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Der hüllenlose Atheismus wurde mit rücksichtsloser Kühnheit vertreten von den französischen Enzyklopädisten, den Vorläufern der großen Revolution, am kräftigsten von La Mettrie (1709-1751), der den Satz aufstellte: die Welt werde nicht eher glücklich sein, als bis der Atheismus allgemein herrschend geworden. Er war der ideologische Vorbote des politischen Jakobinismus; die Guillotine für den Theismus, der bald die Guillotine für Louis XVI. folgte.
Weit manierlicher, mit philosophischer Gründlichkeit, ist um dieselbe Zeit in dem politisch rückständigen Deutschland der tiefe Denker Kant dem Theismus zu Leibe gegangen. Er untersuchte das innerste Wesen der menschlichen Erkenntnis und gelangte in Bezug auf den Gottglauben zu dem Ergebnis, daß er auf Sand gebaut ist. Zugleich vernichtete er mit kritischer Schärfe und Unerbittlichkeit die hergebrachten Scheinbeweise für das Dasein Gottes. Es sind deren vier.
Und dieser Schluß ist denn auch oft genug gezogen worden, am temperamentvollsten wohl von dem bedeutenden schwäbischen Gelehrten, Denker und Dichter Fr. Th. Vischer:
Wir haben keinen |
Zurück zu Kant. Nachdem er in seiner Kritik der reinen Vernunft aller Theologie mit seinem kritischen Fallbeil den Kopf abgeschlagen hatte, hat er zur Überraschung aller Welt in seiner Kritik der praktischen Vernunft den Gottglauben wieder zum Leben galvanisiert: Die Menschen brauchen einen Gott zu praktischen Zwecken, von wegen der Moral – als ob sich nicht die ärgste Niederträchtigkeit mit der aufrichtigsten Gottgläubigkeit von jeher aufs beste vertragen hätte! – also sollen sie ihn haben, wenn ihm auch die reine Vernunft die Existenz abspricht.
Hätte Kant diese Theorie einer Vernunft mit doppeltem Boden bloß konstatiert, so wäre ja nichts dagegen einzuwenden. Denn tausendfältig zeigt sich in der Geschichte und im Leben, daß die Menschen für wahr halten, was ihren Neigungen und Zwecken zusagt, mag die reine Vernunft noch so unwiderleglich das Gegenteil beweisen. Der Theismus selbst ist ja ein eklatantes Beispiel dafür und – vielleicht Kant selbst. Ergötzlich schrieb Heine in seinem Buch Über Deutschland dazu: „Ihr meint, wir könnten jetzt nach Hause gehen? Bei Leibe! Es wird noch ein Stück aufgeführt. Nach der Tragödie kommt die Farce. Immanuel Kant hat den Himmel gestürmt, die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine himmlische Vatergüte ... Das röchelt, das stöhnt – und der alte Lampe (Kants Diener) steht dabei mit seinem Regenschirm unterm Arm, als betrübter Zuschauer, und Angstschweiß und Tränen rinnen ihm vom Gesicht. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, daß er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein. Der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein, das sagt die praktische Vernunft. Meinetwegen, so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen. Wie mit einem Zauberstäbchen belebte er daher wieder den Leichnam des Theismus, den er zuvor getötet. Hat vielleicht Kant diese Wiedererweckung nicht bloß des alten Lampe wegen, sondern auch der Polizei wegen unternommen?“ Letzteres ist nicht ganz unwahrscheinlich.
Entschieden atheistisch war dagegen die Philosophie von J.G. Fichte, des großen Schülers und Nachfolgers Kants, wiewohl auch er den Namen Gott für die moralische Weltordnung beibehielt. Er mußte seinen Atheismus mit seiner Entfernung vom Lehrstuhl in Jena büßen. Über den Zickzackkurs von Schelling und die im Zwielicht schillernde Hegelsche Meinung können wir hinweggehen.
In der Folgezeit ging es mit dem Theismus immer weiter bergab. Die Vulgärmaterialisten, von denen Büchner (Kraft und Stoff) der bekannteste, propagierten den Atheismus in weiten Kreisen, und die Arbeiterbewegung in ihren noch unklaren Anfängen vertrat ihn vielfach programmatisch. Schopenhauer, mit dem eine neue Philosophengeneration anhebt und sein kürzlich verstorbener Fortbildner Hartmann, verbreiten ihn in den oberen Schichten, desgleichen der neueste Philosoph-Poet in Prosa Fr. Nietzsche.
Zuletzt aktualisiert am 9.8.2008