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Wir haben bereits im zweiten Kapitel darauf hingewiesen, daß die Zerstörung der bäuerlichen Industrie für den Selbstgebrauch jene Kleinbauern, die höchstens gerade Lebensmittel genug für sich und ihre Familien, aber keinen Ueberschuß davon erzeugten, zwingt, sich nach einem Nebenerwerb umzusehen. Der Kleinbauer findet dazu auch die nöthige Zeit, denn die eigene Landwirthschaft nimmt ja nur zeitweise seine volle Arbeitskraft in Anspruch. Er deckt seine Geldbedürfnisse durch den Verkauf nicht seines Ueberschusses an Produkten, sondern seines Ueberschusses an Arbeitskraft. Auf dem Waarenmarkt tritt er in derselben Gestalt auf, wie der besitzlose Proletarier. An Grundbesitzer, als Produzent von Lebensmitteln auf eigenem Grund und Boden ist er nicht für den Waarenmarkt thätig, sondern für den eigenen Haushalt, mit dem ja sein Wirthschaftsbetrieb, wie wir schon gesehen, aufs engste verknüpft ist.
Für den Haushalt aber gelten nicht die Gesetze der Konkurrenz. Mag der große Haushalt dem kleinen noch so überlegen sein, mag dieser noch so viel Arbeitsverschwendung mit sich bringen, wir sehen nirgends auch nur die Spur einer Tendenz nach Zentralisation der Haushaltungen, nach Ersetzung der vielen kleinen Haushaltungen durch wenige große.
Allerdings bleibt auch der Haushalt von der ökonomischen Entwicklung nicht unberührt, aber diese äußert sich hier nur in der Weise, daß sie eine der Funktionen des Haushalts nach der anderen von diesem loslöst Und in selbständige Produktionszweige verwandelt. Auf diese Weise wird die Menge der Arbeiten im Haushalt zusehends verringert, damit aber auch die Zahl der Arbeiter im Haushalt. Soweit in der Größe desselben eine Entwicklung wahrzunehmen, ist deren Richtung der der Waarenproduktion gerade entgegengesetzt, vom Großbetrieb zum Kleinbetrieb.
Die großen bäuerlichen Hausgenossenschaften finden wir im Mittelalter und heute noch bei Völkern, deren Landwirthschaft auf der Stufe des Mittelalters, z. B. bei Süd- und Ostslaven.
Ist der landwirthschaftliche Betrieb des Kleinbauern dem Bereich der Waarenproduktion entrückt, bildet er blos ein Stück des Haushalts, dann bleibt er auch außerhalb des Bereichs der zentralisirenden Tendenzen der modernen Produktionsweise. Wie irrationell und verschwenderisch seine Parzellenwirthschaft auch sein mag, er hält an ihr fest, wie seine Frau an ihrem kümmerlichen Haushalt, der auch mit dem größten Aufwand von Arbeitskraft ein unendlich dürftiges Resultat erzielt, der aber das einzige Gebiet: bildet, auf dem sie nicht fremdem Willen unterthan zu sein braucht und frei ist von Ausbeutung.
Je mehr aber die ökonomische und politische Entwicklung fortschreitet, desto mehr wachse die Geldbedürfnisse des Bauern und die Ansprüche von Staat und Gemeinde an seine Börse. Desto wichtiger wird der Gelderwerb für den Kleinbauern, desto mehr muß er den Nebenerwerb in den Vordergrund treten lassen und die Landwirthschaft vernachlässigen. Wie die Lohnarbeit der Frau in der Industrie zu einer Verkümmerung, aber nicht zur Aufgebung ihres Haushalts führt, so Lohnarbeit oder kapitalistisch ausgebeutete Hausindustrie des Kleinbauern. Sein landwirthschaftlicher Betrieb wird immer irrationeller; er wird ihm aber auch nach und nach zu groß, er sieht sich genöthigt, ihn zu verkleinern.
Er findet leicht Käufer für seine überschüssigen Parzellen.
Wo ein kraftvoller Bauernstand vorherrscht, da regulirt er die Bevölkerung, und diese Eigenschaft ist neben seiner konservativen Gesinnung und seiner Militärfrömmigkeit eine der wichtigsten unter denen, die ihn den bürgerlichen Oekonomen und Politikern so werthvoll machen. Er erweist sich als sehr geeignet zur Erzielung und Aufziehung einer zahlreichen Nachkommenschaft; wo man Arbeitskräfte und Soldaten braucht, ist das unschätzbar. Aber er kann auch der Bevölkerungszunahme einen Zügel anlegen und erfreut dadurch die Herzen der Malthusianer; wo die Bauernwirthschaft allein herrscht und keine Gelegenheit zu anderem Erwerb außer ihr, da zwingt schon die Begrenztheit des Bodens, die Zahl der Nachkommen einzuschränken. Das geschieht bei der gleichen Theilung des Erbes durch das Zweikindersystem, bei der Uebergabe des Erbes an blos einen Erben durch die Unmöglichkeit der anderen Nachkommen, sich selbständig zu machen, einen eigenen Haushalt zu gründen und eine legitime, erbberechtigte Nachkommenschaft zu erzielen.
Ganz anders dort, wo sich zahlreiche Gelegenheit zu einem Erwerb außerhalb des eigenen landwirthschaftlichen Betriebs entwickelt. Mit den Existenzbedingungen wird hier die Bevölkerungszunahme eine mehr proletarische; die Gelegenheit, sich selbständig zu machen, ist größer, und jedes Kind bringt sein wichtigstes Erbe unter solchen Umständen, seine Arme, mit auf die Welt. Die Bevölkerung wächst rasch an, mit ihr die Nachfrage nach Grund und Boden, nicht an Mittel, um zum Verkauf zu produziren, sondern als Grundlage des eigenen Haushalts. Wenn das Vordringen des Nebenerwerbs auf der eigene Seite die Verkleinerung der einzelnen landwirthschaftlichen Betriebe ermöglicht, ja erzwingt, und dadurch es ermöglicht, daß eine größere Anzahl kleinerer Betriebe nebeneinander ersteht, so erzeugt es auch einen raschen Zuwachs der Bevölkerung, der nach der Vermehrung dieser Betriebe verlangt.
Statt der Zentralisation wird hier die Zersplitterung zum Bedürfniß. Es kann unter solchen Umständen selbst zur Zersplitterung großer Betriebe kommen.
Wir haben im fünften Kapitel gesehen, daß der Preis eines Grundstücks, das der kapitalistischen Waarenproduktion dient, bestimmt wird durch die Höhe seiner Grundrente. Der Kaufpreis ist im Großen und Ganzen gleich der kapitalisirten Grundrente. Mehr kann der kapitalistische Unternehmer nicht dafür zahlen, wenn nicht sein Profit unter das landesübliche Maß herabgedrückt werden soll. Die Konkurrenz wird im Allgemeinen die Preise nicht über dieses Maß hinauftreiben. Von Erwägungen nichtökonomischer Natur, die den Preis der Landgüter unter Umständen über das Maß der kapitalisirten Grundrente hinaufschrauben, sehen wir hier ab.
Anders dagegen rechnet jener Bauer, der wohl landwirthschaftliche Produkte verkauft, aber Lohnarbeiter nicht oder nur in geringem Maße beschäftigt, der kein Kapitalist, sondern einfacher Waarenproduzent ist. Er ist ein Arbeiter, er lebt nicht vom Ertrage seines Besitzes, sondern von dem seiner Arbeit und seine Lebenshaltung ist die eines Lohnarbeiters. Er braucht den Grund und Boden als Mittel, durch seine Arbeit seine Existenz zu gewinnen, nicht um einen Profit oder Grundrente zu erwerben; wenn der Erlös für seine Produkte ihm neben seinen Auslagen noch einen Arbeitslohn vergütet, kann er dabei existiren. Er kann auf Profit und Grundrente verzichten. Der Landmann kann daher auf der Stufe der einfachen Waarenproduktion höhere Preise für ein bestimmtes Grundstück zahlen, als, unter sonst gleichen Umständen, auf der Stufe der kapitalistischen Produktion. Diese Rechnung kann den Bauern allerdings oft in eine arge Klemme bringen, nämlich dann, wenn er die Gewohnheit der einfachen Waarenproduktion beibehält, einen übermäßigen Preis für den Grund und Boden zu zahlen, während er, wenn auch nicht formell, so doch thatsächlich bereits die Stufe der einfachen Waarenproduktion überschritten hat und auf die der kapitalistischen Produktion gelangt ist, allerdings nicht als kapitalistischer Unternehmer, sondern als vom Kapital ausgebeuteter Arbeiter. Wo der Bauer den Boden kauft, aber nicht oder nicht ganz bezahlt, wo er eine Hypothek darauf stehen läßt, muß er nicht blos Arbeitslohn, sondern auch Grundrente aus seinem Betrieb herausschlagen, da kann ihm ebenso wie dem kapitalistischen Unternehmer ein zu hoher Preis des Grundstücks sehr verderblich werden. Hohe Bodenpreise kommen dem Landwirth nur dann zu statten, wenn er aufhört, Landwirth zu sein, das heißt, wenn er sein Gut verkauft. Sie schädigen ihn, wenn er den Betrieb beginnt und während desselben, indem sie seine Lasten vermehren. Unsere Agrarier wissen aber nur solche Mittel zur Rettung der bedrängten Landwirthschaft anzugeben, die geeignet sind, die Bodenpreise zu steigern. Diese angeblich so patriarchalischen Herrn rechnen nicht als Landwirthe, sondern als Bodenspekulanten. Wir kommen darauf noch in einem anderen Zusammenhang zurück.
Ganz anders wieder steht die Sache bei jenen kleinen Landwirthen, bei denen die Landwirthschaft ausschließlich oder doch zum überwiegenden Theil nur ein Stück des Haushalts ist, das Geldbedürfniß ganz oder vorwiegend durch Arbeit im Dienste eines Anderen befriedigt wird. Hier ist jede Beziehung des Bodenpreises zur Waarenproduktion, also zum Werthgesetz, wenigstens für den Käufer ausgelöscht. Für den Verkäufer bildet die kapitalisirte Grundrente den Minimalpreis des Bodens; für den Käufer kommen nur seine Kaufkraft und vor Allem sein Bedürfniß in Betracht. Je rascher die Volkszunahme, je schwerer ein Abfluß der Bevölkerung, je größer die unbedingte Nothwendigkeit, ein Stückchen Land als Grundlage der Fristung der Lebensnothdurft oder doch der sozialen Selbständigkeit zu erlangen, um so größer die Preise (resp. Pachtzinse), die für ein Fleckchen Land gezahlt werden. So wie die Arbeit im Haushalt wird ja die Arbeit in der Landwirthschaft für den eigenen Gebrauch nicht als Ausgabe gerechnet; sie kostet nichts. An was die Bearbeitung des Bodens zum Haushalt beiträgt, erscheint da an reiner Gewinn. Eine Berechnung des Geldwerths des Ertrags und seine Theilung in Arbeitslohn, Kapitalzins und Grundrente ist kaum möglich, wird jedenfalls nicht vorgenommen, weil das Geld in dieser Art Wirthschaft keine Rolle spielt.
Daß die kleinen Güter theurer sind wie die großen, ist eine bekannte Erscheinung. In seiner schon oben (S. 103) erwähnten Abhandlung über die hypothekarische Verschuldung in Preußen (Thiels landw. Jahrb. 1885) bemerkt Meitzen, daß der Preis des Großgrundbesitzes das 52fache des Grundsteuerreinertrags betrug, der der Bauernhöfe das 65fache, und der der kleinbäuerlichen Stellen das 78fache.
Einige Schwärmer für den kleinen Grundbesitz haben diese Steigerung der Bodenpreise als Beweis dafür bezeichnet, daß der Kleinbetrieb in der Landwirthschaft dem Großbetrieb überlegen ist. Aber selbst unter den größten Verehrern des Kleinbetriebs behauptet keiner, der ernst genommen werden will, die Ueberlegenheit des Zwergbesitzes über den Mittelbesitz, und doch müßte diese Ueberlegenheit vorhanden sein, wenn der höhere Bodenpreis ein Resultat eines höheren Bodenertrags wäre.
Der höhere Bodenpreis der kleinen Güter findet sein Analogon in den Städten, wo bekanntlich die Wohnungen im Verhältniß zum Kubikinhalt um so theurer werden, je kleiner sie sind. Nachdem schon Isidor Singer und andere darauf hingewiesen, hat K. Bücher diese Erscheinung für Basel zahlenmäßig fixirt. Dort kostet ein Kubikmeter Wohnraum in Wohnungen
mit 1 Zimmer |
|
4,04 Francs |
mit 2 Zimmern |
3,95 Francs |
|
mit 3 Zimmern |
3,56 Francs |
|
mit 5 Zimmern |
3,36 Francs |
|
mit 6 Zimmern |
3,16 Francs |
|
mit 9 Zimmern |
3,21 Francs |
|
mit 10 Zimmern |
2,93 Francs |
Beide Erscheinungen, der höhere Boden- wie der höhere Wohnungspreis sind zum Theil auf dieselbe Ursache zurückzuführen, die große Nothlage derer, die der Bodenparzelle resp. der kleinen Wohnung bedürfen, die den Bodenmonopolisten nur geringen Widerstand entgegenzusetzen vermögen.
Wer den höheren Bodenpreis der kleinen Güter auf ihren höheren Bodenertrag zurückführt, müßte auch den höheren Preis der kleinen Wohnungen auf das höhere Einkommen ihrer Bewohner zurückführen.
Der höhere Bodenpreis der kleinen Güter bildet natürlich ein starkes Motiv zur Zerschlagung der größeren Güter überall dort, wo die Verhältnisse der Bevölkerungszunahme und der Erlangung eines Nebenerwerbs außerhalb der eigenen Landwirthschaft günstig sind. Die Güterschlächterei und die Zersplitterung des Grundeigenthums kann da große Dimensionen annehmen.
Je kleiner die Güter, desto größer der Drang zu einem Nebenerwerb; je mehr dieser in den Vordergrund tritt, desto kleiner können die Güter werden, desto weniger aber sind sie im Stande, die Bedürfnisse des Haushalts zu decken. Dies so mehr, da bei dieser Art Zwerggüter der Betrieb ein ganz unrationeller wird. Der Mangel an genügendem Zugvieh und an Geräthschaften erlaubt nicht eine rationell Bodenbestellung, namentlich nicht tieferes Pflügen; die Bedürfnisse des Haushalts, nicht die der Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, bestimmen die Wahl der anzubauenden Früchte; der Mangel an Vieh und an Geld bedeutet auch Mangel an Stallmist und künstlichem Dünger. Und zu alledem kommt noch der Mangel an menschlichen Arbeitskräften. Je mehr die Arbeit des Gelderwerbs in den Vordergrund tritt und die Arbeit für den Haushalt Nebenarbeit wird, desto mehr absorbirt erstere die besten Arbeitskräfte der Familie, mitunter gerade in Zeiten, in denen sie in der eigenen Landwirthschaft am nothwendigsten wären, z. B. zur Zeit der Ernte. Die Arbeit auf dem eigenen Gütchen wird immer mehr der Frau, den kleineren Kindern und etwa noch invaliden Großeltern überlassen. Der Vater und die größeren Kinder müssen „verdienen“. So wie der Haushalt des Proletariers die Produzirung des erbärmlichsten Resultats durch größte Arbeitsverschwendung und Abrackerung der Hausfrau bedeutet, so die Landwirthschaft des Zwergbetriebs, der zu einem bloßen Anhängsel des Haushalts geworden.
Seine zunehmende Kleinheit ebenso wie seine zunehmende Dürftigkeit machen ihn immer unfähiger, alle Bedürfnisse des Haushalts zu decken. Das Einkommen aus dem Gelderwerb muß nun nicht blos zur Bezahlung der Staats- und Gemeindeabgaben und dem Ankauf von Produkten der Industrie sowie der ausländischen Landwirthschaft – Kaffee, Tabak u. s. w. – sondern auch zum Ankauf von einheimischen Bodenprodukten dienen, namentlich von Getreide. Der eigene Betrieb liefert zur Noth noch Kartoffeln, Kohl und Kraut, die Milch einiger Ziegen oder, wenn’s gut geht, einer Kuh, das Fleisch eines Schweines, Eier von Geflügel, aber Getreide nur in unzulänglichem Maße.
Die Zahl dieser Betriebe ist keineswegs gering. Nach der Statistik von 1895 gab es im Deutschen Reiche 5.558.317 landwirthschaftliche Betriebe. Darunter hatten einen Umfang
unter 2 Hektar |
|
3.236.397 Betriebe |
= 58,22 Prozent |
2 bis 5 Hektar |
1.016.318 Betriebe |
= 18,29 Prozent |
|
Zusammen |
4.251.685 Betriebe |
= 76,51 Prozent |
Rechnen wir im Allgemeinen, daß die Wirthschaften von 2 bis 5 Hektar noch ebenso viel Getreide produziren, als sie selbst verbrauchen, indeß die kleineren zukaufen müssen – und das ist die allgemeine Annahme – dann ist im Deutschen Reiche nur ein Viertel der landwirthschaftlichen Betriebe an den Getreidezöllen interessirt, weit mehr als die Hälfte der landwirthschaftlichen Betriebe, über drei Viertel der Kleinbetriebe sind darauf angewiesen, Getreide zu kaufen, leiden also direkten Schaden durch seine Belastung. Das ist ein schwerwiegendes Argument gegen die Getreidezölle, es zeigt aber auch, daß die große Mehrheit der landwirthschaftlichen Bevölkerung auf dem Waarenmarkt nicht mehr als Verkäufer von Lebensmitteln, sondern als Verkäufer von Arbeitskraft und als Käufer von Lebensmitteln in Betracht kommt. Die Kleinbetriebe hören auf, als Konkurrenten des Großbetriebs aufzutreten, sie fördern und stützen ihn, wie schon oben hervorgehoben, indem sie ihm Lohnarbeiter liefern und seine Produkte abnehmen.
Wir haben gesehen, daß 1895 58 Prozent der landwirthschaftlichen Betriebe Deutschlands unter 2 Hektar groß, das heißt mit anderen Worten, in der Regel zu klein waren, ihre Besitzer zu ernähren. Dazu stimmt es, daß nach der Berufszählung von 1895 in der eigentlichen Landwirthschaft (ohne Gartenbau, Thierzucht, Forstwirthschaft und Fischerei, welch letztere in ganz sonderbarer Weise mit der Landwirthschaft zusammengeworfen wird) die Zahl der Selbständigen ohne Nebenerwerb 2.026.374 betrug, der Selbständigen mit Nebenerwerb 504.164. Daneben aber gab es noch 2.160.462 Personen, die selbständig (das heißt im eigenen Betrieb, nicht als Lohnarbeit) Landwirthschaft als Nebenerwerb ausübten. Die Gesammtzahl der Personen, die selbständige Landwirthschaft als Haupt- oder Nebenerwerb ihn eigenen Betrieb ausübten, betrug 4.691.001 (die der landwirthschaftlichen Betriebe 1895 5.556.900), die der selbständigen Landwirthe, die noch einen anderen Beruf als Haupt- oder Nebenerwerb betrieben, 2.664.626, 56 Prozent, also die Mehrheit der Gesammtzahl. (Vergl. auch die Ziffern auf S. 114)
Bemerkenswerth ist auch die rasche Zunahme derjenigen, die im Hauptberuf Landwirthschaft und daneben einen anderen Beruf betreiben, während in allen anderen Berufszweigen die Zahl der Erwerbsthätigen mit einem Nebenberuf abgenommen hat.
Nebenberuf haben Erwerbsthätige |
1882 |
1895 |
||
---|---|---|---|---|
Absolut |
Prozent aller |
Absolut |
Prozent aller |
|
Landwirthschaft |
671.404 |
8,15 |
1.049.542 |
12,66 |
Industrie |
1.693.321 |
26,47 |
1.491.865 |
18,02 |
Handel |
397.927 |
25,34 |
384.104 |
16,43 |
Häusliche Dienste |
55.960 |
14,08 |
31.833 |
7,24 |
Armee, Staats- &c.Dienst, freie Berufsarten |
142.218 |
13,79 |
115.277 |
8,08 |
Ohne Beruf |
179.679 |
13,27 |
201.335 |
9,40 |
Zusammen |
3.140.509 |
16,54 |
3.273.456 |
14,28 |
Wo die Möglichkeit zu einem Nebenerwerb außerhalb der eigenen Landwirthschaft stark zunimmt, kann die Parzellirung der Güter einen unglaublich hohen Grad erreiche und die entgegenstehenden Zentralisationstendenzen wenigstens für einige Zeit vollständig überwinden.
Das Muster einer derartigen Entwicklung giebt Belgien. Dort zählte man:
Betriebe |
|
1846 |
|
1866 |
|
1880 |
|||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Absolut |
Prozent |
Absolut |
Prozent |
Absolut |
Prozent |
||||
bis zu 2 Hektar |
400.517 |
66,9 |
527.915 |
71,1 |
709.566 |
78,0 |
|||
2–5 Hektar |
83.384 |
14,6 |
111.853 |
15,1 |
109.871 |
12,1 |
|||
5–20 Hektar |
69.322 |
12,1 |
82.646 |
11,1 |
74.373 |
8,2 |
|||
20–50 Hektar |
14.998 |
2,6 |
15.066 |
2,0 |
12.186 |
1,3 |
|||
50 Hektar und darüber |
4.333 |
0,8 |
5.527 |
0,7 |
3.403 |
0,4 |
|||
Summa |
572.554 |
100,0 |
713.007 |
100,0 |
909.399 |
100,0 |
Von 1846 bis 1866 nahmen absolut alle Größenklassen zu, die kleineren Betriebe jedoch rascher als die größeren. Von 1866 bis 1880 dagegen nahmen alle ab, mit Ausnahme der kleinsten, bei denen von selbständiger Landwirthschaft keine Rede sein kann. Gerade bei dieser Betriebsklasse kann die Verringerung der Durchschnittsgröße am wenigsten steigender Intensifikation des Betriebs und muß vornehmlich der wachsenden Zersplitterung des Grundbesitzes und der Zunahme des Nebenerwerbs zugeschrieben werden.
Fast vier Fünftel der landwirthschaftlichen Betriebe Belgiens sind Zwergbetriebe, deren Besitzer auf Lohnarbeit oder anderen Nebenerwerb angewiesen sind, die als Produzenten von Lebensmitteln für den Markt nicht mehr in Betracht kommen. Ihre absolute Zahl hat sich seit 1846 fast verdoppelt, indeß die der größeren Betriebe (über 20 Hektar) seit dieser Zeit erheblich abgenommen hat. Ob aber gerade die Verehrer der Bauernschaft Ursache haben, über diese Art der Entwicklung besonders entzückt zu sein?
Nicht überall geht die Entwicklung in dieser Richtung vor sich. Die übermäßige Zersplitterung der Kleinbetriebe setzt ja voraus, daß Gelegenheit zum Nebenerwerb außerhalb der eigenen Landwirthschaft vorhanden. Wo nur der landwirthschaftliche Großbetrieb solchen Nebenerwerb bietet, da findet die Zersplitterung ihre Grenze, sobald sie anfängt, diesen selbst einzuschränken. Ueberdies wird ja die Zersplitterung des kleinen Grundbesitzes zu einer Stütze des Großbetriebs, wie wir gesehen. So kann es kommen, daß kleinster Betrieb und Großbetrieb gleichzeitig wachsen, nicht nur in Folge der Ausdehnung der Kulturfläche, sondern auch dort, wo dies nicht möglich. Da erfolgt die Parzellirung auf Kosten des mittleren Betriebs.
Dies ist im Allgemeinen die Entwicklung in Frankreich. Dort nimmt, wie die auf S. 132 mitgetheilten Daten zeigen, das Gebiet der größten und der kleinsten Betriebe gleichzeitig zu, das der mittleren nimmt ab. In Deutschland war diese Tendenz früher auch stark merkbar. 1882 kam v. Miaskowski „zu dem Resultat, daß die starke Vermehrung des beweglichen Kapitals in Verbindung mit anderen Momenten in unserer Zeit einerseits zur Vergrößerung und Arrondirung, andererseits wieder zur Zerstücklung und Verkleinerung des Grundeigenthums führt“. Allerdings scheinen sich diese beiden in der Bewegung desselben zu Tage tretenden Tendenzen auf den ersten Blick gegenseitig auszuschließen. Bei näherer Betrachtung löst sich dieser scheinbare Widerspruch jedoch in volle Harmonie auf, indem sich die entgegengesetzten Tendenzen entweder auf verschiedene Zeiten oder auf verschiedene Theile Deutschlands vertheilen, oder den mittleren Grundbesitz zerreiben, wo sie sich nebeneinander in derselben Gegend und zu derselben Zeit finden.
„Während sich der Agglomerationsprozeß nämlich hauptsächlich, wem auch nicht ausschließlich, im deutschen Norden und Nordosten vollzieht, ist die Güterzerstücklung meist auf den Süden und Südwesten beschränkt, wenngleich sie sporadisch auch in anderen Gegenden vorkommt.
„Beiden sich gegensätzlich verhaltenden und auf verschiedene Gegenden vertheilenden Tendenzen ist aber eins gemeinsam, daß dort die Vergrößerung und hier die Verkleinerung des Grundeigenthums hauptsächlich auf Kosten des mittleren Grundeigenthums erfolgt. Dieses ist es, das von zwei Seiten ins Gedränge kommt.“ (Das Erbrecht &c., S.130, 131.)
Wie der große und der kleine Besitz gleichzeitig auf Kosten des mittleren zunehmen, zeigen folgende Zahlen für Preußen, die wir bei Sering (Die innere Kolonisation) zusammengestellt finden. Sie beziehen sich auf die östlichen Provinzen (Preußen, Pommern, Brandenburg, Posen, Schlesien), sowie die Provinzen Westfalen und Sachsen.
In dem Zeitraum von 1816–1859 haben die spannfähigen Bauerngüter
|
Abgenommen |
|
Der Fläche nach mehr abgegeben als |
|
Zusammen |
||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Kleinbesitz |
|
Großbesitz |
|||||||||
Absolute Zahl |
Prozent |
Morgen |
Prozent |
Morgen |
Prozent |
Morgen |
Prozent |
||||
Ostprovinzen |
6.880 |
2,50 |
1.110.283 |
4,2 |
417.123 |
1,6 |
1.527.356 |
5,8 |
|||
Westfalen |
810 |
2,25 |
95.274 |
2,6 |
21.124 |
0,6 |
116.398 |
3,2 |
|||
Sachsen |
2.183 |
5,30 |
87.474 |
2,3 |
30.413 |
0,8 |
117.887 |
3,1 |
|||
Zusammen |
9.873 |
2,80 |
1.292.981 |
3,7 |
468.660 |
1,4 |
1.761.641 |
5,1 |
Für die Zeit von 1860–1864 fehlen Nachweise über die Bodenbewegung.
Von 1865–1867 gestaltete sie sich folgendermaßen. Es gewannen (+) oder verloren (−)
|
Rittergüter |
|
Spannfähige Güter |
|
Kleinbesitz |
|||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Stellen |
Morgen |
Stellen |
Morgen |
Stellen |
Morgen |
|||
Ostprovinzen |
+ 4 |
+ 81 |
− 102 |
− 178.746 |
+ 16.320 |
+ 167.130 |
||
Westfalen |
0 |
+ 5.510 |
− 404 |
− 28.289 |
+ 1.904 |
+ 20.899 |
||
Sachsen |
− 1 |
+ 8.206 |
− 295 |
− 17.889 |
+ 2.082 |
+ 13.477 |
Außerdem sind einige tausend Morgen in städtischen Besitz übergegangen oder zu öffentlichen Anlagen verwendet worden. Auch hier hat die mittlere Bauernschaft die Zeche bezahlen müssen.
In neuester Zeit hat im Deutschen Reiche die Bedrängung des mittleren Grundbesitzes durch Parzellirung und Arrondirung im Allgemeinen allerdings aufgehört. Seit 1882 bis 1895 waren es gerade die mittleren, bäuerlichen Güter von 5 bis 20 Hektar, die am meisten gewonnen haben (600.000 Hektar), wie die oben (S. 132) mitgetheilte Tabelle zeigt. Indessen thäte man Unrecht, daraus zu schließen, daß nun der entgegengesetzte Prozeß eingetreten ist und der mittlere Bauernbetrieb Zwergbetrieb und Großbetrieb zurückdrängt. Wir bekommen ganz eigenartige Resultate, wenn wir jene Betriebsgrößen, die eine entschiedene Bewegung aufweisen, von jenen trennen, die keine erheblichen Veränderungen merken lassen. Man zählte:
Betriebe |
|
1882 |
|
1896 |
|
Zu- oder Abnahme |
||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Absolut |
|
Prozent |
||||||
Unter 1 Hektar |
2.323.316 |
2.529.132 |
+ 205.816 |
+ 8,8 |
||||
1–5 Hektar |
1.719.922 |
1.723.553 |
+ 3.631 |
+ 0,2 |
||||
5–20 Hektar |
926.605 |
998.804 |
+ 72.199 |
+ 7,8 |
||||
20–1000 Hektar |
305.986 |
306.256 |
+ 270 |
+ 0,0 |
||||
Ueber 1000 Hektar |
515 |
572 |
+ 57 |
+ 11,0 |
||||
Zusammen |
5.276.844 |
5.558.817 |
+ 281.317 |
+ 5,3 |
Wir sehen also allerdings, daß die Betriebe von 5 bis 20 Hektar stark zugenommen haben, noch mehr aber prozentuell die größten und die kleinsten. Die dazwischenliegenden Betriebsgrößen haben an Zahl kaum zugenommen; sie sind im Verhältniß zur gestiegenen Gesammtzahl zurückgegangen.
Daß die kleinsten, größten und mittleren Betriebe gleichzeitig sich vermehren konnten, erklärt sich theils durch die Vermehrung der landwirthschaftlich benützten Fläche, theils durch die Verluste der dazwischen liegenden Betriebsgrößen an Boden. Es umfaßten landwirthschaftlich benützte Fläche (in Hektar):
die Betriebe von |
|
1882 |
|
1893 |
|
Zu- oder |
---|---|---|---|---|---|---|
unter 1 Hektar |
777.958 |
810.641 |
+ 32.683 |
|||
1–5 Hektar |
4.238.183 |
4.283.787 |
+ 45.604 |
|||
5–20 Hektar |
9.158.398 |
9.721.875 |
+ 563.477 |
|||
20–1000 Hektar |
16.986.101 |
16.802.115 |
− 86.809 |
|||
über 1000 Hektar |
708.101 |
802.115 |
+ 94.014 |
|||
Zusammen |
31.868.972 |
32.517.941 |
+ 648.969 |
Die Abnahme der von den Betrieben mit 20 bis 1000 Hektar eingenommenen Fläche, die übrigens von der Zunahme der Fläche der Betriebe mit über 1000 Hektar mehr als kompensirt wird, entspringt nicht einem Rückgang des Großbetriebs, sondern seiner Intensifizirung. Bis in die siebziger Jahre hinein lautete das Motto der Großgrundbesitzer: Mehr Land! Heute lautet es: Mehr Kapital! Das bedeutet aber, wie wir bereits wissen, oft, außer bei den Latifundien, sogar eine Verringerung an Land. Wir haben oben (S. 45) gesehen, daß die Zahl der landwirthschaftlichen Dampfmaschinen in Preußen von 1879–1897 sich verfünffacht hat. Andererseits ist auch die Zahl der landwirthschaftlichen Beamten, wie sie nur der Großbetrieb in Deutschland beschäftigt (Gutsverwalter, Inspektoren, Aufseher, Buchhalter u. s. w.) in dem gleichen Zeitraum (1882–1895) bedeutend gestiegen, von 47.465 auf 76.978, um 62 Prozent. Nebenbei sei hier auf die besonders rasche Zunahme der Frauen unter den landwirthschaftlichen Verwaltungs- und Komptoirbeamten hingewiesen. 1882 zählte man ihrer 5.875, 12 Prozent der Gesammtzahl dieser Beamten, 1895 dagegen 18.057, 23,4 Prozent.
Alles dies zeigt deutlich, um wie viel intensiver und kapitalistischer der landwirthschaftliche Großbetrieb seit dem Anfang der achtziger Jahre geworden ist.
Die Erklärung dafür, warum daneben gerade die mittelbäuerlichen Betriebe so sehr an Boden gewonnen haben, werden wir im folgenden Kapitel finden.
Was uns hier interessirt, ist die Thatsache, daß die Proletarisirung des Landvolks in Deutschland ebenso wie anderswo fortschreitet, trotzdem hier die Tendenz auf Parzellirung der mittleren Güter zu wirken aufgehört hat. Von 1882–1895 hat sich die Zahl aller landwirthschaftlichen Betriebe um 281.000 vermehrt. Davon aber entfällt der weitaus größte Theil auf die Zunahme der proletarischen Betriebe unter 1 Hektar. Diese nahmen um 206.000 zu.
Die Bewegung der Landwirthschaft ist, wie man sieht, eine ganz eigenartige, von der des industriellen und des kommerziellen Kapitals ganz verschiedene. Wir haben im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, daß in der Landwirthschaft die Tendenz zur Zentralisation der Betriebe nicht zur völligen Aufhebung des Kleinbetriebs führt, sondern daß sie, wo zu weit zur Geltung gebracht, die entgegengesetzte Tendenz erzeugt, daß die Tendenz zur Zentralisation und die zur Zersplitterung einander ablösen. Jetzt sehen wir, daß beide Tendenzen auch nebeneinander wirken können. wächst die Zahl der Kleinbetriebe, deren Besitzer auf dem Waarenmarkt als Proletarier, als Verkäufer der Waare Arbeitskraft erscheinen, deren Grundbesitz nur außerhalb des Gebiets der Waarenproduktion, auf dem Gebiet der Produktion für den Haushalt sich geltend macht. Diese kleinen Landwirthe haben auf dem Waarenmarkt als Verkäufer der Waare Arbeitskraft alle entscheidenden Interessen mit dem industriellen Proletariat gemein, ohne durch ihren Besitz im einen Gegensatz zu ihm zu gerathen. Sein Grundbesitz emanzipirt zwar den Parzellenbauern mehr oder weniger vom Lebensmittelhändler, nicht aber von der Ausbeutung durch den kapitalistischen Unternehmer, mag dieser nun ein industrieller oder ein landwirthschaftlicher sein.
Wo diese Stufe erreicht ist, da wird die Zunahme der Kleinbetriebe auf dem Lande nur noch eine besondere Form der Zunahme der proletarischen Haushaltungen, die Hand in Hand geht mit der Zunahme des kapitalistischen Großbetriebs.
Die dem kleinen Landwirth zunächst liegende Form des Nebenerwerbs ist die der landwirthschaftlichen Lohnarbeit. Wir finden sie schon in der Feudalzeit, sobald die Ungleichheit im Dorfe sich soweit entwickelt hat, daß auf der einen Seite die Güter sich zu sehr verkleinern, um zur Ernährung der Besitzer hinzureichen, und auf der anderen Seite sich so sehr vergrößern, daß die Arbeitskräfte der Bauernfamilie nicht hinreichen, sie zu bebauen.
Ein Analogon findet diese moderne Arbeit der Kleinbauern auf den größeren Gütern auch in den feudalen Verpflichtungen, die den Bauern ehedem zwangen, eine gewisse Anzahl von Tagen im Jahre auf dem Gute des Grundherrn zu frohnden.
Am erwünschtesten ist dem Bauern natürlich ein Nebenerwerb in der Zeit des Ruhens der landwirthschaftlichen Arbeiten, im Winter. Solchen Nebenerwerb findet er am ehesten dort, wo große Waldungen in der Nähe sind, die im Winter zahlreiche Arbeitskräfte zum Gewinnen und Transportiren des Holzes brauchen. Aber nicht überall giebt es ausgedehnte Wälder, und nicht immer reicht der durch sie gebotene Nebenerwerb aus, das Geldbedürfniß der Kleinbauern zu befriedigen. Diese müssen nach landwirthschaftlichen Arbeiten im engeren Sinne sich umsehen. Das Arbeitsbedürfniß der landwirthschaftlichen Betriebe ist ja ein sehr wechselndes; zu Zeiten, namentlich während der Ernte, reichen die ständigen Kräfte einer größeren Wirthschaft nicht aus, sie bedarf zuschüssiger Arbeiter. Diese Zeiten, in denen der Kleinbauer am ehesten einen landwirthschaftlichen Nebenerwerb findet, das sind aber gerade jene, in denen er im eigenen Betrieb am dringendsten nothwendig ist. Die Nothwendigkeit des Gelderwerbs zwingt ihn, die eigene Wirthschaft zu vernachlässigen, die ohnehin wegen ihres geringen Umfangs und des Mangels an Mitteln höchst irrationell betrieben wird. Er muß die landwirthschaftlichen Arbeiten im eigenen Betrieb der Frau, eventuell auch den Kindern, wenn diese groß genug dazu, überlassen, und kann höchstens noch Feierabend- und Sonntagsarbeit dafür leisten.
Man darf sich die Betriebe, die auf diese Weise auf Nebenerwerb angewiesen sind, nicht immer als ganz zwerghaft vorstellen. So berichtet z. B. Kärger aus Westfalen (Kreise Coesfeld, Borken, Recklinghausen &c.):
„Der eigene oder gepachtete Grundbesitz (der freien Tagelöhner) schwankt zwischen 1–5, meist zwischen 1–3 Hektar. Wer über 5 Hektar – nach einer vereinzelt dastehenden Angabe sogar über 3 Hektar hat – geht gewöhnlich nicht mehr auf Tagelohn, sondern lebt ganz von seiner Wirthschaft. Doch wird in einem Berichte der Umfang der Besitzungen solcher Tagelöhner bis auf 6, in einem anderen bis auf 8 Hektar angegeben.“
Es hängt das natürlich von der Ertragsfähigkeit des Landes ab. (Verhältnisse der Landarbeiter, I, S. 126.)
Derselbe theilt aus dem Regierungbezirk Osnabrück mit, der Betrieb eines Heuerlings umfasse dort in der Regel:
Ein Wohn- und Wirthschaftsgebäude mit Stallungen für drei Kühe und mehrere Schweine und Schafe; einen Garten von 10–15 Ar, Ackerland von etwa 2 Hektar, Wiesen ½–1½ Hektar, Antheil an der gemeinen Weide oder Weideland von 1 Hektar und Plaggenhieb in dem Markwalde auf einer Fläche von 1½–2 Hektar. (a. a. O., S. 64)
Eine Wirthschaft mit drei Kühen, mehreren Schafen und Schweinen kann schon als eine recht ansehnliche betrachtet werden. Und doch ist ihr Inhaber zur Lohnarbeit gezwungen!
Aber nicht überall sind größere Güter in der Nähe, die Gelegenheit zu Nebenverdienst geben. Oft werden solche Güter, weit entfernt, als Konkurrenten betrachtet zu werden, geradezu ersehnt.
So wird aus dem Eisenacher Oberland berichtet:
„Die Gründung eines größeren Gutes durch den ganz neuerdings bewirkten Ankauf des erforderlichen Areals, sowie die projektirte Anlegung einer Zuckerfabrik in der Nähe Wiesenthals wird nicht verfehlen, einen günstigen Einfluß auf die dortigen bäuerlichen Zustände auszuüben ... Eine Anzahl Tagelöhner und kleine Grundbesitzer werden lohnende Beschäftigung finden. “ (Bäuerliche Zustände, I, S. 40, 57)
Aus dem Eisenacher Unterland wird mitgetheilt, daß die Mehrzahl der dortigen Grundstücksbesitzer weniger als 5 Hektar besitzt. Ihre Verhältnisse seien wenig günstig.
„Der vorhandene größere Besitz an Ritter, Kammer- und Freigütern ist nicht von der Bedeutung (12,5 Prozent der Gesammtfläche), um durch Verwerthung der Arbeitskräfte als Tagelöhner und sonstiges Arbeitspersonal dem Stand der kleinen Grundstücksbesitzer ausreichende Beschäftigung und demgemäß Verdienst zu gewähren.“ (a. a. O., S. 66).
Auch im Großherzogthum Hessen wird an eine der Ursachen der großen Noth in kleinbäuerlichen Kreisen der Mangel großer Güter aufgeführt.
„In den Orten mit dem Erbrecht in natura“, berichtet Dr. Kuno Frankenstein, „wo also die Grundstücke der Anzahl der Kinder nach in entsprechende Theile geschnitten werden, soweit dies bei der Kleinheit der Parzellen überhaupt noch möglich ist, existirt ein eigentlicher Arbeitermangel nicht, weil sich die vielen kleineren Besitzer mit oft nur 5–10 Morgen und noch weniger Besitzthum unter Umständen alle als Arbeiter anbieten ... Das Bedürfniß nach Arbeitskräften ist aber in solchen Orten mit so kleinen bäuerlichen Gütern, besonders wenn kein größeres Gut vorhanden ist, nicht sehr groß, so daß die Besitzer von so kleinen Tagelöhnergütern nicht Gelegenheit genug haben, ihre Arbeitskraft in der eigenen Wirthschaft oder auch gegen Lohn auszunutzen . Die Lage dieser Besitzer solcher Zwergwirthschaften ist daher meist eine recht traurige. “ (Verhältnisse der Landarbeiter, II, S. 232)
Haben wir im vorigen Kapitel den Kleinbetrieb als Stütze des Großbetriebs kennen gelernt, so sehen wir hier den Großbetrieb als Stütze des Kleinbetriebs auftreten.
Durch die dauernde Unterernährung entkräften diese hessischen Kleinbauern so sehr, daß sie schließlich unfähig werden, auch das bischen Gelegenheit zur Lohnarbeit auszunutzen, das noch vorhanden.
„Die Leute sind, wegen ihrer kärglichen Ernährung zu Hanse, gar nicht im Stande, schwere Arbeit anhaltend zu verrichten. Das hat in einigen Ortschaften dahin geführt, daß die Bewirthschafter größerer Güter sich fremde Arbeitskräfte kommen lassen, trotzdem im Orte selbst die heimischen Arbeitskräfte nicht ausgenutzt werden konnten.“
Aber eine derartig verkommene Bevölkerung, die zu anhaltender Landarbeit zu schwach geworden ist, taugt immer noch zu dem anderen Nebenerwerb, nach dem der Kleinbauer gern dort greift, wo ihm landwirthschaftliche Lohnarbeit versagt bleibt, zur Hausindustrie.
Auch ihre Anfänge reichen in die Feudalzeit. Wir haben schon Eingangs dieser Schrift darauf hingewiesen, daß ursprünglich der Bauer Landwirth und Industrieller gleichzeitig war, Erst nach und nach drängte ihn die Entwicklung der städtischen Industrie dahin, sich fast ausschließlich der Landwirthschaft zu widmen. Aber noch lange bleiben in der bäuerlichen Familie manche Handfertigkeiten im Schwange. Wo die Landwirthschaft als einzige Erwerbsquelle zu versagen beginnt, da kommen sie wieder zu Ehren. Aber nicht in der Form des für den Kunden arbeitenden Handwerks. Der isolirte Bauer kann mit dem städtischen Handwerk nicht konkurriren, das über einen größeren Markt und alle Hilfsmittel der Stadt verfügt. Die ländliche Industrie als Waarenproduktion kann sich nur entfalten als Produktion für einen Kapitalisten, einen Kaufmann oder Verleger, der die Verbindung mit dem weiten Markt herstellt, den der abgelegene Bauer direkt nicht erreichen kann; und sich nur entfalten auf Gebieten, auf denen einfache Handfertigkeiten und Werkzeuge genügen. Am ehesten kommt es zur Entwicklung einer solcher Hausindustrie dort, wo das Rohmaterial ihr nahe liegt – Holzschnitzere i in der Nähe von Waldungen, Schiefertafel- und Griffelmacherei bei Schieferbrüchen, Korbflechterei in wasserreichen, der Weidenkultur günstigen Gegenden, Kleineisenindustrie in der Nähe von Eisenerzen u. s. w. Aber das Vorhandensein zahlreicher brachliegender billiger Arbeitskräfte genügt oft allein, um findige Kapitalisten zu ihrer hausindustriellen Ausbeutung anzuregen; oft liefern diese selbst das Rohmaterial, etwa Baumwollen- oder Seidengarn, das verwebt werden soll.
Am meisten entwickelt sich die ländliche Hausindustrie in Gegenden, wo der Boden am dürftigsten ist und wo gleichzeitig die technischen Vorbedingungen fair den landwirthschaftlichen Großbetrieb am ungünstigsten sind; namentlich aber dort, wo dazu noch politische Hindernisse dem Großbesitz hemmend entgegenstehen oder standen. Wir finden die ländliche Hausindustrie in den gebirgigen Gegenden, die Böhmen gegen Schlesien und Sachsen hin begrenzen, in Thüringen, im Taunus, im Schwarzwald, wir finden sie aber namentlich stark entwickelt in der Schweiz – die Uhrmacherei in der westlichen, die Seidenweberei in der zentralen, die Stickerei in der östlichen.
In ihren Anfängen wurden diese Hausindustrien vielfach mit Jubel begrüßt. Jeder Begründer einer solchen galt als ein Wohlthäter der armen Bauern, denen er Gelegenheit bot, ihre müßigen Stunden, namentlich im Winter, vortheilhaft zu verwenden. Ihre vergrößerten Einnahmen mußten sie befähigen, ihre Betriebe rationeller zu gestalten und dadurch wiederum ihre Einnahmen erhöhen Der Wechsel von industrieller und ländlicher Arbeit erhielt die hausindustrielle Bevölkerung gesund und kraftvoll, im Gegensatz zu den Industriearbeitern der Städte, er machte sie wohlhabend und intelligent im Gegensatz zum bloßen Bauern, der sich auf den Betrieb seiner Landwirthschaft beschränkte und so viele kostbare Stunden ungenutzt ließ.
Noch Schönberg weiß in seinem Handbuch der politischen Oekonomie (3. Aufl., II, S. 428), die Vortheile der Hausindustrie überall dort, wo sie nicht von der Konkurrenz der Maschine bedrängt wird, in den rosigsten Farben zu schildern. Die ganze Familie arbeitet zusammen, „der Vater kann die Erziehung seiner Kinder leiten und ihre Ausbildung überwachen, die Frauen können für ihren Haushalt und ihre Kinder sorgen, die Mädchen stehen unter der Kontrolle und dem Schutze der Familie“. Die Arbeitszeit ist nur vom eigenen Willen des Arbeiters abhängig, der Arbeiter frei, „das ganze Leben des Arbeiters wird behaglicher, gemüthvoller und inhaltreicher. Bei der ländlichen Hausindustrie insbesondere wechselt die gewerbliche Thätigkeit ab mit gesunder landwirthschaftlicher Arbeit und wird die Massenkonzentration von Lohnarbeitern an einem Orte mit ihren Nachtheilen für die Arbeiter und die Gemeinden vermieden. Die Hausindustrie gestattet endlich auch noch die zeitweise Verwendung aller produktiven Erwerbskräfte der Familie und ermöglicht dadurch – ohne Gefahr für die Personen und das Familienleben – eine Erhöhung des Familieneinkommens“.
Diesen „unleugbaren“ Vortheilen stehen allerdings Nachtheile gegenüber, für die auch Schönberg nicht die Augen verschließen kann. Aber schließlich kommt er doch zu dem Ergebniß:
„Alle diese Nachtheile, so schwer sie auch wiegen, sind doch nicht der Art, daß nicht die Hausindustrie ihrer Natur nach für die sozialen Verhältnisse der Arbeiter als die an sich günstigere Betriebsform erscheinen.“
Nur dort sei sie nicht am Platze, wo sie mit der Fabrikindustrie zu konkurriren habe.
Die Wirklichkeit bietet uns ein anderes Bild, selbst wenn wir Hausindustrien betrachten, die noch keinen Kampf mit der Maschine der Großindustrie zu führen haben etwa Korbflechterei, Zigarren- oder Spielwaarenfabrikation und dergleichen.
Vor Allem fördert keine Art des ländlichen Nebenerwerbs so sehr die Bodenzerstücklung, wie diese, weil keife so rascher Ausdehnung fähig ist. Die Zahl der landwirthschaftlichen Großbetriebe ist begrenzt, ebenso die der Bergwerke; auch die der Fabriken auf dem Lande kann nicht nach Belieben erweitert werden. Die Möglichkeit der Lohnarbeit findet da ihre bestimmten Grenzen. Anders die Hausindustrie. Sie findet ihre Grenze nur in der Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte; im kleinsten Betrieb, mit den primitivsten Mitteln, ohne jeglichen oder doch ohne nennenswerthen Kapitalaufwand ist sie durchführbar, und der Kapitalist riskirt gar nichts, wenn er sie bei günstiger Lage des Marktes aufs Rascheste ausdehnt; er hat kein fixes Kapital, keine Baulichkeiten und Maschinen anzuschaffen, die nutzlos verschleißen, wenn sie nicht produktiv angewendet werden; hat keine Grundrente und sonstige Lasten zu zahlen, die fortlaufen, ob das Geschäft florirt oder nicht. Alle diese Lasten, der vornehmste Theil des kapitalistischen Risikos, sind von den ausgebeuteten Hausindustriellen zu tragen. Das macht jede Krise für diese verheerender als für die Arbeiter der Großindustrie, weil der Kapitalist sich den Hausarbeitern gegenüber leichter zur Reduzirung seiner Unternehmungen entschließt, es läßt aber auch ihre Zahl in günstigeren Zeiten viel leichter anschwellen. Die Zeit der Blüthe wird ihnen aber fast noch verderblicher als die des Niedergangs.
Die Zahl der Eheschließungen und Familiengründungen wächst, damit aber auch die Nachfrage nach kleinen Gütchen, ohne die auf dem Lande eine selbständige Haushaltung unmöglich. Die Bodenpreise steigen, die Parzellirung des Bodens nimmt zu, die einzelnen Gütchen werden immer kleiner, gleichzeitig wird aber auch ihre Bestellung immer schlechter. Schon wegen ihrer zunehmenden Kleinheit, dann aber auch dem, weil eine Hausindustrie, die florirt, die Geld ins Haus bringt, immer mehr alle Arbeitskräfte der Familie anspannt und sie der Landwirthschaft entzieht. Dauert das aber einige Zeitlang, dann schwindet in Folge der sitzenden Lebensweise auch die körperliche Fähigkeit der Hausindustriellen zu andauernder landwirthschaftlicher Thätigkeit. Sie können ihre Felder nicht mehr ordentlich bestellen und die Kleinheit der landwirthschaftlichen Betriebe wird jetzt eine physische Nothwendigkeit für sie.
Die Gütchen werden so klein, daß sie zur Haltung einer Kuh nicht mehr ausreichen. Die Milch verschwindet vom Tische, an ihre Stelle tritt Zichorienbrühe. Mit der Kuh verschwindet der Stallmist und das Zugthier vor dem Pfluge; die Felder werden immer unfruchtbarer und ungeeigneter zur Getreideproduktion. Ueberdies bedarf Getreide erst des Vermahlens und Verbackens, um zur Nahrung dienen zu können. Man bevorzugt Gewächse, die anspruchsloser sind, die auf gleicher Fläche zwar nicht an Nahrungsstoffen, aber an Gewicht größere Erträge liefern, Krant, Rüben und namentlich Kartoffeln, Feldfrüchte, die auch ohne weiteres in der Küche zu verwenden sind.
So wird die Kost des Hausarbeiters reduzirt auf Zichorienbrühe und Kartoffeln – Mittel, geeigneter, den Magen zu betrügen als ihm die Stoffe zur Ernährung des Körpers zuzuführen. Der Einfluß der industriellen Thätigkeit wird nun verstärkt durch den der Unterernährung, die Körperkräfte des Hausarbeiters verfallen bis auf jenes Minimum, das zur Uebung seiner Fingerfertigkeit noch erforderlich ist.
Nicht minder verkommt seine Landwirthschaft. Müssen doch die kleinen, schlecht bearbeiteten, ungedüngten Parzellen jahraus jahrein dieselbe Frucht tragen. Die Landwirthschaft gelangt auf eine Stufe, die unter jener der Germanen am Ende der Völkerwanderung steht.
Von fünf Dorfgemeinden auf dem hohen Taunus berichtet Schnapper-Arndt in seinem gleichnamigen Buche (S. 50):
„Nur in Seelenberg sollen sich ansehnliche Reste der Dreifelderwirthschaft erhalten haben; in den übrigen Dörfern kennt aber die Noth vielfach kein Gebot und von zahlreichen Feldern werden jahraus jahrein Kartoffeln verlangt, weil eben ein vernünftiger Wechsel den all Boden sowohl wie an sonstigen Mitteln armen Besitzern nicht möglich ist.“
In den fünf Dörfern zählte man ins Ganzen nur 463 Kühe auf 758 Haushaltungen bezw. Einzelsteuernde. 486 Haushaltungen besaßen gar keine Kuh, 117 nur je eine.
Mit dem physischen Ruin von Land und Leuten geht aber Hand in Hand der ökonomische Niedergang. Ein technischer Fortschritt ist in der Hausindustrie nur in geringem Maße möglich. Die Hausindustriellen untereinander ebenso wie die sie ausbeutenden Kapitalisten können den Konkurrenzkampf nur kämpfen durch stärkere Anspannung der Arbeitskraft und Verringerung ihrer Löhne. Diese Art des Konkurrenzkampfes wird noch erleichtert durch die Isolirung der einzelnen Hausindustriellen in ihren Familien, ihre Zerstreuung über große Landstrecken, was ihre Organisirung fast unmöglich macht, durch das Fehlen anderer Erwerbsmöglichkeiten in ihren Gegenden und durch ihre Fesselung an die Scholle, die es ihnen verbietet, der hochgradigen Ausbeutung zu entfliehen, um sie mit einem milderen Ausmaß derselben in anderer Gegend zu vertauschen. Dem Verleger sind seine Hausindustriellen sicher. Auch die längste Arbeitslosigkeit verscheucht sie ihm nicht. So finden wir die längste, erschöpfendste Arbeitszeit, die erbärmlichste Bezahlung der Arbeitsleistung, die größte Ausdehnung der Frauen- und Kinderarbeit, die jämmerlichsten Zustände der Arbeits- und Wohnstätten, mit einem Wort, die empörendsten Verhältnisse, die unsere Produktionsweise überhaupt aufweisen kann, in der kapitalistisch ausgebeuteten Hausindustrie. Diese ist das infamste System der kapitalistischen Ausbeutung und die degradirendste Form der Proletarisirung der Bauernschaft. Alle Versuche, einer kleinbäuerlichen Bevölkerung, die durch rein landwirthschaftliche Arbeit ihre Existenz nicht mehr zu fristen vermag, durch die Einbürgerung einer Hausindustrie auszuhelfen, müssen nach einem kurzen, sehr problematischen Aufschwung den Absturz ins tiefste und hoffnungsloseste Elend zur Folge haben. Sie sind daher auf das Entschiedenste zu bekämpfen.
Zum Glück ist die Hausindustrie nur ein Uebergangsstadium zur Großindustrie. Früher oder später schlägt für jede Hausindustrie die Stunde, wo sie technisch überflüssig gemacht wird durch die Maschine, und diese Stunde schlägt um so früher, je rascher die Hausindustrie sich entwickelt und spezialisirt, je weiter sie die Arbeitstheilung treibt.
Diese Stunde ist jedoch noch nicht die Erlösungsstunde des Hausindustriellen, sondern vielmehr der Beginn des qualvollsten Theils seines Kreuzwegs. Denn nun heißt’s, die Arbeitskraft noch maßloser anspannen, die Lebensbedürfnisse noch tiefer herabdrücken, die Familie noch mehr abrackern, um im Wettlauf mit der Maschine nicht gar zu weit zurückzubleiben. und wie lauge dauert oft dieser gräßliche Wettlauf, bis schließlich der längst Ueberholte athemlos zusammenbricht!
Daß der Hausindustrielle das hoffnungslose Wettrennen so lauge aushält, ist seiner Landwirthschaft zuzuschreiben.
Wo die Landwirthschaft nicht der Waarenproduktion dient, sondern den Bedürfnissen des Haushalts, da unterliegt sie nicht der Triebkraft der Konkurrenz, da bildet sie ein konservatives Element, das allem Ueberlebten noch ein Scheinleben fristet. Sie ist es, die den Todeskampf der Hausindustrie ins Endlose verlängert, die den Handweber, der schon vor einem halben Jahrhundert nicht mehr leben konnte, immer noch nicht sterben läßt.
„Der Grund, warum trotz der unaufhörlichen Konvulsionen dieser Zweig (die Handweberei in Nordböhmen) dennoch in unverringerter Anzahl sich erhalten hat, liegt zum nicht geringen Theil darin, daß der Haupttheil der Weberbevölkerung etwas Grund und Boden hatte, der in der Zeit des besseren Geschäftsgangs zu Ergänzung des gewerbsmäßigen Erwerbs, in Nothlagen aber wenigstens als Mittel diente, sich durch die Drangsale der Krisis nothdürftig durchzuschlagen.“ (A. Braf, Studien über nordböhmische Arbeiterverhältnisse, S. 128)
Trotzdem ist die ländliche Hausindustrie in der letzten Zeit in raschem Zurückweichen überall dort begriffen, wo die Großindustrie aufs Land kommt, nicht um dem Hausindustriellen Konkurrenz zu machen, sondern ihm neue Erwerbsmöglichkeiten zu eröffnen.
Die Großindustrie bedarf zu ihrer Entfaltung großer Massen besitzloser, verwendbarer (geschickter und disziplinirter) Arbeiter und der Nähe eines großen Marktes. Das findet sie am ehesten in den großen Handelszentren. Ihre Entwicklung selbst zieht wieder neue Arbeitermassen an, und fördert den Verkehr von und nach den Orten, in denen sie aufblüht. Die Tendenz der kapitalistischen Großindustrie geht also nach der fortschreitenden Konzentrirung der Masse der Bevölkerung und des ökonomischen Lebens in den großen Städten.
Aber eine Reihe von Faktoren bewirkt, daß nicht der gesammte Strom der anwachsenden Großindustrie sich in die Städte ergießt, daß einige Bächlein auch das flache Land befruchten. Diese Faktoren sind theils natürlicher, theils gesellschaftlicher Art.
Zu den ersteren gehört vor Allem die mit der Ausdehnung der Großindustrie wachsende Nachfrage nach Roh- und Hilfsmaterialien, die nicht in der Stadt, mir auf dem flachen Lande produzirt werden können, und Angesichts des Massenkonsums in Massen, in Großbetrieben produzirt werden. Dazu gehören vor Allem die Bergwerke. Der Aufschwung des Bergwesens ist ein mächtiges Mittel, die ländlichen Verhältnisse zu revolutioniren.
Es liegt anderseits nahe, die Rohmaterialien, namentlich solche, die ein im Verhältniß zu ihrem Werthe hohes Gewicht haben und einen weiten Transport nicht vertragen, in der Nähe ihrer Produktionsstätten zu verarbeiten. So entstehen auf dem Lande Eisenhütten, Ziegeleien, Zuckerfabriken &c.
Endlich locken starke, leicht zu zähmende Wasserkräfte manche Industrie in mitunter recht weit abliegende Thäler.
Daneben kommen aber auch gesellschaftliche Momente zur Geltung. In den Städten ist die Lebenshaltung eine höhere als auf dem flachen Lande, und sind, bei gleicher Lebenshaltung, die Kosten der Erhaltung der Arbeitskraft größere, wegen der höheren Grundrente der Wohnungen, der Trausportkosten der Lebensmittel, des Fehlens eigener Landwirthschaft der einzelnen Arbeiter. Schon deshalb müssen die Geldlöhne in der Stadt höher sein als auf dem flachen Lande.
Dazu kommt aber die Konzentrirung der Arbeiter in Massen auf engem Raum. Das erleichtert es ihnen, sich zu verständigen und sich zu organisiren. Es erschwert ihre Ueberwachung, und ebenso ihre wirksame Maßregelung. Bei den. zahlreichen Erwerbsmöglichkeiten hat ein Gemaßregelter immer Aussicht auf ein Unterkommen. Alles das ist auf dem Lande anders; dort sind die Arbeiter unfähiger, dem Kapital zu widerstehen, sie sind unterwürfiger und anspruchsloser. Das bildet eine große Verlockung für die Großindustriellen ihre Betriebe aufs flache Land zu verlegen, und wenn sie geeignete Arbeitskräfte auf dem Lande vorfinden, was zu ihrem Bedauern nur sporadisch der Fall, und sonst alle Bedingungen eines erfolgreichen Betriebs vorhanden sind, thun sie das um so lieber, je mehr die Arbeiterbewegung in den Städten wächst.
Diese Verlegung einer Großindustrie aufs flache Land wird um so eher vor sich gehen, je mehr das Verkehrswesen – Kanäle, Eisenbahnen, Telegraphen – sich entwickelt. Um so leichter wird es, mit dem großen Markt in enger Fühlung zu bleiben. Anderseits bildet das Erstehen dieser großen Betriebe auf dem Lande selbst wieder ein mächtiges Motiv der Ausdehnung der modernen Verkehrsmittel. Deren Bau, Erhaltung und Benutzung selbst liefert aber wieder eine Reihe von Erwerbsmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung.
Zunächst sind die Folgen für die kleinen Landwirthe und ihren Boden kann günstiger als unter dem Regime der Hausindustrie. Die größeren Betriebe, die Lebensmittel für den Verkauf produziren, gewinnen allerdings wenigstens insofern als der Absatzmarkt für ihre Waare sich ungemein erweitert und in ihre nächste Nähe rückt. Dieser Vortheil wird freilich meist mehr als wett gemacht durch den Arbeitermangel, den die Industrie für sie hervorruft. Doch das gehört in ein anderes Kapitel.
Alle aber, große wie kleine Landwirthe, leiden unter der Steigerung der Bodenpreise. Die große Industrie bringt raschen Bevölkerungszuwachs, nicht blos, wie die Hausindustrie, in Folge der Erleichterung der Eheschließungen und Hausstandsgründungen, sondern auch durch die Anlockung aswärtiger Arbeitskräfte, da ein großkapitalistisches Unternehmen auf dem Lande selten mit den Kräften auskommt, die ihm die nächste Umgebung liefert. Die Nachfrage nach Wohnungen und Bodenparzellen steigt, damit auch ihre Preise. Je höher aber der Bodenpreis desto geringer, unter sonst gleichen Umständen, die Mittel, die dem Bodenkäufer für den Betrieb bleiben, desto dürftiger dessen Ausstattung. Wir kommen darauf noch im nächsten Kapitel zurück.
Dazu kommt aber noch, daß die Großindustrie den Arbeiter in der Regel in ganz anderer Weise in Anspruch nimmt, als die Hausindustrie. Diese gestattet es meist, daß die gesammte Familie zeitweise die industrielle Thätigkeit unterbricht, um sich der landwirthschaftlichen zu widmen, z. B. zur Zeit der Ernte. Immer ist das freilich auch nicht der Fall. In mancher Hausindustrie fällt die Saison der dringendsten Arbeiten mit der Zeit der dringendsten Landarbeiten zusammen.
„Gerade in der heißen Erntezeit, wo des Landmanns Arbeitstag oft 20, die ruhebringende Nacht 4 Stunden dauert, ist auch der Spielwaarenmacher am strengsten thätig und behält keine Minute frei für die benöthigte Landarbeit. “ (E. Sax, Die Hausindustrie in Thüringen, I, S. 48)
Wo das der Fall, da trennen sich Hausindustrie und Landwirthschaft, ihre Vereinigung in einer Hand wird unmöglich. Aber das ist doch bei weitem nicht die Regel.
Anders in den großindustriellen Betrieben. Schon die große Menge des fixen Kapitals, die sie enthalten, und die unverwerthet verschleißt, wenn sie nicht verwendet wird, drängt den Unternehmer, möglichst alle größeren Unterbrechungen des Arbeitsprozesses zu meiden. Nur wenige großindustrielle Unternehmungen arbeiten blos während eines Theils des Jahres und zwar während jener Jahreszeiten, in denen die landwirthschaftliche Arbeit ruht oder doch nicht drängt. Derartige Unternehmungen sind z. B. die Zuckerfabriken, deren „Kampagne“ nach der Rübenernte im Herbst beginnt und den Winter hindurch dauert, ca. 4 Monate lang. Sie wird möglichst beschleunigt, da die Rüben gegen das Frühjahr zu leicht verderben.
Die Arbeit in den Zuckerfabriken schmälert dem Landarbeiter und Zwergbauern also nicht die für die Landwirthschaft nöthige Arbeitszeit.
Auch die Arbeit in den Kohlenbergwerken ist unter Umständen mit der Landarbeit verträglich. Im Winter ist der Bedarf an Kohlen ein größerer, die Förderung eine stärkere, anderseits aber giebt die Einrichtung der Nachtschichten einen Theil der Bergarbeiter für den Tag „frei “, den sie freilich zum Ausruhen benutzen sollten, nicht selten aber zu Landarbeit benützen, wohl aus Uebermuth in Folge ihrer glänzenden Löhne und um den Kraftüberschuß los zu werden, zu dessen Ausgebung die zu kurze Arbeitszeit im Bergwerk nicht genügt.
So berichtet Kärger:
„Ein Wechsel zwischen ländlicher und nicht ländlicher Arbeit findet im Kreise Recklinghausen statt, indem dort die grundbesitzenden freien Tagelöhner oftmals vom Anfang der Ernte bis Ende November auf dem Lande, die übrige Zeit in den Zechen arbeiten. “ (Verhältnisse der Landarbeiter, I, S. 124.)
In der Bergwerksgegend von Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, sind die grundbesitzenden Landarbeiter fast verschwunden.
„Tagelöhner ohne jeden Antheil am Boden werden zwar manchmal beschäftigt, es sind dies aber meistens Bergarbeiter, die bei der kurzen Arbeitszeit im Bergbau Zeit genug finden, sich nebenher, namentlich wenn sie Nachtschicht haben, noch einige Stunden am Tage mit landwirthschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen, oder die sich bei Bauern gegen die Verpflichtung eingemiethet haben, ihnen in der Erntezeit zu helfen, oder die sich gegen die gleiche Verpflichtung ein Stück Land zur Kartoffelpflanzung gepachtet haben, oder endlich solche, welche wegen Abnahme ihrer Kräfte für den Bergbau nichts mehr taugen ... Ganz vereinzelt wird auch von einem Einkommen der Tagelöhner aus der eigenen Wirthschaft berichtet, wobei aber wohl nur Bergarbeiter, die nebenbei ländliche Arbeiten verrichten, gemeint sind. Solche miethen sich manchmal ein Häuschen mit etwas Gartenland, halten sich ein oder zwei Ziegen und erhalten zuweilen auch die Erlaubniß, auf dem Grundstück des Verpächters so viel Kartoffeln zu bauen, als sie düngen können.“ (A. a. O., S. 132)
Endlich noch ein Beispiel aus dem östlichen Kohlenrevier, Schlesien:
„In den Kohlen- und Industriebezirken ist es eine sehr häufige Erscheinung, daß Landarbeiter zeitweise n den Kohlengruben und in der Industrie, namentlich im Baugewerbe, oder auch in Fabriken, Arbeit suchen und zur Ernte wieder aufs Land kommen. Namentlich ist dies bei den Kleinstellenbesitzern der Fall.“ (A. a. O., III, S. 502)
Unter Umständen kann da die Bergarbeit eine starke Stütze der bäuerlichen Wirthschaft werden.
„Die Rückwirkung der Gemenglagen auf den bäuerlichen Besitz“, heißt es in einem Bericht aus Westfalen, „ist sehr schädlich überall dort, wo der Besitzer von seinem Grundstück leben soll. Wo die Bauernschaft, wie zu 80 Prozent im Kreise Siegen, vom Bergbau und Hüttenwesen noch bedeutenden Nebenverdienst hat, kommt der Schaden nicht zum Ausbruch.“ (Bäuerliche Zustände, II, S. 8)
Aber wenn auch in einzelnen Industriezweigen Saisonarbeit geboten oder doch möglich ist, im Allgemeinen nimmt die großindustrielle Arbeit den Arbeiter das ganze Jahr hindurch ununterbrochen in Anspruch.
Aber sie beansprucht nicht, wie die Hausindustrie, die gesammte Arbeiterfamilie. Die Ausbeutung der Kinder unter 14 Jahren wird schon durch das Gesetz verboten. Die Anwendung der Hausfrau in der Großindustrie ist schwerer als in der Hausindustrie; denn im letzteren Falle braucht sie nicht Haus und Herd zu verlassen, wohl aber im ersteren. So nahe es für sie liegt, an der hausindustriellen Arbeit theilzunehmen, so schwer entschließt sie sich, ihre Kinder und ihr Heim im Stiche zu lassen; und sie entschließt sich noch schwerer dazu auf dem Lande als in der Stadt, weil der Haushalt auf dem ersteren eine viel wichtigere Rolle spielt, seine Funktionen noch nicht durch Volksküchen, Kinderbewahranstalten, Kindergärten &c. reduzirt werden.
Zu diesen Arbeitskräften, die dem Haushalt und damit der ihm dienenden Landwirthschaft unter dem großindustriellen Regime erhalten bleiben, gesellen sich noch die Invaliden der Arbeit. Die Hausindustrie kann jede, auch die schwächste Arbeitskraft, ausnützen, die Großindustrie spannt ihre Arbeiter so an, daß sie in der Regel nur für die in der Blüthe ihre Jahre Stehenden Verwendung hat, und diese rasch abnützt. Auf dem Lande ist für die dadurch geschaffene zahlreiche Klasse der Industrie-Invaliden die nächstliegende Beschäftigung die im Zwergbetrieb der Familie.
Wie die Hausindustrie, wenn auch in anderer Weise, verschlechtert also auch die Großindustrie die der kleinen Landwirthschaft zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, indeß sie gleichzeitig die Verkleinerung und auch damit die Verschlechterung der Betriebe fördert.
Anderseits finden wir, daß das großindustrielle Kapital auf dem Lande ebenso wie das hausindustrielle und aus denselben Ursachen einem nennenswerthen Widerstand der Arbeiter kaum begegnet, ihre Ausbeutung und Degradirung aufs Aeußerste treibt.
Das typische Bild einer derartigen ländlichen Großindustrie hat uns z. B. Herkner in seinem trefflichen Buche über die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre Arbeiter geliefert. So schlimm die Zustände in Mülhausen sind, die er schildert, in den Textilfabriken, die auf dem flachen Laude liegen, werden sie noch überboten. „Die Arbeitszeit ist im Allgemeinen eine längere. Selbst K. Grad berichtet von 13–14 Stunden.“ Nachtarbeit, auch jugendlicher Arbeiter, kommt häufig vor.
„Die jugendlichen Arbeiterinnen sind in sittlicher Hinsicht den gleichen Angriffen ausgesetzt wie in Mülhausen. Das Strafsystem und die Lohnabzüge herrschen ebenfalls überall vor. Häufig erfahren sie durch die erhöhte Abhängigkeit des Arbeiters noch eine Verschärfung. In den meisten Ortschaften des industriellen Rayons ist eben die da befindliche Fabrik die einzige Arbeitsgelegenheit ... Hierzu tritt noch der Umstand, daß der Arbeiter auf dem Lande gewöhnlich durch den Besitz eines kleinen Anwesens (vielfach auch sogenannte „Krüter“), das von der Frau oder den Eltern besorgt wird, an die Scholle gefesselt erscheint. Von einer Einflußnahme des Arbeiters auf das Arbeitsverhältniß ist keine Rede.
„Die Löhne sind im Durchschnitt um ein Drittel geringer als jene in Mülhausen, eine Differenz, welche die zwischen den Preisen der Bedarfsartikel bestehende, noch übertrifft, so daß die Lebenshaltung in der That noch tiefer herabsinkt ... In der Nahrung dominiren Kartoffeln, und Fleisch giebt es ins besten Falle an Sonntagen. Der Genuß des Branntweins hat viel größere Dimensionen angenommen als in Mülhausen. Es soll in den Vogesen ein Industriedorf geben, in welchem 800 Einwohner 300 Hektoliter pro Jahr konsumiren.“
Durch das herrschende Trucksystem wird die Lage der Arbeiter noch verschlechtert.
„Der schlechteren Lebenshaltung entspricht auch eine noch weiter gehende physische Entartung ... Der Kreisarzt (im Kreise Thann) berichtet: ‚In Fabrikdörfern, wo alles von Jugend auf in den Fabriken arbeitet, waren fast alle Stellungspflichtigen untauglich, und wir glauben, wenn das so weiter geht, braucht man bald keine Aushebungskommission mehr in diese Orte zu schicken ...‘
„Trotz der geringen physischen Mittel ist die Bevölkerung äußerst arbeitsam ... Die alten nicht mehr in der Fabrik arbeitenden Leute geben sich noch mit der Bestellung des kleinen Ackers ab, die in Anbetracht der hohen und steilen Lage der ‚Krüter‘ mit großen Anstrengungen verknüpft ist“ (S. 349–352)
So düster dieses Bild, es ist doch viel hoffnungsreicher als das der Hausindustrie. Die Kinder bleiben von der Fabrikarbeit ausgeschlossen, der Produktionsprozeß geht, wenn auch nicht in frischer Luft, in der Landwirthschaft, so doch außerhalb der Wohnung, in ausgedehnten Lokalitäten vor sich, die, welche immer ihre Mängel, die Wohnhöhlen der Hausarbeiter hygienisch weit übertreffen. Und gerade, weil der Arbeiter in der Fabrik nicht „frei“ ist, weil er seine Arbeit nicht beginnen und enden kann, wann er will, weil sie für alle gleich geregelt ist, bewegt sie sich in engeren Grenzen als die Hausarbeit, ist sie leichter zu kontrolliren und durch Gesetze einzuschränken. Und die Fabrik vereinigt die zerstreuten Arbeitskräfte, erleichtert ihre Verständigung miteinander; sie bringt das Fabrikdorf in engeren Verkehr mit der Außenwelt, denn sie entwickelt die Verkehrsmittel und bringt intelligente Arbeitskräfte aus der Stadt ins Dorf. So wird sie ein Mittel, einen Theil der ländlichen Bevölkerung dem städtischen Proletariat näher zu bringen, in ihr allmälig Interesse und Verständniß für seinen Emanzipationskampf zu erwecken und sie schließlich unter günstigen Umständen zu thätiger Theilnahme daran zu veranlassen.
Die ländliche Fabrik schwellt so die Reihen des Proletariats, ohne die kleinen Landwirthe zu expropriiren, ohne sie vom Grund und Boden loszulösen. Im Gegentheil, sie liefert gerade die Mittel für dem Bankerott entgegeneilende Zwergbesitzer, sich in ihrem Besitz zu behaupten, und liefert weiterhin noch zahlreichen Besitzlosen die Mittel, einen eigenen kleinen Landwirthschaftsbetrieb, sei es auf eigenem oder gepachtetem Boden, zu erwerben.
Die drei hier betrachteten Arten des kleinbäuerlichen Nebenerwerbs schließen einander nicht aus. Sie können nebeneinander existiren und sind oft nebeneinander zu finden. So wird z. B. Berichtet:
„Für die Bewohner des Eisenacher Oberlandes, insbesondere für die kleinen Bauern der ärmeren Ortschaften mit einem geringen Besitz ist der Betrieb einer Hausindustrie als Nebengewerbe von besonderer Bedeutung ... Als Hausindustrien sind zu bezeichnen: die Fabrikation von Korkstopfen, die Gurt- und Plüschweberei, Peitschenflechten, die Schuhmacherei, Bürstenfabrikation und Holzschnitzerei (Pfeifenköpfe), welche Industrien einen Nebenverdienst von 1 bis 2 und 3 Mark für eine Familie sichern und vielfach noch von Bauern betrieben werden, welche an 8–9 Hektar Besitz haben ... Im Uebrigen geben Holz- und Waldarbeit, Holzfuhren und die Ausbeutung der in so reichem Maße vorhandenen Basaltsteinlager einen ankömmlichen Verdienst, insbesondere für die Zeit, in welcher die landwirthschaftlichen Arbeiten ruhen.“ (Bäuerliche Zustände, I, S. 50, 51)
Als ein Beispiel aus dem Süden sei der Bericht von A. Heitz über die bäuerlichen Zustände in den Oberämtern Stuttgart, Böblingen und Herrenberg erwähnt: „Es wäre irrig, wollte man annehmen, daß die landwirthschaftliche Arbeit der zahlreichen ländlichen Bevölkerung hinreichenden Unterhalt gewährt. Von wesentlichem Einfluß ist vielmehr, besonders für die beiden westlichen Bezirke, die mannigfache Gelegenheit zum Nebenverdienst. Hier wäre vor Allem der Wald zu nennen, der ... ein ziemliches Kontingent von Arbeitern ständig und viele Leute vorübergehend beschäftigt ... Besonders lehrreich wäre es, den Stand der Hausindustrie zu ermitteln“, Weberei und Stickerei. Daneben ersteht eine Großindustrie.
„Im Laufe der letzten Jahre sind einzelne größere Etablissements entstanden, ältere erweitert worden und mehren sich die kleinen Unternehmer, welch’ letztere darauf bedacht sind, die billigste Arbeitsgelegenheit zu erhaschen ... Ein weiterer Faktor ist der Kleinhandel mit Milch, Eiern, Geflügel und einigen wenigen gewerblichen Produkten ... Als Taglöhnerorte wären endlich außer den unmittelbar au Stuttgart grenzenden Dörfern zu nennen Möhringen, Bonlanden, Plattenhardt, Vaihingen, Rohr, Musberg, Birkach, während von Ruith, Heumaden, Kemnath, Scharnhausen und selbst von Plieningen Manche täglich nach den Spinnereien bei Eßlingen wandern.“
Aber nicht überall sind so zahlreiche Gelegenheiten des Nebenerwerbs vorhanden und nicht immer reichen sie aus, die Geldbedürfnisse der kleinen Landwirthe zu befriedigen. Sucht der Nebenverdienst den Bauern nicht auf, dann bleibt diesem nichts übrig, als ihn aufzusuchen, ihm nachzugehen, und müßte er auch deswegen zeitweise sich von der Scholle losreißen. Je mehr das moderne Verkehrswesen sich entwickelt, die Eisenbahn den Transport erleichtert, Post und Zeitung über auswärtige Verhältnisse Kunde geben, desto leichter entschließt sich der Landmann, sein Dorf wenigstens zeitweise zu verlassen und in desto weitere Fernen wagt er sich. Ein Theil der kleinbäuerlichen Familie, natürlich der arbeitskräftigste, wandert periodisch ab oder aus, um sich selbst zu ernähren und noch darüber hinaus Geld für die gesammte Familie zu erwerben. Nur diese Art der Aus- und Abwanderung interessirt uns hier, nicht die dauernde, denn im jetzigen Zusammenhang untersuchen wir nicht jene Formen der Proletarisirung des Bauern, die auch äußerlich als solche erkennbar sind, sondern nur jene viel wichtigeren, in denen der Bauer seine bisherige Erscheinungsform beibehält, dabei aber die Funktionen des Proletariers übernimmt.
Am nächsten liegt natürlich dem wandernden Bauern die Beschäftigung mit landwirthschaftlicher Arbeit. Und an Orten, in denen die eigene Bevölkerung die Nachfrage nach landwirthschaftlicher Lohnarbeit nicht befriedigt, fehlt’s nicht. Wir haben schon im vorigen Kapitel auf die Arbeiternoth in den Gegenden des Großbetriebs hingewiesen; wir werden sehen, daß sie auch den größeren bäuerlichen Betrieb nicht verschont. In den verschiedensten Gegenden Deutschlands werden landwirthschaftliche Wanderarbeiter gesucht, theils für den ganzen Sommer, theils blos für die Zeit der Ernte; sie finden Arbeit nicht nur in Ostelbien, sondern auch in den Rheinlanden, und in Bayern und Württemberg ebenso wie in Schleswig und Holstein.
Als ein Beispiel seien die in Bayern allein sich vollziehenden Wanderungen angeführt:
„Häufig findet ein Austausch von Arbeitskräftenzwischen den Getreide und den Hopfen bauenden Gegenden statt, derart, daß aus den Gegenden mit Hopfenbau Arbeiter für die Zeit der Getreideernte in die Getreide bauenden Bezirke gehen und umgekehrt. Abgesehen davon lassen sich an der Hand der Berichte im Einzelnen folgende Wanderungen ländlicher Arbeiter feststellen. Oberbayern bezieht während der Sommermonate Arbeiter hauptsächlich aus dem bayerischen Wald, giebt aber aus solchen Gegenden, wo die Erntearbeiten frühzeitig beendigt sind, wiederum Arbeitskräfte an Schwaben ab. In Schwaben findet ein Austausch zwischen Ober- und Unterland statt, außerdem entsendet Tirol nach hier in großer Zahl Hirtenbuben. Niederbayern versorgt sich zeitweise mit Arbeitskräften aus dem bayerischen Wald und aus Böhmen und giebt aus dem Bezirk Wilshofen zur Erntezeit auf circa 6 Wochen an die Ostenhofer Gegend, aus dem Bezirk Straubing zur Hopfenernte an die Hopfengegenden Arbeiter ab. Aus der Oberpfalz gehen aus dem Bezirke Weiden männliche Arbeiter zur Getreideernte nach Ober- und Niederbayern, weibliche in die Hopfengegenden zum Hopfenpflücken, aus dem Bezirk Neustadt a. Aisch Arbeiter zur Hopfenernte in die Hopfengegenden; die Bezirke Neumarkt und Stadtamhof beziehen zum Hopfenpflücken und zur Kartoffelernte vorwiegend weibliche Arbeitskräfte, mitunter auch Kinder, aus dem östlichen Theile der Oberpfalz, aus dem bayerischen Wald und Böhmen. Oberfranken entsendet insbesondere aus dem Bezirk Bayreuth Arbeiter nach Thüringen und Sachsen und bezieht vereinzelt aus Gebirgsgegenden, wo das Getreide später reift, weibliche Personen und Kinder zur Getreideernte. In Mittelfranken findet ein großer Austausch von Arbeitskräften zwischen den Gegenden mit Getreide und Hopfenbau statt; der Bezirk Hersbruck bezieht in großer Zahl männliche und weibliche Arbeitskräfte zur Hopfenernte aus der Oberpfalz und aus Böhmen. In Unterfranken versorgen sich die Ochsenfurter und Schweinfurter Gegend für die Dauer der Getreide- und Kartoffelernte mit männlichen und weiblichen Arbeitern aus der Rhön, dem Spessart und Odenwald; auf großen Gütern mit Zuckerrübenbau läßt man zum Frühjahr polnische Arbeiter kommen und beschäftigt sie bis in den Herbst hinein. In der Rheinpfalz bezieht die Sickinger Höhe für die Dauer der Kartoffelernte vorwiegend weibliche Arbeiter ans dem nördlichen Theile des Bezirks Homburg, den sogenannten Musikantendörfern, giebt aber zur Erntezeit Arbeiter an die Gegenden um Worms und Osthofen und im Herbst auf circa 6 Wochen zu Drescharbeiten Arbeiter an Gemeinden des Kreises Saarbrücken ab. Große Güter versorgen sich neuerdings auch auf die Zeit von April bis November mit ostpreußischen Arbeitern.“ (Verhältnisse der Landarbeiter, II, S. 151, 152)
Diese Liste ließe sich für alle Theile Deutschlands ins Endlose ausdehnen.
Eine großartige Ausdehnung hat die Wandergängerei jener italienischen Arbeiter erlangt, die im Sommer in Europa arbeiten, und für die Winterzeit, in die der Sommer der südlichen Erdhälfte fällt, nach Argentinien schiffen, um dort Feldarbeiten zu verrichten. Noch riesenhafter gestaltet sich die Wandergängerei der Chinesen, die, allerdings nicht für eine Saison, sondern für mehrere Jahre, aber nie für Lebenszeit, nach den Vereinigten Staaten wandern, nach Kanada, Mexiko, Westindien, Australien, den Sunda-Inseln, die Südafrika bereits erreicht haben und schon das Ideal des deutschen Wanderarbeiters unserer Agrarier bilden.
Aber die Wanderarbeit beschränkt sich nicht auf die Landwirthschaft. Neben ihr bietet lohnendere Beschäftigung die Entwicklung der Großindustrie, der Städte, des Verkehrs. Zum Theil bieten sie ebenso wie die Landwirthschaft Saisonarbeit, und zwar ebenfalls sommerliche, zum Unglück für die Landwirthe, wie z. B. Eisenbahnbauten, Kanalanlagen, Steinbrüche, städtische Bauten aller Art; zum Theil bieten sie den zuziehenden Arbeitsuchenden länger dauernde Beschäftigung, als Dienstmädchen, Taglöhner, Fuhrleute &c.
Manche Gegenden haben ganz eigenartige Spezialitäten der Wandergängerei entwickelt. So theilt z. B. Kuno Frankenstein aus dem Regierungsbezirk Wiesbaden mit:
„Der westliche Dillkreis und der übrige Theil des zweiten Bezirks, der Westerwald und der an den Westerwald grenzende nordwestliche Theil des Oberlahnkreises haben einen großen Ueberfluß an Arbeitskräften; deshalb gehen ans diesen Kreisen viele Arbeiter in die Industriebezirke des Rheinlands und bleiben dort vom Frühjahr bis in den Winter hinein, andere gehen ‚als Händler ins Land‘. Ueber diese Landgängerei, die sich in einem großen Umfang nach und nach ausgebildet hat, macht ein Berichterstatter aus dem Unterwesterwaldkreise folgende bemerkenswerthe Mittheilungen: ‚Im Frühjahr erscheinen in den Dörfern die sogenannten Landgänger (Hansirer) und werben unter der erwachsenen männlichen und weiblichen Jugend Hausierhandelskräfte an. Sie ziehen mit diesen im Februar nach verschiedenen Weltrichtungen, wie Holland, Schweiz, Polen, Sachsen &c. Die Angeworbenen erhalten an Hauptplätzen, wie Leipzig &c. ihre Waaren, welche sie zu bestimmten Preisen absetzen dürfen, und liefern den Erlös demnächst an ihren Herrn ab. Als Lohn erhalten dieselben je nach ihrer Gewandtheit im Verkaufen jährlich 300 bis 400 Mk. und Vergütung für die Kost. In der Regel kehren sie gegen Weihnachten mit bedeutenden Baarschaften in ihre Heimath zurück.
‚Man macht schon lange die Beobachtung, daß in denjenigen Orten, ans welchen sich eine Anzahl solcher Hausirer rekrutirt, nach und nach bessere wirthschaftliche Verhältnisse eintreten, da der Verdienst von den Kindern den Eltern zur allgemeinen Verwendung übergeben wird. Er wird benutzt zur besseren Herrichtung der Wirthschaft, wie zum Ankauf von Vieh, namentlich Kühen, zur Beschaffung von künstlichen Düngemitteln zur Erhöhung der Ernten, zur Vergrößerung des Besitzthums, auch zur Anlage bei Sparkassen.
,In manchen Orten ist die Zahl der Angeworbenen so zahlreich, daß nur die nöthigsten Arbeitskräfte in der Heimath verbleiben. In finanzieller Beziehung bringt die sogenannte Landgängerei Vortheile, in moralischer Beziehung hat sie, besonders bei den weiblichen Hausirern, ihre Schattenseiten.‘“ (A. a. O., II, S. 27)
Die armen Gebirgsdörfer der Pfalz schicken ihre überschüssigen Arbeitskräfte gern als Musikanten in die Fremde:
„Der vorhandene Grund und Boden, aus Vogesensandstein entstanden, ist wenig ertragsfähig, die Landwirthe leben auch bei einem Besitz von 3 bis 4 Hektar noch in sehr ärmlichen Verhältnissen und sind vielfach gezwungen, durch Nebenverdienst sich die nöthigen Einnahmen zu verschaffen. In solchen Gemeinden ist der Arbeitgeber (?) gezwungen, Verdienst in anderen Gegenden, zu suchen, und er wandert als Musikant oder Maurergehilfe, seltener als Dienstknecht, in die Ferne. Die Musikanten sind im Allgemeinen sparsam und schicken meistens so viel Geld nach Hause, daß die Familie außer Sorgen lebt und im Stande ist, nach und nach ein kleines Bauerngut zu erwerben. Seltener liegen die Verhältnisse auch bei den Maurern so günstig, am wenigsten erübrigen die Dienstboten in der Ferne.“ (A. a. O., II, S. 193)
Die Saisonarbeiter kehren regelmäßig wieder heim und führen den Erlös ihrer Lohnarbeit ihren landwirthschaftlichen Betrieben zu. Auch hier ist’s der Großbetrieb in Stadt und Land, in Landwirthschaft und Industrie, der dem Kleinbetrieb neue Kräfte zuführt. Andere strömen ihm aus dem Erwerb der für einen längeren Zeitraum Fortgezogenen zu. Diese, meist unverheirathete Leute, kehren nicht alle zurück. Viele bürgern sich in dem neuen Wirkungskreis ein; aber trotzdem sendet ein großer Theil von ihnen seine Ersparnisse nach Hause, die Familie zu erhalten, die von ihrer Landwirthschaft nicht leben kann. Von Irland sagt man, daß die Pachtzinsen seiner Zwergpächter aus den Ersparnissen der irischen Dienstmädchen in Amerika gezahlt werden, und nicht besser steht es mit den Steuern manches deutschen Bauern. Und nicht Wenige kehren doch, trotz des ländlichen Elends wieder zu der Scholle zurück, auf der sie geboren worden; sie kehren zurück, um zu heirathen oder zu erben, das väterliche Gütchen zu übernehmen, Und mit sich bringen sie ihre Ersparnisse, die mancher bankerotten Wirthschaft wieder für einige Zeit aufhelfen, manchem Zwergbetrieb den Ankauf von neuem Land, die Anschaffung einer Kuh, die Erneuerung der verfallenen Hütte ermöglichen.
Für die Gegenden, denen sie zuwandern, bilden diese Arbeiter ein Hemmniß der Entwicklung. Sie wandern zu aus ökonomisch rückständigeren, ärmeren Gegenden, sind daher bedürfnißloser, meist auch unwissender und unterwürfiger. Ihre Widerstandslosigkeit wird dadurch erhöht, daß sie in der Fremde sind, ohne Rückhalt in der Bevölkerung, die den Eindringlingen nur zu gern feindselig gegenüber steht, und deren Sprache sie oft gar nicht verstehen. Sie liefern die willigsten Lohndrücker und Strikebrecher, sie sind am schwersten einer Berufsorganisation einzufügen. Aber dieselben Elemente, die dort, wohin sie kommen, den Fortschritt hemmen, werden höchst wirksame Pioniere des Fortschritts dort, woher sie kamen und wohin sie wieder zurückkehren. Bei allem Gegensatz gegen die neue Umgebung können sie sich ihren Einwirkungen nicht völlig verschließen; sie nehmen neue Bedürfnisse, ueue Ideen an, die, so rückständig sie auch für ihre neue Umgebung sein mögen, für ihre alte umstürzlerisch, revolutionär sind. Dieselben Elemente, die hier als die dienstwilligen Knechte der Ausbeutung und Unterdrückung auftreten, werden dort zu Aufwieglern und Schürern der Unzufriedenheit und des Klassenhasses.
„Die Erweiterung des geistigen Horizont“ klagt Kärger, „die größere Beweglichkeit und Regsamkeit, die der Sachsengänger in der Fremde erlangt, hat zu gleicher Zeit oft auch eine entschiedene Abnahme der Achtung vor vorhandenen Autoritätsverhältnissen zur Folge. Die Leute werden frech, trotzig, patzig, hochfahrend, und tragen durch ihr Beispiel hin und wieder zur Lockerung des patriarchalischen Verhältnisses bei, das noch immer, im vollen Einklang mit den dortigen wirthschaftlichen und sozialen Zuständen, auf der Mehrzahl der Güter des Ostens zwischen Herrn und Arbeitern besteht.“ (Die Sachsengängerei, S. 180)
Also ebenso, wie die Verlegung der Großindustrie auf das flache Land, wirkt die Wanderarbeit: sie stärkt den Kleingrundbesitz, dieses angeblich so konservative Element, gleichzeitig aber wälzt sie die Existenzbedingungen der Kleingrundbesitzer völlig um und erfüllt sie mit Bedürfnissen und Anschauungen, die nichts weniger als konservativ sind.
Derjenige, der glaubt, die einfachen Zahlen der Statistik erschöpfen den unendlich mannigfaltigen Inhalt des sozialen Lebens, der mag aus den Zahlen der Betriebsstatistik die Beruhigung schöpfen, daß, wie immer die Entwicklung in der Stadt vor sich gehen mag, auf dem flachen Lande alles beim Alten bleibt und eine entschiedene Entwicklung nach irgend einer Richtung nicht merkbar ist. Wer unter die Decke dieser Ziffern blickt, und nicht wie hypnotisirt blos auf das Verhältniß zwischen Kleinbetrieb und Großbetrieb hinstarrt, wird anders urtheilen; der sieht, daß allerdings die Großbetriebe an Zahl sich nicht ändern, die Kleinbetriebe vom Großbetrieb nicht aufgesaugt werden, daß sie aber beide, dank der industriellen Entwicklung, eine völlige Revolution durchmachen und zwar in einer Richtung, die den Kleingrundbesitz in immer engere Fühlung mit dem besitzlosen Proletariat bringt und beider Interessen immer gleichartiger gestaltet.
Damit ist aber das Wirken der ökonomischen Entwicklung noch nicht erschöpft. Sie erzeugt noch eine Reihe weiterer Faktoren, die das Wesen der Waaren, also einen Ueberschuß für die Gesellschaft, produzirenden Landwirthschaft von Grund aus ändern.
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Zuletzt aktualisiert am 3. Mai 2019