Karl Kautsky

Wie der Weltkrieg entstand


Nachbemerkung


Die vorliegende Schrift war bereits im Druck, als mir die Ergebnisse der Nachforschungen zu Gesicht kamen, die das Auswärtige Amt im Laufe des Oktober, veranlaßt durch die Herren Montgelas und Schücking in der Sache der Aufzeichnung Bussches über die Vorgänge vom 5. und 6. Juli in Potsdam vorgenommen hat.

Ich konnte sie im Texte nicht mehr berücksichtigen, halte es aber doch für notwendig, hier zu bemerken, daß sie an meiner Auffassung jener Vorgänge nichts ändern.

Sie ergeben, daß der Kaiser am 6. Juli morgens, den Admiral v. Capelle als Vertreter des von Berlin abwesenden Tirpitz nach Potsdam kommen ließ und ihm „von der gespannten Situation Mitteilung machte, damit er sich das weitere überlegen könne.“

Außerdem ließ Kaiser Wilhelm zur gleichen Zeit nach Potsdam einen Vertreter des Generalstabs kommen. Als solcher erschien der General v. Bertrab, der in seiner Zuschrift ans Auswärtige Amt auch heute noch vom Kaiser als „S.M.“ spricht. Nach einem Bericht dos Grafen Waldersee habe der Kaiser dem General „zur Mitteilung an den Chef des Generalstabs – General v. Moltke weilte damals in Karlsbad – eröffnet, daß er, der Kaiser, dem Kaiser Franz Josef zugesagt habe, mit der deutschen Macht hinter ihm zu stehen, wenn aus dem seitens Österreich-Ungarns geplanten Vorgehen gegen Serbien Verwickelungen entstünden.“

Graf Waldersee fügt hinzu:

„Für mich, der ich den General v. Moltke in allen auf den Krieg bezüglichen Angelegenheiten vertrat, gab es infolge der Audienz des Generals v. Bertrab in Potsdam nichts zu veranlassen. Die planmäßigen Mobilmachungsarbeiten waren am 31. März 1914 abgeschlossen. Das Heer war, wie immer bereit.“

Das ist sicher eine sehr interessante Mitteilung vom rein militärischen Standpunkte aus. Die politische Bedeutung dieser Zusammenkünfte wird dadurch ebensowenig verringert wie dadurch, daß man sich gegen ihre Bezeichnung als „Beratungen mit militärischen Stellen“ wehrt und sie bloß „Audienzen“ nennt.

Es ist auch nicht recht einzusehen, warum man sich so sehr dagegen sträubt, jene Besprechungen zuzugeben. Es wäre ja geradezu der Gipfel der Leichtfertigkeit gewesen, hätte Wilhelm sie nicht abgehalten, nachdem er einmal Franz Josef versprochen, „mit der deutschen Macht hinter ihm zu stehen“, was immer das serbische Abenteuer nach sich ziehen möge.

Nachdem er einmal das zugesagt hatte und gleich darauf seine Nordlandsfahrt antrat, war doch eine Verständigung der Chefs der Armee und der Marine das mindeste, wozu Wilhelm als oberster Kriegsherr damals geradezu verpflichtet war. In dieser Zusage, nicht in den militärischen Beratungen lag Wilhelms Schuld. Diese waren nur die Konsequenzen der verhängnisvollen Zusage, die jetzt durch das Zeugnis des Grafen Waldersee von Neuem bestätigt wird.

Im übrigen bekräftigen die Mitteilungen der Herren Capelle, Berirab und Waldersee den Charakter der Heimlichkeit, den die militärischen Besprechungen hatten. Sowohl Capelle wie Berirab wurden vom Kaiser im Garten „ persönlich ohne Zeugen“ empfangen. Jeder sprach besonders mit ihm unter vier Augen. Das war allerdings kein Kriegsrat gewöhnlicher Art. Um so mehr gemahnte es an eine Verschwörung.

Hoffentlich wird es dem Untersuchungsausschuß gelingen, volles Licht in diese dunkle Sache zu bringen.

Aber für die politische Beurteilung der damaligen Vorgänge weiß man bereits genug über sie.


Zuletzt aktualisiert am: 26.11.2008