Karl Kautsky

Der Ursprung des Christentums


IV. Die Anfänge des Christentums


5. Die Entwicklung der Gemeindeorganisation


a. Proletarier und Sklaven

b. Der Niedergang des Kommunismus

c. Apostel, Propheten und Lehrer

d. Der Bischof

e. Das Klosterwesen


a. Proletarier und Sklaven

Wir haben gesehen, wie ein Teil der Elemente des Christentums, der Monotheismus, der Messianismus, der Auferstehungsglaube, der essenische Kommunismus innerhalb des Judentums erstand und wie ein Teil der unteren Klassen dieser Nation in der Vereinigung jener Elemente sein Sehnen und Wünschen am besten befriedigt sah. Wir haben ferner gesehen, wie im ganzen gesellschaftlichen Organismus des römischen Weltreichs Zustände herrschten, die ihn namentlich in seinen proletarischen Teilen, immer empfänglicher für die neuen, dem Judentum entstammenden Tendenzen machten, wie aber diese Tendenzen, sobald sie dem Einfluß des außerjüdischen Milieus unterlagen, sich nicht nur vom Judentum loslösten, sondern ihm sogar feindselig gegenübertraten. Sie mischten sich nun mit Tendenzen der absterbenden griechisch-römischen Welt, die den Geist der kräftigen nationalen Demokratie, der im Judentum bis zu der Zerstörung Jerusalems herrschte, völlig in sein Gegenteil verdrehten, mit willenloser Ergebung, Knechtseligkeit und Todessehnsucht versetzten.

Gleichzeitig mit dem Gedankenleben machte aber auch die Organisation der Gemeinde eine tiefgehende Wandlung durch.

Es war ein energischer, aber vager Kommunismus, der sie in ihren Anfängen durchdrang, eine Ablehnung alles Privateigentums, ein Drang nach einer neuen, besseren Gesellschaftsordnung, in der alle Klassenunterschiede durch Teilung des Besitzes ausgeglichen sein sollten.

Ursprünglich war die christliche Gemeinde wohl vorwiegend eine Organisation des Kampfes, wenn unsere Annahme richtig ist, daß die verschiedenen, sonst unerklärlichen gewalttätigen Stellen der Evangelien noch Überreste der ursprünglichen Überlieferung sind. Das entspräche auch vollständig der historischen Situation des jüdischen Gemeinwesens jener Zeit.

Es wäre ganz unglaublich, wenn gerade eine proletarische Sekte von der allgemeinen, revolutionären Stimmung unberührt geblieben wäre.

Die Erwartung der Revolution, des kommenden Messias, des gesellschaftlichen Umsturzes erfüllte jedenfalls die ersten christlichen Organisationen im Judentum vollständig. Die Sorge für die Gegenwart, also die praktische Kleinarbeit trat dahinter wohl zurück.

Das änderte sich nach der Zerstörung Jerusalems. Die Elemente, die der Messiagemeinde einen rebellischen Charakter verliehen hatten, waren unterlegen. Und die Messiasgemeinde wurde immer mehr eine antijüdische Gemeinde, innerhalb des kampfunfähigen und kampfunlustigen außerjüdischen Proletariats. Je länger die Gemeinde dauerte, desto deutlicher zeigte sich’s aber auch, daß auf die Erfüllung der Prophezeiung nicht mehr zu rechnen sei, die sich noch in den Evangelien findet, die Zeitgenossen Jesu würden selbst den Umsturz erleben. Das Zutrauen zu dem Kommen des „Reiches Gottes“ hienieden schwand immer mehr, das Reich Gottes, das aus dem Himmel auf die Erde niedersteigen sollte, wurde immer mehr in den Himmel verlegt; die Auferstehung des Leibes wurde in eine Unsterblichkeit der Seele verwandelt, der allein die Seligkeiten des Himmels oder die Qualen der Hölle bevorstanden.

Je mehr die messianische Erwartung der Zukunft diese überirdischen Formen annahm und politisch konservativ oder indifferent wurde, desto mehr mußte nun die praktische Sorge für die Gegenwart in den Vordergrund kommen.

Aber in demselben Maße, wie der revolutionäre Enthusiasmus abnahm, wandelte sich auch der praktische Kommunismus selbst.

Ursprünglich entsprang er einem zwar energischen, aber vagen Drang nach Aufhebung alles Privateigentums, einem Drang, dem Elend der Genossen durch die Gemeinsamkeit allen Besitzes abzuhelfen.

Wir haben jedoch schon darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zum Essenismus die christlichen Gemeinden ursprünglich nur städtische, ja vorwiegend großstädtische waren, und daß sie darin ein Hindernis fanden, ihren Kommunismus zu einem vollkommenen und dauernden zu gestalten.

Bei den Essenern wie bei den Christen war der Kommunismus in seinem Ausgangspunkt ein Kommunismus der Genußmittel, ein Kommunismus des Konsumierens. Nun sind auf dem Lande heute noch, und waren es damals weit mehr als heute, Konsumtion und Produktion eng miteinander verbunden. Die Produktion war da Produktion für den eigenen Konsum, nicht für den Verkauf, Feldbau, Viehzucht und Haushalt standen in engstem Zusammenhang. Auch war ein Großbetrieb in der Landwirtschaft sehr wohl möglich und dem Kleinbetrieb damals schon insofern überlegen, als er eine größere Arbeitsteilung und bessere Ausm1tzung einzelner Geräte und Baulichkeiten ermöglichte. Das wurde freilich mehr als wett gemacht durch die Nachteile der Sklavenarbeit. Aber war der Betrieb mit Sklaven damals die weitaus überwiegende Form des landwirtschaftlichen Großbetriebs, so doch nicht seine einzig mögliche. Größere Betriebe durch ausgedehnte bäuerliche Familien stehen bereits am Anfang der landwirtschaftlichen Entwicklung. Auch die Essener werden genossenschaftlich-familiale Großbetriebe der Landwirtschaft dort eingerichtet haben, wo sie in ländlicher Einsamkeit große klosterartige Ansiedelungen bildeten, wie jene am Toten Meere, von der uns Plinius berichtet (Naturgeschichte, 5. Buch), wo sie „in Gesellschaft der Palmen wohnten“.

Die Art und Weise des Produzierens ist aber in letzter Linie stets der entscheidende Faktor bei jedem gesellschaftlichen Gebilde. Nur solche, die in der Produktionsweise begründet sind, erhalten Dauer und Kraft.

War gesellschaftliche oder genossenschaftliche Landwirtschaft zur Zeit der Entstehung des Christentums möglich, so fehlten dagegen die Vorbedingungen genossenschaftlicher, städtischer Industrie. Die Arbeiter der städtischen Industrie waren entweder Sklaven oder freie Heimarbeiter. Größere Betriebe mit freien Arbeitern, wie sie die bäuerliche Großfamilie darstellte, kannte man kaum. Sklaven, Heimarbeiter, Lastträger, dann Hausierer, Kleinkrämer, Lumpenproletarier, das waren die unteren Klassen der städtischen Bevölkerung jener Zeit, in denen kommunistische Tendenzen erstehen konnten. Bei diesen war kein Faktor wirksam, der die Gemeinsamkeit der Güter zu einer Gemeinsamkeit der Produktion hätte ausdehnen können. Sie blieb von vornherein auf die Gemeinsamkeit des Genießens beschränkt. Und diese Gemeinsamkeit wieder war im wesentlichen nur eine Gemeinsamkeit der Mahlzeiten. Kleidung und Wohnung spielten in der Heimat des Christentums und auch in Süd- und Mittelitalien keine große Rolle. Zu der Gemeinsamkeit der Kleidung hat selbst ein so weitgehender Kommunismus, wie der essenische, nur Anläufe gemacht. Auf diesem Gebiet ist das Privateigentum unüberwindlich. Die Gemeinsamkeit der Wohnung war in der Großstadt um so schwerer erreichbar, je weiter die Arbeitsplätze der einzelnen Genossen auseinanderlagen und je größer die Häuserspekulation, die in den Großstädten der urchristlichen Zeit große Geldsummen für den Erwerb eines Hauses erforderte. Das Fehlen von Kommunikationsmitteln drängte die großstädtische Bevölkerung auf einen engen Raum zusammen und machte die Besitzer dieses Raumes zu absoluten Herren über seine Bewohner, die greulich ausgepreßt wurden. Die Häuser wurden so hoch gebaut, als es die damalige Technik erlaubte, in Rom sieben Stockwerke hoch und höher, und die Miete zu einer unglaublichen Höhe geschraubt. Der Häuserwucher war deshalb eine beliebte Form der Kapitalsanlage für die Kapitalisten jener Zeit. Von dem Triumvirat, das die römische Republik aufkaufte, war Crassus namentlich durch Häuserspekulationen reich geworden.

Auf diesem Gebiet konnten die Proletarier der Großstadt nicht mittun. Schon das machte es ihnen unmöglich, die Gemeinsamkeit des Wohnhauses durchzuführen. Dazu kommt, daß die christliche Gemeinde unter dem argwöhnischen Kaisertum nur möglich war als Geheimbund. Die Gemeinsamkeit der Wohnung hätte dessen Aufdeckung zu sehr begünstigt.

So konnte der christliche Kommunismus als dauernde, allgemeine Einrichtung für die Gesamtheit der Genossen nur in Erscheinung treten bei den gemeinsamen Mahlzeiten.

Im Evangelium wird auch für das „Reich Gottes“, das heißt für den Zukunftsstaat fast nur das gemeinsame Speisen in Betracht gezogen. Es ist die einzige Seligkeit, die erwartet wird. Diese Seligkeit beschäftigte offenbar die Urchristen am meisten.

So wichtig diese Art praktischen Kommunismus für die freien Proletarier war, so wenig Bedeutung besaß sie für die Sklaven, die ja in der Regel zur Familie ihres Herrn gehörten und bei ihm ihren Tisch gedeckt fanden, freilich oft dürftig genug. Nur wenige Sklaven lebten außerhalb des Haushaltes ihres Herrn, zum Beispiel solche, die in der Stadt einen Laden führten, in dem sie die Produkte des Landguts ihres Herrn feilboten.

Für die Sklaven mußte die messianische Erwartung, die Aussicht auf ein Reich allgemeiner Glückseligkeit die meiste Anziehungskraft üben, viel mehr als der praktische Kommunismus, der nur in Formen möglich war, die für sie wenig bedeuteten, solange sie Sklaven blieben.

Wie die ersten Christen über die Sklaverei dachten, wissen wir nicht. Die Essener verwarfen sie, wie wir schon gesehen haben. Philo berichtet:

„Keiner ist bei ihnen Sklave, sondern alle sind frei, indem sie gegenseitig für einander arbeiten. Sie meinen, der Sklavenbesitz sei nicht bloß unrecht und eine Verletzung der Frömmigkeit, sondern auch eine Gottlosigkeit, eine Aufhebung der Naturordnung, die alle gleich ... wie Brüder ... erzeugte.“

Die Proletarier der Messiasgemeinde Jerusalems werden wohl ähnlich gedacht haben.

Mit der Zerstörung Jerusalems schwanden aber die Aussichten auf eine soziale Revolution. Die Wortführer der christlichen Gemeinden, die so ängstlich darauf bedacht waren, jeden Verdacht der Gegnerschaft gegen die herrschenden Gewalten gegenstandslos zu machen, mußten auch trachten, die rebellischen Sklaven, die sie in ihren Reihen zählen mochten, zur Ruhe zu bringen.

So redet zum Beispiel der Verfasser des Briefes Pauli an die Kolosser – in der vorliegenden Form eine „Überarbeitung“ oder Fälschung aus dem zweiten Jahrhundert, den Sklaven zu:

„Ihr Sklaven, gehorchet in allem euren Herren nach dem Fleische, nicht in Augendienerei als Streber nach Menschengunst, sondern in rechtlicher Gesinnung, aus Furcht des Herrn“ (3, 22).

Noch stärker drückt sich der Schreiber des ersten Briefes Petri aus, der wahrscheinlich zur Zeit Trajans verfaßt wurde:

„Das Hausgesinde sei in voller Furcht seinen Herren untertan, nicht bloß den guten und anständigen, sondern auch den nichtswürdigen. [1] Denn das ist wohlgefällig, wem jemand im Hinblick auf Gott seine Trübsal trägt, wenn er ungerecht leidet. Denn was liegt für ein Ruhm darin, wenn ihr Streiche geduldig hinnehmt, die ihr wegen eines Fehltritts bekommt? Aber wenn ihr sie geduldig hinnehmt, auch wenn ihr wegen guter Taten leidet, das ist Gott wohlgefällig.“ (I, 2, 18 ff.)

Ja, der erstehende christliche Opportunismus des zweiten Jahrhunderts fand sich sogar damit ab, daß christliche Herren Brüder aus der Gemeinde als Sklaven hielten, wie des Paulus erster Brief an Timotheus beweist:

„Sklaven, die im Joche sind, sollen ihren Herren alle Ehrfurcht erweisen, damit nicht der Name Gottes und seine Lehre gelästert werde. Jene aber, die Gläubige als Herren haben, sollen diese nicht deswegen verachten, weil sie Brüder sind, sondern um so williger dienen, weil es Gläubige sind und Teilnehmer an den gemeinsamen Mahlzeiten (ἀγαπητοὶ) die sich des Wohltuns befleißen.“ (6, 1 ff.)

Nichts irrtümlicher, als die Auffassung, das Christentum habe die Sklaverei beseitigt. Es hat ihr vielmehr eine neue Stütze gegeben. Das Altertum erhielt den Sklaven nur durch Furcht im Gehorsam. Erst das Christentum erhob den willenlosen Gehorsam des Sklaven zu einer sittlichen Pflicht, die freudig zu leisten sei.

Das Christentum bot dem Sklaven, wenigstens seitdem es aufgehört hatte, revolutionär zu sein, nicht mehr die Aussicht auf Befreiung. Sein praktischer Kommunismus wieder bot dem Sklaven nur selten wirkliche Vorteile. Das einzige, was diesen noch anlocken mochte, war die Gleichheit „vor Gott“, das heißt innerhalb der Gemeinde, wo jeder Genosse gleich viel gelten sollte, wo der Sklave beim gemeinsamen Liebesmahl neben seinen Herrn zu sitzen kommen konnte, wenn dieser ebenfalls der Gemeinde angehörte.

Callistus, der christliche Sklave eines christlichen Freigelassenen, wurde sogar Bischof von Rom (217 bis 222). Aber auch diese Art der Gleichheit wollte damals nicht mehr viel bedeuten. Erinnern wir uns, wie nahe das freie Proletariat den Sklaven gekommen war, aus denen es sich vielfach rekrutierte, wie andererseits die Sklaven des kaiserlichen Hauses zu hohen Beamtenstellen im Staate aufstiegen und oft selbst von Aristokraten umschmeichelt wurden.

Daß das Christentum bei allem Kommunismus und allem proletarischen Empfinden die Sklaverei nicht einmal in seinen eigenen Reihen zu überwinden vermochte, bezeugt, wie tief es im „heidnischen“ Altertum wurzelte, so feindselig es ihm auch gegenüberstehen mochte, und wie sehr die Ethik im Banne der Produktionsweise steht. So wie die Menschenrechte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sich mit der Sklaverei abfanden, so die allumfassende Nächstenliebe und Brüderlichkeit, die Gleichheit aller vor Gott der Messiasgemeinde. Das Christentum ist von Anfang an vornehmlich eine Religion des freien Proletariats gewesen, bei aller Annäherung blieb aber zwischen diesem und dem Sklaven im Altertum stets eine Differenz der Interessen bestehen.

Die freien Proletarier überwogen von vornherein in der christlichen Gemeinde, so daß die Interessen der Sklaven in ihr nicht immer zur Geltung kamen. Das mußte wieder dahin wirken, daß die Anziehungskraft der Gemeinde auf die Sklaven geringer war als auf die freien Proletarier, wodurch das Übergewicht der letzteren sich noch verstärkte.

In gleicher Richtung wirkte die ökonomische Entwicklung. Gerade von der Zeit an, die den revolutionären Tendenzen in der christlichen Gemeinde den Todesstoß versetzte, von dem Falle Jerusalems an, begann, wie wir gesehen, ein neues Zeitalter für das römische Reich, ein Zeitalter allgemeinen Friedens – inneren Friedens, aber auch in hohem Maße äußeren, da die Expansivkraft der römischen Macht aufhörte. Der Krieg, sowohl Bürgerkrieg wie Eroberungskrieg, war aber das Mittel gewesen, Sklaven billig zu liefern. Das hörte jetzt auf. Der Sklave wurde selten und kostbar, die Sklavenwirtschaft rentierte sich nicht mehr, in der Landwirtschaft wurde sie ersetzt durch das Kolonat, in der städtischen Industrie durch die Arbeit freier Arbeiter. Der Sklave wurde immer mehr aus einem Werkzeug der Produktion des Notwendigen zu einem Werkzeug des Luxus. Die persönlichen Dienste bei den Vornehmen und Reichen wurden jetzt die Hauptdomäne der Sklaverei. Die Sklavenseele ward jetzt immer mehr gleichbedeutend mit der Lakaienseele. Die Zeiten eines Spartacus waren vorbei.

Der Gegensatz zwischen dem Sklaven und dem freien Proletarier mußte sich dadurch verschärfen, indes gleichzeitig die Zahl der Sklaven abnahm, die der freien Proletarier in den Großstädten wuchs. Durch die eine wie durch die andere Tendenz mußte das Sklanenelement in der christlichen Gemeinde noch weiter zurückgedrängt werden. Kein Wunder, daß das Christentum für den Sklaven schließlich nichts übrig hatte.

Diese Entwicklung ist vollständig erklärlich, wenn man im Christentum den Niederschlag besonderer Klasseninteressen sieht. Sie wird unerklärlich, wenn man es als bloßes ideales Gebilde betrachtet. Denn die logische Entwicklung seiner Grundideen mußte zur Aufhebung der Sklaverei führen. Die Logik hat aber in der Weltgeschichte noch stets vor den Klasseninteressen Halt gemacht.


b. Der Niedergang des Kommunismus

Die Anerkennung der Sklaverei, sowie die zunehmende Beschränkung der Gütergemeinschaft auf die gemeinsamen Mahlzeiten waren nicht die einzigen Schranken, die die christliche Gemeinde bei dem Streben fand, ihre kommunistischen Tendenzen zu verwirklichen.

Diese Tendenzen verlangten, daß jedes Mitglied der Gemeinde alles verkaufe, was es besitze, und dieses Geld der Gemeinde zur Verteilung an die Genossen zur Verfügung stelle.

Es ist von vornherein klar, daß ein solches Vorgehen in großem Maßstab undurchführbar war. Es setzte voraus, daß wenigstens die eine Hälfte der Gesellschaft ungläubig blieb, sonst wäre niemand dagewesen, der den Gläubigen ihren Besitz abkaufen konnte. Es wäre aber auch sonst niemand dagewesen, dem man mit dem Erlös die Lebensmittel abkaufen konnte, deren die Gläubigen bedurften.

Wenn die Gläubigen nicht vom Produzieren, sondern vom Teilen leben wollten, so mußten immer genug Ungläubige da bleiben, die für die Gläubigen produzierten. Aber auch in diesem Falle drohte der Herrlichkeit ein trauriges Ende, sobald die Gläubigen allen ihren Besitz verkauft, verteilt und aufgezehrt hatten. Freilich sollte bis dahin der Messias aus den Wolken kommen und über alle Schwierigkeiten „des Fleisches“ hinweghelfen.

Aber zu dieser Probe aufs Exempel kam es gar nicht. Die Zahl jener Genossen, die etwas besaßen, was das Verkaufen und Verteilen gelohnt hätte, war im Anfang der Gemeinde sehr gering. Davon konnte sie nicht leben. Eine ständige Einnahme konnte sie nur dadurch erzielen, daß jedes Mitglied seinen täglichen Erwerb an die Gemeinde ablieferte. Soweit die Genossen nicht bloße Bettler oder Lastträger waren, bedurften sie aber eines Besitzes, wenn sie erwerben wollten, eines Besitzes an Produktionsmitteln als Weber oder Töpfer oder Schmiede, oder an Warenvorräten, die sie als Krämer oder Hausierer verkauften.

Da unter den gegebenen Verhältnissen die Gemeinde nicht, wie die Essener, Stätten gemeinsamer Produktion für die Deckung der eigenen Bedürfnisse einrichten konnte, da sie aus dem Bereich der Warenproduktion und Einzelproduktion nicht heraus konnte, mußte sie bei allem kommunistischen Streben vor dem Privateigentum an Produktionsmitteln und Warenvorräten Halt machen.

Aus der Anerkennung des Einzelbetriebs floß aber naturnotwendig auch die Anerkennung des mit ihm verbundenen Einzelhaushalts, der Einzelfamilie und Ehe, trotz aller gemeinsamen Mahlzeiten.

So kommen wir auch hier wieder zu den gemeinsamen Mahlzeiten als dem praktischen Ergebnis der kommunistischen Tendenzen.

Aber es war nicht ihr einziges. Die Proletarier hatten sich zusammengefunden, um mit vereinten Kräften ihrem Elend zu steuern. Stellten sich ihnen Hindernisse entgegen, den vollen Kommunismus zu verwirklichen, so sahen sie sich um so mehr gedrängt, das Unterstützungswesen auszubauen, das dem einzelnen bei außerordentlichen Notständen Hilfe bringen sollte.

Die christlichen Gemeinden standen in Verbindung miteinander. Kam ein Genosse von auswärts zugereist, so verschaffte ihm die Gemeinde Arbeit, wenn er bleiben wollte; sie gab ihm einen Zehrpfennig, wenn er weiterreisen wollte.

Wurde ein Genosse krank, nahm sich die Gemeinde seiner an. Starb er, begrub sie ihn auf ihre Kosten und sorgte für seine Witwe und seine Kinder; kam er ins Gefängnis, was häufig genug vorkam, so war es wieder die Gemeinde, die ihm Trost und Hilfe angedeihen ließ.

Die christliche Proletarierorganisation schuf sich da einen Pflichtenkreis, der ungefähr dem Kreis der Versicherungen einer modernen Gewerkschaft entspricht. Im Evangelium ist es die Ausübung dieses gegenseitigen Versicherungswesens, was Anspruch auf das ewige Leben verleiht. Wenn der Messias kommt, wird er die Menschen einteilen in solche, die der Herrlichkeit des Zukunftsstaats und des ewigen Lebens teilhaftig werden, und solche, die ewiger Verdammnis anheimfallen. Zu jenen, den Schafen, wird der König sagen:

„Geht hin, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von der Schöpfung der Welt her. Ich habe gehungert, und ihr gabt mir zu essen; ich habe gedürstet, und ihr habt mich getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich eingeladen; ich war bloß und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt nach mir gesehen; ich war im Gefängnis, und ihr kamt zu mir.“

Die Gerechten werden darauf erwidern, daß sie dem König nie derartiges erwiesen hätten.

„Und der König wird dann antworten: Wahrlich ich sage euch, soviel ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan, habt ihr mir getan.“ (Matth. 25, 34 ff.)

Die gemeinsamen Mahlzeiten und das gegenseitige Unterstützungswesen bildeten jedenfalls den festesten Kitt der christlichen Gemeinde, der ihre Massen dauernd zusammenhielt.

Gerade aus der Pflege dieses Unterstützungswesens sollte jedoch eine Triebkraft erstehen, die das ursprüngliche kommunistische Streben abschwächte und durchbrach.

Je mehr die Erwartung sich abkühlte, der Messias werde mit seiner Herrlichkeit demnächst kommen, je wichtiger es in der Gemeinde erschien, für sie Vermögen zu gewinnen zur Durchführung der Unterstützungseinrichtungen, desto mehr wurde der proletarische Klassencharakter der christlichen Propaganda durchbrochen, desto mehr bestrebte man sich, wohlhabende Genossen heranzuziehen, deren Geld man wohl verwenden konnte.

Je mehr Geld die Gemeinde brauchte, desto eifriger bemühten sich ihre Agitatoren, reichen Gönnern darzulegen, wie eitel alle Schätze au Gold und Silber seien, wie nichtig gegenüber der Seligkeit des ewigen Lebens, die der Reiche allein dadurch erlangen könne, daß er sich seines Besitzes entledige. Und sie predigten nicht ohne Erfolg in jener Zeit allgemeinen Katzenjammers, der namentlich die besitzenden Klassen erfaßt hatte. Wie viele gab es unter diesen, die nach einer wüst verlebten Jugend Ekel vor allem Genuß und allen Mitteln des Genusses erfaßte. Nachdem sie alle Sensationen erschöpft hatten, die mit Geld zu erkaufen waren, blieb ihnen 1mr noch eine Sensation übrig, die der Geldlosigkeit.

Bis ins Mittelalter hinein finden wir immer wieder von Zeit zu Zeit reiche Leute, die allen ihren Besitz den Armen schenken und ein Bettlerdasein führen – meist, nachdem sie alle Genüsse der Welt aufs reichlichste ausgekostet und sich daran den Magen verdorben haben.

Immerhin war das Auftauchen solcher Leute ein Glücksfall, der sich nicht so oft wiederholte, als es die Gemeinde brauchte. Je größer die Not im Reiche anwuchs, je stärker die Zahl der Lumpenproletarier in der Gemeinde wurde, die nicht durch Arbeit ihr Brot verdienen konnten oder wollten, desto größer das Bedürfnis, reiche Leute zur Deckung der Gemeindebedürfnisse heranzuziehen.

Leichter, als daß ein Reicher sein ganzes Vermögen bei Lebzeiten weggab, war es zu erreichen, daß er es bei seinem Tode der Gemeinde für ihre Unterstützungszwecke hinterließ. Die Kinderlosigkeit war damals weit verbreitet, die Bande zwischen Verwandten sehr gelockert. Das Bedürfnis, diesen sein Erbe zu hinterlassen, vielfach sehr gering. Andererseits hatte das Interesse für die eigene Persönlichkeit, der Individualismus, einen hohen Grad erreicht, das Verlangen ihres Fortlebens nach dem Tode, und zwar ihres glücklichen Fortlebens, war sehr entwickelt.

Diesem Verlangen kam die christliche Lehre sehr entgegen, und ein bequemer Weg, das ewige selige Leben zu erlangen, ohne sich im irdischen etwas abzuknapsen, wurde dem Reichen dadurch eröffnet, daß er seinen Besitz erst dann weggab, wenn er ihn nicht mehr brauchte, nach seinem Tode. Mit seinem Erbe, mit dem er ohnehin nichts Rechtes anzufangen wußte, vermochte er sich nun die ewige Seligkeit zu erkaufen.

Packten die christlichen Agitatoren die jungen, leidenschaftliche Reichen bei ihrem Ekel vor dem Leben, das sie geführt, so packten sie die alten, müden Reichen bei der Furcht vor dem Tode und den Höllenstrafen, die ihnen bevorstanden. Von da an bis heute blieb die Erbschleicherei ein beliebtes Mittel christlicher Agitatoren, dem guten Magen der Kirche stets neues Futter zuzuführen.

Aber in den. ersten Jahrhunderten der Gemeinde war wohl die Zufuhr an reichen Erbschaften noch gering, um so mehr, da die Gemeinde als Geheimbund keine juristische Person war, direkt also nicht erben konnte.

So bemühte man sich denn, die Reichen schon bei Lebzeiten zur Unterstützung der Gemeinde heranzuziehen, auch wenn sie sich nicht dazu verstehen wollten, das Gebot des Herrn strikte durchzuführen, das befahl, alles unter die Armen zu· verteilen, was sie besaßen. Wir haben gesehen, wie die Freigebigkeit damals, solange die Akkumulation des Kapitals noch keine Rolle in der Produktionsweise spielte, bei den Reichen sehr allgemein war. Sie mußte der Gemeinde zugute kommen und ihr dauernde Einnahmen zuführen, wenn es nur gelang, das Interesse und die Sympathien der Reichen für die Gemeinde zu erwecken. Je mehr die Gemeinde aufhörte, eine Kampforganisation zu sein, je mehr das Unterstützungswesen in ihr in den Vordergrund trat, desto stärker machten sich auch in ihr Tendenzen geltend, den ursprünglichen proletarischen Haß gegen die Reichen zu mildern und dem Reichen, auch wenn er reich blieb, wenn er an seinem Besitz hing, den Aufenthalt in der Gemeinde anziehend zu machen.

Die Weltanschauung der Gemeinde – Abwendung von den alten Göttern, Monotheismus, Auferstehungsglaube, Erlösererwartung – das waren Dinge, wie wir gesehen, die dem allgemeinen Bedürfnis der Zeit entsprachen, die die christliche Lehre auch höheren Kreisen sympathisch machen mußten.

Andererseits suchten die Reichen angesichts des wachsenden Notstands der Massen nach Mitteln, ihm zu steuern, wie schon die Alimentenstiftungen beweisen. Bedrohte er ja die ganze Gesellschaft. Auch das mußte ihnen die christlichen Organisationen sympathischer machen.

Endlich fand auch die Popularitätshascherei ihre Rechnung bei der Unterstützung der christlichen Gemeinden, wenigstens überall dort, wo diese Gemeinden auf einen erheblichen Teil der Bevölkerung Einfluß gewonnen hatten.

So konnte die christliche Gemeinde wohl Anziehungspunkte auch für solche Reiche bieten, die nicht zur Weltflucht und Verzweiflung gelangt waren, denen nicht die Todesfurcht und Angst vor den Höllenqualen das Versprechen der Hingabe ihrer Hinterlassenschaft erpreßte.

Sollten aber Reiche sich in der Gemeinde wohl fühlen, mußte sich deren Charakter gründlich ändern, mußte der Klassenhaß gegen die Reichen aufgegeben werden.

Wie schmerzlich dies Streben, die Reichen anzulocken und ihnen Konzessionen zu machen, von proletarischen Kämpfernaturen in der Gemeinde empfunden wurde, das bezeugt der schon einmal erwähnte Brief des Jakobus an die zwölf Stämme in der Diaspora aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts. Er mahnt die Genossen:

„Wenn in eure Versammlung ein Mann tritt mit goldenen Ringen und prächtigem Gewand, es tritt aber auch ein. Armer ein in schmutzigem Kleid, und ihr sehet auf den, der das prächtige Kleid trägt und saget: setze du dich bequem hieher, und zu dem Armen saget ihr: du kannst dort stehen oder doch unter meinem Schemel sitzen, habt ihr damit nicht die Richtschnur verloren und richtet nach schlechten Grün.den? ... Ihr habt den Armen verachtet ... Wenn ihr aber Menschenrücksicht pflegt, so schafft ihr Sünde.“ (2, 2 bis 9)

Und dann wendet er sich gegen jene Richtung, die von den Reichen nur die theoretische Anerkennung der Glaubenssätze und nicht auch die Hergabe ihres Geldes fordert:

„Was nutzt es, meine Brüder, wenn einer behauptet, Glauben zu haben, aber keine Werke hat? Kann ihn denn der Glaube erretten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester da sind in Blöße und Mangel der täglichen Nahrung, es sagt aber einer von euch zu ihnen: gehet hin in Frieden, wärmet euch und sättigt euch, ihr gebt ihnen aber nicht des Leibes Notdurft, was nutzt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er sich nicht in Werken betätigt.“ (2, 14 bis 17)

Die Grundlage der Organisation wurde durch die Rücksicht auf die Reichen freilich nicht geändert. Sie blieb theoretisch wie praktisch die gleiche. Aber an Stelle der Pflicht, alles, was man besaß, für die Gemeinschaft hinzugeben, trat nun eine freiwillige Selbstbesteuerung, die sich oft mit der Hingabe eines kleinen Anteils begnügte.

Etwas jünger als des Jakobus Brief ist der Apologetikus Tertullians (entstand wohl zwischen 150 und 160). Dort wird auch die Organisation der Gemeinde geschildert:

„Wenn bei uns auch eine Art Kasse vorhanden ist, so wird sie nicht etwa durch eine Aufnahmszahlung gebildet, was eine Art von Verkauf der Religion wäre, sondern jeder steuert eine mäßige Gabe bei an einem bestimmten Tage des Monats oder wann er will, wofern er will und kann; denn niemand wird dazu genötigt, sondern jeder gibt freiwillig seinen Beitrag. Das sind gleichsam die Sparpfennige der Gottseligkeit. Denn es wird nichts davon für Schmausereien und Trinkgelage oder nutzlose Fresserwirtschaft ausgegeben, sondern zum Unterhalt und Begräbnis von Armen, von elternlosen Knaben und Mädchen ohne Vermögen, auch für Greise, die nicht mehr aus dem Hause können, ebenso für Schiffbrüchige, oder wenn sich etwa Leute in den Bergwerken, auf den Inseln oder in Gefangenschaft befinden, wofern nur die Zugehörigkeit zur Genossenschaft Gottes die Ursache davon ist – diese werden Versorgungsberechtigte ihres Bekenntnisses.“

Er fährt dann fort:

„Wir, die wir mit Herz und Seele uns verbunden wissen, tragen kein Bedenken hinsichtlich der Gütergemeinschaft: alles ist bei uns gemeinsam, ausgenommen die Frauen; da allein hört die Gemeinschaft bei uns auf, wo die anderen allein sie üben.“ [2]

Theoretisch hielt man also am Kommunismus fest, und praktisch schien sich bloß die Strenge seiner Anwendung zu mildern. Aber unmerklich änderte sich doch mit der wachsenden Rücksicht auf die Reichen das ganze Wesen der Gemeinde, das ursprünglich ausschließlich auf proletarische Verhältnisse zugeschnitten war. Nicht nur dem Klassenhaß in der Gemeinde mußten jene Elemente entgegenwirken, die auf die Gewinnung reicher Mitglieder spekulierten, auch das Getriebe innerhalb der Gemeinde mußte sich jetzt vielfach anders gestalten.

Bei allen Abschwächungen, die der Kommunismus erfahren hatte, war doch die gemeinsame Mahlzeit als das feste Band, das alle Genossen umschloß, erhalten geblieben. Die Unterstützungseinrichtungen galten nur für einzelne Notfälle, die freilich jeden treffen konnten. Die gemeinsame Mahlzeit befriedigte das tägliche Bedürfnis eines jeden. Bei ihr fand sich die gesamte Gemeinde zusammen, sie bildete den Mittelpunkt, um den sich das ganze Gemeindeleben drehte.

Für wohlhabende Genossen hatte aber die gemeinsame Mahlzeit als Mahlzeit keinen Zweck. Sie aßen und tranken besser und bequemer zu Hause. Das einfache, oft rohe Mahl mußte die verwöhnten Gaumen abstoßen. Wenn sie sich dabei einfanden, kamen sie nur, um am Gemeindeleben teilzunehmen, Einfluß in der Gemeinde zu üben, nicht, um sich zu sättigen. Was für die anderen die Befriedigung eines leiblichen Bedürfnisses war, wurde für sie bloß die Befriedigung eines geistigen, die Teilnahme am Genießen von Brot und Wein eine rein symbolische Handlung. Je mehr die Zahl der Wohlhabenden in der Gemeinde wuchs, desto größer wurde auch die Zahl jener Elemente bei den gemeinsamen Mahlzeiten, denen nur an der Zusammenkunft und ihren Symbolen, nicht aber am Essen und Trinken lag. So wurden im zweiten Jahrhundert die wirklichen gemeinsamen Mahlzeiten für die ärmeren Mitglieder losgelöst von den bloß symbolischen für die ganze Gemeinde, und im vierten Jahrhundert, nachdem die Kirche zur herrschenden Macht im Staate geworden war, kam es endlich zur Hinausdrängung der ersteren Art Mahlzeiten aus den Versammlungshäusern der Gemeinde, den Kirchen. Sie verfielen immer mehr und wurden in den nächsten Jahrhunderten völlig abgeschafft. Damit verschwand das hervorstechendste Merkmal des praktischen Kommunismus gänzlich aus der christlichen Gemeinde, und an dessen Stelle trat ausschließlich das Unterstützungswesen, die Fürsorge für die Armen und Kranken, die sich, freilich in recht verkümmerter Gestalt, bis in unsere Tage erhalten hat.

Nun war in der Gemeinde nichts mehr, was den Reichen unangenehm werden konnte. Sie hatte aufgehört, eine proletarische Institution zu sein. Die Reichen, die, wenn sie ihren Besitz nicht den Armen überlieferten, ursprünglich völlig ausgeschlossen gewesen waren vom „Reiche Gottes“, vermochten nun darin dieselbe Rolle zu spielen wie in der „Welt des Teufels“, und sie haben von dieser Möglichkeit auch reichlichen Gebrauch gemacht.

Aber es wiederholten sich nicht bloß die alten Klassengegensätze in der christlichen Gemeinde, es bildete sich auch eine neue Herrscherklasse in ihr, eine neue Bureaukratie mit einem neuen Chef, dem Bischof. Wir werden diesen gleich kennen lernen.

Es war die christliche Gemeinde, aber nicht der christliche Kommunismus, wovor sich schließlich die römischen Imperatoren beugten. Der Sieg des Christentums bedeutete nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur der Herren, die es sich in seiner Gemeinde selbst großgezogen hatte.

Die Vorkämpfer und Märtyrer der Gemeinden des Anfangs, die ihren Besitz, ihre Arbeit, ihr Leben hingegeben hatten für die Erlösung der Armen und Elenden, sie hatten nur den Grund gelegt für eine neue Art Knechtung und Ausbeutung.


c. Apostel, Propheten und Lehrer

Ursprünglich gab es in der Gemeinde keine Beamten und keine Unterschiede unter den Genossen. Als Lehrer und Agitator konnte sich jeder Genosse und auch jede Genossin auftun, wenn sie das Zeug dazu in sich verspürten. Jeder sprach frei von der Leber weg, wie ihm der Schnabel gewachsen war oder, wie man damals sagte, wie der heilige Geist ihn trieb. Daneben betrieben die meisten freilich ihr Handwerk weiter, aber mancher, der besonderes Ansehen gewann, besonderen Eindruck machte, verschenkte, was er hatte, und widmete sich ganz der Agitation als Apostel oder Prophet. Daraus entsprang ein neuer Klassenunterschied.

Innerhalb der christlichen Gemeinde bildeten sich jetzt zwei Klassen: die gewöhnlichen Mitglieder, deren praktischer Kommunismus sich nur auf die gemeinsamen Mahlzeiten und die Unterstützungseinrichtungen erstreckte, die die Gemeinde einrichtete: Arbeitsvermittlung, Unterstützung der Witwen und Waisen sowie der Gefangenen, Krankenversicherung, Begräbniskasse. Daneben aber galten jene als die „Heiligen“ oder „Vollkommenen“, die den Kommunismus radikal durchführten, auf jeglichen Besitz und auf die Einzelehe verzichteten, alles, was sie besaßen, der Gemeinde hingaben.

Das sah großartig aus und verlieh, wie schon ihre Beinamen bezeugen, diesen radikalen Elementen ein hohes Ansehen in der Gemeinde. Sie fühlten sich auch erhaben über die gewöhnlichen Genossen, gebärdeten sich als führende Elite.

So gebar gerade der radikale Kommunismus eine neue Aristokratie.

Und wie jede Aristokratie begnügte sich diese nicht mit der Anmaßung des Kommandos über den Rest ihres Gemeinwesens, sie versuchte auch, es auszubeuten.

In der Tat, wovon sollten die „Heiligen“ leben, wenn sie alle Produktionsmittel und Warenvorräte, die sie besaßen, verschenkten? Es blieb ihnen nichts übrig als Gelegenheitsarbeiten durch Tragen von Lasten oder Botengänge und dergleichen oder – der Bettel.

Am naheliegendsten lag es, den Lebensunterhalt dadurch zu gewinnen, daß man bei den Genossen und der Gemeinde selbst bettelte, die einen verdienten Mann, oder auch eine verdiente Frau, nicht hungern lassen konnten, namentlich, wenn das verdienstvolle Mitglied propagandistische Gaben besaß, die damals freilich kein Wissen erforderten, das mühsam zu erlernen war, sondern bloß Temperament, Spitzfindigkeit und Schlagfertigkeit.

Schon Paulus streitet sich mit den Korinthern darüber herum, daß die Gemeinde verpflichtet sei, ihm wie jedem anderen Apostel die Handarbeit abzunehmen und ihn zu erhalten:

„Bin ich nicht frei, bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unseren Herrn Jesus gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? ... Steht mir nicht die Freiheit zu, eine Genossin als Weib mit mir herumzuführen, wie es die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas selbst getan haben? Oder sollen wir allein, ich und Barnabas, nicht berechtigt sein, ohne Handarbeit zu leben? ... Wer weidet die Herde und genießt nicht von ihrer Milch? ... Steht doch im Gesetz Mosis geschrieben: Du sollst dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden. Kümmert sich Gott etwa um die Ochsen, oder beziehen sich nicht überall seine Worte auf uns?“

Mit dem dreschenden Ochsen meint Gott uns, erklärt also Paulus. Natürlich handelt es sich hier nicht um Ochsen, die, leeres Stroh dreschen. Der Apostel fährt fort:

„Wenn wir unter euch das Geistige gesät haben, was ist es dann Großes, wenn wir euer fleischliches Gut ernten? Wenn andere an eurem Vermögen teilhaben, warum wir nicht noch mehr?“ (1. Korinther 9, 7 ff.)

Der letztere Satz deutet, beiläufig bemerkt, auch auf den kommunistischen Charakter der ersten christlichen Gemeinden hin.

Paulus bemerkt nach diesem Plädoyer für die gute Versorgung der Apostel zwar, er spreche hier nicht für sich, sondern für andere, er beanspruche nichts von den Korinthern. Aber er läßt sich dafür von anderen Gemeinden erhalten:

„Ich habe andere Gemeinden in Anspruch genommen und mir das Kostgeld (ὀψώνιον) von ihnen geben lassen, um euch zu dienen ... Meinen Mangel haben die Brüder, die aus Mazedonien kamen, gedeckt.“ (2. Korinther 11, 8)

Das ändert natürlich nichts daran, daß Paulus die Aufgabe der Gemeinde betonte, für ihre „Heiligen“ zu sorgen, die keine Verpflichtung auf Arbeit anerkannten.

Wie sich diese Art des christlichen Kommunismus im Kopfe der Ungläubigen malte, zeigt uns die Geschichte des Peregrinus Proteus, die Lucian im Jahre 165 niederschrieb. Der Spötter Lucian ist freilich kein unbefangener Zeuge, er berichtet viel bösartigen Klatsch sehr unwahrscheinlicher Natur, wenn er zum Beispiel erzählt, Peregrinus habe seine Vaterstadt Parium am Hellespont verlassen, weil er seinen Vater ermordete. Da nie eine Anklage vor Gericht deshalb erfolgte, ist die Sache zum mindesten sehr zweifelhaft.

Aber wenn wir von dem Bericht des Lucian die nötigen Abzüge machen, bleibt immer noch genug übrig, das bemerkenswert ist, weil es nicht bloß zeigt, wie dem Heidentum die christliche Gemeinde erschien, sondern auch Einblicke in deren wirkliches Leben gewährt.

Nachdem Lucian eine Reihe der größten Bosheiten über Peregrinus losgelassen, erzählt er, wie dieser nach der Ermordung seines Vaters sich selbst verbannte und in der Welt herumvagabundierte:

„Zu dieser Zeit lernte er auch die bewunderungswürdige Weisheit der Christen durch den Umgang mit ihren Priestern und Schriftgelehrten in Palästina kennen. Ihm gegenüber erschienen sie binnen kurzem wie die reinen Kinder, er wurde bei ihnen Prophet, Vorsteher ihrer Liebesmahle (ϑιασάρχης), Synagogenvorsteher (Lucian wirft Juden und Christen zusammen. – K.), alles in einer Person; einige Schriften erklärte er ihnen und legte sie aus, eine Menge verfaßte er selbst, kurz, sie hielten ihn für einen Gott, machten ihn zu ihrem Gesetzgeber und ernannten ihn zu ihrem Vorsteher. Jenen Großen, den in Palästina gekreuzigten Menschen, verehren sie freilich noch, weil er diese neue Religion (τελετήν) in die Welt einführte. [3] Aus diesem Grunde wurde Peregrinus damals festgenommen und ins Gefängnis geworfen, was ihm nicht geringes Ansehen für sein folgendes Leben, seine Aufschneiderei und Ruhmsucht brachte die bei ihm die herrschenden Leidenschaften waren.

„Als er im Kerker lag, setzten die Christen, weil sie die Sache für ein großes Unglück hielten, alle Mittel in Bewegung, um ihm zur Flucht zu verhelfen. Nachdem sie das für unmöglich erkann, ließen sie ihm jede erdenkliche Sorgfalt und Pflege angedeihen. Gleich vom frühen Morgen an konnte man alte Weiber, Witwen und Waisen am Gefängnis sitzen sehen, während ihre Vorsteher die Gefangenwärter bestachen und die Nacht bei ihm zubrachten. Mannigfache Speisen wurden ihm zugetragen, sie erzählten sich ihre heiligen Legenden, und der beste Peregrinus, so wurde er noch genannt, hieß bei ihnen ein neuer Sokrates. Selbst aus den asiatischen Städten kamen einige Abgesandte der christlichen Gemeinden, um ihn zu unterstützen, ihm vor Gericht beizustehen und ihn zu trösten. In solchen ihre Gemeinschaft betreffenden Fällen zeigen sie einen unglaublichen Eifer, sie sparen, kurz gesagt, nicht ihre Mittel. Auch Peregrinus erhielt damals von ihnen viel Geld wegen seiner Einkerkerung, und zog daraus nicht geringen Gewinn.

„Die traurigen Tröpfe leben nämlich in der Überzeugung, sie würden ganz unsterblich sein und ewig leben, weshalb sie den Tod verachten und ihn oft freiwillig suchen. Ferner beredete sie ihr erster Gesetzgeber, daß sie alle untereinander Brüder seien, wenn sie einmal die hellenischen Götter abgeschworen hätten, jenen ihren gekreuzigten Lehrer (σοφιστήν) anbeteten und nach seinen Gesetzen lebten; daher schätzen sie alles in gleicher Weise gering und halten es für Gemeingut (κοινὰ ἡγοῦνται) ohne einen genügenden Grund für diese Anschauung. Kommt nun zu ihnen ein gewandter Betrüger, der diese Sachlage zu benutzen versteht, so wird er binnen kurzem sehr reich, weil er die einfältigen Leute an der Nase herumzuführen versteht.“

Das ist natürlich nicht so wörtlich zu nehmen. Es steht wohl auf gleicher Höhe mit den Histörchen von den Schätzen, die sich die Agitatoren der Sozialdemokratie aus den Arbeitergroschen aufhäufen. Die christliche Gemeinde mußte reicher werden, als sie damals war, ehe man sich an ihr bereichern konnte. Aber daß sie für ihre Agitatoren und Organisatoren ausreichend sorgte, und daß skrupellose Burschen daraus Nuten ziehen konnten, wird wohl für jene Zeit schon zutreffen. Bemerkenswert ist das Zeugnis für den Kommunismus der Gemeinde.

Lucian fährt fort, der Statthalter von Syrien habe Peregrinus freigelassen, weil er ihm zu unbedeutend erschien. Peregrinus sei dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt, wo er sein väterliches Erbe ziemlich verwüstet fand. Immerhin blieb ihm noch eine bedeutende Summe, die seinen Anhängern ungeheuer hoch erschien, die selbst Lucian, der ihm so wenig wohl will, auf fünfzehn Talente (70.000 Mark) angibt. Diese schenkte er der Bevölkerung seiner Vaterstadt, wie Lucian angibt, sich von der Anklage des Vatermordes loszukaufen:

„Er trat in der Volksversammlung der Parier auf: er hatte schon langes Haar, trug einen schmutzigen Mantel, hatte sich einen Ranzen umgehängt, den Stock in der Hand und war überhaupt sehr theatralisch zurechtgemacht. In diesem Aufzug erschien er vor ihnen und sagte, das ganze Vermögen, das ihm sein seliger Vater hinterlassen habe, sei Volkseigentum. Wie das das Volk hörte, arme Leute, denen der Mund nach der Verteilung wässerte, schrien sie sofort, er allein sei ein Freund der Weisheit und des Vaterlands, er allein ein Nachfolger des Diogenes und Krates. Seinen Feinden aber war ein Maulkorb angelegt, und wenn einer an den Mord zu erinnern gewagt hätte, wäre er sogleich erschlagen worden.

„Er zog nun zum zweiten Male als Landstreicher aus, wobei ihn die Christen ausreichend mit Reisegeld versahen, die ihm überall hin folgten und ihn an nichts Mangel leiden ließen. Auf diese Weise schlug er sich eine Zeitlang durch.“ [4]

Schließlich aber wurde er aus der Gemeinde ausgeschlossen, angeblich, weil er verbotene Sachen gegessen. Dadurch war er seiner Existenzmittel beraubt und suchte daher wieder zu seinem Vermögen zu kommen, was ihm mißlang. Als zynischer und asketischer Bettelphilosoph durchstreifte er nun Ägypten, Italien, Griechenland, um schließlich in Olympia nach den Festspielen vor einem zu diesem Akte geladenen Publikum seinem Leben in theatralischer Weise dadurch ein Ende zu machen, daß er bei Mondschein um Mitternacht in einen brennenden Scheiterhaufen hineinsprang.

Man sieht, das Zeitalter, dem das Christentum entsproß, hat recht sonderbare Käuze produziert. Aber man täte Leuten wie Peregrinus wohl unrecht, wenn man sie rein nur als Schwindler betrachtete. Dagegen spricht schon sein freiwilliger Tod. Den Selbstmord als Mittel der Reklame zu verüben, dazu gehört jedenfalls neben ungemessener Eitelkeit und Sensationssucht doch auch ein Stück Weltverachtung und Ekel am Leben, oder Verrücktheit.

Mag aber der Peregrinus Proteus, wie ihn Lucian zeichnet, nicht der wirkliche sein, sondern eine Karikatur, so ist es jedenfalls eine geniale Karikatur.

Das Wesen der Karikatur besteht nicht in einfacher Verzerrung der Erscheinung, sondern in der einseitigen Hervorhebung und Übertreibung der charakteristischen und bestimmenden Momente. Der richtige Karikaturist darf nicht ein bloßer grotesker Possenreißer sein, er muß den Dingen auf den Grund sehen und das Wesentliche und Bedeutsame an ihnen klar erkennen.

So hat auch Lucian bei Peregrinus jene Seiten hervorgehoben, die für die ganze Klasse der „Heiligen und Vollkommenen“, als deren Repräsentant dieser auftritt, wichtig werden sollten. Sie mochten von den verschiedensten, teils erhabensten, teils verrücktesten Motiven geleitet werden, mochten sich selbst höchst selbstlos erscheinen, aber hinter ihrem ganzen Verhältnis zur Gemeinde lauerte schon deren Ausbeutung, die Lucian sah. Mochte die Bereicherung der besitzlosen „Heiligen“ durch den Kommunismus der Gemeinde in seinen Tagen noch eine Übertreibung sein, bald sollte sie zur Wirklichkeit werden, und schließlich zu einer Wirklichkeit, welche die gröbste Übertreibung des Verspotters ihrer Anfänge weit hinter sich ließ.

Wenn Lucian die „Reichtümer“ in den Vordergrund stellt, welche die Propheten erwarben, so spottet ein anderer Heide, ein Zeitgenosse Lucians, über ihre Verrücktheit.

Celsus schilderte, „wie in Phönizien und Palästina geweissagt wird“:

„Es gibt viele, die, obgleich sie Leute ohne Ruf und Namen sind, mit der größten Leichtigkeit und bei dem ersten besten Anlaß sowohl innerhalb der Heiligtümer als auch außerhalb derselben sich gebärden, als wären sie von prophetischer Ekstase ergriffen; andere, als Bettler umherschweifend und Städte und Kriegslager umziehend, bieten dasselbe Schauspiel. Einem jeden sind die Worte geläufig, ein jeder ist damit sofort bei der Hand: ‚Ich bin Gott‘, oder ‚Gottes Sohn‘, oder ‚Geist Gottes‘. ‚Ich bin gekommen, weil der Untergang der Welt schon im Anzug ist, und ihr Menschen fahret wegen eurer Ungerechtigkeit ins Verderben. Aber ich will euch retten, und ihr werdet mich bald wiederkommen sehen mit himmlischer Macht! Selig der, welcher mich jetzt ehrt! Alle übrigen werde ich dem ewigen Feuer übergeben, die Städte sowohl als die Länder und Menschen. Diejenigen, welche jetzt die ihnen bevorstehenden Strafgerichte nicht erkennen wollen, werden dereinst vergeblich anderen Sinnes werden und seufzen! Die aber, welche an mich geglaubt, die werde ich ewiglich bewahren!‘ Diesen großartigen Drohungen mischen sie dann doch seltsame, halbverrückte und absolut unverständliche Worte bei, deren Sinn kein noch so verständiger Mann herauszubringen vermag, so dunkel und nichtssagend sind sie; aber der erste beste Schwachkopf oder Gaukler vermag sie zu deuten, wie es ihm beliebt ... Diese angeblichen Propheten, die ich selbst mehr als einmal mit meinen Ohren gehört, haben, nachdem ich sie überführt, mir ihre Schwächen bekannt und eingestanden, daß sie ihre unfaßbaren Worte selbst erfunden hätten.“ [5]

Auch hier wieder die angenehme Mischung von Schwindler und Prophet, aber auch hier ginge man zu weit, wenn man das ganze Wesen ausschließlich als Schwindel bezeichnen würde. Es bezeugt nur einen allgemeinen Zustand der Bevölkerung, der Schwindlern ein gutes Operationsfeld bot, der aber auch wirkliche Schwärmerei und Ekstase in leicht erregbaren Gemütern erzeugen mußte.

Die Apostel wie die Propheten werden in dieser Beziehung von gleichem Kaliber gewesen sein. Aber in einem wesentlichen Umstand unterschieden sie sich: die Apostel hatten keinen festen Aufenthaltsort, zogen unstet umher, daher ihr Name, (ἀπόστολος, Bote, Reisender, Seefahrer); die Propheten dagegen bildeten die „Lokalgrößen“.

Das Aposteltum muß sich zuerst entwickelt haben. Solange eine Gemeinde klein war, vermochte sie nicht einen Agitator ständig zu erhalten. Sobald ihre Mittel zu seiner Erhaltung erschöpft waren, mußte er weiterziehen. Und solange die Zahl der Gemeinden gering war, kam es vor allem darauf an, neue Gemeinden in Städten zu gründen, wo es noch keine gab. Die Ausdehnung der Organisation in neue, noch nicht von ihr ergriffene Gebiete, und die Aufrechterhaltung des Zusammenhangs zwischen ihnen, das war die große Aufgabe dieser wandernden Agitatoren, der Apostel. Ihnen vor allem ist der internationale Charakter der christlichen Organisation zu danken, der so viel zu ihrer Lebensfähigkeit beitrug. Eine lokale Organisation konnte man vernichten, wenn sie auf sich allein gestellt war. Dagegen war es mit den damaligen Mitteln der Staatsgewalt kaum möglich, gleichzeitig an allen Ecken und Enden des Reiches alle christlichen Gemeinden zu verfolgen. Es blieben immer welche übrig, von denen den Verfolgten materielle Hilfe zufließen konnte, zu denen die Verfolgten sich flüchten konnten.

Das bewirkten vor allem die ewig wandernden Apostel, deren Anzahl zeitweise eine ziemliche Ausdehnung erreicht haben muß.

Lokale Agitatoren, die sich ausschließlich der Agitation widmeten, konnten erst aufkommen, nachdem einzelne Gemeinden einen solchen Umfang angenommen hatten, daß ihre Mittel ihnen erlaubten, solche Agitatoren ständig zu erhalten.

Je größer die Zahl der Städte, in denen christliche Gemeinden waren, und je umfangreicher die Gemeinden, desto mehr gediehen die Propheten, am so geringer wurde dagegen das Tätigkeitsfeld der Apostel, die ja hauptsächlich in den Städten gewirkt hatten, in denen es noch keine oder nur winzige Gemeinden gegeben hatte. Das Ansehen der Apostel mußte sinken.

Es mußte sich aber auch ein gewisser Gegensatz zwischen ihnen und den Propheten herausstellen. Denn die Mittel der Gemeinden waren beschränkt. Je mehr die Apostel davon für sich nahmen, desto weniger blieb für die Propheten übrig. Diese mußten daher danach streben, das ohnehin sinkende Ansehen der Apostel noch mehr zu verringern, die Gaben, die ihnen zuteil wurden, einzuschränken und andererseits das eigene Ansehen zu erhöhen und bestimmte Ansprüche auf die Gaben der Gläubigen zu fixieren.

Sehr gut treten diese Bestrebungen zutage in der von uns schon mehrfach zitierten „Lehre (Didache) der zwölf Apostel“, einer Schrift, die zwischen 135 und 170 abgefaßt wurde. Es heißt da:

„Jeder Apostel, der zu euch kommt, soll aufgenommen werden wie der Herr. Er wird aber nicht länger bleiben als einen Tag, wenn’s aber nötig ist auch einen zweiten. Bleibt er aber drei Tage, so ist er ein falscher Prophet. Wenn der Apostel aber weggeht, so soll er nichts empfangen außer so viel Brot, als er zur nächsten Nachtstation braucht. Verlangt er aber Geld, so ist er ein falscher Prophet.

„Jeden Propheten, der da im Geiste redet, versuchet nicht, noch prüfet ihn; denn jegliche Sünde wird vergeben werden, diese Sünde aber wird nicht vergeben werden. Nicht jeder aber, der im Geiste redet, ist ein Prophet, sondern nur, wenn er das Betragen des Herrn hat, an dem Betragen also wird der Prophet und der falsche Prophet erkannt werden. und kein Prophet, der, vom Geiste Gottes getrieben, eine Mahlzeit (für die Armen, Harnack) bestellt, ißt von ihr, es sei denn ein falscher Prophet. Jeder Prophet aber, der die Wahrheit lehrt, ist, wenn er nicht tut, was er lehrt, ein falscher Prophet. Jeder Prophet aber, erprobt und wahrhaftig, der in bezug auf das irdische Geheimnis der Kirche handelt, jedoch nicht lehrt, alles das zu tun, was er selbst tut, der soll bei euch nicht gerichtet werden; denn bei Gott hat er das Gericht. Ebenso haben nämlich die alten (christlichen) Propheten gehandelt.“

Daß in diesem Passus wahrscheinlich ein Hinblick auf die freie Liebe enthalten ist, die den Propheten gestattet werden soll, wenn sie nicht die Gemeinde zur Nachahmung ihres Beispiels auffordern, haben wir gesehen.

Es heißt weiter:

„Wer aber im Geiste sagt: gib mir Geld oder etwas anderes, den höret nicht; wenn er aber in bezug auf andere Notleidende zum Geben auffordert, soll ihn niemand richten. Jeder aber, der kommt im Namen des Herrn (also jeder Genosse – K.), werde aufgenommen; dann aber sollt ihr ihn prüfen und das Rechte und Falsche unterscheiden, denn ihr sollt Einsicht haben. Ist der Ankömmling ein Durchreisender, so helft ihm, er soll aber nicht länger als zwei bis drei Tage bei euch bleiben, wenn’s nötig ist. Will er sich aber bei euch niederlassen, so soll er arbeiten und essen, wenn er ein Handwerker ist. Versteht er aber kein Handwerk, so tragt nach eurer Einsicht Vorsorge, daß kein Christ als Fauler mit euch lebe. Will er sich aber nicht danach richten, so ist er einer, der aus Christus Gewinn zieht. Haltet euch fern von solchen.“

Man hielt es also schon für notwendig, dafür zu sorgen, daß die Gemeinde nicht von zuziehenden Bettlern überlaufen und ausgebeutet wurde. Doch nur für gewöhnliche Bettler soll das gelten:

„Jeder wahrhaftige Prophet aber, der sich bei euch niederlassen will, ist seiner Nahrung wert. Ebenso ist auch ein wahrhafter Lehrer wie jeder Arbeiter seiner Nahrung wert. Alle Erstlinge nun der Kelter und Tenne, der Rinder und Schafe sollst du nehmen und sie den Propheten geben, denn sie sind eure Hohepriester. Wenn ihr aber einen Propheten nicht habt, so gebt sie den Armen. Wenn du einen Teig machst, so nimm seinen Anbruch und gib ihn nach dem Gebot. Ebenso wenn du ein Wein- oder Ölgefäß öffnest, nimm den Anbruch und gib ihn den Propheten. Von Geld aber und Kleidung und jeglichem Besitz nimm den Anbruch nach deinem Ermessen und gib ihn nach dem Gebot.“

Die Apostel kommen in diesen Vorschriften sehr schlecht weg. Noch kann man sie nicht einfach unterdrücken. Aber die Gemeinde, in der sie sich zeigen, soll sie so schnell wie möglich abschieben. Wenn der gewöhnliche durchwandernde Genosse zwei bis drei Tage lang Anspruch auf Unterstützung durch die Gemeinde hat, so der arme Teufel von Apostel nur ein bis zwei Tage. und Geld darf er absolut keines bekommen.

Der Prophet dagegen ist „seine Nahrung wert!“ Er muß aus der Gemeindekasse erhalten werden. Außerdem aber sind die Gläubigen verpflichtet, ihm alle Erstlinge abzuliefern von Wein und Brot und Fleisch, von Öl und Tuch, ja selbst von dem Geldeinkommen.

Das paßt ganz gut zu der Schilderung, die Lucian gerade zur Zeit der Entstehung der Didache vom Wohlleben des Peregrinus entwirft, der sich auch als Prophet aufgetan hatte.

Während die Propheten aber so die Apostel zurückdrängten, erstand ihnen selbst eine neue Konkurrenz in den Lehrern, die zur Zeit der Abfassung der Didache freilich noch keine große Bedeutung haben mochten, denn sie werden nur kurz erwähnt.

Neben diesen dreien waren noch andere Elemente in der Gemeinde tätig, die in der Didache nicht genannt werden. Paulus in dem ersten Brief an die Korinther (12, 28) erwähnt sie alle:

„Die einen hat Gott eingesetzt erstens als Apostel, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer, dann für Wunder, Gaben der Heilung, der Hilfeleistung, der Verwaltung, des Zungenredens.“

Davon sind die Gaben der Hilfeleistung und Verwaltung sehr wichtig geworden, nicht aber die der Quacksalberei und Kurpfuscherei, die innerhalb der Gemeinde wohl keine Formen annahmen, welche sie von deren allgemein verbreiteten Formen zu jener Zeit unterschieden hätten. Das Aufkommen der Lehrer hängt zusammen mit dem Eindringen wohlhabender und gebildeter Elemente in die Gemeinde. Die Apostel und Propheten waren unwissende Leute, die ohne jedes Studium in den Tag hineinredeten. Darüber mochten die Gebildeten bloß die Nasen rümpfen. Bald fanden sich Leute unter diesen, die, entweder von der Liebestätigkeit des Gemeindeorganismus oder von seiner Macht, vielleicht auch von dem allgemeinen Charakter der christlichen Lehre angezogen, es versuchten, die letztere auf eine höhere Stufe dessen zu heben, was damals die Wissenschaft bedeutete, was freilich nicht mehr viel war. Das wurden die Lehrer. Sie erst suchten das Christentum mit dem Geist eines Seneka oder Philo zu erfüllen, von dem es bis dahin recht wenig an sich gehabt haben dürfte.

Von der Masse in den Gemeinden und ebenso wohl auch von der Mehrzahl der Apostel und Propheten wurden sie jedoch mit Mißgunst und Neid betrachtet; es war das vielleicht ein Verhältnis ähnlich dem zwischen der „schwieligen Arbeiterfaust“ und den „Akademikern“. Trotzdem wären die Lehrer mit dem Zunehmen der wohlhabenden und gebildeten Elemente in der Gemeinde immer mehr zu Ansehen gekommen und hätten den Propheten und Aposteln schließlich ein Ende bereitet.

Aber ehe es so weit kam, wurden alle drei Kategorien aufgesogen von einer Macht, die gewaltiger wurde als sie alle, die aber in der Didache erst nebenbei erwähnt wird: dem Bischof.


d. Der Bischof

Wie bei jeder Neugründung einer proletarischen Vereinigung ging es auch bei den Anfängen der christlichen Gemeinden. Ihre Begründer, die Apostel, mußten alle Arbeit in der Gemeinde selbst verrichten, die der Propaganda, sowie der Organisation und Verwaltung. Aber wenn die Gemeinde länger dauert und wächst, macht sich das Bedürfnis nach Arbeitsteilung bemerkbar, die Notwendigkeit, einzelne Funktionen bestimmten Vertrauensmännern zuzuweisen.

Zuerst war es die Verwaltung des Einkommens und der Ausgaben der Gemeinde, was zu einem bestimmten Gemeindeamt wurde.

Die Propaganda konnte jeder einzelne Genosse nach Gutdünken betreiben. Selbst jene, die sich ihr ausschließlich widmeten, wurden noch im zweiten Jahrhundert, wie wir eben gesehen, nicht von der Gemeinde damit beauftragt. Apostel und Propheten ernannten sich selbst zu ihrem Berufe oder, wie es ihnen erschien, es war allein Gottes Stimme, der sie folgten. Das Ansehen, das der einzelne Propagandist, ob Apostel oder Prophet, in der Gemeinde genoß und ebenso wohl auch die Höhe seines Einkommens hing von dem Eindruck ab, den er machte, also von seiner Persönlichkeit.

Andererseits war die Aufrechterhaltung der Parteidisziplin, wenn man es so nennen darf, etwas, was die Gemeinde selbst besorgte, solange sie klein war und alle Mitglieder einander genau kannten. Sie selbst entschied über die Aufnahme neuer Mitglieder; wer die Aufnahmszeremonie, das Tauchbad, an ihnen vollzog, war gleichgültig. Sie selbst entschied über Ausschließungen, sie selbst hielt den Frieden unter den Genossen aufrecht, entschied alle Streitigkeiten, die unter ihnen auftauchen mochten. Sie war das Tribunal, vor das alle Anklagen von Genossen gegen Genossen zu bringen waren. Gegenüber den staatlichen Gerichten hatten die Christen ein nicht geringeres Mißtrauen, wie heute die Sozialdemokraten. Auch standen ihre gesellschaftlichen Anschauungen in schärfstem Gegensatz zu denen der staatlichen Richter. Vor einen solchen zu gehen, um sein Recht zu suchen, hätte ein Christ für eine Sünde gehalten, namentlich wenn es galt, einen Streit mit einem Genossen auszufechten. Damit war der Keim gelegt zu jener besonderen richterlichen Gewalt, welche die Kirche über ihre Gläubigen stets in Anspruch genommen hat gegenüber den staatlichen Gerichten. Freilich hat sich auch hier später der ursprüngliche Charakter der Rechtsprechung in sein volles Gegenteil verkehrt, denn sie bedeutete in den Anfängen der christlichen Gemeinde die Aufhebung jeder Klassenjustiz, die Richtung des Angeklagten durch seine Genossen.

In dem ersten Briefe Pauli an die Korinther (6, 1 ff.) heißt es:

„Bringt es einer von euch über sich, wenn er eine Streitsache mit einem anderen hat, sein Recht bei den Ungerechten zu suchen und nicht bei den Heiligen (das heißt den Genossen)? Aber wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden? Wenn euch denn das Gericht über die Welt zusteht, seid ihr nicht würdig, Gericht zu halten über die geringfügigsten Ding? Wisset ihr nicht, daß wir über Engel richten sollen? Warum denn nicht über Mein und Dein? Wenn ihr über Mein und Dein Rechtshändel habt, ruft ihr Leute zu Richtern an, die ihr verachtet?“

Die Aufrechterhaltung der Disziplin und des Friedens in der Gemeinde war im Anfang ebenso formlos und an kein bestimmtes Amt und keinen Instanzenzug gebunden, wie die Propaganda.

Dagegen der ökonomische Faktor bedurfte frühzeitig einer Regelung, so mehr, da die Gemeinde keine bloße Propagandagesellschaft, sondern von Anfang an auch eine Unterstützungsvereinigung auf Gegenseitigkeit war.

Nach der Apostelgeschichte machte sich schon frühzeitig in der Gemeinde Jerusalems das Bedürfnis fühlbar, eigene Genossen mit der Sammlung und Verteilung der Mitgliedergaben zu beauftragen, namentlich mit der Verteilung der Speisen bei Tisch. Diakoneo (διακονέω) bedeutet bedienen, in erster Linie aber aufwarten bei Tisch. Das war offenbar ursprünglich das Hauptgeschäft der Diakone, wie die gemeinsame Mahlzeit die wichtigste Betätigung des urchristlichen Kommunismus war.

Die Apostelgeschichte berichtet:

„In diesen Tagen aber entstand bei der Vermehrung der Jünger ein Murren der hellenischen Genossen gegen die hebräischen, weil jener Witwen bei den täglichen Mahlzeiten vernachlässigt wurden (παρεϑεωροῦντο ἐν τῂ διακονίᾳ). Die Zwölf (Apostel, tatsächlich waren es damals nur elf, wenn wir die Erzählungen der Evangelien alle für bare Münze nehmen) beriefen die Versammlung der Jünger ein und sprachen: ‚Es ist nicht gut, daß wir das Verkünden des Wortes Gottes vernachlässigen müssen, um bei Tisch zu bedienen. Seht euch also nach sieben bewährten Männern um aus eurer Mitte, voll Verstand und Weisheit, die wir für dies Geschäft aufstellen wollen‘“ (6, 1 bis 3).

So geschah es nach dem Bericht, und ähnlich wird es auch wirklich gewesen sein, das liegt in der Natur der Sache.

Die Apostel wurden also vom Kellnerdienst im Volkshaus enthoben, den sie ursprünglich neben der Propaganda hatten versehen müssen, und der ihnen lästig geworden war, als die Gemeinde wuchs. Aber auch unter den nun eingesetzten Aufwärtern, Diakonen, mußte es bald zu einer Arbeitsteilung kommen. Die Bedienung bei Tisch und sonstige Aufwarte- und Reinigungsarbeit war ein ganz anderes Geschäft, als das Sammeln und Verwalten der Mitgliederbeiträge. Das letztere bedeutete einen Vertrauensposten ersten Ranges, namentlich wenn die Gemeinde wuchs und ihr größere Einnahmen zufloßen. Dieser Posten erforderte ein hervorragendes Maß von Redlichkeit, Geschäftskenntnis und Güte, die sich nötigenfalls auch mit Strenge zu paaren wußte.

Über die Diakonen wurde daher ein Verwalter gesetzt.

Die Einsetzung eines solchen Verwalters lag in der Natur der Sache.,Jede Genossenschaft, die ein Vermögen oder Einkommen besitzt, muß einen haben. Bei den Genossenschaften und Vereinen Kleinasiens führten ihre Verwaltung·~und Finanzbeamten den Titel Epimeletes oder Episkopos (ἐπισκοπος, Beobachter, Aufseher). Derselbe Name wurde auch bei städtischen Behörden für gewisse Verwaltungsbeamte gebraucht. Hatch, der diese Entwicklung eingehend verfolgt und in einem Buch dargestellt hat, dem wir für diesen Gegenstand sehr viel verdanken [6], zitiert einen römischen Juristen, Charisius, der sagt: „Episkopi (Bischöfe) sind jene, die das Brot und die übrigen käuflichen Dinge überwachen, die dem Stadtvolk zum täglichen Lebensunterhalt dienen.“

Der städtische Bischof war also ein Verwaltungsbeamter, der vornehmlich für die richtige Ernährung der Bevölkerung zu sorgen hatte. Es lag nahe, den, gleichen Titel dem Verwalter des christlichen „Volkshauses“ zu geben.

Wir haben schon oben von der gemeinsamen Kasse der Gemeinde gelesen, von der Tertullian berichtet. Daß ihre Verwaltung einem besonderen Vertrauensmann übergeben war, erfahren wir aus der ersten Apologie Justins des Märtyrers (geb. um das Jahr 100 n. Chr.). Es heißt da:

„Die Vermögenden und Willigen geben nach Belieben etwas von dem Ihrigen, das gesammelt und beim Vorsteher niedergelegt wird, der unterstützt damit die Waisen und Witwen, die wegen Krankheit oder sonstiger Ursache in Not Befindlichen, die Gefangenen und zugereisten Fremden und nimmt sich überhaupt aller Bedürftigen an.“

Viel Arbeit, viel Verantwortung, aber auch viel Macht ward so in die Hände des Bischofs gelegt.

In den Anfängen der Gemeinde war das Amt des Bischofs wie das seiner Helfer und sonstigen Gemeindefunktionäre ein Ehrenamt, das ohne Entgelt neben der Erwerbsarbeit besorgt wurde.

„Die Bischöfe und Presbyter von damals trieben Bankgeschäfte, praktizierten als Ärzte, arbeiteten als Silberschmiede, hüteten die Schafe und verkauften ihre Erzeugnisse auf offenem Markt ... Die wichtigsten uns noch erhaltenen Bestimmungen der alten Provinzialsynoden in bezug auf sie sind, daß die Bischöfe ihre Waren nicht von Markt zu Markt ziehend verhökern und daß sie nicht ihre Stellung ausnutzen sollten, um billiger zu kaufen und teurer zu verkaufen als die übrigen.“ [7]

Sobald aber eine Gemeinde wuchs, wurde es unmöglich, ihre zahlreichen wirtschaftlichen Funktionen im Nebenamt zu versehen. Man machte aus dem Bischof einen Angestellten der Gemeinde, der von ihr eine Entlohnung erhielt.

Damit wurde aber auch sein Verbleiben im Amt ein ständiges. Wohl hatte die Gemeinde das Recht, ihn jederzeit abzusetzen, wenn er ihren Forderungen nicht entsprach. Aber es ist klar, daß man einen Mann, den man aus seinem Beruf herausgerissen hatte, nicht gern ohne Not aufs Pflaster setzte. Andererseits erforderte die Besorgung der Gemeindegeschäfte eine ziemliche Gewandtheit und Vertrautheit mit den Gemeindeverhältnissen, die man nur durch längere Tätigkeit im Amt erwarb. Es lag daher im Interesse der glatten Abwicklung der Gemeindegeschäfte selbst, jeden unnötigen Wechsel in der Besetzung des Bischofsamtes zu vermeiden.

Je länger aber der Bischof in seinem Amte verblieb, desto mehr mußte sein Ansehen und seine Macht zunehmen, wenn er seiner Aufgabe gewachsen war.

Er blieb nicht der einzige ständige Beamte der Gemeinde. Auch das Amt der Diakonen konnte auf die Dauer nicht nebenher versehen werden. Sie wurden gleich dem Bischof aus der Gemeindekasse bezahlt, bildeten aber dessen Untergebene. Der Bischof hatte mit ihnen zu wirtschaften, schon deswegen beachtete man bei ihrer Wahl vor allem seine Empfehlung. So kam er dazu, Ämter in der Gemeinde zu vergeben, was seinen Einfluß steigern mußte.

Wenn sich die Gemeinde ausdehnte, wurde es auch unmöglich, daß sie selbst für ihre Disziplin sorgte. Nicht nur die Zahl ihrer Mitglieder wuchs, auch die Art ihrer Elemente wurde verschiedenartiger. Hatten anfangs alle eine Familie gebildet, in der jeder alle anderen Genossen genau kannte, die im Fühlen und Denken miteinander vollständig vertraut waren und die wohl auch eine Elite opferfreudiger Enthusiasten bildeten, so hörte das um so mehr auf, je größer die Gemeinde wurde. Die mannigfachsten Elemente drangen in sie ein, Elemente aus verschiedenen Klassen und Gegenden, die einander oft fremdartig und verständnislos, mitunter sogar gegensätzlich gegenüberstanden – etwa Sklaven und Sklavenbesitzer –; dazu Elemente, die nicht von Enthusiasmus, sondern von schlauer Berechnung getrieben wurden, um die Leichtgläubigkeit und Opferfreudigkeit der Genossen für sich auszubeuten. Dazu kamen Differenzen der Anschauungen – alles das mußte Streitigkeiten aller Art hervorrufen, oft Streitigkeiten, die sich nicht ohne weiteres durch eine Aussprache in der Gemeindeversammlung entscheiden ließen, die längere Untersuchungen des Sachverhalts nötig machten.

So wurde ein. Kollegium, das der Ältesten oder Presbyter, mit der Aufgabe betraut, die Disziplin in der Gemeinde zu wahren und Streitigkeiten in ihrer Mitte zu schlichten, über den Ausschluß von unwürdigen Mitgliedern vor der Gemeinde zu referieren, wohl auch über die Aufnahme neuer Mitglieder, an denen sie dann die Zeremonie der Aufnahme, die Taufe, zu vollziehen hatten.

Der Bischof, der alle Gemeindeverhältnisse aufs genaueste kannte, war der gegebene Vorsitzende dieses Kollegiums. Er bekam dadurch Einfluß auch auf die Sittenpolizei und die Jurisdiktion der Gemeinde: Wo die Presbyter (woraus das Wort Priester entstanden ist) infolge des Wachstums der Gemeinde zu ständigen, bezahlten Gemeindebeamten wurden, kamen sie gleich den Diakonen unter die Obergewalt des Führers der Gemeindekasse, des Bischofs.

In einer Großstadt wurde die Gemeinde leicht so stark, daß ein einziges Gebäude nicht hinreichte, ihre Versammlung zu fassen. Sie wurde in Bezirke geteilt; in jeder Bezirksversammlung hatte ein Diakon die Genossen zu bedienen, ein Presbyter wurde vom Bischof delegiert, die Versammlung zu leiten und ihn zu vertreten. Ähnlich hielt man es mit den Vorstädten und Dörfern. Wo sie an eine Gemeinde grenzten, wie die Roms oder Alexandriens, da war der Einfluß der letzteren überwältigend, da gerieten die benachbarten Gemeinden von selbst unter den Einfluß der Großstadt und ihres Bischofs, der ihr seine Diakone und Presbyter schickte.

So bildete sich nach und nach eine Gemeindebureaukratie mit dem Bischof an der Spitze, die immer selbständiger und machtvoller wurde. Man mußte das größte Ansehen in der Gemeinde genießen, um zu einem so viel umworbenen Posten erwählt zu werden. Hatte man ihn gewonnen, dann verlieh er so viel Macht, daß bei einiger Klugheit und Tüchtigkeit der Wille des Bischofs, dessen Tendenzen sich ja von vornherein mit denen der Mehrheit seiner Gemeinde gedeckt hatten, namentlich in Personenfragen immer mehr der entscheidende wurde.

Das führte dahin, daß schließlich unter seine Oberhoheit nicht bloß Personen kamen, die in der Gemeindeverwaltung beschäftigt waren, sondern auch solche, die sich mit der Propaganda und der Theorie befaßten.

Wir haben gesehen, wie im zweiten Jahrhundert die Apostel durch die Propheten zurückgedrängt wurden. Beide aber, Apostel wie Propheten, mochten nicht selten in Konflikt mit dem Bischof kommen, der dann wohl nicht zögerte, sie seine finanzielle und moralische Macht fühlen zu lassen. Es fiel ihm jedenfalls nicht schwer, Aposteln und Propheten, aber auch Lehrern den Aufenthalt in der Gemeinde zu verekeln, sobald sie Tendenzen vertraten, welche ihm nicht paßten. Und das mochte namentlich bei den Aposteln und Propheten nicht selten vorkommen.

Zu Bischöfen, das heißt zu Kassenmenschen, wählte man naturgemäß mit Vorliebe nicht weltfremde Enthusiasten, sondern nüchterne, geschäftskundige Praktiker. Diese wußten den Wert des Geldes, also auch den Wert zahlreicher wohlhabender Gemeindemitglieder sehr wohl zu schätzen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß sie es vor allem waren, die den opportunistischen Revisionismus in der christlichen Gemeinde vertraten, daß sie dahin arbeiteten, den Haß gegen die Reichen in der Gemeinde zu mildern, die Lehren der Gemeinde in einer Weise abzuschwächen, die den Reichen den Aufenthalt in ihr angenehmer gestaltete.

Die Reichen, das waren damals auch die Gebildeten. Die Gemeinde den Bedürfnissen der Reichen und Gebildeten anpassen, hieß den Einfluß der Apostel und Propheten zurückdrängen und deren Tendenzen ad absurdum führen, sowohl die Tendenzen jener, die aus bloßem Knotentum, wie auch die jener selbstlosen Elemente, die aus Enthusiasmus den Reichtum mit vollstem Hasse bekämpften, um so mehr bekämpften, wenn sie als ehemals Reiche ihren ganzen Besitz der Gemeinde hingegeben hatten, um ihr hohes kommunistisches Ideal zu verwirklichen.

In dem Kampfe zwischen Rigorismus und Opportunismus siegte der letztere, siegten also die Bischöfe über die Apostel und Propheten, deren Bewegungsfreiheit, ja deren Existenzmöglichkeit in der Gemeinde zusehends abnahm. An ihre Stelle traten immer mehr Gemeindebeamte. Da ursprünglich jeder Genosse das Recht besaß, in der Gemeindeversammlung das Wort zu ergreifen und propagandistisch tätig zu sein, konnten auch Gemeindebeamte eine solche Tätigkeit entfalten, und sie werden es in hervorragendem Grade getan haben. Es ist klar, daß Genossen, die aus der anonymen Masse als bekannte Redner hervorragten, eher in Gemeindeämter gewählt wurden als völlig unbekannte. Andererseits mochte man aber auch von den Gewählten neben ihrer administrativen und richterlichen Arbeit propagandistische Tätigkeit fordern. Bei manchen Verwaltungsbeamten trat diese letztere Tätigkeit mehr in den Vordergrund als ihre ursprüngliche Amtstätigkeit, wenn das Wachstum der Gemeinde neue Organe schuf, welche die anderen entlasteten. So konnten vielfach die Diakonen sich mehr der propagandistischen Tätigkeit widmen, wenn ihre Funktionen in großen Gemeinden durch besondere Krankenhäuser, Waisenhäuser, Armenhäuser, Gasthäuser für zuwandernde Genossen abgelöst wurden.

Andererseits wurde es gerade durch das Wachstum der Gemeinde und ihrer wirtschaftlichen Funktionen notwendig, ihren Beamten eine Vorbildung für ihr Amt zuteil werden zu lassen. Es wäre jetzt zu kostspielig und gefährlich gewesen, hätte mai1 es jedem überlassen, erst durch seine Erfahrungen in der Praxis klug zu werden. Der Nachwuchs an Gemeindebeamten wurde im Hause des Bischofs herangezogen und dort mit den Obliegenheiten der Kirchenämter vertraut gemacht. Wo die Beamten neben ihren Amtsgeschäften auch die Propaganda zu pflegen hatten, lag es nahe, sie im bischöflichen Hause auch dazu heranzubilden, sie in den Lehren der Gemeinde zu unterrichten.

So wurde der Bischof das Zentrum nicht bloß der wirtschaftlichen, sondern auch der propagandistischen Tätigkeit der Gemeinde, auch diesmal mußte sich die Ideologie vor der Ökonomie beugen.

Es bildete sich jetzt eine offizielle, von der Gemeindebureaukratie anerkannte und verbreitete Lehre, die immer gewaltsamer jegliche von ihr abweichenden Anschauungen mit allen ihr zu Gebote stehenden Machtmitteln unterdrückte.

Damit sei nicht gesagt, daß sie stets bildungsfeindlich war.

Die Tendenzen, denen die Bischöfe entgegenwirkten, waren die des ursprünglichen staats- und besitzfeindlichen proletarischen Kommunismus. Entsprechend der Unwissenheit der unteren Volksschichten, ihrer Leichtgläubigkeit, der Unvereinbarkeit ihrer Erwartungen mit der Wirklichkeit, waren gerade diese Tendenzen mit besonderer Wundergläubigkeit und Überspanntheit verknüpft. Wie viel auch die offizielle Kirche auf diesem Gebiet leisten mochte, die von ihr verfolgten Sekten der ersten Jahrhunderte leisteten noch ein Erkleckliches mehr an Verrücktheit.

Die Sympathie mit den Unterdrückten, die Abneigung gegen jede Unterdrückung darf uns nicht verleiten, in jeder Opposition gegen die offizielle Kirche, in jeder Ketzerei gleich eine höherstehende Auffassung zu erblicken.

Die Bildung einer offiziellen Glaubenslehre der Kirche wurde noch durch andere Umstände gefördert.

Wir sind über die Glaubenslehren der ersten Anfänge der christlichen Gemeinde mir schlecht unterrichtet. Nach verschiedenen Anzeichen zu urteilen, waren sie nicht sehr umfassend und sehr einfacher Natur. Auf keinen Fall darf man annehmen, daß sie bereits alles enthielten, was später die Evangelien als Lehre Jesu hinstellten.

Wenn wir zur Not als wahrscheinlich annehmen dürfen, daß Jesus gelebt hat und gekreuzigt wurde, wahrscheinlich wegen eines Aufstandsversuchs, so ist das so ziemlich alles, was wir von ihm wissen. Was über seine Lehre berichtet wird, ist so wenig bezeugt, so widerspruchsvoll und dabei so wenig originell, sind so sehr allgemeine Sittensprüchlein, die damals in vieler Leute Munde waren, daß daraus nicht das mindeste mit Sicherheit auf Jesu wirkliche Lehre zurückzuführen ist. Wir wissen über diese gar nichts.

Um so mehr haben wir das Recht, uns die Anfänge der christlichen Gemeinden etwa nach den Anfängen der sozialistischen Vereinigungen vorzustellen, mit denen sie auch sonst zahlreiche Ähnlichkeiten aufweisen. Blicken wir auf diese Anfänge, so finden wir nirgends eine übermächtige Persönlichkeit, deren Lehre für den weiteren Verlauf der Bewegung maßgebend wird, sondern ein chaotisches Gären, ein unsicheres, instinktmäßiges Suchen und Tasten zahlreicher Proletarier, von denen keiner den anderen erheblich überragt, die alle im großen und ganzen von denselben Tendenzen getrieben werden, im einzelnen aber oft auf die größten Absonderlichkeiten kommen. Ein solches Bild bieten zum Beispiel die Anfänge der proletarisch-sozialistischen Bewegung in den dreißiger und vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. So hatte der Bund der Gerechten, der spätere Kommunistenbund, schon eine erhebliche Laufbahn hinter sich, ehe Marx und Engels ihm mit dem Kommunistischen Manifest eine bestimmte theoretische Grundlage verliehen. Und dieser Bund selbst wieder war nur die Fortsetzung noch früherer proletarischer Strömungen in Frankreich und England. Ohne Marx und Engels wäre seine Lehre noch lauge im Stadium des Gärungsprozesses geblieben. Die beiden Väter des Kommunistischen Manifestes aber konnten ihre überragende und bestimmende Position nur gewinnen dank ihrer Beherrschung der Wissenschaft, die ihre Zeit bot.

Nichts deutet darauf hin, im Gegenteil, es wird direkt ausgeschlossen, daß an der Wiege des Christentums eine wissenschaftlich tiefer gebildete Persönlichkeit gestanden wäre. Von Jesus wird ausdrücklich gesagt, er habe an Bildung seine Genossen, die einfachsten Proletarier, nicht überragt. Nicht auf sein überlegenes Wissen, sondern auf seinen Märtyrertod und seine Auferstehung weist Paulus hin. Dieser Tod war es, was tiefen Eindruck auf die Christen machte.

Dem entspricht auch die Art des Lehrens im ersten Jahrhundert des Christentums.

Die Apostel und Propheten geben keine bestimmte Lehre wieder, die sie von anderen überkommen haben, sie sprechen, wie sie der Geist treibt. Die verschiedensten Anschauungen werden laut, Zank und Streit erfüllt die ersten Gemeinden.

Paulus schreibt an die Korinther:

„Das aber kann ich nicht loben, daß eure Zusammenkünfte nicht zum Guten, sondern zum Schlimmen führen. Fürs erste höre ich, daß es Zwistigkeiten (σχίσματα) euch gibt, wenn ihr Versammlung haltet, und zum Teil glaube ich das. Es muß verschiedene Richtungen unter euch geben, damit die Echten (δόκιμοι) unter euch offenbar werden.“ (1. Korinther 11, 17, 18)

Diese Notwendigkeit der verschiedenen Richtungen, Häresien (Paulus gebraucht dafür das Wort αἱρέσεις) innerhalb der Gemeinde sah die spätere offizielle Kirche durchaus nicht ein.

Im zweiten Jahrhundert hört das unbestimmte Suchen und Tasten auf. Die Gemeinde hat eine Geschichte hinter sich. Und im Laufe dieser Geschichte haben sich bestimmte Glaubenssätze durchgerungen und Anerkennung bei der großen Masse der Genossen erlangt. Jetzt dringen aber auch die Gebildeten in die Gemeinde ein, die einerseits die Geschichte der Bewegung und deren Glaubenssätze, die ihnen mündlich mitgeteilt werden, schriftlich fixieren und damit vor weiteren Umwandlungen bewahren; die andererseits die naive Lehre, welche sie vorfinden, auf die freilich recht geringe Höhe des Wissens ihrer Zeit erheben, sie mit ihrer Philosophie erfüllen, dadurch auch für die Gebildeten schmackhaft machen und gegen die Einwände der heidnischen Kritik wappnen wolle.

Wer jetzt als Lehrer in der christlichen Gemeinde auftreten wollte, mußte über ein bestimmtes Wissen verfügen. Die Apostel und Propheten konnten nicht mehr mit, die einfach über die Sündhaftigkeit der Welt gedonnert und deren baldigen Zusammenbruch geweissagt hatten.

So wurden die armen Teufel von Aposteln und Propheten von allen Seiten bedrängt und eingeengt. Ihre Zwergbetriebe mußten schließlich dem ungeheuren Apparat der christlichen Bureaukratie unterliegen. Sie verschwanden. Die Lehrer aber wurden ihrer Freiheit beraubt und dem Bischof untergeordnet. Bald wagte in der Gemeindeversammlung, der Kirche [8], niemand mehr zu reden, dem nicht der Bischof dazu die Befugnis erteilt hatte. Das heißt niemand außer der vom Bischof dirigierten Gemeindebureaukratie, dem Klerus [9], der sich immer mehr von der Masse der Genossen, den Laien [10], absonderte und über sie erhob. Das Bild vom Hirten und der Herde bürgert sich ein, und zwar wird unter der Herde eine solche geduldiger Schafe verstanden, die sich widerstandslos treiben und scheren lassen. Der Oberhirt aber ist der Bischof.

Der internationale Charakter der Bewegung trug noch weiter dazu bei, die Macht des Bischofs zu steigern. Ehedem waren es die Apostel gewesen, die den internationalen Zusammenhang der einzelnen Gemeinden durch ihr stetes Wandern aufrechterhalten hatten. Je mehr das Aposteltum zurücktrat, desto wichtiger wurde es, andere Mittel des Zusammenhaltens und der Verständigung der Gemeinden zu finden. Tauchten Streitfragen auf oder wurde ein gemeinsames Vorgehen oder eine gemeinsame Regelung in irgend einer Angelegenheit erforderlich, dann traten jetzt Kongresse von Delegierten der Gemeinden zusammen, Provinzial-, aber auch schon Reichskongresse, seit dem zweiten Jahrhundert.

Anfangs dienten diese Zusammenkünfte bloß der Besprechung und Verständigung. Sie konnten nicht Beschlüsse mit zwingender Gewalt fassen. Jede einzelne Gemeinde fühlte sich sounerän. Noch Cyprian, in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts, verkündete die absolute Unabhängigkeit jeder Gemeinde. Aber es ist klar, daß die Majorität von vornherein das moralische Übergewicht für sich hatte. Nach und nach wurde dies Übergewicht zwingend, die Beschlüsse der Majorität erlangten für die Gesamtheit der vertretenen Gemeinden bindende Kraft, diese verschmolzen zu einem einheitlichen, geschlossenen Körper. Was die einzelne Gemeinde an Bewegungsfreiheit dadurch verlor, gewann die Gesamtheit nun an Kraft.

So wurde die katholische Kirche geschaffen. [11] Gemeinden, die sich den Beschlüssen der Kongresse (Synoden, Konzilien) nicht fügen wollten, mußten aus dem katholischen Kirchenverband austreten, wurden von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Der einzelne aber, der aus seiner Gemeinde ausgeschlossen wurde, fand nun nicht mehr Aufnahme in anderen Gemeinden, er war ans der Gesamtheit der Gemeinden ausgeschlossen. Und die Wirkung der Ausschließung, Exkommunikation, wurde jetzt erheblich härter.

Die Befugnis, Mitglieder, die den Zwecken der Gemeinschaft widerstreben, aus ihr auszuschließen, war das gute Recht der Kirche, solange sie eine besondere Partei oder Genossenschaft neben vielen anderen Parteien und Genossenschaften innerhalb des Staates bildete, die besondere Zwecke verfolgte. Sie hätte diese ja nicht erreichen können, wenn sie sich des Rechtes begeben hätte, jeden aus ihrer Mitte auszuschließen, der ihnen widerstrebte.

Anders gestalteten sich die Dinge, als die Kirche zu einer Organisation wurde, die den ganzen Staat ausfüllte, ja die ganze europäische Gesellschaft, von der die Staaten nur einzelne Teile bildeten. Der Ausschluß aus der Kirche wurde jetzt gleichbedeutend mit dem Ausschluß aus der menschlichen Gesellschaft, er konnte gleichbedeutend werden mit einem Todesurteil.

Die Möglichkeit des Ausschlusses von Mitgliedern, die die Zwecke der Gemeinschaft nicht anerkennen, ist unerläßlich für die Bildung und das erfolgreiche Wirken von besonderen Parteien im Staate, also für ein reges und fruchtbares politisches Leben, für eine kraftvolle politische Entwicklung; sie wird dagegen zu einem Mittel, jede Parteibildung zu hindern, jedes politische Leben, jede politische Entwicklung unmöglich zu machen, wenn sie, statt von einzelnen Parteien im Staate, von diesem selbst oder einer Organisation, die ihn ausfüllt, gebraucht wird. Aber es ist eine Sinnlosigkeit, wenn man die Forderung der vollen Meinungsfreiheit für alle Mitglieder der Gemeinschaft, die jede demokratische Partei an den Staat stellen muß, auch an die einzelnen Parteien stellt. Eine Partei, die alle Meinungen in ihren Reihen duldet, hört auf, eine Partei zu sein. Der Staat dagegen, der bestimmte Meiningen verfolgt, wird dadurch selbst Partei. Was die Demokratie zu fordern hat, ist nicht, daß die Parteien aufhören, Parteien zu sein, sondern daß der Staat aufhört, Partei zu sein.

Gegen die Exkommunikationen der Kirche läßt sich vom demokratischen Standpunkt dann an sich nichts einwenden, wenn die Kirche nur eine unter mehreren Parteien bildet. Wer nicht an die Lehrsätze der Kirche glaubt, sich ihren Satzungen nicht fügen will, gehört nicht in sie hinein. Die Demokratie hat keine Ursache, von der Kirche Toleranz zu fordern – aber freilich nur dann, wenn die Kirche sich damit begnügt, eine Partei unter vielen anderen zu sein, wenn der Staat nicht für sie Partei ergreift oder gar sich mit ihr identifiziert. Hier hat eine demokratische Kirchenpolitik einzusetzen und nicht in der Forderung der Duldung Ungläubiger in der Kirche, was nur eine Halbheit und Schwächlichkeit ist.

Aber wenn sich gegen das Exkommunikationsrecht der Kirche, solange sie nicht Staatskirche war, an sich vom demokratischen Standpunkt nichts einwenden ließ, so doch sehr viel schon in diesem Zeitpunkt in bezug auf die Art und Weise, wie dies Recht gehandhabt wurde. Denn es war nicht mehr die Masse der Genossen, sondern die Bureaukratie, die die Exkommunikation vollzog. Je mehr der einzelne dadurch geschädigt werden konnte, desto mehr wuchs die Macht der kirchlichen Bureaukratie und ihres Hauptes, des Bischofs.

Dazu kam noch, daß er auf den kirchlichen Kongressen der Delegierte seiner Gemeinde war. Die bischöfliche Macht kam ja gleichzeitig mit den Konzilien auf, und so wurden diese von Anfang an Versammlungen der Bischöfe.

Zu dem Ansehen und der Machtfülle, die dem Bischof die Verwaltung des Gemeindevermögens und die Bestellung und Leitung des gesamten administrativen, richterlichen und propagandistisch-wissenschaftlichen Apparates der Gemeindebureaukratie verlieh, gesellte sich jetzt noch die Übermacht des Ganzen, der katholischen Kirche, gegenüber dem Teil, der Gemeinde. Der Bischof stand dieser als Vertreter der Gesamtheit der Kirche gegenüber. Je strammer die Organisation der Gesamtkirche wurde, desto ohnmächtiger die Gemeinde gegenüber dem Bischof, wenigstens dann, wenn dieser die Tendenzen der Majorität seiner Kollegen vertrat. „Durch dies bischöfliche Kartell wurden die Laien vollends entmündigt.“ [12]

Nicht mit Unrecht leiteten die Bischöfe ihre Machtfülle von den Aposteln ab, als deren Nachfolger sie sich betrachteten. Jene bildeten wie diese das internationale, zusammenhaltende Element in der Gesamtheit der Gemeinden gegenüber jeder einzelnen unter diesen, und gerade daraus zogen sie einen gewaltigen Teil ihres Einflusses und ihrer Kraft.

Auch der letzte Rest der ursprünglichen Demokratie der Gemeinde schwand nun rasch dahin, ihr Recht, die Beamten, die sie brauchte, auch selbst zu wählen. Je größer die Selbständigkeit und die Macht des Bischofs und seiner Leute in der Gemeinde, desto leichter wurde es ihm, diese zur Erwählung der ihm passenden Leute zu veranlassen. Er wurde tatsächlich derjenige, der die Ämter besetzte. Bei der Wahl des Bischofs selbst aber hatten, angesichts der Macht des Klerus in der Gemeinde, die von diesem vorgeschlagenen Kandidaten von vornherein die besten Chancen. Schließlich kam es so weit, daß nur noch der Klerus den Bischof wählte, der Masse der Genossen in der Gemeinde verblieb bloß das Recht, diese Wahl zu bestätigen oder abzulehnen. Aber auch das wurde immer mehr eine reine Formalität. Die Gemeinde sah sich schließlich zur bloßen Hurracanaille degradiert, der der Klerus den von ihm erwählten Bischof präsentierte, damit sie ihm begeistert zujuble.

Damit war die demokratische Organisation der Gemeinde völlig vernichtet, der Absolutismus des Klerus besiegelt, seine Umwandlung aus einem demütigen „Knecht der Knechte Gottes“ in ihren unumschränkten Herrn vollendet.

Es war selbstverständlich, daß das Vermögen der Gemeinde nun tatsächlich das Vermögen ihrer Verwalter wurde, freilich nicht ihr persönliches Vermögen, sondern das der Bureaukratie als Korporation. Das Kirchengut hörte auf, Gemeindeeigentum der Genossen zu sein, es wurde das Eigentum des Klerus.

Diese Umwandlung fand eine mächtige Unterstützung u~d Beschleunigung durch die staatliche Anerkennung des Christentums im Beginn des vierten Jahrhunderts. Aber andererseits war die Anerkennung der katholischen Kirche durch die Kaiser selbst nur die Folge davon, daß die Erstarkung der Bureaukratie und des bischöflichen Absolutismus in ihr bereits zu einer gewaltigen Höhe gestiegen war.

Solange die Kirche eine demokratische Organisation war, stand sie in vollem Gegensatz zum Wesen des kaiserlichen Despotismus im Römerreiche. Dagegen wurde die bischöfliche Bureaukratie, die das Volk absolut beherrschte und ausbeutete, wohl verwendbar für den kaiserlichen Despotismus. Er durfte sie aber auch nicht ignorieren, er mußte sich mit ihr abfinden, da sie ihm sonst über den Kopf zu wachsen drohte.

Der Klerus war eine Macht geworden, mit der jeder Beherrscher des Reiches zu rechnen hatte. In den Bürgerkriegen am Anfang des vierten Jahrhunderts siegte derjenige unter den Thronprätendenten, der sich mit dem kirchlichen Klerus alliierte, Konstantin.

Die Bischöfe wurden nun die Herren, die gemeinsam mit den Kaisern das Reich regierten. Die Kaiser führten oft den Vorsitz bei den bischöflichen Konzilien, dafür stellten sie aber auch die Staatsgewalt den Bischöfen zur Verfügung, um die Beschlüsse der Konzilien und die Exkommunikationen durchzuführen.

Gleichzeitig erlangte die Kirche jetzt die Rechte einer juristischen Person, die Vermögen erwerben und erben konnte (seit 321). Ihr famoser Appetit wurde dadurch sofort enorm gesteigert, das Kirchengut wuchs maßlos. Damit wuchs aber auch die Ausbeutung, die die Kirche übte.

Aus der Organisation eines proletarischen, rebellischen Kommunismus erwuchs die festeste Stütze des Despotismus und der Ausbeutung, eine Quelle neuen Despotismus, neuer Ausbeutung.

Die siegreiche christliche Gemeinde war in allen Punkten das gerade Gegenteil jener Gemeinde, die von armen Fischern und Bauern Galiläas und Proletariern Jerusalems drei Jahrhunderte vorher begründet worden war. Der gekreuzigte Messias wurde die festeste Stütze jener verkommenen, infamen Gesellschaft, deren völlige Zertrümmerung die Messiasgemeinde von ihm erwartet hatte.


e. Das Klosterwesen

Wenn die katholische Kirche, namentlich seitdem sie die staatliche Anerkennung gefunden hatte, die Tendenzen der ursprünglichen Messiasgemeinde in ihr gerades Gegenteil verwandelte, so geschah dies keineswegs in friedlicher Weise, ohne Widerstreben und Kampf. Die sozialen Zustände, die den urchristlichen demokratischen Kommunismus geschaffen hatten, bestanden ja fort, sie wurden sogar immer quälender und aufreizender, je mehr das Reich verkam.

Wir haben gesehen, wie von Anfang an protestierende Tendenzen gegen die neue Richtung zutage treten. Nacht dem diese in der Kirche die herrschende und offizielle geworden ist, die eine andere in der Mitte der Gemeinde nicht duldet, bilden sich immer wieder neue demokratische und kommunistische Sekten neben der katholischen Kirche. So fand zum Beispiel zur Zeit, als diese Kirche von Konstantin anerkannt wurde, in Nordafrika die Sekte der Circumcellionen weite Verbreitung, schwärmerische Bettler, die den Kampf der Donatistensekte gegen die Staatskirche und den Staat auf die Spitze trieben und den Kampf gegen alle Vornehmen und Reichen predigten. Wie in Galiläa zur Zeit Christi erhob sich im vierten Jahrhundert in Nordafrika die bäuerliche Bevölkerung voll Verzweiflung gegen ihre Unterdrücker, und das Räubertum zahlreicher Banden war die Form ihres Protestes. Wie ehedem die Zeloten und wahrscheinlich auch die ersten Anhänger Jesu gaben jetzt die Circumcellionen diesen Banden ein Ziel der Befreiung und der Abschüttlung jeglichen Joches. Mit äußerster Kühnheit stellten sie sich sogar den kaiserlichen Truppen zum Gefecht, die Hand in Hand mit katholischen Geistlichen den Aufstand niederzuwerfen suchten, der sich jahrzehntelang behauptete.

So wie dieser Versuch scheiterte auch jeder andere einer kommunistischen Erneuerung der Kirche, mochte er friedlicher oder gewalttätiger Natur sein. Sie scheiterten alle an denselben Ursachen, die den ersten schließlich in sein Gegenteil umgewandelt hatten und die ebenso fortwirkten, wie das Bedürfnis nach solchen Versuchen fortwirkte. Wenn dies Bedürfnis durch die steigende Not verstärkt wurde, so ist nicht zu vergessen, daß gleichzeitig auch die Mittel der Kirche stiegen, einen immer größeren Teil des Proletariats durch ihre Unterstützungsanstalten vor den schlimmsten Aufreizungen der Not zu bewahren, aber auch in Abhängigkeit vom Klerus zu bringen, zu korrumpieren, jeden Enthusiasmus und jeden höheren Gedanken in ihm zu ersticken.

Als die Kirche Staatskirche wurde, ein Werkzeug des Despotismus und der Ausbeutung, wie es so kraftvoll und riesenhaft in der Geschichte noch nicht bestanden hatte, schien das Ende aller kommunistischen Tendenzen in ihr vollends besiegelt. Und doch sollten sie gerade aus dem Staatskirchentum wieder neue Kraft saugen.

Bis zu ihrer staatlichen Anerkennung war die Verbreitung des christlichen Gemeindelebens im wesentlichen auf die großen Städte beschränkt gewesen. Nur dort konnte es sich in den Zeiten der Verfolgungen behaupten. Auf dem flachen Lande, wo jeder einzelne leicht zu kontrollieren ist, können geheime Organisationen nur bestehen, wenn sie von der ganzen Bevölkerung getragen werden, wie das zum Beispiel bei den irischen Geheimbünden der letzten Jahrhunderte der Fall war, die sich gegen das englische Joch richteten. Die soziale oppositionelle Bewegung einer Minderheit fand bisher auf dem flachen Lande die größten Schwierigkeiten. Dies gilt auch für das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten.

Die Schwierigkeit seiner Ausdehnung auf dem flachen Land schwand, als das Christentum aufhörte, eine oppositionelle Bewegung zu sein und staatlich anerkannt wurde. Von da an stand der Organisation christlicher Gemeinden auch auf dem flachen Lande nichts mehr im Wege. Drei Jahrhunderte lang war das Christentum – gleich dem Judentum – fast ausschließlich eine städtische Religion gewesen. Nun erst begann es auch eine Religion der Bauern zu werden.

Mit dem Christentum kamen auch dessen kommunistische Tendenzen auf das flache Land. Hier fanden sie aber ganz andere, weit günstigere Bedingungen als in der Stadt, wie wir schon bei der Betrachtung des Essenismus gesehen haben. Dieser erwachte sofort wieder zu neuem Leben in christlicher Form, sobald die Möglichkeit offener kommunistischer Organisation auf dem flachen Lande gegeben war, ein Zeichen, welch starkem Bedürfnis er entsprach. Genau um dieselbe Zeit, in der das Christentum staatlich anerkannt wird, im Anfang des vierten Jahrhunderts, entstehen die ersten Klöster in Ägypten, denen bald andere in den verschiedensten Teilen des Reiches folgen.

Dieser Art Kommunismus legen die kirchlich und staatlichen Machthaber nicht nur nichts in den Weg, sie begünstigen sie sogar, wie auch den Machthabern Frankreichs und Englands in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die kommunistischen Experimente in Amerika nicht unangenehm waren. Es war für sie nur von Vorteil, wenn die unruhigen kommunistischen Agitatoren der Großstädte sich in Einöden von der Welt absonderten, um dort friedlich ihren Kohl zu bauen.

Ungleich den kommunistischen Experimenten der Oweniten, Fourieristen und Cabetisten in Amerika gediehen aber die Experimente des ägyptischen Bauern Antonius und seiner Jünger auf das glänzendste, ebenso wie im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert die mit diesen sehr verwandten bäuerlichen kommunistischen Kolonien in den Vereinigten Staaten. Man führt das gern darauf zurück, daß sie von religiösem Enthusiasmus durchdrungen waren, der den Anhängern des modernen Utopismus fehle. Ohne Religion kein Kommunismus. Aber derselbe religiöse Enthusiasmus, der die Klostermönche beseelte, hatte auch in den großstädtischen Christen der ersten Jahrhunderte gelebt, und doch waren deren kommunistische Experimente weder durchgreifend noch von langer Dauer gewesen.

Die Ursache des Gelingens hier, des Scheiterns dort liegt nicht in der Religion, sondern in den materiellen Bedingungen.

Den kommunistischen Experimenten des großstädtischen Urchristentums gegenüber besaßen die Klöster oder die kommunistischen Kolonien in der Wildnis den Vorteil, daß die Landwirtschaft die Vereinigung des Betriebs mit der Familie fordert und Landwirtschaft in großem Maßstab, zusammen mit industriellem Betrieb, bereits möglich geworden war, ja einen hohen Grad der Entwicklung in der „Oikenwirtschaft“ der Großgrundbesitzer erlangt hatte. Dieser Große betrieb der Oikenwirtschaft war jedoch auf der Sklaverei aufgebaut gewesen. In ihr fand sie die Grenze ihrer Produktivität, aber auch ihrer Existenz selbst. Mit der Sklavenzufuhr mußte auch der Großbetrieb des Großgrundbesitzers verschwinden. Die Klöster nahmen ihn wieder auf und setzten ihn fort, ja konnten ihn höher entwickeln, da sie an die Stelle der Arbeit von Sklaven die freier Genossen setzten. Angesichts des allgemeinen Verfalls der Gesellschaft wurden schließlich im verkommenden Reiche die Klöster die einzigen Stätten, die die letzten Reste der antiken Technik erhielten und durch die Stürme der Völkerwanderung hindurchretteten, ja in manchen Punkten vervollkommneten.

Abgesehen von den Einwirkungen des Orients, namentlich der Araber, waren es die Klöster, von denen der Aufstieg der Kultur in Europa während des Mittelalters zuerst ausging.

Die genossenschaftliche Produktionsweise des Klosters war den ländlichen Produktionsbedingungen des ausgehenden Altertums und beginnenden Mittelalters vortrefflich angepaßt. Daher ihr Erfolg. In den Städten nrkteu dagegen die Produktionsbedingungen der genossenschaftlichen Arbeit entgegen, konnte der Kommunismus nur als reiner Kommunismus des Genießens erstehen, es ist aber die Weise der Produktion, nicht die der Verteilung oder des Konsums, die in letzter Linie den Charakter der gesellschaftlichen Beziehungen bestimmt. Erst auf dem flachen Lande, in den Klöstern, erhielt die vom Christentum ursprünglich erstrebte Gemeinsamkeit der Konsummittel in der Gemeinsamkeit der Produktion eine dauernde Grundlage. Auf ihr waren die Genossenschaften der Essener zu einer Jahrhunderte langen Blüte gelangt, die nur durch die gewaltsame Vernichtung des jüdischen Gemeinwesens und nicht durch innere Gründe zum Welken kam. Auf ihr baute sich nun das mächtige Gebäude des christlichen Mönchswesens auf, das sich bis heute erhalten hat.

Warum aber sind die Kolonien des modernen, utopistischen Kommunismus fehlgeschlagen? Sie waren auf ähnlicher Grundlage aufgebaut wie der klösterliche, aber die Produktionsweise hat sich seitdem völlig geändert. An Stelle der zersplitterten Alleinbetriebe des Altertums, die den Individualismus in der Arbeit entwickeln, dem städtischen Arbeiter genossenschaftliches Zusammenarbeiten erschweren, ihm in der Produktion anarchistisches Fühlen beibringen, finden wir heute in der städtischen Industrie gewaltige Riesenbetriebe, in denen jeder einzelne Arbeiter mir ein Rädchen bildet, das mit zahllosen anderen zusammenzuwirken hat. Die Gewohnheiten des genossenschaftlichen Zusammenarbeitens, der Disziplin bei der Arbeit, der Unterordnung des einzelnen unter die Bedürfnisse der Gesamtheit treten da an Stelle des anarchistischen Empfindens des Alleinarbeiters.

Aber nur in der Produktion.

Anders im Konsum.

Die Lebensverhältnisse waren ehedem für die Masse der Bevölkerung so einfach und gleichmäßig, daß daraus auch eine Gleichmäßigkeit des Konsums und der Bedürfnisse entstand, die eine ständige Gemeinsamkeit des Konsumierens keineswegs unerträglich machte.

Die moderne Produktionsweise, die alle Volksschichten und Nationen durcheinander würfelt, die Erzeugnisse der ganzen Welt in den Handelszentren zusammenbringt, ununterbrochen Neues schafft, ununterbrochen neue Methoden der Befriedigung der Bedürfnisse, ja neue Bedürfnisse selbst erzeugt, führt damit auch in die Masse der Bevölkerung eine Verschiedenartigkeit der persönlichen Neigungen und Bedürfnisse ein, einen „Individualismus“, wie er ehedem nur in den reichen und vornehmen Klassen zu finden war. Also auch eine Mannigfaltigkeit des Konsumierens, das Wort im weitesten Sinne des Genießens genommen. Die gröbsten, materiellsten Mittel des Konsums, Essen, Trinken, Kleidung, unterliegen freilich vielfach in der modernen Produktionsweise der Uniformierung. Aber es gehört zum Wesen dieser Produktionsweise, daß sie den Konsum selbst der Massen nicht auf solche Mittel beschränkt, daß sie auch in den arbeitenden Massen ein wachsendes Bedürfnis nach Kulturmitteln, wissenschaftlichen, künstlerischen, sportlichen und anderen hervorruft, das sich immer mehr differenziert und in jedem Individuum in anderer Weise zutage tritt. Damit verbreitet sich der Individualismus des Genießens, der bisher ein Privilegium der Besitzenden und Gebildeten war, auch in den arbeitenden Klassen, zunächst der Großstädte, von denen er in die übrige Bevölkerung allmählich eindringt. So sehr der moderne Arbeiter sich der Disziplin beim Zusammenwirken mit seinen Genossen fügt, die er ja als notwendig anerkennt, so sehr bäumt er sich gegen jede Bevormundung seines Konsumierens, seines Genießens auf. Auf diesem Gebiet wird er immer mehr .Individualist oder, wenn man will, Anarchist.

Man sieht jetzt, wie sich der moderne städtische Proletarier in einer kleinen kommunistischen Kolonie der Wildnis fühlen muß, die im Grunde nichts anderes ist als ein landwirtschaftlicher Großbetrieb mit angehängten Industriebetrieben. Wie schon mehrfach erwähnt, hingen bisher in diesem Produktionszweig Betrieb und Haushalt aufs engste zusammen. Das war ein Vorteil für den christlichen Kommunismus, der von der Gemeinsamkeit des Konsumierens ausging. In den klösterlichen Anstalten auf dem flachen Laude wurde dieser Kommunismus dadurch gezwungen, sich mit dem Kommunismus des Produzierens zu verbinden, was ihm eine ungemeine Widerstandskraft und Entwicklungsfähigkeit verlieh.

Der moderne utopistische Kommunismus, der von der Gemeinsamkeit des Produzierens ausging und in ihr eine sehr solide Grundlage fand, ward dagegen durch die enge Verbindung von Konsum und Produktion in seinen kleinen Niederlassungen gezwungen, dem Kommunismus der Produktion den des Konsums hinzuzufügen, der auf ihn unter den gegebenen gesellschaftlichen Einflüssen wie Sprengpulver wirken, ewigen Zank, und zwar widerlichsten Zank um Kleinigkeiten hervorrufen mußte.

Nur Bevölkerungselemente, die vom modernen Kapitalismus unberührt geblieben waren, weltfremde Bauern, konnten im neunzehnten Jahrhundert noch im Bereich der modernen Zivilisation kommunistische Kolonien erfolgreich gründen. Ihre Religion hängt mit ihrem Erfolg nur insofern zusammen, daß religiöser Enthusiasmus als gesellschaftliche Erscheinung, nicht als individuelle Absonderlichkeit, heute nur noch bei höchst rückständigen Bevölkerungsschichten zu finden ist.

Für moderne, großindustrielle Bevölkerungsschichten ist der Kommunismus des Produzierens nur noch durchführbar auf einer so hohen Stufenleiter, daß damit ein sehr weitgehender Individualismus des Genießens – das Wort im weitesten Sinne genommen – vereinbar ist.

Nicht der Kommunismus des Produziereus scheiterte in den nichtreligiösen kommunistischen Kolonien des vorigen Jahrhunderts. Diesen Kommunismus praktiziert das Kapital seit langem in der erfolgreichsten Weise. Was scheiterte, war der Kommunismus der Uniformierung des persönlichen Konsums, die dem modernen Wesen so sehr widerstrebt.

Im Altertum und auch im Mittelalter war bei der Volksmasse von einer Individualisierung der Bedürfnisse noch nichts zu spüren. So fand der klösterliche Kommunismus daran keine Schranke, und er gedieh um so eher, je mehr seine Betriebsweise die sonst herrschende überragte, je größer seine wirtschaftliche Überlegenheit. Rufinus (345 bis 410), der 377 selbst ein Kloster auf dem Ölberg bei Jerusalem gründete, behauptet, daß in Ägypten auf dem Lande in den Klöstern fast ebensoviel Menschen lebten wie in den Städten. Wie viel man auch davon als Übertreibung einer frommen Phantasie abziehen mag, auf jeden Fall deutet es auf eine Menge von Mönchen und Nonnen hin, die außerordentlich schien.

So wurde durch das Klosterwesen der kommunistische Enthusiasmus im Christentum neu belebt, und er fand darin eine Form, die nicht gezwungen war, als ketzerische Opposition gegen die herrschende kirchliche Bureaukratie aufzutreten, sondern sich mit dieser sehr wohl abzufinden wußte.

Aber auch diese neue Form des christlichen Kommunismus konnte nicht zur allgemeinen Form der Gesellschaft werden, auch sie blieb auf einzelne Schichten beschränkt. Daher mußte auch der neue Kommunismus stets wieder in sein Gegenteil umschlagen, und zwar um so eher, je größer seine wirtschaftliche Überlegenheit war. Um so mehr erhob er durch sie seine Teilnehmer zu einer Aristokratie, die über die andere Bevölkerung emporragte und sie schließlich beherrschte und ausbeutete.

Der klösterliche Kommunismus konnte schon deshalb nicht allgemeine Form der Gesellschaft werden, weil er zur Durchführung der Gemeinsamkeit des Haushalts, auf der er beruhte, die Ehe ausschließen mußte, wie es vor ihm die Essener und nach ihm im vorigen Jahrhundert die religiösen kommunistischen Kolonien in Nordamerika taten. Wohl bedurfte das Gedeihen des gemeinsamen Haushalts nur des Ausschlusses der Einzelehe; eine Art Gemeinschaftsehe hätte sich damit gar wohl vertragen, wie ebenfalls verschiedene der letztgenannten Kolonien zeigen. Aber diese Art des Verhältnisses der Geschlechter widersprach doch zu sehr dem allgemeinen gesellschaftlichen Empfinden des ausgehenden Altertums, als daß sie Anerkennung und offene Praktizierung hätte finden können. Und in dem allgemeinen Katzenjammer jener Zeit war die Enthaltung von jedem Genuß, die Askese, ein viel näher liegender Ausweg und ein solcher, der noch den Glorienschein besonderer Helligkeit um diejenigen webte, die derartige Enthaltung übten. Durch das Zölibat verurteilte sich das Klosterwesen aber von vornherein dazu, auf eine Minorität beschränkt zu bleiben. Wohl konnte diese Minorität zeitweise sehr anwachsen, wie der oben angeführte Satz des Rufinus zeigt, aber selbst dessen unzweifelhafte Übertreibung wagt nicht, die klösterliche Bevölkerung als die Mehrheit hinzustellen. Und der klösterliche Enthusiasmus der Ägypter zur Zeit des Rufinus legte sich bald.

Je mehr sich der klösterliche Kommunismus bewährte und befestigte, desto mehr mußte der Reichtum des Klosters wachsen. Der klösterliche Großbetrieb lieferte bald die besten Produkte und auch die billigsten, da dank dem gemeinsamen Haushalt seine Produktionskosten gering waren. Wie die Oikoswirtschaft des Großgrundbesitzers produzierten die Klöster fast alles selbst, was sie an Nahrungsmitteln und Rohmaterial brauchten. Ihre Arbeitskräfte zeigten sich dabei weit eifriger, als die Sklaven des Großgrundbesitzers gewesen waren, denn es waren ja die Genossen, die den ganzen Ertrag ihrer Arbeit selbst erhielten. Überdies umfaßte jedes Kloster so zahlreiche Arbeitskräfte, daß es fair einzelne seiner Arbeitszweige die besonders dazu tauglichen auswählen, also eine weitgehende Arbeitsteilung durchführen konnte. Endlich besaß das Kloster, dem einzelnen menschlichen Individuum gegenüber, eine ewige Existenz. Erfindungen und Geschäftsgeheimnisse, die sonst leicht mit dem Erfinder und seiner Familie untergingen, gelangten im Kloster zur Kenntnis zahlreicher Genossen, die sie den nachkommenden überlieferten. Außerdem aber war das Kloster als ewige Persönlichkeit befreit von den zersplitternden Folgen des Erbrechts. Es konzentrierte nur Eigentum, ohne es durch Vererbung jemals teilen zu müssen.

So wuchs der Reichtum eines jeden Klosters und der Vereinigungen von Klöstern unter einheitlicher Leitung und einheitlichen Satzungen, der Mönchsorden. Sobald aber ein Kloster reich und mächtig geworden war, vollzog sich in ihm derselbe Prozeß, der sich seitdem bei mancher anderen kommunistischen Vereinigung wiederholt hat, wenn sie mir ein Stückchen der Gesellschaft umfaßte, wie man das heute noch bei gedeihenden Produktivgenossenschaften beobachten kann. Die Besitzer der Produktionsmittel finden es jetzt bequemer, statt selbst zu arbeiten, andere für sich arbeiten zu lassen, wenn sie die nötigen Arbeitskräfte finden: besitzlose Lohnarbeiter, Sklaven oder Hörige.

Wenn das Klosterwesen in seinen Anfängen den kommunistischen Enthusiasmus im Christentum neu belebte, so lenkte es doch schließlich in dieselbe Bahn ein, die vor ihm der Klerus der Kirche eingeschlagen hatte. Es wurde gleich diesem zu einer Ausbeutungs- und Herrschaftsorganisation.

Freilich zu einer Herrschaftsorganisation, die sich nicht immer zu einem willenlosen Werkzeug der Lenker der Kirche, der Bischöfe, herabdrücken ließ. Ökonomisch unabhängig von diesen, an Reichtum mit ihnen wetteifernd, gleich ihnen international organisiert, waren die Klöster imstande, den Bischöfen entgegenzutreten, wo niemand anderer es wagen durfte.

Dadurch haben sie mitunter geholfen, den bischöflichen Despotismus etwas zu ändern. Aber auch diese Milderung des Despotismus sollte schließlich in ihr Gegenteil umschlagen.

Nach der Spaltung der Kirche in eine morgenländische und eine abendländische wurde in jener der Kaiser der Oberherr der Bischöfe. In dieser gab es keine Staatsgewalt, die sich über das ganze Bereich der Kirche erstreckt hätte. Daher war es hier der Bischof von Rom, der zunächst den Vorrang vor den anderen Bischöfen erhielt, dank der Bedeutung seiner Diözese, der aber diesen Vorrang im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zu einer Oberherrschaft über die anderen Bischöfe ausbildete. Bei diesem Kampfe gegen die Bischöfe fand er eine mächtige Stütze in den Mönchsorden. Wie die absolute Monarchie der Neuzeit emporwuchs ans dem Klassenkampf zwischen Feudaladel und Bourgeoisie, so die absolute Monarchie des Papstes aus dem Klassenkampf zwischen der bischöflich Aristokratie und den Mönchen, den Besitzern der klösterlichen Großbetriebe.

Mit der Befestigung des Papsttums ist die aufsteigende Entwicklung der Kirche vollendet. Von da an bedeutet jede weitere Entwicklung in Staat und Gesellschaft für sie einen Niedergang, wird die Entwicklung ihr Feind und sie der Feind jeder Entwicklung, wird sie eine durch und durch reaktionäre, die Gesellschaft schädigende Einrichtung.

Auch nachdem sie sich in das Gegenteil ihres Anfangs verkehrt hatte, eine Herrschafts- und Ausbeutungsorganisation geworden war, vermochte sie eine Zeitlang noch Großes zu leisten. Aber mit den Kreuzzügen hatte die Kirche für die Menschheit alles getan, was sie tun vermochte. Ihre Leistung, seitdem sie Staatsreligion geworden, bestand darin, daß sie die Reste antiker Kultur rettete und weiterentwickelte, die sie vorfand. Aber als sich auf der von ihr geretteten und erhöhten Grundlage eine neue, der antiken weit überlegene Produktionsweise, die des Kapitalismus entwickelte und damit die Vorbedingung eines allumfassenden Kommunismus der Produktion erstand, da konnte die katholische Kirche nur noch als Hindernis des gesellschaftlichen Fortschritts wirken. Aus dem Kommunismus hervorgegangen, zählt sie zu den erbittertsten Feinden des modernen Kommunismus.

Wird nicht dieser Kommunismus nun seinerseits dieselbe Dialektik entwickeln, die der christliche durchmachte, und seinerseits ebenfalls zu einem neuen Ausbeutungs- und Herrschaftsorganismus umschlagen?

Diese Frage bleibt uns noch zu beantworten übrig.


Fußnoten

1. σκολιοῖς. Das Wort umfaßt Ungerechtigkeit, Falschheit und Tücke. Luther übersetzt sehr mild: den wunderlichen.

2. Zitiert bei Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 1906, I, S. 132. Vergl. auch Pfleiderer, Urchristentum, II, 672, 673.

3. Dieser Satz unterbricht den Sinn, ist auch sonst nicht einwandsfrei, namentlich das „freilich“ (γοῠν) erweckt Bedenken. Dazu kommt, daß Suidas, ein Lexikograph aus dem 10. Jahrhundert, ausdrücklich bemerkt, Lucian habe in seiner Biographie des Peregrinus „Christus selbst verleumdet“. In den uns erhaltenen Texten ist eine solche stelle nicht mehr zu finden. Es liegt nahe, sie im obigen Satze zu suchen und anzunehmen, Lucian habe sich hier über Jesus lustig gemacht, das habe fromme Seelen skandalisiert und sie veranlaßt, beim Abschreiben den Text in sein Gegenteil zu verwandeln. In der Tat nehmen verschiedene Forscher an, der Satz sei in seiner jetzigen Form eine christliche Fälschung.

4. Lucian, Vom Tode des Peregrinus, 11 bis 16.

5. Zitiert von Harnack in seiner Ausgabe der Lehre der zwölf Apostel, S. 130 ff,

6. Edwin Hatch, Die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Altertum, übersetzt und mit Exkursen versehen von A. Harnack, Gießen 1883.

7. Hatch, Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirche, 152, 158.

8. Ecclesia, ἐκκλησία, heißt ursprünglich die Volksversammlung.

9. Kleros (κλῆρος), das Erbe, das Eigentum Gottes, das Volt Gottes, die von Gott Auserwählten.

10. Von laos (λᾶος), das Volk.

11. Katholisch von holos (ὅλος), ganz, vollständig, und der Präposition kata (κατα), das herab, betreffend, zugehörig bezeichnet. Katholikos heißt das Ganze betreffend, die katholische Kirche also die Gesamtkirche.

12. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums, 1, 870. Harnack führt als Beispiel der großen Macht, die der Bischof über seine Gemeinde erlangt hatte, den Bischof Trophimus an. Als dieser zur Zeit einer Verfolgung zum Heidentum übertrat, folgte ihm der größte Teil seiner Gemeinde. „Als er aber sich zurückwandte und Buße tat, da folgten ihm auch die anderen, die alle nicht zur Kirche zurückgekommen wären, wenn sie nicht Trophimus geführt hätte.“


Zuletzt aktualisiert am 26.12.2011