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Quelle: Sozialpolitisches Zentralblatt, IV. Jg., Nr. 22, 25.
Februar 1895, S. 255–258.
Transkription: Daniel Gaido.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Achtundzwanzig Jahre sind es, dass Marx den ersten Band des Kapital herausgab, das Buch, welches einstimmig als das theoretische Hauptwerk des modernen Sozialismus anerkannt wird. Vorarbeiten zu diesem Werke hatte Marx, wie das Elend der Philosophie, seine geistsprühende ökonomische Streitschrift gegen Proudhom, beweist, bereits am Schluss der vierziger Jahre begonnen. Die erste Darstellung seiner originalen Werth- und Geldtheorie, niedergelegt in dem dünnen Büchlein Zur Kritik der politischen Oekonomie, datirt vom Jahre 1859. So repräsentirt der erste Band des Kapital den Ertrag eines durch zwanzig Jahre sich hinziehenden, immer wieder unterbrochenen und neu aufgenommenen Ringens mit den Grundproblemen der kapitalistischen Oekonomie. Der geistigen Kraft, welche in den Blättern dieses Buches konzentrirt ist, entsprach die gewaltig einschlagende, alle Traditionen über den Haufen werfende Wirkung. Leider war es dem grossen revolutionären Denker nicht mehr vergönnt, den zweiten und den dritten Band seines Werkes in gleicher Weise zu Ende zu führen. Seine Gesundheit war erschüttert, und als er 1883 starb, übernahm Friedrich Engels die Herausgabe des Nachlasses. Schon im Jahre 1885 konnte dieser aus dem Marxschen Nachlasse den zweiten Band des Kapital veröffentlichen, Ende 1894 endlich erschien der dritte abschliessende Band. Erst jetzt lässt sich ein völliger Ueberblick über den Gesammtbau der in dem Marxschen Werke entwickelten Werththeorie gewinnen.
Nach dem in der Einleitung zum ersten Bande aufgestellten Programm, behandelt Buch I den Produktionsprozess, Buch II den Zirkulationsprozess und dieses Buch III, das im Manuskript bereits in den Jahren 1863–65 niedergeschrieben war, den Gesammtprozess des Kapitals. Wichtig für das Verständniss des ganzen Werkes ist es, sich gegenwärtig zu halten, dass, wenn Marx im ersten Bande die Produktion und im zweiten die Zirkulation des Kapitals untersucht, er dabei die Unterstellung macht, dass im Austausch die Waaren zu ihrem Werthe, also im Verhältniss zu der in ihnen enthaltenen nothwendigen Arbeitszeit, gegen Geld umgesetzt werden; die ersten beiden Bände entwickeln so die Konsequenzen, welche sich für die Produktion und Zirkulation des Kapitals bei strikter und unmittelbar wirkender Herrschaft des „Werthgesetzes“ ergeben würden.
Aber das „Werthgesetz“ beherrscht die Preisbildung weder strikt noch unmittelbar. Dies ist der Gesichtspunkt, der in dem dritten Bande im Gegensätze zu den beiden ersten zur Geltung kommt. Unmittelbar wird Austausch und Preisbildung durch die Konkurrenz der Käufer und Verkäufer, der Arbeiter und Kapitalisten bestimmt, und diese Konkurrenz wirkt darauf hin, die im Einzelnen zufällige Preisbildung im grossen Durchschnitt wenigstens gewissen Regeln und Normen anzupassen. Es fragt sich, ob die Normen der Preisbildung, auf welche die Konkurrenz hinarbeitet, mit der von Marx als „Werthgesetz“ hypostasirten Norm zusammenfallen, oder ob sie von ihr abweichen, und wenn sie abweichen, welches die Gründe und Regeln für das Maass dieser Abweichung sein mögen?
ln seiner einfachsten Form stossen wir auf dieses grosse, erst von Marx bewusst formulirte Problem, bereits bei Adam Smith. In dem fünften Kapitel seines Nationalreichthums entwickelt er, wenn auch noch vielfach unklar, den Gedanken, dass der Tauschwerth der Waaren abhängig sei von der zu ihrer Herstellung erheischten Arbeitsmenge, also die Grundlage der von Ricardo und Marx weiter fortgebildeten Werttheorie. Ja er zieht bereits die notwendige Konsequenz, dass Kapitalprofit und Grundrente dann auf einem Arbeitsüberschuss basisren müssen, für welchen die Arbeiter von den Kapitalisten keinen Entgelt erhalten. Wenige Seiten nachher folgt bei ihm die Lehre von dem „natürlichen Preise“, welchen die freie Konkurrenz der kapitalistischen Gesellschaft im Durchschnitt und auf die Dauer überall zu verwirklichen anstrebe. Der Preis aller Waaren, so deducirt Smith, löst sich in letzter Instanz auf in Arbeitslohn, Profit und Grundrente. Es bestehe aber in einem gegebenen Lande zu gegebener Zeit jedesmal eine gewisse Durchschnittshöhe des Arbeitslohnes, des Profites und der Grundrente, und die Konkurrenz arbeite darauf hin, die Preise der einzelnen Waaren derart zu normiren, dass die kapitalistischen Warenproduzenten beim Verkauf die ausgelegten Löhne, den landesüblichen Durchschnittsprofit und die durchschnittliche Grundrente erhalten. Natürlich weichen die Marktpreise im Einzelnen vielfach und bedeutend von dieser Norm ab. Aber die Konkurrenz strebe danach, solche Abweichungen von dem allgemeinen Gravitationspunkte der Preise einzuschränken und auf die Dauer auszuglcichen. Sinken die Marktpreise in einer Branche stark unter das Manss des natürlichen Preises, so trete allmählich Einschränkung der Produktion, also auch des Warenangebotes in der betreffenden Branche ein, bis sich die Preise wiederum dem Normalmaasse nähern. Sind die Marktpreise dagegen unnormal gestiegen, so strömt neues Kapital den begünstigten Produktionszweigen zu, bis durch die Vermehrung des Angebotes die Preise wiederum sinken.
Diese hier von Smith gegebene Preistheorie trifft bei allen Unvollkommenheiten insoweit zweifellos das Richtige, als sie darauf hinweist, dass die Konkurrenz der Kapitalisten auf eine Nivellirung der Gewinnsätze in allen Branchen hinarbeite4, wie mannigfach auch die Hemmungen seien, durch welche diese Tendenz immer wieder durchkreuzt wird. Aber Smith vergisst zu fragen, wie denn diese durch die Konkurrenz erstrebte Preisnormirung, bei welcher gleich grosse Kapitalien im Durchschnitt gleichen Profit bringen, mit seiner einige Seiten vorher entwickelten Theorie des Tauschwertes, derzufolge Tauschwerth und Preis der Waaren von der zu ihrer Produktion verwandten Arbeitsmenge regulirt wird, übereinstimmen?
Das Problem ist da, aber Smith sicht es nicht, oder wenn er es sieht, so verschweigt er es und wagt sich an die Lösung desselben nicht heran.
Es ist das einer der vielen Widersprüche, die das in seiner Art glänzende und geniale Smith’sche Werk charakterisiren.
Ricardo machte dann mit der Smith’schen Werthlehre Ernst. Der encyklopädische und historisch-beschreibende Geist, der seinen Vorgänger auszeichnete, fehlt ihm, um so schärfer ist die philosophische Haupttugend – die Konsequenz – bei ihm ausgebildet. Er streift der Werthlehre das Schwankende und Widerspruchsvolle ab und versucht im Detail den Nachweis, dass Arbeitslohn, Grundrente und Profit dem allgemein geltenden Werthgesetze unterworfen seien, dass die Konkurrenz, welche den „natürlichen Satz“ der Warenpreise regele, eben damit zugleich die Warenpreise dem Werthgesetz entsprechend normire. Freilich stösst er gelegentlich auch auf den Gedanken, dass die natürlichen Preise der Konkurrenz wohl von dem Werthe divergiren müssten, aber er verfolgt ihn nicht weiter und kann ihn nicht weiter verfolgen, weil er die aus dem Werthgesetz zu ziehenden Folgerungen nicht rein und methodisch, bevor er sich der Betrachtung der Konkurrenz zuwendet, herausgearbeitet hat.
Hier hat Marx mit seinem Kapital eingesetzt. Zweierlei charakterisirt ihn im Gegensätze zu Ricardo, dem Gipfel, in welchen die klassische Nationalökonomie auslief: Marx überwindet als Sozialist den beschränkten Standpunkt seiner bürgerlichen Vorgänger, denen die kapitalistische Produktionsweise als endgültige und schlechthin „natürliche“ Produktionsweise galt: er betrachtet den Kapitalismus als ein historisches Produkt, das, aus früheren Gesellschaftsformen entstanden, den Keim seines Unterganges wie alles Entstandene in sich trägt, er zeigt die Widersprüche, welche, von dieser Produktionsweise in immer wachsendem Maassstabe ausgebildet, mit Naturgewalt einer neuen höheren Gesellschaftsorganisation, dem Sozialismus Vorarbeiten. Das Zweite, was ihn von den klassischen Oekonomen des Bürgerthums auszeichnet, ist die unvergleichliche dialektische Schärfe, mit welcher er die von jenen angebahnte Werththeorie ausgebildet und, ohne irgendwo umzubiegen, bis in ihre äusser- sten Konsequenzen fortentwickelt hat. Indem er alle Konsequenzen methodisch zog, schaffte er damit auch zuerst die Basis, auf welcher jenes Problem, ob und inwiefern die offenbaren Preisbildungstendenzen der Konkurrenz mit der Norm des Werthgesetzes übereinstimmen, allein gelöst werden kann. Die Lösung dieses Problems ist unumgänglich nothwendig, wenn man sich über die Bedeutung des Werthgesetzes – das eine wissenschaftliche, zur Erklärung des thatsächlichen Austauschprozesses aufgestellte Hypothese ist – Klarheit verschaffen will. Erst muss die Hypothese völlig ausgearbeitet sein, dann erst kann man sie mit der Wirklichkeit nutzbringend konfrontiren und ein Urtheil gewinnen, was sie für die Erklärung dieser Wirklichkeit zu leisten vermag, worauf ihre Berechtigung und ihre Nothwendigkeit beruht.
Wenn das Werthgesetz strikte gilt, – so hatte Marx im ersten Bande deducirt – können die industriellen Kapitalisten beim Verkauf ihres Produktes nur dann einen ihre Auslage übersteigenden Werth, d. h. Mehrwerth, realisiren, wenn ein solcher überschüssiger Werth innerhalb des Produktionsprozesses bereits geschaffen worden ist. Er wird geschahen durch die Arbeit des Lohnarbeiters, dem der Kapitalist in Lohnform nur die Unterhaltskosten oder den Werth seiner Arbeitskraft bezahlt. Dieser Werth, d. h. der Arbeitsaufwand, welcher in den zur Erhaltung des Arbeiters notwendigen Lebensmitteln steckt, ist naturgemäss niedrig, und nichts hindert den ökonomisch übermächtigen Kapitalisten, den Arbeiter, welchem er in Lohnform eine Anweisung auf Waaren von sage 6 Stunden Arbeitswerth giebt, länger, vielleicht doppelt so lange, Tag für Tag arbeiten zu lassen. Der von dem Arbeiter täglich im Produktionsprozesse neu geschaffene Werth ist dann doppelt so gross wie der ihm in Lohnform angewiesene. Der Kapitalist gewinnt also durch dieses Längerarbeiten des Lohnsklaven täglich so und so viel überschüssigen oder Mehrwerth in Produktform, obgleich er den Werth der Arbeitskraft dem Werthgesetz entsprechend richtig bezahlt hat. Er kann also das fertige Produkt nach Abschluss des Produktionsprozesses zu seinem Arbeitswerth verkaufen und wird dabei doch, weil dem Produkt zuschüssiger Werth einverleibt ist, eine grössere Geldsumme zurückerhalten, als er für die zur Produktion nothwendigen Betriebsmittel und Arbeitskräfte ausgelegt hatte. Sein Geld hat sich verwerthet, hat ihm Profit gebracht und sich damit als Kapital bewährt. Alles das ohne Verletzung, vielmehr in strenger Konsequenz des Werthgesetzes. Aber der Mehrwerth, auf dessen Umsatz gegen Geld der Profit beruht, ist von den Lohnarbeitern, nicht von den Rohstoffen und Maschinen geschaffen worden, die überhaupt als Produkte früherer Arbeit den in ihnen enthaltenen Arbeitswerth nur auf das neue Produkt übertragen, selbstverständlich aber nicht neuen Werth erzeugen können.
Der Mehrwerth wird also, wenn Lohnhöhe, Länge der Arbeitszeit und Intensität der Arbeit gegeben sind, für jedes Kapital um so grösser sein, je mehr Kapital der Industrielle zum Ankauf lebendiger, Werth und Mehrwerth erzeugender Arbeitskräfte verwenden kann. Nur dieser in Lohnform ausgelegte Kapitaltheil ist im eigentlichen Sinne sich ver- werthender Werth, er ist, wie Marx sagt, variables Kapital im Gegensatz zu den ihren Werth auf das fertige Produkt nur übertragenden todten Produktionsmitteln, dem konstanten Kapitale.
Je nach den verschiedenen Branchen beschäftigen nun gleich grosse industrielle Kapitale mehr oder weniger lebendige Arbeitskräfte, erzielen also je nachdem auch einen grösseren oder geringeren Mehrwerth im Produktionsprozesse. Aber trotzdem sind ihre Profite gleich oder, wenn sie divergiren, so hat dies seinen Grund in zufälligen und wechselnden Marktkonjunkturen, keineswegs aber darin, dass sie verschieden grosse Arbeitermengen beschäftigen. Adam Smith hat Recht: die freie Konkurrenz strebt danach, im Durchschnitt und auf die Dauer die Gewinnsätze des Kapitals in den verschiedenen Branchen auszugleichen. Der „natürliche“, von der Konkurrenz angestrebte Preis, um welchen sich die Marktpreise als ihren Gravitationspunkt herum bewegen, bemisst sich nach der Regel, dass die Kapitalisten die in Geld ausgelegten Produktionskosten ihrer Waaren, vermehrt um den Durchschnittsprofit ihres zur Warenproduktion vorgeschossenen Geldkapitals, beim Verkauf der Waaren zurückerhalten. Der Zufluss und Abfluss von Kapital in den verschiedenen Produktionszweigen, der sich nach den jedesmaligen Gewinnchancen richtet, hat die unvermeidliche Tendenz, die Marktpreise diesem Maasse des natürlichen Preises auf die Dauer anzupassen.
Es ist also klar: Die Preisnormirung, welche sich in Konsequenz des Werthgesetzes ergiebt, weicht von der wirklichen Preisnormirung, der die Konkurrenz zustrebt, ab. Bei strikter und unmittelbarer Geltung des Werthgesetzes müsste der Kapitalist im Preise der Waare seine Auslagen (Lohnsumme und Auslagen für die verbrauchten Produktionsmittel) vermehrt um den von seinen Arbeitern erzeugten Mehrwerth zurückerhalten. Dieser Mehrwerth ist, wie wir sahen, grösser oder kleiner, je nachdem die Menge der beschäftigten Arbeiter und damit der variable Kapitalteil grösser oder kleiner ist. Die Konkurrenz indessen normirt die Preise derart, dass der Kapiialist seine Auslagen und einen dem Durchschnittsgewinnsatz entsprechenden Profit von seinem ganzen im Produktionsprozesse vorgeschossenen Kapital bezieht. Mit anderen Worten: Der Werth eines kapitalistisch hergestellten Produktes schliesst ausser den Auslagen des Unternehmers den Mehrwerth, der Preis eines kapitalistisch hergestellten Produktes ausser den Auslagen den Durchschnittsgewinn ein. Und während der Mehrwerth sich nach der Grösse des variablen Kapitaltheils, muss der Durchschnittsgewinn sich nach der Grösse des ganzen im Produktionsprozesse vorgeschossenen Kapitals richten. Es wird mithin der Gewinn, den ein Kapitalprodukt abwirft, von dem in ihm enthaltenen Mehrwerth, also auch der Preis des Kapitalproduktes (der Gewinn bildet ja einen Theil dieses Preises) vom Werth desselben divergiren. Der Gegensatz ist klar und in die Augen springend, sobald nur alle aus dem Werthgesetze zu ziehenden Konsequenzen rein abgeleitet werden, wie es Marx in den ersten beiden Bänden seines Werkes gethan hat.
Die Gegner der Marx’schen Werththeorie, und unter den offiziellen Oekonomen hat sie aus naheliegenden Gründen überhaupt nur Gegner, werden in diesem Gegensätze eine prächtige. Widerlegung der Werththeorie erblicken. Die ganze Werthlehre sei verkehrt und unbrauchbar, Marx habe seine ökonomische Doktrin offenbar nur aus sozialistischer Malice aufgestellt, denn wenn er selbst zum Resultate komme, dass die wirklichen Waarenpreise von dem Arbeitswerth der Waaren abweichen, so müsse ja Jedermann einsehen, dass die Werthbestimmung nach der Arbeit mit den wirklichen Tauschwerthen und Preisen gar nichts zu thun habe, dass jene Werthbestimmung nutzlose und gefährliche Metaphysik sei. Es lebe der Eklecticismus, die Theorie der „drei Produktionsfaktoren: Arbeit, Kapital und Natur“, die Lehre von „Angebot und Nachfrage“, die Theorie der .„Dienste“ und des „Grenznutzens“, in denen jede scharfe Bestimmtheit zu Grunde geht, deren Halbdunkel auf das Denken wie auf das bürgerliche Bewusstsein so angenehm beruhigend wirkt!
Das Werthgesetz ist Hypothese zur Erklärung der Wirklichkeit. Wenn die natürlichen Preise der Konkurrenz in gar keiner Beziehung zum Werthgesetzc ständen, also auch ganz unabhängig von jener Hypothese verständlich wären, dann allerdings hätten die Gegner Recht. Aber die Thatsache, dass die natürlichen Preise der Einzelwaaren vom Werth derselben abweichen, beweiset an sich noch nicht das Geringste gegen die Nothwendigkeit der Werththeorie. Sehen wir näher zu. Der „natürliche Preis“ schliesst ein die Produktionskosten, vermehrt um den Durchschnittsprofit vom vorgeschossenen Kapital. Und wann ist der Profit eines Kapitals Durchschnittsprofit? Wenn der Prozentsatz, nach welchem sich der von dem betreffenden Kapitale abgeworfene Profit zum vorgeschossenen Kapitale verhält, mit dem allgemeinen durchschnittlichen Prozentsatz, nach dem auch die übrigen Kapitale Gewinn bringen, zusammenfällt. Wovon aber hängt die Höhe dieses Prozentsatzes, d. h. die allgemeine Durchschnittsprofitrate, nach der die Gesammtheit der Kapitale Gewinn abwirft, wiederum ab?
Hier lässt uns die Berufung auf die Konkurrenz völlig im Stiche. Aus der Konkurrenz der überall den grössten Gewinnchancen nachjagenden Kapitale lässt sich nur erklären, dass der Gewinnsatz in den verschiedenen Branchen eine Tendenz zur Ausgleichung hat, nichts aber über die Höhe dieses ausgeglichenen Gewinnsatzes selbst. Hier werden wir, wenn nicht das ganze Phänomen völlig unerklärt bleiben soll, auf die Hypothese der Werththeorie zurückgewiesen. Alle Arbeiter beschäftigenden Kapitale erzeugen (Lohnhöhe Arbeitszeit und Intensität der Arbeit als gegeben vorausgesetzt) Mehrwerth nach Maassgabe der von ihnen beschäftigten Arbeitermassen. Was von den einzelnen, gilt von der Summe aller Kapitale. In der gesammten buntverschiedenen Waarenmenge, die jährlich von der Kapitalistenklasse auf den Markt geworfen wird, ist eine ganz bestimmte Menge unbezahlter Arbeitszeit oder Mehrwerth enthalten. Wenn nun die Konkurrenz auf eine Nivellirung der Profitraten für die verschiedenen Branchen hinarbeitet und damit die einzelnen Waarenpreise bald mehr, bald weniger von den Werthcn abweichen lässt, so ist es immerhin möglich, vielleicht wahrscheinlich, dass die Abweichungen der Preise von den Werthcn sich für das Gesammtprodukt gegenseitig aufheben, dass dieses also einen seinem Arbeitswerthe entsprechenden Preis erzielt.
Nehmen wir einmal an, es müsse so sein, dann ist es Klar, dass in diesem Falle der Prozentsatz, nach welchem das industrielle Gesammtkapital – mithin auch der Durchschnitt der Einzelkapitale – Profit abwirft, durch das Werthgesetz -bestimmt wird. Denn wenn die für das Gesammtprodukt gezahlte Preissumme dem Arbeitswerthe des Gesammtproduktes entsprechen muss, dann erhält die industrielle Kapitalistenklasse im Preise des Gesammtproduktes den Werth ihrer Auslagen, vermehrt um die ganze aus der Arbeiterklasse herausgepresste Mehrwerthsumme zurück. Der Reingewinn oder Profit der industriellen Kapitalistenklasse ist nur diese in Geld umgesetzte Mchrwerthsummc; die Profitrate des industriellen Gesammtkapitals, der Prozentsatz, nach welchem also auch der Durchschnitt der Einzelkapitale Gewinn ab wirft, ist gegeben durch das Ver- hältniss der jährlich aus der Arbeiterklasse herausgepressten Mehrwerthsumme zum Werth des vorgeschossenen Gesammtkapitals. Die natürlichen Waarenpreise der Konkurrenz weichen also wegen der Nivellirung der Profite von den unmittelbaren Werthcn der Waaren in der That ab, aber diese Abweichung selbst ist nur auf Grundlage der Werththeorie verständlich. Denn die Durchschnittsprofitrate, nach welcher die Konkurrenz die Preisbildung zu reguliren strebt, ist selbst nicht durch die Konkurrenz, sondern durch ein Werthverhältnis – nämlich das Verhältniss des Gesammtmehrwerthes zum vorgeschossenen Gesammtkapitalwerth, bestimmt.
Aber, so wird man einwerfen, diese ganze Deduktion hat doch nur Geltung unter der Annahme, dass wirklich der Preis des Gesammtproduktes mit dem Arbeitswerth desselben zusammenfallen muss. Lässt man diese gezwungene Annahme fallen, so verliert die Beweisführung ihre Gültigkeit, jeder Zusammenhang zwischen der Durchschnittsprofitrate und dem Werthverhältniss löst sich auf. Wir können natürlich auf diesen von Marx nur ganz kurz behandelten Einwurf hier nicht in ausführlicher Weise eingehen. Nur der wesentliche Gesichtspunkt sei hervorgehoben: Das Gesammtprodukt besteht aus Produktionsmitteln, die weiterhin als Element der produktiven Kapitale dienen sollen, und aus Konsummitteln, deren grösster Theil zum Unterhalt der Arbeiter nothwendig ist. Steigt nun z. B., die Preissumme des Gesammtproduktes über den Werth desselben, so werden im grossen Durchschnitt auch die Elemente des Kapitals, d. h. die Summe der Produktionsmittel und die Arbeitskräfte, entsprechend an dieser Preissteigerung partizipiren müssen. Bei den Produktionsmitteln versteht sich das von selbst, aber dasselbe gilt auch – in gewissen Grenzen – für die Arbeitskräfte, denn der Lohn richtet sich nach den nothwendigen Unterhaltskostcn des Arbeiters. Soweit die Preissteigerung des Gesammtprodukts über den Werth sich in einer Preissteigerung der Lebensmittel wiederspiegclt, werden also auch die nothwendigen Unterhaltskosten des Arbeiters entsprechend grösser, und wenn der Arbeiter auf dem Niveau seines Existenzminimums erhalten werden soll, muss sein Geldlohn entsprechend steigen. Steigerung im Preis des Gesammtproduktes über den Arbeitswerth hat also (der Tendenz nach wenigstens) eine entsprechende Preissteigerung der Kapitalelemente, der Produktionsmittel und Arbeitskräfte zur Folge, mithin eine Vermehrung des in allen Betrieben vorzuschiessenden Geldkapitals. Wenn die Preissumme des Gesammtproduktes also auch den Werth desselben übersteigt, so ist dies an sich noch keine Steigerung des Gewinnsatzes, denn mit dem Preise des Gesammtproduktes werden die Kapitalelemente entsprechend im Preise steigen. Die durchschnittliche Profitrate oder das Verhältniss des Ge- sammtprofits zum vorgeschossenen gesammten Geldkapital wird also – der allgemeinen Tendenz nach – durch eine Preissteigerung des Gesammtproduktes über den Arbeitswerth nicht berührt werden. Man sieht: Auch wenn wir unsere erste Annahme, das Gesammtprodukt würde zu seinem Werthe verkauft, fallen lassen, bleibt die Durchschnittsprofitrate doch immer von dem oben entwickelten Werthverhältniss, dem Verhältniss der jährlich erzeugten Mehrwerthsumme zum vorgeschossenen Kapitalwerth, abhängig. Das Werthgesetz bewährt sich also auch den ihm scheinbar ganz widersprechenden Erscheinungen der Konkurrenzpreise gegenüber als der notlnvendige theoretische Ausgangspunkt, als lichtbringende, unumgängliche Hypothese. Ohne dasselbe hört jede theoretische Einsicht in das ökonomische Getriebe der kapitalistischen Wirklichkeit auf.
Näher auf den reichen Inhalt des dritten Bandes des Marx’schen Kapitals, auf die Untersuchungen über den Fall der Durchschnittsprofitratc, über die Spaltung des Profites in Handelsgewinn, Zins und Grundrente, auf die detaillirtc Analyse der Grundrente cinzugehen. mangelt der Raum. Das Wesentlichste erschien mir. den unterscheidenden Charakter des dritten Bandes hervorzuheben, dass Marx hier, nachdem in den ersten beiden Bänden alle Konsequenzen aus dem Werthgesetze methodisch entwickelt wurden, die so gewonnenen Resultate mit den offenbaren Preisnormen der Konkurrenz vergleicht, den Gegensatz jener Resultate mit diesen Preisnormen, in diesem Gegensätze aber wiederum ihre Ucbeivinstimmung konstatirt. Denn die Preisnormirung der Konkurrenz bedeutet, wie wir sahen, allerdings ein Abweichen der einzelnen Waarenpreise vom Waarenwerthe, auf der anderen Seite aber ein Zusammenfallen der jener Preisnormirung zu Grunde hegenden Durchschnittsprofitrate mit dem Verhältniss der gesammten Mehrwerthsumme zum vorgeschossenen Kapitalwerth. Das Verständniss dieses Werthverhältnisses hat aber zur Voraussetzung jene absolut konsequente und abgeschlossene Entwickelung der Werththeorie bis in die äussersten Konsequenzen, wie sie Marx in den ersten beiden Bänden gegeben hat.
Alles ist in dem Plane dieses wunderbaren Werkes mit weitausschaucndem Geiste fest und sicher aneinandergefügt, ein Zeugniss menschlichen Denkens, wie es wenige giebt. Aber freilich, der Plan ward nur zu einem Theile ausgeführt. Die hinterlassenen Manuskripte, die in diesem dritten Bande uns geboten werden, sind – noch vor dem Erscheinen des ersten Bandes – für die Selbstverständigung, nicht für den Druck niedergeschrieben. Daher die Wiederholungen, die Abschweifungen, oft auch eine dunkele Kürze in wichtigsten Fragen, gegen welche die Ausführlichkeit, mit der Nebendinge gelegentlich behandelt werden, seltsam kontrastirt.
Es bedarf geduldiger Arbeit des Lesers, um überall hier zum wesentlichen Gedankenkerne vorzudringen. Aber die Mühe belohnt sich! Ein wirklicher Fortschritt – das lässt sich ohne Gefahr schon heute prophezeihen – wird in der theoretischen Nationalökonomie überhaupt nicht mehr oder in kritischer Anknüpfung an das Marx’sche Lebenswerk gemacht werden.
Zürich. Conrad Schmidt
1. Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, zwei Theile. Bei Meister in Hamburg. Herausgegeben von Fr. Engels./p>
Zuletzt aktualiziert am 18. Januar 2023