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Der Kampf, Jg. 3 5. Heft, 1. Februar 1910, S. 230–233.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Wer sich berufsmässig oder aus Interesse fortgesetzt mit dem Problem der Frauenarbeit beschäftigt, steht immer wieder vor neuen Schwierigkeiten. Immer wieder scheint es, als wäre diese tief in das Familien- und Gesellschaftsleben eingreifende Frage überhaupt nicht zu lösen, als müsse man alles seinen Gang gehen lassen. Da plötzlich erscheint ein Buch, das uns die „Lösung bringt“. [1] Gewidmet ist das Buch der Erbprinzessin Schwarzenberg-Trauttmansdorff. Damit steht man vor einem neuen Problem, denn man fragt sich, in welchen Beziehungen eine der reichsten Aristokratinnen Oesterreichs zur Frauenarbeit stehen mag. Auf den ersten Blick interessiert uns das Buch. Eine wissenschaftliche Arbeit, denkt man voll Respekt. Denn Zahlen und statistische Tabellen sehen wir auf allen Seiten.
Die Berufe werden aufgezählt, in denen Frauen arbeiten. Die Zahl der Beschäftigten, ihr Prozentverhältnis zu den männlichen Arbeitern, die Tabellen der Arbeitsvermittlung, nach Angebot und Nachfrage geordnet, und selbst unsere Exportverhältnisse werden ziffernmässig dargestellt. Eine imponierende Leistung, ist unser erstes Gefühl und wir forschen genauer. Die Intelligenzberufe, soweit Künstlerinnen etc., in Betracht kommen, interessieren uns hier weniger, das ist nicht der Kern der Frauenarbeit. Aber wir merken an vielen Stellen, dass die Verfasserin den Zudrang der Frauen zu diesen Berufen nicht gerne sieht. Sie konstatiert das Ueberangebot an Lehrerinnen, Handlungsgehilfinnen, Kanzleibeamtinnen u. s. :w. Wir stossen auf manche Aeusserung, die treffend die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskräfte aufzeigt. Die Verfasserin findet, dass die Vorbildung der Frauen eine zu mangelhafte ist, daher ihre niedrigere Bezahlung. Das ist richtig, es erklärt aber die Ausbeutung der Frauen nur zum Teil. Wir kennen Beispiele, dass die Frauenarbeit auch dort schlechter bezahlt wird, wo sie der Männerarbeit qualitativ und quantitativ gleichwertig ist. Man muss also nach anderen Gründen suchen und wir finden sie in der anerzogenen Bedürfnislosigkeit der Frauen, in der Tatsache, dass die Frauen darauf dressiert sind, ihre Leistungen selber geringer einzuschätzen als die ihrer männlichen Kollegen und in dem weiteren Umstand, dass sie noch immer die Berufsarbeit als Uebergangsstadium betrachten. Wir kommen dadurch zu dem Schlüsse, dass für die Frauen mehr Bildung, mehr Unterricht notwendig ist. Fräulein Theimer kommt zu dem entgegengesetzten Ergebnis. Ihr erscheinen die vielen Bildungs- und Frauenrechtsbestrebungen als ein Uebel. Sie fordert die Abschaffung des „pädagogisch-didaktischen Wechselbalges“, genannt „Mädchenlyzeum“. Für die Errichtung neuer Mädchengymnasien und Gymnasialkursen für Mädchen verlangt sie die grösstmöglichen Schwierigkeiten. Zur Verminderung des ungeheueren Andranges von Frauen zum Beruf der Postbeamtin, schlägt sie die Auflassung der zwei letzten Rangklassen vor. Sie verlangt einen „numerus clausus“ – in „Flammenschrift“ – für die ordentlichen Hörerinnen an den Universitäten, bei der Zulassung von Kandidatinnen zur Postoffiziantinnenprüfung und auch bei allen anderen Intelligenzberufen. Diese reaktionäre Anschauung kann nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Wenn auch die Zahl der Proletariertöchter, die den Intelligenzberufen zustreben können, verschwindend klein ist, so verwahren wir uns doch dagegen, dass ihnen nur die Berufe der städtischen oder ländlichen Dienstboten oder der Handarbeiterin offen bleiben sollen. Würde die Zahl der Frauen bei den Intelligenzberufen beschränkt, dann würden selbstverständlich die geringer vorgebildeten und protektionslosen Proletariertöchter davon betroffen werden. Freilich verlangt Fräulein Theimer im Zusammenhänge dieser Ausführungen staatliche Mädchenhandelsschulen und Mädchenhandelsakademien und für Mädchen, die zwei Jahre eine Handelsschule besucht haben, noch eine zweijährige Lehrzeit. Für Mädchen, die keine Handelsschule besucht haben, soll die Lehrzeit im Handel vier Jahre betragen. An Stelle von Aerztinnen, die „kein dringendes Bedürfnis sind“, verlangt sie tüchtige, auf der Höhe der Zeit stehende Hebammen. Die wollen wir selbstverständlich auch. Die Aerztinnen mögen für Fräulein Theimer und Damen, wie die Erbprinzessin Schwarzenberg, kein dringendes Bedürfnis sein, die Arbeiterinnen verlangen dringend nach ihnen.
Gegen die Intelligenzberufe und für die Vermehrung der ländlichen Dienstboten sowie für die Förderung der Handarbeit tritt das Programm von Fräulein Theimer ein. Sie spricht über die Schrecken der Landflucht und macht auch hier Vorschläge. Mit den Zahlen, die sie hier anführt, befindet sie sich im Irrtum. Sie zeigt in der Tabelle auf Seite 147, dass in der Landwirtschaft die Zahl der Arbeiterinnen von 1890 bis 1900 um 84,1 Prozent gesunken sei. In der Industrie um 12,6 Prozent. Nun kann es leicht geschehen, dass jemand, der nicht gewohnt ist, mit Tabellen zu arbeiten, einem Irrtum unterliegt. Dieser Irrtum aber ist zu krass. Wenn man sich mit der Frauenarbeit beschäftigt, muss man sofort bei einem solchen Ergebnis stutzig werden. Wo wären diese Frauen hingekommen? Wir wissen doch, dass die Frauenarbeit noch immer im Zunehmen begriffen ist. Es mag einmal ein kleiner Rückgang zu beobachten sein, aber ein so ungeheurer ist doch nicht denkbar. In diesem Falle verhielt es sich so, dass bei der Zählung im Jahre 1900 neben den Kategorien der Selbständigen, Angestellten, Arbeiter und Taglöhner auch noch speziell die „mithelfenden Familienangehörigen“ angeführt worden sind. Im Jahre 1890 wurden sie zum grössten Teil unter den „Arbeitern“ ausgewiesen. Zieht man aus dieser verschiedenen Einteilung der Gezählten den richtigen Schluss, so ergibt sich, dass die Abnahme der Arbeiterinnen bei der Landwirtschaft nicht 84,1 Prozent, sondern 4,6 Prozent beträgt. In der Industrie statt 12,6 Prozent nur 0,23 Prozent.
Im Handel und Verkehr verwandelt sich die von Fräulein Theimer konstatierte Abnahme von 32,9 Prozent in eine Zunahme von 24,4 Prozent.
Fräulein Theimer weist dann selbst auf diese Tatsache hin; wozu aber die irreführende Tabelle, die ja gar nichts beweist? So erbarmungswürdig ist also die Landwirtschaft doch nicht. Die Abnahme von 4,6 Prozent ländlicher Arbeiterinnen ist wohl zum grössten Teil auf die Landflucht der eigenen Kinder der Bauern zurückzuführen. Erzählt uns doch die Verfasserin selbst, wie auch in den Bauerntöchtern der Drang wirkt, etwas „Besseres“, ein „Fräulein“ zu werden. Der Landwirtschaft soll aber geholfen werden. In den Mitteln trifft sich Fräulein Theimer mit den bewährtesten Klerikalen und Christlichsozialen. Sie plädiert für die sechsjährige Schulpflicht auf dem Lande. Sie nennt es selbst ein „kühnes Unterfangen“, in das Reichsvolksschulgesetz Bresche legen zu wollen. Aber sie wagt es mit Berufung auf – Goethe! Um des Dichters Wort über die Erziehung wahr zu machen, tritt sie für die Herabsetzung der Schulpflicht ein.
Um das Unterrichtsziel in sechs Jahren zu erreichen, fordert sie eine Reform des Unterrichtsplanes. An der Religion will sie nicht rütteln, denn diese ist „zum Politikum geworden“. Also müssen die Realien daran. Rechnen, Geometrie, Geographie, Geschichte, Naturlehre und Naturgeschichte sollen eingeschränkt werden. Nicht verschweigen wollen wir, dass sie auch für überflüssig hält, dass im Geschichtsunterricht die Lebensgeschichte aller Babenberger gelehrt wird. Da sind wir einig. Wir gehen sogar noch weiter.
Naturgeschichte soll als selbständiger Gegenstand gar nicht, sondern nur in Verbindung mit dem landwirtschaftlichen Unterricht, den sie anstrebt, erteilt werden. Auch in den Stadtschulen, für die die Verfasserin die achtjährige Schulpflicht beibehalten will, befürwortet sie diese Einschränkungen im Unterricht. Einen grossen Raum will sie auf dem Lande dem Unterricht in der Landwirtschaft, in der Stadt der Haushaltungskunde zuweissen. Dagegen lässt sich in den oberen Klassen nichts einwenden, jedoch wünschen wir diesen Unterricht auf Kosten des am wenigsten nutzbringenden Gegenstandes, auf Kosten der Religion. Diese mag ein Ziel privater Bestrebungen sein. Unwillkürlich denken wir an Pater Bauchinger im niederösterreichischen Landtag, wenn Fräulein Theimer zur Abhilfe der Dienstbotennot auf dem Lande sagt, dass der Landwirtschaft weibliche Arbeitskräfte aus der Stadt zugeführt werden müssen, weil es ihre (der Verfasserin) tiefinnerste Ueberzeugung ist, dass man die Landflucht nicht verhindern kann. Das erklärt sie als eine Aufgabe aller Vereine, die sich mit Jugendschutz und Jugendfürsorge befassen. Diese müssten ihren Wirkungskreis auf das Land verlegen und alle ihre Schützlinge zu Mägden oder Taglöhnerinnen erziehen! Und auch die Frauenorden und Kongregationen könnten hier einen Wirkungskreis finden. Gott behüte die Kinder vor dieser Fürsorge, muss man da wohl sagen.
Nur in einem können wir der Verfasserin zustimmen, in dem, was sie über die städtischen Dienstboten sagt. In diesem Kapitel zeigt sie so viel Einsicht und Verständnis für die Ursachen aller Missstände, dass man staunt, wie sie auf anderen Gebieten zu so reaktionären Schlussfolgerungen kommt. Auch die Lage der Heimarbeiterinnen schildert sie objektiv an der Hand der amtlichen Statistik und der Ergebnisse von Enqueten. Weniger einwandfrei sind ihre Ausführungen über die gewerblichen Arbeiterinnen. Ueber diese enthält das Buch das wenigste Material.
Die Angaben über Löhne und Arbeitszeit stimmen nicht. So lesen wir im Kapitel: Genossenschaften, dass die Schlafstätten der Hilfsarbeiterinnen der behördlichen Aufsicht unterstehen und „licht, luftig und rein“ sein müssen. Sein müssen, aber nicht sind, behaupten wir. Hier vermissen wir eine Darstellung der Verhältnisse, wie sie sind. Die Arbeitszeit übersteigt jedoch „niemals elf Stunden“ innerhalb 24 Stunden, die vorgeschriebene „anderthalbstündige Mittagspause inbegriffen“. Dass im Modistengewerbe die einfachste Arbeiterin 50 bis 80 K im Monat verdient, dürfte den Modistinnen auch neu sein. In der Kunstblumenerzeugung sollen von zwanzig Arbeitsuchenden kaum zwei verwendbar sein. „Grobe, klobige Finger, weder Geschmack noch Farbensinn, so sind die Mädchen beschaffen, die berufen wären, feine Ware herzustellen und Modelle zu entwerfen. Lohn von 90 K monatlich aufwärts bei zehnstündiger Arbeitszeit.“ Arme Blumenmacherinnen mit den klobigen Fingern, die keine Ahnung haben, wie herrlich es ihnen eigentlich geht. Denn von den Arbeiterinnen hört man es anders. Bemerkt sei noch, dass die Verfasserin von den Frauen, die beim Bergbau beschäftigt sind, immer von Weibern spricht. Wir wissen schon, die Bezeichnung Weib ist ein schönes Wort, in dem Falle aber klingt es durchaus nicht schön. Es tönt jenen, die es trifft, sehr geringschätzend in die Ohren. Fräulein Theimer kommt zu einem Resultat: es muss reformiert werden und dieser Meinung sind wir allerdings auch. Sie reklamiert für die Frauen einen Platz in der gewerblichen Verwaltung. Mit Recht beklagt sie, dass die Frauen in keiner der auch für ihr Erwerbsleben ausschlaggebenden Körperschaften vertreten sind. Sie fordert für die Frauen eine Vertretung im Industrie- und Gewerberat und im Zollbeirat, in den Handels- und Gewerbekammern, Ausgestaltung der weiblichen Gewerbeinspektion mit erweiterten Kompetenzen. An die Spitze möchte sie aber ein Zentralamt für Frauenarbeit stellen. Das klingt schön und verlockend. Wir möchten aber nicht, dass durch das Hoffen auf dieses grosse Ziel versäumt werde, die schon am Wege liegenden, ausgereiften Ziele aufzuheben. In Wien haben die Fabriksarbeiterinnen noch immer keine weibliche Gewerbeinspektorin. Wir haben noch immer nur eine einzige Assistentin der Gewerbeinspektion für die Putz- und Bekleidungsindustrie, grosse Industriedistrikte sind nicht einmal so weit. Im Arbeitsbeirat wirkt noch immer keine Frau. Es wird dort über Arbeitszeit, über Wöchnerinnenschutz, über Frauennachtarbeit geredet, ohne dass auch nur eine Vertreterin der arbeitenden Frauen Gelegenheit hätte, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen.
Das Programm von Fräulein Theimer: die Verschlechterung der Schule, die Verminderung der Realien, die Herabsetzung der Schulpflicht am Lande, dürfte nicht Programm eines Zentralamtes für Frauenarbeit werden. Dafür würden sich die Arbeiterinnen ganz ernstlich bedanken. Ach, Fräulein Theimer findet, dass den Frauen die Geschicklichkeit abhanden gekommen ist, sie „scheuen“ körperliche Arbeit und das soll bekämpft werden von klein auf. Weg mit den Fröbelschen Kindergärten, zurück zur Puppe – zur einfachen – ruft sie aus. Im Kindergarten ein Puppenzimmer, wo die Mädchen an- und auskleiden und mit dem kleinen Bügeleisen bügeln lernen und dadurch wieder geschickte Finger zur manuellen Arbeit bekommen. Dazu bedarf es keines Frauenzentralamtes, denn bis nun sind uns die Fröbelschen Kindergärten lieber als die klösterlichen. Ein Amt für Arbeiterinnen, sei es jetzt eine Zentralstelle weiblicher Gewerbeinspektoren oder eine Frauensektion im Arbeitsbeirat, müsste vor allem die Aufgabe haben, festzustellen, unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen aller Berufe arbeiten. Wie ihre Lohnverhältnisse sind, wie die gegenwärtige Arbeitszeit auf die Gesundheit und auf die Mutterschaft der Arbeiterinnen einwirkt. Es müssten auf Grund genauester Erhebungen Vorschläge erstattet werden, wie der Arbeiterinnenschutz auszubauen ist.
1. Frauenarbeit in Oesterreich, von Kamilla Theimer, Wien 1909. Im Selbstverläge der Verfasserin.
Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024