MIA > Deutsch > Marxisten > Pannekoek > Kampf
Wenn unsere Gegner gegen die Tatsache, dass die Sozialdemokratie allein die Interessen der großen Volksmasse beschützt, nichts mehr vorzubringen wissen, so spielen sie den großen Trumpf aus, die Sozialdemokratie wolle das Eigentum aufheben, während doch Eigentum, Privateigentum für die Menschen notwendig sei, um leben zu können und deshalb als ein Naturrecht, als eine göttliche Einrichtung, als eine Grundlage jeder Gesellschaftsordnung anerkannt werden müsse.
Nun hat jeder Unsinn doch immer irgendeine Art Sinn, und das angeführte Gerede hat diesen Sinn, dass allerdings jede Gesellschaft in irgendeiner Gestalt Eigentum besitzen muss, d. h. über ein Stück Natur oder körperliche Welt, ein Stück der Erde verfügen muss, um leben zu können. Ein Naturrecht ist es wohl nicht zu nennen, da die Menschen diese Verfügungsgewalt der Natur, den Tieren und ihren Mitmenschen haben abringen müssen; immerhin bildet es die notwendige Grundlage jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wie aber die besondere Form des Eigentums ist – ob gemeinsames oder Privateigentum – wird von den besonderen Bedingungen abhängen, unter denen die Menschen ihre Lebensmittel produzieren müssen. Hier entscheidet die Zweckmäßigkeit; die Regelung des Eigentums, also wie diese Verfügungsgewalt unter die Mitglieder einer Gesellschaft verteilt wird, muss davon abhängen, auf welche Weise am besten der Lebensunterhalt für alle gesichert wird. Solange Zusammenarbeiten die zweckmäßigste Arbeitsweise ist, wird Gemeineigentum herrschen müssen; wo getrennte Arbeit im Interesse der Produktion liegt, muss Privateigentum an Produktionsmitteln entstehen.
Wenn unsre Gegner mit diesem Vorwurf als mit einem großen Trumpf hervorrücken, so müssen sie wohl glauben, damit viele Leute recht gruselig vor dem Sozialismus zu machen. Es muss also auch wohl irgend ein Grund für diesen Glauben da sein, sonst würden sie nicht immer aufs Neue damit ihre Sache fördern wollen. Dieser Grund liegt in der Bedeutung, die das Privateigentum an Produktionsmitteln für den Kleinbetrieb hat.
Im Kleinbetrieb produziert jeder mit seinen Arbeitsmitteln Waren, die er verkauft, um dafür Waren zurückzukaufen, die er selbst braucht für seinen Konsum. Die Herstellung aller Produkte, welche die Gesellschaft braucht, findet auf diese Weise durch Privatarbeiten statt; die Arbeit ist getrennt. Dafür hat jeder umgekehrt auch ein Anrecht auf einen gerechten Teil des Gesamtprodukts, und er erwirbt sich diesen Teil durch den Austausch seiner eignen Produkte gegen andre. Diese Regelung des Eigentums erfüllt also den Zweck, den Mitgliedern der Gesellschaft ihren Lebensunterhalt zu sichern; die gesellschaftliche Produktion geht ohne Schwierigkeiten von statten, und die Verteilung des Produkts unter den Produzenten findet auch automatisch statt durch die Gesetze des Austauschs selbst, so dass jeder seinen Anteil bekommt.
Mit der Entwicklung des Kapitalismus treten jedoch neue Verhältnisse, also auch neue Funktionen des Eigentums aus. Für den Besitzer der modernen großen Produktionsmittel ist sein Eigentum nicht mehr ein Mittel, um sich durch seine eigne Arbeit Lebensunterhalt zu verschaffen; es ist für ihn ein Mittel, aus der Arbeit andrer Mehrwert herauszuschlagen. Zuerst mag es scheinen, als ob dieser Mehrwert als Frucht, und deshalb als Lohn der Mühe und der Arbeit gelten dürfe, die der Kapitalist auf die Leitung und Verwaltung seines Geschäfts verwendet. Mit der Entwicklung des Kreditwesens und der Aktiengesellschaften verschwindet auch dieser Schein. In den Händen des modernen Geldkapitalisten oder Aktionärs erscheint das kapitalistische Eigentum in seiner nackten Gestalt, als Anspruch auf einen Teil des von der Arbeiterklasse geschaffenen Mehrwerts.
So ist das Privateigentum zu etwas ganz anderem geworden, als es früher war. War es früher ein Mittel, durch eigene Arbeit einen sicheren, sorgenfreien Lebensunterhalt zu finden, war der Eigentümer ein nützliches Mitglied einer Gesellschaft, so ist es jetzt für nutzlose Glieder der Gesellschaft ein Mittel geworden, sich die Früchte der Arbeit anderer anzueignen. Dies ist aber den Kleinbürgern und Kleinbauern – denn um diese Schichten handelt. es sich bei der Denunziation unsrer Eigentumsfeindschaft – nicht klar zum Bewusstsein gekommen; in ihrem Geiste lebt noch die alte Vorstellung von der früheren Funktion, die jetzt durch den neuen gesellschaftlichen Zustand zur Lüge geworden ist. Auf diese Lüge spekulieren nun die Demagogen, die den sogenannten „Eigentumsfanatismus“ zu ihren Zwecken ausnützen. Wenn man mit diesen kleinen Leuten über ihr Eigentum redet, so denken sie an ihre armselige Habe; Aufhebung des Privateigentums erscheint ihnen als ein Raub dieser kümmerlichen Reste, und deshalb lassen sie sich als Schutzwache gebrauchen für das Ausbeutungsrecht ihrer eigenen Ausbeuter. Demgegenüber ist es nötig, die verschiedene Bedeutung des heruntergekommenen Kleineigentums und des kapitalistischen Großbesitzes klarzustellen, also zugleich den Unterschied zwischen dem Privateigentum, wie es ihnen erscheint, und dem Privateigentum, wie es ist.
Was bedeutet für den untergehenden Mittelstand der Privatbesitz der Produktionsmittel? Sichert er ihnen eine auf eigener Arbeit beruhende Existenz? Teilweise beruht ihre Existenz auf der scheußlichsten Ausbeutung von Lehrlingen; und dazu ist sie nicht einmal sicher. Die Konkurrenz des Großkapitals hat überall die gesicherte, ruhige Existenz des Kleinbürgertums zerstört; sogar in dem Detailhandel, wo sich die Ladenbesitzer am längsten einer verhältnismäßig ungefährdeten Position erfreut haben, ist durch die großen Warenhäuser das Großkapital eingedrungen. Was sich noch hält, sieht doch immer dem drohenden Sturz ins Proletariat entgegen. Deshalb klammern sich die Kleinbetriebe mit um so größerer Kraft an ihr bisschen Eigentum; so schlecht ihre Lage vielfach ist, so erscheint ihnen die Abhängigkeit und Unfreiheit des Proletariers doch noch viel schlimmer. Aus dieser Gemütsverfassung entspringt ihr Eigentumsfanatismus; er ist das krampfhafte Festklammern an dem trügenden Schein einer längst verschwundenen Herrlichkeit, dem keine Wirklichkeit mehr entspricht.
Schlimmer noch ist es mit demjenigen Teil dieser Klassen, der selbst schon der Botmäßigkeit des Kapitals verfallen ist. Für sie ist das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht nur keine Bürgschaft einer sicheren Existenz. sondern überhaupt nur Schein, eine bloße Form der Ausbeutung. Der Kleinbauer, der in Gestalt von Pacht- oder Hypothekenzins soviel von dem Ertrag seiner Arbeit abgeben muss, dass ihm nur der dürftigste Lebensunterhalt übrig bleibt, der kleine Handwerker, der auf der nämlichen Weise dem Kapitalisten verschuldet ist, kann nur in derselben Weise als Besitzer von Produktionsmitteln gelten, wie der Zimmergesell, der seine eigenen Geräte besitzt. Sie sichern ihm nur die Möglichkeit, sich ausbeuten zu lassen. Oder noch schlimmer: da sie zugleich seine Freizügigkeit hemmen, sind sie geradezu Sklavenfesseln, die ihm nicht einmal erlauben, für seine Ausbeutung eine günstigere Gelegenheit zu suchen.
Dies ist die wirkliche Funktion des Privateigentums in diesen Schichten. Wenn man aber über die Funktion des Privateigentums im allgemeinen redet, so meint man damit nicht seine Funktion bei denen, die es nicht haben, sondern man geht zu denen, die es haben. Da erfährt man erst seine wirkliche Bedeutung. Für die wirklichen Besitzer der Produktionsmittel, die Großkapitalisten, spielt das Eigentum eine ganz andre Rolle. Wenn diese Leute einmal ihr Eigentum vorzeigen, was zeigen sie uns dann? Maschinen? Nein, sie sind Aktionäre dieser oder jener Fabrik, können also nicht einmal sagen: diese Maschine gehört mir, denn sie gehört allen
Aktionären zusammen; sie können nicht einmal darüber verfügen, denn die Leitung des Geschäfts liegt in den Händen eines Ausschusses. Zeigen sie dann vielleicht Goldstücke, jene andre allgemeine Form des Kapitals? Nein, auch nicht, denn was sie an Gold besaßen, haben sie eben gegen Aktien, Staatsschuldpapiere u. dgl. umgetauscht. Sie zeigen uns einige Papiere; diese bilden ihr "Privateigentum“. Diese Papiere geben ihnen das Recht, von dem großen gesellschaftlichen Produkt in Gestalt von Zins, Dividende usw. einen Anteil – wieviel, wissen sie nicht einmal, sondern erfahren es erst aus dem Börsenblatt – zu fordern, ohne etwas dafür zu tun, ohne irgend eine nützliche oder andre Funktion zu erfüllen. Die ganze Gesellschaft produziert, ist in emsiger Arbeit damit beschäftigt, Produkte für die menschlichen Bedürfnisse hervorzubringen; Arbeiter rackern sich ab, Aufseher schimpfen, Maschinen drehen sich, Direktoren leiten die Geschäfte, Techniker experimentieren, alle sind auf mehr oder weniger nützliche Weise tätig, und als Frucht dieses Gesamtschaffens entstehen riesige Produktenmassen. Aber wie eine Schar von Vampiren nehmen die „Besitzer der Produktionsmittel“, auf Grund ihrer schmutzigen Papiere, die große Masse des Produkts weg; sie brauchen nicht einmal – wie die alten Raubritter – irgend eine Kraft dafür aufzuwenden; sie brauchen nicht die Hände auszustrecken; es wird ihnen ehrerbietigst nach Hause gebracht. Weshalb dieser Widersinn? Es ist die moderne Funktion des Privateigentums.
Diese widersinnige Beraubung der wirklichen Produzenten durch einen Hausen untätiger, völlig funktionsloser Parasiten aufzuheben, ist das Ziel und der Inhalt der sozialistischen Forderung, das Privateigentum an Produktionsmitteln aufzuheben. Deshalb hat diese Forderung nichts zu tun mit dem, was in ganz anderm Sinne und nur dem Scheine nach Privateigentum an Produktionsmitteln ist. Eben weil der Bauer und der Kleinbürger kaum eine Ahnung hat von der Rolle, die das Privateigentum auf den Höhen der Gesellschaft spielt, wo es vorhanden ist, deshalb kann ihm der einfältige Gedanke kommen, es sei sein kleiner Fetzen damit gemeint. Die Überführung der großen Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum, die Expropriation der nutzlosen Parasiten, die jetzt den Löwenanteil an sich reißen, das ist das wirkliche Ziel unsrer Bewegung; oder, wie das Kommunistische Manifest schon vor sechzig Jahre ausführte: nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums (d. h. des Eigentums, das sich fremde Arbeit unterjocht), Verwandlung des Kapitals in gemeinschaftliches, allen Mitgliedern der Gesellschaft angehöriges Eigentum. Dies ist die neue Regelung der Eigentumsverhältnisse, die zu der jetzigen Entwicklung der Technik und der Großindustrie gehört, um auf solcher Grundlage jedem Mitgliede der Gesellschaft eine reiche und sorgenfreie Lebenshaltung zu verschaffen.
Zuletzt aktualisiert am 5.7.2008