnatürlichen Beschränktheit des politischen Urteils und in der Kampfunfähigkeit seiner Gegner.

War nicht eitel Freude gewesen über den Zusammenbruch der „Harzburger Front“? War es nicht herrlich zu sehen, wie der Faschismus sich selbst zerfleischte und erledigte – ohne daß seine Gegner sich zu bemühen brauchten? Kurzsichtige Selbsttäuschung! Die „Harzburger Front“ ist für den Nationalsozialismus überflüssig geworden. Die Nationalsozialisten haben sich die Vormacht im faschistischen Lager erkämpft. Die Einheit des Faschismus ist heute nicht mehr der lose Zusammenschluß verschiedener faschistischer Organisationen und Parteien, sie ist die Vormacht einer Partei, der nationalsozialistischen. Sie ist also stärker.

Der Faschismus steht an der Schwelle der Macht. Er schickt sich zum „Endspurt“ an. Der Arbeiterklasse bleibt nur noch eine Galgenfrist. Sie wird entweder kurz vor dem Ziel noch die Kräfte zusammenraffen und den Vorsprung des Faschismus einholen, oder sie wird geschlagen.

 

 

2. Die nächsten Perspektiven des Faschismus und die Wirtschaftskrise

Im Weltkriege bildete sich die Sozialdemokratie ein, sie könne das Weltungewitter gleichsam hinter dem Busch abwarten und dann frischweg da fortfahren, wo sie vor dem Kriege aufgehört hatte. Sie bildet sich ein, sie könne die Wirtschaftskrise über ihrem Kopf wegziehen lassen, um „nachher“ das inzwischen preisgegebene Terrain wieder zu besetzen. Das eine ist eine Fehlrechnung wie das andere eine war. Der Klassengegner wartet nicht, er nützt seine Zeit; er handelt seinen Zielen entsprechend, er besetzt jeden Fußbreit geräumten Bodens und jeder Teilsieg steigert seine Kraft, sein eigenes Kraftbewußtsein, seine Autorität in den Massen und beschleunigt so seinen weiteren Vormarsch. „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg“, sagt ein amerikanisches Sprichwort.

Die Wirtschaftskrise läßt dem Faschismus noch weiteren Spielraum. Der Faschismus machte seine ersten kühnen Vorstöße noch vor dem Ausbruch des ökonomischen Weltungewitters in Amerika auf Grund der in Deutschland selbst einsetzenden Wirtschaftsdepression im Laufe des Jahres 1929. Die Weltwirtschaftskrise selbst ist aber kein schnell vorüberziehendes Unwetter. Sie ist eine lange Reihe. von Katastrophen von sich steigerndem Umfang und Wucht. Das Jahr 1932 übergipfelt noch das Jahr 1931.

Es genügt, zum Beweis zwei Zahlenreihen anzuführen:

Arbeitslosigkeit (in Tausend)

 

1931

1932

Januar

 

4.887

6.092

Februar

4.972

6.128

März

4.744

6.034

 

Beschäftigungsgrad der Industrie

a) Produktionsmittel-Industrien (Prozentzahlen)

 

1931

1932

Januar

 

46,3

34,4

Februar

45,3

33,8

März

45,9

34,0

b) Konsumtionsmittel-Industrien

 

1931

1932

Januar

 

55,8

51,2

Februar

57,0

51,0

März

58,0

50,6

Nicht nur liegen die Arbeitslosenzahlen 1932 um mehr als eine Million höher als in den entsprechenden Monaten des Vorjahres. Der Konjunkturrückgang der nicht an die Saison gebundenen Industrien ist beschleunigt. Die Einfuhr industrieller Rohstoffe ist im rapiden Sinken. Für eine schnelle, allgemeine und durchgreifende Konjunkturwende sind weder in der übrigen Welt noch in Deutschland Anzeichen vorhanden. Das Kapital reagiert durch neue Angriffe auf die Löhne, die Arbeitslosenversicherung, die Sozialpolitik.

Die Regierung Papen-Schleicher fährt da fort, wo die Regierung Brüning aufgehört hat, die ihrerseits das weiterführte, was die Regierung Hermann Müller und Hilferding begonnen hatte. Die Regierung Brüning habe die Sozialversicherung Schritt um Schritt abgebaut; die Regierung Papen-Schleicher baut weiter ab und hat bereits die Axt an das ganze Gebäude dieser Versicherungen gelegt. Die Regierung Brüning unterhöhlte bereits das Tarifrecht. Die Regierung Papen-Schleichcr schickt sich an, es zu zerschlagen. Die Regierung Brüning hatte riesige steuerliche Belastungen der Massen verbrämt mit kleinen „Opfern“ der besitzenden. Die Regierung Papen-Schleicher verzichtet auch auf die Heuchelei solcher Verbrämungen (allerdings nicht auf die christlich-frömmelnden Redensarten, die nichts kosten und die alt hergebrachte Begleitmusik der preußischen Junkerfuchtel sind).

Eine Konjunkturwende aber, wenn sie kommt, so wird sie aller Voraussetzungen entsprechend, kurzatmig sein und sich sehr ungleichmäßig auf die verschiedenen Länder erstrecken. Welche kapitalistischen Länder an dem kapitalistischen Wiederaufschwung teilnehmen werden, wenn er kommt und in welchem Umfang sie teilnehmen werden, das entscheiden die vorhandenen. kapitalistischen Kraftreserven jedes Landes und der kapitalistische Konkurrenzkampf. In einem Lande wie Deutschland, das unter den großen kapitalistischen Staaten wirtschaftlich und weltpolitisch das schwächste Glied ist, mußte nicht nur die Wirtschaftskrise den Druck des Kapitals auf die Arbeiterklasse aufs äußerste verstärken. Der Beginn eines .Konjunkturumschwunges in bestimmten Teilen der Weltwirtschaft wird beim deutschen Kapital den Drang steigern, die Herabdrückung der Lebenshaltung,, der Werktätigen, die es unter dem Drucke der Krise erreichen konnte, unter allen Umständen gewaltsam, festzuhalten, um im Konkurrenzkampf um den Wiederaufstieg seine Kampfmittel. zu verbessern. Die Wirtschaftskrise hat jedoch den Aufschwung des Faschismus forciert nur in Verbindung mit dem Versagen der Arbeiterklasse im Kampf um den revolutionären Ausweg aus der Krise, ja auch nur im Kampf um die Erleichterung der Krisenlasten auf Kosten des Kapitals.

An sich, objektiv, ist die Wirtschaftskrise der klassische Boden für die Entfaltung der Kräfte der proletarischen Revolution.

Wann sollten diese Kräfte sich freier und mächtiger regen können als jetzt, wo die Grundlagen des Kapitalismus so lief und lange anhaltend wie nie zuvor erschüttert worden sind und weiter erschüttert werden? Die Krise liefert aber nur die revolutionären Voraussetzungen, die revolutionären Möglichkeiten. Die Kraft rnuß die revolutionäre Klasse aufbringen. Die Tat muß sie selbst tun.

Hält die Arbeiterklasse nicht durch ihre selbständige Klassenaktion den Faschismus auf, so gibt es keine Kraft, die ihn hindern könnte, den Schritt von der Schwelle der Macht zur Macht selbst zu tun. Weder die Reichswehrgeneralität noch die Schachzüge des Zentrums sind ernsthafte und dauernde Hindernisse.

Die Reichswehrgeneralität, die Militärpartei, nachdem sie Hitlers Privatarmee die SA und SS, im Interesse ihrer eigenen Machtstellung formell aufgelöst hatte, hat bereits diesen Schritt wieder rückgängig gemacht. Sie hat kurzerhand den für das Verbot formell Verantwortlichen, den General Gröner, über die Klinge springen lassen und kurz darauf die Regierung Brüning nachgeschickt.

Die Militärpartei schreitet damit auf dem Wege weiter, den sie systematisch verfolgt hat, dem Weg zur Verselbständigung der Exekutivgewalt, dessen Vollendung die faschistische Diktatur ist. Was sie zuweilen zögern oder einzelne Ausfälle gegen den Faschismus machen läßt, ist nicht irgendwelche Schwäche für die Weimarer Republik, sondern lediglich die Sorge um ihren eigenen Anteil bei der Ausübung der faschistischen Diktatur. Aber die Militärgewalt kann sich in einem Lande mit breiten und traditionellen proletarischen Massenorganisationen und mit ausgedehnter politischer Organisiertheit überhaupt nicht allein zum Herren der Gesellschaft aufschwingen. Sie bedarf der Hilfe breiter, konterrevolutionärer Massenorganisationen – einer faschistischen Massenpartei, der sie sich am Ende unterordnen muß. Der Faschismus wirkt auf die militärischen Spitzen mittelbar und unmittelbar. Die mittelbare Einwirkung vollzieht sich nicht nur durch die zivilistische Einflußsphäre, von der die militärischen Spitzen umgeben sind, die ehemaligen Offiziere, die Spitzen der alten Bürokratie, die Junkerherrschaft, die Spitzen des Monopolkapitals, sondern auch von der militärischen Seite her: durch die Durchdringung der Mannschaft, der Unteroffiziere und der jüngeren Offiziere der Reichswehr mit dem „Geiste“ des Faschismus.

Das Gros der Reichswehr ist vom Faschismus bereits tief durchdrungen. Die Reichswehr, sorgsam abgesperrt vom Zivilleben wie sie sein mag, schwebt deshalb nicht in der blauen Luft. Sie folgt unten den politischen Strömungen des Kleinbürgertums, das ihr klassenmäßiger Mutterboden ist, oben denen der. Großbourgeoisie.

Vom Gesichtspunkt der faschistischen Machtergreifung haben die parlamentarischen Manöver, deren Träger das Zentrum ist. nur untergeordnete und vorübergehende Bedeutung. Der Faschismus kennt sein eigenes Interesse zu gut, um nicht zu verstehen. daß er aus der Opposition in die „Verantwortung“ nur unter der Bedingung einrücken kann, daß er die Macht bekommt, um jede Kritik, jede Konkurrenz; jede Opposition gewaltsam niederzuschlagen, d.h. daß er die volle Verfügung über die Exekutivgewalt hat. Wird sie ihm nicht freiwillig gegeben, so wird er sie im geeigneten Augenblick nehmen. Hebt die parlamentarische Demokratie sich selbst auf, in dem sie etwa in Preußen als parlamentarische Minderheit in der Form des Geschäftsministeriums oder des Reichskommissars weiter regiert, so befähigt sie den Faschismus; seinem Staatsstreich die Weihe der „demokratischen“ Legalität zu geben.

Sind erst die außerparlamentarischen Voraussetzungen reif, so arbeitet die Innehaltung. der „Spielregeln“ der bürgerlichen Demokratie für den Faschismus – und ihre Aufhebung, ebenfalls.

 

 

3. Die Warnungen der Kommunistischen Opposition und die offizielle Blindheit

Das Resultat des 13. März, des 10. und 24. April 1932, sagten wir, war von langer Hand .vorbereitet. Wir fügeni jetzt hinzu: auf diese Vorbereitungen machte die Kommunistische Opposition die Arbeiterschaft im allgemeinen, die kommunistischen Parteimitglieder im besonderen frühzeitig und mit voller Klarheit aufmerksam.

Am 5. Januar 1929 schrieb das theoretische Organ der KPD-Opposition, Gegen den Strom:

Die Herrschaft des Monopolkapitals ist innerpolitisch von einem Fortschreiten der Reaktion auf allen Gebieten begleitet. Wir beobachten deutliche Tendenzen zum Abbau der bürgerlich-demokratischen Rechte und Formen und zur Errichtung einer offenen, durch keinerlei formale Rücksichten gebundene Kapitalsdiktatur. Die Reichswehr hat sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Nicht die parlamentarische Regierung kontrolliert die Reichswehr, sondern Gröner erteilt dieser Regierung und der Reichswehr Befehle.

Am 9. März 1929, Gegen den Strom, Nr.10: Die Krise des Parlamentarismus – das Vorspiel der Krise der bürgerlichen Herrschaft:

Was jetzt in der politischen Sphäre vor sich geht, ist die allmähliche, schrittweise Vorbereitung einer gewaltigen politischen Krise. Verfolgt man nicht ebenso Schritt für Schritt seine Vorbereitungen, gibt man sich nicht wenigstens in den großen Umrissen Rechenschaft, wohin diese Selbstzersetzung der bürgerlichen Demokratie führt, so wird der Schlag überraschend kommen, er wird die Partei und die Arbeiterklasse unvorbereitet treffen ... Was hier vor sich geht, das ist die ideologische Vorbereitung des Bodens für die offene Trustdiktatur durch die bürgerlichen Parteien selbst, deren Verwirklichung die Vernichtung dieser selben politischen Parteien und damit der politischen Existenz der Bourgeoisie voraussetzt. Die soziale Herrschaft der Bourgeoisie ist in Widerspruch geraten mit ihrer politischen Herrschaft. Sie bereitet ihre politische Abdankung vor, um ihre Klassenherrschaft zu retten und zu festigen. Die Bourgeoisie spürt es klar voraus, daß dies nur durch einen Bürgerkrieg vollführt werden kann. Davor schreckt sie heute noch zurück. Es bedarf dazu einer Vorbereitung von langer Hand, und einer akuten politischen und sozialen Krise. Heute wäre es für sie noch „ein Sprung ins Dunkle“. Und für diesen Sprung selber braucht es einen Springer außerhalb, über oder unter den Reihen der parlamentarischen Politiker. Der Diktator ist. noch nicht da. Sind aber die Bedingungen geschaffen – so wird sich die benötigte Figur irgendwie und irgendwo finden. Das braucht kein „Heros“, nichts Außerordentliches zu sein. Sind die sozialen und politischen Bedingungen dafür bereit, so genügt, wie die geschichtliche Erfahrung zeigt, die ordinärste Blechfigur dafür ... So reift also Schritt für Schritt die Krise des Parlamentarismus in Deutschland heran, die in eine Krise der bürgerlichen Herrschaft überhaupt auslaufen muß ... Wie aber diese Krise, wenn sie akut wird, gelöst wird, revolutionär oder konterrevolutionär, das hängt in beträchtlichem Maße von der Kommunistischen Partei ab. Davon, ob sie sich mit den werktätigen Massen und ihren Kämpfen zu verbinden weiß, oder ob die von der bürgerlichen Demokratie einschließlich der Sozialdemokratie enttäuschten Massen den Stimmungen der Passivität, der politischen Gleichgültigkeit und der politischen Unorganisiertheit zum Opfer fallen.. Die tödliche Gefahr des heutigen Kurses der Partei besteht darin, daß er objektiv die letztere Entwicklung fördert.

Am 18. Mai 1929, nach den sächsischen Landtagswahlen, die eine Verdoppelung der faschistischen Stimmen binnen einem Jahre brachten, Gegen den Strom Nr.20:

Dasjenige Ergebnis der Wahlen zum sächsischen Landtag, das von allgemeiner, symptomatischer Bedeutung für die politische Entwicklung ist, ist die Tatsache, daß die große Linksbewegung der Wählerschaft, die bei den Reichstagswahlen im Mai vorigen Jahres in die Erscheinung trat, zum Stehengekommen und abgelöst ist durch eine Strömung nach rechts, deren hervorstechendstes Merkmal der Vormarsch des Faschismus ist.

Am 26. Juni 1929, Nr. 26:

Dem Signal des faschistischen Vormarsches, das die sächsischen Landtagswahlen gaben, folgen jetzt die Signale der Mecklenburger Wahlen, wo der Faschismus ebenfalls seine Stimmenzahl zu verdoppeln wußte und folgen die Koburger Gemeindewahlen mit einem überwältigenden Sieg der Nationalsozialisten ... Der Henker steht vor der Tür!

Am 6. Juli 1929, Nr.22:

Wir schreiben aber nicht mehr 1923. Inzwischen hat der Faschismus seine Wurzeln mächtig ausgebreitet. Er bereitet sich breit, planmäßig, von langer Hand vor. Im Zusammenprall mit den bewaffneten Kräften des faschistischen Staatsstreichs – der das logische Ende der langen Kette ideologischer, politischer, organisatorischer, technischer Vorbereitungen ist, – wird die bürgerlich-demokratische Wehrmacht nicht nur zusammenbrechen wie ein faules Rohr, sie wird den Gegner verstärken und gegen die Arbeiterschaft in Aktion treten.

Am 15. April 1930, Nr.14, beim Regierungsantritt Brünings:

Von der heutigen Präsidentenregierung geht der gerade Weg zur faschistischen Diktatur, zur unbeschränkten Herrschaft des staatlichen Gewaltapparates, der seiner Organisation nach ein gehorsames Werkzeug des großen Kapitals ist ... Vom verfassungsmäßigen Regime des Artikels 48 führt der Weg zum faschistischen Staatsstreich.

Am 26. April 1930, Nr.17, Grundlagen und Wege der faschistischen Entwicklung in Deutschland:

Daß der Weg von der Präsidentendiktatur zur faschistischen Diktatur in Deutschland geht, scheint manchem vielleicht heute noch unwahrscheinlich, weil die unmittelbar gegebene Lage, der unmittelbare Augenschein noch ganz anders aussieht. Da sind noch mächtige Gewerkschaften. Anscheinend intakte und starke bürgerliche Parteien. Die Nationalsozialisten scheinen, noch eine Nebenrolle zu spielen usw.

Daraus, geht nur hervor, daß der Faschismus in Deutschland noch eine gewaltige Vorbereitungsarbeit, eine gewaltige Arbeit der „Abnützung“ und Zertrümmerung der ihm entgegenstehenden Kräfte vor sich hat. Aber diese Arbeit hat bereits begonnen und bereits wichtige Resultate gezeitigt ...

Am 10. September 1930, Nr. 36, zu den Reichstagswahlen:

Der Aufschwung der faschistischen Konterrevolution; das ist die Signatur der Lage.

Wir beschränken uns auf diese wenigen Stellen. Die Sozialdemokratie bagatellisierte, in der „Staatsmacht“ sitzend, die faschistische Gefahr, und danach ließ sie alle paar Wochen oder Monate ihn seinen „Höhepunkt erreicht“ haben und ihn durch irgend welches parlamentarische oder Regierungswunder zusammenbrechen.

Die Instanzen der KPD und der Kommunistischen Internationale berauschten sich am „revolutionären Aufschwung“.

Einige wenige Proben:

Manuilski, Mitglied der Exekutive der Kommunistischen Internationale (Zur Diskussion in der KPD, Inprekorr vom 15. Februar 1929):

Von dieser Perspektive aus werden die Streiks von 1918 und 1919, die Revolutionsausbrüche, deren Zeugen wir in Österreich, Ungarn und Deutschland 1918 und 1919 waren, die Kämpfe der Spartakisten als Miniaturen erscheinen im Vergleich mit den internationalen Kämpfen, denen alle unsere Kommunistischen Parteien im Weltmaßstabe entgegenschreiten. Gerade dieses Moment der heranreifenden Gegensätze ist die „Seele“ der dritten Periode, von der in der Resolution des VI. Weltkongresses die Rede ist ...

Aufruf des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale zum 1. Mai 1929:

Immer kühner und entschiedener vollzieht sich der Übergang der werktätigen Massen von der Verteidigung zum Angriff gegen das Kapital.

Der Leitartikel der Roten Fahne vom 1. Mai 1929:

Auf das Wellental zwischen zwei Wellen der Revolution, auf die Flaute, die sich den ersten stürmischen Kampfjahren der Nachkriegszeit anschloß, folgt ein neuer revolutionärer Aufstieg. Schon die ersten Signale verkünden den grollenden Donner des künftigen proletarischen Oktobers.

Thesen für Agitatoren und Propagandisten, herausgegeben vom ZK der KPD, Mai 1929:

Die Berliner Barrikadenkämpfer demonstrieren, daß wir einer unmittelbar, revolutionären Situation entgegengehen, mit deren Entwicklungen die Frage des bewaffneten Aufstandes unmittelbar auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Thesen des X. Plenums der Exekutive, Juli 1929:

Die Berliner Maitage bedeuten einen Wendepunkt des Klassenkampfes in Deutschland und beschleunigen das Tempo des revolutionären Aufschwunges der deutschen Arbeiterbewegung.

Und so ging es weiter in der Selbsttäuschung und der Täuschung anderer. Noch der 14. September 1930, die Reichstagswahl, erschien den Instanzen der Partei als der Sieg des Kommunismus, der Aufschwung der faschistischen Konterrevolution aber als eine Seifenblase, die bald platzen würde, oder gar als (unbewußte und ungewollte) Vorarbeit für den Kommunismus.

 

 

4. Was bedeutet der Sieg des Faschismus für die Arbeiterklasse?

Sogar für den Sieg des Faschismus gibt es „revölutionäre“ (in Wahrheit einfach kapitulantenmäßige) Trostgründe.

Kann der Faschismus irgend eine der grundlegenden „Fragen“ des Kapitalismus in Deutschland lösen? So wird befragt, und aus der verneinenden Antwort gefolgert, daß also seine Herrschaft nur kurz sein könne, wenn er sie einmal angetreten habe.

Natürlich kann der Faschismus keine der Grundfragen des Kapitalismus lösen. Aber er kann etwas anderes. Er kann die Kraft, die allein den revolutionären Ausweg erkämpfen kann, für Jahre desorganisieren, zerschlagen, entwaffnen außer Gefecht setzen. Er kann für den sterbenden Kapitalismus kostbare Zeit gewinnen. Er kann die Lasten. und Leiden des kapitalistischen Niedergangs doppelt und dreifach einem gefesselten Proletariat auferlegen und dem Kapital auf seine Kosten eine Atempause schaffen.

Eine einzige Tatsache möge die ökonomische Seite dieser Frage beleuchten. Das faschistische Italien zählte nach einer der letzten unvollständigen amtlichen Zählungen 1.147.945 Arbeitslose. Die Zahl ist seit dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Der Faschismus kann die Wirtschaftskrise von Italien so wenig fernhalten wie irgend ein anderes kapitalistisches Regiment.

Aber von diesen 1.147.945 amtlich angegebenen Arbeitslosen werden nur 302.000 unterstützt und dies mit den jämmerlichsten Bettelpfennigen.

Das kann der Faschismus und das tut er. Das kann und das tut die konterrevolutionäre Gewalt, die sich in den Dienst des Großkapitals stellt und jeden Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Druck des Kapitals selbst auf dem Boden des Kapitalismus diktatorisch niederzwingt.

Der russische Zarismus war schon 1905, historisch, ökonomisch, gesellschaftlich überlebt.

Die Gewalt, die Kosakenknute, der Henkerstrick, die schwarzen Hunderte, die Ochrana, Sibirien, die Unterstützung durch den westeuropäischen Kapitalismus hielten ihn noch 12 Jahre.

Die Revolution, die den Zarismus im März 1917 wegfegte, hatte sich ihren Weg nicht nur zu bahnen über ungezählte Opfer der konterrevolutiönären Gewalt, über unerhört verschärfte Ausbeutung, sondern auch über Millionen imperialistischer Kriegsopfer hinweg.

Es lag nicht an der russischen Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei, den Bolschewiki, daß der Zarismus nicht schon 1905 geschlagen wurde.

Aber es liegt an der deutschen Arbeiterklasse, an dem Verrat der Führer der Sozialdemokratie, an der Blindheit und Unfähigkeit der Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands, daß der Faschismus in einer Zeit der kolossalsten Erschütterung des Kapitalismus bis an die Schwelle der Macht gelangen konnte.

 


Zuletzt aktualisiert am 18.7.2008