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Quelle: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1903, Heft 4, April 1903, S.
Transkription/HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Auf dem deutschen Lehrertage, der Pfingsten vorigen Jahres in Chemnitz abgehalten wurde, erklärte der sächsische Cultusminister von Seydewitz in seiner Begrüssungsansprache unter anderm: „Wenn Ihre Wünsche, soweit sie auf die weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Volksschullehrer gerichtet waren, nicht überall, auch in Sachsen nicht, voll befriedigt worden sind, so liegt die Schuld hierfür wahrlich nicht in einem Mangel an Verständnis oder Wohlwollen für die Interessen der Volksschullehrer, auch nicht in einer Geringschätzung der Lehrerarbeit auf unserer Seite.“ Punctum! Man erwartete, dass auf das Nicht ein Sondern folgen würde, damit man erfahre, wo denn die Schuld an der mangelhaften Erfüllung der Lehrerwünsche zu suchen sei. Aber diese logische Fortsetzung seines Satzes schenkte sich der Herr Minister. Wahrscheinlich glaubte er, dass bei den sächsischen Lehrern noch die Erklärung lebendig genug in der Erinnerung stehe, die zu Anfang des Jahres von der Finanzdeputation A der zweiten Kammer bei Erledigung einer Petition des Vorstandes des Sächsischen Lehrervereins um Erhöhung der Mindestgehalte der Volksschullehrer abgegeben worden war.
Diese Erklärung lautete: Die Finanzdeputation A der zweiten Kammer hat sich eingehend mit der Petition beschäftigt und ist zu dem Beschlüsse gelangt, der Kammer den Antrag zu unterbreiten, „die Petition des Vorstandes des Sächsischen Lehrervereins auf sich beruhen zu lassen“. In der Begründung wurde unter andcrm angeführt, dass das Mehrerfordernis sowohl den Staat als auch die Gemeinden erheblich belasten würde. Gleichzeitig wurde den begehrlichen Volkserziehern folgende Zurechtweisung erteilt:
„So sehr alle Freunde und Förderer der Volksbildung es beklagen werden, wenn die Bewilligungen für die Volksschule bis auf weiteres nicht in dem bisherigen Masse rasch weiter steigen, so wird man sich doch dessen bescheiden müssen, da die gesamten Verhältnisse es so mit sich bringen und niemand über die Grenze des Möglichen hinaus kann. Es wird gut sein, wenn man sich in Zukunft dieser Verhältnisse recht bewusst wird, ehe man immer weiter gehende Wünsche zum Ausdruck bringt.“
Welchen Eindruck diese Ablehnung, noch dazu in dieser Form, auf die Mehrzahl der Volksschullehrer Sachsens machte, geht aus folgender auf die Erklärung bezüglichen Bemerkung der Leipziger Lehrerzeitung vom 19. Februar 1902 hervor:
„Für die Schuld der Regierung und der Kammer, die Missstände, wie forlgestzte Etatsüberschreitungen, so lange geduldet zu haben, müssen die Beamten und Lehrer leiden ... Wie billig kommt doch der conservativen Partei ihr grosses Wohlwollen für die Schule und die Lehrer zu stehen! ... In unendlicher Verblendung haben Regierung und weite Volksschichten sich in die Gewalt der Conservativen gegeben. An den Folgen dieses Fehlers wird Sachsen lange zu leiden haben.“
Die Lehrer hatten in ihrer Petition verlangt: ein Höchstgehalt von 2700 Mark, erreichbar in dreijährigen Alterszulagefristen, gleiche Zuteilung der Alterszulagen an alle Lehrer ohne Rücksicht auf die Schülerzahl und Pensionsberechtigung für das mit einer Stelle verbundene Einkommen durch die Fortbildungsschule. Aehnlichc Forderungen hatte schon eine frühere Petition der Lehrer zum Ausdruck gebracht, bei deren Behandlung im Landtage der Vicepräsident der zweiten Kammer, Opitz – Treuen, den Lehrern mit folgenden Worten den Standpunct klar gemacht hatte: »Nicht verschweigen kann ich, dass es uns peinlich berührt hal, dass von seilen eines Teiles der Lehrerschaft die Wünsche, die hier vorgetragen werden, bei anderer Gelegenheit durch eine recht wenig angemessene Agitationsweise betrieben worden sind. Die Art und Weise, wie zum Beispiel von seilen der Leipziger Lehrerschaft bei Geltendmachung ihrer Wünsche vorgegangen worden ist, ähnelt doch recht bedenklich jenem Worte von der verdammten Bedürfnislosigkeit und dem Worte Zufriedenheit ist Gehirnerweichung, das wir von einer anderen gewissen Seite zu hören gewohnt sind.« Auch Bürgermeister Hartwig – Oschatz, der Berichterstatter für das Schulwesen in der zweiten Kammer, erklärte in einem Vortrage vor Leipziger Lehrern, dass sie in der Begründung ihrer Gehaltsforderungen Dinge mit einander verglichen hätten, die gar nicht zu vergleichen wären. Er meinte damit die zum Vergleich herangezogenen Gehälter der Postassistenten.
Wie weit aber die sächsischen Volksschullehrer gegenwärtig noch davon entfernt sind, diese Gehaltsforderungen erfüllt zu sehen, ist am deutlichsten aus einer Arbeit der Chemnitzer statistischen Centrale des Sächsischen Lehrervereins ersichtlich, die sich mit der wirtschaftlichen Lage der Volksschullehrer im Königreich Sachsen beschäftigt. Das Werk gibt in einer Anzahl Tabellen Aufschluss über die Preise und Lebensverhältnisse in den einzelnen Orten Sachsens, die Gehaltsstaffeln, die Anfangs- und Endgehälter, sowie die Summen der Gehaltsbezüge, die Pflichtstundenzahl und Nebeneinkünfte, die persönlichen Zulagen, die Entschädigungen dirigierender Lehrer und die Schulgeldvergünstigungen der Lehrerkinder; es dürfte also alias Material enthalten, was zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Lehrerstandes herangezogen werden kann. Bei der Aufnahme der Statistik über die Gehaltsverhältnisse sind nur die 430 sächsischen Orte berücksichtigt worden, die bezüglich der Besoldung ihrer ständigen Lehrer über den vom Gesetz bestimmten Mindestsatz hinausgehen«. Ueber die Bestimmung und den Zweck des Werkes heisst es in der Vorrede:
„... Ein sorgfältig geprüftes und übersichlich geordnetes Material soll bezüglich der wirtschaftlichen Lage der Volksschullehrer einen zutreffenden und umfassenden Vergleich zwischen den einzelnen Orten und den verschiedenen Gegenden des Landes ermöglichen und besonders den Collegen, die Besserung ihrer Lage von einem Ortswechsel erhoffen, über die Verhältnisse im ganzen Lande sicheren Aufschluss erteilen.“
Also in der Hauptsache ein Baedecker durch das Auf und Nieder der Volksschullehrerbesoldung, der allerdings gerade in Sachsen den Lehrern gute Dienste leisten kann, weil es da den Gemeinden freigestellt ist, ob sie anderwärts verbrachte Dienstjahre in Anrechnung bringen wollen oder nicht. In Preussen ist durch das Gesetz jeder Gemeinde die Verpflichtung auferlegt, bei der Berechnung der Dienstzeit die gesamte Zeit in Ansatz zu bringen, während welcher sich der betreffende Lehrer im öffentlichen Schuldienst befunden hat. In Sachsen gibt es eine solche Bestimmung nicht.
An eine Ausnutzung des mit grosser Mühe zusammengetragenen wertvollen Zahlenmaterials zur Entfaltung einer planmässigen Agitation und zur Herbeiführung eines noch engeren Zusammenschlusses zwecks Erringung besserer wirtschaftlicher Verhältnisse scheint man in den Kreisen der politisch interesselosen, sich höchstens an antisemitischen Tiraden begeisternden sächsischen Lehrerschaft bei der Bearbeitung des Werkes nicht im entferntesten gedacht zu haben.
Nach dem Gehaltsgesetz vom 17. Juni 1898 setzen sich die Gehälter der Volksschullehrer in Sachsen zusammen aus der festen Besoldung, nämlich dem Grundgehalt und den Alterszulagen, und den Wohnungsgeldern, die in den Fällen, wo der Lehrer keine Freiwohnung hat, an deren Stelle gewährt werden.
Ein Hilfslehrer erhält im Jahre 850 Mark ausschließlich Heizung und Wohnung.
Das Grundgehalt eines ständigen Lehrers an einer Schule mit 40 und weniger Kindern beträgt 1200 Mark, im 31. Lebensjahre 1300 Mark, steigend durch Dienstaltcrszulagen bis zu 1800 Mark im 56. Lebensjahre. An einer Volksschule mit mehr als 40 Kindern beginnt ein ständiger Lehrer ebenfalls mit 1200 Mark, kommt aber im 31. Lebensjahre auf 1400 Mark und steigt im 56. Lebensjahre bis zu einem Höchstgehalt von 2100 Mark.
Den Charakter der Ständigkeit oder Wahlfähigkeit erlangt in Sachsen ein Lehrer nach Ablegung der zweiten oder Wahlfähigkeitsprüfung, was unter normalen Verhältnissen im 23. Lebensjahre erfolgt – ein ständiger Lehrer ist nach § 35 der Ausführungsverordnung zum Schulgesetz ein solcher, dessen Stelle zur Besorgung des Unterrichts in einem gewissen Bezirk als wesentlich notwendig und bleibend anerkannt ist und welcher nicht ohne Genehmigung der Schulbehörde entlassen werden kann —. Die Dotierung als ständiger Lehrer ist aber nicht abhängig von der Erwerbung des Charakters der Ständigkeit, sondern von der tatsächlichen Ständigwerdung, das heisst sie tritt mit dem Zeitpuncte ein, in dem der Lehrer eine sogenannte ständige Stelle übernimmt. Es muss hierbei bemerkt werden, dass die Städte Dresden, Leipzig, Chemnitz etc. als Hilfslehrer ausschliesslich solche Lehrer verwenden, die bereits durch Ablegung der zweiten Prüfung Anspruch auf eine ständige Stellung erlangt haben. Das Recht hierzu leiten sie aus § 63, Absatz 3, der Ausführungsverordnung zum Volksschulgesetz her. die besagt: »Es ist festzuhalten, dass einem zum ständigen Lehrer qualificierten Hilfslehrer die Ständigkeit nicht länger als fünf Jahre vorenthalten werden darf.« Ob diese Bestimmung wirklich in dem Sinne erlassen wurde, in dem sie angewendet wird, darüber sind die Meinungen geteilt. Sicher ist, dass die Lehrerschaft diesen Zustand als einen Uebelstand empfindet und dass der Sächsische Lehrerverein bereits bei der Regierung dahin vorstellig geworden ist, dass auf eine mögliche Einschränkung dieses Zustandes hingewirkt werden möge. Allerdings vergeblich. Die Regierung, die sonst die Gemeinden in jeder Hinsicht straff an der Strippe hält und alle ihre Handlungen mit peinlicher Schärfe überwacht, verschanzte sich hier hinter der fast mythisch gewordenen Autonomie der Gemeinden, in die sie nicht eingreifen wolle.
Der Leipziger Lehrerverein fordert für die provisorischen und ständigen Lehrer Leipzigs ein Grundgehalt (also Gehalt ohne Wohnungsentschädigung) von 1500 Mark. Diese Summe wird jetzt in ganz Sachsen nur von 11 Orten bezahlt; vier Orte gehen noch darüber hinaus, unter ihnen einer bis 1720 Mark. 1400 Mark und darüber zahlen insgesamt 89 Orte. Die sächsischen Grossstädte Dresden, Leipzig, Chemnitz marschieren in Bezug auf die Anfangsgehältcr ihrer Volksschullehrer mit in der letzten Reihe. Zwar setzen sie für ständige Stellen 1300 Mark aus, aber der Betrag wird in Wirklichkeit, da sie die ständigen Lehrer erst einige Jahre als provisorische Lehrer, das heisst Hilfslehrer, benutzen, frühestens vom 26. Lebensjahre an gewährt. Bis dahin erhalten die jungen Lehrer 1200 Mark, wie in den Städten Plauen, Annaberg, Mittweida. Limbach, Hohenstein, Radeberg, Rochlitz, Waldheim und der grossen Anzahl der übrigen Gemeinden.
Rechnet mau zu dem Grundgehalt der Lehrer noch das Wohnungsgeld hinzu, so ergeben sich folgende definitive Summen als Anfangsgehälter ständiger Lehrer: 1 Gemeinde (Cossebaude) 1900 Mark, 3 Gemeinden (Erdmannsdorf, Ober- und Niederlössnitz) 1850 Mark, 4 Gemeinden (Blasewitz, Obergorbitz, Rocliwitx, Mügeln bei Pirna) 1800 Mark, 3 Gemeinden 1750 Mark, 13: 1700 Mark, 1: 1675 Mark, 18: 1650 Mark, 1: 1625 Mark, 62: 1600 Mark. Das sind insgesamt 107 Gemeinden, die ihren 23 Jahre, alten ständigen Lehrern ein Anfangsgehalt von 1600 bis 1900 Mark gewähren. Ihnen stehen neben der grossen Menge der weniger zahlenden Gemeinden die sächsischen Grossstädte gegenüber, die 1500 Mark als ausreichendes Anfangsgehalt betrachten. Wenn man in Erwägung zieht, dass in den Grossstädten die Lebensverhältnisse keineswegs billiger sind, als anderswo, so kann man nicht recht verstehen, was diese Städte bestimmte, ihren jungen Lehrern das Einkommen so dürftig zu bemessen. Dazu ist noch ein anderes zu bedenken. In den Grossstädten bieten sich den jungen Lehrern zahlreiche Bildungsgelegenheiten, und der junge Lehrer kann es sehr gut gebrauchen, wenn er sein Wissen noch etwas erweitert, denn die Seminarbildung ist nicht allein höchst lückenhaft, sondern auch vielfach veraltet. Das Erwerben von Bildung und Wissen kostet aber Geld. Wer nun sechs Jahre lang auf dem Seminar in karger Wellabgeschiedenheit gelebt hat und später drei Jahre lang gezwungen gewesen ist, als Hilfslehrer mit monatlich circa 75 Mark hauszuhalten, der hat, wenn er erst in die Grossstadt gekommen ist und 1200 Mark bar verdient, nicht immer Lust, die wenigen Mark, die ihm nach Bestreitung der dringendsten Lebensbedürfnisse vielleicht noch übrig bleiben, für Bildungszwecke auszugeben.
Die unzureichende Besoldung zwingt also viele, sich mit der Scheulederbildung des Seminars zu begnügen. Und das ist für sie wie für die Sache, der sie dienen, gerade das Verhängnisvolle. In Chemnitz ist zum Beispiel das Jahresgehalt der Ratsdiener und des Hausmannes im Rathause höher, als das Anfangsgehalt der ständigen Lehrer; die Schutzleute werden mit einem Anfangsgehalt von 1400 Mark eingestellt. Allerdings ist die Aufrechterhaltung der Ordnung wohl wichtiger, als die Bildung der heranwachsenden Jugend des Volkes.
Neben dem Gehalt hat jeder sächsische Lehrer nach § 21 des Volksschulgesetzes Anspruch auf freie Wohnung oder ein nach den örtlichen Verhältnissen zu bemessendes Aequivalent in Geld. Die vorschriftsmässige Wohnung hat zu bestehen aus mindestens zwei Stuben, zwei Kammern, Küche, Vorratsraum, Boden und Keller; kann sie nicht gewährt werden, so richtet sich die Wohnungsentschädigung nach dem mittleren ortsüblichen Mietpreise für eine Wohnung von der bezeichneten Grösse. Durch dieses Wohnungsgeld erhöht sich das Einkommen der Lehrer um einige hundert Mark. Allerdings sind diese Wohnungsgelder vielfach unzureichend, so dass die Lehrer gezwungen sind, von ihrem Gehalte noch einen Teil zur Bestreitung der Wohnungsmiete aufzuwenden, ohne dass sie in ihren Ansprüchen an die Wohnung über das gesetzlich festgelegte Mass hinausgegangen wären. Die Leipziger Lehrerzeitung hat auf Grund des statistischen Materials eine Aufstellung- gemacht, aus der zu ersehen ist, wie sehr in manchen Orten die Lehrer durch die zu niedrige Bemessung der Wohnungsentschädigungen benachteiligt werden. Folgende Angaben mögen hier Platz finden: In Zwickau beträgt das Wohnungsgeld 18 % des Gehaltes, das sind 306 bis 378 Mark. Der Wohnungsaufwand aber erfordert 450 Mark; Reichsbeamte erhalten deshalb auch an Zuschuss allein 432 Mark. Borna bei Leipzig: Wohnungsgeld = 12½ %, anfänglich 178 Mark, Aufwand 360 Mark, Zuschuss für Reichsbeamte 300 Mark. Coschütz mit Gittersee: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 225 Mark, Aufwand 400 Mark, Zuschuss 360 Mark. Hainichen: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 240 Mark, Aufwand 450 Mark, Zuschuss 300 Mark. Kamenz: Wohnungsgeld = 162/3 %, anfänglich 267 Mark, Aufwand 450 Mark, Zuschuss 300 Mark. Leutsch bei Leipzig: Wohnungsgeld = 20 %, anfänglich 320 Mark, Aufwand 400 bis 500 Mark. Löbtau: Wohnungsgeld = 20 %, anfänglich 330 Mark, Aufwand 600 Mark. Marienberg: Wolnungsgeld = 15 %, anfänglich 225 Mark, Aufwand 350 Mark, Zuschuss 300 Mark. Meissen: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 240 Mark, Aufwand 375 Mark, Zuschuss 360 Mark. Grimma: Wohnungsgeld = 14 %, anfänglich 196 Mark, Aufwand 450 Mark. Neustädtel: Wohnungsgeld = 12 bis 15 %, anfänglich 180 Mark, Zuschuss 216 Mark. Oetzsch bei Leipzig: Wohnungsgeld = 20 %, anfänglich 320 Mark, Aufwand 550 Mark. Paunsdorf: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 240 Mark, Aufwand 350 bis 400 Mark. Rabenau: Wohnungsgeld = 16 %, anfänglich 240 Mark, Aufwand 350 bis 400 Mark. Riesa: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 255 Mark, Aufwand 400 bis 450 Mark, Zuschuss 360 Mark. Schwarzenberg: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 225 Mark, Aufwand 400 bis 450 Mark. Rosswein: anfänglich 160 Mark, Aufwand 375 Mark, Zuschuss 300 Mark – der Kossweiner Bürgermeister ist einer der Führer der conservativen Partei Sachsens, deren Sympathie für die Schule angeblich von keiner anderen Partei übertroffen wird –. Stollberg: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 225 Mark, Aufwand 300 bis 350 Mark, Zuschuss 300 Mark. Trachau bei Dresden: Wohnungsgeld = 20 %, anfänglich 300 Mark, Aufwand 500 Mark. Werdau: Wohnungsgeld = 15 %, anfänglich 240 Mark, Aufwand 400 Mark, Zuschuss 360 Mark. Wurzen: Wohnungsgeld – 162/3 %, anfänglich 267 Mark, Aufwand 400 Mark, Zuschuss 300 Mark. Zwönitz: Wohnungsgeld – 12 %, anfänglich 192 Mark, Aufwand 330 Mark, Zuschuss 216 Mark.
Aus diesen Beispielen, deren Zahl sich noch bedeutend vermehren Hesse, ist zu ersehen, dass mit der Gewährung von Wohnungsentschädigungen für viele Lehrer eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage nicht verbunden ist.
Was die Alterszulagen anlangt, so fehlen in Sachsen im Gegensatz zu Preussen feste, sichere Bestimmungen, die eine Einheitlichkeit in der allmählichen Erhöhung der Gehälter herbeiführen könnten. Es herrscht da völlige Willkür und Regellosigkeit; einen Ueberblick über alle die vorhandenen Staffeln zu gewinnen, ist geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.
In einer früheren Eingabe an den Landtag hatte der Sächsische Lehrerverein die Gehälter der Lehrer in Vergleich gesetzt zu den Gehältern der Postassistenten und daraus die Forderung hergeleitet, dass die Lehrer diesen Beamten wenigstens hinsichtlich des Höchstgehaltes gleichgestellt werden müssten. Ein Postassistent bezieht im 49. Lebensjahre sein Höchstgehalt von 3000 Mark. In Sachsen aber bleiben, ganz abgesehen von den Gemeinden, die nur das Minimum bezahlen, allein von den 430 in der Statistik angeführten besser zahlenden Gemeinden 285, das sind über 66 %, unter 2700 Mark zurück, während ein Endgehalt von 3000 Mark überhaupt nur von 23 Orten gezahlt wird. Von den Gemeinden mit mindestens 2700 Mark ausser Wohnungsentschädigung gewähren nur 12 das Endgehalt vor Erreichung des 50. Lebensjahres; 35 Gemeinden zahlen es zwischen dem 50. und 52. Lebensjahre, 34 frühestens im 53. und 28 frühestens im 54. Lebensjahre; 8 erst im 55., 17 erst wie die Orte mit Minimalgehältern im 56.; 7 erst im 57. und je eine Gemeinde erst im 58., 59., 60. und 61. Lebensjahre, also zu einer Zeit, wo des Lebens beste Kraft verbraucht ist und wo dem Empfänger für seine Person ein dirccter Gewinn aus den erhöhten Bezügen nur in den seltensten Fallen erwächst. Nach der Aufstellung eines sächsischen Lehrerblattes waren unter den im Jahre 1901 im Königreich Sachen durch Tod oder Enicritierung ausgeschiedenen 173 Lehrern 61, das ist über 35 %, die noch nicht das 50. Lebensjahr erreicht hatten. Die im letzten Vierteljahr 1901 in Leipzig verstorbenen 117 Lehrer wiesen, wie die Leipziger Lehrerzeitung berechnet, nur ein Durchschnittsalter von 437/12 Jahren auf, und alle in demselben Zeiträume aus dem Amte geschiedenen 170 Lehrer waren im Durchschnitt nur 48¼ Jahre alt. Für einen grossen Teil der Lehrer steht also das Höchstgehalt nur auf dem Papier.
Setzt man die Lehrcrgehälter in Sachsen zu den Lehrergehältern in anderen deutschen Bundesstaaten in Vergleich, so ergibt sich im allgemeinen ungefähr folgendes Bild: Es bezieht ein Lehrer im 30. Lebensjahre in Bremen-Land 3000 Mark, Hamburg-Land und Hessen 2900 Mark, Anhalt 2430 Mark, Lübeck-Land 2200 Mark, Sachsen-Gotha und Schaumburg-Lippe 2100 Mark, Waldeck 2090 Mark, Oldenburg 2045 Mark, Reuss, Lippe-Detmold, Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Baden 2000 Mark, Königreich Sachsen und Braunschweig 1900 Mark, Sachsen-Altenburg 1850 Mark, Bayern 1740 Mark und Preussen 1700 Mark. Ein sächsischer Volksschullehrer, der das reguläre Mindestgehalt mit den entsprechenden Alterszulagen bezieht, hat im Alter von 56 Jahren insgesamt 8860 Mark mehr an Gehalt bezogen, als sein preussischer College. Ist er an einer Schule mit weniger als 40 Kindern angestellt, so hat er im genannten Alter immer noch 2810 Mark mehr. Stellt man aber das Einkommen eines sächsischen Volksschullehrers in Vergleich zu dem Einkommen eines Lehrers im Düsseldorfer Bezirk, wo die Lebens- und Wohnungsverhältnisse etwa die gleichen sind, so ergibt sich, dass der sächsische Lehrer im 56. Lebensjahre circa 4520 Mark weniger bezogen hat, als sein preussischer College.
Man sieht, das vielgerühmte Land der Schulen steht in Bezug auf die Bezahlung seiner Lehrer noch lange nicht an der Spitze. Wie sollte es auch! Eine planlose Finanzgebarung bei der Regierung und eine scrupellose Interessenwirtschaft bei der agrar-conservativen Clique, die im Landtage den Ton angibt, – sie stellen an die Steuerkraft des Volkes die denkbar höchsten Anforderungen. Da ist kein Geld übrig für die Lehrer; da bleibt die Schule das Stiefkind nach wie vor. Es wird weiter gehofft und gewünscht und – gedarbt; und wenn die Ungunst der wirtschaftlichen Lage einmal gar zu drückend wird, dann rafft man sich in der Lehrerschaft auf zu einer alleruntertanigsten Petition. „Das ist das Greuliche an unserer Schulmeisterei, dass kein Icarusflug darin ist, kein Wagemut, kein Sturm, kein Drang!“ ruft Otto Ernst in seinem Flachsmann aus. Zwar beziehen sich die Worte auf das Geistige, Ideelle; aber sie könnten auch für das Praktische, Materielle gelten. Solange sich das ganze bisschen Energie und Tatkraft der Lehrer bei ihrem Streben nach Aufbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage in demütigen Bittgesuchen erschöpft, werden sie schwerlich je etwas Ganzes, Grosses erringen. Erst eine straffe Organisation, die ein von aller Ueberhebung freies Classenbewusstsein zur Basis hat, und eine planvolle Arbeit, ein beruflicher Zusammenschluss zum Zwecke der Erringung besserer Lohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse, wie es in der Sprache des gewerkschaftlichen Kampfes heisst, kann sie besseren Verhältnissen entgegenführen.
Zuletzt aktualisiert am 28.12.2008