Otto Rühle

Die wirtschaftliche Lage der preussischen Volksschullehrer

(Januar 1903)


Quelle: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1903 Nr.1, Januar 1903, S.71-77.
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Der im Reichstage monatelang mit größter Erbitterung geführte Kampf um den Zolltarif hat in der letzten Novemberwoche auch einen Tag gebracht, der der Schule gehörte. Wer bis dahin noch keine genaueren Kenntnisse darüber

besass, in welch unverantwortlicher Weise die preussische Volksschule von der Regierung vernachlässigt wird und welch geringes Interesse die Junker und ihr Anhang für die Bildung und Erziehung der Jugend des arbeitenden Volkes übrig haben, der konnte an diesem Tage eines besseren belehrt werden. In einer glänzenden Rede, die die Begründung eines von unserer Fraction eingebrachten Antrages, betreffend Verwendung von Zollerträgen zur Förderung des Volksschulwesens, bildete, hielt Bebel eine ebenso gründliche wie schonungslose Abrechnung mit der preussischen Regierung über das traurige Capitel unserer Volksschule und zeichnete an der Hand eines unwiderleglichen Materials von den Culturzuständen des Ostens ein Bild, das geradezu erschreckend wirkte. Die Ausführungen Bebeis iiber die scandalöse Beschaffenheit der Schulräume und Lehrerwohnungen, die überfüllten Schulclassen, den Lehrermangel u.s.w. sind von der höchsten agitatorischen Bedeutung und werden uns im Wahlkampfe ein vortreffliches Material bieten, wenn es gilt, darzulegen, auf welcher Seite und in welcher Partei das geringste Interesse für die Erfüllung der Culturaufgaben vorhanden ist und wo die Cuiturfeinde und Culturzerstörer zu suchen sind. Ohne Mühe hätte sich das Belastungsmaterial der Bebeischen Anklagerede nach mehr als einer Richtung hin noch bedeutend erweitern und vermehren lassen, denn die preussische Volksschule ermangelt auf allen Gebieten und in allen Teilen ihres Organismus durchaus noch der Förderung und Pflege, die ihr als dem allgemeinsten und wichtigsten Bildungsinstitut des Volkes zukommt. Vor allen Dingen lässt sich zu dem unerfreulichen Capitel der traurigen Verfassung der preussischen Volksschule im allgemeinen mit Leichtigkeit noch ein ebenso gewichtiges und für die Regierung wie für die herrschenden Classen beschämendes Sondercapitel über die wirtschaftliche Lage der preussischen Volksschullehrer schreiben.

Die wirtschaftliche Lage eines Standes, einer Berufsclasse ist wie die eines einzelnen abhängig vom Einkommen. Das Diensteinkommen der preussischen Volksschullehrer hat seine letzte Regelung gefunden durch das Gesetz, betreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen Preussens, vom 3. März 1897, das in seinem ersten Paragraphen folgendes bestimmt: Die an einer öffentlichen Volksschule endgiltig angestellten Lehrer und Lehrerinnen erhalten ein festes nach den örtlichen Verhältnissen und der besonderen Amtsstellung angemessenes Diensteinkommen. Dasselbe besteht 1. in einer festen, ihrem Betrage nach in einer bestimmten Geldsumme zu berechnenden Besoldung (Grundgehalt); 2. in Alterszulagen; 3. in freier Dienstwohnung oder entsprechender Mietsentschädigung.

Sehen wir uns zunächst einmal das Grundgehalt und die Alterszulagen etwas genauer an. Das Gesetz bestimmt darüber des näheren: Das Grundgehalt darf für Lehrerstellen nicht weniger als 900 Mark jährlich betragen. Die Besoldung der einstweilig angestellten, sowie derjenigen Lehrer, welche noch nicht vier Jahre im öffentlichen Schuldienst gestanden haben, beträgt ein Fünftel weniger als das Grundgehalt der betreffenden Schulstelle. Dasselbe gilt für die Lehrerinnen, deren Gehalt jedoch nicht unter 700 Mark betragen darf. Die Alterszulagen sind nach Massgabe der örtlichen Verhältnisse in der Weise zu gewähren, dass der Bezug nach siebenjähriger Dienstzeit im öffentlichen Schuldienste beginnt und dass neun gleich hohe Zulagen in Zwischcnräumen von je drei Jahren gewährt werden. Die Alterszulage darf in keinem Falle weniger betragen als 1. für Lehrer jährlich 100 Mark, steigend von drei zu drei Jahren um je 100 Mark bis auf jährlich 900 Mark, 2. für Lehrerinnen jährlich 80 Mark, steigend von drei zu drei Jahren um je 80 Mark bis auf jährlich 720 Mark. Ein rechtlicher Anspruch auf Neugewährung einer Alterszulage steht den Lehrern und Lehrerinnen nicht zu; die Versagung ist jedoch nur bei unbefriedigender Dienstführung zulässig.

Wie sich auf der Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmungen die Gehalts-verhältnisse gestaltet haben, zeigt am deutlichsten nachstehende Übersicht:

Höhe
der
Alters-
zulagen

Mark

Zahl der Lehrerstellen mit und ohne Kirchendienst

 
In
summa

 
 900 
 

901
bis
 950 

951
bis
1000

1001
bis
1050

1051
bis
1100

1101
bis
1150

1151
bis
1200

1201
bis
1250

1251
bis
1300

1301
bis
1400

1401
bis
1500

1501
bis
1600

1601
bis
1800

1801
bis
2000

2001
bis
2200

2201
bis
2400

2401
bis
2700

2701
bis
3000

3001
bis
3500

3501
bis
4000

 
Über
4000

100

5458

122

  6198

1065

1023

  649

  702

  376

  364

  354

  177

108

114

  43

36

23

9

1

1

1

1

16925

101–110

    41

    8

    171

    20

    30

    23

    26

    17

    30

    18

      6

    7

    5

    4

    369

111–120

    36

  31

  4540

1548

  535

1001

  918

  418

  545

  486

  252

145

  96

  58

20

  8

  1

1

10719

121–130

    11

    1

    648

  509

1278

  212

  348

  140

  161

  165

  110

  56

  75

  19

  9

  4

  2

  3776

131–140

      2

    6

    442

  358

1336

  299

1510

  257

  309

  564

  247

114

  69

  20

  7

  4

  3

  5567

141–150

    468

1187

1522

  640

1905

  475

  254

  511

  158

    83

  83

  27

  7

  1

  7432

151–160

      53

    84

  368

  241

2349

    62

  433

  681

  127

    57

  40

  10

  3

1

  4708

161–170

    32

  221

  109

  120

    16

    50

    92

      9

    4

    6

    659

171–180

      27

  116

  202

    73

  724

  348

  843

  527

  116

  17

  13

    5

  1

  1

  2913

181–190

  165


      8

      1

  229

      8

      2

    1

    1

    426

191–200

    27

  759

      1

  327

    33

1165

1954

1631

    3

    4

  2

1

  5895

210

    25

      25

220

273

    273

240

      1

        1

250

  234

    234

in summa

5511

268

11556

4916

7439

3278

9230

2063

4621

5473

2854

809

505

188

83

39

19

2

1

2

1

59932

Städte 18.300 Stellen, Land 41.632.

Nach dieser Statistik gibt es die schlechtest besoldeten Lehrer Preussens in grösster Anzahl in Ostpreussen, und zwar auf dem platten Lande. In 2621 Ortschaften mit 3458 Lehrerstellen, das sind 86 % aller Landstellen der Provinz, erhalten die Lehrer das Minimum an Grundgehalt (900 Mark) und auch an Alterszulagen (100 Mark). Das Junkerparadies geniesst den traurigen Ruhm, seine Jugendcrzieher mit einem Einkommen abzuspeisen, das noch um Hunderte von Mark hinter dem Existenzminimum (1100 Mark) zurückbleibt, das die Wissenschaft (Professor Flügge und andere) als unbedingt erforderlich erachtet, um der Gefahr einer chronischen Unterernährung zu begegnen. Auf Ostpreussen folgt, Pommern, wo 1316 Orte mit 1432 Landstellen (circa 51 %) das Minimum zahlen, und als dritte Provinz in der Reihe Brandenburg mit 557 Stellen (12 %).

Für Brandenburg hat im Jahre 1901 der Brandenburgische Provinziallehrerverein eine Gehaltbstatistik aufgenommen, die dieses Ergebnis bestätigt. Von den 6536 Lehrerstellen der Provinz wurden 1517 Stellen in selbständigen Stadtkreisen und den Vororten von Berlin ausgenommen. Von den übrigen 5019 Stellen beantworteten 1862 (38 %) die statistischen Fragebogen mit folgendem Resultat: Mit 900 Mark Grundgehalt dotiert sind 959 Stellen, mit 901–949 Mark 74 Stellen, mit 950–999 Mark 80 Stellen, mit 1000–1100 Mark 610 Stellen, mit 1101 und mehr Mark 60 Stellen. Danach stehen also 53,7 % aller Stellen auf dem Mindestsatz, das ist, auf die Gesamtzahl der Stellen für die ganze Provinz berechnet, etwa 12 %. Der Provinz Brandenburg schlicssen sich an Posen, wo 1811 Orte mit 2257 Stellen 951 bis 1100 Mark Grundgehalt und 100 Mark Alterszulage zahlen, und Schlesien mit 1021 Stellen in 814 Orten bei derselben Besoldung. Um ein ganz geringes besser steht es um die Gehaltsvcrhältnisse in der Provinz Sachsen, die indes sonst – was den allgemeinen Stand des Volksschulwesens anlangt – lebhaft mit dem Osten wetteifert.

Im Gegensatz zum Osten finden sich im Westen des Reiches durchweg höhere Gehälter. Die bestbesoldetcn Stellen, 1231 an der Zahl, weisen 8 Städte in der Rheinprovinz (395) und 13 Städte Westfalens auf; mit ihnen ist ein Grundgehalt von 1401–1500 Mark und eine Alterszulage in Höhe von 191 bis 200 Mark verbunden. Diesen beiden Provinzen folgen Hessen-Nassau (Frankfurt), Hannover (Hannover) und Schleswig-Holstein mit zwei Städten (127 Stellen). Ausserdem weisen mehr als 201 Mark Alterszulage auf: in Schleswig-Holstein 25 städtische Stellen (1251–1300 Mark Grundgehalt und 210 Mark Alterszulage), in Hessen-Nassau 273 städtische Stellen (1600 Mark Grundgehalt und 220 Mark Alterszulage), in Schleswig-Holstein 1 ländliche Stelle (1151–1200 Mark Grundgehalt und 240 Mark Alterszulage) und in Brandenburg 234 städtische Stellen (1151–1200 Mark Grundgehalt und 250 Mark Alterszulage).

Das trübe Bild von den Besoldungsverhältnissen im Osten der preussischen Monarchie erfährt noch eine wesentliche Verschlechterung durch den Umstand, dass bei einem Teile der angeführten Lehrerstellen in dem Gehalt neben der Besoldung für den Schuldienst auch die Besoldung für den Kirchendienst mitenthalten ist. § 4 des Gesetzes besagt nämlich: Bei dauernder Verbindung eines Schul- und Kirchenamtes soll das Grundgehalt der Stelle entsprechend der mit dem kirchlichen Amte verbundenen Mühewaltung ein höheres sein. (Trotzdem gibt es in Ostpreussen 2, Brandenburg 5, Pommern 5 und Hannover 1 Stelle mit 900 Mark Grundgehalt und 100 Mark Alterszulage inclusive Kirchendienst.) In dieses Grundgehalt sind auch die Einkünfte aus dem zur Dotation des vereinigten Amtes bestimmten Schul-, Kirchen- und Stiftungsvermögen einschliesslich der Zuschüsse aus Kirchencassen und von Kirchengemeinden, sowie der sonstigen Einnahmen aus dem Kirchendienst einzurechnen. Diese Bestimmung hat zur Folge, dass auch die sogenannten Kirchschulstellen in vielen Orten auf einer recht bescheidenen Besoldungshöhe gehalten werden. So haben in Ostpreussen 248 Kirchschullehrer ein Einkommen von unter 1500 Mark und 100 Mark Alterszulage, in Westpreussen ebenfalls 248, in Brandenburg 1321, in Pommern 1037, in Schlesien 425, in Posen 179, in Sachsen 910. Für zwei Ämter und Wochen- und Sonntagsarbeit das Anfangsgehalt eines Schutzmannes – so bewertet man in Ostelbien Culturarbeit.

Nach § 18 des Besoldungsgesetzes ist auf dem Lande zur Dienstwohnung, sofern es nach den örtlichen Verhältnissen tunlich ist, ein Hausgarten und, wo die örtlichen Verhältnisse es tunlich erscheinen lassen und ein Bedürfnis dazu vorliegt, für einen alleinstehenden oder ersten Lehrer in Anrechnung auf das Grundgehalt eine Landnutzung gewährt werden, welche dem durchschnittlichen Wirtschaftsbedürfnis einer Lehrerfamilie entspricht. Zur Bewirtschaftung des Landes sind erforderlichenfalls Wirtschaftsgebäude herzustellen. Diese Landdotationen sind für den Lehrer insofern von Nachteil, als er einen Teil seines Arbeitsertrags nicht in barem Gelde erhält; ausserdem ist dieser Teil bei Misswachs, langem Winter, schlechtem Sommer u.s.w. oft erheblichen Schwankungen unterworfen. In Ostpreussen sind mit 2660 Stellen solche Landdotationen verbunden, deren Reingewinn bei 48 % dem dreifachen Grundsteuerbetrage entspricht. In Posen bringen von. 1210 Stellen mit Landdotationen 65 % nur den einfachen Ertrag, desgleichen in Pommern von 2462 Stellen 10 %. Sonst sind noch mit Landdotationen verbunden in Westpreussen 1584. in Schlesien 1415, in Sachsen 2373, in Schleswig-Holstein 998, in Brandenburg 2523, in Hannover 2922, in Westfalen 823, in Hessen-Nassau 1728, in der Rheinprovinz 400 Stellen.

Auf das Grundgehalt können nach § 20 des Gesetzes ausser dem Ertrag der Landnutzung und sonstigen Diensteinkünften noch Naturalleistungen und Brennmaterial in Anrechnung gebracht werden, letzteres allerdings nur im Höchstbetrage von 60 Mark. Dadurch erfährt die bare Gehaltssumme der Lehrer eine weitere Verringerung und zwar sehr häufig – wie dies in der Natur der Sache liegt – zum Nachteil ihrer Bezieher. Bezeichnenderweise ist – mit wenig Ausnahmen – in den Provinzen, in denen die Volksschulverhältnisse am meisten zu wünschen übrig lassen, die Zahl der Stellen mit Naturalleistung ver-hältnismässig am grössten. Die nachstehende Statistik veranschaulicht dies. Zum Vergleich ist die Gesamtzahl der bei der statistischen Aufnahme berücksichtigten Sclmlstellcn jeder Provinz mit angegeben.

Die Zahl der Schulstellen, zu denen Naturalien und Brennmaterial gewahrt werden, betrug in

Provinz

Gesamtzahl
der Stellen

   Naturalien   

Brennmaterial

Ostpreussen

4981

2035

4009

Westpreussen

3344

  869

3549

Brandenburg

5107

  781

1548

Pommern

3858

  889

2392

Posen

3674

  40

    51

Schlesien

8683

  805

3243

Sachsen

6030

2748

  697

Schleswig-Holstein

3133

  801

1523

Hannover

5749

1232

  514

Westfalen

3616

    20

    39

Hessen-Nassau

3372

  236

  302

Rheinprovinz

6216

  104

  154

Wenden wir uns nun den Wohnungsverhältnissen der Volksschullehrer zu. Sie bringen keine helleren und freundlicheren Züge in das Bild. Die Brühlischen Schulpaläste sind berüchtigt und gereichen der Regierung und den herrschenden Gassen, die solche Zustände verschulden, zur grössten Schande. Bebe! hat in seiner Rede vom 24. November einige von ungezählten Fällen angeführt, in denen die unermüdliche Fürsorge des Staates für die Erziehung der

Jugend durch die Beschaffenheit der Schulgebäude zum Ausdruck kommt. Doch es soll hier nicht auf Einzelheiten eingegangen werden.

Es heisst im Gesetz: Auf dem Lande sollen erste und alleinstehende Lehrer in der Regel, bei vorhandenem Bedürfnis auch andere Lehrer und Lehrerinnen, eine freie Dienstwohnung erhalten. Als Mietsentschädigung ist eine Geldsumme zu gewahren, die eine ausreichende Entschädigung für die nicht gewährte Dienstwohnung darstellt; sie soll aber in der Regel ein Fünftel des Grundgehalts nebst Alterszulagen nicht übersteigen. Ein Ministerialerlass vom 15. November 1893 verlangt neben dem für die Hauswirtschaft erforderlichen Keller und den Bodenräumen eine Küche von etwa 12 bis 20 Quadratmetern und 3 bis 4 Wohn- und Schlafräume von 65 bis 85 Quadratmetern. Wie steht es mit der Erfüllung dieser Forderungen? Die Wohnungsverhältnisse der preussischen Lehrer sind ein wahrer Hohn auf das Gesetz.

Durchschnittlich 50 % aller Dienstwohnungen (insgesamt 37.710) umfassen weniger als 65 Quadratmeter. In Ostpreussen 72 %, in Pommern 70 %, in Westpreussen 63 % bis herab zur Rheinprovinz mit 33 %.

Und die Mietsentschädigungen! Von 25.419 Fällen, in denen solche gezahlt werden, bleiben 35 % hinter dem Durchschnitt der wirklich gezahlten Mieten zurück, darunter in 326 Fällen bis zu 100 Mark. Bei 28 % sind die Mietsentschädigungen geringer, als die an Staatsbeamte gezahlten Serviszuschüsse. Alle diese Lehrer müssen also, um nur einigermassen standesgemäss wohnen zu können, einen Teil ihres ohnehin knapp bemessenen Gehaltes mit für die ihnen gesetzlich zugesicherte und auf dem Papier in Anrechnung gebrachte Miete verwenden.

Man könnte nun der Meinung sein, dass solch unerfreuliche und unwürdige Zustände nur auf dem Lande anzutreffen seien, wo der Lehrer und die Schule im allgemeinen etwas stiefmütterlich behandelt zu werden pflegen. Mancher glaubt, in den Städten gestalte sich die Regelung der Wohnungsverhältnisse für den Lehrer entschieden vorteilhafter, wie denn auch die wirtschaftliche Lage der Lehrer im allgemeinen in den Städten eine bessere sei.

Dieser Auffassung widersprechen durchaus die Ergebnisse einer von der Pädagogischen Zeitung veröffentlichten Statistik, die 220 Städte und 52 Landgemeinden Preussens, sämtlich mit mehr als 10.000 Einwohnern, umfasst. Danach zahlen von den 272 Orten circa 25 % eine Mietsentschädigung, die dem Mietszuschuss der Staatsbeamten entspricht; circa 50 % zahlen mehr, circa 25 % hingegen weniger, darunter Sachsen mit 15 Städten (58 %), Ostpreussen mit 5 (56 %), Pommern mit 6 (67 %), Westpreussen mit 4 (44½ %), Schlesien mit 7 (20 %), Posen mit 3 (33 %).

Die genannte Statistik ist auch insofern lehrreich, als sie manche falsche Vorstellung zerstört, die namentlich hinsichtlich der Besoldung der Lehrer in den Städten bestehen dürfte. Auch die Städte, namentlich die des Ostens, haben für die Erzieher ihrer Jugend nicht viel übrig. So beträgt das durchschnittliche Grundgehalt in Ostpreussen 1064 Mark, in Westpreussen 1089 Mark, in Pommern 1167 Mark, in Schlesien 1173 Mark, in Sachsen 1090 Mark, in Posen 1200 Mark, dagegen in der Rheinprovinz 1361 Mark und in Westfalen 1369 Mark, für den ganzen preussischen Staat 1253 Mark. Das durchschnittliche Gehalt eines Lehrers (Grundgehalt und Alterszulage) zwischen dem 6. und 32. Dienstjahre beläuft sich auf 1739 Mark in Ostpreussen, 1763 in Westpreussen, 1792 in Sachsen, 1821 in Pommern, 1871 in Schlesien, 1896 in Posen; dagegen in der Rheinprovinz auf 2100, in Westfalen auf 2190 und in Berlin auf 2356 Mark; im ganzen Staate (272 Städte mit über 10.000 Einwohnern) 1995 Mark.

Die Statistik ist eine rücksichtslose Wissenschaft. Unerbittlich zeigt sie die culturfreundlichen Staatsstützen des Ostens in ihrer Blösse. Die Ziffern reden eine eindringlichere Sprache, als man sie mit Worten je zu reden vermöchte.

Noch einen kurzen B35ck auf die Wirkungen des letzten Besoldungsgesetzes im allgemeinen. Durch das Gesetz vom 3. März 1897 sind die Volksschullehrergehälter in der Stadt um 18 %, auf dem Lande um 25 %, durchschnittlich also u:n 22 % gestiegen. Da aber der Schwerpunct des Gesetzes in die Alterszulagen und nicht in das Grundgehalt gelegt ist, so gemessen seine vollen Segnungen nur die verhältnismässig schwächeren älteren Jahrgange, während circa 16.000 jüngere einstweilen angestellte Lehrer, die nur vier Fünftel des Stelleneinkommens beziehen, sich gegen früher direct verschlechtert haben. Der Erfolg des Gesetzes ist also, so bestechend auch die Zahlen für den ersten Augenblick wirken, immerhin ein recht minimaler.

Die Gehälter und sonstigen persönlichen Ausgaben für Lehrer an den höheren Lehranstalten Preussens sind von 2.316.957 Mark im Jahre 1860 auf 31.131.682 Mark im Jahre 1896 gestiegen. Bei den Gehaltern der Volksschullehrer wuchs die Summe von 22.431.394 Mark im gleichen Zeiträume auf 133.913.122 Mark. Vergleicht man die Steigerungen der beiden Positionen, so ergibt sich, dass die Gehälter der Lehrer an den höheren Schulen gerade doppelt so schnell gestiegen sind, als die Gehälter der Vo3ksschullehrer. Wäre die Steigerung der Volksschullehrergehälter in derselben Proportion erfolgt, so müsste die Summe für 1896 nicht 133, sondern 300 Millionen betragen.

Dieses einfache Rechenxempel liefert einen trefflichen Beitrag zu dem Thema Classenschiile und Classenstaat. Die Lehrer in Ostelbien mögen verhungern oder in ihren elenden Baracken erfrieren, wenn sie nicht von niuderbrechcndcn Balken erschlagen werden. Es sind ja nur Volksschullehrer. Da ist zu verstehen, dass Bebel in seiner Rede ausrief: „Ich meine, der preussische Cultus-minister müsste sich in seiner Seele schämen, dass in seinem Ressort solche Zustände bestehen!“


Zuletzt aktualisiert am 28.12.2008