MIA > Deutsch > Marxisten > Kautsky > Vorläufer > Absch. III
Das eine Zentrum der kommunistischen Bewegung in der Zeit der deutschen Reformation lag in Sachsen. Ein anderes Zentrum bestand in der Schweiz, jenem eigenartigen Konglomerat bäuerlicher und städtischer Republiken, die sich um die Zentralmasse der Alpen zu vereinigter Abwehr gemeinsamer Gegner zusammengedrängt haben.
Schon zu Ende des 13. Jahrhunderts hatten die Bergländer Uri, Schwyz und Unterwalden sich erhoben gegen Ausbeutung und Unterdrückung durch Grundherren, namentlich geistliche, und durch das aufstrebende Haus Habsburg. Dank ihrer Wehrhaftigkeit und der Unzugänglichkeit ihres Gebietes gelang ihnen der Freiheitskampf. Den siegreichen Kantonen schlossen sich im 14. Jahrhundert benachbarte Städte an, die von dem aufstrebenden Fürstenthum ebenso bedroht wurden, wie die süddeutschen und rheinischen, welche damals den gleichen Kampf gegen den gleichen Gegner führten. Aber die Städte der schweizerischen Eidgenossenschaft erzielten, dank ihrer Allianz mit den Urkantonen, bessere Erfolge als ihre Genossen nördlich des jugendlichen Rheins. Im Kampf Ludwig’s des Bayern gegen Papstthum und Habsburger standen die Schweizer auf Ludwig’s Seite. Die katholische Reaktion unter Karl IV. welche die deutschen Städte so schwer traf, schädigte die Freiheit der Eidgenossen nicht. Im 15. Jahrhundert waren sie stark genug, zum Angriff übergehen zu können, namentlich gegen den „Erbfeind,“ die Habsburger, und durch Eroberung und Kauf ihr Gebiet erheblich zu vergrößern.
Sie wurden völlig unabhängig vom deutschen Reich; aber auch der päpstlichen Ausbeutung wußten sie Schranken zu setzen.
Dieses neue, unabhängige Gemeinwesen sollte jedoch in jener Zeit nicht zu einem Einheitsstaate werden. Was es zusammenhielt, war die Erkenntniß, daß jeder seiner Bestandtheile für sich allein ohnmächtig sei gegenüber den übermächtigen fürstlichen Nachbarn. Das war aber auch so ziemlich die ganze Interessengemeinschaft zwischen den einzelnen Kantonen. und daneben bestanden scharfe Interessengegensätze zwischen den ökonomisch rückständigen bäuerlichen Kantonen und den reichen, ökonomisch weit vorgeschrittenen Städten.
Dieser Interessengegensatz trat deutlich zu Tage während der Reformation. Die Urkantone hatten kein Interesse daran. Die päpstliche Ausbeutung, in der Eidgenossenschaft bereits erheblich reduzirt, drückte diese armen Gegenden überhaupt wenig. Dagegen hatten sie alle Ursache, mit den katholischen Mächten, mit Frankreich, Mailand, Venedig, dem Papst, auch den Habsburgern, auf gutem Fuß zu stehen, denn das waren die Hauptkonsumenten der einzigen werthvollen Waare, welche die Schweizer Bauern und kleinen Adeligen damals auf den Markt zu bringen hatten: ihrer wehrhaften Söhne. Der „Reislaufen,“ der Söldnerdienst, bildete die Haupteinnahmequelle der ländlichen Bevölkerung der Schweiz, namentlich in den Bergkantonen. Ein Anschluß an die Reformation bedeutete den Bruch mit den katholischen Mächten, drohte mit dem Versiegen der reichlichen Geldquellen. Daher hielt das biedere Landvolk fest am Glauben der Väter.
Anders stand es in den Städten. Das städtische Bürgerthum hatte am auswärtigen Söldnerdienst kein Interesse; im Gegentheil, er war ihm unangenehm, da er die Macht des ihm feindlichen Adels stärkte und die Wehrhaftigkeit und Selbständigkeit der unteren Massen, die es ausbeutete, vermehrte. Denn die Schweizer Söldner waren meist nicht heimathlose Lumpenproletarier, sondern Bauernsöhne, die nach beendetem Kriegsdienst heimzogen.
Wohl aber hatten die Städte alle Ursache zur Feindschaft gegen die katholische Sache. War auch in der Schweiz die päpstliche Ausbeutung mehr eingeschränkt als in Deutschland, so hielt doch das habgierige Papstthum an seinen Rechten in den reichen Städten viel zäher fest, als in den armen Berggegenden. Aber ebenso wichtig wie der Gegensatz gegen das Papstthum wurde der gegen die katholischen Fürsten, in erster Linie die Habsburger. Die deutsche Reformation war eine Erhebung nicht blos gegen den Papst, sondern auch gegen den Kaiser, das heißt das Haus Habsburg, und als solche wurde sie auch in der Schweiz aufgefaßt.
Für die Urschweizer freilich hatte das Haus Habsburg längst aufgehört, der „Erbfeind“ zu sein. Sie standen schon zu fest, als daß dieses Fürstengeschlecht sie noch hätte bedrohen können; sie hatten durch Gegnerschaft gegen dasselbe nichts zu gewinnen, sondern nur all Sold- und Bestechungsgeldern zu verlieren. Ganz anders die Städte der Nordschweiz, die an Habsburgische Besitzungen grenzten und, von diesen bedroht, nach ihnen lüstern, in steter Gegnerschaft zu den Habsburgern standen. Namentlich Zürich war am Kampf gegen die Habsburger auf das Lebhafteste interessirt. Es wurde auch der Vorkämpfer der Reformation in der Schweiz, während die Urkantone für den Katholizismus eintraten: Die Nachkommen Tell’s verbündeten sich zu diesem Zweck mit dem Habsburger Ferdinand.
Wie im deutschen Reich, brachte auch in der Schweiz die Reformationsbewegung eine kommunistische Bewegung an die Oberfläche. Aber die Verhältnisse der Eidgenossenschaft waren ganz anderer Natur als die Sachsens, und demnach auch der Charakter des schweizerischen Kommunismus sehr verschieden von dem des sächsischen.
Der letztere war jünger, wesentlich beeinflußt von den taboritischen Traditionen. Auf die Schweiz hatten diese kaum erheblichen Einfluß geübt. Wohl aber war sie seit Langem den Einwirkungen der Waldenser und der Begharden ausgesetzt gewesen; der Waldenser, die von Südfrankreich und Norditalien kamen, und der Begharden, die von den Niederlanden aus das Rheinthal entlang sich ausbreiteten, über Köln und Straßburg nach Basel gelangten.
War aber das Taboritenthum gewaltthätig, so neigten die Waldenser und Begharden seit jeher zur Friedfertigkeit. Schon dieser Unterschied mußte darauf hinwirken, daß die Kommunisten in der Schweiz anders fühlten, dachten und handelten als die in Sachsen. Indeß viel einschneidender noch als durch imporirte Lehren wird der Charakter der sozialen Bewegung eines Landes bestimmt durch dessen eigenartige gesellschaftliche und politische Verhältnisse. Und diese waren in der Schweiz in Vielem sehr verschieden von denen Sachsens. Was letzteres Land auszeichnete, war der Bergbau, namentlich auf Silber. Er förderte das Aufkommen der fürstlichen Gewalt, schuf aber auch in den Bergarbeitern ein kraftvolles, trotziges, in großen Massen zusammenwohnendes Proletariat, förderte die Waarenproduktion in der Landwirthschaft, damit aber auch den Landhunger der Grundherren, und spitzte alle sozialen Gegensätze jener Zeit aufs Schärfste zu.
Ganz anders in der Schweiz. Da ist kein Bergbau, daher auch kein wehrhaftes Massenproletariat. Die Landwirthschaft ist, wenigstens zum großen Theil noch, sehr urwüchsig, der Bodenkommunismus noch stark, von einem absoluten Fürstenthum keine Spur. Vielmehr finden wir bäuerliche und städtische Republiken, eine bäuerliche und bürgerliche Demokratie, die, so lange sie sich noch schwach und bedroht fühlt, dem Kommunismus sympathisch gegenübersteht, dessen nächste Feinde auch ihre Feinde sind.
Alles das mußte darauf hinwirken, die friedfertigen Tendenzen des Waldenser- und Beghardenthums in der Schweiz zu verstärken. Es bewirkte aber auch, da die Klassengegensätze noch nicht so schroff zugespitzt waren wie in Sachsen, daß die Bewegung weniger eine proletarische wurde als dort. Die Zahl der Kommunisten aus den höheren Klassen in Sachsen zur Zeit der Münzer’schen Bewegung war eine verschwindende. Das ist wohl mit einer der Gründe, warum Münzer so riesenhoch emporragte aus der namenlosen Masse, die ihn trug und furchtbar machte, die aber keine Vorkämpfer lieferte, welche im Stande gewesen wären, ihre Persönlichkeit und die Erinnerung daran literarisch zu fixiren.
Ganz anders die schweizerischen und die von denselben beeinflußten Kommunisten. Es wimmelt unter ihnen von gesellschaftlich hervorragenden und gebildeten Leuten. Unser Blick bleibt da nicht an einem Einzigen haften. Wir werden eher verwirrt durch die Fülle interessanter Charakterköpfe, die uns entgegentreten. Die schweizerische Bewegung ist schwächlicher und historisch weniger bedeutend als die sächsische, aber literarisch interessanter und intellektuell höher stehend.
So viel zu ihrer allgemeinen Charakterisirung.
Von Waldensern und Begharden finden sich im 14. und 15. Jahrhundert zahlreiche Spuren in der Schweiz – Blutspuren, Hinrichtungen von Anhängern dieser Sekten. Es waren meist Leute aus den unteren Klassen: Handwerker, Proletarier, Bauern, die den Kommunismus als Geheimlehre in geheimen Zusammenkünften predigten. Neben dieser proletarischen Bewegung scheint sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine Art Salonkommunismus in humanistischen Kreisen gebildet zu haben.
Wurde Zürich das Wittenberg der Eidgenossenschaft, so spielte Basel dort dieselbe Rolle wie Erfurt in Sachsen. Es wurde für die Schweiz der Hauptsitz des Humanismus. Ein Kreis von freidenkenden Gelehrten und Künstlern fand sich in Basel zusammen, dessen Zentrum seit 1513 Erasmus von Rotterdam bildete, der Busenfreund Thomas More’s und der berühmteste unter den nordischen Humanisten, der mit zeitweiligen Unterbrechungen, Reisen nach den Niederlanden, namentlich Löwen &c., in Basel bis zu seinem Tode (1536) blieb. In diesem Kreis wurden die mannigfaltigsten neuen Ideen diskutirt, wahrscheinlich auch manche der späteren Wiedertäufer. Unter Anderem weist ein Brief des Oekolampadius darauf hin. Wir haben diesen Baseler Gelehrten bereits kennen gelernt; er war mit Münzer 1524 bei dessen Aufenthalt an der Schweizer Grenze in Verbindung getreten und hatte ihn aufgefordert, zum Volke zu predigen. Später leugnete der vorsichtige Herr Professor freilich jeden derartigen Verkehr mit dem gefährlichen Mann. Er habe Münzer kaum gekannt und seinen Namen erst erfahren, nachdem er ihn zu sich geladen. Aber Oekolampadius hatte auch mit anderen gefährlichen Leuten verkehrt, so mit dein Magister Hans Denck, der später einer der hervorragendsten Theoretiker der Wiedertäufer wurde. Oekolampadius, bei dem Denck Vorlesungen gehört hatte, verschaffte ihm 1523 die Stelle eines Rektors an der Sebaldusschule in Nürnberg. Aber Denck’s Ansichten erregten Anstoß, er kam in Konflikt mit der Obrigkeit und mußte Nürnberg verlassen, wie wir noch sehen werden. Oekolampadius wurde beschuldigt, Denck’s Anschauungen genährt zu haben. Dagegen verwahrte sich der Baseler Gelehrte in einem Brief vom 25. April 1526 an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirkheimer:
„Denck hat von mir kein Gift aufgenommen, wenn er überhaupt eines aufnahm ... Aber vor einem Jahrzehnt (also 1515) soll von einigen sehr gelehrten Männern viel darüber (der Ketzerei, der Denck anhing) im engsten Kreise gesprochen worden sein, von denen er sie vielleicht erfuhr.“ [1]
Unter den „gelehrten Männern,“ die sich damals in Basel sammelten, finden wir viele spätere Häupter der Wiedertäufer: 1521 und 1522 war dort der Züricher Patriziersohn Conrad Grebel bereits „ein ausgezeichneter Patron des Evangeliums.“ Dr. Balthasar Hubmeier aus Waldshut verkehrte dort viel; ferner gehörten zu jenem Kreise noch der Schwabe Wilhelm Reublin, Pfarrer in St. Alban zu Basel, Ulrich Hugwald, der Baseler Professor, der, wie wir gesehen haben, mit Oekolampadius Münzer zum Agitiren aufgefordert hatte. Wir finden dort Ludwig Hätzer, den Buchhändler Andreas auf der Stülzen, Simon Stumpf und Andere; lauter spätere Agitatoren der Wiedertäufer.
In der langen Liste, die uns Keller giebt, dem wir diese Namen entnehmen, erscheinen uns noch ein Niederländer bemerkenswerth, Rode, der später im Norden wirkte und Jürgen Wullenweber für die Wiedertäufer einnahm, und der Ritter de Coet, ein Vertreter der südfranzösischen „Brüder.“ Mit dem Süden wie mit dem Norden standen die Baseler im engsten Verkehr.
Neben diesen Indizien, auf die uns Keller hingewiesen, möchten wir noch die Thatsache anführen, daß die kommunistische Utopie des Thomas Morus, auf die wir noch in einem anderen Zusammenhang zu sprechen kommen, gerade in Basel damals die größte Aufmerksamkeit gefunden hat.
Die erste Auflage der lateinisch abgefaßten Utopia erschien 1516 in Löwen, unter der Obhut des Erasmus, More’s Freund, der in jenem Jahr dort weilte. 1518 wurde eine zweite Auflage nöthig, sie erschien in Basel bei dem berühmten Drucker Froben. Aus einem Briefe des Beatus Rhenanus an Pirkheimer [2] ersehen wir, wie eifrig damals in Basel die Utopia diskutirt wurde.
1524 aber erschien die erste deutsche Uebersetzung, und überhaupt die erste Uebersetzung der Utopia, ebenfalls in Basel, besorgt von Claudius Cantiuncula. [3]
Sehr bedeutsam wäre es, wenn Keller’s Hypothese, aufgestellt in seinem bereits mehrfach zitirten Buche über Die Reformation und die älteren Reformparteien, sich als richtig erweisen würde, daß es in Basel die Buchdrucker waren, welche die Hauptträger der waldensischen und beghardischen Ueberlieferungen bildeten und dieselben den Gelehrten übermittelten.
Gerade zu Anfang des 16. Jahrhunderts war Basel der wichtigste Ort im deutschen Sprachgebiet für den Buchdruck geworden. Neben der weltberühmten Offizin des Froben, den wir schon genannt, entstanden dort die Druckereien von Amander, Petri, Gengenbach, Cratander, Capito &c. Die Buchdrucker spielten in Basel eine hervorragende Rolle. Und sie standen im engsten Verkehr mit den Künstlern und Gelehrten jener Stadt. Keller weist auf den Ausspruch Lorck’s hin (in dessen Handbuch der Geschichte der Buchdruckerkunst): „Selten haben Wissenschaft, Kunst und Technik brüderlicher zusammengewirkt als dort.“ Keller hat aber auch eine Reihe von Beziehungen von Buchdruckern, besonders in Basel, zu Waldensern und Begharden herausgefunden. Namentlich ist die Thatsache zu erwähnen, daß sämmtliche deutschen Bibelübersetzungen, die vor der lutherischen im Druck erschienen, einander gleich sind. Sie stimmen alle überein mit einer deutschen Uebersetzung aus dem 14. Jahrhundert, die, wie Keller überzeugend nachweist, waldensischen Ursprungs war. Dieselbe Uebersetzung war bei den Wiedertäufern und deren Nachfolgern, den Mennoniten, bis ins 17. Jahrhundert im Gebrauch (im Wesentlichen, mit mundartlichen Aenderungen).
Daß die Buchdrucker ausschließlich die waldensische Uebersetzung reproduzirten, läßt allerdings darauf schließen, daß die waldensischen Ueberlieferungen unter ihnen sehr verbreitet und sehr lebendig waren.
Das ist auch nicht unwahrscheinlich. In der besonderen Klassenlage der Buchdrucker jener Zeit können wir allerdings eine Erklärung für die kommunistischen Sympathien nicht finden, auf die ihre waldensischen Tendenzen hinweisen. Mehr noch als die gewöhnlichen Handwerker bildeten sie, die den Künstlern und Gelehrten so nahe standen, zum Theil aus diesen Kreisen sich rekrutirten, eine privilegirte Klasse, die an der allgemeinen Gleichmachung kein Interesse hatte. Höchstens könnte man sagen, daß die Buchdrucker als gebildete Lohnarbeiter, also als Ausgebeutete, eher kommunistische Ideologen liefern konnten, als die anderen gebildeten Klassen jener Zeit, die Geistlichen, die Professoren, die Juristen, deren Berufsthätigkeit und Interessen viel enger mit der Aufrechthaltung der bestehenden Klassenunterschiede verknüpft waren. Aber die kommunistischen Sympathien der Buchdrucker werden leichter erklärlich, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt: eher als die Brücke von der Buchdruckerei zum Kommunismus findet man die Brücke vom Kommunismus zur Buchdruckerei.
Wir haben schon des Oefteren Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, welches Interesse die Kommunisten an einer guten Volksbildung nahmen. Von den Waldensern an läßt sich dies Interesse verfolgen. Es führte dazu, daß die Kommunisten eifrig nach dem neuen Mittel griffen, die Schrift zu vervielfältigen und unter die Massen zu bringen.
Wir wissen, wie die Brüder vom gemeinsamen Leben sich hauptsächlich auf das Abschreiben und Verbreiten von Büchern verlegten. Als die Buchdruckerkunst aufkam, gehörten sie zu den Ersten, die sich ihrer bemächtigten und Buchdruckereien gründeten; die erste zu Marienthal bei Geisenheim im Rheingau (vielleicht schon 1468, jedenfalls vor 1474), denen bald zahlreiche andere folgten. Einer der ersten ausgezeichneten Pariser Buchdrucker Jodocus Badius Ascensius, war Schüler einer Brüderschule. [4]
Wie eifrig die böhmischen Brüder den Buchdruck betrieben, haben wir bereits erwähnt. (S. 233)
Münzer scheint in seinen Wanderjahren auch „Buchdrucken als gelehrter Gehülfe sich angeschlossen zu haben.“ (Seidemann) Zu Allstätt hielt er sich einen eigenen Drucker und unter den Nürnberger Buchdruckergesellen hatte er Anhänger.
Der schon erwähnte gelehrte Wiedertäufer Hans Denck war mit Vorliebe in Buchdruckereien thätig, zuerst in Basel in der Offizin des Cratander und dann in der des Curio; 1525 nach seiner Vertreibung aus Nürnberg, in St. Gallen.
Daß die Kommunisten an der Buchdruckerei das größte Interesse nahmen und ihr zahlreiche Arbeiter lieferten, daran ist garnicht zu zweifeln. Wir wagen es nicht, darüber mehr mit Bestimmtheit zu sagen.
Das Dunkel völlig zu erhellen, welches über den Anfängen der Wiedertäufer oder, besser gesagt, über ihrem Zusammenhang mit den früheren kommunistischen Sekten schwebt, ist bisher noch nicht möglich. Greifbar tritt die neue Sekte erst in Zürich ans Tageslicht, zur Zeit der Reformation Zwingli’s.
Die lutherische Reformation begann mit der Bekämpfung eines der wirksamsten Mittel, Geld aus Deutschland nach Italien zu bringen: des Ablasses. Zwingli begann seine reformirende Thätigkeit (zuerst 1506–1516 als Pfarrer in Glarus, 1516–19 als Leutpriester in Einsiedeln, dann als Pfarrer in Zürich) mit einer Bekämpfung des Mittels, das päpstliches Geld in die Schweiz brachte, des Söldnerwesens. Luther begann als Theolog, Zwingli als Politiker. Nicht katholischen Dogmen, sondern den benachbarten großen katholischen Dynastien, den Valois und Habsburgern, galten seine ersten Angriffe. Noch 1519 war Zwingli bei der Curie so gut angeschrieben, daß, an er an der Pest erkrankte, der päpstliche Legat sich beeilte, ihm seinen eigenen Leibarzt zu schicken. Erst als die Wogen der deutschen Reformation bis nach der Schweiz hinüberschlugen und auch diese in Bewegung setzten, wurde dort der Kampf gegen die katholischen Weltmächte zu einem Kampf gegen den Katholizismus (1622). Sobald aber die Züricher sich einmal auf diese Bahn begeben hatten, schritten sie rasch und ohne besondere Schwierigkeiten darauf fort.
„Erst 1523,“ sagt Vögelin, „bricht plötzlich die kirchliche Reform herein. Ohne große Vorbereitung entwickelt Zwingli in den Schlußreden der ersten, im Januar 1528 in Zürich abgehaltenen Disputation ein vollständiges Programm seiner ganzen Reform, hierin Luther ganz ungleich, welcher in seinen 95 berühmten Thesen eigentlich nur 95 mal das Gleiche, nämlich die Rechtfertigung durch den Glauben, wiederholt, weil dies das Einzige war, was ihm auf dem Herzen lag. Luther ist schrittweise zur Reform gedrängt worden durch den Widerstand der katholischen Hierarchie. In Zwingli’s klarem Geiste hat sich das vollständige Gebäude der Reformation bereits im Jahre 1523 gestaltet und ist in den 65 Schlußreden (Thesen) ausgeführt, welche nicht an äußerer Wirkung, wohl aber an wissenschaftlicher Bedeutung den lutherischen Thesen weit überlegen sind.
„Nun weisen die nächsten drei Jahre eine Reihe von Triumphen auf; Schlag auf Schlag folgen: die Loslösung vom bisherigen kirchlichen Verbande, zunächst von Konstanz, dann von Rom, Aufhebung der Klöster, des geistlichen Standes, Säkularisirung der ganzen geistlichen Gewalt, Abschaffung der Bilder [5] und der Messe. Dies Alles bildet ein in sich zusammenhängendes geschlossenes Ganzes, und man kann sagen, im Jahre 1525 ist die Reform in Zürich siegreich vollendet zu Stadt und Land.“ [6]
Aber wenn auch Zwingli an Klarheit und Konsequenz Luther überragte, so nahm doch die Zwinglianische Reformbewegung in einem Punkte denselben Weg wie die Lutheranische. Wie diese, beruhte auch jene in ihren Anfängen auf dem Zusammenwirken aller mit den bestehenden kirchlichen Verhältnissen unzufriedenen Klassen. Aber hier wie dort kommt nach dem gemeinsamen Kampf die Entzweiung: jede der vereinigten Richtungen und Klassen sucht den Sieg in ihrem Interesse und ihrem Sinn auszunützen; der Führer der Bewegung, der Reformator, der von allen diesen Parteien bisher getragen worden, muß sich jetzt für eine derselben und gegen deren Gegner entscheiden, muß sich gegen einen Theil seiner bisherigen Helfer wenden. Das ist eine Eigenthümlichkeit aller revolutionären Bewegungen, die durch das Zusammenwirken verschiedener Klassen mit entgegengesetzten Interessen zu Stande kommen. Wielif hatte darin das gleiche Schicksal wie Luther, und Huß wäre es ähnlich gegangen, wenn er das Aufkommen des Taboritenthums erlebt hätte. Was Luther auszeichnete, war nur die Raschheit, mit der er den Umschwung vollzog, der Mangel an jeder sachlichen Motivirung desselben und die Berserkerwuth, mit der er seine „lieben Brüder“ von gestern anfiel.
Als in Zürich der Konflikt mit der herrschenden Kirche begann, hielten auch die dortigen kommunistischen Sektirer es nicht mehr für nothwendig, ihr Geheimniß streng zu wahren. Schon im Frühjahr 1522 kamen die Behörden darauf, daß in Zürich eine „Ketzerschule“ existire, eine Organisation, in der der Buchhändler Andreas auf der Stülzen als Lehrer thätig war, welcher dem Baseler Kreise angehört hatte. Unter den Mitgliedern finden wir den Züricher Bürger Claus Hottinger, den Weber Lorenz Hochrütiner, den Bäcker Heinrich Aberli und den Schneider Haus Okenfuß, alles spätere Wiedertäufer. 1522 wurde die Gesellschaft noch nicht verfolgt. Im Gegentheil, wir finden Hottinger und seine Leute im freundschaftlichsten Verkehr mit Zwingli.
Im Spätherbst 1522 kam Konrad Grebel von Basel nach Zürich zurück und schloß sich sofort der „Ketzerschule“ an. Von Haus aus unabhängig und reich, hatte er in Wien und Paris studirt, sich den Ruf eines Gelehrten erworben, aber auch in wildem Studentenleben seinem Körper bedenklich zugesetzt. Der Konflikt, in den er darüber mit seinen Eltern gerieth, wurde verschärft durch eine heimliche Ehe, die er wider deren Willen schloß. Seine materielle Stellung litt sehr darunter.
Als er jetzt nach Zürich heimkehrte, schloß er sich mit Enthusiasmus der kirchlichen Bewegung an; er wurde einer der „Brüder,“ blieb aber in bestem Einvernehmen mit Zwingli.
Ihm folgten zahlreiche Genossen aus dem Baseler Kreise, denen sich jetzt in Zürich ein freieres Feld zu eröffnen schien. Wilhelm Reublin verließ seine Pfarre in Basel und erhielt eine solche in Wietikon. Simon Stumpf wurde Pfarrer in Höngg bei Zürich. Ludwig Hätzer, einen gelehrten jungen Priester aus dem Thurgau, der auch in Basel gewesen, finden wir 1523 ebenfalls in Zürich.
Zu den Genossen, die von Außen zuströmten, gesellten sich zahlreiche Proselyten aus der Stadt selbst. Unter ihnen der Hervorragendste Felix Manz, ein Mann von philologischer Bildung, der neben Grebel bald in erster Linie unter den „Spiritualen,“ wie die Züricher „Brüder“ anfangs hießen, stehen sollte. Bei Felixens Mutter, der „Manzin,“ die ein Haus in der Neustadt besaß, versammelte sich gewöhnlich die Gemeinde.
Diese wuchs und begann sich zu fühlen. Zwingli liebäugelte mit ihr. Nun galt es, ihn vorwärts zu treiben auf der Bahn sozialer Reformen. Darüber kam es zum Konflikt, der sich nach und nach immer mehr zuspitzte.
Die Brüder verlangten Aufhebung der Zinsen und der Zehnten, der Kirchensteuern. Zwingli hatte sich ihnen gegenüber wiederholt dafür ausgesprochen. Aber jetzt wurde ihm vor dieser Bundesgenossenschaft bange. Der große Rath erklärte sich am 22. Juni 1523 entschieden gegen die Antastung der Kirchenzehnten, und der Reformator verstand den Wink. Drei Tage später hielt er im Großmünster eine Predigt, in der er sich auf den Standpunkt des Rathes stellte. Damit zeigte er bereits, daß er nicht gesonnen sei, noch weiter mit den Brüdern zu gehen.
Indeß gaben diese den Kampf nicht auf. Sie forderten Zwingli auf, die Kirche unabhängig vom Staate zu organisiren. Die Antwort darauf war im Herbst die Einführung der Staatskirche, wodurch die Entscheidung in allen kirchlichen Fragen dem großen Rath, also den herrschenden Klassen, zugewiesen wurde.
„Zwingli hat,“ schreibt darüber Vögelin, „in vollständiger Uebereinstimmung mit dem weltlichen Regiment, eine Staatskirche mit einem Glaubenszwang aufgerichtet, der strenger und drückender war als die Zustände in der katholischen Kirche. Es ist notorisch, daß man am Anfang des 16. Jahrhunderts glauben konnte oder nicht glauben konnte, was man wollte; wenn man sich nur dazu hergab, die katholischen Gebräuche leidlich mitzumachen und den Priestern ihre Sporteln zu zahlen, so fragte Niemand nach der inneren Ueberzeugung. Die reformirte Kirche stellte das umgekehrte, weniger unsittliche, aber unverständigere Prinzip auf: Du mußt im Herzen meiner Ueberzeugung sein.“ [7]
Diese Einrichtung war ein Schlag ins Gesicht der „Spiritualen.“ Nicht dazu hatten sie den Kampf gegen die päpstliche Kirche begonnen, damit aus dieser ein willenloses Herrschaftsmittel in den Händen der Besitzenden werde. Der Kampf zwischen ihnen und Zwingli wurde jetzt ein erbitterter. Aber während die Spiritualen nur mit Worten stritten, verfügte Zwingli über die ganze Gewalt des Staates. und er machte von ihr reichlichen Gebrauch. Schon zu Ende des Jahres 1523 kam es zu Verhaftungen und Ausweisungen von Brüdern. So wurde im Dezember dieses Jahres Simon Stumpf ausgewiesen.
Die Verfolgung schüchterte die Brüder nicht ein, sie vermehrte nur ihren Eifer und festigte ihren Zusammenhalt. Die Sekte wuchs rasch, in der Stadt und auf dem Lande. Die Ausgewiesenen trugen die Lehre in die benachbarten Kantone, wo sie bald Boden gewann. Gleichzeitig aber begannen sich die Brüder strenger abzusondern von der Masse der übrigen Bevölkerung. Als ihr unterscheidendes Merkmal trat immer schärfer die Verwerfung der Kindertaufe hervor.
In dieser Situation traf sie das Jahr 1525.
Um 1525 hatten die Theoretiker der Wiedertäufer noch nicht gesprochen. Aber deren Ausführungen betrafen vornehmlich die theologische Begründung und Ausspinnung ihrer Lehren. Diese selbst traten in ihren Grundzügen zu Beginn des Bauernkrieges bereits mit genügender Deutlichkeit hervor. [8] Es scheint uns hier der geeignetste Moment, sie auseinanderzusetzen, bevor wir in der Erzählung der äußeren Schicksale der Sekte weiterschreiten.
Was dem Beobachter der Wiedertäufer vor Allem auffiel, war die große Verschiedenheit der Meinungen unter ihnen. Sebastian Franck, der sie gut kannte und sie sehr wohl verstand, da er ihneu in vielen Punkten sympathisch, wenn auch skeptisch und ängstlich, gegenüberstand, sagt in seiner Chronik, die 1531 erschien, von ihnen: „Wiewohl alle Sekten unter sich selbst zerspalten sind, so sind doch sonderlich die Täufer also untereinander uneinig und zerrissen, daß ich nichts Gewisses und Endliches von ihnen zu schreiben weiß.“ [9]
So sagt auch Bullinger in seiner Schrift gegen die Wiedertäufer, daß „etliche vermeinen, daß es nicht möglich sei, daß man ordentlich alle der Wiedertäufer Unterschiede, gegensätzuche Meinungen und schädliche, gräuliche Sekten oder Rottungen erzählen möge: wie es denn wahr ist, daß ihrer wenig funden werden, die miteinander einhellig sind und nicht jeder sein besonderes Geheimniß, das ist Phantasie, haben.“ Darum will er auch nicht alle ihre Sekten und jeglichen „Lätzkopfs Spintisy“ abmalen, sondern nur die wichtigsten Richtungen unter ihnen darstellen. [10]
Die Zerrissenheit und Mannigfaltigkeit ist keine besondere Eigenthümlichkeit der Wiedertäufer. Wir haben sie schon bei den Waldensern, den Begharden und den Taboriten gefunden. Sie war zum Theil Folge ihrer großen Toleranz in Glaubenssachen, die bewirkte, daß zum Beispiel in Tabor die verschiedensten Sekten friedlich zusammenhausten, zum Theil Folge des Umstandes, daß diese Sekten es zu eitler festen, öffentlichen Organisation nur selten gebracht haben. Der Begriff des Wiedertäufers blieb daher ein ebenso schwankender, wie etwa heute in Rußland der eines „Nihilisten.“ Die Berichterstatter rechneten die verschiedensten Sekten zu ihnen. Andererseits ist es natürlich, daß jede revolutionäre, also kritische Bewegung nicht nur nach Außen, sondern auch nach Innen sich kritisch verhält. Dies macht sie in ihren Anfängen, so lange sie nicht festen Boden unter den Füßen hat und noch tastend ihren Weg sucht, zu Spaltungen geneigt. Die Wiedertäufer sind aber – wenigstens in Deutschland – über dieses Stadium nicht hinausgekommen.
Bullinger beschreibt die verschiedenen Richtungen der Wiedertäufer ausführlicher, aber auch gehässiger als Franck. Wir halten uns an diesen und theilen einige seiner Ausführungen mit.
Die Einen, sagt er, feiern den Sonntag, Andere nicht. Manche haben Regeln über eigenartige Kleidung und Speisen, und sondern sich auch äußerlich von der Welt ab. Deren sind nur Wenige. Andere bequemen sich den Verhältnissen an. Etliche lehren, sie könnten nicht sündigen, „der mehrere Theil predigt das Kreuz,“ machen einen „Abgott aus dem Leiden.“ Etliche predigen und leiden darob Martern. Andere halten dafür, es sei die Zeit gekommen, zu schweigen. Etliche leiden an Verzuckungen und prophezeien. „Etliche halten große Stücke auf Gesichte und Träume, etliche garnichts. Die halten sich an den Buchstaben der Schrift.“ Manche legen weder auf Predigten noch auf Bücher einen Werth.
„Etliche haben ein regulirt Schweigen und gehn mit viel Gesetzen und äußerlichen Dingen um ... in Kleidern, Haarflechten, Essen, Reden. Diese nennt man die schweigenden Brüder.“ Die Anderen halten diese Dinge alle frei. Etliche halten viel auf die Schrift, Andere nur auf die unmittelbare Eingebung Gottes. Diese nehmen an, man könne auch ohne die Schrift gläubig und selig werden. „Fast alle halten die Kinder für rein und unschuldig Blut und die Erbsünde für keine verdammliche Sünde, weder an Sündern noch an Alten.“
„Etliche thun schier nichts denn Beten, und wollen allem Unglück mit ihrem regulirten Gebet entgegenkommen; gleich als thue man Gott einen besonders großen Dienst daran, wenn wir immer beten, das Maul müd machen, und nicht vielmehr uns selbst. Diese wollen auch, man soll allem Uebel nit anders denn mit Gebet widerstehn, und wollen den Ihren keine Waffen erlauben, damit sie stets gelassen stehn und keiner Rachsucht geziehn werden. Etliche haben andere Opinion und schier Jeder eine besondere, also daß kaum zwei unter ihnen durchaus eines Sinnes sind, denn was sie einander zu Lieb heucheln und zu Dienst glauben. Deshalb ihre Artikel alle zu schreiben unmöglich ist, so viel und mancherlei fürwitzige müßige Fragen bringen sie täglich auf die Bahn ...
„Viele halten, wir sollten solche Leute eher wünschen oder im Himmel suchen denn auf Erden haben, oder vielleicht in der Republik Plato’s.“
Viele unter ihnen hegen chiliastische Vorstellungen. Sie nehmen an, „die Gottseligen, die in Christo entschlafen sind, werden friedlich auferstehn und mit Christo regieren tausend Jahr hie auf Erd. Etliche halten, auf ewig, und vermeinen, das Reich Christi werde hier auf Erden sein, wie die Propheten im Buchstaben lauten und Laetantius verstanden hätt und die Juden heut noch verstehn.“ Nicht Wenige haben den jüngsten Tag schon kommen sehen, und daraufhin ihr Hab und Gut vergeudet. Einige hassen die Bilder, Andere genirt es nicht, selbst in Kirchen zu gehen und die Messen zu hören u. s. w. u. s. w.
Alle diese Unterschiede sind Untergeordneter Art, betreffen Aeußerlichkeiten oder entstammen gar nur Verschiedenheiten des Temperaments und der Veranlagung, wohin wir zum Beispiel die verschiedene Stellung zu Offenbarungen und Träumen rechnen. Daneben kommen in den bisher genannten Punkten noch einige taktische Fragen geringerer Bedeutung in Betracht.
Aber auch in wichtigen, prinzipiellen Fragen herrschte nicht vollständige Einigkeit unter den Wiedertäufern.
Da war vor Allem die Grundfrage, die Eigenthumsfrage.
„Etliche,“ sagt Franck, „halten sich selbst für die Heiligen und Reinen; die haben, von Andern abgesondert, alle Dinge gemein; keiner sagt, daß etwas sein sei, und ist alles Eigenthum bei ihnen Sünd.
„Die Andern haben also all Ding gemein, daß sie einander keine Noth sollen leiden lassen. Nicht daß Einer dem Andern in das Seine falle, sonder daß in der Noth eines Jeden Gut des Andern sein soll, und Keiner nichts gegen den Andern verbergen, sondern ein offen Haus haben. Und daß der Geber willig und bereit, der Nehmer aber unwillig sein soll, und sofern ers umgehn kann, seinen Bruder spar und keine Ueberlast thue. Aber hierin ist große Heuchelei, Untreue und sehr viel Ananie, wie sie selbst wohl wissen.
„An etlichen Orten, als zu Austerlitz in Mähren, haben sie Oeconomos, Schaffner, und Alle einen Küchenseckel, daraus man einem Jeden geben soll, was ihm Noth ist. Ob es aber geschehe und recht ausgetheilet werde, darum frage ich sie. Diese thun die andern Brüder in Bann, als die nicht auf denn rechten Wege sind, und ist des Bannens in ihren Gemeinden viel, also, daß schier eine jede Gemeinde die andere in Bann thut, wer sich nicht in allen Stücken unterschreibt ...
„Die andern Täufer halten nichts auf die erst erzählte Gemein und Gemeinschaft, achten sie auch unnöthig und etwas zu viel, daß sie (die Andern) sich die vollkommenen Christen nennen, mit Verachtung der Andern. Diese arbeiten, ein Jeder für sich selbst, helfen, fragen, bieten einander (meines Bedünkens) die Händ gut heuchlerisch, obwohl ich die, die es recht meinen, hiemit nicht will getadelt haben.“
Wir finden also bei den Wiedertäufern zwei Richtungen, wie unter den Taboriten und den böhmischen Brüdern (und in den Anfängen des Christenthums) eine strengere, die mit dem vollkommenen Kommunismus Ernst machen will, die alles Privateigenthum abschafft und Alle aus dem gemeinsamen „Küchenseckel“ ernährt. und daneben die mildere, die das Privateigenthum anerkennt und blos verlangt, man solle es besitzen, „als besitze man es nicht.“ Das Auftreten dieser beiden Richtungen neben- oder nacheinander ist nicht ein zufälliger, sondern ein typischer Vorgang, der in der kommunistischen Bewegung mit Naturnothwendigkeit eintritt, so lange sie über die urchristliche Grundlage nicht hinauskam.
Mit der Eigenthumsfrage hängt eng zusammen die Frage der Eheform. Auch darin waren sie nicht einig, ebensowenig wie ihre eben genannten Vorgänger.
Etliche lehren, sagt Franck, man soll nicht in einer Familie mit Andersgläubigen leben. Viele Ehen wurden dadurch zerstört. Andere unter ihnen lehren selbst dawider.
Etliche haben es für ihre Pflicht gehalten, Haus und Familie zu verlassen, nach dem Beispiel der Apostel. [11] Auch dagegen predigen viele von ihnen selbst.
„Es hat sich auch eitle Sekte unter ihnen aufgethan, die wollen, wie alle Dinge, auch die Weiber gemein haben. Aber die sind bald von den anderen Brüdern vertuscht (vertust) und ausgemustert worden. Etliche haben den Hut und den Hätzer beschuldigt als Fürnehmer dieser Leute. Wohlan, sie haben drum, ist es wahr, ihr Urtheil erstanden.“
Den Thurgauer Ludwig Hätzer haben wir bereits kennen gelernt. Dieser gehörte nicht zur in Ehefragen zu den kühnsten Denkern seiner Partei. Er war einer von den Täufern, welche die Göttlichkeit Christi leugneten, Christus nur als Lehrer und Vorbild, nicht als „Abgott“ gelten ließen. 1529 wurde er zu Konstanz hingerichtet wegen „Ehebruchs.“ Ob und wie weit dabei seine Lehre mit betheiligt war, wissen wir nicht. „Er war hoch mit dem Geist Gottes verständigt,“ berichtet von ihm ein mährisches Chronikl der Wiedertäufer, „wie seine Schriften melden. Er hat einen Reim zu Kostnitz (Konstanz) angeschrieben von der Gottheit, der lautet also:
„Ich bin allein der ewig Gott, |
Hans Hut aus Franken war ein Buchkrämer, ein eifriger Anhänger Münzer’s (der selbst weit davon entfernt war, Weibergemeinschaft zu predigen). Nach der Niederwerfung des thüringischen Bauernaufstandes schloß er sich den süddeutschen Wiedertäufern an.
Die Tendenzen, deren er und Hätzer beschuldigt werden, erinnern an die der Adamiten in Böhmen und der Brüder und Schwestern des freien Geistes. Da ist es merkwürdig, daß Bullinger von einer Sekte der „freien Brüder“ unter den Täufern spricht, die nicht nur im Namen, sondern auch in den Ideen eine große Verwandtschaft mit den Brüdern vom freien Geist aufweist. Ob diese Uebereinstimmung aus Ueberlieferung beruht, oder ob da wieder einmal gleiche Verhältnisse ganz selbständig, ohne jeden Zusammenhang mit ihren Vorgängern, die gleichen Erscheinungen zu Tage gefördert, können wir nicht entscheiden.
„Die freien Brüder,“ sagt Bullinger, „welche fast von den andern Täufern allen die groben, wüsten Brüder genannt und verbannt und verworfen werden, machen die achte Sekte im Täuferorden: Deren wurden auch von Anfang der Täuferei nicht wenig hie und da, besonders im (Züricher) Oberland, funden. Die Täufer verstanden die christliche Freiheit fleischlich. Denn sie wollten von allen Gesetzen frei sein, dieweil doch Christus sie ledig und frei gemacht hätte. Darum vermeinten sie auch, sie wären von rechtswegen weder Zins noch Zehnten, auch die Pflichten der Knechtschaft oder Leibeigenschaft fürderhin zu zahlen und zu leisten nicht schuldig. Etliche aber, die etwas bescheidner sein wollten, lehrten, ob man gleich die Dinge von rechtswegen nicht schuldig wäre, sollte man es dennoch den Heiden bezahlen, damit sie keine Klage hätten und die Lehre nicht lästerten. Doch sollte keine Leibeigenschaft unter den Christen mehr sein. Etliche dieser freien Brüder, verzweifelt öde Buben, beredeten leichtfertige Weiber, daß es ihnen nicht möglich wäre, selig zu werden, sie schlügen denn ihre Ehr in die Schanz. Und mißbrauchten hiezu, nicht ohne Gotteslästerung, des Herrn Wort: So jemand nicht verscherzte und verlöre alles, das er lieb hätte, möcht er nicht selig werden. Item, man müsse um Christi willen allerlei Schmach und Schand leiden. Dieweil auch Christus geredet habe, die Publikanen (Zöllner) und Huren werden im Himmelreich den Gerechten vorgehn, so sollen die Weiber zu Huren werden und ihre Ehr verscherzen, so werden sie im Himmel größer sein denn die frommen Weiber. Andere machten es etwas subtiler. Denn so wie sie lehrten, alle Dinge gemein haben, also auch die Weiber. So sprachen etliche, nachdem sie wiedertauft wären, wären sie wiedergeboren und könnten nicht sündigen; das Fleisch könnte und möchte allein sündigen. Und es geschah unter manchem (sömlichen) falschen Schein und erlogenem Fürgeben des öden Gedichts große Schand und Ueppigkeit. Da durften sie über das Alles sagen, es wäre des Vaters (Gottes) Wille. Und hie sind unter vielen üppigen Buben entstanden die geistlichen Ehen. Denn die Weiber wurden beredet, sie versündigten sich schwer mit ihren Ehemännern, die noch nicht wiedergetäuft, also Heiden wären; mit ihnen aber, den Täufern, sündigten sie nicht, da zwischen ihnen eine geistliche Ehe bestehe.“ [13]
Es ist leider nicht gelungen, andere gleichzeitige Zeugnisse über die freien Brüder aufzufinden. Bullinger’s Streitschrift ist keine unbefangene und zuverlässige Quelle. Aber in den wesentlichen Punkten dürfen wir seine Darstellung der freien Brüder doch für richtig halten, gerade in jenen Punkten, in denen sie sich mit den Brüdern und Schwestern vom freien Geist berühren, nämlich in der „freien Liebe,“ dem „kommunistischen Anarchismus,“ ihrer Sündlosigkeit, da Alles, was sie thäten, Gottes Wille sei.
Wie gegenüber Eigenthum und Ehe, waren die Wiedertäufer auch in ihrem Verhalten gegenüber dem Staat, der öffentlichen Gewalt, nicht völlig einig. Darin stimmten sie allerdings überein, daß sie mit dem Staat so wenig als möglich zu thun haben wollten. Sie wollten von ihm nichts wissen, aber sie verwarfen die gewaltsame Auflehnung gegen ihn und predigten die Pflicht des leidenden Gehorsams. Man wollte die „Staatsknechtschaft,“ um modern zu sprechen, loswerden dadurch, daß man den Staat ignorirte.
Sie lehren, berichtet Franck, man solle Gewalt leiden, Genommenes nicht fordern. Ein Christ solle kein Amt bekleiden, „er möge weder leibeigene noch sonstige Knechte haben, auch niemals Krieg führen und die Faust zucken.“ Gott räche sich selbst.
Etliche unter ihnen verlangen, man solle nie schwören. „Auch daß ein Christ keine Obrigkeit möge sein, die ein Halsgericht besitzt und über das Bluturtheil oder die Krieg führt.“ Andere billigen wenigstens die Nothwehr.
„Jedoch lehren sie alle einhellig, der Obrigkeit in allen Dingen, so nicht wider Gott sind, gehorsam zu sein, nicht allein Zins und Steuer, sondern den Mantel zu dem Rock und was man nicht entbehren will, zu geben. Sie sagen, sie seien auch bereit, Gewalt zu leiden und auch den Tyrannen gehorsam zu sein ... Dieses haben mir zur Antwort geben, so viel ich darum hab angeredt, sie seien da, um Christi willen zu leiden mit Geduld, nicht zu fechten mit Ungeduld. Denn das Evangelium lehr und woll nicht mit der Faust, wie die Bauern im Sinn hatten, sondern mit Leiden und Sterben vertheidigt und bestätigt werden ... Deßhalb hätt es meines Erachtens nicht so große Noth, daß man einen Aufruhr von ihnen besorgt. Der Teufel, der gern Mord sieht und eine Lust hat, im Blut zu baden, flößt vielen einen thörichten Eifer ein, die armen Leute zu tyrannisiren ... Nun, weil kein Aufruhr vorhanden ist, soll man Niemanden unter ihnen bloßen Argwohns wegen also martern. Ich besorgte von keinem Volk weniger einen Aufruhr, wenn ich Papst, der Kaiser oder der Türke selbst wäre, denn von diesem.“
Das war der entscheidende Punkt, der Münzer, und die Mehrheit der deutschen Kommunisten vor dem Bauernkrieg überhaupt, von ihnen trennte, so sehr sie den Züricher Brüdern in anderen Punkten nahe standen.
Es ist noch ein Brief erhalten, den die uns bereits bekaunten Grebel, Manz, Andreas von der Stülzen, Hans Okenfuß, Heinrich Aberli und Andere an Münzer richteten, am 5. September 1524. Sie erklärten, sie seien mit ihm in Vielem einverstanden, „und daß Du mitsammt Karlstadt bei uns für die reinsten Verkünder und Prediger des reinsten göttlichen Wortes geachtet sind.“ Sie freuen sich, „daß wir einen funden haben, der eines gemeinen christlichen Verstandes mit uns sei,“ seine „Büchlinen“ haben „uns Armgeistige über die Maßen gelehrt und gestärkt;“ aber er ist ihnen nicht radikal genug in seiner Lehre und sie ermahnen ihn, „Du wollest Dich ernstlich befleißen, nur göttliche Worte unerschrocken zu predigen, nur göttliche Bräuche aufzurichten ... und alle Anschläge, Worte, Bräuche und Gutdünken aller Menschen, auch Deine selbst, verwerfen, hassen und verfluchen.“ Sie wenden sich gegen seine deutsche Messe, die ihnen noch zu weit von der apostolischen Einfachheit entfernt ist. Auch daß er in der Kirche Tafeln (Bilder?) aufgerichtet hat, mißfällt ihnen. Sie wenden sich aber auch gegen seine Gewaltthätigkeit. Wer nicht glauben will und dem Wort Gottes widerstrebt,
„den ... soll man nicht tödten, sondern für einen Heiden und Zöllner achten und sein lassen. Man soll auch das Evangelium und seine Bekenner nicht schirmen mit dem Schwert, oder sie sich selbst, was, wie wir durch unsern Bruder vernommen haben, Deine Meinung ist. Rechte, gläubige Christen sind Schafe unter den Wölfen, Schafe der Schlachtung; sie müssen in Angst und Noth, in Trübsal und Verfolgung, in Leiden und Sterben getauft werden, darin erprobt werden und dürfen das Vaterland der ewigen Ruh nicht mit leiblicher sondern geistlicher Erwürgung erlangen. Sie gebrauchen auch weder weltliches Schwert noch Krieg, denn bei ihnen ist das Tödten ganz abgethan.“
Dem Brief ist eine Nachschrift beigegeben: Eben haben die Brüder erfahren von Luther’s „Brief und schändlich Büchlein,“ in dem er die Fürsten auffordert, der Münzer’schen Agitation ein Ende zu machen.
„Des Huiufen Bruder schreibt, Du habest wider die Fürsten gepredigt, daß man sie mit der Faust angreifen sollte. Ist es wahr ... so ermahn ich Dich bei dem gemeinen Heil unser Aller, Du wollest davon abstehen und allem Gutdünken jetzt und hernach, so wirst Du gar rein werden, der Du uns sonst in andern Artikeln (also abgesehen von der Messe, den „Tafeln“ und dem gewaltsamen Weg) besser gefällst denn keiner in diesen deutschen und auch andern Ländern. So Du dem Luther und den Herzogen in die Hände kommst, laß die gemeldeten Artikel fallen und bei den andern steh wie ein Held.“ [14]
Ob Münzer den Brief erhielt und welche Antwort er darauf ertheilte, wissen wir nicht. Bald nach dessen Abfassung finden wir ihn an der Schweizer Kreuze im Verkehr mit den Schweizer Wiedertäufern. Ueber die Art dieses Verkehrs bestehen nur Vermuthungen; aber daß es im Punkte des gewaltsamen Weges zu keiner Verständigung kam, lehren die Ereignisse, die sich nach Münzer’s Rückkehr nach Thüringen abspielten.
Der Punkt des gewaltsamen Weges war für die Wiedertäufer der entscheidende – ebenso wie vorher bei den böhmischen Brüdern. Das sieht man daraus, daß sie trotz ihrer sonstigen Toleranz und trotzdem sie die verschiedensten Richtungen unter sich duldeten, doch stets dagegen protestirten, daß Münzer einer der Ihrigen gewesen sei. Auch Münzer’s Anhänger hielten sie von sich fern. Franck berichtet: „Münzer soll noch (1531) einen großen Anhang heimlicher Jünger in Thüringen haben, die sind nicht Täufer, er hat auch selbst nicht wiedergetauft, wie ich glaubwürdig berichtet bin.“
Das Letztere wäre freilich für sich allein kein Beweis dafür, daß Münzer nicht zu den Täufern gehörte. Gleich diesen hat auch Münzer sich gegen die Kindertaufe geäußert. In seiner Protestation schrieb er: Zu den Zeiten der Apostel hat man darüber gewacht, daß der Widersacher nicht den Weizen mit dem Unkraut mischen könne.
„Darum hat man allein die erwachsenen Leute nach langer Unterrichtung zu Kirchenschülern aufgenommen ... Ach, was soll ich sagen, es hat sich nie und nirgends mit einem einzigen (Wort ?) geäußert oder gezeigt, in allen Büchern der Kirchenlehrer von ihres Schreibens Anfang, was die rechte Taufe sei. Ich bitte alle buchstabischen Gelehrten, daß sie mir anzeigen, wo es in dem heiligen Buchstaben steht, daß ein einziges unmündiges Kindlein getauft sei von Christo und seinen Boten, oder aufgesetzt sei, zu beweisen unsere Kinder also wie jetzund zu taufen.“
Mit der Praxis der Wiedertaufe haben aber die Züricher erst Ende Januar oder Anfang Februar 1525 begonnen, zu einer Zeit, wo Münzer wahrscheinlich schon aufgebrochen war, um an dem großen Revolutionskampf theilzunehmen, und wo ihm derartiger sektirerischer Kleinkram höchst bedeutungslos erscheinen mußte.
Die Idee der Wiedertaufe bezw. Spättaufe ist keine neue. Sie tauchte schon sehr früh bei den Waldensern auf. Namentlich stark äußerte sie sich später in den Anfängen der böhmischen Brüder. „Es wäre besser, lach Art der alten Kirche, nur Erwachsene zu taufen, die durch ihre Werke ihren Glauben bereits bethätigen können,“ meinte Peter Chelčický. Er verwarf die Kindertaufe nicht unbedingt, zog aber die Taufe an Erwachsenen vor. Als die Gemeinde der böhmischen Brüder 1407 in Lhota sich konstituirte, war ihre erste Handlung die Wiedertaufe, die an den Anwesenden vollzogen wurde. Die Spättaufe erhielt sich bei ihnen bis zum Aufkommen der Wiedertäufer. Damals waren die böhmischen Brüder bereits verbürgerlicht; sie wollten mit den Wiedertäufern nicht verwechselt werden, die denselben Charakter trugen, den die Jünger Chelčický’s anfangs getragen hatten. Die Taufe an Erwachsenen ward jetzt ein gefährliches Symbol, und darum erwuchs von mm an in der böhmischen Sekte eine immer stärkere Abneigung dagegen. Endlich schaffte sie eine Synode zu Jungbunzlau, 1534, im Jahr des Münsterschen Aufstandes, völlig ab. [15] Es war also kein neues Prinzip, dessen Annahme den Züricher Brüdern ihren Namen gab. Die Gegnerschaft gegen die Kindertaufe war die logische Folge der Gegnerschaft gegen die Staatskirche.
So lange die katholische Kirche im christlichen Abendland wirklich katholisch gewesen war (katholikos, griech. = allgemein), bedeutete dort die Taufe die Aufnahme in die Gesellschaft überhaupt. Die Taufe am Neugeborenen war da nichts Widersinniges. Ganz anders wurde es, sobald sich Oppositionsparteien, ketzerische Parteien bildeten, die den Anspruch der katholischen Kirche bestritten, daß sie die ganze Gesellschaft umfasse. Bildeten sich neben ihr andere kirchliche Gemeinschaften, dann lag die Forderung nahe, daß der Einzelne nicht willenlos durch den Zufall der Geburt einer bestimmten Kirche zugetheilt werden, sondern daß ihm die Entscheidung darüber frei bleiben solle, bis er fähig sei, selbständig zu denken.
Aber nicht alle protestantischen Sekten zogen diese Konsequenz. Der Protestantismus der herrschenden Klassen bedeutete nichts als das Bestreben, die Kirche als Herrschaftsmittel zu erobern und dem Staat einzuverleiben. Die Kirche wurde ein Stück des Staates, die Staatskirche; die Staatsgewalt bestimmte in den Ländern, in denen es zu einer Reformation kam, welcher Kirche, welchem „Glauben“ die Staatsbürger angehören sollten. Besonders kraß äußerte sich das später im monarchischen Deutschland, wo sich der Grundsatz bildete: cujus regio, ejus religio; wo die Landeskinder sofort und ohne Murren den Glauben wechseln mußten, wenn der Landesvater aus irgend einem Grunde den Glauben wechselte oder sie einem anderen andersgläubigen Landesvater vererbte, verschenkte, verschacherte oder sonstwie abtrat.
In den demokratischen protestantischen Gemeinwesen trieb das Staatskirchenthum nicht so absurde Konsequenzen wie in den monarchischen; aber es trat dort früher zum Vorschein, zuerst in Zürich, wo Zwingli, wie wir gesehen haben, schon 1523 die Staatskirche einführte. Mit der Einführung der Staatskirche war aber die Taufe Erwachsener unvereinbar. Wie jeder Mensch von Geburt aus einem bestimmten Staat angehört, so gehörte er auch in den Ländern der Staatskirche von Geburt aus einer bestimmten Konfession an. Die Spättaufe bedeutete die Leugnung der Autorität des Staates, die Leugnung seiner Berechtigung, das Glaubensbekenntniß seiner Angehörigen zu bestimmen. Zwingli als Lenker des Züricher Staates, konnte sie unmöglich anerkennen, wenn er auch früher, in seiner ideologischen Zeit, so lange er noch in der Opposition stand, nach seinem eigenen Zeugniß für die Spättaufe gewesen war. [16]
Dagegen wurden die „Brüder“ umsomehr gedrängt, die Berechtigung der Taufe an Erwachsenen zu behaupten und die Kindertaufe als ungültig und nichtig zu verwerfen, je mehr sie verfolgt wurden, je mehr sie sich als Minorität fühlten, die darauf verzichtete, den Staat zu erobern, die sich nur dadurch zur Geltung bringen konnte, daß sie sich von der Menge absonderte und als besondere Gemeinde der „Heiligen“ und „Auserwählten“ organisirte – zwei Beinamen, die sehr hochmüthig klingen und die doch nur bezeugen, daß sie die Hoffnung aufgaben, jemals die Masse der Bevölkerung zu bilden.
So trat die Frage der Spättaufe oder, wie ihre Gegner sagten, der Wiedertaufe, immer mehr in den Vordergrund. Sie bildete ebensowenig das eigentliche Kampfobjekt, wie es die Frage des Abendmahls unter beiderlei Gestalten bei den Hussiten gebildet hatte. [17] Aber durch die Verhältnisse wurde, wie dort der Laienkelch, so hier die Wiedertaufe das Feldzeichen, um das sich die Brüder schaarten, an dem sie sich erkannten. Von ihr haben sie den Namen erhalten, unter dem sie in der Geschichte bestehen. [18]
Noch vor dem Ausbruch des deutschen Bauernkrieges fiel der entscheidende Schlag gegen die Züricher Wiedertäufer.
Angefeuert von deren Predigern, namentlich von Reublin, hatten mehrere Eltern sich geweigert, ihre Neugeborenen taufen zu lassen. Vergeblich bemühten sich Pfaffen und Rathsherren, sie zur Nachgiebigkeit zu überreden. Da erließ der Rath am 18. Januar 1525 den Gebot der Kindertaufe und setzte auf dessen Uebertretung die Strafe der Landesverweisung. Drei Tage darauf begann die Ausführung des Rathbeschlusses. Reublin, Hätzer, Andreas auf der Stünzen und Brödli, ein Graubündtner, der in Zollikon als Prediger wirkte, aber von seiner Hände Arbeit sich ernährte, wurden ausgewiesen.
Die Antwort auf diesen Schlag war würdig und kühn. Die zurückgebliebenen Brüder versammelten sich, und in der Versammlung erhob sich Jürg Blaurock, der in Chur Mönch gewesen, und bat Conrad Grebel, daß dieser ihn taufe mit der rechten, wahren, christlichen Taufe. Nachdem Conrad ihn getauft, taufte nun Jürg alle anderen Anwesenden. Von da an war die Wiedertaufe oder Spättaufe das anerkannte Symbol der Aufnahme in den Bund der Brüder. Gleichzeitig begann man den Versuch, den Kommunismus praktisch durchzuführen. [19]
Die Züricher Brüder hatten sich zur Wiedertaufe bekannt im vollen Bewußtsein dessen, was sie erwartete.
„Sogleich, als Zwingli von Neuem, und nun dringender noch als früher, den Kampfruf erschallen ließ, schlug blendend und erschreckend die Flamme schwärmerischer Begeisterung empor. Plötzuch sah man eine Menge Leute, wie zur Reise fertig, gegürtet mit Stricken, durch Zürich ziehen. Auf Markt und Plätzen blieben sie stehen und predigten von der Besserung des Lebens, von der Bekehrung zur Unschuld und Gerechtigkeit und brüderlichen Liebe. Dazwischen riefen sie gegen den alten Drachen und seine Häupter, das ist gegen Zwingli und seine Amtsgenossen, und weissagten den Untergang der Stadt binnen Kurzem, wofern sie die Stimme des Herrn nicht hören wolle. ‚Wehe, wehe über Zürich!‘ tönte das Rufen bald klagend, bald drohend, wie eine Mahnung aus einer anderen Welt, überall durch die engen Straßen der volkreichen Hauptstadt.
„Der Rath ließ viele zur Haft bringen, unter ihnen auch Manz und Blaurock. Es folgten Verbote, Verhöre und Strafen, dann wieder Verhaftungen, Gespräche, verstärkte Strafen. Aber diese Leute hatten einen Geist, welcher der Zwinglischen Theologie spottet, und die Gewalt trieb, wie der Wind die Feuersbrunst, den Namen ihrer Kirche in die Weite.“ [20]
In der That, in der ganzen deutschen Schweiz ging bald ihr Same auf, aller Orten verbreitet durch die aus Zürich Ausgewiesenen. Am erfolgreichsten waren sie an der deutschen Grenze, in Waldshut, Schaffhausen, St. Gallen.
Die Züricher Reformationsbewegung hatte, wie in anderen Städten der Schweiz und Süddeutschlands, so auch in diesen lebhaften Widerhall gefunden. und wie in Zürich traten auch dort radikale, wiedertäuferische Elemente auf, die über die Zwinglische Reform hinauswollten. Diese waren erfolgreicher in den kleinen Städten als in der Großstadt – die Kleinstädte waren damals in der Mehrheit ihrer Bevölkerung immer plebejischer gesinnt als die Großstädte, wie wir schon bei den Hussiten gesehen haben. Schon vor 1525 war in Waldshut die Kindertaufe zwar noch gestattet, aber nicht mehr geboten. Schaffhausen ging nicht so weit wie Waldshnt, verhielt sich aber zum Mindesten nicht ablehnend gegen die Wiedertäufer. In St. Gallen hatte schon 1524 ein Weber, Lorenz Hochrütiner, ein Anhänger Grebel’s, der 1523 aus Zürich ausgewiesen worden war, eine kleine Brüdergemeinde gegründet, die gedieh.
Die Züricher Massenausweisungen zu Beginn des Jahres 1523 brachten erhöhtes Leben in diese Orte. Grebel wandte sich nach Schaffhausen, Brödli fing in dem Schaffhauser Ort Hallau zu predigen an, Reublin endlich ging nach Waldshut. Nur langsam machte die neue Lehre Fortschritte in Schaffhausen. Hallau dagegen wurde rasch erobert und ebenso Waldshut. Der Führer der Bewegung dort war Dr. Balthasar Hubmeier, der, wie wir wissen, mit dem Baseler Kreise verkehrt hatte.
Diesen Mann müssen wir etwas näher betrachten. Um 1480 in Friedberg bei Augsburg geboren, hatte er sich der Gelehrtenlaufbahn zugewendet und war Professor an der Universität Ingolstadt geworden, die ihn 1515 zum Prorektor ernannte. Im nächsten Jahre folgte er einem Rufe als Domprediger nach Regensburg. Am hervorstechendsten wurde dort seine Agitation gegen die Juden, von denen die Handwerker behaupteten, daß sie den Rückgang der Stadt und des Handwerks verursachten. 1519 wurden die Juden ausgewiesen. Bald darauf, 1521, verließ auch Hubmeier selbst Regensburg. Was ihn von dort trieb, wissen wir nicht. Vielleicht seine Theilnahme an der Reformationsbewegung. Er begab sich nach Waldshut, welche Stadt damals im Besitz der Habsburger war. Hubmeier gewann als Prediger dort bald bedeutenden Einfluß, namentlich unter dem gemeinen Mann. Dieser Einfluß wuchs, als unter dem Einfluß der Züricher Reformationsbewegung in Waldshut eine demokratische antihabsburgische Bewegung aufkam; diese Bewegung, die schließlich am Vorabend des Bauernkrieges zur Lossagung der Stadt von der habsburgischen Herrschaft führte, ward von Hubmeier geführt, der dort dieselbe Rolle spielte, wie Zwingli in Zürich, mit dem er in lebhaftestem Verkehr stand.
Aber, wie schon bemerkt, mit dieser Bewegung gediehen auch in Waldshut die „Brüder.“
Als Zwingli den Kampf gegen diese aufnahm, mußte auch Hubmeier sich entscheiden. Aber in Waldshut war der gemeine Mann mächtiger als in Zürich, die rebellischen Bauern Süddeutschlands näher. Hubmeier trennte sich von Zürich und wendete sich mit seiner Gemeinde den Täufern zu, mit denen er schon vorher sympathisirt und in vielen Punkten übereingestimmt hatte.
Als Reublin nach Waldshut kam, ließ Hubmeier sich von ihm taufen (Ostern 1525). Mehr als 300 Einwohner der Stadt folgten seinem Beispiel. [21] Mit Hubmeier war ganz Waldshut gewonnen; diese rebellische Stadt, die den Habsburgern den Gehorsam gekündigt hatte, wurde „eine Burg der täuferischen Kirche, von wo Antrieb und Werbung nach allen Seiten ausging.“ (Cornelius)
Gleichseitig wuchs auch die St. Galler Gemeinde rasch an, namentlich nach einer Agitationstour, die Grebel von Schaffhausen dorthin unternahm. Die Gemeinde zählte bald 800 Genossen. Ganz Appenzell gerieth in Aufregung.
Manz brachte die täuferische Lehre nach Graubündten, Andere verbreiteten sie in Basel und Bern, und im Kanton Zürich selbst stockte die Agitation nicht, trotz aller Maßregeln der Behörden. Namentlich im Oberland, im Amt Grüningen, war sie eine Zeitlang sehr erfolgreich.
Man sieht, welchen Erfolg Ausweisungen haben, wenn die Partei, die sie schädigen sollen, in den Verhältnissen ihre Nahrung finden. Und das war damals der Fall. Die ausgewiesenen Agitatoren hätten keine solchen Erfolge erzielt, wenn nicht gleichzeitig der deutsche Bauernkrieg auch die Schweiz aufs Tiefste erregt und dort die unteren Klassen ebenso wie bürgerliche Ideologen für die wiedertäuferische Predigt aufs Günstigste gestimmt hätte. Der blutige Kampf an den Grenzen der Republik, was war er anders als die Einleitung jener furchtbaren Ereignisse, von denen die Apokalypse spricht, in denen die Gottlosen vertilgt werden und nur die Auserwählten übrig bleiben, um des tausendjährigen Reichs theilhaftig zu werden?
Als der große Kampf zu Ende war, die rebellische Bauernschaft Deutschlands aus tausend Wunden blutend am Boden lag, da änderte sich auch die Situation für die Täufer in der Eidgenossenschaft. Ihre größten Erfolge hatten diese friedliebenden Sektirer, die den Aufruhr verabscheuten, während des Aufruhrs und durch ihn erzielt. Seine Niederschlagung zog ihnen den Boden unter den Füßen weg – wenigstens in ihrer Heimath. Jetzt wurden die unteren Klassen kleinmüthig und verzagt, indeß den Ausbeutern der Kamm schwoll und das famose Beispiel der deutschen Nachbarn ihren Blutdurst entzündete. In der zweiten Hälfte des Jahres 1625 werden die Verfolgungen der Wiedertäufer in der Schweiz allgemein und sie gestalten sich um so erbitterter und grausamer, je bedrohlicher das Anwachsen der kommunistischen Sektirer unter der Aegide des Bauernkrieges gewesen war.
Anfangs Juni bereits erhob sich der Rath von St. Gallen und dekretirte das Verbot der Wiedertaufe. Die Bürger mußten der Obrigkeit unbedingten Gehorsam schwören, wer den Eid weigerte, hatte das Gebiet der Stadt zu verlassen. Im Juli wurde Manz von dem Rath zu Chur verhaftet und an Zürich ausgeliefert. Im August ward der Rath von Schaffhausen der Wiedertäufer Herr. Der Oktober sah die Verhaftung Greber’s und Blaurock’s, die auf Züricher Gebiet, im Grüningischen, agitirten. Im November belegte Bern die Täuferei mit der Strafe der Landesverweisung. Im Dezember endlich fiel Waldshut, die Burg der Wiedertäufer, ohne Schwertstreich in die Hände der österreichischen Regierung. Hubmeier, der jeder andere Ausweg verlegt war, floh nach Zürich, wo er ergriffen und gefangen gesetzt wurde.
Das Jahr, dessen erste Hälfte so voll glänzender Erfolge gewesen war, endete mit völliger Niederschlagung und Zersprengung der Täufer in der ganzen Eidgenossenschaft.
Die Meisten flohen nach Deutschland, so Reublin, Hätzer, Blaurock (dieser erst 1527). Andere krochen zu Kreuz und widerriefen ihre Irrthümer, der bekannteste unter ihnen war Hubmeier. Nach seiner Gefangennahme in Zürich zwang man ihn, mit Zwingli zu disputiren, den Gefangenen mit seinem Kerkermeister, der jeden Tag das schlimmste über ihn verhängen konnte! Hubmeier war nicht der Mann, die ekelhafte Komödie würdevoll zu gestalten. Um sich zu retten, verleugnete er seine Grundsätze und sprach bei der Disputation zuerst schwankend und schmeichelnd, und als das seinen Gegnern nicht genügte, erklärte er sich zum Widerruf seiner „Irrthümer“ bereit.
Nachdem er diesen geleistet und geschworen, das Züricher Gebiet nie wieder zu betreten, wurde er gnädigst entlassen (April 1526).
„Aber,“ jammert Bullinger, „wiewohl dieser Handel Doktor Balthasar’s viele einfache, verirrte Leute vernünftig und rechtsinnig machte, waren doch der halsstarrigen Täufer doch viele, die dadurch, auch durch diese Dinge nicht zur Besserung bewegt wurden.“ [22]
Ihnen rückte die Obrigkeit mit schweren, sich steigenden Strafen zu Leib. Schon am 7. März 1526 hatte der Rath von Zürich bestimmt, es sollten Alle, die halsstarrig zur Sache der Täufer hielten, „bei Wasser und Brot auf Stroh in den neuen Thurm gelegt werden.“ Dort sollte man sie „ersterben und faulen lassen,“ auch die Frauen und Mädchen. Aber auch Jeden, der einen Täufer beherbergte, ihm Speise und Trank reichte, bedrohte strenge Strafe. Endlich wurde über Rückfällige die Todesstrafe verhängt. Als Erster erlitt Felix Manz, am 5. Januar 1527. Er wurde ertränkt, sein Vermögen konfiszirt.
Wohl gelang es durch diese Verfolgungen nicht, die Wiedertäuferei in der Schweiz zu vernichten, wie ja keine der kommunistischen Sekten bisher mit Gewalt völlig ausgerottet werden konnte. Aber die Gunst der Verhältnisse stand nicht mehr auf ihrer Seite, und so war die kommunistische Bewegung in der Eidgenossenschaft bald nach der Niederschlagung der deutschen Bauern auf dasselbe Niveau zurückgedrängt, auf dem sie vor dem Beginn der Reformation gestanden, auf das Niveau einer für die herrschenden Klassen ungefährlichen, für die daran Betheiligten aber höchst gefahrvollen Geheimbündelei, deren Existenz nur noch in zeitweiligen Prozessen und Hinrichtungen an den Tag trat.
Für die Oeffentlichkeit verschwand sie.
Aber gerade zu der Zeit, als der Niedergang des Täuferthum in der Schweiz anhub, begann sein Aussteigen in Deutschland.
Man sollte erwarten, daß die Niederwerfung der bäuerlichen Erhebung, welche eine so gewaltige Reaktion gegen die Täufer im Nachbarlande hervorrief, umsomehr jedes Aufkommen derselben in Deutschland selbst unmöglich machen mußte. Aber diese Erwägung, die den Verhältnissen eines modernen, zentralisirten Staates entsprechen würde, rechnet nicht mit dem feudalen Partikularismus, der gerade im Reiche damals noch so stark war. Erschwerte dieser Partikularismus die Zusammenfassung aller revolutionären (oder rebellischen) Kräfte zu einer einheitlichen Bewegung, so milderte er auch die Wucht des Rückschlags, der nicht alle diese Kräfte auf einmal und in gleichem Maße traf.
An eine bäuerliche Bewegung war nach dem Bauernkrieg freilich nicht mehr zu denken. Mit den Bauern war auch die Mehrheit der kleineren Städte niedergeschlagen worden, die sich ihnen angeschlossen hatten. Dagegen hatte die Mehrheit der größeren freien Reichsstädte der bäuerlichen Erhebung gegenüber ebenso kühl gegenübergestanden, wie der ihr vorhergegangenen Erhebung des niederen Adels unter Sickingen. Nicht nur daß Großbürgerthum, die Patrizier, standen den Bauern feindlich gegenüber, auch das mittlere und kleinere Bürgerthum, die städtische Demokratie der Zunft, hegte nur laue Sympathien für die ländliche Bevölkerung, die von offener Abneigung oft nicht weit waren.
Aber hatte die großstädtische Demokratie es ihn Allgemeinen versäumt, durch ihre Kraft die Erhebung der bäuerlichen und kleinstädtischen Demokratie zu verstärken, so wurde sie dafür auch nicht, wenigstens nicht direkt, von deren Niederlage betroffen. Die Demokratie in den meisten freien Reichsstädten Süddeutschlands stand nach dem Bauernkrieg noch ungebrochen da. Aber gerade damals erhielten die .Kämpfe zwischen ihr und der städtischen Aristokratie einerseits, die zwischen der Gesammtheit der städtischen Bevölkerung und dem nach der Beherrschung und Ausbeutung der Städte trachtenden Fürstenthum andererseits, Kämpfe, die ja in jenen Jahrhunderten nie ganz aufhörten, einen akuten Charakter.
Die Masse der Bevölkerung in den Reichsstädten hatte die Erhebung Luther’s gegen den Papst freudig begrüßt und unterstützt. Diese freudige Unterstützung erlahmte jedoch in dem Maße, als Luther der Demokratie gegenüber lauer wurde.
Um dieselbe Zeit, als Luther anfing, von der Demokratie sich abzuwenden, erstand in Zürich eine Form kirchlicher Reformation, die den Interessen der städtischen zünftigen Demokratie völlig angepaßt war. Sie erregte bald die Aufmerksamkeit der süddeutschen Reichsstädte und gewann dort an Boden zunächst, ohne sich feindselig zum Lutheranismus zu stellen. Dagegen mußten die beiden Richtungen sofort in Gegensatz zueinander treten, sobald Luther und seine Leute sich entschieden gegen die Demokratie erklärten. und so bedeutet gerade die Zeit des Bauernkrieges auch die Zeit, in der der große Kampf zwischen Luther und Zwingli seinen Anfang nimmt; anscheinend ein Kampf um ein Wort, ein Kampf darum, ob Christus sprach: „Das (Brot) ist mein Leib,“ oder „Das bedeutet meinen Leib,“ in Wirklichkeit ein Kampf zwischen bürgerlich-demokratischer und fürstlicher Reformation, gefochten mit theologischen Argumenten, aber um sehr reale Objekte.
Ganz Deutschland erfüllte dieser Kampf seit 1525; am lebhaftesten wurde er geführt in den süddeutschen Reichsstädten, in Straßburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Augsburg u. s. w. Wie schon früher bei ähnlichen Gelegenheiten, waren auch jetzt der tertius gaudens die Kommunisten. Wie ehedem der Kampf gegen den römischen Papst, so war es nun der Kampf gegen den Papst von Wittenberg, der ihnen Luft und Licht zu freier Entwickelung schaffte. Gegen die Lutheraner konnten die süddeutschen Zwinglianer die Wiedertäufer benutzen, darum duldeten sie sie in den ersten Jahren nach 1525, wie ja auch Zwingli selbst, der sie jetzt verfolgte, kürzuch noch sie begünstigt hatte.
Süddeutschland wurde die Zuflucht der politischen Flüchtlinge aus der freien Republik. Zahlreich kamen sie und rasch gewannen sie noch zahlreicheren Anhang. Ihre friedfertige Gesinnung, die den gewaltsamen Aufstand verpönte, entsprach gerade der allgemeinen Stimmung der unteren Klassen nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes. Auch ehemalige Anhänger Münzer’s wandten sich ihnen jetzt zu. So der Buchkrämer Hans Hut, dessen wir oben bereits gedacht haben; so Melchior Rinck, zuerst Schulmeister zu Hersfeld, dann Pfarrer zu Eckartshausen im Amt Eisenach, der bei Frankenhausen mitgefochten hatte, aber, glücklicher als Münzer, mit dem Leben davongekommen war. Jetzt schloß er sich den Täufern an.
So rasch erfolgte nun das Anwachsen der Wiedertäuferei in Deutschland, daß man dort vielfach der Ansicht war, sie sei überhaupt erst während oder nach dem Bauernkriege entstanden. Die Täufer selbst förderten diese Ansicht, da sie dadurch die Beschuldigung zu widerlegen hofften, als hätten sie den Bauernaufstand angezettelt, wie ihre Gegner gern behaupteten. Sie konnten sich daraus berufen, daß die Annahme der Wiedertaufe als Symbol der Brüder, ihre ausgesprochene Loslösung von der Zwinglianischen Kirche und ihre Konstituirung als besondere religiöse Gemeinschaft erst in den Beginn des Jahres 1525 fiel.
Sebastin Franck acceptirt diese Darstellung der Täufer, wie er denn aufs Eifrigste bemüht ist, nachzuweisen, daß sie garnicht aufrührerisch gesinnt seien.
Jedenfalls kommt seine Anschauung der Wahrheit näher, als die andere, noch allgemeiner verbreitete, der auch Bullinger huldigte, als sei Münzer der Begründer der Täufersekte gewesen. Allerdings hatte Bullinger die Anfänge der Wiedertaufe in Zürich selbst gesehen, aber dem Züricher Pfarrer mußte es erwünscht sein, den Ursprung der unbequemen Sekte von der Heimath des Zwinglianismus abzuwälzen und der Heimath des Lutherthums aufzuhalsen.
Zum Jahr 1526 bemerkt Franck in seiner Chronik:
„Gleich in und nach dem Aufruhr der Bauern entstand aus dem Buchstaben der Schrift eine neue Sekte und besondere Kirche, die nannten etliche Wiedertäufer, etliche Täufer. Die fingen an, mit einer besondern Taufe sich von den andern zu unterscheiden und alle andern Gemeinden als unchristlich zu verachten. – Deren Vorsteher und Bischöfe waren namentlich Balthasar Hubmeier, Melchior Rinck, Johannes Hut, Johannes Denck, Lüdwig Hätzer. Deren Lauf ging so schnell, daß ihre Lehre bald das ganze Land durchkroch und sie bald einen großen Anhang erlangten, viel Tausend tauften und auch viel guter Herzen ... zu ihnen zogen. Denn sie lehrten im Schein nichts, denn Liebe, Glauben und Kreuz, erzeigten sich in vielen Leiden geduldig, demüthig, brachen das Brot miteinander zum Zeichen der Einigkeit und Liebe, halfen einander treulich mit Vorsatz, Leihn, Borgen, Schenken und lehrten, alle Dinge gemein haben, hießen einander Brüder. Wer aber ihrer Sekte nicht war, den grüßten sie kaum, boten auch dem keine Hand; hielten sich auch zusammen und nahmen so jählings zu, daß die Welt sich eines Aufruhrs von ihuen besorgte, dessen sie doch, wie ich höre, allenthalben unschuldig befunden worden sind.“ [23]
Die Sekte erschien um so gefährlicher, als sie ihre Verbreitung in den großen Städten fand. Bezeichnend dafür ist ein Brief, den Dr. Eck an den Herzog Georg von Sachsen am 26. November 1527 über die Wiedertäufer schrieb. Da heißt es unter Anderem:
„Denn gar besorgnißerregend ist diese Sekte, und wie gnädiger Herr und seine fürstlichen Räthe erwägen, mehr Schadens da zu fürchten, denn bei dem jüngsten bäurischen Aufruhr: denn diese Sekte wurzelt in den Städten. Wenn nun der Aufruhr anginge, würden die in den Städten sich erheben, da würden sie Geschütze, Pulver und Harnische, auch kriegsgeübte Knechte haben, und es würde ihnen das Bauernvolk auf dem Land zufallen, und es würde Alles über sich gehn wider die Geistlichkeit, Fürsten und Adel. Darum die Fürsten und der Adel wohl aussehn müssen.“ [24]
Die Hauptsitze der süddeutschen Täuferei wurden Augsburg und Straßburg, zwei Weberstädte, in denen schon das Beghardenthum sehr stark gewesen. Bezüglich der letzteren Stadt erinnern wir an Friedrich Reiser, den Waldenser, dem der Kongreß von Tabor den Sitz in Straßburg anwies, das „zweifellos seit Jahrhunderten der Vorort der deutschen Gemeinden gewesen ist.“ (Keller)
Wie stark die kommunistische Sektirerei zeitweise in Augsburg gewesen, zeigt die Thatsache, daß dort 1393 auf einmal nicht weniger als 280 waldensische Ketzer, meist Weber und Holzarbeiter, prozessirt wurden. [25]
Ein anderer Mittelpunkt dieser Sektirerei war Nürnberg. Wir wissen, daß Münzer dort zahlreiche Gesinnungsgenossen fand. Aber in Nürnberg war das Patriziat zu mächtig, als daß eine populäre Bewegung hätte aufkommen können.
Zu Ende des Jahres 1524, vielleicht unmittelbar nach Münzer’s Anwesenheit, wurden in Nürnberg eine Reihe von „Ketzern“ verhaftet, darunter Dürer’s Schüler Jörg Penz, die Brüder Hans Sebald und Barthel Behaim, Ludwig Krug und Sebald Baumhauer, sowie endlich der uns schon von Basel her bekannte Hans Denck, der 1523 Rektor an der Sebaldusschule geworden war auf die Empfehlung des Oekolampadius hin, des Biedermanns, der es später für nöthig fand, sich deswegen bei Pirkheimer weiß zu waschen.
Den Gefangenen wurde der Prozeß gemacht. Keller hat die Prozeßakten studirt, die im Kreisarchiv zu Nürnberg liegen. Er bemerkt, es ergebe sich aus ihnen „die Thatsache, daß wir in den Gefangenen die Glieder einer Brüdergemeinde vor uns haben, die unter dem Schleier des Geheimnisses seit langer Zeit bestand und die auswärts, z. B. in Erlangen, Beziehungen besaß.“ [26]
Die Hauptangeschuldigten wurden ausgewiesen, darunter auch Denck. Er ging in die Schweiz, wo damals die Sache der Brüder im Aufschwung begriffen war. Zu Anfang des Jahres 1525 finden wir ihn in St. Gallen als Korrektor in einer Druckerei. Aber der Herbst dieses Jahres sah ihn schon wieder in Deutschland, in Augsburg. Dort begann der Gegensatz zwischen Lutherthum und Zwinglianismus am schroffsten zu Tage zu treten, dort tobte in jenen Jahren der Kampf zwischen beiden Richtungen am mächtigsten, dort fanden die Täufer die für sie günstigsten Bedingungen vor.
Schnell wuchs die Gemeinde, um 1527 soll sie nach Urbanus Rhegius bereits 1.100 Köpfe stark gewesen sein. Man schrieb das im Wesentlichen der Wirksamkeit Denck’s zu, „der mit seinen Landfahrern,“ den wandernden Agitatoren, „bei uns auch seinen neuen Tauforden hat wollen aufrichten, sich zuerst in die Winkel gesteckt und heimlich sein Gift ausgegossen hat,“ wie ein gegen ihn gerichtetes Pamphlet des Urbanus Rhegius klagt. [27]
Denck wurde durch die Verhältnisse in Augsburg sehr begünstigt. Immerhin dürfen wir seinem Eifer und seiner hohen Intelligenz ein gut Theil der Erfolge zuschreiben, die er erzielte. Neben Hubmeier trat er in die erste Linie unter den Vorkämpfern der Brüder. Peter Gynoräus, der 1526 zu Augsburg lebte, spricht von ihm, als von dem „Haupt der Wiedergetauften.“ Bncer nennt ihn den „Papst,“ Haller in einem Brief an Zwingli vom 2. Dezember 1527 den „Apollo der Wiedertäufer.“
Ein bedeutender Gelehrter und Philosoph, wirkte Denck vor Allem dahin, die Lehren des Täuferthums ihres materiellen, „fleischlichen“ Inhalts zu entkleiden und zu „vergeistigen.“ Er wurde einer der Hauptvertreter der Anderen, wenn man will praktischeren, versöhnlicheren Richtung unter den Wiedertäufern, die neben der ursprünglichen strengen Richtung aufkam und nicht nur die strikte Durchführung der Gütergemeinschaft, sondern auch die vollständige Passivität dem Staate gegenüber sehr lästig fand. In Deutschland gelangte allerdings der Gegensatz zwischen den beiden Richtungen nicht zur vollen Entfaltung; dazu kam es erst in Mähren, wo die Gemeinde mehr Ellenbogenraum fand und sich eher den Luxus innerer Streitigkeiten gestatten konnte. Aber die Ansätze zur Bildung der neueren, praktischeren Richtung im Gegensatz zur alten, zürcherischen traten schon in Deutschland hervor, namentlich in Augsburg, wo die Gemeinde so sehr gedieh und wo auch Mitglieder der höheren Klassen ihr angehörten, darunter Eitelhans Langenmantel, „ein Bürger des fürnehmsten Geschlechts zu Augsburg,“ der „reichlich begabt war in der Schrift und Göttlicher Erkenntuns, wie seine Büchlein, in Druck ausgangen, nachweisen.“ (Chronikl bei Beck, Geschichtsbücher, S. 36) Er starb 1529 für seine Sache den Märtyrertod.
Wie bei den böhmischen Brüdern sind es auch hier zumeist die Gebildeten, die auf leiten der milderen Richtung stehen: neben Denck besonders Hubmeier, der zwar zu Zürich der Sache der Wiedertäufer untreu geworden war, sich ihr aber sofort wieder angeschlossen hatte, sobald er die Züricher Mauern hinter sich wußte.
Indeß gab es Gebildete auch auf der anderen Seite. Der eben genannte Eitelhans Langenmantel zum Beispiel ist für den strengeren Kommunismus eingetreten, wenn die ihm zugeschriebene „kurze Rede von der wahren Gemeinschaft“ wirklich von ihm herrührt. Er wendet sich gegen die Ansicht Derer, die da sagen:
„Es sei nicht ein Gebot, daß man die Güter in gemein haben sollt’, so es aber in Lieb und frommem Willen geschehe, sei es wohl recht. Sonst aber mag ein Jeder es ins Gemeinde geben oder behalten, er wird doch von der rechten Gemeinschaft Christi nicht ausgeschlossen sein.“
Dagegen erklärt Langenmantel:
„Das höchste Gebot Gottes ist die Liebe. Liebe Gott über Alles und deinen Nächsten wie dich selbst. In der Gemeinschaft der zeitlichen Güter wird diese Liebe erkannt. Niemand soll sagen: Mein, mein. Es ist auch des Bruders. Wer wird wohl seinem Bruder die höheren, geistigen, zukünftigen Güter geben, wenn er sich bei den zeitlichen weigert? Nur wer die Gemeinschaft hält, ist in Christo, wer sie nicht hält, außer ihm und seiner Gemeinschaft ... Wollte aber Jemand sagen, weil man dann alle Dinge gemein haben soll, so muß man auch die Weiber gemein haben: so sag ich nicht also, sondern was Gott zusammengeordnet hat, soll der Mensch nicht ändern. Dies aber ist die rechte Gemeinschaft, daß Keinem abgeschlagen werde, was ihm Noth: ein Weib für sich zu nehmen allein, es geschehe in dem Herrn. So soll auch in zeitlichen Gütern einem Jeden zugetheilt werden, was ihm Noth thut. Solche Gemeinschaft, wo der Eine reich ist und viele Güter hat, der Andere arm ist und Mangel leidet, gehört nicht Christo zu.“ [28]
Der entschiedenste Vertreter der strengen Richtung dagegen wurde der Buchbinder und Kolporteur („Buchführer“) Hans Hut, der, wie wir gesehen, durch die Münzer’sche schule gegangen war, und der beschuldigt wurde, einer der Anhänger der Weibergemeinschaft zu sein.
Bereits auf dem zweiten Augsburger Kongreß der Brüder trafen Denck und Hut aufeinander.
So wichtig war Augsburg, daß dort die ersten zwei Kongresse (Synoden) der Täufer stattfanden. Der erste im Frühjahr 1526. Es nahmen an ihm Theil Hans Denck, Hans Hut, Ludwig Hätzer, Jakob Groß aus Waldshut, Kaspar Färber aus dem Innthal und Balthasar Hubmeier. Diese Synode sanktionirte die Einführung der Spättaufe nach Deutschland, die bis dahin nur in der Schweiz geübt worden.
Wichtiger war die zweite Synode, im August 1527, der bereits mehr an 60 Abgeordnete aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz beiwohnten. Ihre Hauptaufgabe war die Organisirung der Agitation, die Entsendung von „Aposteln“ in die verschiedensten Gebiete, vielleicht auch die Feststellung des Programms, des „Bekenntnisses.“
„Ueber die Beschlüsse dieser Versammlung,“ sagt Keller, dem wir in Bezug auf diese zwei Kongresse folgen, „fehlen uns leider die Protokolle. Indeß steht wenigstens so viel fest, daß die Abgeordneten nach längeren Debatten, bei welchen sich eine Differenz zwischen Denck und Hut herausstellte, schließlich in voller Einmüthigkeit ihre Beschlüsse faßten, und daß Denck’s Ideen es waren, welche den Sieg davontrugen.“ [29]
Neben Delegirten aus dem jetzigen Gebiet Süddeutschlands und der Schweiz treffen wir auf diesen Kongressen auch solche aus Oesterreich. Auch dort war die Wiedertäuferei eingedrungen. Zunächst in dem an die Schweiz grenzenden Tyrol und den benachbarten Alpenländern.
Tyrol spielte damals ökonomisch und politisch eine viel bedeutendere Rolle als heute. Außer in Sachsen und Böhmen war der Bergbau nirgends so hoch entwickelt wie in Tyrol und den östlich angrenzenden Gebieten. Nicht nur reiche Eisen- und Kupfererze, sowie mächtige Salzlager, fanden sich dort, sondern auch zahlreiche Adern von Gold und Silber. Wie in den erstgenannten Ländern, mußte auch in Tyrol der „Bergsegen“ zur Verschärfung der sozialen Gegensätze beitragen. Indeß geschah dies in den Alpenländern in geringerem Grade als in Sachsen. Die Hauptursache davon bildete wohl die Unwegsamkeit des Landes, die Abgeschlossenheit und Unfruchtbarkeit der einzelnen Thäler. Die Bewohner der Seitenthäler blieben unberührt von den Einflüssen der wenigen Handelsstraßen, welche die hohen Alpenpässe überschritten. Ihre Bedürfnisse blieben die alten, und die Art und Weise, sie zu befriedigen, änderte sich nicht. Kein Gewinn lockte den Kaufmann in die unwegsamen Wildnisse, der Bauer erzeugte keinen Ueberschuß, den er austauschen konnte.
Die Reichthümer, welche die Bergleute, namentlich die in den Gold- und Silbergruben, erzeugten dienten nur theilweise zur Förderung der Waarenproduktion ins eigenen Lande. die Hauptgewerken der Tyroler Bergwerke waren Nicht-Tyroler, darunter die wichtigsten die Augsburger Fugger und Höchstetter. Aber selbst Spanier beuteten Tyroler Bergwerke aus. Und auch was den Landesherren zufiel, den Habsburgern, blieb nicht im Lande, sondern wurde in der Welt zerstreut zur Förderung ihrer Weltpolitik; es wanderte in die Taschen von Söldnern aus der Schweiz, aus den Niederlanden, aus Spanien; in die Taschen von Staatsmännern, die an den verschiedenen Höfen zu bestechen waren, und in die Taschen deutscher Kurfürsten und ihrer Beamten.
Wir finden daher in Tyrol neben ökonomisch hoch entwickelten Gegenden auch sehr rückständige. Die alte Markverfassung besaß im Allgemeinen noch große Kraft und die Ausbeutung der Bauern war, wenigstens nördlich vom Brenner, gering. die Zuspitzung der Klassengegensätze, die der Bergsegen mit sich brachte, erstreckte sich fast nur auf die Städte und Bergwerksorte und deren nächste Umgebung.
Als die Wogen des Bauernkrieges 1525 auch in die Tyroler und Salzburger Alpen hineinschlugen und deren Bevölkerung in Bewegung setzten, da sind es nicht die Bauern, sondern die Bergknappen, die an der Spitze der Erhebungen stehen. [30]
Da zeigte sichs, welche militärische Kraft die Bergarbeiter besaßen und wie gefährlich der Aufstand in Thüringen hätte werden können, wenn die dortigen Bergarbeiter sich ihm energisch angeschlossen hätten. Die Aufstände in Nordtyrol und im Salzburgischeu waren 1525 die einzigen, die nicht mit der Gewalt der Waffen niedergeschlagen wurden. Man wurde ihrer Herr durch „geistige Mittel,“ das heißt durch erlogene Versprechungen und durch Ausnützung des bornirten Partikularismus, den die Tyroler und Salzburger Bergknappen ebensogut bethätigten wie die Mansfelder. Man beruhigte einzelne der gefährlichsten Erhebungen durch Abstellung einiger allzu schreiender Mißstände, gewann dadurch freie Hand gegenüber anderen Insurgenten, und nachdem man diese niedergeschlagen und Zeit gehabt, Truppen zusammenzuziehen, konnte man auch den militärisch unbesiegt gebliebenen Distrikten den Herrn zeigen. Diese gewannen nichts durch ihren Verrath an der allgemeinen Sache, die allgemeine Niederdrückung der arbeitenden Klassen nach 1525 traf schließlich auch sie.
Besiegt und bedrückt, ohne militärisch überwunden zu sein, waren die unteren Klassen Tyrols nach dem Bauernkrieg ebenso unzufrieden und mißgestimmt wie die des südlichen Deutschland, aber doch nicht so entmuthigt.
In dieser Stimmung fanden sie die Prediger der Wiedertäufer, die aus der Schweiz und Bayern nach Tyrol kamen. Bald zeigte sichs, welch fruchtbaren Boden dies Land der neuen Lehre biete.
Vornehmlich waren es die Bergwerksorte, in denen das Täuferthum um sich griff. Schon vor dem Bauernkrieg hatten sie die lutherische Lehre gern angenommen, die in den Ländern der katholischen Habsburger einen rein oppositionellen, entschieden fürstenfeindlichen Charakter trug.
„Außer den Geistlichen nahmen sich auch Laien, und zwar Erzknappen, Gerichtsschreiber, Studenten u. A., heraus, das neue Evangelium zu predigen ... Von allen Seiten loderte die Begeisterung für die neue Lehre empor. Hauptherd der Widersacher des alten Kirchenthums war die Bruderschaft zu Schwaz mit ihren zahlreichen Knappen.“ [31]
Das Jahr 1525 inaugurirte die Abwendung der demokratischen Elemente in Tyrol von der Lehre Luther’s, der sich an Feind der Demokratie entpuppt hatte. Rasch wandten sie sich den Täufern zu, sobald sie mit deren Lehren bekannt wurden.
Bereits 1526 wird von einigen „Brüdern“ im Innthal berichtet, darunter der Bergrichter Pilgram Marbeck aus dem Bergort Rattenberg. 1527 werden auch schon andere Bergorte als Sitze der Wiedertäuferei genannt, so Schwaz, Kitzbichel, Sterzing, Klausen u. s. w., und die „Bergwerksverwandten“ werden als Diejenigen genannt, bei denen die Sekte am meisten sich einwurzelt. [32] Daneben ist uns die Anzahl der Weber unter den Tyroler Täufern aufgefallen. Aber auch an Mitgliedern aus anderen Schichten der arbeitenden Klassen war kein Mangel; selbst einzelne Adelige schlossen sich der Sekte an.
Wie in den süddeutschen Städten, so vermehrte sich auch in Tyrol während der ersten Jahre nach dem Bauernkrieg die Zahl der Täufer ungemein rasch.
Aber die Zeit der ungehinderten Ausbreitung dauerte in allen diesen Gebieten gar kurz. Kaum hatten sie begonnen, einen merklichen Anhang zu gewinnen, da vereinigten sich auch schon städtische und fürstliche Behörden zu ihrer Verfolgung. Wohl führten die Täufer, wie ihre Gegner selbst zugestanden, ein demüthiges und friedfertiges Leben und verwarfen jeden Aufruhr. Aber das nützte ihnen nichts. Die Konsequenz ihrer Lehren, erklärte man, sei doch die Revolution. Diese Argumentation finden wir in einer offiziellen wider sie gerichtete Schrift, Ein kurzer Unterricht [33], aus dem Jahre 1528: Allerdings heißt es da, verlangen die Wiedertäufer Gehorsam gegen die Obrigkeit. Aber daß dies nur Hinterlist, kann man daraus ersehen, „daß sie sich zusammen versprechen und verpflichten, in keiner Widerwärtigkeit voneinander zu weichen, sondern Leib und Leben beieinander zu lassen, das dann so viel mit sich bringt, daß sie solch Versprechen und Pflicht höher achten wie die Pflicht gegen ihre von Gott eingesetzte Obrigkeit.“ Die einfältigen Leute verstehen das anfangs nicht, aber der Grund ihrer teuflischen Lehre ist dahin gerichtet, groß und mächtig zu werden. Dann würden sie der Obrigkeit sich widersetzen und ihren Muthwillen treiben. Wer lehrt, daß Alles gemein sein soll, „der hat nichts anderes im Sinn, denn die Unterthanen wider die von Gott verordnete Obrigkeit und den armen Haufen wider die Habhaften (Besitzenden} zu Unfrieden und Aufruhr zu bewegen.“
Diese Argumentation mußte zu Ende der zwanziger Jahre, wo die Erinnerung an den Bauernkrieg noch so frisch war, bei den Machthabern volles Verständniß finden. Ueberdies galten, wie wir aus dem Briefe Eck’s gesehen haben, die Wiedertäufer als besonders gefährlich, weil sie die Städte bedrohten, und endlich ist nicht zu übersehen, daß bei einem großen Theil der Wiedertäufer, namentlich der proletarischen Hut’schen Richtung, trotz aller Friedfertigkeit eine starke rebellische Ader sich nicht verleugnete. Wohl erklärten Alle ohne Ausnahme jeden Versuch einer bewaffneten Empörung für wahnsinnig und sündhaft; aber nichtsdestoweniger waren Viele davon überzeugt, daß das Ende der herrschenden Gesellschaft nahe, nur glaubten sie nicht mehr an den Erfolg eines inneren Aufstandes, sondern setzten ihre Zuversicht auf einen auswärtigen Sieg.
Woran die Bauern gescheitert, das sollten jetzt die Türken zu Stande bringen. Hans Hut selbst und ebenso viele seiner Genossen bauten auf den bevorstehenden Einbruch der Türken. Diese werden das Reich zerstören, lehrte Hut. Währenddessen sollten die Genossen sich in den Wäldern verborgen halten, dann aber hervorkommen, sobald die Türken ihre Arbeit gethan, und das Werk vollenden. Er gab sogar ein genaues Datum für den Beginn des tausendjährigen Reiches an: Pfingsten 1528.
Ebensowenig wie zu ihrer Zeit die Prophezeiungen Dolcino’s, waren die Hut’s bloße Hirngespinnste. Die Türken nahten wirklich. Der Sultan Suleiman kam, allerdings nicht 1528, sondern 1529, und es gelang ihm nur Ungarn zu erobern, nicht aber nach Deutschland einzudringen. Vor Wien scheiterte er zum Betrübniß nicht blos der energischeren Wiedertäufer, sondern auch der energischeren Gegner des Kaisers unter den deutschen Fürsten, vor Allem des von patriotischen Geschichtschreibern so verherrlichten Landgrafen Philipp von Hessen.
Die Kommunisten waren also nicht die einzigen „Landesverräther.“
Diese türkischen Sympathien eines Theils der Wiedertäufer verbesserten jedenfalls nicht die Stimmung zu ihren Gunsten, namentlich nicht in den kaiserlichen Ländern. [34]
Indeß darf man der Furcht vor dem Zusammenwirken der Täufer mit den Türken keinen allzugroßen Einfluß auf die Verfolgung der ersteren zuschreiben. Es war nur eine Minorität unter ihnen, die auf die Türken ihre Hoffnung setzte, und die Verfolgungen der Wiedertäufer gingen in Orten und zu Zeiten, wo keine Türkenfurcht bestand, ebenso vor sich, wie zur Zeit eines drohenden Türkeneinfalls in den östlichen Ländern der Habsburger.
Die Türkenfurcht genügt nicht, die grausame und wüthende Verfolgung der Wiedertäufer zu erklären, die sich gegen sie erhob, sobald sie auf die unteren Klassen Einfluß gewonnen hatten. Diese kann nur erklärt werden als Nachwirkung des Bauernkrieges, der in demselben Maße, in dem er den herrschenden Klassen Furcht eingejagt, ihren Blutdurst und ihre Rachsucht erregt hatte. Seitdem sahen sie in Jedem, der mit den unteren Klassen sympathisirte, wie demüthig und friedfertig er auch sein mochte, einen Todfeind, der nicht erbittert genug bekämpft, nicht grausam genug bestraft werden konnte.
Protestanten und Katholiken wetteiferten in der Verfolgung der Täufer. „Das meiste Blut floß in katholischen Ländern,“ schreibt Cornelius. (Münsterischer Aufruhr, II., 57) „In Deutschland übertrafen in harter und blutiger Verfolgung die protestantischen Stände sogar die katholischen,“ meint Beck. (Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, XVIII) In Wirklichkeit hatte keilte der beiden Parteien darin etwas vor der anderen voraus.
1526 kamen nur vereinzelte Verfolgungen von Täufern in Süddeutschland vor. Als aber deren Zahl rasch wuchs, da mehrten sich auch die Verfolgungen. Das Jahr 1527 sah schon zahlreiche Hinrichtungen von Brüdern, allgemein aber wurde die Hetzjagd gegen sie im folgenden Jahre, eingeleitet durch ein kaiserliches Mandat vom 4. Januar, welches auf die Wiedertaufe den Tod setzte. Dies Mandat wurde vervollständigt durch den Reichstag von Speier, 1529, denselben, auf dem die evangelischen Stände gegen jeden ihnen angethanen Glaubenszwang protestirten, wovon sie den Namen der Protestanten erhielten.
Im § 6 des Reichstagsabschieds von Speier heißt es:
„Nachdem auch kürzlich eine neue Sekte der Wiedertaufe entstanden, so in gemeinen Rechten verboten und vor viel hundert Jahren verdammt worden ist, welche Sekte ... je länger, je schwerlicher einbricht und überhand nimmt, hat ihre Majestät, um solch schwerem Uebel und was daraus folgen mag, zuvorzukommen und Fried und Einigkeit im heiligen Reich zu erhalten, eine rechtmäßige Konstitution, Satzung und Ordnung aufgerichtet und allenthalben im h. Reich zu verkündigen befohlen, also lautend, daß alle und jede Wiedertäufer und Wiedergetaufte, Männer und Weibspersonen verständigen Alters vom natürlichen Leben zum Tode mit Feuer, Schwert oder dergleichen nach Gelegenheit der Personen ohne vorhergehende Inquisition der geistlichen Richter gerichtet oder gebracht werden.“
Wie wilde Thiere sollten sie getödtet werden, sobald man sie gefangen, ohne Richterspruch, ohne gerichtliche Untersuchung!
Und dieser Reichstagsabschied blieb nicht, wie so viele andere, auf dem Papier. Eher thaten die einzelnen Stände bei der Ausführung noch etwas hinzu.
„Etliche hat man,“ schreibt ein Chronist der Wiedertäufer, „zerreckt und zerstreckt, Etliche zu Asche und Pulver verbrannt, Etliche an Säulen gebraten, Etliche mit glühenden Zangen zerrissen, Einige in Häuser versperrt und Alles miteinander verbrannt, Andere an die Bäume gehenkt, Etliche mit dem Schwert hingerichtet, Etliche ins Wasser gestoßen. Vielen wurden Knebel ins Maul gelegt, daß sie nicht sollten reden, und sind also zum Tode geführt worden.
„Wie die Schafe und Lämmer führte man sie in Haufen zur Schlacht und Metzg. Die biblischen Bücher hat man an etlichen Orten aufs höchste verboten, an manchen Orten verbrannt. Andere sind in finstern Thürmen verhungert oder verfault; gar viele sind, ehe man sie tödtete, mit allerlei Plag gepeinigt, Etliche, die man zu jung geachtet zum Richten, mit Ruthen geschwungen worden. Auch sind viele zu Jahren in Thürmen und Gefängnissen gelegen. [35] Vielen wurden Löcher durch die Backen gebrannt und sie hierauf entlassen. Die Uebrigen, die dem Allen entronnen sind, hat man verjagt von einem Land zum andern, von einem Ort zum andern. Gleichwie die Eulen und Nachtraben, die des Tags nicht wandeln dürfen, mußten sie sich oftmals in Felsen und Steinklüften, in wilden Wäldern, in Gruben und Löchern der Erde aufhalten und verkriechen. Man suchte sie mit Hunden und Schergen, man stellte ihnen nach wie den Vögeln in den Lüften – und das ohne alle Schuld, ohne alle Uebelthat, Leuten, die Niemandem Leid oder Schaden thaten noch zu thun begehrten.“ [36]
Diese Klage ist nur die prosaische Wiedergabe eines Liedes aus jener Zeit, das Leonhard Schiemer dichtete, ein Franziskaner, der, nachdem er im Kloster nicht gefunden, was er gesucht, sich den Wiedertäufern zugesellte, und, trotzdem er ein studirter Mann war, das Schneiderhandwerk erlernte. Er gehörte der strengeren Richtung der Täufer an. Im November 1527 fiel er in Rattenburg (in Tyrol) in die Hände der Behörden, am 14. Januar 1528 wurde er enthauptet. Er hat mit seinem Leben die Wahrheit seines Liedes bezeugt, in dem er sang:
Dein heilig’ Statt hant sie zerstört, |
Viel sind auch in den Banden eng Noch tobt die Welt und ruhet nicht, |
Wie heftig die erste große Verfolgung wüthete, kann man daraus ersehen, daß fast alle hervorragenden Täufer in derselben zu Grunde gingen, soweit sie nicht durch einen natürlichen Tod dem Henker entzogen wurden, wie der kränkliche Conrad Grebel, der im Sommer 1526 in Graubünden starb [37], und Denck, der zu Ende des Jahres 1527 zu Basel von der Pest hinweggerafft wurde.
Der erste Märtyrer der Täufer war, wie schon erwähnt, Felix Manz. Ihm folgte am 21. Mai 1527 der gelehrte Michael Sattler, aus Staufen im Breisgau, ein gewesener Mönch, welcher sich 1524 den Brüdern angeschlossen hatte. Zu Rothenburg ani Neckar wurde er gefangen genommen, „mit glühenden Zangen gerissen und danach verbrennt, standhaftig in Gott.“ Hans Hut ging in demselben Janre in Augsburg bei einem Fluchtversuch zu Grunde, den er aus dem dortigen Kerker unternahm. 1528 erlitten Brödli und Hubmeier den Märtyrertod, 1529 wurde Langenmantel gerichtet, wie wir gesehen, Blaurock ward zu Klausen in Tyrol verbrannt, Hätzer zu Konstanz enthauptet. Rinck gerieth in die Gewalt des Landgrafen Philipp von Hessen, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte, friedliche Leute ihres Glaubens willen zu tödten, zum großen Aerger Luther’s, der ihm mit dem sanften Melanchthon vergeblich zuredete, den Reichstagsabschied von 1529 schonungslos zu vollstrecken. Indessen gewannen die Unglücklichen, die in des Hessen Hände geriethen, nicht viel. Der milde Fürst verurtheilte sie zu lebenslänglicher Gefangenschaft.
Alle zum Tod Geführten starben standhaft und muthig, selbst Hubmeier, dieser allerdings nicht, ohne vorher eine bedenkliche Schwäche an den Tag gelegt zu haben. Im Sommer 1527 war er in Nikolsburg in Mähren ergriffen und nach Wien geschleppt worden auf Befehl Ferdinand’s, des Bruders des Kaisers Karl. Seit 1521 war Ferdinand Besitzer der Habsburgischen Hausmacht in Deutschland, seit 1526 König von Ungarn und Böhmen. Wie 1525 in Zürich, so suchte Hubmeier auch jetzt sich zu retten durch Widerrufung seiner Irrthümer; selbst in Bezug auf die Taufe und das Abendmahl erklärte er, sich einem Konzil unterwerfen zu wollen. Gleichzeitug bot er dem Ketzerverfolger Ferdinand seine guten Dienste an. In einer Eingabe an den König, seiner „Rechenschaft,“ vom 3. Januar 1528, pries er Ferdinand’s allbekannte Milde und bat,
„Eure Majestät wolle mir gefangenem und betrübtem Menschen, der da liegt in großer Krankheit, in Kälte und Trübsal, verzeihen und Gnade und Barmherzigkeit mittheilen; denn mit Gottes Hilfe will ich mich dermaßen führen, schicken und halten, daß Eure königliche Majestät ein Gefallen daran haben soll. Das Volk will ich mit großem Ernst und hohem Fleiß zu Andacht, Gottesfurcht und Gehorsam weisen, wohin ich immer gebracht würde.“ [38]
Aber alles Bitten und alle Versprechungen waren vergebens. Hubmeier war als Führer der Waldshuter Opposition ein Rebell gegen das Habsburgische Regiment gewesen, und dieses Verbrechen haben die Habsburger nie verziehen.
Als Hubmeier sah, daß sein Schicksal besiegelt sei, ermannte er sich, gestärkt durch sein tapferes Weib Elsbeth, eine Bürgerstochter aus der Reichenau am Bodensee, die er 1524 in Waldshut geheirathet hatte. Sie redete ihm Muth zu, und so starb er denn auch standhaft auf dem Scheiterhaufen (zu Wien, 10. März 1528). Drei Tage später wurde sein braves Weib in der Donau ertränkt.
Eine Schwäche, wie sie Hubmeier an den Tag legte, fand sich nur selten unter den Täufern. Allgemein staunte man über ihre Standhaftigkeit und die Freudigkeit, mit der sie in den Tod gingen. Wie die christlichen Schriftsteller auf das heldenmüthige Sterben der Märtyrer des Urchristenthums hinweisen, als Beweis für die Heiligkeit und Erhabenheit ihrer Sache, so wiesen auch die Täufer auf ihre Märtyrer hin.
Und wie um die Märtyrer der Urchristen, bildete sich auch um die der Täufer ein Legendenkranz, voll von Wundern. Nur eines derselben, das bezeichnend ist, sei hier mitgetheilt. Ein mährisches Chronikl berichtet aus dem Jahre 1527, Leonhard Kaiser, „der erstlich ein Pfaff war,“ sei in Schärding zum Feuertod verurtheilt worden. Als er auf einem Karren zur Richtstatt geführt wurde, „da griff er auf dem Weg mit der Hand herab vom Karren und brach ein Blümlein ab, nahm’s und sprach zum Richter, der neben ihul ritt: Da brech ich ein Blümlein ab; wofern das und ich verbrennen, so sei auch das ein Zeichen, daß mit mir recht ist gehandelt worden. Wo aber ich und das Blümlein nicht verbrennen, sondern das Blümlein in meiner Hand unerbrannt bleibt, so gedenkt, was ihr gehandelt habt! – Darnach hat man viele Klafter Holz mit ihm verbrannt, aber er ist nicht verbrannt. Demnach hat man noch einmal so viel Holz genommen, aber man konnte ihn nicht verbrennen, blos sein Haar verbrannte und die Nägel an den Fingern wurden etwas braun. Das Blümlein hatte er noch so frisch in der Hand, als er es abbrach. und da man seinen Leib wischte, ging Ruß herab, und er war darunter noch schön weiß.“ Man wußte sich nicht anders zu helfen, als den feuerfesten Heiligen zu ersticken und die Leiche in den Inn zu werfen. [39]
Ergreifender als diese Phantasiestückchen sind die beglaubigten Berichte über Hinrichtungen von Täufern, wie z. B. jener über die eines sechzehnjährigen Mädchens in Salzburg. Sie konnte auf keine Weise zum Widerruf gebracht werden, doch bat Jedermann um ihr Leben, „denn alle fühlten, daß sie rein und unschuldig war wie ein Kind. Der Nachrichter nahm sie auf den Arm, trug sie an die Roßtränke, tauchte sie unter das Wasser, bis sie ertrnnken war, dann zog er den entseelten Leib wieder hervor und übergab ihn dem Feuer.“ [40]
Aber aller Heroismus selbst der Zartesten und Wehrlosesten gegenüber den ausgesuchtesten Bestialitäten rührte nicht die Landesväter und ihre geistlichen und weltlichen Bedienten. Was bei den Märtyrern der ersten Christen göttlich war, war bei den Wiedertäufern ein Werk des Teufels.
„Woher,“ fragt Faber von Heilbronn, „entspringt es, daß die Wiedertäufer also fröhlich und getrost die Pein des Todes leiden? Sie tanzen und springen in das Feuer, sehen das blitzende Schwert mit unerschrockenem Herzen, reden und predigen dem Volk mit lachendem Mund, sie singen Psalmen und andere Lieder, bis ihnen die Seele ausgeht, sterben mit Freuden, als wären sie bei einer fröhlichen Gesellschaft, bleiben stark, getrost und standhaft bis in den Tod.“
Alles das ist – ein Werk des höllischen Drachens.
Auch Luther nannte die Standhaftigkeit der Wiedertäufer höllische Verstocktheit, ein Werk des Satans.
„Heilige Märtyrer,“ sagte er, „wie unser Leonhard Kaiser, sterben mit Demuth und großer Sanftmuth gegen ihre Feinde; diese (die Wiedertäufer) aber gehen in den Tod, indem sie sich durch den Zorn gegen ihre Feinde in ihrer Hartnäckigkeit bestärken.“ [41]
Dem biederen Gottesmann ist da in seiner blinden Wuth gegen die Wiedertäufer ein Malheur passirt. Der „heilige Märtyrer,“ den er ihnen als Muster vorhielt, war nicht, wie er sich einbildete, ein Lutheraner, sondern der Vorsteher der täuferischen Gemeinde zu Schärding gewesen, derselbe, der sich, wie wir oben gesehen, der Legende zufolge, im Feuer nicht wie Fleisch und Knochen, sondern wie echter Meerschaum verhielt.
Alle Standhaftigkeit und aller Heldenmuth hatten nur ein Ergebniß: Die Zahl der Blutzeugen der Wiedertaufe ins ungeheuere zu vermehren. Bereits um 1630 zählte man ihrer (nach Sebastian Franck) an 2.000.
Man sagt gern: Ideen können nicht mit Gewalt unterdrückt werden. Für diesen Ausspruch giebt es zahlreiche Belege und er klingt sehr tröstlich für alle Verfolgten. Aber so unbedingt, wie er hingestellt wird, ist er nicht richtig. Freilich, eine Idee selbst kann man mit Gewalt nicht tödten; aber eine Idee ist auch für sich allein nur ein Schatten ohne Krach und ohne Wirkung. Welche Kraft ein gesellschaftliches Ideal erlangt – und nur um diese Art von Ideen handelt es sich hier –, das hängt von den Individuen ab, die es erfassen, von ihrer Kraft in der Gesellschaft. Ist es möglich, eine Klasse niederzuschlagen, die ein bestimmtes Ideal hegt, dann schlägt man damit auch dieses nieder.
Das 16. Jahrhundert gehörte dem staatlichen Absolutismus. Auch in den wenigen freien Städten wurde die Macht der Staatsgewalt über die unteren Klassen immer mehr eine Unbeschränkte. [42] War der Absolutismus mit der ritterlichen und bäuerlich-kleinbürgerlichen Opposition fertig geworden, so erdrückte er spielend leicht die kommunistischen Regungen einiger Proletarier und machtlosen bürgerlichen Ideologen. Ebenso schnell, wie er gekommen war, verschwand der Anabaptismus in Süddeutschland; die Katastrophe von Münster (1535), auf die wir in einem anderen Zusammenhang zurückkommen, führte zu seiner Hinausfegung aus ganz Deutschland, bis auf wenige kraftlose Reste einiger Geheimbünde, die hie und da noch einige Zeit ein trauriges Dasein fristeten.
Die blutige Verfolgung war eine der Ursachen, und zwar die wichtigste, des raschen Verschwindens der Täufer in Deutschland; aber nicht wenig trug dann auch der Umstand bei, daß gerade um die Zeit, als die Verfolgung begann, die Tä1lfer außerhalb Deutschland eine Freistatt fanden, wohin sie nun zahlreich strömten. Diese Freistatt, das Amerika des 16. Jahrhunderts, war Mähren.
Mähren bot für die Entwickelung des Täuferthums sehr günstige Bedingungen. Mit Böhmen unter den gleichen Herrschern stehend, hatte die Markgrafschaft dessen Geschicke während und nach den Hussitenkriegen getheilt. Die Kämpfe, die im ersten Jahrzehnt der Reformation Deutschland zerrissen, waren in den Ländern der böhmischen Krone langst ausgekämpft worden. Sie hatten mit einem Kompromiß zwischen dem alten und dem neuen Glauben geendet, der zu der Gewohnheit religiöser Toleranz führte. Und neben Katholiken und Utraquisten war die Sekte der böhmischen Brüder entstanden, ohne die geringste Gefährdung von Staat und Gesellschaft und zum größten ökonomischen Nutzen der Herren, in deren Gebieten sie wohnten.
Um geduldet zu werden, brauchte eine neue Sekte in Böhmen und Mähren nicht den Schutz der Staatsgewalt zu gewinnen. Der Landesfürst war dort seit den Hussitenkrieges machtlos. Der hohe Adel erfreute sich fast völliger Unabhängigkeit. Hatte eine Sekte die Gunst eines der Barone gewonnen, dann durfte sie ruhig auf seinem Gebiete sich ansiedeln, mochte der Landesfürst darüber denken wie er wollte. Das änderte sich nicht, als Böhmen und Mähren 1526 den katholischen Habsburgern zufielen.
Trotz dieser günstigen Verhältnisse haben die Wiedertäufer nie festen Fuß in Böhmen gefaßt. Das erklärt sich wohl durch die nationalen Verhältnisse. Die Wiedertäufer waren deutsche Emigranten. Im 16. Jahrhundert war aber der im vorhergehenden Jahrhundert so hoch gediehene nationale Gegensatz in Böhmen noch sehr stark. Die Deutschen konnten sich da in der tschechischen Bevölkerung nicht recht wohl fühlen. In Mähren dagegen waren die nationalen Gegensätze nie so schroff gewesen und Deutsche konnten dort leichter eine Heimath finden.
Schon im Herbst 1526 zog Hubmeier von Augsburg nach Mähren „mit einer Menge Volkes,“ und fand gastfreie Aufnahme in Nikolsburg, im Gebiete des Herrn Leonhard von Lichtenstein, der selbst die Taufe empfing. Eine Gemeinde wurde dort organisirt und – das ist bezeichnend – auch sofort eine Druckerei eingerichtet, die Hubmeier’s Schriften druckte. Drucker war Simprecht Sorg, genannt Froschauer, aus Zürich.
Der Ruf des neuen „Emaus“ verbreitete sich bald allenthalben unter den Brüdern und gar mancher entzog sich der Verfolgung durch den Auszug in das gelobte Land. Die Freiheit und das Gedeihen förderten aber die schon vorhandene Spaltung. Die Gegensätze zwischen der strengeren und der milderen Richtung, die bereits in Deutschland aufgetaucht, aber durch die Verfolgung in den Hintergrund gedrängt worden waren, kamen in Mähren zur vollen Entfaltung. Die Führer der beiden Richtungen waren Hubmeier und Hut, der bald nach diesem in Mähren eintraf.
Der drohende Türkenkrieg machte den Zwiespalt akut. Eine Kriegssteuer wurde zu der Bekämpfung der ungläubigen ausgeschrieben. Sollten die Täufer sie zahlen? Sie verwarfen den Krieg; und die Macht der Kaiserlichen gegenüber den Türken zu stärken, paßte schon garnicht in die Pläne Hut’s, der von diesen eine günstige Wendung zu Gunsten der Täufer erwartete. Eine Reihe von Disputationen fanden darüber in und bei Nikolsburg statt.
„Nachdem ein Geschrei ausging,“ berichten die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, „im 1527. Jahr, daß der Türk wolle vor Wien in Oesterreich ziehn, versammelten sich die Brüder und Aeltesten der Gemeinde zu Pergen (bei Nikolsburg) im Pfarrhof ... ein Gespräch zu halten von den obgemeldeten Artikeln, haben aber nicht einhellig können miteinander stimmen.“
Und an anderem Ort:
„Hans Hut und andere kamen alle zusammen zu Nikolsburg im Schloß (des Lichtenstein), ein Gespräch zu halten von wegen des Schwerts, ob man das brauchen soll oder tragen oder nicht; auch ob man Steuer zum Krieg geben soll und anderer Verordnung halber, darin sie aber nicht übereinkommen konnten. Sind also unvereinigt voneinander geschieden. Weil aber Hans Hut nicht mii dem Herrn Leonhard von Lichtenstein für das Schwert hat stimmen können oder wollen, ist er wider seinen Willen im Schloß auf Nikolsburg behalten worden. Einer aber, der dem Hut wohlwollte und für ihn Sorge trug, hat ihn bei Nacht in einem Hasengarn durch ein Fenster die Mauer herabgelassen. Des andern Tags hat sich ein groß Gemurmel und Beschweren im Volk der Stadt wider den Herrn Leonhard und seinen Anhang erhoben, weil sie Hut mit Gewalt im Schloß behalten haben. Dadurch ist der Balthasar Hubmeier bewogen worden, öffentlich im Spital mit seinen Gehülfen davon zu reden, weil sie vormals nicht miteinander haben stimmen können des Schwerts und der Steuer halber.“ [43]
Es scheint also damals bei den friedfertigen Brüdern ziemlich heiß hergegangen zu sein.
Haus Hut blieb nicht in Mähren. Im Herbst 1527 finden wir ihn wieder in Augsburg, wo er ergriffen wurde und, wie schon berichtet, seinen Tod fand.
Hubmeier aber setzte seinen Feldzug gegen die strengere Richtung fort. Seine Schrift Vom Schwert ist ausschließlich der Polemik gegen die Brüder gewidmet. [44] Einige charakteristische Stellen seien daraus (nach dem Loserth’schen Auszug) wiedergegeben. Zunächst weist Hubmeier die Brüder darauf hin, daß sie mit den Verhältnissen rechnen müßten, in der wirklichen, nicht in einer erträumten Welt leben sollten. Er beginnt mit dem Wort Christi: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
„Aus dieser Stelle schließen etliche Brüder, daß ein Christ das Schwert nicht führen darf. Würden solche Leute die Augen ordentlich aufthun, sie würden anders reden, nämlich, daß unser Reich von dieser Welt nicht sein sollte. Aber leider, Gott sei’s geklagt, ist’s von dieser Welt ... wir sind im Reich der Welt, der Sünde, des Todes und der Hölle. Aber Vater, hilf du ins aus dem Reich, wir stecken drin bis über die Ohren und können seiner nicht ledig werden.“
In gleicher Weise behandelt Hubmeier noch fünfzehn Stellen aus der Bibel, welche die strengere Richtung für sich anführt. Natürlich ist es ihm leicht, im Neuen Testament Stellen zu finden, welche die Nothwendigkeit der Obrigkeit darthun. Ist aber die Obrigkeit nothwendig, so muß ihr ein guter Christ auch beistehen.
„Wenn man die Obrigkeit die Bösen strafen will, wie sie bei dem Heile ihrer Seele zu thun schuldig ist, und allein nicht im Stande ist, die Bösen zu bewältigen und infolgedessen die Unterthanen durch Glocken, Büchsensturm, Kreuzschüsse, Briefe und Aufgebote auffordert, so sind die Unterthanen gleichfalls bei ihrem Seelenheile schuldig, der Obrigkeit beizustehen und zu helfen, damit sie die Bösen nach dem Willen Gottes abthun und ausrotten kann.“
Allerdings soll der Gehorsam kein blinder sein. „Wenn aber eine Obrigkeit kindisch oder thöricht wäre, ja etwa garnicht geschickt zu regieren, kann man ihr dann mit Fug abkommen und eine andere nehmen, so ist es gut ... [45] so es aber füglich und mit Frieden, auch ohne großen Schaden und Empörung nicht geschehen kann, so dulde man sie.“
Vertheidigt er aber die Kriegssteuer und die Unterstützung der Obrigkeit durch die Unterthanen, so auch das Recht der Christen, selbst Obrigkeiten zu werden und das Schwert zu führen.
Gleichzeitig veröffentlichte Hubmeier Streitschriften gegen Zwingli und dessen Leute. Eine derselben zeigt, daß auch sein Kommunismus ein sehr milder war. In seinem Gespräch auf Meister Ulrich Zwingli’s Taufbüchlein von der Kindertaufe [46] erwidert er auf den Vorwurf der „Gemeinschaft,“ des Kommunismus:
„Ich habe immer und allerweg von der Gemeinschaft der Güter also geredet, daß ein Mensch mit dem andern Mitleid haben, die Hungrigen speisen, die Durstigen tränken, die Nackten bekleiden soll, denn wir sind ja nicht Herrn unserer Güter, sondern nur Schaffner oder Austheiler. Es ist gewißlich keiner, der da sagt, daß man dem andern das Seine nehmen soll und es gemein machen, sondern eher den Rock zum Mantel lassen.“
Nicht sehr erbaulich ist es, daß Hubmeier, als er verhaftet worden, in seiner bereits erwähnten Rechenschaft sich der Gnade des Königs Ferdinand unter anderem dadurch zu empfehlen suchte, daß er seinen scharfen Gegensatz gegen Hans Hut hervorhob. Er schreibt da „vom jüngsten Tag,“ der in der Sprache jener Zeit nichts Anderes bedeutete als die Revolution:
„Wiewohl uns Christus viele Zeichen gegeben hat, um zu erkennen, wie nahe der Tag seiner Ankunft uns vor der Thür steht, so weiß doch diesen Tag Niemand wie Gott allein. Ich bin auch deshalb fast hart wider Johannes Hut und seine Anhänger gewesen, weil diese eine bestimmte Zeit des jüngsten Tages, nämlich die nächsten Pfingsten, angenommen, dem Volke gepredigt und dieses hiedurch bewogen haben, Haus und Gut zu verkaufen, Weib und Kind zu verlassen, und die Einfältigen bewogen haben, ihre Arbeit zu verlassen und ihm nachzulaufen. Ein Irrsal, welches aus dem großen Unverstand der Schrift entsprungen ist.“
Aus den vierthalb Jahren bei Daniel habe Hut vier gemeine Jahre gemacht, was ein großer Fehler sei. Nach Hubmeier’s Berechnungen sei ein Tag des Danielschen Jahres einem gemeinen Jahr gleich, daher machen diese vierthalb Jahre 1277 Jahre aus, die an der Rechnung Hut’s fehlen. „Was ich ihm öffentlich und ernstlich unter die Nasen gestoßen und ihm sträflich verwiesen, daß er das arme Volk also aufrede und verführe, wie ich mit den Schlußreden bezeugen kann, die ich wider ihn gehalten.“ Ein Revolutionär, der die Revolution erst nach 1,277 Jahren erwartete, war allerdings höchst ungefährlich.
Auch an einer anderen Stelle der Rechenschaft zieht Hubmeier gegen Hut los:
„Mit der Taufe und dem Sakrameut (des Abendmahls) wie die beiden Artikel Johann Hut mit seinen Anhängern gelehrt, bin ich fast übel daran, will auch mit Lehren und Schreiben darwider sein, so weit mir Gott mein Leben lang Kraft giebt ... Die Taufe, die ich gelehrt, und die Taufe Hut’s sind so fern voneinander als Himmel und Hölle. Auch mit dem Nachtmahl hoffe ich zu Gott, werde ich seine Bürde nicht tragen.“
Nach dem Tode der beiden großen Gegner verstummte der Streit zwischen den beiden Richtungen keineswegs, wenn er auch zeitweilig zurücktrat, als die Verfolgung der Täufer (vorübergehend) bis nach Mähren sich erstreckte und gleichzeitig der Türkeneinfall die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Aus Deutschland zogen damals viele Brüder nach Mähren. Ein „Volk“ ließ sich zu Rossitz nieder, unter Gabriel Ascherham, nach dem es die Gabrieler hieß. Als es dort zu eng wurde, zog ein Theil, meist Pfälzer, unter der Führung Philipp Plener’s – daher die Philipper genannt – nach Auspitz. Beide „Völker“ gehörten zur milderen Richtung, standen im Gegensatz zum strengeren, waren aber auch untereinander zerfallen. Unter den Nikolsbungern ging der Streit zwischen den beiden Richtungen fort, von denen die strengere jetzt den Beinamen der „Gemeinschaftler“ oder „Stäbler,“ die andere den Namen der „Schwertler“ erhielt.
Auf Seite der Letzteren stand Leonhard von Lichtenstein. Als ihm der Zwist zu arg wurde, zwang er die strengen Kommunisten, 200 Erwachsene, auszuwandern (1528). Das Erste, was diese thaten, als sie der alten Gemeinde den Rücken gekehrt, war die Bekundung ihres Kommunismus.
„Zu der Zeit haben diese Männer,“ ihre Führer, „einen Mantel vor dem Volk niedergebreitet und Jedermann hat sein Vermögen dargelegt, mit willigem Gemüth, ungezwungen und ungedrungen, zur Unterhaltung der Dürftigen, nach der Lehre der Propheten und Apostel.“ [47]
Sie zogen nach Austerlitz, das auf dem Gebiete der Herren von Kannitz lag, die sie gern aufnahmen. Schon 1511 hatten sich dort „Picarden“ niedergelassen. Bald folgten den Einwandernden zahlreiche Genossen, Austerlitz wurde der Hauptort der Täufer in Mähren.
Aber auch unter den Austerlitzern sollte es zu Streitigkeiten kommen. En anschauliches Bild derselben giebt uns der Brief, den der uns schon bekannte Wilhelm Reublin von Auspitz aus an seinen Freund, den oben erwähnten Tyroler Bergrichter Pilgram Marbeck, am 26. Januar 1531 schrieb, in dem er darstellt, wie und warum er mit seinen Anhängern aus Austerlitz vertrieben worden (am 8. Januar 1531). Unter Anderem wirft er den zurückbleibenden vor, daß sie
„die Gemeinschaft der zeitlichen und leiblichen Güter falsch und mit Trug gehandelt … Sie haben das Ansehn gehalten, den Reichen eigene Häuslein vergönnt, so daß der Franz und sein Weib ein Leben führen wie die Edlen. Beim Essen haben die gemeinen Brüder mit Erbsen und Kraut vorlieb genommen, aber die Aeltesten und ihre Weiber bekamen Braten, Fisch, Vögel und guten Wein; manche ihrer Weiber habe ich nie an den gemeinen Tischen gesehn. Ein Anderer durfte nicht Schuh noch Hemd haben, aber sie selbst hatten gute Hosen, Röcke und Pelze im Ueberfluß.“ [48]
Reublin und seine Anhänger zogen nach Auspitz und bildeten dort eine eigene Gemeinde, aber bald wurde auch Reublin an „lügenhafter, untreuer, tückischer Ananias“ erfunden und ausgeschlossen. Er hatte 40 Gulden, die er aus Deutschland mitgebracht, für sich behalten, statt sie der Gemeinde abzuliefern.
Um 1531 war wohl der Höhepunkt der Verwirrung im täuferischen Lager in Mähren. Franck, der damals seine Chronik herausgab, kennzeichnete den Zustand der mährischen „Brüder“ sehr richtig an der bereits zitirten Stelle (S. 324), wo er darauf hinweist, es sei des Bannens in ihren Gemeinden gar viel, und wo er seinen Zweifel darüber ausdrückt, ob in Austerlitz „recht ausgetheilt“ werde.
„Von einer fleischlichen Freiheit in die andere,“ berichten die Geschichtsbücher der mährischen Wiedertäufer von jener Zeit, sind die Brüder gewachsen, „damit der Welt ganz gleich worden, daß sie Niemand mehr von den Weltmenschen konnte unterscheiden noch kennen.“ [49]
Aber was als ein Auflösungsprozeß erschien, war in Wirklichkeit blos ein Gährungsprozeß, der ein geklärtes und dauerhaftes Produkt lieferte.
Das Ergebniß aller dieser Kämpfe war eine kommunistische Organisation, die sie fast ein Jahrhundert lang bewährte und die nur der Gewalt erlag. Das Hauptverdienst der definitiven Organisirung der Täufer fällt den Tyroler Emigranten zu, die seit 1529 zu Hunderten nach Mähren zogen und der dortigen Bewegung ihren Stempel aufdrückten. Unter ihren Führern ragte besonders hervor der Hutmacher Jakob, nach seinem Gewerbe Huter’s an der Neuorganisation betheiligt, inwieweit er blos Vollstrecker des Willen der Masse war, die hinter ihm stand und ihm ihre Kräfte lieh, ist heute schwer festzustellen.
Im Herbst 1529 kamen Jakob Huter und Sigmund Schützinger mit mehreren Genossen aus Tyrol nach Austerlitz und schlossen sich der dortigen Gemeinde an. Sie erkannten, daß in Mähren gut wohnen sei. Jakob kehrte nach Tyrol zurück, um „ein Völklein nach dem andern“ nach Mähren zu senden. Diese Neuankömmlinge brachten Enthusiasmus, Opfermuth und Disziplin mit sich und bildeten den Kern der kommunistischen Gemeinden, der bald auch die anderen Elemente derselben zu friedlichem und stetigem Zusammenleben drängte.
Im August 1533 kam Huter selbst wieder mit zahlreichen Anhängern, denn in Tyrol „hatte die Tyrannei einen so hohen Grad erreicht,“ wie die Brüder erklärten, die im Juli d. J. im Gusidauner Bezirk (Tyrol) zu einem Kongreß zusammengetreten waren, „daß für die Heiligen keines Bleibens mehr war.“ Und nun begann die eigentliche Reorganisationsarbeit. Sie muß höchst energisch und zielbewußt betrieben worden sein, denn die endgültigen Grundzüge der täuferischen Gemeinschaft standen bereits fest, als die Erhebung der Täufer zu Münster (1534), die allenthalben zu der schärfsten Verfolgung der Anabaptisten anspornte, vorübergehend auch einen Theil der mährischen Adeligen erschreckte, so daß sie den Täufern ihren Schutz entzogen. Die erste große Verfolgung derselben in Mähren begann. Die Täufergemeinden mußten sich auflösen, ihre Mitglieder wurden ausgewiesen. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, wie zahlreich sie damals waren. Man schätzte die Zahl der mährischen Täufer auf 3–4.000.
Auch Huter mußte flüchten. Der Protest gegen die Verfolgung der Brüder, den er am 1. Juni 1535 an den Landeshauptmann von Mähren schickte, zeugt von ausnehmender Kühnheit des Mannes.
„Ach und Wehe!“ ruft er unter Anderem, „und abermals Wehe in Ewigkeit euch mährischen Herrn, daß ihr dem grausamen Tyrannen und Feind der göttlichen Wahrheit, Ferdinand, habt zugesagt und bewilligt, die Frommen und Gottesfürchtigen zu vertreiben aus euren Landen, und fürchtet den sterblichen unnützen Menschen mehr, denn den allmächtigen Gott und Herrn.“ [50]
Der Protest hatte nur eine Wirkung: die Nachstellung nach Huter zu verschärfen.
„Und die Obrigkeit hat dem Bruder Jakob ernstlich nachgestellt und sich oft hören lassen, wenn sie nur den Jakob Huter hätten, als wollten sie damit ragen, es würde danach Alles in das alte Stillschweigen kommen.“ [51]
Huter ging nach Tyrol zurück, war aber dort nicht sicherer als in Mähren. Am letzten November 1535 wurde er in Klausen gefangen genommen. Von seiner Behandlung erzählen die Brüder:
„Ließen ihn in eiskaltes Wasser setzen und nachdem in eine heiße Studen führen und mit Ruthen schlagen. Auch haben’s ihm seinen Leib verwundet, Branntwein in die Wunden gossen und an ihm angezündt und brennen lassen u. s. w.“
Er wurde verbrannt, am frühen Morgen des 3. März 1536, in aller Stille, denn man fürchtete das Volk.
Der Führer war gefallen, aber die Gemeinde besaß innere Kraft genug, diesen Schlag und noch andere zu überwinden. Schon 1536 konnten sich die Täufer in Mähren wieder sammeln. Die Herren, auf deren Gütern sie gesessen waren, hatten während der Verfolgung die ökonomische Bedeutung dieser fleißigen und geschickten Arbeiter erkannt. Sie beriefen sie zurück, aus allen Schlupfwinkeln kamen sie hervor, und bald waren nicht nur die alten Schäden ausgebessert, sondern man konnte sogar an die Gründung neuer Gemeinden gehen.
Die Verfolgung schädigte die Täufer nicht nur nicht, sie scheint sie im Gegentheil gekräftigt zu haben, indem sie alle zweifelhaften Elemente voll ihnen abriß. Die Einigkeit war seit 1536 viel größer als vordem, und sie machte von da an rasche Fortschritte. Alle anderen Abzweigungen wurden schließlich von der Huterischen Richtung aufgesogen.
Die Grundlage der nunmehrigen Organisation der mährischen Täufer war der strengste Kommunismus. Es galt als Sünde, selbst geringfügige Dinge als Eigenthum zu besitzen.
„Hans Schmidt, zum Tode verurtheilt, schickt seiner Magdalena seinen Ohrlöffel zum Andenken, in der Voraussetzung, daß die Brüder nichts dawider haben. Derselbe Hans Schmidt stirbt für die Lehre von der Gemeinschaft. Sie ist ihm der höchste Schatz, das Schönste auf Erden, dessen beraubt zu sein das größte Unglück ist ...
„Wer sich den Taufgesinnten anschloß, hatte sich seines ganzen Besitzes zu entäußern und ihn den verordneten Vorstehern zu übergeben. Der Gemeinde wandten sie nun allerdings vornehmlich arme Leute zu, Arbeiter, Handwerker, aber wir erfahren aus den Tyroler Akten, daß, ganz abgesehen von vereinzelten adeligen Personen, sich auch recht wohlhabende Bauern der neuen Lehre zuwandten.“ [52]
Was man der Gemeinde gab, gehörte ihr, war nicht etwa nur eine Aktieneinlage. Selbst wenn ein Mitglied wieder austrat oder ausgeschlossen wurde, erhielt es das Eingebrachte nicht zurück.
Auch in Beziehung auf Staat und Krieg blieb der strengere Standpunkt Sieger. In allen billigen Sachen sollte man sich der Obrigkeit fügen, aber Gott mehr gehorchen als den Menschen, d. h. die Täufer behielten sich selbst die Entscheidung darüber vor, in welchen Sachen sie gehorchen wollten. Die Theilnahme an der Staatsgewalt blieb ebenso verpönt, wie die Kriegführung oder auch nur das Zahlen einer Kriegssteuer.
„Wo man Etwas, das von Gott nicht verordnet, bei uns suchen wollte, als Steuer in Krieg oder Henkergeld oder andere Sachen, die einem Christen nicht Gebühren und in der Schrift keinen Grund haben, die mögen wir keineswegs bewilligen,“ erklärten die Täufer 1645 in einer Denkschrift an den mährischen Landtag.
Bei den Täufern war also die Entwickelung eine andere als bei den böhmischen Brüdern. Bei diesen ging aus dem Kampf der beiden Richtungen die gemäßigte, bei jenen die strengere siegreich hervor.
Wir suchen den Grund davon in der Verschiedenheit der Verhältnisse, unter denen jede der beiden Sekten sich konsolidirte.
Die böhmische Brüderunität wirkte innerhalb ihrer Nation. Sobald ihr Gemeinwesen anfing, zu gedeihen und sich auszubreiten, erstand in den Augen der Brüder die Möglichkeit und der Wunsch, die ganze Nation für sich zu gewinnen. Jeder Versuch einer praktischen Thätigkeit in dieser Richtung mußte aber innerhalb der damals aufstrebenden Waarenproduktion mit ihren Begleiterscheinungen zu einer Schwächung der kommunistischen Neigungen und der Abstinenzpolitik führen.
Die Täufer in Mähren waren und blieben Deutsche inmitten einer tschechischen Bevölkerung. Sie fühlten sich als Fremde innerhalb derselben, und es kostete sie keine Ueberwindung, eine kleine Sekte zu bleiben, das Völkchen der „Auserwählten“ und „Heiligen“ inmitten der „Heiden.“ Sie gewannen nur wenige Berührungspunkte mit ihrer Umgebung und fühlten sich durch diese nicht angezogen, sondern vielmehr zusammengedrängt und aufeinander angewiesen.
Es ist eine bekannte Erscheinung, daß, selbst ohne kommunistische Organisation, Menschen gleichen Stammes oder gleicher Sprache inmitten einer fremden Bevölkerung sich solidarischer fühlen als in ihrer Heimath.
Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Bei den böhmischen Brüdern geht das Vordringen der gemäßigten Richtung Hand in Hand mit dem Eindringen der „Intelligenz,“ der Gelehrten, Eines das Andere bedingend. Die Gelehrten innerhalb der Unität bildeten die entschiedensten Vertreter der gemäßigten Richtung, sei es, weil ihr Blick ein weiterer war, sei es, weil sie die Abschließung der Sekte von der Gesellschaft am härtesten empfanden.
Auch bei den Wiedertäufern sind die Gelehrten in der Mehrzahl die Träger der milderen Anschauungen. Aber die erste große Verfolgung in Deutschland, die 1527 beginnt und bis in den Anfang der dreißiger Jahre währt, rafft sie fast Alle hinweg, und sie finden keine Nachfolger. Von Gelehrten ist seitdem nichts mehr bei den Täufern zu merken, so ziemlich alle Leute von Bedeutung unter ihnen sind von da an einfache Handwerker. Der Gelehrtenhaß, zu dem die meisten kommunistischen Sekten des Mittelalters und der Reformationszeit neigen, kann sich nun ungehindert bei ihnen entwickeln.
„Schon den Zeitgenossen,“ sagt Loserth, „ist die tiefe Mißachtung der Wiedertäufer gegen alles gelehrte Wesen, die hohen Schulen und die einzelnen Gelehrten aufgefallen. ‚Sind denn diese Wiedertäufer,‘ ruft Fischer aus [53], ‚nicht meistentheils Hauer (Winzer), Bauern, Handwerker, gar grobe fleischliche, unwissende, ungelernte Leute, vom gemeinen Pöbel zusammengerottet? Verachten sie nicht alle freien Künste, wie auch die heilige Schrift da, wo sie ihnen nicht taugt? Schlagen sie nicht alle hohen Schulen in den Wind? Vernichten sie nicht die gelehrten Leut’? Verwerfen sie nicht die Historien?‘ Es ist viel Wahres an dem, was Fischer behauptet. In zahlreichen gerichtlichen Verhören und Sendebriefen an die Gemeinde in Mähren sprachen sie ihre Verachtung gelehrten Wesens unbedenklich aus, ja selbst ihre gelehrten Richter und die zu ihrer Bekehrung abgesandten Geistlichen verschiedener Konfessionen behandeln sie aus dem Grunde ziemlich geringschätzig.“ [54]
Daß seit der ersten Verfolgung keine gebildeten Ideologen mehr sich den Täufern anschlossen, liegt wohl zum großen Theil an den Verhältnissen, welche diese Verfolgung schufen. Von 1527 an war Jeder in der bürgerlichen Gesellschaft geächtet, der sich zu den Täufern bekannte. Konnte er sich nicht dazu entschließen, Bauer mit den Bauern, Handwerker mit den Handwerkern zu werden und sich selbst an die Grenzen der zivilisirten Welt zu verbannen – die Türken drangen damals bis nach Mähren vor –, dann that er besser, seine Ueberzeugungen, auch wenn sie noch so täuferisch waren, in seinem Busen zu verschließen.
Und die Gelehrten mit täuferischen oder proletarischen Sympathien mußten seit 1525 sehr selten werden. Denn in diesem Jahr wurde mit der bürgerlichen Freiheit auch die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland erschlagen. Die Wissenschaft wurde ebenso wie die Kirche eine Magd des Staates. Die Professoren wurden fürstliche Bediente wie die Pastoren. Die Kühnheit und Selbständigkeit, welche die deutsche Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten vor 1526 entwickelt hatte, waren nun wie weggeblasen. Wo hätten da Gelehrte mit revolutionären Ansichten herkommen sollen
Neben diesen Umständen kommt noch ein Moment im Betracht, welches den Weg der strengeren Richtung unter den Täufern erklärt.
Dieselbe Verfolgung, welche die Gelehrten in der täuferischen Bewegung ausmerzte, trieb die große Masse der tyrolischen Brüder nach Mähren, unter denen so viele Bergleute waren, die durch die Schule kapitalistischer Ausbeutung gegangen waren und im Großbetrieb Disziplin und planmäßiges Zusammenwirken gelernt hatten. Daneben kamen Weber, unter denen der kommunistische Enthusiasmus stets besonders stark gewesen.
Dem Eindringen dieser Elemente schreiben wir es vornehmlich zu, daß der strenge Kommunismus in den mährischen Gemeinden die Oberhand gewann.
Dessen Grundlage war, wie die aller bisher betrachteten Arten des Kommunismus, die Gemeinsamkeit des Konsumirens, das Gemeineigenthum an den Konsumtionsmitteln. Damit war nothwendig die Aufhebung der Einzelfamilie verbunden. Zur Aufhebung der Einzelehe kam es allerdings bei den mährischen Täufern nicht. Die eine Form dieser Aufhebung, das Zölibat, war ihnen verboten durch ihren Gegensatz zur päpstlichen Kirche; es hätte sie auf eine Stufe mit den Mönchen gebracht, den Bestgehaßten unter den Vertheidigern des Papstthums, den Vorkämpfern der schlimmsten Arten damaliger Ausbeutung und Korruption. Noch mehr als das Zölibat widersparch aber der freie Geschlechtsverkehr den Anschauungen und Bedürfnissen des Kleinbürgerthums und Kleinbauernthums, in deren Ideenkreis sich auch das Proletariat jener Zeit bewegte.
Größere Freiheit der Liebe oder der Ehe war eine Forderung, die den revolutionären oberen Klassen, den Fürsten, den Kaufleuten, den humanistischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts näher lag als den Elementen, aus denen sich die Täufer rekrutirten. Bei den aufstrebenden oberen Klassen konnte man Lebensfreudigkeit finden, das Bewußtsein der eigenen Persönlichkeit, zu deren kraftvoller Entwickelung und Bethätigung alle Bedingungen gegeben waren, „Individualismus“ und Haß gegen jederlei Zwang. Die Kommunisten aus den mißhandelten und niedergetretenen unteren Klassen konnten sich in den Kämpfen ihrer Zeit nur dadurch einigermaßen behaupten, daß sie ihre Persönlichkeit aufgeben ließen in einer großen Gemeinschaft. Für diese Elemente mit ihrer düsteren Asketik war die geschlechtliche wie jede andere Lust Etwas, das überhaupt keine Beachtung verdiente, und das Geltendmachen der Individualität dabei etwas Sündhaftes, um so mehr Verwerfliches, je auffallender es ihnen bei den oberen Klassen mit Ueppigkeit und Uebermnth verbunden erschien. Die moderne individuelle Geschlechtsliebe war damals erst in ihren Anfängen, und die Vorbedingungen dazu fanden sich mehr in manchen der oberen Klassen an in den unteren.
So waren es denn in der Reformation gerade die Fürstendiener, welche auf leichtere Löslichkeit der Ehe drängten; Luther und Melanchthon haben sogar die Vielweiberei für erlaubt gehalten! Und Luther erklärte selbst das außereheliche Geschlechtsleben für verdienstlicher als die Keuschheit:
„Alle Nonnen und Mönche, die ohne Glauben sind und sich ihrer Keuschheit und ihres Ordens trösten, sind nicht werth, daß sie ein getauftes Kind wiegen oder ihm einen Brei machen sollen, wenn’s gleich ein Hurenkind wäre. Ursache: Denn ihr Orden und ihr Leben hat nicht Gottes Wort für sich; sie mögen sie auch nicht rühmen, daß Gott gefalle, was sie thun, wie ein Weib thun kann, ob’s gleich ein unehelich Kind trägt.“ [55]
Bei den Kommunisten jener Zeit herrschte dagegen mit wenigen Ausnahmen die größte Strenge in Ehesachen. Der Ehebruch war ein schweres Verbrechen und die Ehe galt ihnen als unlöslich. „Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden,“ sagten die Täufer. Im Falle eines Ehebruchs wurde nicht blos der schuldige Theil mit zeitweiliger Ausschließung bestraft, sondern auch der schuldlose Gatte bekam sein Theil. Er durfte sich nicht mehr mit dem schuldigen Theil einlassen, wenigstens so lange nicht, als dieser nicht völlig entsühnt war. Eine Verfehlung dagegen zog unnachsichtlich die Ausschließung nach sich. So heißt es zum Beispiel in den Geschichtsbüchern zum Jahr 1530 von Jörg Zaunring, dem Nachfolger Wilhelm Reublin’s in der Vorsteherschaft der Auspitzer Gemeinde:
„Als nämlich Einer, mit Namen Thomas Lindl, mit des Jörg Zaunring Weib die Ehe gebrochen hatte, so haben sie (wohl die Aeltesten) diese Zwei nur heimlich in Unfrieden gestellt, und der Jörg hat sich während der Zeit der Strafe seines Weibes ihrer entäußert und enthalten. Aber sobald sie den Zweien den Frieden und die Verzeihung ihrer Sünden verkündeten, nahm sich der Zaunring wiederum seines Weibes, wie vorhin an, und als solches offenbar ward, konnte die Gemeinde dieses Laster des Ehebruch und des Hurenwerks mit so geringer Straf nicht leiden ... Nachdem aber Linhard Schmerbacher, ein Diener der zeitlichen Nothdurst, des Jörg Zalmring Handel der Gemeinde angezeigt hat, wie er sich der Hure habe theilhaftig gemacht, da hat die Gemein einhellig erkannt: Weil Christi Glieder nicht Hurenglieder sein sollen, werden sie billig ausgeschlossen und von der Gemeinde ausgethan.“ [56]
Die Ausschließung bildete die schwerste Strafe, welche den Täufern zu Gebote stand.
Von Weibergemeinschaft war also bei ihnen keine Spur. Sie waren im Gegentheil in Ehesachen strenger als die „Heiden.“ Von der Ehe selbst blieb bei den Täufern nicht viel übrig, außer der Paarung, und da individuelle Geschlechtsliebe ihnen durch ihre düstere, freudlose Askese, die Tanz und Liebesspiel verpönte, noch ferner gerückt war als der Masse der Bevölkerung ihrer Zeit, wurden die Ehen meist von den „Aeltesten,“ den Vorstehern der Gemeinde arrangirt, ähnlich wie die Paarungen im platonischen Staat und bei den Perfektionisten von Oneida. (S. 109)
Die, abgesehen von der Paarung, wesentlichsten Funktionen der Einzelehe lösten sie auf durch gemeinsamen Haushalt und gemeinsame Kindererziehung.
Die Gemeinde zerfiel in mehrere über ganz Mähren zerstreute Haushaltungen, „Haushaben.“ Zur Zeit ihrer höchsten Blüthe zählte sie ihrer siebzig, in deren jeder 4–600 Personen und noch mehr zusammen lebten, in den größten sogar 2.000.
„Sie alle hatten nur Eine Kuchel (Küche), Ein Backhaus, Ein Bräuhaus, Eine Schul, Eine Stube für die Kindbetterinnen, Eine Stube, da alle Mütter mit ihren jungen Kindern beieinander waren, und so fortan.
„Da in einer solchen Haushaltung Ein Wirth und Haushalter war, der alles Getreide, Wein, Wolle, Hanf, Salz, Vieh und alle Nothdurft einkauft von dem Geld aller Handwerke und alles Einkommens und wiederum nach Nothdurft an alle im Haus austheilte, da holte man das Essen für die Schulkinder, Sechswöchnerinnen und für all das andere Volk in Eine Stube, das Speisezimmer. Für die Kranken sind Schwestern verordnet, die ihnen das Essen und Trinken zutragen und ihnen dienen.
„Die gar Alten setzt man besonders und reicht ihnen etwas mehr als den jungen und gesunden Leuten und alles nach der Gebühr und Vermögen.“ [57]
Ueber die Kost bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten berichtet ein Brief aus der Zeit des Verfalls der Gemeinde, wo sie, am Mähren vertrieben, in Ungarn ein mühsames Dasein fristete (1642),
„den ältesten Brüdern gen Wintz ... geschrieben, wie wirs mit Speis und Trank ob unserem Tisch halten: Fleisch haben wir alle Tage übers Nachtessen, Morgens die Woche ein, zwei, drei oder viermal, nach Gelegenheit der Zeit. Bei den anderen Mahlzeiten nehmen wir mit Gemüse vorlieb.
„Alle Tag über Essen zweimal ein geschmeidiges Trinkl Wein, sonst weder Mittag, Marend (Vesper) oder Abends nichts, ausgenommen, wenn wir Abends zum Gebet gehn, nehmen wir ein Trinkl an, zuweilen hat man auch Bier.
„Mit dem Brot, wie mans im Haus insgemein hat, nehmen wir gern Vorlieb, lassen uns auch das ganze Jahr nichts besonders backen, es habe denn besondere Ursache, als des Herrn Gedächtnis, oder andere Feiertage, Ostern, Pfingsten und Weihnachten.“ [58]
Die Kost der „Geschwistriget“ (Geschwister) wie die Täufer untereinander sich nannten, war also einfach, aber ausgiebig. Dabei wurde nicht schablonisirt, sondern, wie schon oben bemerkt, „Jedem nach Gebühr und Vermögen gegeben;“ in welcher Weise dies geschah, zeigt uns eine Speiseordnung von 1569, die, für eine Zeit der Hungersnoth erlassen, die Kost regelte nach Alter, Geschlecht, Beschäftigung, Gesundheitszustand u. s. w. Selbst dieses so rohe und primitive Gemeinwesen steht hoch über den „Staatsküchen“ mit ihren für Jedermann ohne Ausnahme gleichen und gleich großen Portionen, die Eugen Richter’s Phantasie im sozialdemokratischen „Zukunftsstaat“ des 20. Jahrhunderts sieht.
Neben dem gemeinsamen Haushalt ist besonders bemerkenswerth die gemeinsame Kindererziehung der Täufer. Beck spricht von der „spartanischen Erziehung der Kinder, welche von der Brust der Mutter in die gemeinsamen Kinderstuben wanderten, wo sie, den Eltern und den kindlichen Gefühlen entfremdet, heranwuchsen.“ (Geschichtsbücher, S. XVIII) Vielleicht noch besser hätte er einer platonischer Erziehung der minder sprechen können. Viele Seiten der Kindererziehung der Wiedertäufer erinnern an die platonische Republik, wie auch manches bei ihnen an die More’sche Utopie gemahnt. Es ist nicht unmöglich, daß manches davon auf Uebertragung beruht. Plato war den Kommunisten der Reformationszeit nicht unbekannt. Thomas Münzer weist auf ihn hin (vgl. S. 277), ebenso Sebastian Franck (vgl. S. 323), der den Täufern so nahe stand. Die Gelehrten, die sich der täuferischen Bewegung in ihren Anfängen anschlossen, haben Plato sicher gekannt. In dem Baseler Humanistenkreise, der sich um Erasmus von Rotterdam gruppirte und der so viele der ersten gelehrten Täufer beeinflußte, wurde auch die More’sche Utopie beachtet und diskutirt. Es ist nicht nur nicht unmöglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, daß Anregungen aus diesen Schriften durch die Gelehrten auch den ungebildeteren Brüdern vermittelt wurden. Indeß ist dieser Vorgang nicht bezeugt und es ist auch nicht unbedingt nothwendig, ihn anzunehmen, um die Aehnlichkeit der „Huterischen“ Einrichtungen mit denen Plato’s und More’s zu erklären. Diese Aehnlichkeit kann auch darauf beruhen, daß die Logik der Thatsachen die ungebildeten Proletarier im Mähren auf denselben Weg trieb, der sich dem griechischen Weltweisen und dem englischen Humanisten aus die Konsequenz ihrer Ideen erschloß.
So weit wie Plato gingen die Huterischen nicht, daß sie der Mutter das Kind nach der Geburt genommen und es ihr unmöglich gemacht hätten, es wiederzuerkennen. Es gab eine besondere, gemeinsame Stube für die Kindbetterinnen und eine solche für die Frauen mit den Säuglingen. Aber das Kind blieb dort bei seiner Mutter. Mit anderthalb bis zwei Jahren kam es jedoch schon in die allgemeine Erziehungsanstalt, in die Schule.
Das war einer der Punkte, an dem die Gegner der Täufer den meisten Anstoß nahmen: „Die berkehrten Wiedertäufer handeln gegen die Natur,“ schreibt der schon einmal erwähnte Fischer 1607.
„Sie sind unverständiger als die kleinen Vögelein und unbarmherziger als die wilden Thiere gegen ihre Jungen; denn sobald die Mutter das Kind entwöhnt hat, wird es von den rechten, natürlichen Müttern genommen und bestellten Schwestern übergeben. Hernach den unbekannten Schulmeistern und jähzornigen Kindererzieherinnen, die dann ohne Liebe, Sittsamkeit und Erbarmung bisweilen heftig und unbarmherzig dreinschlagen. So werden sie mit der größten Strenge erzogen, so daß sie wohl manche Mutter nach fünf oder sechs Jahren und gar letzlich nicht mehr recht sieht, noch kennt, aus welchem viele Blutschanden entstehn.“
Die Kinder seien unter diesem System meist kränklich und „geschwollen.“
Die Praxis urtheilte anders. Fischer selbst dementirt sich, indem er anderer Stelle darüber jammert, daß die Wohlhabenden in Mähren am liebsten Frauen, die aus den Schulen der Wiedertäufer kamen, zu Ammen und Kindsmädchen nähmen, was sie sicher nicht gethan hätten, wenn die Ergebnisse dieser Schulen so klägliche gewesen wären. „Gott erbarm, es ist weit gekommen, denn es müssen jetzt fast alle Frauen in Mähren zu Hebammen, Saugammen und Kindswärterinnen lauter wiedertäuferische Weiber haben, als wenn sie allein in diesen Sachen die erfahrensten wären.“ Glänzender konnte man die Ueberlegenheit kommunistischer Kinderzucht nicht bezeugen, als es hier der erbittertste Gegner der Kommunisten thut. [59]
Waren die Frauen als Erzieherinnen kleiner Kinder gesucht, so genossen andererseits die Schulen so guten Ruf, daß auch Andersgläubige gern ihre Kinder dorthin sandten.
Wie die anderen Kommunisten seit der Zeit der Waldenser, legten auch die „Huterischen“ das größte Gewicht auf eine gute Volksbildung. Ihre Schuleinrichtungen und pädagogischen Regeln sind heute noch beachtenswerth, sie waren großartige Leistungen im 16. Jahrhundert, das wohl den Tiefstand der Pädagogik bedeutet und das seine allgemeine Grausamkeit und Rohheit auch im Schulwesen bekundete.
Als Illustrirung der gewöhnlichen Erziehungsmethoden jener Zeit diene folgender Fall, den Erasmus von Rotterdam berichtet und der keine Ausnahme, sondern ein Typus ist. Ein Schulmeister pflegte nach der Mahlzeit, die er mit seinen Schülern einnahm, immer einen derselben hervorzuziehen und einem rohen Prügelmeister zur Züchtigung zu übergeben, der, sinnlos sein Amt verwaltend, einmal einen schwächeren Knaben nicht eher losließ, als bis er selbst vor Schweiß troff und der Knabe halbtodt zu seinen Füßen lag. Der Lehrer aber wendete sich mit ruhiger Miene zu den Schülern und sagte: „Er hatte zwar nichts gethan, aber er mußte gedemüthigt werden.“ Das war die Pädagogik der Gegner des Kommunismus.
Die Täufer dagegen erklärten:
„Mit harten Streichen wird nicht viel gerichtet. Man muß durch die Lehre auf die Kinder wirken, denn wäre an sich schon so viel Gottesfurcht in ihnen, daß sie sich selbst verhüten könnten, bedürfte man keiner Schulmeister.“
Die täuferischen Schulen enthielten ein zahlreiches Lehrpersonal, Schulmeister und „Schulschwestern,“ sowie „Kindsdirnen“ unter einer „Schulmutter.“ Sie hatten nicht blos für das geistige, sondern auch für das körperliche Wohl der Jugend zu sorgen.
Die Erziehung und der Unterricht wurden durch „alte Bräuche“ geregelt, die 1568 niedergeschrieben wurden. Diese Schulordnung legt den Schwerpunkt auf das körperliche Wohl der Jugend.
„Wenn ein Kind,“ heißt es da zum Beispiel, „zur Schule gebracht wird, so muß sein Gesundheitszustand auf das Sorgsamste untersucht werden. Hat es eine böse Sucht, als Fäule, Franzosen und dergleichen, so muß es während des Schlafens, Essens, Trinkens und der Reinigung von den übrigen Kindern abgesondert werden.“
Wenn die Schulmutter den kranken Mund eines Kindes gereinigt hat, so soll sie nicht mit ungewaschenen Fingern den Mund der gesunden untersuchen, sondern „alleweil zuvor mit einem sauberen Tüchel und Wasser die Finger reinigen.“ Auch soll sie die Schulschwestern unterrichten, wie man den Mund der Kinder reinigt.
Auf peinlichste Reinlichkeit wird überhaupt großer Werth gelegt.
Den Schlaf der kleinen Kinder haben die Schwestern zu überwachen. Man hüte sich, sie zu schlagen, wenn sie etwa im Schlafe aufschreien. Wenn sich eins aufdeckt, decke man es zu, auf daß es sich nicht erkälte. [60] Bei der Nacht darf keinem Kinde, es wäre denn krank, zu essen gereicht werden. Schlafende Kinder soll man nicht ohne dringenden Grund aufzustehen zwingen &c.
Man sei mit den Kindern nicht unnützer Weise streng. Wenn ein Kind beim Spinnen etwas verschuldet, hüte man sich, sofort dreinzuhauen. Da genügt eine Anzeige bei der Schulmutter. Die großen Buben züchtigt der Schulmeister, die Dirnen die Schulmutter. Wegen Diebstahls, Lügen und anderer Sünden soll bei der Bemessung der Strafe stets der Rath eines Bruders beigezogen werden. Allzu harte Züchtigungen, etwa Schlagen auf die Köpfe oder auf den Mund, sind streng untersagt.
Bei der Erziehung soll individualisirt werden:
„In der Zucht der Kinder bedarf es großen Aufmerkens und eines rechten Unterschieds: Das eine läßt sich mit Freundlichkeit ziehn, das andere wird durch Gaben gewonnen, ein drittes erfordert strengere Zucht.“
Den Kindern, die zum ersten Male zur Schule kommen, soll man nicht die Köpfe zu brechen versuchen.
Diese Mittheilungen aus der Schulordnung dürften genügen, zu zeigen, daß Loserth berechtigt ist, zu sagen, sie „enthalte Grundsätze, die auch der Schule der Neuzeit Ehre machen würden.“
Welche Gegenstände außer Lesen und Schreiben, deren so ziemlich alle Täufer kundig waren, und der täuferischen Lehre in den Schulen gelehrt wurden, ist unbekannt. Mit geistiger Bildung scheint produktive Arbeit Hand in Hand gegangen zu sein. Wenigstens wurden die Mädchen schon früh zum Spinnen angehalten.
Bis zu welchem Jahre der Schulunterricht sich erstreckte, wissen wir nicht. Aus der Schule kamen die Kinder in die Industrie, Landwirthschaft oder in den Haushalt. Die industrielle und landwirthschaftliche Arbeit galt zunächst der Deckung der Bedürfnisse der Gemeinde. Bevor diese befriedigt waren, durfte für Andere nicht gearbeitet werden.
Aber die Täufer waren ausgezeichnete und fleißige Arbeiter und ihre Arbeit lieferte einen bedeutenden Ueberschuß. Besonders hervorragend waren ihre Leistungen auf den Gebieten der Pferdezucht, der Müllerei und Bierbrauerei, sowie endlich der Messerfabrikation und der Tuchmacherei, die ihr vornehmstes Gewerbe bildete. Auch hier finden wir wieder die Wollenweberei in inniger Verbindung mit dem Kommunismus.
Die Ueberschüsse, die sie auf diesen und anderen Produktionsgebieten erzielten, nahmen innerhalb einer Gesellschaft der Waarenproduktion natürlich die Form von Waaren an. Sie verkauften einen großen Theil ihrer Produkte, was ihnen wieder die Möglichkeit gewährte, die Erzeugung bestimmter Produkte beständig weit über ihre eigenen Bedürfnisse hinaus auszudehnen. So gelangten sie in manchen Produktionszweigen in einem industriellen Großbetrieb.
Die Form des Haushalts und die der Produktion haben seit jeher in enger Beziehung miteinander gestanden. Früher galt dies noch viel mehr als jetzt. Die kapitalistische Produktion hat diese Beziehung gelockert, indem sie die Werkstätte von der Haushaltung loslöste; die Beziehung zwischen beiden ist nicht mehr eine unmittelbare. Im Alterthum und Mittelalter aber waren beide aufs Engste miteinander verknüpft, die Ausdehnung der Wirthschaftsbetriebes bestimmte die Ausdehnung der Familie.
Aber umgekehrt blieb auch die Ausdehnung der Familie nicht ohne Einfluß auf die Ausdehnung des Wirthschaftsbetriebes.
Der gemeinsame Haushalt, z. B. der Klöster oder der Beghardenhäuser, begünstigte denn auch stets die Tendenz zur Einrichtung von Großbetrieben. Wenn etwa 20 Weber in gemeinsamem Haushalt lebten, lag es nahe, daß sie auch den Rohstoff gemeinsam kauften und in einem gemeinsamen Lokale verarbeiteten. Aber diese Tendenzen haben nur geringe Ausbildung erhalten; bei den einen – den Klöstern – wurden sie gehemmt dadurch, daß diese Organisationen regelmäßig früher oder später aufhörten, Arbeitsorganisationen zu sein und Ausbeuterorganisationen wurden; bei den anderen, den Beghardenhäusern und ähnlichen Instituten, hinderten die Verfolgungen, daß die Gemeinsamkeit der Arbeit sich entwickelte, feste Wurzeln gewann und auf die Produktionsweise Einfluß übte.
Und Klöster wie Beghardenhäuser gediehen als Arbeitsinstitutionen in einer Zeit, in der gesellschaftlich wie technisch die Vorbedingungen des Großbetriebs nicht gegeben waren.
Anders stand es mit den Wiedertäufern in Mähren. Ihre Organisationen waren gesicherter als die meisten Beghardenhäuser gewesen waren; aber als Fremde, die nur geduldet waren und der steten Feindschaft der Landesherrn sich erfreuten, konnten sie ihre Haushaben auch nicht zu Ausbeuterinstituten entwickeln, wie die Klöster. Endlich traten sie auf zu einer Zeit, wo schon zahlreiche Vorbedingungen gesellschaftlicher Produktion gegeben waren. Das Berg- und Hüttenwesen wurde bereits kapitalistisch bewirthschaftet und disziplinirt. Aber auch das Handwerk strebte damals schon vielfach darnach, sich auszudehnen zur Manufaktur und die Schranken der zukünftigen Einengung des Betriebs auf wenige Gesellen zu sprengen. Wenn da gemeinsame Haushaltungen von 1.000–2.000 Personen sich bildeten, mußte die innen innewohnende Tendenz zur Einrichtung und Entwickelung voll Großbetrieben einen günstigen Boden finden.
Bei den Wiedertäufern „ging Alles auf den Großbetrieb aus, und die einzelnen Handwerker arbeiteten einander in die Hände. Es war strengstens untersagt, ein Rohprodukt wo anders als von den Wiedertäufern selbst zu nehmen, vorausgesetzt, daß es vorhanden war. So wurden aus den Schlächtereien die Felle an die Gerber abgeliefert und von diesen zubereitet an Sattler, Riemer und Schuster geliefert. Ebenso war das Verhältniß zwischen den Baumwollstuben und Webereien, den Tuchmachern und Schneidern u. s. w. Nur wenige Rohprodukte, wie Eisen, feinere Oele und Anderes wurden aus der Fremde genommen. Im Einzelnen wurde das Gewerbe im Großen betrieben, denn für ihre Produkte: Messer, Sensen, Beuteltücher, Tücher, Schuhe u. s. w. fanden sie nicht allein all den eigenen Brüdern, sondern auch an den übrigen Nachbarn fleißige Abnehmer.“
Unter den Rohprodukten, die sie kauften, hätte Loserth, der diese Schilderung giebt, noch eines nennen sollen, das sehr wichtig war, die Wolle. Ihre Tuchfabrikation gedieh so sehr, daß die mährische Wolle ihnen nicht mehr genügte und sie ausländische, wahrscheinlich ungarische, einführten. Darauf deutet folgender Passus aus ihren Geschichtsbüchern hin: „Anno 1544 ist uns vom Landtag verboten worden, die Wolle für unsere Werkstätten anderswo als in den königlichen Städten oder auf den Schlössern und Höfen der Grundherrn zu kaufen.“ [61]
Jedes Handwerk besaß seine Einkäufer, Austheiler (oder Zuschneider) und Vorgestellten. Jene kauften, wenn nöthig, das Rohmaterial im Großen ein, die Anderen theilten es an die einzelnen Arbeiter ans und überwachten deren planmäßiges Zusammenarbeiten. Die Regelung desselben und der Produktion überhaupt beschäftigte die Brüder ungemein; das bezeugen die zahlreichen Arbeitsordnungen, die sie erlassen haben. Leider sind „für die meisten Handwerke und darunter für einige, die, wie die Tuchmacherei, besonders lebhaft und erfolgreich betrieben wurde, keine Ordnungen mehr erhalten.“ Wir sind daher auf die Höhe, welche der Großbetrieb der Täufer erlangte, auf bloße Vermuthungen angewiesen. Wir wissen nicht, wie weit die Arbeitstheilung und das planmäßige Zusammenarbeiten in den einzelnen Industrien ging.
Sicher ist es, daß sie über die Höhe des damaligen zünftigen Handwerks hinaus einen großen Schritt zum Manufaktursystem gethan haben. Auch sorgten sie dafür, technisch stets auf der Höhe ihrer Zeit zu stehen. So wurden z. B. von Zeit zu Zeit Müller bis nach der Schweiz geschickt, um die dortigen Betriebseinrichtungen zu studiren.
Waren sie technisch dem Handwerk überlegen, so noch mehr kommerziell, namentlich dadurch, daß sie die Rohstoffe im Großen kauften oder aus den eigenen Wirthschaften bezogen. Auch das kam ihnen zu Gute, daß sie Handelskrisen, Absatzlosigkeit leichter überwanden, als private Produzenten. Gänzlich konnten sie eine zeitweise Ueberproduktion nicht vermeiden, da sie im Großen für den Markt arbeiteten.
So wurde z. B. im Jahre 1641, allerdings zu einer Zeit des Verfalls, in einer ungarischen Gemeinde (in Mähren gab es damals keine mehr) auf einer Konferenz von Gemeindevorstehern den Messerschmieden unter Anderem vorgeworfen:
„Die Werkstätten macht man so groß, daß man sie nicht besetzen kann, und wenn sie besetzt sind, kann man die Menge Messer nicht verkaufen, dagegen bleibt andere Handarbeit liegen oder man muß sie verlohnen (von Lohnarbeitern besorgen lassen) um baares Geld.“ [62]
Dergleichen Klagen kommen einige Male vor, doch waren die Wirkungen der Ueberproduktion nicht allzu schlimm. Die überschüssigen Arbeitskräfte wurden einfach für einige Zeit statt in der Industrie in der Landwirthschaft beschäftigt, wo es an Arbeit nie fehlte.
Zu allen diesen Vortheilen der kommunistischen Großproduktion vor der „individualistischen“ der einzelnen Handwerker gesellte sich natürlich noch der, daß die Erhaltung des Einzelnen im gemeinsamen großen Haushalt viel billiger zu stehen kam, als in den kleinen Einzelhaushaltungen der Handwerksmeister. und so kann es uns nicht überraschen, daß seit der Organisation der Huterischen Gemeinden in Mähren die Klagen über die verderbliche Konkurrenz, welche die Kommunisten den zünftigen Meistern machen, nicht verstummen.
Schon 1545 erklären die Brüder in ihrer Eingabe an den mährischen Landtag:
„Der Städte halber, die sich, wie wir hören, über uns beschweren und beklagen, als ob wir den Landhandwerkern das Brot vom Munde abschnitten, so wissen wir’s nicht anders, denn daß wir uns in Allem ehrlicher Arbeit befleißen, einem jeden seinen Pfennig zu vergelten, welche unsere Ehrlichkeit nun fast unter allem Volk bekannt ist ... So sich nun jemand unbillig beschwert, können wir deswegen unsere Arbeit nicht verschlechtern.“
Und zum Jahre 1600 berichten die Geschichtsbücher:
„In diesem Jahr ist von unsern Widersachern großes Geschrei ausgangen in Mähren, wie sich die Brüder über die Maßen im Land häufen und mit ihrem Handwerk den Städten und Flecken nicht geringen Schaden und Abbruch an ihrer Nahrung thun. Die Landesherrn haben derohalben beschlossen, um die Aufrichtung neuer Haushaben zu untersagen, den Grundherrn aber auch fernerhin zu gestatten, sich der Arbeiten der Brüder zu bedienen.“ [63]
Sogar zur Ehre einer poetischen Verurtheilung ist die Konkurrenz der Täufer gekommen. 1586 erschien: „ein anders schön neues Lied, darinnen der Betrug und arglist art der Huetterischen Widertauffer wahrhaftig und eigentlich vor Augen gestellt wirdet.“ Als Verfasser nannte sich Johann Eysvogel von Köln, „gewester Hutterischer Widertauffer, Bruder zu Austerlitz in Märhern.“ Da heißt es
Das Getreid thun sie aufkaufen, All Handwerk sie verderben’ Um zwiefach Geld sie geben Das Brot thun sie abschneiden |
Wie im Schulwesen, wird auch in der Produktionsweise der Täufer deren Ueberlegenheit über die entsprechenden Einrichtungen ihrer Gegner am eindringlichsten zu Tage gebracht in den Klagen der Letzteren. Wir verweisen darauf alle Jene, die da behaupten, daß der Kommunismus unter allen Umständen unwirthschaftlich sei. Die Erfahrungen der Wiedertäufer bestätigen die Regel, die wir bei der Vergleichung der Klöster mit den religiösen kommunistischen Kolonien in Amerika gefunden haben. (S. 110)
Derselbe Grund, der die städtischen Handwerker zu Gegnern der Huterischen machte, gewann ihnen die Gunst der großen Grundherren, auf deren Gütern sie lebten und denen sie zinsbar waren. Mit den Wiedertäufern und durch sie nahm der Adel an Reichthum und Wohlleben zu, sie wurden für ihn ökonomisch unentbehrlich.
Neben ihren Produkten waren es auch ihre Lohnarbeiter, welche den Täufern ökonomische Bedeutung verliehen. Nicht wenige der Brüder und Schwestern waren nämlich in Privatdiensten beschäftigt. Daß man täuferische Ammen und Erzieherinnen suchte, haben wir schon gesehen. Indeß auch in landwirthschaftlichen und industriellen Privatbetrieben finden wir Täufer thätig, z. B. als Müller. Aber namentlich als Verwaltungsbeamte waren sie sehr belibt, was sich wohl daraus erklärt, daß die Verwaltung der großen Haushaben das Organisations- und Verwaltungstalent unter ihnen besonders hoch entwickelte. Voll Wuth schreibt einer ihrer bissigsten Gegner, der schon mehrfach zitirte Christoph Fischer:
„Weil ihr die Herrn in Mähren also habt eingenommen, daß sie Alles thun nach eurem Rath und Angeben, weil ihr von den Herrn über alle ihre Wirthschaften zu Kastnern, Kellermeistern, Burggrafen, Müllern, Schäfflern, Fischmeistern, Gärtnern, Förstern und Meiern gesetzt werdet, weil ihr bei ihnen in großer Reputation und Ansehn seid, also daß ihr auch mit ihnen esset, trinket und dergleichen Favor von ihnen erlanget: heißt das nicht herrschen und regieren?“
Der biedere Fischer übertreibt natürlich, aber richtig ist es, daß die Täufer als Verwaltungsbeamte sehr gesucht waren. Genau genommen waren es jedoch nicht die einzelnen derart beschäftigten Individuen, die in Privatdiensten standen, sondern die ganze Gemeinschaft. Die Einzelnen waren nur als deren Beauftragte bei den Privaten thätig. Sie standen nicht nur unter der Disziplin der Gemeinschaft, sondern mußten ihr auch alle ihre Einnahmen abliefern, nicht mir ihre Gehalte und Löhne, sondern sogar ihre Trinkgelder und Geschenke, mochten diese nun in Geld oder in Naturalien bestehen.
Im Allgemeinen scheint die Durchführung dieser Bestimmung keine Schwierigkeiten gefunden zu haben, außer bei den Aerzten. Bei aller Verachtung der Gelehrsamkeit hielten die Täufer viel auf Arzneikunde und Badekuren. Ihre Bader hatten wahrscheinlich mit der Wissenschaft nicht allzuviel zu thun, sie müssen aber sehr gewandte Praktiker gewesen sein, denn sie waren im ganzen Lande gesucht, ja, mitunter wurde einer sogar an den kaiserlichen Hof entboten, trotz des Abscheus vor den Kommunisten, der dort herrschte. [64]
Bezeichnend ist die Baderordnung von 1654; sie fordert von ihnen unter Anderem, sie sollen
4. Fleißig lesen und sich üben in der hl. Schrift und in Arzneibüchern.
8. Beim Kräutersammeln und Wurzelngraben nicht Fürwitz treiben, zu Wein gehen und keine Kräuter oder Wurzeln heimbringen!
16. Sich nicht von der Arbeit abziehn, als wenn sie zu köstlich oder zu gut dazu wären oder nicht zur Arbeit geschaffen.
17. Auch nicht eigene Arznein haben, ihren Gewinn und Eigennutz damit zu schaffen.
19. Alles Geld, sei es geschenkt oder Trinkgeld, sammt allem Verdienst, soll mit treuer Hand dem Vorgestellten zugestellt werden u. s. w. [65]
Aber schon 1592 wird über die Bader geklagt: „Ein Theil lassen sich so ungern Ordnung geben und bleiben nicht gern in der Ordnung, nehmen sich gar zu viel Freiheit und sind viel zu eigenwillig“ u. s. w.
Sie fügten sich der kommunistischen Disziplin am schwerstem, vielleicht deswegen, weil sie eine Ausnahmestellung einnahmen, über die Masse der Brüder an Bildung und Ansehen hinausragten.
Die Verfassung der Brüder war eine demokratische. An der Spitze der Gemeinschaft standen theils geistliche, theils weltliche Beamte. Erstere, die „Diener des Wortes,“ waren entweder Apostel, die in der Welt herumzogen, um neue Genossen zu werben, oder Prediger zu Hause. Die weltlichen Beamten, „Diener der Nothdurft,“ waren die Einkäufer, Vorgestellten, Haushalter, oberste Gewalt lag bei der Gemeinde. Aber um diese nicht bei jeder Gelegenheit befragen zu müssen, gab es einen Rath der Aeltesten, mit dem die Diener der Gemeinschaft Angelegenheiten von geringerer Bedeutung erledigten. An der Spitze der gesammten Gemeinschaft stand ein Bischof. Die Beamten wurden jedoch nicht gewählt, sondern unter Denen, die als tauglich erschienen, durch den Loos, „die Anzeige des Herrn,“ bestimmt. Aber er konnte sein Amt nicht antreten, ehe nicht die Gemeinschaft den Willen Gottes sanktionirt und den Erloosten bestätigt hatte.
Fast ein Jahrhundert lang erhielt sich das eigenartige Gemeinwesen, das wir hier gezeichnet haben in voller Kraft. Es fiel nicht durch innere Entartung, sondern durch äußere Gewalt.
Seitdem Böhmen und Mähren den Habsburgern zugefallen waren, standen diese in ständigem, wenn auch meist unblutigem Krieg mit dem selbstherrlichen Adel dieser Länder. Endlich kam es zu jenem großen Entscheidungskampfe, der den dreißigjährigen Krieg einleitete und mit der völligen Niederlage des Adels in der Schlacht am weißen Berge (1620) endigte. Der Adel wurde fast vernichtet. Mit ihm fielen seine Schützlinge, die Brüderunität in Böhmen, die Huterischen Gemeinden in Mähren.
Am 22. September 1622 ließ der Kardinal Dietrichstein im Auftrage Ferdinand II. ein Patent ergehen, „daß alle diejenigen, so der Huterischen Bruderschaft zugethan, es seien Mann- oder Weibpersonen, von gemeldetem Dato an über vier Wochen bei hoher Leibes- und Lebensstrafe sich nicht weiter in Mähren sollten finden und betreten lassen.“
Diesmal blieb der Ausweisungserlaß nicht auf dem Papier. Das organisirte Wiedertäuferthum in Mähren nahm ein Ende. Viele der Täufer wurden katholisch, wobei aber die Meisten im Herzen der alten Lehre treu blieben, mitunter diese noch der jüngeren Generationen vererbten; Viele gingen bei flüchtigem Umherirren im Winter zu Grunde; einem Theil endlich gelang es, mit Hinterlassung fast aller Habe, sich nach Ungarn durchzuschlagen, wo sie schon seit 1546 mehrere Haushaben angelegt hatten. Die ungarischen Machthaber konnten Kolonisten wohl brauchen und nahmen die Flüchtlinge gern auf. Diese organisirten sich in der neuen Heimath nach alter Weise, aber sie kamen zu keiner Bedeutung mehr. Die Gemeinschaft erholte sich nicht mehr von dem furchtbaren Schlage, der sie betroffen und ihres ganzen Vermögens beraubt hatte. Die damaligen Zustände in Ungarn, wo Türkeneinfälle und Bürgerkriege einander ablösten, waren auch nicht dazu angethan, ein armes Gemeinwesen zu Wohlhabenheit aufsteigen zu lassen. Es verfiel und verkam und mit ihm verkam der Kommunismus.
Ob er sich behauptet hätte, wenn der Gemeinschaft in Mähren eine ungestörte Fortentwickelung gegönnt gewesen wäre, kann mit Bestimmtheit weder bejaht, noch verneint werden. Sehr wahrscheinlich ist es nicht, daß es dem Täuferthum gelungen wäre, seinen Kommunismus auf die Dauer inmitten einer kapitalistischen Gesellschaft unversehrt zu behaupten, mit der es durch Waarenproduktion und Lohnarbeit in enger ökonomischer Verbindung stand und der damals noch die Zukunft gehörte.
Auf jeden Fall aber ist das Gemeinwesen der Huterischen in Mähren von der größten Bedeutung für die Geschichte des Sozialismus. Es bildet die reifste Frucht des ketzerischen Kommunismus und zeigt uns am deutlichsten und klarsten die Tendenzen der Wiedertäufer. Seine Grundlinien sind noch dieselben wie die des Mönchthums; die Haushabe ist nur eine Art Kloster. Aber sie macht bereits einige Schritte über dieses hinaus in der Richtung des modernen Sozialismus, indem sie in den klösterlichen Kommunismus die Ehe einführt und industrielle Großbetriebe in einer Weise entwickelt, daß sie nicht mehr bloße Nebenerscheinungen des Kommunismus sind, sondern anfangen, Grundlagen desselben zu bilden.
Aber trotz ihrer Wichtigkeit und Eigenart sind die wiedertäuferischen Organisationen in Mähren eine Zeitlang völlig verschollen gewesen.
„Es ist eine seltsame Sache, daß die Erinnerung an die Wiedertäufer in Mähren, so allgemein aus dem Volksgedächtniß entschwunden und daß ihr Andenken erst seit kurzem, und nur in der gelehrten Forschung, aber nicht im Entferntesten in ausreichendem Maße aufgefrischt worden ist.“ [66]
So schrieb ein böhmischer Historiker 1858. Seitdem hat die gelehrte Forschung ausreichendes Licht über sie verbreitet, namentlich dank dem Eifer des Dr. Josef Beck, der ein ungemein ausgedehntes Material über sie sammelte und zum Theil selbst veröffentlichte in den hier so oft zitirten Geschichtsbüchern der Wiedertäufer, die 1883 erschienen. Sein Nachlaß bot dann noch reiche Ausbeute, die Loserth trefflich verwerthete. Aber außerhalb der Spezialgeschichte haben die mährischen Wiedertäufer bis heute noch nicht gebührende Beachtung gefunden, und die bürgerlichen Geschichtschreiber des älteren Sozialismus haben sie so gut wie völlig ignorirt. [67]
Das darf uns nicht wundern. Diesen Herren handelte es sich in der Regel nicht darum, den Sozialismus zu begreifen, sondern darum, Material zu sammeln, das zu seiner Verurtheilung dienlich erschien. Dazu eigneten sich die mährischen Wiedertäufer schlecht. Weit tauglicher dafür erschien der Aufstand der Wiedertäufer in Münster. Dieser ist es denn auch, der in den herkömmlichen Geschichtsbüchern als die Verkörperung des wiedertäuferischen Wesens hingestellt wird; auf ihn weilt man mit Vorliebe hin, wenn man zeigen will, welche Scheußlichkeiten der Kommunismus naturnothwendig gebiert.
Wer von den Wiedertäufern hört, denkt in der Regel zuerst an den Münsterschen Aufruhr, und wer von diesem spricht, spricht von einer grauenhaften, wahnsinnigen Orgie.
Wir wollen sehen, ob und inwieweit dies berechtigt ist.
Später als im Süden Deutschlands begann im Norden die Reformationsbewegung sich zu entwickeln und die Klassengegensätze jener Zeit zu entfesseln. Zum großen Theil ist dies der ökonomischen Rückständigkeit des deutschen Nordens zuzuschreiben; in jenen Gebieten des Nordwestens aber, die höher entwickelt waren, wurde die Reformationsbewegung gehemmt durch die Nähe der habsburgischen Niederlande, von denen aus Karl V. auf die Grenzdistrikte einen ganz anderen Einfluß üben konnte als auf die anderen Theile des Reiches.
Die Bauern kamen im Norden überhaupt nicht in eine allgemeine Bewegung; die Ereignisse des Jahres 1525 in Süd- und Mitteldeutschland fanden bei ihnen kein Echo, theils deswegen, weil sie noch besser gestellt waren als ihre Brüder in Oberdeutschland, theils auch, weil die einzelnen Landschaften noch mehr voneinander abgeschlossen waren, der Verkehr unter ihnen geringer als im dichter besiedelten Süden.
Nur zwei Seiten der Reformationsbewegung sind in Niederdeutschland zur Geltung gekommen, die fürstliche und die städtische. Wie im Süden äußerte sich auch im Norden die städtische Reformation in einer Verschärfung und akuten Zuspitzung einerseits des Gegensatzes zwischen der städtischen Bürgerschaft und dem ihre Freiheit und Unabhängigkeit bedrohenden Fürstenthum, andererseits des Gegensatzes zwischen den Zünften zum Patriziat. Aber die Analogie mit dem Süden geht noch weiter: Die Kämpfe zwischen diesen K lassen konnten nicht ausgefochten werden, ohne daß auch die unterste städtische Bevölkerungsschicht, die Masse, welche nicht im .Stande war, sich zünftig zu organisiren, in Bewegung gerieth und, wo die Verhältnisse ihr günstig waren, anfing, eine selbständige Politik zu treiben.
Die berühmteste und mächtigste unter den norddeutschen Städten, welche in der Reformationsbewegung eine Rolle spielten, war die alte Hansestadt Lübeck.
Der patrizische Rath stellte sich dort auf die Seite der bestehenden Autorität, der katholischen Kirche; die Demokratie machte die Sache dem „Evangeliums“ zu der ihren. 1530 errang sie durch einen Aufstand den Sieg über Patriziat und Kirche. Die Verfassung wurde im demokratischen Sinne geändert, das Kirchenvermögen von der Stadt eingezogen. Aber dieser Sieg war nur errungen worden durch eine Vereinigung der Zünfte mit der Masse der „gemeinen“ Leute. Die Führer im Kampfe und der vornehmste Vertreter dieser Vereinigung war Jürg Wullenweber, der 1533 Bürgermeister von Lübeck wurde. Angesichts der Thatsache, daß er sich auf den gemeinen Mann stützte, ist es begreiflich, daß er auch Sympathien für die Wiedertäufer an den Tag legte. So offenkundig waren sie, daß, als er Herr der Stadt wurde, in Deutschland das Gerücht ging, Lübeck sei für die Sache der Wiedertaufe gewonnen worden. Ob und inwieweit Wullenweber wirklich täuferischen Ansichten huldigte, ist jetzt nicht mehr festzustellen. Zu einem praktischen Erfolg haben es die Anabaptisten in Lübeck nicht gebracht und ebensowenig in irgend einer der anderen norddeutschen Städte, in denen sie zahlreich vertreten waren.
Nur in einer Stadt hatten sie vorübergehenden Erfolg, dank einem eigenartigen Zusammentreffen von Umständen, – in Münster.
Der Nordwesten Deutschlands war besonders reich an geistlichen Fürstenthümern: Köln, Münster, Paderborn, Osnbrück, Minden u. s. w. Von diesen Staaten waren das Erzbisthum Köln und das Bisthum Münster weitaus die bedeutendsten.
Die sozialen und politischen Gegensätze erhielten in den geistlichen Fürstenthümern eine eigenartige Färbung. Der Landesherr vereinigte in seiner Hand die Machtmittel der Kirche mit denen des Staates. Aber er war nichts weniger als ein absoluter Fürst. Viel abhängiger von Kaiser und Papst als ein weltlicher Herr, war er gleichzeitig auch mehr ein Werkzeug als ein Beherrscher des Adels und der Geistlichkeit in seinem Gebiet. Die Wahl der Bischöfe hatten überall die Domkapitel an sich gerissen, und diese, wie die höheren und einträglicheren Stellen im Klerus überhaupt, waren ein Privilegium des Adels geworden (in Münster seit 1392). Adel und Geistlichkeit waren daher durch eine innige Interessengemeinschaft verbunden, und sie waren dem von ihnen gewählten Landesherrn gegenüber viel mächtiger als in weltlichen Territorien. Die Landstände hatten demnach in den geistlichen Fürstenthümern mehr zu sagen als in den anderen, in den Landständen dominirten aber Adel und Geistlichkeit, wenn sie vereinigt waren. Die Städte wurden stets überstimmt, die kleinen unter ihnen herabgedrückt, die großen auf den Weg der Selbsthülfe verwiesen.
Der Adel und die höhere Geistlichkeit hatten bei diesem Stande der Dinge am meisten zu verlieren, sie hielten daher fest am alten Glauben; viel lieber theilten sie die ungeheuren Reichthümer, welche die Kirche in den geistlichen Fürstenthümern zusammengerafft hatte, mit der römischen Kurie, als daß sie ganz auf dieselben verzichtet hätten.
Unsichere Kantonisten waren dagegen die Bischöfe. Nur zu leicht erlagen sie der Versuchung, die das Beispiel ihrer weltlichen Nachbarn bot. Der Uebertritt zu Lutherthum versprach ihnen die Unabhängigkeit vom Papst, der sie schwer besteuerte, ein freieres Verfügungsrecht über die Kirchengüter und größere Macht über den Adel. Es ist demnach garnicht auffallend, daß die Bischöfe Münsters, wie andere ihrer Kollegen, der evangelischen Lehre nur halben Herzens entgegen traten, ja nicht selten sie unter der Hand begünstigten.
Als Bernt Rothmann 1531 in dem Münsterschen Vorort St. Mauritz in lutherischem Sinne zu predigen anfing, da wandte sich vergebens das Domkapitel an den Bischof Friedrich mit der Bitte, er solle den Unfug verhindern. Der Bischof verbot zwar Rothmann das Predigen, that aber nicht das Mindeste, dem Befehl Nachdruck zu verschaffen, und Rothmann predigte unbekümmert weiter. Erst ein kaiserlicher Befehl veranlaßte den Bischof, Rothmann auszuweisen (im Januar 1532). Rothmann verließ St. Mauritz, aber nicht, um dem Lande den Rücken zu kehren, sondern um die Münsterländische Kirche in ihrem Zentrum anzugreifen: er verlegte seine Predigten nach Münster selbst.
Münster war eine reiche und wohlbefestigte große Stadt, die Hauptstadt nicht nur des Bisthums, sondern ganz Westfalens. Die Demokratie erwies sich daselbst als besonders stark. Ursprünglich war der Rath, wie in jeder mittelalterlichen Stadt, ausschließlich in den Händen der Markgenossen, der Patrizier, in Münster Erbmänner genannt, gewesen. Als aber Handel und Gewerbe aufblühten und die Zünfte zu Macht und Ansehen gelangten, da eroberten sie sich schließlich auch den Zugang zum Rath. Dieser wurde fortan jährlich durch zehn Wahlmänner (Korgenoten) gewählt, die von der gesammten Bürgerschaft ernannt waren. Nur die Hälfte der vierundzwanzig Rathsherren mußte aus den Patriziergeschlechtern genommen werden. Aber die Besorgung der städtischen Geschäfte war bereits eine Angelegenheit, die mehr Zeit und Kenntnisse erforderte, als einem Manne aus dem Volke in der Regel zugänglich waren. Die zwölf der gemeinen Bürgerschaft zugestandenen Rathssitze fielen daher immer wieder auf Mitglieder einiger weniger wohlhabenden Familien, aus denen sich nach und nach eine zweite städtische Aristokratie entwickelte, minder vornehm als die der Erbmänner, aber durch Interessengemeinschaft mit ihr verbunden.
So bildete sich nach und nach der Rath wieder zu einer ausschließlichen Vertretung der städtischen Aristokraten aus, die zum Theil von ihren Renten, von der Verpachtung ihrer Grundstücke, zum Theil auch vom Handel lebten. Aber neben dem Rath behauptete sich die Macht der Zünfte oder Gilden. Siebzehn Gilden gab es in Münster. Jede derselben besaß ihr eigenes Gildehaus, und regierte sich nach eigenen Satzungen. Das Schohaus [68] war der Mittelpunkt der gesammten zünftigen Bürgerschaft. In der Fastenzeit, kurz nach der Rathswahl, kamen dort die vierunddreißig Gildemeister zusammen und wählten die zwei Alderleute.
„Diese,“ sagt ein Münsterscher Geschichtschreiber aus jener Zeit, „sind die Häupter und Vorsteher der ganzen gemeinen Bürgerschaft, und ihr Ansehn ist so groß, daß sie, sammt den Gildemeistern, die Beschlüsse des Raths umstoßen können, wenn sie wollen. Daher der Magistrat in wichtigen und das Wohl des gemeinen Wesens betreffenden Dingen ohne die Einwilligung erwähnter Vorsteher des Volks fast nichts beschließen kann.“ [69]
In friedlichen Zeiten freilich ließ man den Rath meist nach Belieben gewähren. Aber kam es zu einem Konflikt der Gemeinde mit dem Rath oder mit der Geistlichkeit, da schwand das Ansehen des Rathes rasch dahin. Das hatte sich, wie schon früher, so namentlich deutlich 1525 gezeigt. Das gewaltige Ringen in Oberdeutschland ging nicht spurlos an Niederdeutschland vorbei. Allenthalben in den Städten regte sich der gemeine Mann; wie in Köln kam es auch in Münster zu einer Bewegung gegen die Geistlichkeit, die in gewaltsamen Aufruhr umschlug, als der Rath der Bewegung entgegenzutreten suchte. Das Volk erhob sich und ernannte einen Ausschuß von vierzig Männern, welcher die Forderungen der Gemeinde in sechsunddreißig Artikeln formulirte. Sie betreffen nicht religiöse, sondern ökonomische Fragen und zeigen, daß die Zünfte die Bewegung beherrschten.
Einige dieser Artikel, die charakteristisch für die Bewegung sind, seien hier angeführt:
„5. Keine Geistlichen, sie seien von welchem Orden sie wollen, weder Priester, noch Mönche, noch Nonnen, noch Vicare der Weltgeistlichen sollen sich mit Handel angeben, noch irgend ein weltliches Geschäft betreiben, weder Ochsen fett machen, noch Leinwand weben, noch Korn dörren; sie sollen deshalb alle zu diesen Verrichtungen erforderlichen Werkzeuge, die entweder in den Klöstern oder in den Häusern der Geistlichen sich befinden, sofort freiwillig veräußern oder gewärtig sein, daß das Volk sie derselben beraube.
„6. Kein Geistlicher soll von heute an von öffentlichen Stadtabgaben frei sein„
„7. Sowohl die geistliche wie die weltliche Obrigkeit soll ihren Unterthanen in den Dörfern verbieten, innerhalb zwei Meilen von der Stadt irgend eine Hantirung zu treiben und zum Nachtheil der Bürger Bier zu brauen oder Brot zu backen“ u. s. w. [70]
Es handelte sich also bei diesem Aufruhr nicht um Aushebung aller Privilegien, sondern nur um Ersetzung pfäffischer Privilegien durch zünftige.
Die Artikel wurden vom Rath angenommen, die Domherren selbst unterzeichneten einige derselben; aber zu ihrer vollen Durchführung kam es nicht. Der Zusammenbruch der oberdeutschen Erhebung brachte auch die niederdeutsche Bewegung zum Stillstand, indeß er gleichzeitig die Kräfte der siegreichen Fürsten zur Hülfe für ihre nordischen Genossen freisetzte. Es kam (27. März 1526) zu einem Vergleich zwischen dem Bischof und dem Domkapitel auf der einen Seite und der Stadt auf der anderen, der die Rechte des Klerus wiederherstellte, wofür dieser auf die Buße und die Sicherstellung gegen jede künftige Unbill verzichtete, die er gefordert hatte.
Damit war die Rache wiederhergestellt. Aber die Opposition der städtischen Elemente, namentlich der städtischen Demokratie gegen den reichen, privilegirten und ausbeuterischen Klerus dauerte fort. Die gewaltige Katastrophe von 1525 hatte die Massen in Bewegung gesetzt, die bis dann der Reformation nur wenig Interesse entgegengebracht hatten (und das gilt nicht für Münster allein, sondern für ganz Niederdeutschland), und die Sache des Evangeliums fand nun freudige Aufnahme bei ihnen. Geistliche kamen an die Spitze der Bewegung, und diese, die ursprünglich rein ökonomisch gewesen, begann, sich religiöser Argumente zu bedienen und anscheinend eine rein religiöse Bewegung zu werden.
Das ist eine Erscheinung, die uns in der Reformationszeit häufig begegnet und die ihre Analogie in modernen bürgerlichen und proletarischen Bewegungen findet.
Die Ursache davon scheint um nicht schwer auffindbar zu sein. So laüge es sich bei einer sozialen Bewegung nur um vereinzelte Augenblicksforderungen handelt, liegt deren ökonomische Natur klar zu Tage. Aber je mehr sie sich vertieft, je umfassender sie wird, je mehr sie die ganze Gesellschaft, das ganze Gemeinwesen umzugestalten sucht, desto mehr gilt es, zwischen den einzelnen Forderungen, die man aufstellt, ein geistiges Band herzustellen, desto mehr fühlen sich alle Denkenden gedrängt, sich über die Endziele jener Bewegung klar zu werden, deren erste Etappen die Augenblicksforderungen darstellen, und desto mehr fühlen sie sich veranlaßt, diese Forderungen aus einem höheren allgemeinen Prinzip zu erklären. Je geringer die ökonomische Erkenntniß der Zeit und je weitergehend die Bewegung, desto mystischer gestalten sich dann in der Regel Argumente und Theorien der Bewegungsmänner, desto leichter verlieren diese das Bewußtsein der ökonomischen Grundlage ihrer Agitation. Handelt es sich bei einer Bewegung etwa nur um Freihandel und geringe Steuern, oder kurze Arbeitszeit und hohe Löhne, da liegt auch für den Kurzsichtigsten der ökonomische Kern klar zu Tage. Wird aber die Bewegung zu einem allgemeinen Klassenkampf des Bürgerthums oder des Proletariats gegen die bestehende Gesellschaft, da verschwindet bei nicht genügender theoretischer Einsicht der ökonomische Kern fast völlig; es handelt sich nur noch um ewige Gebote des Naturrechts, der Vernunft, der Gerechtigkeit u. s. w. In der Reformationszeit war die allgemeine Denkform nicht juristisch, sondern theologisch. Eine soziale Bewegung mußte daher in ihren Aeußerlichkeiten um so theologischer werden, um so mehr mit dem Willen Gottes, mit dem Wort Christi und dergleichen hantiren, je radikaler sie wurde.
Die demokratisch protestantische Bewegung in Niederdeutschland erhielt besonderen Anstoß im Jahre 1529. Damals brach eine furchtbare Theuerung aus, die mehrere Jahre lang währte. Wie Sebastian Franck in seiner Chronica berichtet, herrschte sie noch 1531, als er dies Buch herausgab. Orten kostete ein Scheffel Roggen im Summer 1529 3½ Schilling, im nächsten Sommer 9 Schilling. 1531 stiegen die Preise noch mehr. In Dortmund hatte 1630 der Scheffel Roggen 5½ Schilling gekostet, 1531 war der Preis auf 14 Schilling gestiegen! Hand in Hand mit der Hungersnoth ging eine verheerende Seuche, der sogenannte englische Schweiß.
Und dazu kam noch der Türkeneinfall, der auch Niederdeutschland insofern in Mitleidenschaft zog, als es zur Zahlung einer Kriegssteuer, der Türkensteuer, herangezogen wurde. Je weniger das Land von den Türken selbst zu fürchten hatte, destomehr mußte angesichts der allgemeinen Nothlage diese Steuer erbittern, die nicht allzu niedrig bemessen war. In den Ländern des Herzogs von Kleve betrug sie 10 Prozent vom Einkommen!
Alles das mußte die vorhandenen sozialen Gegensätze ungemein verschärfen, namentlich den Gegensatz der Demokratie gegen den reichen Klerus, der sich der Besteuerung nur zu leicht zu entziehen wußte, und dem es in seiner kurzsichtigen Habsucht nicht einfiel, irgend ein freiwilliges Opfer zu bringen.
In dieser Situation fanden die Predigten des schon erwähnten Bernhard Rothmann einen günstigen Boden. Als er im Januar 1532 von St. Mauritz nach Münster zog, wurde er von der dortigen Demokratie mit offenen Armen angenommen und gegen jede Vergewaltigung geschützt. Aus der demokratischen Partei ragte damals am meisten hervor der reiche Tuchhändler Bernhard Knipperdollinck, „ein stattlicher Mann, noch jung von Jahren, mit schönem Haar und Bart, tapfer, freimüthig und von kräftigem Wesen in Aussehn, Geberden und Handlungen, voller Anschläge, geschickt zur Rede und rasch zur That“ (Cornelius), hartnäckig und thatenlustig, mit einem Hang zum Abenteuerlichen.
Es kam der emporstrebenden Demokratie sehr zu Statten, daß eben um die Zeit, als sie in der Vertheidigung Rothmann’s eine Kraftprobe hätte ablegen müssen, die klerikalen Machthaber durch innere Angelegenheiten in Anspruch genommen waren. Diese sind charakteristisch für das Kirchenwesen jener Zeit.
Bischof Friedrich war ein bequemer Herr. Das Bischofsamt gefiel ihm, so lange es wenig Mühe verursachte und viel Geld einbrachte. Jetzt, als die Schwierigkeiten für die Kirche sich häuften, als Papst, Kaiser und Domherrn immer mehr auf eine energische Politik des Bischofs zur Vertheidigung der gefährdeten Kirche drängten, wurde ihm der Bischofsstuhl verleidet; er sah sich nach einem Nachfolger um, der ihm das bischöfliche Geschäft um einen guten Preis abnahm, und fand ihn endlich in Bischof Erich von Paderborn und Osnabrück, einem ebenso ländergierigen wie zahlungsfähigen Herrn, der gern die Gelegenheit ergriff, zu den beiden bischöflichen Geschäften, die er betrieb, noch ein drittes zu erwerben. Der katholische Erzbischof von Köln und der lutheranische Kurfürst von Sachsen bildeten die Vermittler bei dem kirchlichen Handel – ob sie Kommissionsgebühren erhielten, ist unbekannt. Der Kaufpreis wurde auf vierzig Tausend Gulden festgesetzt. Durch einen groben Betrug gewannen die ebenso frommen wie hohen Herren die Einwilligung des Domkapitels: diesem wurde statt des echten ein Scheinvertrag vorgelegt, in dem als Kaufsumme blos die Hälfte des wirklichen Betrages angegeben war. Das waren die Elemente, welche später gegen die Wiedertäufer die Religion, Moral und das Eigenthum vertheidigten.
Im Dezember 1531 war Erich zum Bischof provisorisch gewählt worden. Nachdem er die Kaufsumme bezahlt, legte Friedrich seine bischöfliche Würde nieder (März 1532).
Während dieses Provisoriums gedieh lustig die Ketzerei in Münster. Aber auch der Amtsantritt des neuen Bischofs beeinträchtigte sie nicht sehr. Er fühlte sich mehr als Landesherr, denn als Bischof, die Verbreitung der lutheranischen Lehre war ihm noch weniger unangenehm als seinem Vorgänger. War er doch mit dem Kurfürsten Johann von Sachsen – seinem Vermittler beim Kauf des Bischofstuhls – und mit dem Landgrafen Philipp von Hessen, den beiden Häuptern der evangelischen Bewegung in Deutschland, eng befreundet. Und er nahm so wenig Anstand, seine protestantischen Sympathien an den Tag zu legen, daß er bei der Trauung des Grafen von Tecklenburg mit einer aus dem Kloster ausgetretenen Nonne als Zeuge fungirte!
Die Erwählung dieses Bischofs stärkte die protestantische Sache in Münster ungemein, sie führte aber auch zur Entzweiung der Protestanten. So sehr Erich der Reformation zuneigte, so doch nicht der Reformation von unten, sondern nur einer Reformation von oben, einer Reformation, welche die Macht des Landesherrn und nicht die der Demokratie auf Kosten der Kirche erhöhte.
Gegenüber dem Klerus und dem Ritterthum suchte Erich eine Stütze im städtischen Patriziat, im Rath von Münster und dessen Anhang. Beide zusammen bildeten eine „gemäßigte“ Partei, die mit dem Lutherthum kokettirte.
Die städtische Demokratie hatte sich auch der lutheranischen Lehre zur Begründung ihrer Tendenzen bedient, so lange alle ihre Gegner katholisch gewesen. Jetzt drohte das Lutherthum aus einer Waffe der Demokratie eine Waffe der gefährlichsten Gegner der Demokratie, des Bischofs und der Patrizier, zu werden. Von da an begann die Demokratie ihre Sympathien für die Luther’sche Lehre zu verlieren und sich dem Zwinglianismus zuzuwenden, der ihren Bedürfnissen am besten entsprach.
Am wichtigsten erschien es Erich und dem Rath, mit der städtischen Demokratie fertig zu werden. Bei diesem Beginnen war ihnen die Hülfe des Klerus gewiß. Am 17. April 1532 erließ der Bischof ein Mandat, in dem er eine baldige Reform der Kirche in Aussicht stellte, zunächst aber verlangte, daß der Geistliche entfernt werde, den die Gemeinde eigenmächtig angenommen. Der Rath ertheilte daraufhin Rothmann den Befehl, seine Predigten einzustellen. Aber die Gemeinde fügte sich nicht. Sie erklärte am 28. April, sie werde ihren Prediger unter allen Umständen behalten.
Abermals zeigte sich der Zufall der Demokratie günstig.
„In der That,“ schreibt der gut bischöfliche Kerssenbroick, „würde dieser rechtschaffene Bischof durch seine eigene Autorität und den Beistand seiner Freunde vieles in dieser Sache ausgerichtet haben, wenn er nicht durch einen frühzeitigen Tod daran gehindert worden wäre. Denn da er auf seinem Schlosse zu Fürstenau, in dem Stift Osnabrück gelegen, sich mehr als gewöhnlich lustig machte, soll er krank geworden, oder wie Andere wollen, nachdem er einen großen Becher Wein ausgeleeret, den 14. Mai plötzlich gestorben sein.“ [71]
Dies Ereigniß war das Signal zu Aufruhr in allen drei Bisthümern, die der nun so selig im Weingeiste Entschlafene bei Lebzeiten bedrückt und ausgepreßt hatte. In Osnabrück, Paderborn und Münster erhob sich das Volk, verjagte die katholischen Geistlichen und setzte protestantische nach seinem Sinne ein. Der Rath war nirgends im Stande, der Gemeinde Einhalt zu thun. In Osnabrück kam es durch Vermittelung der Ritterschaft zu einem Vergleich zwischen der Geistlichkeit und der Stadt. Paderborn wurde im Oktober 1532 vom Erzbischof Hermann von Köln mit Gewalt niedergeworfen. In Münster dagegen wußte sich der Aufruhr zu behaupten.
Das Domkapitel hatte sofort einen Nachfolger für Erich gewählt, Franz von Waldeck. Am 28. Juni kam von diesem ein Schreiben in Münster an, das die Stadt aufforderte, zum Gehorsam zurückzukehren. Die Versammlung der Erbmänner erklärte sich zum Gehorsam bereit. Die Versammlung der Gilden dagegen beschloß am 1. Juli die Begründung eines Bundes zum Schutze des Evangeliums. Ein revolutionärer Ausschuß von sechsunddreißig Mann wurde eingesetzt, der den Stadtrath so erschreckte, daß dieser sich ihm anschloß, am 15. Juli, und die Forderungen der Gemeinde bewilligte. Der Ausschuß der Sechsunddreißiger betrieb sofort die Neuorganisation der Kirche in evangelischem Sinne und suchte auswärtige Bundesgenossen. Er setzte sich mit Philipp von Hessen in Verbindung. und als im Oktober Bischof Franz, unterstützt von der geistlichen und weltlichen Aristokratie, sich rüstete, Münster mit Gewalt niederzuwerfen, da zwang die Gemeinde den Rath zu Gegenrüstungen. 300 Knechte wurden angeworben, die Festungswerke ausgebessert.
Es kam zu unbedeutenden Feindseligkeiten zwischen den gegnerischen Parteien. Aber der Bischof schrak vor einem entschiedenen Auftreten gegen die starke Stadt zurück, das ihn mit einer Niederlage oder einer fremden Intervention und dem Verlust seiner Selbständigkeit bedrohte. Denn seine Kassen waren leer und der habgierige Klerus weigerte sich, Opfer zu bringen. Der Kaiser, in jenen Gegenden der mächtigste Schützer des Katholizismus, war damals durch den Türkenkrieg in Anspruch genommen. Bischof Franz versuchte zur Politik seines Vorgängers zurückzukehren und mit dem Rath seinen Frieden zu machen. Er knüpfte Unterhandlungen an.
Der Rath war selbstverständlich geneigt, mit dem Bischof einig zu werden. Aber das Volk wollte nicht von Zugeständnissen wissen. „Keinen schritt zurück! Eher die eigenen Kinder schlachten und essen,“ rief Knipperdollinck, und die Masse stimmte ihm zu.
Um die Verhandlungen besser betreiben zu können, hatte sich der Bischof mit den Landständen nach dem Städtchen Telgt, in der Nähe Münsters begeben. Aber die Nähe des Bischofs reizte die kampfeslustige Gemeinde zu allem Anderen, als zum Frieden. In der Stille wurde ein Ueberfall auf Telgt geplant und ausgeführt. Er gelang (in der Nacht des 26. Dezember). Des Bischofs selbst wurde man nicht habhaft. Zufällig hatte dieser Tags vorher Telgt verlassen. Jedoch eine Menge der angesehensten Vertreter der katholischen Sache, geistliche und weltliche Aristokraten und flüchtige Erbmänner aus Münster wurden gefangen.
Das entschied. Unter Vermittelung Philipps von Hessen kam ein Vertrag zu Stande (14. Februar 1533), der im Wesentlichen die Zustimmung des Bischofs, des Domkapitels und der Ritterschaft zu den Errungenschaften des Aufruhrs festsetzte.
Münster ward als evangelische Stadt anerkannt.
Die zünftige Demokratie hatte in Münster gesiegt; aber sie hatte ihren 3ieg nur errungen mit Hülfe der nichtorganisirten Masse der Bevölkerung, in Wesentlichen also der Besitzlosen, der Proletarier. Und sie konnte diesmal nicht, wie das in ähnlichem Falle vorher und nachher so oft geschehen, die Werkzeuge, die sie benutzt, nachdem sie ihr Ziel erreicht, bei Seite werfen. Denn der Sieg war diesmal nur durch einen glücklichen Handstreich errungen worden, nicht durch eine entscheidende Niederwerfung des Gegners im offenen Kampfe. Der Friede bedeutete also nur einen Waffenstillstand; die bürgerliche Demokratie stand vor weiteren schweren Kämpfen, sie durfte daher diesmal nicht ihr Verhältniß zur proletarischen Demokratie lösen. Die Tendenzen der letzteren fanden aber ihren entsprechendsten Ausdruck im Anabaptismus. Die hervorragende Stellung, die das Proletariat in Münster erlangt hatte, machte daher diese Stadt zum Mittelpunkt des Täuferthums in Niederdeutschland.
Im Laufe des Jahres 1532 traten in Münster neben Katholiken und Lutheranern Zwinglianer auf. Bald gesellten sich ihnen Täufer hinzu.
Die beiden Herde, von denen sich der Ansteckungsstoff nach Niederdeutschland verbreitete, waren Straßburg und die Niederlande.
In Straßburg, das mit den großen Städten der Nordschweiz in engem ökonomischen und politischen Verkehr stand, siegte 1525 das Zwinglianische Staatskirchenthum. In dessen Kampfe gegen Katholizismus und Lutherthum gedieh, wie in anderen Städten Süddeutschlands, auch hier das Täuferthum. Neben Augsburg wurde, wie wir schon erwähnt, Straßburg der wichtigste Punkt für das süddeutsche Täuferthum. Es hielt sich dort länger als anderswo, dank der Macht, die der „gemeine Mann“ besaß, und die den Rath lange hinderte, aus Furcht vor einem Aufstand, entschiedene Maßregeln gegen die Täufer zu ergreifen. So stark waren diese in der mächtigen Reichsstadt, daß die wichtigsten der dortigen Kirchenhäupter, vor Allem Capito, die Politik, die Zwingli in seinen Anfängen befolgt, fortsetzten, und lange gar bedenklich mit täuferischen Ansichhten liebäugelten.
In der großen Verfolgung wurde Straßburg der Zufluchtsort der Brüder, die nicht nach Mähren auswanderten; nachdem in Augsburg das Täuferthum blutig niedergedrückt worden, trat Straßburg an dessen Stelle als Vorort der Bewegung in Süddeutschland, so lange überhaupt noch von einer solchen gesprochen werden konnte. Vorübergehend waren fast alle hervorragenden Männer der süddeutschen Täufer dort zu finden, so 1526 Denck, Hätzer, Sattler, Reulblin, der bis 1529 an der Spitze der Gemeinde stand. Als er ausgewiesen wurde, trat Pilgram Marbeck an seine Stelle, der tyroler Bergrichter, der für die Straßburger geniale Flußregulirungen im Kinzig- und Ehnthale ausführte, die „der holzarmen Reichsstadt die Forste des Schwarzwaldes erschlossen.“ [72]
Am wichtigsten aber wurde für Straßburg der weitgereiste Kürschnergeselle Melchior Hofmann ans Hall in Schwaben. Schon 1523 hatte er in Livland im evangelischen Sinne gepredigt, war dann Prediger der deutschen Gemeinde in Stockholm geworden; von dort vertrieben, fand er eine Zuflucht in Holstein, wo ihm der König Friedrich von Dänemark Lebensunterhalt und Freiheit des Predigens gewährte. Aber als er vom Lutheranismus zum Zwinglianismus überging, wurde er Landes verwiesen (1529). Er wandte sich nach Straßburg, der Hochburg des Zwinglianismus in Deutschland. Bald jedoch nahm ihn dort die Ideenwelt der Täufer gefangen, und 1530 war er bereits einer der Ihrigen und, nachdem die alten Häupter gefallen oder vertrieben worden, der Hervorragendste von Allen.
Ein schwärmerischer und phantastischer Enthusiast, nahm er den Chiliasmus Hans Hnt’s wieder auf, der jetzt unter den süddeutschen Brüdern um so günstigeren Boden finden mußte, je mehr die Verfolgung wüthete. In der That, es war schwer, inmitten der grausamen Hetzjagd standhaft zu bleiben, wenn nicht baldige Erlösung winkte. Je stärker die Verfolgung, desto mehr wurde der Glaube an den demnächstigen Zusammenbruch der bestehenden Gesellschaft innerstes Herzensbedürfniß. Aber von den Türken war nichts mehr zu erwarten. Straßburg wurde von Hofmann für das himmlische Jerusalem ausersehen, dort sollte den Täufern die Macht zufallen, und zwar binnen Kurzem, im Jahre 1533.
Ganz sinnlos war die Prophezeiung nicht. Die Täufer bedeuteten in Straßburg eine Macht, aber sie standen in zu schroffem Gegensatz zur bestehenden Gesellschafts- und Staatsordnung, als daß die Obrigkeit länger hätte ruhig zusehen können, wie diese Macht noch wuchs. Binnen Kurzem mußte es zur entscheidenden Kraftprobe kommen. Daß Hofmann auf Sieg rechnete, war selbstverständlich. Nur wer an seine Sache glaubt, kann erfolgreich für sie wirken.
Aber insoweit blieb Hofmann in dem herkömmlichen allgemeinen Gedankenkreis der Täufer, daß er gegen jede Anwendung von Gewalt sich erklärte. Er verließ sich einzig auf die Wirkung seiner Propaganda. Gott werde den Sieg bringen. Jeder Aufruhr sei sündhaft.
Anfangs fand Hofmann heftigen Widerstand in der Gemeinde, zwei Richtungen bildeten sich, schließlich aber war die seine siegreich, vielleicht mehr noch durch seine Erfolge in den Niederlanden, als durch die Kraft seiner Argumente und das innere Bedürfen der Brüder.
Denn den unruhigen Mann duldete es nicht lange in Straßburg. Im Jahre 1630 ging er rheinabwärts, seine neuen Ueberzeugungen in den Niederlanden zu verkünden.
Die Niederlande waren, wie wir gesehen haben, die Heimath des ketzerischen Kommunismus nördlich der Alpen. Aber ihre rasche ökonomische Entwickelung, welche diesen gebar, zeitigte auch frühzeitig den gefährlichsten Feind desselben, eine starke öffentliche Gewalt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war in den Niederlanden das Fürstenthum weit mächtiger und absoluter als im benachbarten Deutschland.
Die siebzehn Provinzen der Niederlande waren durch das burgundische Haus und, nach dessen Erlöschen (1477), durch dessen Nachfolger, die Habsburger, aus den verschiedensten Händen durch Erbschaft, Kauf und Eroberung zu einem Ganzen vereinigt worden. 1504 aber gelangten die Habsburger auch auf den Thron Spaniens, wo der Absolutismus bereits gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Namentlich die Kirche war dort in die größte Abhängigkeit vom Königthum gebracht, die Inquisition, die nirgends eine so furchtbare Macht übte wie in Spanien, ein blindes Werkzeug des Absolutismus geworden, das alle widerspenstigen Elemente im Zaum hielt. Aber auch nach außen war die Macht des spanischen Königthums damals so gewaltig, daß es den Kampf mit Frankreich um Italien und die Beherrschung des Papstthums aufnehmen konnte. Die Habsburger, die als Beherrscher ihrer österreichischen Gebiete, welche von den Türken bedroht wurden, und als Kaiser von Deutschland, deren Macht die evangelischen Fürsten untergruben, auf die Erhaltung des Katholizismus angewiesen waren, hatten namentlich alle Ursache, ihn zu stützen als Könige von Spanien. Die katholische Kirche war eines ihrer wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Machtmittel geworden. [73]
Sie traten daher dem Protestantismus allenthalben entschieden entgegen, aber sie konnten das in den Niederlanden mit mehr Nachdruck thun als in Deutschland. Karl, als deutscher Kaiser der Fünfte seines Namens, vereinigte 1516 die Herrschaft über die Niederlande mit der Beherrschung Spaniens. Neben den Machtmitteln, welche ihm die hochentwickelte öffentliche Gewalt in den Niederlanden bot, standen ihm nun auch die Machtmittel zu Gebote, welche die spanische Krone lieferte, um jede Opposition in einem seiner Erblande zu erdrücken. Ohne die alten Verfassungsformen äußerlich anzutasten, nahm er ihnen jeglichen Inhalt, soweit sie politische Freiheiten enthielten. Jenes absolutistische Regiment, das unter Philipp II. so furchtbare Formen angenommen hat und das später in einem blutigen fast hundertjährigen Krieg (1568–1648) und auch da nur für einen Theil der Niederlande beseitigt werden konnte, es wurde von Karl V. begründet und wo es nothwendig erschien, bereits mit aller Rücksichtslosigkeit zur Geltung gebracht. Trotzdem hat die herkömmliche liberale Geschichtschreibung die ganze Wucht sittlicher Entrüstung, die ihr zu Gebote steht, auf Philipp II. konzentrirt, dagegen Karl V. stets sehr glimpflich behandelt.
Der Grund davon ist sehr einfach. Die oberen Klassen der Niederlande, die Adeligen und die Kaufleute, befanden sich unter Karl V. Absolutismus sehr wohl. Denn dieser, in den Niederlanden geboren und erzogen, fühlte sich als Niederländer; er bevorzugte sie, wo er konnte. In seinen Diensten winkte dem niederländischen Adel Sold und Beute; und die niederländischen Kaufleute wurden den spanischen gleichgestellt und heimsten fette Profite aus der spanischen Kolonialpolitik ein„
Das sollte sich unter Karls Sohn Philipp ändern, der 1555 die Regierung antrat. Dieser war als Spanier erzogen. Die Interessen der herrschenden Klassen in Spanien waren aber mit denen der Niederlande unvereinbar. Man konnte nicht die Spanier befriedigen, ohne die Niederländer zu empören und umgekehrt. Karls niederländische Neigungen waren einer der Hauptgründe der Empörung der spanischen Städte 1522 gewesen [74]; Philipp verschloß die vortheilhaften Posten in seiner Armee und seiner Verwaltung ebenso wie die Kolonien den Niederländern und machte sie zu einem Monopol der Spanier oder, genauer genommen, der Kastilier. Das trieb die Niederlande zur Empörung.
Unter Karl V. hatten die oberen Klassen der Niederlande keine Ursache zu einer ernsthaften Opposition. Die unteren Klassen aber wurden unter ihm mit ebenso eiserner Faust niedergehalten wie unter seinem Nachfolger. und sie waren ohnmächtig, so lange es keinen großen Kampf unter den herrschenden Klassen gab. Das macht es erklärlich, warum das Heimathland des ketzerischen Kommunismus im ersten Jahrzehnt der deutschen Reformation anscheinend ein unfruchtbarer Boden für die kommunistische Propaganda blieb. Das ist ungemein auffallend angesichts der hohen ökonomischen Entwickelung, des zahlreichen Proletariats und der tiefgehenden Wirksamkeit, die das Beghardenthum entfaltet, und die nicht völlig vergessen sein konnte – erhielten sich doch die Brüder des gemeinsamen Lebens bis über die Reformation hinaus. Erklärbar ist diese Erscheinung nur durch den furchtbaren Druck, der auf den unteren Klassen lastete, und der ihnen nicht gestattete, ihre Position an den Tag zu legen. Aber kommunistische Tendenzen waren schon vor dem Auftreten Hofmann’s weit verbreitet.
Zu Ende des 15. Jahrhunderts wird von „waldensischen“ Geheimbündlern in Flandern und Brabant berietet, die „Turlupins“ oder „Pifles“ hießen, oft auch, das ist bemerkenswerth, Tisserands (Weber). „Sie waren streng von Sitten, wohlthätig gegen alle Menschen und kannten keine Rachsucht. Viele vereinigten sich mit den später auftretenden holländischen Taufgesinnten, die dadurch nicht wenig gekräftigt wurden.“ [75]
Die Täufer selbst haben frühzeitig ihre Propaganda bis nach den Niederlanden erstreckt, nach ihrer Tradition schon im Jahre 1524. Aus dem Jahre 1527 werden bereits drei Märtyrer für die Sache der „Brüder“ in Holland genannt.
Hofmann’s Bedeutung bestand nicht in der Einführung der Wiedertaufe in den Niederlanden, sondern darin, daß er den Täufern den Muth gab, mit ihren Anschauungen hervorzutreten. Diesen Muth flößte ihnen seine siegesgewisse Prophezeiung ein, daß das Ende der bestehenden Gesellschaft gekommen sei, daß es 1533 losgehen werde. Gefördert wurde seine Predigt jedenfalls durch Seuche und Noth, die seit 1529 herrschten, und durch die demokratische Bewegung in dem benachbarten Niederdeutschland, namentlich in Westfalen.
Bemerkenswerth ist es, daß die neue Sekte, die der Melchioriten – nach Melchior Hofmann so genannt – in den ökonomisch und politisch vorgeschrittensten Provinzen, in Flandern und Brabant, nicht rechten Fuß fassen konnte. Die Staatsgewalt war dort bereits zu mächtig und zu zentralisirt. Der Schwerpunkt der Bewegung fiel in die Städte der nördlichen Provinzen, die, ökonomisch und politisch rückständig, gerade dadurch ein höheres Maß städtischer Unabhängigkeit sich bewahrt hatten: Holland, Seeland, Friesland, dieselben Provinzen, denen es später, im Gegensatz zu Flandern und Brabant, gelang, sich von der spanischen Herrschaft loszureißen. In Amsterdam bildete sich die Hauptgemeinde. Es schreckte sie nicht, daß auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers, am 5. Dezember 1531, der Vorsteher der Gemeinde, Jan Volkerts, mit acht Genossen im Haag enthauptet und ihre Köpfe nach Amsterdam gebracht wurden, „wo man sie an einer weit sichtbaren Stelle, den ab- und zufahrenden Seeschiffen zum Anblick, an Stangen in einen Kreis zusammenstellte, den Prediger in der Mitte hoch über den Anderen“ (Cornelius). Die städtischen Behörden drückten den Sektirern gegenüber ein Auge zu. Amsterdam blieb ihr Mittelpunkt in den Niederlanden.
Kaum begannen die Melchioriten zahlreicher zu werden, so bildeten sich zwei Richtungen unter ihnen. An das baldige Kommen des neuen Jerusalem, der neuen Gesellschaft, glaubten sie natürlich Alle, aber gerade die Praktischeren unter ihnen mußten sich sagen, daß es von selbst, durch ein Wunder, nicht kommen werde, daß, um modern zu reden, das Proletariat sich selbst befreien müsse. Mit denselben Mitteln, erklärten sie, mit denen das Volk unterjocht werde, müsse es gegen seine Gegner kämpfen: mit den Waffen; das Schwert, welches die Gottlosen gegen das Volk Gottes ans der scheide gezogen haben, würde gegen ihr Herz gewendet werden.
So lehrte Jan Mathys ein Bäcker zu Harlem, der zuerst unter den Melchioriten für den gewaltsamen Weg eintrat. „Der Jan Mathys sei Derjenige, welcher erst den Gebrauch des Schwerts und der Gewalt wider die Obrigkeit eingeführt und gefordert habe,“ erklärte Johann von Leyden vor seinen Richtern, und in einem früheren Bekenntniß erzählt er von dem Zwiespalt, der sich zwischen Mathys und Hofmann entsponnen. [76]
Die Mathys’sche Lehre stand im schroffsten Widerspruch zu einem der wichtigsten Grundsätze der bisherigen täuferischen Lehre, den alle ihre Richtungen, so verschieden sie sonst sein mochten, bekannt hatten. Aber er war die natürliche Konsequenz des Chiliasmus, für den die Verfolgung wie in Süddeutschland, so auch in den Niederlanden, einen günstigen Boden geschaffen. Wer eine Bevölkerungsschicht zur Verzweiflung treibt, darf sich nicht wundern, wenn sie sich schließlich zur Wehre setzt. Auch das furchtsamste, friedliebendste Thier wehrt sich seines Lebens wenn es in die Enge getrieben wird. Die Mathys’sche Lehre wurde aber in den Niederlanden noch dadurch begünstigt, daß dort die Klassengegensätze bereits viel schroffer zugespitzt waren, als in der Heimath ds Täuferthums, in der Schweiz. In den Niederlanden findet man unter den Täufern fast gar keine Mitglieder der höheren Klassen. Die Bewegung war dort eine eminent proletarische, eine Bewegung von Elementen, die nichts zu verlieren hatten als ihre Ketten. Das mußte ihre Widerstandskraft und ihre Widerstandslust vermehren.
Es gelang Mathys, in der Gemeinde zu Amsterdam festen Fuß zu fassen. Durch Sendboten gewann er auch außerhalb dieser Gemeinde bald zahlreiche Anhänger. Deren Zahl wuchs in dem Maße, wie die Melchioriten sich mehrten. Unter ihnen war der weitaus hervorragendste der ebengenannte Johann Bockelson von Leyden. Seine Mutter, eine Leibeigene ans dem Münsterschen, hatte bei dem Schultheißen Bockel in Soevenhagen bei Leyden gedient und von ihm den Johannes geboren (1509). Später, nachdem sie sich losgekauft, heirathete sie Bockel. Johann lernte in Leyden das Schneiderhandwerk und erhielt eine dürftige geistige Ausbildung. Aber eine außerordentliche Begabung machte diesen Mangel wett. Schon früh nahm er an den Fragen, die seine Zeit bewegten, lebhaftesten Antheil; namentlich der schwärmerische Kommunismus interessirte ihn, denn er studirte Münzer’s Schriften. Seinen Blick erweiterte er durch große Wanderungen. Als Schneidergeselle zog er nach England, wo er vier Jahre blieb, und nach Flandern. Zurückgekehrt, betrieb er nicht sein Handwerk, sondern heirathete die Wittwe eines Schiffers und wurde Seemann. Als solcher besuchte er Lübeck und Lissabon. Aber er hatte kein Glück oder nicht den gehörigen Geschäftsgeist. Er wurde bankerott, gerade um die Zeit, an das Täuferthum in den Niederlanden aufkam. Der Lehre, die ihm seit jeher sympathisch gewesen, wandte er sich nun mit dem ganzen Feuereifer seiner Jugend zu. Denn so viel er auch gesehen und erfahren, er war noch nicht 25 Jahre alt, als er für Johann Mathys gewonnen wurde (im November 1533).
Schön, lebhaft, enthusiastisch, von hinreißender Beredsamkeit, gewann er leicht die Herzen. Besonders bemerkenswerth sind an ihm seine Lebenslust und seine Freude am Schönen, die ihn von der Masse seiner Genossen auffallend unterscheiden, welche einem finsteren Puritanismus huldigten. Darin ist er auch Thomas Münzer ganz unähnlich. Von Jugend auf hatte er poetisches Talent an den Tag gelegt, „Er hat auch Theaterstücke allerlei Art verfaßt, welche er, wie es dort gebräuchlich ist, auf den Schaubühnen vor allen Leuten, um Geld zu gewinnen,“ aufführen ließ, berichtet Kerssenbroick. Seine Neigung zum Theatralischen und sein Verständniß für Theatereffekte hat er auch in Münster bewiesen.
Indeß hat Kerssenbroick wenig Ursache, ihn als „Schneider“ und „Theaterkönig“ zu verhöhnen. Die Machthaber, deren ergebener Kerssenbroick war, haben vor dem Schneider und Theaterkönig gezittert, denn der Diktator von Münster verband mit seinen eben geschilderten Eigenschaften eiserne Willenskraft und durchdringenden Scharfsinn, die ihn zu einem gefürchteten Gegner machten.
Noch ehe Bockelson sich Johann Mathys anschloß, war dieser an die Spitze der niederländischen Melchioriten gekommen, denn Hofmann hatte Anfangs 1533 die Niederlande verlassen, um nach Straßburg zurückzukehren, da die Zeit für den Beginn des neuen Jerusalem gekommen war. Er werde gefangen genommen werden, war ihm prophezeit worden, ein halbes Jahr gefangen sitzen, dann aber werde der Erlöser kommen. Der erste Theil der Prophezeiung ging bald in Erfüllung. Schon im Mai ließ ihn der Rath verhaften. Aufs Höchste gespannt waren nun die Erwartungen der Brüder, mit fieberhafter Ungeduld sahen sie dem Zeitpunkt entgegen, der endlich, endlich aller Trübsal und aller Noth eine Ende machen sollte.
Die weiteren Theile der Prophezeiung wollten sich jedoch nicht erfüllen. Das Jahr 1533 ging seinem Ende entgegen und Alles blieb in Straßburg ruhig. Die Agitation Hofmann’s hatte vor Allem den Erfolg gehabt, den Rath zu energischerem Einschreiten gegen die Täufer anzustacheln. Alle zweifelhaften Elemente fielen von ihnen ab. Ihre Sache ging von da an in Straßburg zurück. [77] Aber gerade um diese Zeit erhielt der schwärmerische Enthusiasmus der „Brüder“ einen Anstoß, der ihn hoch auflodern ließ, „und durch die Gemeinden der Melchioriten rings in den Niederlanden verbreitete sich die Sage: der Herr habe Straßburg um seines Unglaubens willen verworfen und an seiner Statt Münster erwählt, das neue Jerusalem zu sein.“ (Cornelius).
Sehen wir zu, was sich inzwischen in Münster zugetragen.
Schon im Jahre 1532 machten sich täuferische und ähnliche Tendenzen in Münster bemerkbar. Im Laufe des folgenden Jahres, nach dem Vertrag vom 14. Februar, gewannen sie rasch an Entschiedenheit, Kraft und Verbreitung.
Der Rath war gespalten, denn die Wahl vom 3. März 1533 hatte eine Reihe entschieden demokratischer Elemente in denselben gebracht. Zu diesen zählte sogar der eine der beiden Bürgermeister, Hermann Tilbeck, ein Patrizier der Abstammung, ein guter Demokrat der Gesinnung nach, der später die Wandelung des radikalsten Theils der bürgerlichen Demokratie von Münster zum Täuferthum mitmachte.
Ebenso gespalten,. schwankend und unsicher wie der Rath, waren die Gilden. Sie wußten, daß Bischof und Klerus nur auf eine günstige Gelegenheit lauerten, die Herrschaft über ihre Ausbeutungsobjekte wieder zu gewinnen. Aber ein Theil des zünftigen Bürgerthums fing an, Angst vor den Besitzlosen zu empfinden, die vor keinem Privilegium und keinem Besitz Halt machen wollten, auch vor keinem zünftigen. Es fragte sich, wer gefährlicher war, die Masse oder die Aristokratie. Diejenigen unter den bürgerlichen Demokraten, welche die Pfaffen- und Aristokratenherrschaft am meisten fürchteten, blieben der Allianz mit den proletarischen Elementen treu; andere schlossen sich an die Lutheraner, ja an die Katholiken in der Stadt an, die große Masse der zünftigen Elemente schwankte haltlos hin und her, einzig bemüht, keine der anderen Parteien übermächtig werden zu lassen.
Diese Verhältnisse waren den Täufern in ihren Anfängen sehr günstig, sie hinderten den Rath an jeder entschiedenen Aktion gegen sie. Und die Täufer waren nicht müßig, die gute Gelegenheit auszunützen. Ihr Eifer in der Propaganda ließ nichts zu wünschen übrig. Aber ihre Zahl mehrte sich nicht nur durch Zuwachs an Proselyten, sondern, und das ist höchst bemerkenswerth, durch Zuzug von Emigranten, zunächst aus den benachbarten Gegenden – zuerst aus dem Jülichschen – dann aber auch von fernerher, namentlich ans den Niederlanden. Die Zuzügler kamen, theils vor Verfolgungen flüchtend, theils durch Thatenlust getrieben, denn in Münster waren die Brüder nicht nur weniger gefährdet als anderswo, es boten sich dort auch bessere Aussichten, für die gute Sache zu wirken. Diese Emigranten sind für die Entwickelung der Dinge in Münster äußerst wichtig geworden. Ein Augenzeuge, Gresbeck, schreibt ihnen den Hauptantheil an dem Sieg der Wiedertaufe und den Vorgängen in Münster unter dem kommunistischen Regime zu. Er spricht von den entschiedenen Wiedertäufern in der Stadt in der Regel nicht anders, als von den „Holländern und Friesen.“ [78]
Die Zuzügler gehörten zu den kühnsten und thatkräftigsteh Elementen der Partei, sie boten den Täufern in der Stadt einen bedeutenden moralischen und auch militärischen Rückhalt.
Die „Ordnungsparteien“ dagegen, um die Gegner der Täufer kurz zu bezeichnen, schrumpften von Tag zu Tag mehr zusammen. Denn blasse Furcht hatte die Wohlhabenden ergriffen, und jeder Fortschritt der Demokratie jagte einige von ihnen in die Flucht.
Gut wird dieser Prozeß geschildert in einem katholischen niederdeutschen Gedicht aus dem Jahre 1534, Der Monsterschen Ketzer Bichtboek. Da heißt es unter Anderem (wir zitiren im Originaldialekt, durch eine Uebersetzung würden die Verse zu sehr verlieren):
„De geistlichen worden von allen weltlichen binnen Munster gehatet, |
Der Dichter predigte eine wohlfeile Weisheit. Sicherlich wäre jede, auch nur vorübergehende selbständige Regung des Proletariats unmöglich gewesen – und sie wäre es auch heute noch für einige Zeit in den meisten Ländern –, wenn die Besitzenden fest zusammengehalten hätten. Aber zum Glück für das Proletariat verfallen die Besitzenden in verschiedene Klassen mit sehr verschiedenen und oft gegensätzlichen Interessen, und die Klassenkämpfe der Besitzenden untereinander sind bisher stets wichtige Momente in der Entwickelungsgeschichte des Proletariats gewesen. Freilich, so oft das Proletariat angefangen hat, gefährlich zu werden, neigten auch die besitzenden Klassen die Neigung, sich zusammenzuschließen und „eine reaktionäre Masse“ zu bilden. Aber jede dieser Klassen suchte dabei einen Sonderprofit für sich herauszuschlagen, und sie konnten bei ihrem Zusammenwirken ein gewisses Mißtrauen nie überwinden, denn wie jede die Bundesgenossen betrügen wollte, so fürchtete auch jede, von ihnen betrogen zu werden. Selbst als Münster in die Hände der Täufer gefallen war, schloß sich die edle Gesellschaft nur schwer zu einer festen Masse zusammen.
In demselben Maße aber, in dem die Anfänge eines „Ordnungsbreies“ sich bildeten, sahen die entschiedeneren bürgerlich demokratischen Elemente unter der Führung Rothmann’s und Knipperdollinck’s sich genöthigt, sich enger an die proletarischen Elemente anzuschließen. Sie wandten sich der Wiedertaufe zu. Noch im Jahre 1532 hatte Rothmann, damals Zwinglianer, die Wiedertaufe bekämpft. Am 6. September dieses Jahres schrieb er an Busch:
„Ich habe bereits mit den Wiedertäufern zu schaffen gehabt, welche uns zwar auf eine Zeit lang verlassen, aber gedroht haben, sie würden mit größerer Kraft zurückkommen. Aber ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein?“ [80]
Im Mai des folgenden Jahres bekannte sie Rothmann bereits als Gegner der Wiedertaufe.
Der Rath versuchte, die Täufer mit „geistigen Waffen“ zu überwinden. Er veranlaßte Melanchthon, an Rothmann zu schreiben, damit er ihn zum wahren Glauben zurückführe. Als dieser und ähnliche Briefe nichts fruchteten, veranstaltete er eine Disputation am 7. und 8. August 1533, welche natürlich die Täufer auch nicht bekehrte, eher ermuthigte.
Nun zog der Rath schärfere Saiten auf. Eine Reihe städtischer Prediger hatte sich den Täufern angeschlossen. Der Rath drohte ihnen (im September) mit Amtsentsetzung und Ausweisung, wenn sie sich weigerten, Kinder zu taufen. Sie erwiderten (17. September), man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Darauf suchte der Rath seine Drohung zu verwirklichen. Vor Allem wurde Rothmann des Predigtamts an der Lamberti-Kirche entsetzt. Aber die Haltung der Gemeinde war so drohend, daß der Rath ihm im Oktober eine andere Kirche einräumte: die Täufer hatten ihren ersten Triumph errungen.
Zu einer zweiten Kraftprobe kam es Anfang November. Der Rath machte jetzt den Versuch zur Bildung einer „reaktionären Masse.“ Er lud die Gildenmeister und die katholischen Patrizier zu einer gemeinsamen Besprechung darüber ein, wie man der täuferischen Elemente Herr werden könnte. Man einigte sich zu einem bewaffneten Handstreich gegen diese, der schon am folgenden Tage vollzogen werden sollte.
Die Ordnungselemente sammelten sich gewaffnet und suchten sich zunächst der täuferischen Prediger zu bemächtigen. Nun aber forderten einige extreme Reaktionäre, wahrscheinlich Katholiken, mit den Predigern sollten auch die demokratischen Mitglieder des Rathes, die mit den Täufern sympathisirten, aus der Stadt gejagt werden, vor Allen der Bürgermeister Tilbeck. Davon war auf Tage vorher keine Rede gewesen. Das machte die mittelparteilichen Ordnungselemente stutzig, sie begannen ihren Genossen zu mißtrauen. Inzwischen hatten sich aber die Täufer gesammelt und auf dem Lamberti-Kirchhof verschanzt; ihre Gegner wagten es nicht, sie dort anzugreifen. Der Rath knüpfte am nächsten Tage Verhandlungen mit ihnen an, und die Aktion, die mit der Zersprengung der Täufer endigen sollte, endigte mit einigen geringfügigen Konzessionen, die sie machen mußten. Einige ihrer Prediger wanderten aus, Rothmann durfte nicht menr predigen, blieb aber in der Stadt. Die öffentliche Propaganda ward ihnen untersagt, aber man mußte sich dazu bequemen, die Täufer selbst in der Stadt zu behalten. Sie hatten sich auch in diesem zweiten, weit gefährlicheren Sturme behauptet.
„Rothmann,“ berichtet Kerssenbroick, „obgleich ihm in dem Vertrag (vom 6. November) die Erlaubniß, öffentlich zu predigen, war genommen worden, hörte doch nicht auf, anfangs heimlich und zur Nachtzeit, hernach aber, als sein Anhang sich sehr vermehrt hatte, auch bei Tage, in den Häusern einiger Bürger die Wiedertaufe zu predigen. Die Zeit der Predigt wurde durch einen Flintenschuß angezeigt und wurden keine Anderen, als die von der Wiedertäuferei angesteckt waren, zugelassen.“ (I., S. 453)
Neben dieser mündlichen wurde auch eine Propaganda durch gedruckte Flugschriften betrieben. Man richtete in Rothmann’s Hause eine geheime Druckerei ein, die später von der Behörde entdeckt wurde.
Auch all die Durchführung des Kommunismus schritt man bereits. Die Reichen unter den „Brüdern“
„legten all ihr Geld zu den Füßen Rothmann’s nieder, zerrissen und verbrannten alle Schuldverschreibungen, die sie besaßen und erließen ihren Schuldnern ihre ganze Schuld; und dieses thaten nicht allein Männer, sondern auch Frauen, die sonst nichts wegzuwerfen pflegen. Denn die Brandsteinin, Knipperdollinck’s Schwiegermutter, eine sehr reiche Frau, wurde von dem Geiste Gottes dergestalt getrieben, daß sie ihren Schuldnern ihre Schuldbriefe sammt den bereits erhobenen Zinsen wieder zustellte.“ [81]
Ein derartiger selbstloser Enthusiasmus mußte die Massen mächtig bewegen. Bald waren die Täufer so stark, daß sie ihren Gegnern offen trotzen konnten. Am 8. Dezember begann der Schmiedegesell Johann Schröder öffentlich die täuferischen Lehren zu predigen. Am 15. ließ ihn der Rath verhaften, aber die Schmiedezunft rottete sich zusammen, zog zum Rathhaus und erzwang seine Freilassung. Rothmann wurde ausgewiesen, er blieb aber ruhig und unangefochten in der Stadt. Zu Ende des Jahres kehrten auch die im November ausgewanderten Prediger wieder zurück. Am 15. Januar 1534 wies sie der Rath abermals aus. Die Stadtknechte führten sie bei dem einen Thore hinaus, aber die Brüder brachten sie bei einem anderen wieder herein ohne daß der Rath es zu hindern wagte. Die Täufer waren thatsächlich bereits Herren der Stadt.
Kein Wunder, daß die Brüder allenthalben nun erkannten, Straßburg sei von Gott verworfen worden, in Münster werde das wahre neue Zion erstehen. Das Zentrum der Bewegung im Norden – heute würde man sagen, die Parteileitung – wurde von Amsterdam dorthin verlegt. Johann Mathys, der neue Prophet und Nachfolger Hofmann’s in der Führerschaft der Melchioriten, sandte im Beginn des Januar eine Reihe von Sendboten dahin, darunter Johann Bockelson von Leyden, der am 13. Januar ankam. Im Februar finden wir auch Mathys selbst in Münster.
Die Ordnungspartei war in voller Verzweiflung. Sie sah nur noch eine Möglichkeit, der anschwellenden kommunistischen Fluth einen Damm entgegenzusetzen: sie warf sich dem Bischof in die Arme und verrieth ihm die städtische Freiheit, ein Vorgehen, das damals ungefähr ebensoviel bedeutete wie heutzutage Landesverrath.
Bischof Franz hatte von vornherein seinen feierlichen Vertrag mit der Stadt, in dem er ihr freie Religionsübung zusicherte, für einen werthlosen Wisch Papier gehalten, den er bei der ersten besten Gelegenheit zerreißen werde. Je demokratischer die Stadt wurde, desto mehr gelüstete es ihn nach dein Vertragsbruch. Schon im Dezember 1533 hatte er begonnen, sich zu rüsten, um die Münstersche Demokratie zu überfallen und niederzumetzeln. Das verrätherische Vorgehen der städtischen Ordnungspartei kam ihm nun höchst gelegen.
„Als nun mein gnädiger Herr von Münster gesehen,“ schreibt Gresbeck, „daß sich die Wiedertäufer in der Stadt Münster nicht wollten rathen lassen und nach des Bischofs Gnade nicht fragten, da kam er mit dem Rath der Stadt Münster und einem Theil anderer Bürger, die nicht mit der Wiedertaufe hielten, überein, daß sie dem Bischof von Münster zwei Thore öffnen sollten, unser lieben Frauenthor und das Judenfeldertnor. So wurden dem Bischof die Thore geöffnet, daß er in die Stadt 2–3.000 Bauern und ein Theil Reiter zu Pferde hineinbekam, so daß mein gnädiger Herr von Münster die Stadt inne hatte.“ [82]
Es war dies am 10. Februar. Mit den bischöflichen Reisigen, die so mitten im Frieden verrätherischerweise die Stadt überfielen, vereinigten sich die „gutgesinnten Bürger,“ die sie erwartet hatten, und Harnische unter den Kleidern trugen. Auch hängten sie nach der Verabredung Strohkränze vor ihre Häuser, damit diese bei der erwarteten Plünderung von den Vertheidigern des Eigenthums verschont blieben.
Die Verschworenen hatten anfangs Glück. Es gelang ihnen, sich Knipperdollinck’s und einiger anderer Wiedertäufer zu bemächtigen und sie gefangen zu setzen. [83]
Aber schnell sammelten sich die überraschten Täufer und sie bewiesen, daß in ihnen der Geist der kriegerischen Richtung des Johann Mathys lebte. Sie gewannen im Straßenkampf die Oberhand, die bischöflichen Truppen zogen sich zurück und boten die Hand zu einem Vergleich, und „mit kloickheit und behendigkeit kriegen sie (die Täufer) die buren und ruetters wieder uth der stat.“ (Gresbeck) Der Verrath hatte sich gegen die Verräther selbst gekehrt und dahin geführt, daß die Stadt, die moralisch schon den Täufern gehört hatte, nun auch militärisch in ihrer Macht war. Nicht in aggressivem Aufruhr, sondern in der Nothwehr eroberten sie Münster.
Der Kampf vom 10. Februar hatte zwei Folgen. Zwischen der Stadt und dem Bischof herrschte fortan Kriegszustand. Am 23. rückte Franz mit seinen Truppen in Telgt ein, um die Belagerung zu betreiben. An demselben Tage fanden in Münster die gesetzlich vorgeschriebenen Magistratswahlen statt.
Ohne daß die Wahlordnung im Geringsten geändert worden wäre, fielen die Wahlen völlig im täuferischen Sinne aus. Knipperdollinck und Kippenbroick, ein Tuchmacher, der sich bereits mehrfach in der täuferischen Sache ausgezeichnet, wurden Bürgermeister von Münster. „Die Führer der Bewegung waren mithin auf gesetzlichem Wege zur höchsten Macht emporgestiegen und die Hauptstadt Westfalens lag den neuen Propheten zu Füßen.“ (Keller)
Nun begann nach der herkömmlichen bürgerlichen Darstellung eine wahnsinnige Orgie der Wollust und des Blutdurstes. Das ist die allgemeine Darstellung seit der Zeit der Münsterschen „Kommune“ bis auf unsere Tage.“ „Als sie die Stadt in ihre Gewalt bekommen,“ schrieb Bischof Franz in einem amtlichen Bericht, „haben sie alle göttliche, christliche Ordnung und Recht, geistlich und weltlich Regiment und Polizei ganz zu Grunde gerichtet und ein viehisch Leben angestellt.“
Und der jüngste „wissenschaftliche“ Vernichter der Sozialdemokratie, der anonyme Verfasser der Schlaraffia politica [84] erzählt schaudernd:
„Münster war der Schauplatz gemeinster Unzucht und blutigster Metzeleien geworden ... So war ein Reich gegründet, daß den Kommunismus und die Polygamie verwirklichte, ein Regiment, in dem geistlicher Hochmuth und fleischliche Sinnenlust, fromme Hingebung und Selbstaufopferung mit blutdürstiger Rohheit und niedriger Genußsucht aufs Widerlichste gepaart waren ... Wer die Geschichte dieser Bewegung kennt, wird Schilderungen wie im Himmel auf Erden von Gregorovius nicht für ein übertriebenes Sammelsurium von Gräßlichkeiten und Gemeinheit halten. Die Schandthaten, derem Opfer die Frauen von Münster wurden, die Neronischen Ausschweifungen und Grausamkeiten Johann’s von Leyden und seiner Genossen sind die historische Illustration dazu.“
Aber, meint der fromme Mann mit Sudre, seinem Vorläufer in der Geschichtschreibung des Sozialismus, die Wiedertäufer glaubten wenigstens an Gott und die Unsterblichkeit.
„Die Erueuerer ihrer Lehren in unserer Zeit fügen zu ihren Irrthümern die Leugnung der Gottheit und jener Begrife und versenken den Menschen in groben Materialismus. Was soll man, wenn man dies erwägt, von der Verwirklichung moderner Utopien erwarten? Die Saturnalien von Münster würden ohne Zweifel noch überboten werden.“ (S. 68–70.)
Das ist die Tonart aller bürgerlichen Darstellungen der Münsterschen „Kommune.“
Aber der Schluß der zitirten Ausführungen des anonymen Sozialistentödters zeigt uns ihren Pferdefuß! Den Münsterschen Kommunisten gegenüber konnte die bürgerliche Geschichtschreibung niemals unbefangen sein. Sie gelten heute noch ebensosehr wie zu ihrer Zeit nicht als Objekte wissenschaftlicher Forschung, sondern als Todfeinde, die nach ihrer physischen Ueberwindung auch noch moralisch zu vernichten sind, und in denen man heute auch die Sozialdemokratie zu treffen wähnt.
Wohl aber ist es vom Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus möglich, an das Münstersche Gemeinwesen völlig unbefangen heranzutreten, noch unbefangener, als an die meisten bisherigen Erscheinungsformen des Kommunismus. Nicht nur ist der ketzerische Kommunismus, auch der der Wiedertäufer, grundverschieden vom modernen Sozialismus, wir wissen auch, daß das neue Jerusalem in Münster nicht einmal typisch ist für das Wiedertäuferthum im Besonderen, geschweige denn für den Kommunismus im Allgemeinen. Wenn Jemand das Bedürfniß fühlt, aus den Resultaten, die das Wiedertäuferthum in Münster gezeitigt, den Schluß zu ziehen, daß der Kommunismus nothwendig zu Grausamkeit und Blutdurst führt, dann können wir ihn das Beispiel der Wiedertäufer selbst entgegenhalten, der Wiedertäufer dort, wo man ihnen gestattete, sich ruhig zu entwickeln, in Mähren.
Vom Standpunkte des modernen Sozialismus kann man daher an das Münstersche Reich mit dem Bewußtsein herantreten, daß, wie immer das Urtheil darüber ausfallen mag, unsere heutigen Bestrebungen dadurch nicht berührt werden. Wir haben den Münsterschen Kommunisten gegenüber nur ein Bedürfniß, sie zu begreifen, die Wahrheit über sie zu erforschen.
Wir halten es für nöthig, dies hier zu bemerken.
Von den bisher betrachteten Erscheinungen des Kommunismus hatte jede wenigstens bei dem einen oder anderen Vertreter der bürgerlichen Wissenschaft unbefangene Würdigung gefunden: so, um nur die den Münsterschen zunächststehenden Richtungen zu nennen, Thomas Münzer bei Zimmermann, die süddeutschen und mährischen Wiedertäufer bei Keller, Beck, Loserth und Anderen. Das erklärt sich wohl dadurch, daß alle diese Erscheinungen in der Geschichte des Kommunismus entweder höchst harmloser, friedfertiger Natur waren, oder aber im Gefolge einer bürgerlich-demokratischen Bewegung auftraten, als deren Bundesgenosse dienten. So zog z. B. Münzer seine Kraft und seinen Einfluß vornehmlich aus seiner Bekämpfung der Fürstenmacht. Als Kommunist erreichte er nicht viel, wie uns Mülhausen gezeigt hat. In Münster dagegen tritt der Kommunismus als selbständige, herrschende, revolutionäre Macht auf – zum ersten Mal in der Geschichte. Dieser Erscheinung gegenüber versagt die bürgerliche Unbefangenheit. Und doch wäre gerade hier die äußerste Unbefangenheit geboten, angesichts des Zustandes der Quellen.
Münster war seit dem entscheidenden Sieg der Täufer vom 10. Februar eine belagerte, von der Außenwelt abgeschnittene Stadt. Nachdem sie erobert worden, wurde fast die ganze Einwohnerschaft niedergemetzelt. Kein Vertreter des Täuferthums entkam dem Blutbad, der im Stande gewesen wäre, eine literarische Darstellung der Vorgänge in der Stadt während ihrer Belagerung zu geben. Sämmtliche Darstellungen derselben rühren von Gegnern her. Nun braucht man sich blos zu erinnern, in welch unverschämter Weise über die Pariser Kommune gelogen wurde, über die Sozialdemokratie heute noch allenthalben gelogen wird, trotzdem diese über eine ausgedehnte Presse und parlamentarische Vertreter verfügt, die im Stande sind, jeder falschen Mittheilung öffentlich entgegenzutreten, dazu kann man sich denken, welchen Glauben die vorhandenen Berichte über den „Aufruhr“ verdienen.
Sehen wir uns die drei Hauptquellen an. Gleich nach dem Fall Münsters erschien eine Schrift: Wahrhaftige historie, wie das Evangelium zu Münster augefangen und darnach, durch die Widderteuffer verstöret, widder aufgen hat. Dartzu die gantze handlung derselbigen buben vom anfang bis zum ende, beides in geistlichen und weltlichen Stücken, vleißig beschrieben durch Henricium Dorpium Monasteriensem, 1530. Zu seiner Abhandlung „über die Quellen der Geschichte des münsterischen Aufruhrs,“ welche die Einleitung zu den von ihm herausgegebenen Berichten der Augenzeugen bildet, charakterisirt Cornelius diese Schrift folgendermaßen: „Sie ist eine Wittenbergische Parteischrift, zu Wittenberg gedruckt, von Luther’s Hauptgehilfen und Sendboten für Niederdeutschland, Johann Bugenhagen mit einer Vorrede eingeleitet ... Des Buches Absicht ist, die vollkommene moralische Niederlage der Gegner vor aller Augen zu stellen und im eigenen Partei-Interesse auszubeuten.“ (S. XVI, XVII) Schon der Titel enthält eine arge Flunkerei. Cornelius weist nach, daß der Verfasser, wenn er wirklich Dorpius heißt, nicht, wie er von sich sagt, aus Münster stammte, und daß er „sich in dem Buch den falschen Schein giebt, als sei er selbst in Münster gewesen und habe das aus eigener Erfahrung, was ihm nur sein Berichterstatter mitgetheilt hat.“ Also ein Schwindler, dessen „Buch als eine wahrhafte und befriedigende Erzählung des ganzen Hergangs nicht zu betrachten ist.“ [85]
Viel wichtiger ist das bereits mehrfach zitirte Werk Kerssenbroick’s über das Wiedertäuferreich von Münster. Das lateinische Original ist Manuskript geblieben. Als es 1573 in Druck gehen sollte, verbot der Münstersche Stadtrath die Herausgabe. Das Werk hat sich nur in Abschriften erhalten. 1771 erschien eine Uebersetzung, die wir benutzt haben. Kerssenbroick, 1520 geboren, war 1534 bis zum Sieg der Wiedertäufer in Münster an der Domschule, später, 1550–1575, Rektor an derselben Schule. Als solcher verfaßte er seine Geschichte, die wichtig ist durch die zahlreichen Aktenstücke, die sie mittheilt. Aber unkritisch und leichtfertig seinen Quellen gegenüber, ist er überdies voller Parteilichkeit. Folgende Stelle ans seiner Vorrede genügt: Er erklärt, er habe nicht aus Ruhmsucht geschrieben, „sondern um meinem Vaterlande und der Nachwelt zu dienen, damit nicht die glänzenden Thaten vergessen werden, die der in Christo hochwürdigste Graf und Herr, Franz, dieser rechtschaffene Bischof der Münsterischen Kirche und Zweig des alten gräflichen Waldeckischen Stammes zur gänzlichen Ausrottung der grausamsten und schändlichsten Ketzerei ... verrichtet hat. Ferner theile ich darum der Welt diese Geschichte mit, damit alle Rechtschaffenen die entsetzliche und schändliche Raserei der Wiedertäufer ... meiden und verabscheuen mögen.“ Er selbst giebt also als seinen Zweck nicht eine objektive Darstellung, sondern eine Verherrlichung des Bischofs und Herunterreißung der Wiedertäufer an. Demgemäß wird Jener erhoben, wo nur möglich, Alles verschwiegen, was einen Schatten auf ihn werfen könnte. Dagegen fischt der Autor gierig nach dem erbärmlichsten Klatsch über die Wiedertäufer, wenn er ihnen ungünstig ist, und nimmt ihn unbesehen, ja womöglich noch übertrieben in sein Werk auf.
Nur ein Beispiel. Er erzählt:
„Um eben diese Zeit (Anfang Februar) rief der Prophet Johann Mathys, ein äußerst wollüstiger Man, die Wiedergetauften beiderlei Geschlechts in das Haus Knipperdollinck’s, welches ziemlich geräumig war, zur Nachtzeit heimlich zusammen. Und wenn die Versammlung beieinander war, stellte sich der Prophet in die Mitte des Hauses unter (vor?) einen kupfernen Leuchter, der an dem Boden befestigt war und worauf drei Wachslichte brannten, lehrte die herumstehende Menge und setzte das in den Herzen Vieler glimmende Feuer durch seinen prophetischen Geist in volle Flamme. Dann erklärte er das 1. Kapitel des 1. Buches Mosis, und wenn er die Worte des 28. Verses: ‚Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet die Erde,‘ abgelesen hatte, wurden die Lichter ausgelöscht. Was für Schandthaten alsdann sind verübt worden, kann man daraus entnehmen, daß man den Propheten einmal in dem Schooß eines Mädchens auf ein unanständige Weise liegen gefunden hat. Diese Zusammenkunft nannten sie die feurige Taufe. Und dieses ist keine Erdichtung. Denn da man hin und wieder in der Stadt der feurigen Taufe Erwähnung that, Niemand aber wußte, was das heiße, ließ sich ein gewisses Weib durch ein sehr kleines Geschenk von meinem Wirth Wesseling bewegen, solches auszuforschen. Diese Frau schlich sich, nachdem sie den Wahlspruch der Wiedertäufer erfahren hatte, in das oben erwähnte Haus ein, sah alles mit an und erzählte es uns wieder.“ (I., S. 504)
Das genügt unserem biederen Rektor, uns bestimmt zu versichern, seine Erzählung von der Feuertaufe sei „keine Erdichtung!“ Man bedenke: Ein beliebiges Frauenzimmer erzählt, ein Trinkgeld zu erhaschen, ein beliebiges Geschichtchen dem Hauswirth, bei dem Kerssenbroick als Junge von vierzehn Jahren lebte. Dieser schreibt das Geschichtchen ein Menschenalter später nach der Erinnerung nieder und verlangt von uns, einzig auf dieses ganz untrügliche Zeugniß hin, den Wiedertäufern die zügelloseste Bordellwirthschaft zuzuschreiben. und die gewissenhaften Historiker schreiben diesen Weiberklatsch – wenn nicht Schlimmeres – gewissenhaft ab, denn auf diese Weise wird der Kommunismus „wissenschaftlich“ vernichtet!
Daß die Münsterschen Wiedertäufer in einer besonderen Schrift alle derartigen Anschuldigungen für „erstunken und erlogen“ erklärten – wir kommen noch darauf zurück –, scheint Keiner bemerkt zu haben, und ebenso wenig die Thatsache, daß Kerssenbroick selbst an anderer Stelle den Puritanismus der Wiedertäufer hervorhebt.
„Hierauf (nachdem er zu den Täufern übergegangen) nahm Rothmann, weil er sich vorgenommen hatte, die Lehre der Wiedertäufer auszubreiten, ganz andere Sitten an und äußerte eine größere Heiligkeit und Gottesfurcht als vorher. Er entsagte allen Gastereien, allem wollüstigen Umgang mit dem anderen Geschlecht, mit einem Worte Allem, was ihn in den Verdacht der Leichtfertigkeit bringen konnte ... Damit aber mit diesen Sitten seine Lehre übereinkommen und das Volk zu Werken der Barmherzigkeit erweckt werden möge, so rief er in allen seinen Predigten, man müsse enthaltsam leben, sich der erworbenen Güter gemeinsam bedienen, sich gegenseitig Dienste leisten u. s. w.“ (I., S. 429.)
Das ist ganz das Bild des typischen Wiedertäufers und ketzerischen Kommunisten überhaupt, das wir so vielfach schon kennen gelernt haben. Diese Darstellung ist jedenfalls richtig; aber wie stimmt sie zu der mitgetheilten Orgie ?
Der anonyme Weiberklatsch scheint Kerssenbroick noch besonders imponirt zu haben, denn er beruft sich ausdrücklich darauf, an Zeugniß dafür, daß er „keine Erdichtung“ erzähle, und es ist dies einer der wenigen Fälle, in denen er es für nöthig findet, zu erzählen, woher er seine Wissenschaft habe. Meist nennt er gar keine Quelle. Vielfach dürften diese also noch kläglicherer Art sein!
Weitaus die wichtigste unter den Quellen über das Wiedertäuferreich ist die schon einige Male zitirte Erzählung Gresbeck’s. [86] Dieser, ein Schreiner aus Münster, war im Februar 1534 nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, die er 1530 verlassen, und hatte sich den Täufern angeschlossen. Bis zum 23. Mai 1535 blieb er in der Stadt, er ist also im Stande, uns über die wichtigsten Vorkommnisse daselbst aus eigener Anschauung Aufschluß zu geben. Aber er schrieb einige Jahre, vielleicht acht bis zehn Jahre, nach dem Wiedertäuferreich, und er schrieb rein nur nach der Erinnerung, ohne jegliche Hülfsmittel und Stützen des Gedächtnisses. Daher mengte er auch häufig die Dinge durcheinander, und die Reinheit seiner Erinnerungen wird durch einen wichtigen Umstand getrübt: Gresbeck ist Derjenige, der Münster verrathen und die bischöflichen Landsknechte in die Stadt gebracht hat. Natürlich haßt er die von ihm Verrathenen, seine ehemaligen Genossen, noch mehr, als ihre offenen Gegner sie haßten. Er spricht von ihnen kaum je anders, als von „Bösewichtern“ und Buben. Das ist so Renegaten- und Verrätherart. Und ebenso natürlich sucht Gresbeck die Sache so zu drehen, als sei er ganz zufällig im Februar nach Münster gekommen – wo alle Welt voll davon war, daß die Stadt den Täufern gehöre! [87] – und habe sich blos unter dem Einfluß des Schreckens ihnen angeschlossen. Das Schreckensregiment wird also so kraß als möglich gemalt. Damit erreicht Gresbeck nicht nur, daß er selbst als schuldlos erscheint, sondern daß sein Verrath sogar zu einer höchst verdienstlichen That wird.
Das sind die wesentlichsten Quellen zur Kenntniß der Münsterschen Ereignisse; nur mit äußerster Vorsicht verwendbar, sind sie einer Geschichtschreibung in die Hände gefallen, die von vornherein das als bewiesen annahm, was diese Quellen beweisen wollten: daß der Kommunismus nothwendig Wahnsinn und Verruchtheit zeuge. Kein Wunder, daß unter dieser Geschichtschreibung das Wiedertäuferreich als etwas einfach Unbegreifliches sich darstellt, als ein Sammelsurium nicht nur von Gräßlichkeit und Gemeinheit, sondern von ganz sinnloser, zweckloser Gräßlichkeit und Gemeinheit.
Und doch bieten selbst diese Quellen die Möglichkeit, das Münstersche Wiedertäuferthum zu begreifen, wenn man nur an sie kritisch herantritt, sie mit den dürftigen Resten anderer gleichzeitiger Zeugnisse vergleicht und einerseits den Gesammtcharakter des ketzerischen Kommunismus, andererseits aber die besonderen Verhältnisse, die in Münster herrschten, im Auge behält.
Vor Allem darf man nicht vergessen, daß in Münster der Kriegszustand bestand, seitdem der Bischof es am 10. Februar überfallen hatte. Ein Krieg muß eine merkwürdig geringfügige Sache sein. Wie käme es sonst, daß „gutgesinnte“ Historiker, die mit so viel Scharfsinn auch den unbedeutendsten Umstand zu entdecken wissen, der auf die oft recht gleichgültigen Handlungen eines Monarchen Einfluß gehabt haben kann, fast regelmäßig vergessen, den Kriegszustand in Rechnung zu stellen, wenn es sich die Handlungen eines demokratischen oder gar kommunistischen Gemeinwesens handelt, das um seine Existenz kämpft. Man lese nur die herkömmlichen bürgerlichen Darstellungen der Erhebung der Pariser Kommune von 1871 oder der Schreckensherrschaft in der großen französischen Revolution!
Ebenso ist es den Wiedertäufern in Münster gegangen. Aber wenn man sie verstehen will, darf man an ihr Reich nicht den Maßstab des Friedenszustandes anlegen, sondern den einer belagerten, und zwar einer unter besonders erschwerenden Umständen belagerten Stadt. Denn für sie galt nicht das gewöhnliche Kriegsrecht; eine ehrenvolle Kapitulation war für sie ausgeschlossen. Die Belagerten hatten nur die Wahl zwischen dem Sieg und dem martervollsten Tod. Gegenüber Rebellen erscheint selbst die grausamste Strafe zu gelind. Das ist, wie Luther sagt, ein Liebesdienst, den ihnen die Fürsten erweisen. [88] Ziehen aber die Rebellen die Konsequenz des fürstlichen Blutdurstes, dann zeigen sie deutlich, welche Scheußlichkeiten die – Freiheit und Gleichheit gebiert. Das ist die Logik der „Leuchten der Wissenschaft.“
Neben dieser besonderen Situation, die zu Blutthaten reizte, ist in Betracht zu ziehen der Charakter des Jahrhunderts, welches eines der blutdürstigsten, vielleicht das blutdürstigste der Geschichte gewesen ist. Unsere bisherigen Ausführungen haben schon genügende Beweise dafür erbracht, die Fußnote hier bringt noch einige besonders bemerkenswerthe Beispiele. Die Wiedertäufer wußten insbesondere davon zu erzählen. Die friedfertigsten aller Menschen, waren sie systematisch allenthalben wie wilde Thiere gehetzt und den scheußlichsten Martern preisgegeben worden. Daß die Verzweiflung unter diesen armen Menschen schließlich eine Richtung aufkommen ließ, welche der Schafsgeduld überdrüssig wurde und zu gewaltsamem Widerstand rieth, ist nicht zu verwundern. Zu verwundern ist es nur, daß sie so lange brauchte, sich zu entfalten und daß sie stets nur einen Theil der Verfolgten umfaßte.
Jetzt hatte eine Reihe glücklicher Umstände den so grausam Mißhandelten eine feste Stadt in die Hände gespielt. Aber bereits bedrohte sie von außen völlige Ausrottung.
Wie handelten sie unter diesen Umständen?
„Am 27. Februar,“ berichtet unter nöthigen sittlichen Entrüstung Janssen, „begann die Schreckensherrschaft mit der Verkündigung des Befehls: alle Einwohner müßten entweder die neue Taufe nehmen oder die Stadt verlassen.“ Und er zitirt der Bischof von Münster, der sich in einem Schreiben darüber empört zeigt, daß man die „frommen Bürger“ in Armuth aus der Stadt jagte, und erklärte, „daß in keinen Landen, auch von keinen Unchristen, Türken oder Heiden, solche unerhörte, unmenschliche Grausamkeit vernommen worden sei.“ [89]
So groß ist die Entrüstung des katholischen Historikers darüber, daß er ganz vergißt, auch nur mit einem Wort zu erwähnen, daß der so zartfühlende Bischof um diese Zeit bereits Münster belagerte, ja daß er bereits am 13. Januar ein Edikt erlassen hatte, das seine Beamten beauftragte, jeden „Ungehorsamen und Rebellen“ gemäß dem kaiserlichen Edikt zu behandeln, das heißt umzubringen. Und dies Edikt wurde streng durchgeführt. Mit Behagen erzählt Kerssenbroick:
„Damit aber dem kaiserlichen Edikt und den Verordnungen des Rechts Genüge geschehe, wurden die hin und wieder in der Diözese sich aufhaltenden Wiedertäufer scharf gestraft. Denn um diese Zeit wurden fünf Wollbeckische Weiber und ein Mann im Wasser ersäuft. Zu Bewergern wurden vier Weiber zum Wasser und zwei Männer zum Feuer verurtheilt. Auch wurden viele vom Rothmann heimlich Wiedergetaufte zur verdienten Lebensstrafe gezogen.“ (I., S. 517)
Von alledem erfährt man bei Janssen nichts – und er ist darin ein Muster der herkömmlichen Darstellung –; wie diese, schweigt auch er natürlich davon, daß die Gegner der Wiedertäufer in der Stadt sich mit dem Bischof verschworen hatten, seinen Truppen am 10. Februar die Thore zu öffnen. Jetzt, nach dem Beginn der Belagerung, wurden diese mit dein äußeren Feind Verschworenen, nicht etwa hingerichtet, was dem Kriegrecht und dem guten Beispiel des Bischofs entsprochen hätte, sondern aufgefordert, die Stadt zu verlassen! Und das nennt man „Schreckensherrschaft!“ Welch’ elende Heuchelei!
Im Verlauf der Belagerung wurde ein strenges Regiment in der Stadt nothwendig. Eine Reihe von Hinrichtungen fand statt. Sieht man die Fälle an, die Kerssenbroick und Gresbeck erzählen, so betreffen sie stets Vergehen gegen die Sicherheit der Stadt: Einverständniß mit dem Feind, Vergehen gegen die Disziplin, Versuche zu desertiren oder die Bevölkerung zu entmuthigen. Kein Zweifel, eine Hinrichtung ist eine Grausamkeit, aber nicht grausamer als der Krieg. Und den hatten die Täufer wahrlich nicht gesucht. Er war ihnen aufgedrängt worden. Bei jeder Gelegenheit betheuerten sie ihre Friedensliebe. [90]
Ein „Schreckensregiment“ herrschte nicht blos in Münster, sondern auch im Machtbereich des Bischofs. Und der Vergleich zwischen Beiden fällt nicht zu Gunsten des Letzteren aus.
Der Bischof war der Angreifer, die Täufer die Angegriffenen. Der Bischof tödtete um seines Profits willen, die Täufer tödteten, um nicht selbst getödtet zu werden. Sie kämpften um ihr Leben. Und die Bischöflichen liebten es, die Täufer auf martervolle Weise zu Tode zu bringen, namentlich durch Ersäufen und Verbrennen. In Münster wurden die Verurtheilten nicht gequält. Es gab dort nur zwei Hinrichtungsarten, über die selbst das so humane 19. Jahrhundert nicht hinausgekommen ist, das Köpfen und das Erschießen.
Man hat einen besonderen Blutdurst darin gesehen, daß die Befehlshaber der Stadt, der „König“ Johann von Leyden und sein Statthalter Knipperdollinck, die Hinrichtungen eigenhändig vollzogen. Darin liegt eine grobe Verkennung des Fühlens und Denkens jener Zeit. Wenn die hohen Herren, denen damals in der Regel die Entscheidung über Leben und Tod eines Angeklagten zustand, den Verurtheilten nicht selbst tödteten, so geschah dies nicht aus humanen Bedenken, sondern deswegen, weil ihnen die ekle und schmutzige Arbeit gewerbsmäßiger Hinrichtung zu gemein erschien. Der Scharfrichter, dessen Handwerk das Hantiren mit Kadavern war, galt allenthalben als der verächtlichste der Menschen, dessen Umgang man ängstlich mied. Wenn nun die Führer der Bewegung in Münster das Henkersamt selbst übernahmen, so vollzogen sie damit einen beispiellosen Akt der Selbsterniedrigung, einen Akt, der nicht von Grausamkeit zeugt, sondern von einem hohen Gefühl der Gleichheit.
Daß dies „keine Erdichtung“ ist, mit Kerssenbroick zu reden, bezeugt dieser würdige Mann selbst, dem wir in diesem Punkte sicher trauen dürfen.
„Eben um diese Zeit,“ schreibt er, „übergab der Prophet und Mann Gottes Johann Bockelson, dem Knipperdollinck zum Schrecken der Uebelthäter das Schwert und belegte ihn vor der ganzen Versammlung mit dem Namen des Schwertführers. Denn da alles Hohe erniedrigt werden sollte und Knipperdollinck bisher Bürgermeister und das Haupt der Stadt gewesen sei, so sei es der Wille des Vaters, daß er nun das so gering geschätzte Amt des Scharfrichters verwalten solle.“ (I., S. 545)
Deutlicher kann man wohl nicht sprechen. Die Hinrichtungen, die der König eigenhändig vollzog, entsprangen demselben Prinzip, das ihn veranlaßte, bei den öffentlichen Mahlen mit der Königin die Menge zu bedienen. [91]
Für unser modernes Fühlen erscheint die Ausübung des Henkeramtes durch den „König“ und seinen Statthalter sicher sehr widerlich, aber die heutigen Anhänger der Todesstrafe haben am wenigsten Ursache, darüber die Nase zu rümpfen. Wer ein Todesurtheil billigt, aber davor zurückschaudern würde, es selbst zu vollziehen, der bezeugt damit seine Feigheit, Verzärtelung, Hochmüthigkeit oder Gedankenlosigkeit, auf keinen Fall aber eine Eigenschaft, auf die er Ursache hätte stolz zu sein.
Wo bleibt nun nach alledem die unerhörte, neronische Grausamkeit der Wiedertäufer? Sie zerstiebt wie Dunst, sobald man sie näher ansieht. Weit entfernt, besonders grausam zu sein, erwiesen sie sich vielmehr für ihre Zeit und für ihre besondere Situation als ungewöhnlich milde. Ihre Grausamkeit bestand darin, daß sie sich nicht geduldig hinschlachten ließen wie Schafe, allerdings ein unsühnbares Verbrechen in den Augen eines jeden „Gutgesinnten.“ Das Hinüberschießen ist ein hochzupreisender Liebesdienst, jeder Schuß herüber dagegen eine teuflische Bestialität!
Mit der Beschuldigung der Grausamkeit eng verschwistert ist die der Tyrannei: Münster zeige uns, wohin die Freiheit und Gleichheit des Kommunismus führe.
Wir haben gesehen, daß die Täufer in Münster auf vollkommen gesetzlichem Wege zur Herrschaft gelangt waren. Der Rath war aus Anhängern der Taufe zusammengesetzt. Aber eben weil die Wahl gesetzlich vor sich gegangen war, hatte sie innerhalb der Schranken stattgefunden, die das alte Wahlrecht festsetzte. Das aktive und passive Wahlrecht war beschränkt, nur die ansässigen Bürger waren im Rath vertreten. Die Proletarier ebenso wie die Emigranten, die der übrigen wehrhaften Bevölkerung, welche in der Stadt geblieben war, an Zahl ungefähr gleich gewesen sein sollen, und die an den Lasten des Kampfes ihren vollen Antheil trugen, fanden keine Vertretung im Rathe. Andererseits war die bürgerliche Behörde für Friedenszeiten eingerichtet und den Anforderungen nicht gewachsen, welche die Belagerung stellte.
Der Belagerungszustand hat stets eine Aufhebung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten und die unumschränkte Verfügung der Militärbehörden über Leben und Gut der belagerten Bevölkerung zur Folge gehabt, so sehr, daß das Wort „Belagerungszustand“ gleichbedeutend geworden ist mit der Beseitigung des gemeinen Rechtes und der politischen Freiheiten. Der Kommunismus hat bisher leider noch nicht das Wunderelixir erfunden, wodurch diese nothwendige Konsequenz des Belagerungszustandes überflüssig geworden wäre. Er konnte auch in Münster nicht verhindern, daß die Belagerung zur militärischen Diktatur führte. Wer das nicht deutlich die Verwerflichkeit des Kommunismus und die Verworfenheit der Kommunisten beweist, dem ist nicht zu helfen.
Neben dem Rath bildeten die Prediger eine Art Volksvertretung. Sie wurden von den einzelnen Kirchspielen gewählt und bei ihrer Wahl kam auch die unzünftige Bevölkerung zur Geltung. Außer dem sehr formlos betriebenen Gottesdienst beschäftigten die Prediger auch Fragen der Gesetzgebung und der Verwaltung. Sie waren es auch, welche (nach Mathys’ Tode) der Gemeinde die Einsetzung eines „Wohlfahrtsausschusses“ vorschlugen, dessen Mitglieder sie selbst ernannten – mit Zustimmung der Gemeinde.
„Da haben die Propheten und Prädikanten,“ erzählt Gresbeck, „wieder gedacht und wollten keine Obrigkeit haben in der Stadt Münster. Die Propheten, Prädikanten, Holländer und Friesen, die Bösewichter, die rechten Wiedertäufer, sie wollten allein Herrn sein. So haben sie gesetzt zwölf Aelteste, von den Weisesten, die gute Christen sein sollten, die sollten das Volk regieren und sollten ihm vorgehn, und die zwölf Aeltesten sollten die Gewalt haben in der Stadt. So haben sie die Bürgermeister und den Rath, den sie gesetzt hatten, abgesetzt, und alle Gilden und Aelterleute, so daß diese keine Obrigkeit mehr sein sollten.“ (S. 85.)
Kerssenbroick nennt unter den Aeltesten ausdrücklich drei auswärtige „Brüder,“ darunter einen Friesen, aber auch Mitglieder des alten Rathes, ja sogar einen der zwei Bürgermeister von 1533, den Patrizier Hermann Tilbeck, der, wie wir gesehen haben, von Anfang an mit den Täufern sympathisirt hatte.
Da die Täufer nicht klassisch gebildet waren, sondern nach der An aller ketzerischen Kommunisten und Demokraten im Alten Testament ihre literarische Grundlage suchten, nannten sie die Mitglieder des Ausschusses nicht etwa Senatoren, oder Direktoren, oder Diktatoren, sondern „die Aeltesten der zwölf Stämme Israels.“ Dieselben wurden mit unumschränkter richterlicher, gesetzgebender und adminstrativer Gewalt ausgestattet.
Aber das Wesen der Belagerung brachte es mit sich, daß die thatsächliche oberste Gewalt dem Kommandanten der Festung zufiel. Das war anfangs der Prophet Johann Mathys. Als dieser am 5. April 1534 bei einem Ausfall aufs Tapferste kämpfend gefallen war, trat Johann von Leyden an seine Stelle, die er auch, wie der Erfolg bewies, aufs Trefflichste ausfüllte.
Als Stadtkommandant und Befehlshaber der Kriegsmacht wurde er unumschränkter Herr der Stadt. Am 31. August geschah nach heftiger Beschießung ein großer Sturm auf die Stadt, der glücklich abgeschlagen wurde. Als nach diesem Erfolg auf Antrag des Goldarbeiters und Propheten Dusentschur, und im Einverständniß mit den hervorragendsten Täufern, Knipperdollinck, Tilbeck, Heinrich und Bernt Krechtinck (zwei Brüder, die im Februar zugewandert waren), Rothmann und den zwölf Aeltesten, diese ihre Gewalt vor der Gemeinde auf Johann von Leyden übertrugen, so bedeutete dies nur die Anerkennung eines thatsächlich schon bestehenden Zustandes. [92] Daß die Täufer für ihren Stadtkommandanten keinen passenderen Namen fanden als den eines Königs in Israel, liegt an ihrer schon bemerkteu einseitig biblischen Bildung. Fromme Seelen sollten ihnen das am allerwenigsten übel nehmen, und den königstreuen Historikern sollten jene Kommunisten, die sich einen König setzten, um deßwillen besonders sympathisch sein. Bei den in Frieden lebenden Wiedertäufern, zum Beispiel den mährischen, werden sie vergeblich nach der geringsten Spur monarchischer Tendenzen suchen.
Als guter General sorgte Johann von Leyden nicht nur für ausreichende Kriegsrüstung und Kriegsübung seiner Truppen, sondern auch für eine gute psychologische Verfassung der Bevölkerung. Um sie niederdrückender Unthätigkeit und den Beängstigungen der Belagerung zu entreißen, trachtete er darnach, sie zu beschäftigen und zu amusiren. Für Ersteren sorgte er durch Schanzarbeiten und das Abreißen überflüssiger Kirchen und alter Quartiere. Das berichtet Kerssenbroick, natürlich nicht ohne die Beigabe der üblichen Verdächtigung:
„Damit aber den Stadteinwohnern keine Zeit bliebe, an einen Aufruhr gegen den König zu denken, so haben sie (die Befehlshaber der Stadt) selbige beständig mit Arbeit belegt, und damit sie auch nicht zu muthwillig würden, ihnen weiter nichts als Brot und Salz zu essen gegeben. [93] Denn da sie zu der Zeit (Januar 1535) keine neuen Festungswerke anzulegen noch angelegte auszubessern hatten, so wurde ihnen aufgegeben, daß sie theils die Kirchen, theils die Hütten und andere niedere Häuser, die die Baumgärten herumstanden und schon vor gar langer Zeit waren aufgebaut worden, niederreißen und alles Mauerwerk aus der Erde herausgraben sollten. Daher fingen sie schon den 21. Januar an, das oberste Dach an der Kirche abzubrechen, nachdem sie vorher mit weiter nichts als mit Arbeit an den Befestigungen sich die Zeit vertrieben hatten.“ (II., S. 142.)
Aber nicht mir für Arbeit sorgte Johann, sondern auch für Amusement. Neben kriegerischen und gymnastischen Uebungen arrangirte er gemeinsame Mahlzeiten, Spiele und Tänze, festliche Aufzüge und Theateraufführungen. Dabei kam ihm seine lebensfrohe Künstlernatur trefflich zu Statten. Auf den modernen Beschauer macht freilich sein Auftreten und Wirken bei diesen Volksbelustigungen, namentlich den Festzügen, leicht den Eindruck des Theatralischen, und wir wissen ja, daß er auf dem Theater zu Hause war und sich auf Bühnenwirkungen verstand. [94] Aber man darf Johann auch nicht mit modernen Augen betrachten.
Uns erscheinen festliche Aufzüge als etwas Theatralisches, weil wir sie nur vom Theater her kennen. Vor drei- oder vierhundert Jahren waren sie ein organisches Moment des sozialen Lebens. Die Ursachen davon haben wir bereits früher (S. 120) angedeutet. Kirche, Fürsten und Adel wetteiferten damals in prunkhaftem Auftreten. Die Wiedertäufer, wie alle ketzerischen Kommunisten, verwarfen diesen Prunk, der ein Resultat der Ausbeutung war. Sie trugen nicht nur selbst höchst einfache Kleider, sie weigerten sich auch (in Mähren) Prunkkleider für Andere zu verfertigen. [95] Aber wie in anderer Beziehung, herrschten auch in dieser in Münster abnorme Verhältnisse. Der Kleiderprunk, den Johann mit seinen Leuten entfaltete, beruhte nicht auf der Ausbeutung von Arbeitern. Diesen „schneiderhaften, überladenen, komödienhaften“ Prunk fanden sie vor, er wurde nicht für sie geschaffen. „Sie (die Räthe des Königs),“ erzählt Gresbeck, „hatten dieselben Röcke in der Stadt gekriegt, die den reichen Leuten gehört hatten, welche sie aus der Stadt getrieben hatten.“ (S. 89, vgl. S. 136, wo als ehemalige Besitzer der Röcke die vertriebenen Bürger und Junker genannt werden.) Kerssenbroick berichtet:
„Sie hatten Gold und Silber, es mochte solches den Bürgern oder der Stadt gehören, wie auch die heiligen, gestickten, seidenen, purpurnen und alle andern Zierrathen, welche dem Gottesdienst gewidmet waren, aus den Kirchen genommen und an sich gezogen; auch hatten sie alles andere, so der Stadt und den Bürgern gehörten, sich zu eigen gemacht und sogar die, die sich widersetzten und den Unfug nicht länger ausstehn oder ertragen wollten, um das Leben gebracht; so hat man sich damit nach eigenem Wohlgefallen, ungeachtet es von Andern mit saurer Mühe war erworben worden, geputzt und geziert.“ (II., S. 58)
Der Prunk war also der in Münster herkömmliche: er hatte blos seine Träger gewechselt, aus den Händen der Ausbeuter war er in die der Ausgebeuteten gefallen, die ihn geschaffen hatten: damit hatte er sofort die verwerflichsten Eigenschaften bekommen.
Zur Entfaltung des Prunkes unter den Münsterschen Täufern dürfte auch die Apokalypse etwas beigetragen haben. Dort wird das neue Jerusalem voll von, Gold und Edelsteinen geschildert, „und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in die Stadt bringen“ (21, 24). In Münster galt es, zu beweisen, daß die Stadt wirklich das langersehnte neue Jerusalem sei.
Uebrigens darf man sich den Münsterschen Prunk nicht so ausschweifend vorstellen, wie es in der Regel geschieht. Dürfte man den Beschreibungen Gresbeck’s glauben, dann müßten Johann und seine Kriegsleute unglaubliche Mengen Goldes und Silbers auf sich getragen haben. Wer das wörtlich nehmen wollte, würde bei genauerem Zusehen ebenso enttäuscht sein, wie die bischöflichen Landsknechte vor Münster, denen man mit ähnlichen Geschichten den Mund nach der fetten Beute wässerig gemacht hatte. Da war zum Beispiel ein Landsknecht, der früher bei den Wiedertäufern gewesen, der erzählte, „daß der König einen großen Schatz bei sich hätte von Geld, Silber und Gold.“ Fünf bis sechs Tonnen Goldes erwarteten sie in der Stadt zu finden. Aber als sie Münster erobert hatten, fanden sie kaum eine halbe Tonne Goldes, und es nützte ihnen nichts, daß sie den gefangeneu Johann und die Beutemeister folterten und den Landsknecht, der so unbegründet geschwätzt, enthaupteten, es wurde dadurch nicht mehr.
Von einem Vergraben der Schätze konnte keine Rede sein, denn die Stadt war unerwartet durch einen nächtlichen Ueberfall genommen worden und die Belagerten fanden kaum Zeit, zu den Waffen zu greifen, geschweige Schätze zu vergraben.
Charakteristisch sind die Theaterstücke, die Johann aufführen ließ. Eines davon beschreibt uns Gresbeck. Es ist ein Tendenzstück:
„Sie haben große Freude betrieben, auf daß sie die Zeit hinbrächten, So hat der König das gemeine Volk im Dom tagen lassen. So ist all das gemeine Volk in den Dom gekommen von Männern und Frauen, außer jenen, welche Wache auf den Wällen halten mußten, um die große Freude zu sehn und das Wunder, das in dem Dom geschehen sollte. So hat der König eine Bühne machen lassen, mit Gardinen umher behangen, auf dem Chor in dem Dom, wo der Hochaltar steht, den ein jeder umher sah, da spielten sie das Spiel vom reichen Mann und vom Lazarus. So haben sie das Spiel angefangen und haben gespielt und haben die Sprüche gegen einander gethan. Wenn der Mann einen Spruch gethan hatte mit Lazarus, so stunden am Fuße der Bühne drei Pfeifer mit Querpfeifen und spielten ein Stück mit drei Stimmen. Dann begann der reiche Mann wieder zu sprechen und dann spielten die Pfeifer wieder. So dauerte das Spiel bis zum Ende. Zuletzt sind Teufel gekommen und haben den reichen Mann mit Leib und Seele geholt und hinter die Gardine geführt. Da war ein großes Lachen in dem Dome, da sahn sie gro0e Freude.“ (S. 168)
So harmlos wie diese sind auch die anderen Volksbelustigungen, von denen Gresbeck erzählt. Er spricht hämisch und verbissen genug von diesem heiteren Treiben, aber von Zügellosigkeiten oder auch nur Leichtfertigkeiten erwähnt er nichts.
Die schlimmste „Orgie,“ von der er zu erzählen weiß, ist folgende:
„Danach (nach der Wahl der zwölf Thorkommandanten, Herzoge genannt, durch das Volk) hat der König eine Gasterei gehalten und hat alle die Herzoge und Räthe zu Gaste geladen und des Königs Räthe mit allen ihren Frauen und allen obersten Dienern des Königs ... Als sie nun bei einander gewesen sind, haben sie sich angestellt, als wollten sie ihr Lebenlang das Regiment führen. Und als die Mahlzeit gethan gewest ist, da haben sie hosiert und getanzt, ein jeder mit seiner Frau. Der König hat mit den Herzogen hofiert und hatte sie zu Gaste geladen und sie aßen und tranken und waren guter Dinge.“ (S. 184)
Das giebt Keller wieder mit den Worten:
„Der König versammelte die Herzoge, Räthe, Statthalter und Würdenträger mit ihren Frauen zu einem großen Fest in der Residenz und schwelgte mit ihnen in aller Pracht und in Ueberfluß.“ [96]
So wird Geschichte geschrieben! Von Schwelgerei, Pracht und Ueberfluß findet sich in den ganzen Bericht kein Wort!
Aus dem Zusammenhang geht hervor, daß Gresbeck nicht von Schwelgerei reden, sondern die Thatsache brandmarken wollte, daß der König und seine Leute überhaupt noch zu essen und zu trinken hatten, indeß das Volk hungerte, denn er fährt fort: „Das andere gemeine Volk lief zur Stadt hinaus vor Hunger und ein Theil begann vor Hunger zu sterben.“
Damit kommen wir zur schwersten Beschuldigung Gresbeck’s gegen Johann von Leyden: nicht, daß er wüste Orgien feierte, sondern daß er der hungernden Bevölkerung die nothwendigen Lebensmittel vorenthielt, indeß er selbst vollauf zu essen hatte.
Aus eigener Anschauung weiß Gresbeck davon nichts, denn er gehörte nicht zu der Umgebung des Königs, weder zu den Offizieren, noch zu den Verwaltungsbeamten. So wie über die oben erwähnte „Gasterei“ spricht er über das Wohlleben Johann’s überhaupt nur vom Hörensagen. Daß in der Stadt mancher Unzufriedene war, als die Rationen immer mehr verringert wurden, ist naheliegend, und ebenso, daß sich diese Unzufriedenheit in übler Nachrede über den Kommandanten Luft machte. Merkwürdig aber ist es, daß die Leute und so bestimmter vom Wohlleben des „Königs“ inmitten der Noth zu sprechen wissen, je ferner sie ihm sind.
So schrieb z. B. der Bürgermeister von Frankfurt, Justinian von Holzhausen, der sich im Kriegslager vor Münster befand, am 8. Juni 1535 an seinen Vater: „Die Kühe, so noch drinnen [97], frißt der König mit seinem Haufen hinter der Gemein. Es wundert, daß die Gemein den Betrug des Königs nicht merkt.“ [98] Wieso merkte ihn den der Bürgermeister draußen im Feldlager?
Gresbeck selbst aber verplappert sich einmal und weist darauf hin, daß Johann an der allgemeinen Nothlage theilgenommen habe:
„Und es ist also der meiste Theil von den Frauensleuten aus der Stadt gezogen vor großem Hunger. So hatte der König fünfzehn Frauen. Denen hat der König allzumal Urlaub gegeben, mit Ausnahme der Königin, die hat er allein behalten. und hat zu den anderen Frauen gesagt, daß eine jede sollte nach ihren Freunden gehn, daß sie was zu essen kriegten, wo immer sie könnten.“ [99]
Das erzählt uns Gresbeck fast unmittelbar nach seinem Bericht über die „große Gasterei,“ auf Seite 190. Er verstand sich noch nicht auf die Kunst einer „einheitlichen Geschichtschreibung.“
Die Gütergemeinschaft war die Grundlage der ganzen täuferischen Bewegung. Ihretwegen wurde der große Kampf um Münster gekämpft. Aber nicht sie war es, die in erster Linie den Charakter des Münsterschen Täuferreichs bestimmte, sondern die Belagerung. Münster war ein großes Kriegslager, die Erfordernisse des Krieges gingen allen anderen voran, und die Freiheit und Gleichheit galten nur, so weit sie sich mit der Militärdiktatur vertrugen.
Kaum war Münster am 10. Februar in die Hände der Täufer gerathen, da sandten sie nach allen Seiten Briefe aus und luden die Gesinnungsgenossen ein, nach Münster zu kommen. In einem der Briefe, der noch erhalten ist, heißt es:
„Hier sollt ihr aller Nothdurft genug haben. .Die Aermsten, die bei uns sind und die hier vormals verachtet waren als die Bettler, die gehn nun so köstlich gekleidet, wie die Höchsten und Vornehmsten, die bei Euch oder bei uns zu sein pflegen. Und es sind die Armen also reich durch Gottes Gnade geworden wie die Bürgermeister und die Reichsten in der Stadt.“
Aber dieser Kommunismus blieb in seinen Anfängen stecken.
Man spricht immer davon (so noch Keller), in Münster sei alles Privateigenthum aufgehoben gewesen. Nichts weniger als das. Nur das Privateigenthum all Gold und Silber, das Geld, wurde gänzlich aufgehoben. Die Propheten, Prädikanten und der Rath (es war noch vor Einführung der Verfassung der zwölf Aeltesten) „sind des fortan eins geworden und haben beschlossen, daß alle Güter sollen gemein sein, daß ein Jeder solle sein Geld, Gold und Silber aufbringen, wie auch zuletzt ein Jeder gethan hat.“ (Gresbeck, S. 32) Dies Geld diente zur Bestreitung des Verkehrs der Stadt mit der Außenwelt, namentlich der Aussendung von Agitatoren und der Gewinnung von Landsknechten.
Aber der Einzelhaushalt blieb bestehen und das Privateigenthum an Produktions- und Konsumtionsmitteln wurde nur insofern aufgehoben, als die Bedürfnisse des Krieges es erheischten.
Das Erbrecht bestand fort. Unter den Einrichtungen, welche die Aeltesten trafen, verzeichnet Kerssenbroick (II., S. 8) auch folgende:
„Wenn Einer nach Gottes Schickung sollte erschossen werden oder auf sonst eine Art im Herrn entschlafen, so soll sich Niemand unterstehn, dessen zurückgelassene Güter, als da sind Gewehr, Kleider u. s. w., für sich wegzunehmen, sondern sie sollen zu dem Schwertführer Knipperdollinck gebracht werden, der dieselbigen den Aeltesten vorlegen soll, auf daß sie durch deren Vermittelung den rechten Erben mögen zuerkannt werden.“
Selbst von der Kriegsbeute konnte ein Theil in Privateigenthum übergehen. Der 14. unter den 28 Artikeln, die Johann von Leyden dem Volke am 2. Januar 1535 vorlegte, bestimmt:
„Wenn dem Feinde Beute abgenommen worden ist, so soll Niemand dieselbe für sich behalten oder nach seiner Willkür einen Gebrauch davon machen, sondern wie es billig ist, seiner Obrigkeit die Sache anzeigen und die Beute herbeibringen. Würde ihm die Obrigkeit etwas davon geben, so könne er selbiges ohne ein Unrecht zu begehen, zu seinem Nutzen verwenden.“
Und im nächsten Artikel heißt es:
„Es soll ein Christ bei Strafe des jüngsten Gerichts nicht mit seinem Bruder handeln, noch ihm um Geld etwas abkaufen; auch soll bei Tauschen und Verwechseln keiner den andern listig und betrüglich behandeln.“
Nach der Aufhebung des Geldes war der Tausch unumgänglich geworden, wenn man das Privateigenthum an den Produktionsmitteln und Produkten beibehielt. Wie wenig man dies aufhob, zeigt folgende Episode aus der Zeit nach Johann’s Erhebung zum Königthum, die wir bei Gresbeck finden (S. 144):
„So ist Knipperdollinck zu einem Krämer gekommen. Derselbe hatte noch seinen Kram. Da sagte Knipperdollinck zu ihm: ‚Du wärest auch wohl heilig; den Kram, den willst Du nicht verlassen. Da sitzest Du auf und brütest, ob Du daraus könntest Junge (Profit ?) kriegen. Der .Kram ist Dein Gott. Den mußt Du verlassen, willst Du heilig sein.‘“
Der Kramhandel galt also gerade nicht als ehrenhaft, aber das „kommunistische Schreckensregiment“ war weit entfernt davon, ihn gewaltsam unmöglich zu machen.
Wohl finden wir in Münster gemeinsame Mahlzeiten. Aber diese sind zum Theil gelegentliche festliche Zusammenkünfte des Volkes – Abendmahle –, zum Theil eine Kriegsmaßregel.
„Sie haben auch vor jedem Thor ein Haus gehabt, dasselbe war ein Haus der Gemeinheit (Gemeinschaft). Dahin ging ein jeder von denen essen, die vor dem Thore Wache hielten und arbeiteten auf den Wällen oder im Graben. So pflegten sie auch in dem gemeinen Haus zu predigen, alle Tage des Morgens und Mittags. Die Diakone mußten die Kost bestellen in dem Hause der Gemeinheit, ein jeder Diakon für sein Thor. In einem jeden Kirchspiel hatten sie einen Wirth gesetzt in dem Hause der Gemeinheit, der da mußte kochen lassen und das Haus verwahren. Wenn es aber Mittag war, da stand ein junger Mann auf und las ein Kapitel aus dem alten Testament oder aus den Propheten vor. Wenn sie nun gegessen hatten, so sangen sie einen deutschen Psalm. Dann standen sie auf und gingen wieder an ihre Wache.“ (Gresbeck, S. 34, 35.)
Es waren nicht blos Männer, sondern auch Frauen, welche an diesen Mahlzeiten theilnahmen, denn auch die Frauen waren bei der Vertheidigung thätig. Das eben zitirte von Gresbeck gelieferte Bild der Bacchanalien, welche bei diesen Gelegenheiten gefeiert wurden, wird vervollständigt durch die Bestimmungen der Aeltesten darüber, die uns Kerssenbroick mittheilt (II., S. 5):
„Auf daß auch in der Verwaltung des Essens und Trinkens die gehörige Ordnung in Acht genommen werde, so sollen nicht allein diejenigen, welche solches reichen, ihre Pflicht in Acht nehmen und den Brüdern und Schwestern geben, was sie bisher bekommen haben, sondern es sollen auch die Brüder und Schwestern jedesmal gesondert an ihren Tischen ganz bescheiden und mit gehöriger Schamhaftigkeit sitzen und keine andere Speise fordern, als diejenige, so aufgetragen worden.“
Nach Kerssenbroick wäre bei Tisch kein Wort gesprochen, sondern dem Vorleser gelauscht worden.
Das gemahnt uns mehr an eine Pietistenversammlung, als an Libertinismus. Aber es entspricht dem Wesen des ketzerischen Kommunismus.
Die Kosten der gemeinsamen Mahlzeiten hatten die katholische Kirche und die Emigranten zu tragen. Aus deren Häusern und den Klöstern nahmen die Diakone den nöthigen Proviant.
Ueber jedes Kirchspiel waren drei Diakone gesetzt (vom wem, sagt uns Gresbeck leider nicht, sie wurden wohl vom Volke gewählt), denen auch die Armenpflege oblag. Darüber ist der christliche Kommunismus praktisch auf die Dauer nirgends hinausgekommen, wo er den Einzelhaushalt bestehen ließ.
„Die Diakone,“ berichtet Gresbeck, „gingen in ihrem Kirchspiel umher und sollten sich umsehn, was für arme Leute in der Stadt wären und sollten es ihnen an nichts gebrechen lassen. Mit einem guten Schein trieben sie das so in Münster.“
„Dieselben Diakone,“ erzählt Gresbeck weiter, „gingen in alle Häuser und besahn, was ein jeder in seinem Haus von Kost, von Korn, von Fleisch hatte, und schrieben alles auf. Da sie das Alles ausgeschrieben hatten, da war ein jeder des Seinen nicht mächzig.“ (S. 34)
Diese Maßregel ist nicht ein Ausfluß des Kommunismus, sondern eine Kriegsmaßregel, die in einer belagerten Stadt selbstverständlich ist. Die Militärbehörde mußte die Menge des vorhandenen Proviants kennen. Gerade diese Maßregel setzt den Einzelhaushalt voraus. Erst später, unter dem Druck der Noth, wurde befohlen, alle überflüssigen Kleider sowie die gesammten Lebensmittelvorräthe, welche die einzelnen Haushaltungen besaßen, abzuliefern. Aber auch damit wurde der Einzelhaushalt nicht aufgehoben; die Diakone hatten aus dem gemeinsamen Vorrath jeder einzelnen Familie ihren Antheil zuzutheilen, sowohl an Brot, als auch an Fleisch, so lange es solches gab.
„Sie haben einen Theil der Pferde geschlachtet und das Pferdefleisch in das Fleischhaus tragen lassen. Da sind die Leute gekommen und haben das Fleisch geholt. So fragten die Diakone, wie viele Menschen in jedem Haus wären. Danach haben sie einem jeden gegeben und haben jedes Haus aufgeschrieben. Das haben sie gethan um deßwillen, daß ein jeder sollte nicht zweimal Fleisch haben.“ (Gresbeck, S. 174)
Auch das Land, zu dessen Bestellung die Noth zwang, wurde nicht gemeinsam bestellt, sondern jedem Haus sein Antheil daran zugewiesen.
„So hat der König Landherrn gesetzt. Dieser waren vier in der Stadt. Die gingen in alle die Höfe und haben jedem Haus ausgethan ein Stück Landes oder zwei, je nachdem viele Leute im Haus waren. Da haben sie gegraben und gesät Kohl und Rüben und Wurzeln, Bohnen und Erbsen. Wer selber einen großen Hof hatte, der durfte davon nicht mehr brauchen, als ihm die Landherrn zuwiesen. Sie hatten sich auch vorgenommen in der Stadt, alle Zähme und Riegel um die Höfe her abzubrechen, die in der Stadt waren, so gemein wollten sie die Höfe haben.“ (Gresbeck, S. 175, 176)
Aber es kam nicht dazu. Die Bestimmung, daß alle Hausthore Tag und Nacht offen stehen sollten, war wohl nicht eine ökonomische, sondern nur eine moralisirende Maßregel zur Hebung des Gefühls der Brüderlichkeit.
Mit der Aufrechthaltung des Einzelhaushaltes war aber eng verbunden die Erhaltung der Disziplinargewalt des Haushaltungsvorstandes über die Mitglieder des Haushalts und eine mittelalterliche Familie umfaßte mehr Leute, als blos ein Ehepaar mit den Kindern. Die großen Haushaltungen jener Zeit erforderten auch ein Gesinde. und so finden wir in Münster nicht nur die Oberhoheit des Mannes über die Frau, sondern auch die des Herrn über das Gesinde. In einem Edikt der Aeltesten handelt der dritte Paragraph „von der Herrschaft des Ehemannes und der Unterthänigkeit des Weibes,“ und der vierte „von dem Gehorsam des Hausgesindes gegen den Hausherrn und von der Pflicht des Hausherrn gegen sein Gesinde.“ (Kerssenbroick, II., 1) So werden denn auch zu den gemeinsamen Abendmahlen geladen „ein jeder Bruder mit seiner Frau und seinem Hausgesinde.“ (Gresbeck, S. 106)
Mit dem Einzelhaushalt blieb auch die damals eng damit verknüpfte Produktion in vereinzelten Kleinbetrieben bestehen, und wie das Hausgesinde nicht aufgehoben wurde, so auch nicht der Unterschied zwischen Meister und Geselle. In einem schon zitirten Erlaß der Aeltesten werden bestimmte Handwerker genannt, die für die Stadt oder die Bevölkerung zu arbeiten haben – man darf dabei nicht an eine sozialistische Organisation der Arbeit denken, sondern auch nur an eine Bestimmung, welche die kriegerischen Verhältnisse erzeugten. Die genannten Handwerker waren nämlich vom Wachdienst ausgenommen. (Kerssenbroick, II., 21) Da heißt es zum Beispiel:
„Es soll Niemand der Fischerei obliegen, als die Fischermeister Christian Kerckring und Hermann Redecker nebst ihren Knechten, welche auch die Fische, wenn es nöthig ist, den Kranken und Schwangern nicht abschlagen sollen ... Hermann Tornate und Johann Redecker mit ihren sechs Schuhknechten sollen für das neue Israel die Schuhe machen ... Johann Coesfeld und seine Gesellen sollen eiserne Schlüssel verfertigen.“ (Kerssenbroick, II., S. 6)
Es ist also garnicht gerechtfertigt, wenn die Geschichtschreiber behaupten, es sei „ein weitgehender Kommunismus der Güter“ eingeführt worden.“ [100] Daß es dazu nicht kam, das ist wohl in derselben Weise zu erklären, wie die geringe Thätigkeit der Pariser Kommune von 1871 auf sozialem Gebiet. Es war eine naturnothwendige Folge der Belagerung, deren Wirkung wir überall auf Schritt und Tritt begegnen. Sie nahm alles Denken und Handeln in Auspruch. Ein Krieg hat sich noch nie als der geeignete Moment zur Durchführung einer fundamentalen Neuordnung der Gesellschaft erwiesen.
Wie in den ökonomischen, kamen die Wiedertäufer auch in den kirchlichen Verhältnissen zu keiner durchgreifenden Neugestaltung. Keller wundert sich darüber:
„Man hätte erwarten sollen, daß ihre Thätigkeit mit der Bekanntmachung einer neuen Kirchenordnung oder mit Vorschriften über die Form der Gottesverehrung oder mit ähnlichen Dingen begonnen hätte. Allein in dieser Richtung unterblieben nicht nur im Anfang alle nöthigen Vorkehrungen, sondern es ist, soviel uns bekannt, zu einer Regelung der gottesdienstlichen Formen niemals gekommen.“ (Geschichte der Wiedertäufer, S. 202.)
Uns erscheint das so sonderbar nicht. Wir schieben diesen Umstand zum Theil auf den Krieg. Zum Theil aber auch darauf, daß wir bei den Wiedertäufern ebenso wie zum Beispiel bei den böhmischen Brüdern oder bei Münzer eine ziemliche Gleichgültigkeit für die Formen des Gottesdienstes finden.
Vollkommen dem allgemeinen Geiste des ketzerischen Kommunismus entspricht ihre Vorliebe für das Alte Testament, die bei jeder Gelegenheit zu Tage tritt, und ihre Verachtung für die Gelehrsamkeit, die sie dadurch bekundeten, daß sie alle Bücher und Briefe, welche sie in der Stadt fanden, mit Ausnahme der Bibel, auf dem Domhof verbrannten. Und auch sie bestätigen die Regel, daß diese Verachtung der Gelehrsamkeit bei den Kommunisten Hand in Hand ging mit der Sorge für die Volksschule. Trotz der Belagerung richteten sie fünf oder sechs neue Schulen ein, „da lernten die Kinder und die Jungen md Mädchens, die mußten lernen die deutschen Psalmen, Schreiben und Lesen. Alles das, was sie lernten, war von der Taufe und nach ihrer Weise.“ (Gresbeck, S. 47)
Und auch den Mystizismus finden wir bei den Münsterschen Täufern wieder, den Glauben einzelner besonders verzückter und enthusiastischer Brüder an direkten Verkehr mit Gott, an Offenbarungen und Weissagungen,von Knipperdollinck, von Johann Mathys, von Bockelson und anderen Propheten des neuen Jerusalem werden zahlreiche Züge förmlich krankhafter Ekstase erzählt, die wahrscheinlich von den Berichterstattern vielfach verzerrt und übertrieben, indeß keinesfalls gänzlich erfunden sind.
Aber so sehr sie in diesen Beziehungen ihren friedfertigen Brüdern in Mähren und ihren Vorgängern gleichen, in einem Punkte wären sie ihnen gänzlich unähnlich, wenn wir den Berichterstattern trauen dürften: in ihrer Zügellosigkeit. Wir haben bereits mehrfach Gelegenheit gehabt, diesen Punkt zu streifen. Wir wollen ihn jetzt näher betrachten.
Wodurch die Wiedertäufer im Allgemeinen dem modernen Empfinden widerstreben, das ist ihre Strenge, ihr Puritanismus, und nicht ihre Zügellosigkeit. Gilt das schon für die friedlichen Wiedertäufer, so darf man von vornherein erwarten, daß die Erfordernisse einer Belagerung, die vor Allem strengste Manneszucht erheischt, diese Tendenz nicht abgeschwächt haben. Das bestätigt sich auch bei näherem Zusehen, und man darf sich durch die schon erwähnten Volksbelustigungen darin nicht beirren lassen.
Anstand und Zucht wurden eifersüchtig bewahrt. Als Beleg dafür bieten einige der 28 Artikel vom 2. Januar 1535. Da heißt es unter Anderem:
„6. Keiner, der unter der Fahne der Gerechtigkeit streite, soll sich mit dem schändlichen und häßlichen Laster der Trunkenheit, mit einer viehischen Schamlosigkeit, mit Spielen, wodurch er seine Geldbegierde verräth, und wodurch oft Haß und Uneinigkeit verursacht werden, auch nicht mit Hurerei und Ehebruch beflecken, indem dergleichen Laster unter dem Volke Gottes nicht ungestraft gelassen werden sollen.
„16. Keiner von den Christen (den Wiedertäufern) soll aus einer Gesellschaft oder Gemeinschaft in die andere aufgenommen werden, er habe denn vorhin erwiesen, daß er unsträflich sei und sich keines Verbrechens schuldig gemacht habe; wofern sich aber das Gegentheil befände, so solle derselbe ohne Nachsicht gestraft werden.
„20. Kein Christ soll einer heidnischen (d. h. nicht wiedertäuferischen) Obrigkeit, welche das Wort Gottes noch nicht gehört, noch darin unterrichtet worden ist, sich widersetzen, noch derselben einen Schaden zufügen, wofern sie niemand zum Unglauben oder zur Gottlosigkeit zwingt; hingegen soll die babylonische Tyrannei der Priester und Mönche mit allen ihren Zugehörigen und Anhängern, die durch ihre Gewalt und Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes verfinstern, auf alle mögliche Weise unterdrückt werden.
„21. Wenn ein Heide eines Lasters sich schuldig gemacht, und deshalb zu der Gemeinde der Christen geflüchtet wäre, damit er seines Verbrechens halber unbestraft bliebe, derselbe hätte sich aber direkt wider Gottes Gebot vergangen, so soll er von den Christen nicht aufgenommen, sondern um so viel gewisser zur gehörigen Strafe gezogen werden, je weniger man gestatten will, daß die Gemeinde der Christen eine Freistatt für Schandthaten und Laster sein soll.“ (II., S. 133–137)
Friedliebend ermahnten sie zum Gehorsam, wo er möglich war, und verwahrten sich energisch gegen jede Gemeinschaft mit gemeinen Verbrechern. Trunkenheit, Spiel und jede Art außerehelichen Geschlechtsverkehrs wurden auf das Strengste bestraft.
Ein sprechendes Beispiel der strengen Disziplin in Münster erzählt uns Gresbeck:
„So ist einst (28. Juni 1534) geschehen in der Stadt, daß da zehn oder zwanzig Landsknechte waren, dieselben sind gesessen in einem Haus in der Stadt und haben ein Belag gehalten und waren guter Dinge. So sind sie fröhlich gewest, wie Landsknechte zu sein pflegen. Da wollte ihnen der Wirth und die Wirthin nicht mehr zapfen. So haben die Landsknechte gesagt: ‚Wirthin, wollt ihr nicht, so wollen wir zapfen,‘ und haben die Wirthin gescholten (versprocken). Da gehn der Wirth und die Wirthin her und verklagen dieselben Knechte vor den zwölf Aeltesten und den Propheten und Prädikanten, daß sie hätten Gewalt gethan in ihrem Haus und die Wirthin gescholten hätten. Da gingen die zwölf Aeltesten und ließen die Knechte fangen und ließen sie in den Thurm werfen. Des andern Tages ließen sie Gemeinde halten auf dem Domhof und ließen da dieselben Knechte auf den Domhof holen. Da stand der Kanzler Heinrich Frechting, der Bösewicht, und las, was die Landsknechte sollten gethan haben. Da haben sie alle fortan gebeten um Gnade. Zuletzt ist die Gnadenthür ein wenig aufgegangen; ein Theil hat Gnade gekriegt, ein Theil (sechs) mußte sterben.“ (S. 36)
Diesen Fall strenger Mannszucht führt Keller an als Beweis für – „den verbrecherischen Charakter des ganzen Treibens!“ Und doch muß er selbst zwei Seiten später diese Mannszucht loben, deren harte Strafen bewirkten, daß bei den Täufern Trunkenheit kaum vorkam, indeß sie im bischöflichen Lager so sehr grassirte, daß eine Reihe kriegerischer Unternehmungen der Täufer ihren Erfolg der Besoffenheit im feindlichen Lager verdankten.
Nur eine Stelle sei noch aus der Gresbeck’schen Schrift zitirt, die charakteristisch ist für den Geist, der unter den Täufern herrschte:
„Nun pflegten die Wiedertäufer oft aus der Stadt gegen die Landsknechte auszufallen und scharmützelten (hielten schutgefehrt) mit ihnen und waren sehr kühn dabei, als hätten sie dem Krieg gefolgt zwanzig Jahre lang, und alles, was sie thaten, thaten sie mit Klugheit und Behendigkeit und mit nüchternem Sinn. Denn die Propheten, Prädikanten und Obersten in der Stadt haben scharf verboten, Niemand in der Stadt solle sich erkühnen, sich voll zu trinken, auf daß sie alle bei ihren Sinnen blieben, so daß sie sich nie betranken und allzeit nüchtern blieben, und wenn sie auszogen, so thaten sie es mit Weisheit und Behendigkeit.“ (S. 50.)
Das sind die „viehische „Zügellosigkeit“ und der „Wahnsinn,“ die bei den Täufern herrschten, geschildert von einem nichts weniger als beschönigenden Augenzeugen.
Aber wie steht es mit der Unzucht, mit der Polygamie? Auf diesem Gebiete wenigstens kann man doch von viehischer Zügellosigkeit sprechen?
Wir sind hier bei dem schwierigsten und unklarsten Kapitel in der Geschichte der Münsterschen Wiedertäufer angelangt. Die Polygamie widerstrebt so sehr dem Wesen der Wiedertäufer, z. B. der mährischen, ja des ketzerischen Kommunismus überhaupt, daß wir anfänglich geneigt waren, anzunehmen, es liege hier eine Verwechselung vor; es ist ja nichts schwieriger für einen Beobachter, als ihm ungewohnte geschlechtliche Verhältnisse richtig und unbefangen zu erfassen. Nirgends wirkt das Ungewohnte leichter widerlich und abstoßend, als in geschlechtlichen Dingen. Dem ist es wohl vornehmlich zu danken, daß erst seit einem Menschenalter eine wissenschaftliche, unbefangene Erforschung der geschlechtlichen Verhältnisse der Vorzeit und der Wilden und Barbaren möglich wurde.
Wer es weiß, welchen Unsinn zum Beispiel Missionäre über die von ihnen beobachteten geschlechtlichen Verhältnisse auf den Südseeinseln zum Besten gegeben haben, für den liegt die Annahme nahe, die Münstersche Polygamie beruhe auf einer Verwechselung etwa mit „Weibergemeinschaft“ nach adamitischem Muster, einer Form des geschlechtlichen Verkehrs, die, wie wir wissen, manchen Arten des Kommunismus der Genußmittel sehr nahe lag. Aber diese Annahme ist um haltbar. Von Weibergemeinschaft war in Münster keine Rede.
Das Edikt, mit dem die zwölf Aeltesten ihr Regime einleiteten, setze auf Ehebruch und auf die Verführung einer Jungfrau die Todesstrafe. Ungefähr aus derselben Zeit dürfte die Vertheidigungsschrift stammen, welche die Münstersche Gemeinde veröffentlichte, das Bekentones des globens und lebens der gemein Criste zu Monster. [101] Da heißt es im Kapitel Von der Ehe (S. 457 ff.):
„Angesichts dessen, daß man uns auflegt und wir mit böswilligen Lügen bei vielen Gutherzigen verdächtig gemacht werden, daß wir unbilliger Ehe sollen leben, mit vielen erdichteten Lasterreden, die hier nicht nöthig zu wiederholen, wollen wir unsern Verstand und Gebrauch von dem heiligen Ehestand hiemit angeben ...
„Die Ehe, sagen wir, und halten mit der Schrift, daß sie ist eines Mannes und Weibes Verbindung (Vergaderong) und Verpflichtung in dem Herrn ...
„Gott hat den Menschen von Anfang geschaffen, einen Mann und ein Weib hat er sie geschaffen, die beide in den heiligen Ehestand vereinigt, daß die beide zwei Seelen und ein Fleisch sollen sein. Und mag also kein Mensch scheiden solche Vereinigung ...
„Der Ehestand ist ein Bild Christi und seiner heiligen Braut, das ist, seiner (Gemeinde der) Gläubigen. Wie Christus und seine Gemein aufeinander Acht haben und sich zusammenhalten, also die in dem Herrn ehelichen und von Gott zusammengefügt werden, dieselben sollen aufeinander Acht haben und sich zusammenhalten. Und Wenn es also mit dem Ehestand steht, machen wir einen Unterschied zwischen der Ehe der Heiden und Ungläubigen. Der Unglänbigen Ehe ist Sünde und unrein und ist keine vor Ehe, sondern Hurerei und Ehebrecherei ...
„Denn, wie man vor Augen sieht, ehelichen sie nicht anders denn um der Freunde und Verwandten (mag), des Geldes und des Gutes, des Fleisches und des Putzes willen. Ja, es wird selten oder nimmermehr bei denselben recht gedacht, was der rechte Ehestand sei, wie man ehelichen soll, geschweige, daß sie recht ehelichen, ehelich werden und sich daran halten ...
„Dieweil denn der Ehestand also ein ehrlicher und herrlicher Stand ist, soll Niemand dazu leichtfertig sein und hinzutreten, sondern mit reinem und rechtem Herzen, damit nichts, denn Gottes Ehre und Wille gesucht werde, wie es denn bei uns, es sei ewig Lob und Dank, schon im Schwang ist und alle Tage zum Preis Gottes soll weiter verbreitet werden ...
„Wir hören, daß man uns auch viele andere böse Stücke zumißt, daß wir sollten Platonischer oder Nikolaitischer (Adamitischer) Weise die Frauen gemein haben untereinander, mit vielen untugendhaften Stücken, als ob wir keinen Unterschied der Blutsverwandtschaft sollten halten. Aber dieß ist, wie alle andern schimpflichen bösen Stücke, die man uns mit visirten Lügen [102] auflegt, aller Ding erstunken und erlogen. [103] Wir wissen, daß Christus gesprochen hat: den Alten ist gesagt, du sollst nicht ehebrechen, ich aber sage euch, wer eine Jungfrau ansieht, ihrer zu begehren, nach ihr zu gelüsten, der ist ein Ehebrecher in seinem Herzen. Wäre es nun der Fall, daß einer unter uns also sollte befunden werden, was Gott abwenden möge, den werden wir keinerlei Weise dulden, sondern in den Bann thun und dem Teufel zur Verderbniß des Fleisches übergeben.“
Man sieht, die „neronische Wollust“ der Wiedertäufer erklärte schon das Kokettiren mit einer Jungfrau für sündhaft. Diese Ausführungen stehen vollkommen im Einklang mit der geschlechtlichen Strenge der Mehrheit der sonstigen Wiedertäufer. Johann von Leyden bestätigte sie am 2. Januar 1535, indem er in seinen schon erwähnten 28 Artikeln Ehebruch und Hurerei (letzteres Wort bedeutet nicht blos Prostitution, sondern jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr) mit Strafe bedrohte, zu einer Zeit, wo die Vielweiberei bereits eingeführt war. Diese ist denn auch zu deutlich bezeugt, als daß man bei näherem Zusehen noch an eine Verwechselung mit Weibergemeinschaft glauben könnte.
Wie aber sie erklären? Die herkömmliche Erklärung aus der angeborenen Geilheit und Unmäßigkeit der Kommunisten ist zwar sehr bequem und für bürgerliche Gemüther sehr befriedigend, sie hat nur einen kleinen Fehler, es fehlt ihr die sichere Grundlage. Die Erklärung stützt sich einzig und allein auf das zu Erklärende. Alles Andere spricht gegen sie. Wir haben gesehen daß Nüchternheit und Besonnenheit hervorstechende Charakterzüge der Täufer bildeten.
In dem Wesen des täuferischen Kommunismus kann die Erklärung auch nicht gefunden werden; im Gegentheil, es macht die Sache noch unerklärlicher. Es bleibt nichts Anderes übrig, als die Erklärung in den besonderen Verhältnissen der Geschlechter in Münster während der Belagerung zu sehen. Und diese sind in der That von einer so auffallenden Eigenart, daß ein unglaublicher Grad von Verbohrtheit oder Mangel an gutem Willen dazu gehörte, sie nicht zu sehen.
Erinnern wir uns der Massenauswanderung der gutgesinnten Bürger aus Münster. Die Männer gingen, aber sie ließen ihre Frauen und die weibliche Gesinde zurück. So bildete sich ein starker Frauenüberschuß, der nach den Zahlen, die uns Gresbeck angiebt, ganz enorm gewesen sein muß. Er schreibt von einem „Abendmahl auf dem Berge Zion,“
„die Männer sind da mit den alten und den jungen zweitausend stark gewesen. An wehrhaften Männer sind die Wiedertäufer in der Stadt Münster niemals stärker gewesen denn 1.500. Der Frauen sind in der Stadt, junge und alte, acht oder neun Tausend gewesen, mehr oder minder, das weiß ich so genau nicht. So sind da wohl auch von kleinen Kindern, die gehn konnten und die nicht gehn konnten, zehn- oder zwölfhundert gewesen.“ [104]
Diese eigenartige Situatiin wurde noch komplizirt dadurch, daß von den Männern wohl ungefähr die Hälfte unbeweibt war; dies gilt von der Mehrheit der zahlreichen Emigranten, und ebenso selbstverständlich von den Landsknechten, die, als Gefangene oder Ueberläufer, zu den Täufern kamen und sich ihnen anschlossen.
Diese Verhältnisse mußten für die Mehrheit der mannbaren Bevölkerung im Fortgang der Belagerung, die jeden Verkehr mit der Außenwelt abschnitt, ganz unerträglich werden angesichts der Strenge der Täufer in geschlechtlichen Fragen. Gerade diese Strenge, die jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr mit harter Strafe bedrohte, machte eine Umwälzung der ehelichen Verhältnisse schließlich unvermeidlich.
Dieselben Leute, die über die Vielweiberei in Münster sich nicht genug entrüsten können, betrachten die Prostitution als eine selbstverständliche Sache. Natürlich hatte die Prostitution auch in Münsier unter der Herrschaft der „Ehrbarkeit“ geherrscht. Unter den 36 Artikeln, welche die Münsterschen Aufständischen von 1525 formulirt hatten (vgl. S. 376), forderte der achtzehnte: „Alle unzüchtigen Weibspersonen und die Beischläferinnen der Priester sollen durch gewisse Kennzeichen von den ehrbaren Frauenzimmern unterschieden werden.“
Die „geilen Wollüstlinge“ machten der Prostitution ein Ende. Prostitution und Kommunismus sind von vornherein zwei Begriffe, die einander ausschließen. Die verschiedenen Formen des Kommunisnms sind mit den verschiedensten Formen des geschlechtlichen Verkehrs verträglich, nur mit einer nicht: der käuflichen Liebe. Wo es keine Waarenproduktion giebt, nichts gekauft und verkauft wird, hört auch der weibliche Körper ebenso wie die Arbeitskraft auf, eine käufliche Waare zu sein. und so unvollkommen auch der Kommunismus in Münster durchgeführt war, kein Mädchen war dort unter der Herrschaft des Täuferthums durch die Noth gezwungen, sich zu verkaufen. Die Dirnen aber, die etwa die Preisgabe, welche sie unter der alten Gesellschaft geübt, aus Gewohnheit liebbekommen haben mochten, fanden in Münster, wo kein Privatmann Geld besaß, keine Käufer. Diese mußten sie im Lager der Vertheidiger von Sitte und Ordnung suchen, bei den Landsknechten, den ehrbaren Bürgern, der weltlichen und geistlichen Aristokratie. Dort fanden sie ihre alten Kunden wieder.
Die natürliche Wirkung des Kommunismus wurde in Münster noch verstärkt durch die geschlechtliche Strenge der Täufer. Nun denke man sich aber, daß über tausend unbeweibte Männer mit mehreren Tausenden gattenloser Frauen viele Monate lang in dem engen Raume einer (für unsere Verhältnisse) kleinen Stadt zusammenlebten, ohne daß es eine Prostitution gab. Es war unvermeidlich, daß es zu Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr kam. Strafen mußten sich als ohnmächtig dagegen erweisen. Nur ein Mittel gab es, der einreißenden geschlechtlichen Verwirrung wirksam zu begegnen: eine Neuregelung der ehelichen Verhältnisse. Nach langem Widerstreben gingen Aelteste und Prädikanten ans Werk, im Juli, im fünften Monat der Belagerung.
Die Aufgabe war schwer, ja fast unlösbar; es galt, ein Eherecht zu konstruiren, das mit der strengen ehelichen Moral der Wiedertäufer harmonirte und gleichzeitig den ganz einzigen geschlechtlichen Verhältnissen Münsters entsprach. Der Schwierigkeit der Aufgabe entsprechend ist das neue Eherecht nicht in der Form einer einzigen, fertig ausgearbeiteten Gesetzes ins Leben getreten, sondern in der Form mannigfacher, einander theils ergänzender, theils auch wieder aufhebender Bestimmungen. Ueber das Suchen nach einer entsprechenden Eheform sind die Wiedertäufer von Münster nicht hinausgekommen und konnten sie nicht hinauskommen unter den abnormen Verhältnissen, in denen sie lebten.
Gresbeck verfolgt das unsichere Tasten und Suchen nach einem Eherecht, aber kein Bericht ist so verworren, so voll von Widersprüchen und Ungereimtheiten, daß es schwer ist, daraus zu einem klaren Bild zu gelangen. [105] Aber man kann doch zwei Momente dabei unterscheiden. Das eine beseht in dem Bestreben, die Ehe zu einer freien Verbindung zu machen. Zunächst galt es die vor Annahme der Wiedertaufe geschlossenen Ehen für ungültig zu erklären; ohne dies wäre für die Frauen der ausgewanderten Bürger eine neue eheliche Verbindung unmöglich gewesen. Diese Ungültigkeitserklärung fiel den Täufern um so leichter, als sie zwar die Ehe für unauflöslich erklärten, aber die „heidnische“ Ehe ebenso wenig für eine wirkliche Ehe hielten, als die Kindertaufe für eine wirkliche Taufe. Auch die bereits vorhandenen Ehepaare unter den Münsterschen Täufern mußten jetzt ihren Bund neu schließen.
Das zweite Moment aber zeigt sich in dem Bestreben, alle Frauen unter die Haube zu bringen. Doch zunächst nur in ökonomischer, nicht in physischer Beziehung.
Um das Wesen der Münsterschen „Vielweiberei“ zu begreifen, muß man sich vor Augen halten, daß es in Münster nicht zur Aufhebung des Einzelhaushalts kam. Infolge des Wegzugs der Bürger gab es aber zahlreiche Haushaltungen, in denen kein Mann war, sogar Haushaltungen ohne Hausfrau, in denen sich nur Mägde befanden. Das muß in der belagerten Stadt, wo so viel unbeweibtes Kriegsvolk lag, zahlreiche Unzuträglichkeiten mit sich gebracht haben. Daher wurde bestimmt, daß keine Frau ohne männlichen Schutz und – ohne männliche Aufsicht sein solle. Denn die Münsterschen Wiedertäufer waren, da sie den Einzelhaushalt nicht aufhoben, ebenso wenig Anhänger der Emanzipation der Frau als der Emanzipation des Fleisches. In dem bereits erwähnten Edikt der Aeltesten heißt es im dritten Paragraphen, der „von der Herrschaft des Ehemannes und der Unterthänigkeit des Weibes“ handelt: „Ihr Männer, liebet Eure Weiber. Die Weiber seien unterthan ihren Männern, als den Herrn. Und das Weib fürchte den Mann.“ [106]
Besonders drastisch drückt sich in dieser Beziehung die Restitution aus, eine von Rothmann verfaßte Agitationsschrift, die im Oktober 1634 erschien [107]:
„Der Mann soll also sich seiner Herrlichkeit (Herrschaft) auch über die Frau mit männlichem Gemüthe annehmen und die Ehe rein halten. Die Weiber haben fast allenthalben die Herrschaft und leiten die Männer, wie man die Bären leitet ... Das ist hoch von Nöthen, daß die Weiber, die nun fast allenthalben die Hosen anhaben, in rechtem und gebührlichem Gehorsam sich beugen; denn solches ist angenehm vor Gott, daß Jeder an seinem Platz stehe. Der Mann unter Christo, die Frau unter dem Manne.“
Die Frauen, die ohne männliches Oberhaupt dastanden, erhielten jetzt die Weisung, sich einem mit einem Manne versehenen Hausstand anzuschließen, nicht als Haussklavinnen, an Dienstmädchen, sondern als Genossinnen der Gattin.
Begründet wurde diese Verordnung natürlich nicht mit dem Hinweis auf die thatsächlichen Verhältnisse, die es hervorriefen; so materialistisch dachte man damals nicht; sondern mit dem Hinweis auf ein Präzedenz in der Bibel. Dort fanden sie aber nur eines, das einigermaßen auf ihren Fall paßte: die Vielweiberei der alten Juden, namentlich die Patriarchen. Auf diese beriefen sie sich um so lieber, als ja die Patriarchen unzweifelhaft höchst fromme Männer gewesen waren, die Gott selbst mit persönlichen Besuchen oder Besuchen seiner Engel beehrt hatte. Was diese Vorbilder der Christenheit gethan hatten, konnte unmöglich sündhaft sein. Und die Täufer konnten sich bei diesem Gedankengang auf hervorragende evangelische Kirchenlichter berufen. Melanchthon hatte schon am 27. August 1531 dem König von England gerathen, eine zweite Frau neben der ersten zu nehmen, und erklärt, daß „die Polygamie nach göttlichem Recht nicht verboten sei.“ [108]
Die religiöse Einrichtung hat den wahren Charakter der Münsterschen „Vielweiberei“ sehr verdunkelt. Durch den Wust von Gehässigkeiten, Verleumdungen und Entstellungen, den die gegnerischen Berichterstatter darüber häuften, wurde die Klarheit nicht vermehrt, und die tendenziöse Ausschlachtung der parteiischen Berichte hat vollends jede Spur des wirklichen Charakters dieser Maßregel verwischt. Aber zum Glück waren die Berichterstatter zu kurzsichtig, sämmtliche Spuren der Wahrheit zu vernichten. Einige Angaben, die sie überliefert haben, genügen, zu zeigen, daß die Täufer bei der Einführung der „Vielweiberei“ thatsächlich die Vereinigung mehrerer Frauen nur in einem Haushalt und nicht in einem Ehebett bezweckten, womit nicht gesagt sein soll, daß letzteres durch ersteres nicht begünstigt wurde.
Vor Allem ist darauf hinzuweisen, daß jede Frau die Verpflichtung hatte, einen Mann zu suchen, nicht blos die zum geschlechtlichen Verkehr tauglichen, sondern auch die alten und die noch nicht mannbaren. [109]
Indeß ist dies nicht das einzige Indizium, auf das wir uns stützen. Ein weiteres ist folgende Mittheilung Kerssenbroicks:
„Im Anfang des Oktober ist des Butendick Ehefrau Barbara von ihrem Herrn und Gatten öffentlich angeklagt worden, und zwar um der Ursache willen, daß sie ihm Widerpart halte und ihm mit vielen ehrenrührigen Scheltworten beleidige, indem sie sage, daß er mit seinen übrigen Weibern und Mitschwestern nicht geistlich, sondern fleischlich lebe und sich mit ihnen öfters fleischlich vermische.“
Sie wurde schuldig gefunden und zum Tod verurtheilt, aber begnadigt, nachdem sie ihren Gatten um Verzeihung gebeten. (S. 80)
Zwischen der Ehegattin und deren Mitschwestern wurde also ein Unterschied gemacht. Nicht jedes weibliche Mitglied des Haushalts war auch Eheweib des Haushaltsvorstandes, wenn es auch als dessen Frau bezeichnet wurde.
Indessen ist es naheliegend, daß bei so engem Zusammenleben noch leichter passirte, was auch sonst nicht selten passirt, daß der Mann sich mit seiner Ehefrau nicht begnügte, wie dies Butendick vorgeworfen wurde. Um so mehr da die Strenge der Wiedertäufer unter Umständen auch den geschlechtlichen Verkehr zwischen Gatte und Gattin verbot. So wenn diese unfruchtbar oder wenn sie guter Hoffnung war. Denn der geschlechtliche Verkehr sollte nicht sinnlicher Lust, sondern nur der Vermehrung der Art dienen. [110] Unter Umständen wurde daher dem Mann gestattet, neben seiner ersten Gattin auch andere der seinem Schutz empfohlenen Frauen zu fleischlichen Gattinnen zu machen. So sagt Rothmann in der schon erwähnten Restitution:
„Wenn ein Mann reichlicher von Gott gesegnet wäre, als eine Frau zu befruchten, und er von wegen des göttlichen Gebotes solchen Segen nicht mißbrauchen, so ist es ihm freigelassen, ja von Nöthen, mehrere fruchtbare Frauen zur Ehe zu nehmen; denn unehelich ... eine Frau zu erkennen, ist Ehebuch und Hurerei.“
Aber zwischen dieser geschlechtlichen und der ökonomischen Vielweiberei ist stets genau zu unterscheiden. Bei der ersten wählte der Mann sich die Frauen. Bei der zweiten wählten die Frauen den Mann, den sie als Schutzherrn anerkennen wollten. Erstere war unter Umständen erlaubt – und es wäre angesichts der geschilderten Verhältnisse unmöglich gewesen, sie völlig auszuschließen. Die Gesetzgeber von Münster begnügten sich mit dem Bestreben, sie in den Bahnen geregelter Ehe zu halten. Jene Vielweiberei dagegen, die eine Zeit lang geboten war, war die ökonomische, die Vereinigung mehrerer Frauen in einem Haushalt unter dem Schutze und der Aufsicht eines Mannes. Nur zu letzterer, nicht zu ersterer Art „Vielweiberei“ war eine Frau nach Münsterschem Eherecht verpflichtet. Auch letzterer Zwang hörte bald auf, wie die schon mehrfach zitirten 28 Artikel Johannes von Leyden’s beweisen. Wir führen diejenigen unter ihnen an, die vom der Ehe handeln, sie sind höchst bezeichnend für den Geist des Münsterschen Eherechts:
„24. Wider Willen soll Niemand von einem Andern zur Heirath gezwungen werden, indem die Ehe eine freie Verbindung ist und mehr durch die Natur und durch das Band der Liebe als durch bloße Worte und äußerliche Zeremonien geknüpft wird.
„25. Wäre aber Jemand mit der fallenden Sucht, mit der venerischen oder mit andern Krankheiten behaftet, so soll derselbe gar nicht heirathen, es sei denn, daß derjenige Theil, mit welchem er sich verheirathen will, vorher von seiner Krankheit sei benachrichtigt worden.
„26. Keine, die nicht mehr Jungfrau ist, soll sich dafür ausgeben und ihren Mitbruder hintergehn und betrügen; auch soll ein solcher Betrug ernstlich bestraft werden.
„27. Eine jede unverheirathete Frau oder die ihren ordentlichen Mann nicht hat, soll berechtigt sein, sich einen Vormund oder Beschützer aus der Gemeinde Christi zu erwählen.“
Der Beschluß macht eine Weissagung:
„Die Stimme des lebendigen Gottes hat mich gelehrt, dieses ist ein Befehl des Allerhöchsten: Die Männer sollen sowohl von ihren rechtmäßigen Weibern, als auch von denen, deren Vormundschaft und Schutz ihnen aufgetragen ist, ein Glaubensbekenntniß fordern, nicht aber dasjenige, welches gemeiniglich gelesen wird: Ich glaube an Gott den Vater, sondern ein Glaubensbekenntniß von dem neuen Königreich, von dem Ehebund, warum und wozu sie getauft seien. Dieses Alles sollen sie ihren Männern anzeigen und offenbaren.“ (II., S. 138, 139)
Das ist die letzte Form des Eherechts der Münsterschen Wiedertäufer. Es entspricht vollkommen der nüchternen, vernünftigen Einfachheit die wir auch sonst als ihren Charakterzug kennen gelernt haben. Es dürfte auch dem gewandtesten und skrupellosesten Sozialistentödter schwer fallen, eine Spur zügelloser Wollust daraus herauszudenken.
Diese Artikel vom 2. Januar enthalten eine erhebliche Milderung des Eherechts, das am 23. Juli des vorhergehenden Jahres eingeführt worden war. Letzteres hatte jeder Frau die Verpflichtung auferlegt, sich einen männlichen Schützer und Herrn zu suchen und sich seinem Haushalt anzuschließen. Diese Bestimmung scheint mehrfache Unzuträglichkeiten im Gefolge gehabt zu haben, denn sie wurde bald, schon im Herbst desselben Jahres, aufgehoben, und den Frauen, die es wünschten, erlaubt, die „Herren,“ denen sie sich angeschlossen, zu verlasse:n. Aus der Verpflichtung der Frauen wurde ein Recht derselben, dessen Ausübung ihnen freistand.
Wie immer man sich diese „Vielweiberei“ vorstellen mag, auf keinen Fall darf man dabei an einen orientalischen Harem denken. Dieser bedingt völlige Versklavung der Frau. Davon war in Münster keine Rede. Es waren ja die Frauen, die sich ihre Männer, ihre Schützer und Vormünder, frei erwählten. Wie wenig sie sich durch die Neuregelung der ehelichen Verhältnisse bedrückt fühlten, ersieht man daraus, daß sie in der Mehrheit zu den begeistertsten Kämpferinnen für das neue Reich gehörten.
Natürlich fanden sich auch unzufriedene unter ihnen. Nicht Jede war aus Ueberzeugung in der Stadt geblieben, und das neue Eherecht, welches so abnormen Verhältnissen erwuchs, widersprach zu schroff tief eingewurzelten Anschauungen. Auch konnte die Neuregelung die bestehenden Unzuträglichkeiten nicht beseitigen, ohne hin und wieder neue zu schaffen. Aber wir hören doch wenig von einem Widerstand von Frauen [111], viel öfter von dem Enthusiasmus, mit dem sie für die neue Ordnung eintraten.
Ein Beispiel davon bietet der Mollenheck’sche Aufstand vom 30. Juli. Man stellt diesen dar als eine Erhebung der sittlichen Elemente in der Bürgerschaft gegen die Vielweiberei.
„Eine völlige Weibergemeinschaft,“ sagt Bezold, „wurde nicht eingeführt, aber das Gebot der Propheten, daß keine Frau ohne Mann geduldet werden solle, rief doch die Errichtung einer Polygamie hervor, die nicht viel besser war. Wohl erhob sich gegen diese Scheußlichkeiten noch einmal das bessere Gefühl in den einheimischen Brüdern, aber ihr Empörungsversuch wurde blutig unterdrückt und die Vertheilung (!) der an Zahl weit stärkeren weiblichen Einwohnerschaft unter die Minderheit der ‚Herren‘ nahm ihren Fortgang.“ (Geschichte der deutschen Reformation, S. 710)
Wie stand es in Wirklichkeit damit? Mollenheck, ein gewesener Zunftvorsteher sammelte „einen Theil Bürger und fromme Leute und Landsknechte“ um sich, nicht blos um den neuen Ehestand auszuheben, sondern es sollte auch „ein jeder sein Gut wieder haben und Bürgermeister und Räthe sollten wieder sein und alle Dinge sollten wie früher sein und die Stadt wollten sie übergeben.“ (Gresbeck, S. 73.) Die übergelaufenen Landsknechte stehen im Vordergrund dieser angeblichen Keuschheitsbewegung und thatsächlichen Kontrerevolution. Sie hatten anfangs Erfolg, es gelang ihnen sogar, Johann von Leyden und Knipperdollinck gefangen zu nehmen. Hätten sie sofort ein Stadtthor geöffnet, so wären die Bischöflichen damals schon in den Besitz der Sadt gelangt, sagt Gresbeck weiter. Aber die Aufrührer dachten nur ans Plündern.
„Da sahn sie auch nach dem Gelde mehr, denn daß sie sahen, daß sie ein Thor einnahmen, und hatten die weiten Ärmel (mouven) voll Geldes stecken und saßen die ganze Nacht im Wein und tranken, daß sie trunken wurden. Darüber wurden sie geschlagen, daß die Friesen und Holländer die Oberhand bekamen.“
Das Traurigste bei dieser Niederlage der Konterrevolution war der Umstand, daß, während die Landsknechte bei Suff und Plünderung ihr Leben für Zucht und Sitte in die Schanze schlugen, Diejenigen, für die sie eintraten: die vergewaltigten Frauen, aufs Eifrigste gegen sie, für Nothzucht und Blutschande kämpften. Als die Aufrührer sich im Rathhaus verschanzten, da waren es die Frauen (freilich nur „Weiber“ bei Kerssenbroick), welche grobes Geschütz auf den Markt schafften, um damit die Thüren einzuschießen.
Wie eifrig und freudig die Frauen auf den Wällen fochten, wenn es galt, einen Sturm abzuschlagen, davon geben Kerssenbroick und Gresbeck zahlreiche Beweise. Aber auch zu Ausfällen waren sie bereit. Als eine Entsetzung der belagerten Stadt in Ansicht stand, rüstete Johann von Leyden zu einem großen Ausfall, um dem Entsatzheer entgegenzuziehen, das er aus den Niederlanden erwartete. Er rief Freiwillige zu dem verzweifelten Unternehmen auf, nicht nur Männer, sondern auch Frauen.
„Des andern Tags sind die Frauenleute gekommen auf den Domhof, die mit ausziehen wollten. Derer waren an dreihundert. Sie kamen mit ihren Gewehren angerückt; die eine hatte eine Hellebarde, die andere einen Spieß (knevelspiet, Spieß mit einem Querholz) und gingen so in der Ordnung. So wollte der König nicht alle Frauensleute nehmen und hat sie gemustert; die der König mitnehmen wollte, deren waren einundfünfzig, und dieselben wurden aufgeschrieben bei ihrem Namen.
„So haben sie des andern Tags alle die Frauensleute auf den Domhof lassen kommen, die in der Stadt bleiben wollten, von den jüngsten Frauensleuten. Dieselben sind auch gekommen mit ihrem Gewehr und und auf dem Domhof in der Ordnung umhergegangen, gleich wie ein Haufen Landsknechte.“
Sie wurden in so viele Haufen getheilt, als Thore in der Stadt waren, und jedem dieser Haufen wurde mit einem Haufen Männer der Wachtdienst bei einem Thor zugewiesen. Sie zogen ab unter dem Gesang der Marseillaise der deutschen Reformation, des Psalmes: Eine feste Burg ist unser Gott. (S. 128)
In dieser Weise wehrten sich die Frauen Münsters gegen die ihnen angethane „Schande.“
So viel über die „Frauenfrage“ in Münster. Noch ist Vieles unklar auf diesem Gebiete, noch bestehen da bedeutende Lücken, aber wir glauben, das Mitgetheilte genügt, erkennen zu lassen, daß die Neuordnung der geschlechtlichen Dinge daselbst menschlich völlig begreiflich, ja sogar trotz mancher Unvollkommenheiten, Naivetäten, selbst Rohheiten, in Vielem für das moderne Empfinden sympathisch ist. Am allerwenigsten aber haben die Vertreter der heutigen Gesellschaft Veranlassung, sich über die „schamlose Unzucht“ der Münsterschen Wiedertäufer zu ereifern, die Vertreter einer Gesellschaft, zu deren Stützen die schamloseste und erniedrigendste Art des geschlechtlichen Verkehrs gehört, die Ausnützung der Noth und Unwissenheit junger Mädchen zu dem edlen Zwecke, sie zu willenlosen, allen Lüsten schutzlos preisgegebenen Bedürfnißanstalten für Männer herabzudrücken. Wo bliebe ohne diese herrliche Einrichtung die Blüthe eines großen Theils unserer Industrie, wo die Tugend und Sittsamkeit der bürgerlichen Mädchen und Frauen?
Das Bild, das unsere bürgerlichen Historiker von der geschlechtlichen Zügellosigkeit in Münster entwerfen, ist ein Gegenwartsbild. Es ist das getreue Abbild dessen, was sich tagtäglich in jeder Stadt der modernen Zivilisation abspielt, und der Weisheit letzter Schluß in unserer Gesellschaft lautet: Regelung dieser „Saturnalien.“
Unsere Untersuchung des Charakters der Münsterschen „Kommune“ ist ausführlicher und polemischer geworden, als wir beabsichtigten und als im Plane dieser Arbeit liegt. Aber mit weniger Arbeit ließ sich der Berg von Fälschungen nicht wegräumen, der über dem wahren Bilde der Münsterschen Wiedertäufer ruht, und es ist unmöglich, den wissenschaftlichen Gleichmuth nicht zu verlieren, wenn man sieht, wie ein ursprünglich stilles, friedliebendes Völkchen systematisch zu einer Bande blutdürstiger, geiler Schurken gestempelt wird, weil es bei einer Gelegenheit unter dem Druck ständiger Mißhandlung und Gefahr nicht zusammenbrach, sondern zu energischem Widerstande sich erhob, für seine Ueberzeugung nicht blos duldete, sondern auch kämpfte, dem blutigen Angriff die blutige Abwehr entgegensetze und zu kriegerischem Heldenthum emporwuchs!
Leichten Herzens hatte Bischof Franz, nachdem sein verrätherischer Ueberfall am 10. Februar abgeschlagen worden, die Belagerung der Stadt unternommen. Er dachte wohl, mit dem Haufen von Hungerleidern und zusammengelaufenen Vagabunden, als der ihm die Masse der Wiedertäufer erschien, leicht fertig zu werden. Es standen ihm mehrere Tausende kriegsgeübter Truppen mit zahlreichem Geschütz unter erprobten Feldherren zu Gebote – schon vor Pfingsten verfügte er über ungefähr 8.000 Landsknechte. [112] Aber die Täufer, obwohl in der Minderzahl – sie waren nie stärker als 1.500 Mann – und ohne Kriegserfahrung, erwiesen sie ihren Gegnern überlegen nicht nur durch die Festigkeit der Stadt, sondern mehr noch durch ihre Disziplin, ihren Opfermuth und ihre Begeisterung.
Wie es mit der Disziplin ihn bischöflichen Lager aussah, davon haben wir schon einige Andeutungen gegeben. Namentlich die Trunkenheit beeinträchtigte stark alle kriegerischen Operationen. Das zeigte sich z. B. beim ersten Sturm.
Am 21. Mai 1534 begann das erste Bombardement der Stadt. Fünf Tage lang dauerte es. Am 25. gingen die Belagerer zum Sturm über. Aber ein Theil der Knechte war berauscht; sie gingen vorzeitig vor, wurden zurückgetrieben und brachten die hinter ihnen anrückenden Truppen in Unordnung. Allerdings kamen diese trotzdem mit ihren Sturmleiter bis an die Wälle, dort aber fanden sie so kraftvollen Widerstand, daß sie in voller Auflösung den Rückzug antraten.
Kurz darauf machten die Belagerten einen Ausfall auf einen Außenposten, überraschten die Landsknechte bei Kartenspiel und Suff, verjagten sie, vernagelten die Kanonen und wußten sogar der herbeieilenden Hauptmacht des Heeres so sehr zuzusetzen, daß diese nicht wagte, sie zu verfolgen, sondern sie unbehelligt in die Stadt zurückziehen ließ.
Nicht besseres Glück wie mit dem ersten Sturm hatten die Belagerer mit dem zweiten, den sie am 31. August nach vorhergehender dreitägiger heftiger Beschießung unternahmen. Ein wüthender Kampf entspann sich, er endete mit der vollständigen Niederlage der Angreifer. Ihr Verlust war enorm; sie verloren allein 48 Hauptleute. [113]
Von da an gaben die Belagerer die Hoffnung auf, die Stadt mit Gewalt zu nehmen, und sie beschränkten sich auf die Blockade, um sie auszuhungern.
Und doch war es zum Schluß das ganze deutsche Reich, das gegen die eine Stadt Krieg führte.
Anfangs hatte die „eine reaktionäre Masse“ sich nicht recht zusammenfinden wollen. Daß die Kräfte des Bischofs allein nicht ausreichten, Münster zu bezwingen, war bald klar. Er suchte Alliirte, und zwar sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite; aber jeder der Bundesgenossen trachtete den anderen dabei übers Ohr zu hauen, und der Streit das Fell des Bären hemmte mitunter gar bedenklich den Kampf gegen den noch sehr lebendigen Bären. Indessen, trotz aller Intriguen erweiterte sich durch diplomatische Abmachungen und die Beschlüsse von Fürstenkongressen und Kreistagen die Zahl der Belagerer und ihrer Machtmittel immer mehr, und als endlich am 4. April 1535 der deutsche Reichstag zu Worms zusammentrat, da wurde die Belagerung Münsters zu einer Reichsangelegenheit erklärt und eine Reichssteuer zu deren Betreibung ausgeschrieben. Auch wurden die Bürgermeister von Frankfurt und Nürnberg an die Belagerten abgesandt, um sie im Namen des Reiches aufzufordern, sich zu ergeben. Aber diese wiesen jeden Gedanken an Uebergabe zurück.
Und doch war um diese Zeit die Lage der Stadt bereits hoffnungslos. Von Anfang an hatten die Münsterschen Täufer erkennen müssen, daß, angesichts der erbitterten Feindschaft der besitzenden Klassen des ganzen Reiches gegen sie, ihre Erhebung nur dann sich behaupten könne, wenn sie nicht eine lokale bleibe, sondern weiter greife. Und ihre Aussichten standen keineswegs ungünstig. In allen norddeutschen Städten hatten sie starken Anhang, in Lübeck war sogar eine ihnen freundliche Richtung ans Ruder gekommen. Nach allen Seiten hin sandten sie nun ihre Boten aus. Auch durch Flugschriften und Broschüren suchten sie auf die Außenwelt zu wirken. Besonders zu erwähnen ist die bereits mehrmals zitirte von Rothmann verfaßte Restitution, oder Wiederherstellung der rechten und gesunden christlichen Lehre, Glaubens und Lebens, die im Oktober 1534 erschien und eine Rechtfertigung der täuferischen Lehren und Einrichtungen enthielt. Sie vertrat den Gebrauch des Schwertes gegenüber den „Gottlosen,“ den Kommunismus und die Vielweiberei. Die Schrift wurde hinausgeschmuggelt und rasch verbreitet. Binnen Kurzem wurde eine zweite Auflage nöthig.
Im Dezember erschien dann Das Büchlein von der Rache [114]: Die Rache steht bevor, heißt es darin, sie wird vollzogen werden an den bisherigen Gewaltigen, und wenn sie vollzogen ist, wird der neue Himmel und die neue Erde dem Volke Gottes erscheinen. Die Schrift endet mit einer Apostrophe zur Erhebung:
„Nun, liebe Brüder, die Zeit der Rache ist an uns gelangt, Gott hat den verheißenen David erweckt, gerüstet zur Rache und Strafe über Babylon mit seinem Volk. Hier habt ihr nun gehört, wie es soll zugehn und wie reicher Lohn uns erwartet und wie herrlich wir sollen gekrönt werden, wenn wir nur tapfer und männlich streiten und wissen, mag Gott uns nun Leben oder Tod verleihn, daß wir nicht können verloren werden. Darum, liebe Brüder, rüstet euch zum Streit, nicht allein mit den demüthigen Waffen der Apostel zum Leiden, sondern auch mit dem herrlichen Harnisch Davids zur Rache, um mit Gottes Kraft und Hilfe alle babylonische Gewalt und all das gottlose Wesen auszurotten ... Alle Weisheit, Anschläge, Klugheit und Manier müßt ihr wohl gebrauchen, die gottlosen Gottesfeinde zu kränken und das Panier Gottes zu stärken. Gedenket dessen, was sie euch gethan haben; das mögt ihr ihnen wiederum thun, ja mit demselben Maß, um den, sie gemessen haben, soll ihnen wieder gemessen werden, und, was mehr ist, in denselben Becher soll ihnen eingeschänkt werden. Habet Acht und machet euch keine Sünde aus dem, was keine Sünde ist. So wollet euch nun, liebe Brüder, mit Eile befleißen, mit Ernst zur Sache zu greifen und so zahlreich als möglich begebt euch herzu um unter das Panier Gottes zu kommen. Gott, der Herr der Heerschaaren, der dies von Anbeginn des Welt beschlossen und durch seine Propheten verkündigt hat, rüste euch und sein ganzes Israel wie er will, zu seinem Preise und zur Vermehrung seines Reiches. Amen.“
Als dieser dringende Aufruf erschien, waren in den deutschen Städten bereits alle erheblicheren täuferischen Bewegungen unterdrückt. Wo immer Täufer sich geregt hatten, war es den Behörden, die seit den Vorgängen in Münster besonders vorsichtig und eifrig geworden waren, gelungen, sie rechtzeitig niederzuhalten oder gewaltsam niederzuwerfen, so in Warendorf, in Soest, Osnabrück, Minden, in Wedel, Köln &c. Die lübische Demokratie aber war im Mai 1534 in einen Krieg mit Dänemark gerathen, der ihr fortan jede, wenn auch nur moralische Unterstützung Münsters unmöglich machte, von der anfangs die Rede gewesen. [115] Und bald nahm dieser Krieg eine höchst ungünstige Wendung für die alte Hansestadt, deren Niederlage auch zum Fall der Demokratie und zum Untergang Wullenweber’s führte.
Aus Deutschland hatten die Münsterschen zu Ende des Jahres 1534 keinen Entsatz mehr zu erwarten. Aber noch eine Hoffnung blieb ihnen übrig: die Niederlande, aus denen ja die Münstersche Erhebung selbst einen so großen Theil ihrer Kraft gezogen hatte.
Zu Beginn des Jahres 1534, als Münster in die Hände der Täufer gerieth, war die Bewegung auch in den Niederlanden gewaltig gewachsen, namentlich in Amsterdam, das nach Münster als die Metropole der Täuferei galt, aber auch in den anderen Städten Hollands und Frieslands. „Zu Monnikendam schätzte man (im April ) die Anhänger des Jan Mathys auf zwei Drittel der ganzen Einwohnerschaft, und ähnlich stand es damals überall in der Umgegend der Hauptstadt im ganzen Waterland.“ [116] Auch in Oberyssel waren sie stark, namentlich in der Stadt Deventer, wo sogar der Bürgermeister sich ihnen anschloß.
„Gar sehr ängstigen wir uns in diesen Provinzen,“ schrieb von Antwerpen am 6. Februar 1534 Erasmus Schetus an Erasmus von Rotterdam, „namentlich in Holland, wegen des aufrührerischen Feuerbrands der Wiedertaufe. Denn wie Flammen schlägt sie empor. Kaum dürfte es einen Flecken oder eine Stadt geben, wo nicht die Fackel des Aufruhrs heimlich glühte. Da sie die Gütergemeinschaft predigen, strömen ihnen alle die Besitzlosen zu.“ [117]
Aber diese revolutionären Massen hatten nicht, wie die Brüder in Münster, eine ohnmächtige Reichsgewalt und ein Konglomerat fürstlicher und städtischer Obrigkeiten mit den widerstreitendsten Interessen gegen sich, sondern eine kraftvolle staatliche Zentralgewalt, die sofort alle ihre Machtmittel aufbot, um die drohende Empörung zu ersticken. Es ist unmöglich, die lange Liste der Hinrichtungen zu geben, die damals erfolgten, es ist immer dasselbe grausame Einerlei. Aber trotzdem gelang es nicht, zu verhüten, daß bewaffnete Schaaren sich aufmachten, um nach Vollenhove an der Zuidersee in Oberyssel zu ziehen (meistens zu Schiff) und sich dort zu sammeln, mit des Absicht, zum Entsatz von Münster zu marschiren.
Am 22. März kamen bei Vollenhove 30 Schiffe mit bewaffneten Täufern an, die aus Amsterdam kamen. Am 25. langten auf 21 Schiffen 3.000 Männer an, und gleichzeitig kamen viele zu Wagen und zu Fuß. Aber jeder dieser Trupps wurde von den niederländischen Behörden, die Wind von der Sache erhalten hatten, einzeln angegriffen und zerstreut.
Damit waren die Entsetzungsversuche vorläufig gescheitert. Die großen Siege der Belagerten vom 25. Mai und 31. August belebten jedoch die täuferische Agitation in den Niederlanden von Neuem. Dieselbe wurde genährt durch Emissäre aus Münster. Angesichts der Hungersnoth, die sie in Münster im Winter 1534/35 fühlbar zu machen begann entwarf Johann von Leyden einen kühnen Plan: Die Genossen in den Niederlanden sollten sich erheben, er wollte mit einem Theil der Belagerten sich durch die Belagerungsarmee durchschlagen, mit den Heranrückenden vereint den Aufstand weiter tragen und so Münster befreien. Wir haben gesehen, wie er Freiwillige zu diesem verzweifelten Unternehmen aufrief. Er übte auch seine Truppen dazu ein und liesß eine eigene Wagenburg zu dem Auszug herstellen.
Aber es kam nicht dazu. Einer der Emissäre Joohann’s, der „Apostel“ Johann Gräß, ein gewesener Schulmeister, wurde zum Verräther; ausgesandt, die Brüder auswärts zu sammeln und nach Deventer zu führen, von wo aus sie nach Münster ziehen sollten, verließ er zu Neujahr 1535 die Stadt, aber nur, um direkt zu Bischof Franz zu gehen und im den Anschlag mittheilen und die Namen der angesehensten Genossen am Niederrhein und ihre Zusammenkunftsorte zu verrathen. So wurde der Entsetzungsversuch im Keime erstickt.
Aber Johann von Leyden versuchte die Durchführung des Planes noch einmal, zu Ostern sollte endlich der heißersehnte Entsatz kommen. Keller, der diese Bewegungen genau verfolgt hat, berichtet darüber:
„Die Täufer wollten, so wird erzählt, zur verabredeten Stunde vier Banner fliegen lassen, eins zu Eschenbruch bei der Maas im Lande von Jülich, eins in Holland und Waterland, das dritte zwischen Mastricht, Aachen und dem Lande zu Limburg, und das vierte in Friesland bei Gröningen. Bis zu dem festgesetzten Zeitpunkt sollten sich die Brüder mit Waffen und Geld fertig machen, und sobald der Befehl ausgehe, solle jeder zu den nächsten Banner ziehn, um Münster zu entsetzen.
„Der Plan kam wirklich theilweise zur Ausführung. Gerade am 28. März, dem ersten Ostertag, wurde von den Täufern das sogenannte Oldenkloster zwischen Sneek und Bolswarden in Westfriesland eingenommen und befestigt. Es war eine starke Position mit vierfachem Wall und Graben, deren sie auf diese Weise Herr geworden waren.
„Als der kaiserliche Statthalter hievon Kenntniß erhielt, marschirte er gegen sie, in der Hoffnung, sich des Punktes durch einen Handstreich bemächtigen zu können. Allein er sah sich zu einer regelrechten Belagerung gezwungen und mußte schweres Geschütz heranführen lassen.
„Nachdem er seine Truppen durch Aufbietung des dritten Mannes in Stadt und Land verstärkt hatte, begann er am 1. April das Bombardement und alsbald darauf den Sturm auf die Werke. Viermal mußte er die Landsknechte ins Feuer führen, und nachdem er die beiden ersten Male zurückgeschlagen war, gelang es beim dritten und vierten Anlauf, etliche äußere Positionen einzunehmen. Noch blieben aber einige Vorwerke und die Kirche im Besitze der Belagerten. Am 7. April mußte die Beschießung wieder begonnen werden; nachdem an fünf Stellen Bresche gelegt war, wurde gegen drei Uhr Nachmittags abermals gestürmt und nach einem langen, schweren Kampf endlich die ganze Stellung genommen. Acht- bis neunhundert Todte blieben auf der Walstatt.“
Eine andere Schaar, die zu Schiff gegen Deventer zog, wurde vom Herzog von Geldern zum großen Theil vernichtet. Ueber die anderen Orte, an denen Erhebungen geplant waren, hat Keller keine Mittheilungen auffinden können.
Noch einmal aber brach ein gefährlicher Aufstand aus in Amsterdam. Dorthin hatten die Münsterschen Johann von Geel gesandt, „einen ihrer besten Offiziere.“ Es war ihm gelungen, den Ort seiner Bestimmung zu erreichen und die Brüder zur Erhebung zu bewegen.
„Auf Abend des 11. Mai brach der Aufruhr los. Gegen acht Uhr besetzten 500 bewaffnete Täufer das Rathhaus; der eine Bürgermeister, welcher ihnen in die Hände fiel, ward erstochen und die eroberten Positionen in Vertheidigungszustand gesetzt.
„Indessen waren die Aufrührer doch keineswegs stark genug, um die große Stadt ohne Weiteres zu überrumpeln. Auch scheint der Losbruch früher erfolgt zu sein, als die Verschworenen beisammen waren, denn einige Tage später kam noch weiterer Zuzug an. Jedenfalls fand Johann von Geel nach dem ersten Erfolg einen Widerstand, den er nicht vorausgesehn haben mochte. Die Bürgerschaft griff einmüthig zu den Waffen und es entspann sich ein blutiger Kampf, der die ganze Nacht hindurch dauerte und mit der völligen Vernichtung der Täufer endete. In furchtbaren Grausamkeiten machte sich der Haß der Sieger Luft. So wurde dem Johann von Kampen, welchen Johann von Leyden zum Bischof der Täufer in Amsterdam bestellt hatte, nach seiner Gefangennahme die Zunge ausgerissen und die Hand abgehauen. In solcher Verstümmelung setzte man ihm zum Hohle eine blecherne Bischofsmütze mit dem Stadtwappen auf und ließ ihn am Pranger stehn. Erst dann ward er enthauptet.“ [118]
Anderen Gefangenen wurde das Herz lebendig ans dem Leibe gerissen und ins Angesicht geschlagen. Welch bestialische Horde waren doch – die Wiedertäufer!
Die Niederschlagung der Erhebung in Amsterdam bedeutete den Untergang des letzten aktionsfähigen Theils der kriegerischen Richtung unter den Wiedertäufern außerhalb Münsters. Die letzte Hoffnung auf Entsetzung der Belagerten war damit geschwunden.
Und bereits wüthete der Hunger unter ihnen.
„Sie haben zuerst gegessen Pferde, das Haupt mit den Füßen, Leber und Lunge. Sie haben gegessen Katzen, Hunde, Mäuse, Ratten, große breite Muscheln, Frösche und Gras, und ist Moos ihr Brod gewesen. So lange als sie Salz hatten, ist das ihr Fett gewesen. So haben sie auch Ochsenhäute gegessen und alte Schuhe haben sie eingeweicht und haben sie gegessen ... Ihre Kinder starben vor Hunger, die Alten starben vor Hunger, der Eine starb über dem Andern.“ (Gresbeck, S. 189, 190.)
Als die Noth unerträglich geworden war, ließ Johann verkünden, wer nicht länger am Kampfe theilnehmen und die Stadt verlassen wolle, möge sich auf dem Rathhause melden. Vier Tage lang stehe es Jedem frei, aus der Stadt zu ziehen. Nicht Wenige machten von der Erlaubniß Gebrauch, Frauen, Greise und Kinder, aber auch wehrhafte Männer. Ein Theil der Auszügler wurde von den Bischöflichen sofort erschlagen, die Anderen in Gefangenschaft gesetzt. Auf die jungen Frauen legten die Landsknechte Beschlag und trieben mit ihnen – Vielmännerei; es erschien ihnen das jedenfalls als das beste Mittel, den Aermsten die Schande abzunehmen, mit der sie die Vielweiberei der Täufer belastet.
Die Zurückbleibenden waren in der Mehrzahl entschlossen, auszuhalten bis zum letzten Athemzug, um, wenn Alles verloren wäre, sich unter den Trümmern des brennenden Münster zu begraben. Im Lager der Bischöflichen kannte man ihre elende Lage. Sie hatten nur noch wenig Pulver. „Sie thun keinen Schuß mehr, er sei denn sehr gewiß. Sie haben, wie ich berichtet werde von den Gefangenen, nur noch anderthalb Tonnen Pulver,“ schrieb der bereits erwähnte Bürgermeister von Frankfurt, Justinian von Holzhausen, am 29. Mai aus dem Lager vor Münster. [119] Die Streitkräfte in der Stadt waren auf ein Minimum zusammengeschmolzen. Am 24. Mai musterte Johann,
„was wehrhaft Volk in der Stadt war. Das ist gewesen, wie uns die Gefangenen bekannten, ungefähr zweihundert Mann. Die Andern, Weiber, Kinder und Männer, liegen und gehn alle krank, etliche an Krücken. Sind alle geschwollen, machtlos, dürfen nicht weit vor das Thor gehen, den sie könnten unsern Knechten nicht entlaufen.“ [120]
Und doch wagten die Bischöflichen keinen Sturm. Sie erinnerten sich wohl, daß sie in den Kämpfen mit der kleinen Schaar der Täufer bereits 6.000 Mann verloren hatten. (Holzhausen, a. a. O., S. 343) Und so konnte der Frankfurter Bürgermeister seinem Vater noch am 8. Juni schreiben:
„Wie ich die Handlung vor Münster ansehe, so besorge ich, daß wir diesen Sommer, wofern uns nicht Verrätherei helfen will, die Stadt nicht erobern werden. Also hat sich der König mit seinen Herzogen und seinem faulen Anhang verstockter Weise in die biblische Handlung ergeben, dabei zu sterben und zu verderben mit der ganzen Stadt.“ (A. a. O., S. 353, 354)
Wie die Schaaren Dolcino’s, so waren auch jetzt die Johann’s von Leyden so gefürchtet, daß die Belagerer sich nicht an sie in offenem Sturm heranwagten, so lange jene noch einen Funken von Widerstandskraft in sich fühlten.
Aber als Holzhausen den letzt zitirten Brief schrieb, hatte sich der Verräther, auf den er hoffte, schon gefunden: der uns bereits so wohlbekannte Gresbeck. Am 23. Mai war er aus der Stadt desertirt, und gefangen genommen, erbot er sich, die Belagerer an einer gefahrlosen Stelle in die Stadt zu führen. Die Täufer waren ja nicht mehr im Stande, alle Punkte der Umwallung zu bewachen. Gresbeck’s Mittheilungen wurden von Hans Eck von der Langenstraten bestätigt, einem Landsknecht, der früher aus dem bischöflichen Lager zu den Täufern übergegangen und nun, als es diesen schlecht ging, wieder zu den Bischöflichen entwichen war. Trotzdem wagten die vorsichtigen Belagerer lange nicht den Ueberfall. Erst am 25. Juni, nachdem man Alles aufs Sorgfältigste vorbereitet, machte man sich ans Werk, gegen Mitternacht, unter dem Schutze eines starken Gewitters.
Unter Gresbeck’s Führung gelangte die Vorhut der Landsknechte, etwa 200 Mann stark, glücklich in der Nähe des Kreuzthors auf den Wall, stach die nächsten Posten nieder und öffnete das Thor. Fünf- bis sechshundert Landsknechte stürmten herein, Münster schien gewonnen. [121] Aber noch einmal sollte ihre wilde Beutegier die Vertheidiger des Eigenthums gefährden.
Siegestrunken eilten die Eingedrungenen vorwärts, um zu plündern, und ließen das Thor unbesetzt. Inzwischen war das nächstgelegene Wachkommando der Täufer herbeigeeilt, und ehe noch die Hauptmacht eindringen konnte, hatten sie das Thor gewonnen und die Landsknechte in der Stadt von den anderen abgeschnitten. Und statt denselben durch einen Angriff von außen zu Hülfe zu kommen, gab der Oberbefehlshaber der Bischöflichen, Graf Wirich von Dhann, bestürzt den Befehl zum Rückzug, als er bemerkte, daß das Thor sich wieder im Besitz der Täufer befindet. Hohngelächter und Pfeilschüsse der Vertheidiger auf dem Walle – Männer und Weiber – folgten ihn. Inzwischen hatten sich die Täufer in der ganzen Stadt erhoben. Weit entfernt, freudig das Joch der Schreckensherrschaft abzuwerfen, eilte vielmehr Alles, was noch eine Waffe halten konnte, herbei, den eingedrungenen Landsknechten in wüthendem Ansturm entgegen, so daß diesen statt 200, wie sie erwarteten, 800 Bewaffnete entgegentraten. [122] Die Eingedrungenen geriethen gewaltig in die Enge und sandten schon einen Parlamentär an Johann von Leyden ab, um drei Uhr Morgens. Aber einigen der Landsknechte war gelungen, sich nach einer unbesetzten Stelle auf dem Walle durchzuschlagen und, da der Morgen graute, sich ihren Kameraden außerhalb der Stadt bemerkbar zu machen. Was längst hätte geschehen sollen, geschah jetzt. Die Hauptmacht ging zum Angriff vor und gewann den schwach besetzten Wall. „Also ist die Stadt allein aus besonderer Gnade Gottes und garnicht aus Geschicklichkeit des Kriegvolkes erobert worden.“ (Holzhausen, a. a. O., S. 366)
Ein furchtbarer Straßenkampf folgte. Wo sie konnten, verbarrikadierten sich die Täufer, um acht Uhr Morgens hielt der Kern ihrer Streitmacht, 200 Leute stark, immer noch den durch Barrikaden geschützten Markt besetzt. Ein Kriegsrath der bischöflichen Generäle entschied, daß es ein zu gewagtes, auf jeden Fall zu verlustreiches Beginnen sei, die Täufer mit Gewalt aus ihrer letzten Position zu vertreiben. Man bewilligte ihnen freien Abzug nach Niederlegung der Waffen und sicheres Geleit.
Die Eingeschlossenen nahmen diese Bedingung an, ihnen winkte ja keine Hoffnung mehr. Kaum hatten sie ihre Waffen niedergelegt und ihre Befestigungen verlassen, so wurden die Waffenlosen niedergemetzelt. Auf eine Ehrlosigkeit mehr oder weniger kam es dem fürstlichen Banditenthum nicht an.
Fünfhalbhundert Täufer wurden am Tage der Eroberung erschlagen. Aber auch in den folgenden Tagen hörte das Schlachten von Unglücklichen, die man in den Häusern verborgen fand, nicht auf. [123]
Die Frauen, die in der Stadt geblieben waren, hatten an dem Kampfe lebhaften Antheil genommen. Nun wurde auch ein großer Theil derselben von den wüthenden Landsknechten erschlagen. Den Rest ließ der Bischof vorführen und ihnen vorhalten, er werde sie begnadigen, wenn sie von der Wiedertaufe abließen, „nachdem aber derselbigen wenig befunden worden, sondern sie auf ihrem Vornehmen ganz bestanden und verstockt geblieben,“ wurden die Vornehmsten unter ihnen hingerichtet, der Rest aus der Stadt ver1agt. Von denen sollen viele nach England gezogen sein. [124]
Von den Führern war ein großer Theil gefallen, so Tilbeck und Kippenbroich, so wahrscheinlich auch Rothmann. Nur wenigen, wie Heinrich Krechtinck, gelang es, zu entkommen. Sein Bruder Bernt sowie Knipperdollinck und Johann von Leyden geriethen lebend in die Hände der Sieger und wurden zu einem köstlichen Schauspiel aufbewahrt. Nach der Sitte der Zeit, Diejenigen der Feigheit zu beschuldigen, vor denen man am meisten Angst gehabt, erzählt Kerssenbroick von Johann von Leyden, er sei feig ausgerissen. Weder sein Benehmen vor noch nach der Eroberung läßt ihn feig erscheinen; völlige Sicherheit über das Benehmen der Einzelnen während des nächtlichen Straßenkampfes wird wohl kaum zu erlangen sein.
Als der Bischof in Münster eingezogen war, ließ er Johann vor sich kommen. „So hat mein gnädiger Herr gesagt: ‚Bist Du ein König?‘ Da soll der König geantwortet haben: ‚Bist Du ein Bischof?‘“ [125] Diese Antwort läßt nicht auf Feigheit schließen.
Die Behandlung, welche die Gefangenen erfuhren, war die gewöhnliche besiegter Vertheidiger der Ausgebeuteten in jener Zeit – und auch zu anderen Zeiten.
Eiserne Halsbänder wurden für Johann, Knipperdollinck und Krechtinck geschmiedet und diese daran durch das Land geschleppt. Ihre Peinigungen schienen kein Ende nehmen zu wollen. Erst am 22. Januar 1536 wurden sie zu Münster vor allem Volk gerichtet. Der Bischof sah dem erbaulichen Schauspiel zu:
„Und alsbald haben die Schinder zuerst den König (Johann von Leyden) in das Halseisen eingeschlossen und an den Pfahl gebunden, hienach die glühende Zange ergriffen und denselben an allen fleischigen und übrigen Theilen seines Leibes dergestalt gezwickt, daß von einem jeden Ort, der von der Zange berührt wurde, die Flamme herausloderte und ein solcher Gestank entstand, daß beinahe alle, die auf dem Markt standen, solchen Geruch in ihren Nasen nicht ertragen konnten. Mit gleicher Strafe sind auch die übrigen belegt worden, welche jedoch diese Folter mit weit größerer Ungeduld und Empfindlichkeit als der König ausstanden und ihren Schmerz durch vieles Wehklagen und Rufen zu erkennen gaben. Als aber Knipperdollinck durch den Anblick der entsetzlichen Marter geängstigt wurde, so hängte er sich an das Halseisen, mit welchem er an den Pfahl angebunden war, suchte sich damit die Kehle abzuschneiden und seinen Tod zu beschleunigen; allein, da dieses die Schinder wahrnahmen, richteten sie ihn wieder auf, rissen ihm den Mund weit auseinander, zogen ihm ein Seil durch die Zähne und banden ihn so fest an den Pfahl, daß er weder sitzen noch sich die Kehle abreißen, noch sich, da ihm die ganze Kehle aufgesperrt war, ersticken konnte. Als man sie aber lange genug gemartert hatte und sie noch lebendig waren, riß man ihnen endlich mit einer glühenden Zange die Zunge aus dem Halse und stieß ihnen zugleich, so stark man konnte, einen Dolch in das Herz.“
Die Leichname wurden bekanntlich in eisernen Käfigen an der Lambertskirche aufgehängt.
„Die Zangen aber, womit sie sind gepeinigt worden, werden noch auf dem Markt an einen Pfeiler des Rathhauses erblickt, wo sie aufgehängt sind und allen Aufrührern und Widersetzlichen gegen die ordentliche Obrigkeit zum Beispiel und Schrecken dienen können.“ [126]
Ein moderner Historiker hat die Stirn, das die „verdiente Strafe für ihre Missethaten“ zu nennen. (Keller, Wiedertäufer, S. 280) Mögen doch die edlen Herren der „deutschen Wissenschaft“ ein einziges Beispiel davon aufweisen, daß die ungebildeten, rohen Proletarier von Münster inmitten der Schrecken der Belagerung an einem ihrer Feinde auch nur den hundertsten Theil jener empörenden Bestialitäten verübten, die der hochwürdige Bischof ein halbes Jahr nach seinem Siege bei voller Gemüthsruhe wohl überlegt und vorbereitet vor seinen Augen von seinen Schinders vollziehen ließ! Und doch jubelt diese Gesellschaft, die sich ihrer hohen Ethik selbst nicht genug rühmen kann, über den Sieg des geistlichen Bluthundes und schleift seine Opfer als infame Verbrecher durch den Koth!
Die Wiedertaufe, die Sache des Proletariats, ja, die der gesammten Demokratie lag im deutschen Reiche endgültig zu Boden. Und auch außerhalb Deutschlands hatte das wehrhafte, kriegerische Täuferthum jeglichen Halt verloren.
Im August 1536 kam es auf dem Kongreß zu Bockholt zur Spaltung der niederländischen Täufer. Die kriegerische Richtung verschwand von da an. Die friedlich-chiliastische erhielt sich noch eine Zeit lang. Ihr Führer David Joris, geboren im Anfang des 16. Jahrhunderts zu Brügge, erzogen zu Delft. Am wichtigsten aber wurde von nun an die vollkommen in den bestehenden Zustand ergebene Richtung der Obbeniten (nach Obbe Philipps so genannt), welche lehrten, daß kein anderer Zustand der Welt hieneden zu erwarten sei, als der bestehende, und daß man sich darein schicken müsse.
Das Haupt dieser Richtung wurde Menno Simons, dessen Anhänger nach ihm Mennoniten genannt wurden. Er wurde 1492 geboren zu Witmarsum, einem friesischen Dorfe bei Franecker, und ward katholischer Priester. 1631 trat er mit den Täufern in Verbindung, und schon 1533 finden wir ihn als Anhänger der unterwürfigen Richtung und an Gegner des Johann Mathys. Während sein Bruder, der der kriegerischen Richtung angehörte, sich der Schaar anschloß, die zu Ostern 1535 von Westfriesland aufbrach um Münster zu entsetzen, und als tapferer Kämpfer fiel, scheute Menno sich nicht, den aufs Aeußerste bedrängten Genossen in Münster in den Rücken zu fallen und eine Agitation gegen sie zu eröffnen.
Nach dem Untergange Münsters ward seine Richtung die vorherrschende.
Das Ende Menno’s wie das Joris’ ist bezeichnend für den Charakter, der das Täuferthum von nun an nehmen sollte. Wohl hatten sie noch viele Verfolgungen durchzumachen, aber Beide starben in Frieden, geachtet und – wohlhabend.
Joris hatte ein hübsches Vermögen erspart, und um es ruhig genießen zu können, ließ sich der Prophet des jüngsten Tages 1544 unter einem falschen Namen, als Johann von Brügge, in Basel nieder, wo er sich ankaufte. Erst nach seine Tode, 1556, wurde sein wahrer Name entdeckt und seine Leiche auf Befehl des Baseler Rathes verbrannt.
Bald darauf, 1559, starb Menno Simons Die letzten Jahre seines Lebens hatte er in Oldesloe im Holsteinischen verlebt, auf dem Gute eines Adeligen, der in niederländischen Kriegsdiensten Täufer als ebenso fleißige wie harmlose Leute kennen gelernt hatte und ihnen nun auf seinen Gütern eine für ihn sehr profitable Freistatt bot.
Aber bald sollten die Niederlande selbst eine solche Freistatt für die verfolgten Täufer werden. Der Abfall vom Habsburgischen Joch brachte in den vereinigten Staaten an der Rheinmündung die Glaubensfreiheit, die Toleranz in einer bestimmteren Form ungefähr in derselben Zeit zu Geltung, in der sie in Böhmen und Mähren den Habsburgern erlag, wo sie seit dem Hussitenkriegen thatsächlich, wenn auch roh und unvollkommen, geherrscht hatte. Seit den Ende des 16. Jahrhunderts wurden die Mennoniten in den Niederlanden geduldet, 1626 erhielten sie offiziell die Glaubensfreiheit. Sie haben sich, gleich den Herrenhutern, den Nachkommen der böhmischen Brüber, his heute erhalten. Aber seit langem bilden sie nichts mehr als ein behäbiges, wohlhabendes Kleinbürgerthum, das für den Emanzipationskampf des Proletariats wie für die Entwickelung des sozialistischen Gedankens gänzlich bedeutungslos gewesen ist.
Von den Niederlanden, die schon zur Zeit der Begharden im engsten Verkehr mit England gestanden, kamen auch die täuferischen Ideen dorthin, und die Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts brachten sie sogar in den Vordergrund. Aber wie sehr auch die demokratisch-sozialistischen Richtungen des Independentthums als Fortsetzer des Täuferthums erscheinen mögen, sie sind wesentlich von demselben verschieden.
Mit dem christlichen Sozialismus, als einer realen Triebkraft im gesellschaftlichen Leben, ging es im 16. Jahrhundert zu Ende. Dieses Jahrhundert gebar die moderne Produktionsweise, den modernen Staat, das moderne Proletariat, aber auch den modernen Sozialismus.
Eine neue Epoche für die Menschheit bricht heran.
1. Zitirt bei Keller, Die Reformation, S. 330.
2. Mitgetheilt in meinem Thomas More und seine Utopie, Stuttgart 1888, S. 265.
3. Am Schluß des Buches steht: „Gedruckt zu Basel durch Joannem Bebelium im MDXXIIII. Jar.“ (A. a. O., S. 256)
4. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, II., S. 189.
5. Bei dieser Gelegenheit wurde in Zürich und später in Basel manches Kunstwerk vernichtet. Der Vandalismus, den man heute den Sozialdemokraten nachsagt, wurde damals von den gut bürgerlichen Reformern geübt, ohne die Mißbilligung selbst eines Erasmus zu finden. Im Gegentheil, er amüsirte ihn. Als die Basler ihre Kirchenbilder in zwölf großen Haufen verbrannten, schrieb Erasmus an Pirkheimer, er wundere sich, daß die bärtigen Heiligen sich das ruhig hätten gefallen lassen. Von der heiligen Jungfrau wundere es ihn nicht, sie sei ja wegen ihrer Sanftmuth bekannt.
Mit Entrüstung weist Janssen darauf hin, wie profitabel für die bürgerlichen Gewalten der Bildersturm war: „Im Kirchenschatze einer einzigen Kirche (des Großmünster), den der (Züricher) Rath am 2. Oktober 1525 wegnehmen ließ, befanden sich unter Anderem vier silberne Brustbilder der Märtyrer Zürichs, vier kostbare Kreuze, vier schwere, reiche Monstranzen, ein Marienbild von sechzig Pfund reinen Goldes“ &c. &c. „Die goldenen Kunstschätze waren über einen Zentner schwer, die silbernen mehrere Zentner; alle wurden zerschlagen und in die Münze geschickt.“ (Geschichte des deutschen Volkes, III., S. 82, 83) Janssen merkt in seiner sittlichen Entrüstung garnicht, wie famos er da den Grad der Ausbeutung illustrirt, die es der katholischen Kirche ermöglichte, solche Schätze aufzuspeichern, neben der nicht geringen Menge dessen, was sie konsumirte. – Der Verf.
6. Sal. Vögelin, Ulrich Zwingli, Rede, gehalten 1884 bei der Zwingli-Gedenkfeier, Zürich 1884, S. 3 und 4.
7. A. a. O., S. 8.
8. Ueber die „Ketzerschule,“ die Andreas auf der Stülzen in Zürich schon 1522 gehalten, hatte der Rath eine Untersuchung eingeleitet. In dem Verhör sagten mehrere Theilnehmer der Versammlungen aus, Andreas „habe sich auf Zwinglrs eigene Predigt berufen, als er lehrte, eine Ehefrau, die sich ihrer Frömmigkeit überhebe, sei nicht besser als die von ihr gescholtene Dirne, wenn diese gegen Gott sich als Sünderin bekenne. Geiz und Wucher mit Pfründen und sonst, überhaupt wenn Geistliche und Weltliche überflüssiges Gut zusammenlegen, um ‚den glatten balg dest baß und richlicher zuo erziechen und zuo erneren‘ habe der Stülzer dem Stehlen gleichgestellt, wo es aus Armuth geschehe; wenn er auch nicht fordere, daß der Wucherer wie der Dieb an den Galgen geführt werde, so sei vor Gott und gemäß der evangelischen Lehre doch kein Unterschied zwischen Beiden. Ja, der Reiche, der den Armen von Haus, Hof, Acker, Matten und dem Seinen vertreibe, sei böser als ein Dieb und ein Mörder vor Gott dem Herrn. Besonders sei Andreas gegen den Krieg als eine Sünde aufgetreten; denn wer trotz väterlichen Erbes und Gutes in den Soldkrieg ziehe und so Biederleute todtschlage, sei vor Gott und nach der evangelischen Lehre dem Mörder gleich.“ (Egli, Die Züricher Wiedertäufer zur Reformationszeit. Nach den Quellen des Staatsarchivs dargestellt, Zürich 1878, S. 15, 16.)
9. Chronica, Zeytbuch vnd bibel von anbegyn biß inn diß gegenwärtig MDXXXI. Jar, Straßburg 1531, Fol. 445.
10. Wiedertäufer, S. 17.
11. Petrus sprach: Siehe, wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Er (Christus) aber sprach zu ihnen: Wahrlich ich sage euch: Es ist Niemand, der ein Haus verläßt, oder Brüder, oder Weib, oder Kinder, um des Reichs Gottes willen, der es nicht vielfältig wieder empfange in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben. (Lucas, 18, 28-30.) – Cornelius erzählt uns ein Beispiel davon, wie diese Aufforderung zur Auslösung der Familie unter Umständen wirkte: „In der Nacht erhob sich der Bauer Hans Ber zu Alten-Erlangen von seinem Lager und griff nach Kleid und Geräth. ‚Wo willst du hin?‘ fragte ihn sein Weib. Er antwortet: ‚Ich weiß es nicht. Gott weiß es wohl.‘ Sie beschwört ihn, zu bleiben: ‚Was habe ich dir Leides gethan? Bleib hier und hilf mir meine kleinen Kinder ziehn.‘ ‚Liebe Frau,‘ erwiderte er, ‚laß mich mit zeitlichen Dingen unbeschwert. Gott segne dich, ich will von dannen, den Willen des Herrn zu erfahren.‘“ (Cornelius, Geschichte des Münsterischen Aufruhrs, II., S. 49)
12. J. Beck, Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer in Oesterreich-Ungarn, Wien 1883, S. 34.
13. Wiedertäufer, Fol. 32.
14. Der Brief ist im Originalwortlaut abgedruckt bei Cornelius, a. a. O., II., S. 240 ff., Beilage 1. Das Original ist in der Bürgerbibliothek zu St. Gallen.
15. Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder, I., S. 86, 224.
16. In seiner Schrift Vom tauf, vom widertauf und vom Kindtauf (1525) sagt Zwingli: „Denn der Irrthum hat auch mich vor einigen Jahren verführt, daß ich meint’, es wäre viel besser, man taufte die Kindlein erst, wenn sie zu gutem Alter kommen wären.“ Ausführlicher handelt darüber J. Loserth, Dr. Balthasar Hubmeier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren, Brünn 1893, S. 78.
17. Das sagt Zwingli selbst in einem Brief an Vadian vom 28. Mai 1525. Er bezeichnet darin den Kampf gegen die Täufer als den schwersten, den er je zu führen gehabt. Alle früheren Kämpfe seien ein Kinderspiel dagegen gewesen. Aber der Widerstand sei nothwendig, da es sich nicht und die Taufe handle, sondern um Aufruhr, Rottung und Verachtung der Obrigkeit. (Egli, Züricher Wiedertäufer, S. 34.)
18. „Wiedertäufer“ oder „Anabaptisten“ (von den griechischen Worten Ana, einer Partikel, die den Begriff der Wiederholung in sich schließt, und Baptistes, der Täufer). Sie selbst protestirten gegen diese Benennung. Sie tauften nicht zweimal, sie erklärten vielmehr, die Kindertaufe sei überhaupt keine Taufe, sondern, wie Hubmeier sagte, nur ein Kinderbad. (In seiner Schrift: Vom Christenlichen Tauff der Gläubigen, 1525. Einen Auszug daraus giebt Loserth, a. a. O., S. 84 ff.)
19. „Man war,“ erzählt ein Zeuge (Heini Frei, genannt Gigli), „der Meinung, daß alle Dinge sollten gemein sein und zusammengeschüttet werden, und was dann einem Jeglichen fehle und anläge, sollte er dann vom Haufen nehmen, so viel er zur Nothdurft brauchen müßte. Und waren auch der Meinung, daß sie gern reiche Leute und große Geschlechter hineingezogen und gebracht hätten.“ (Egli, Züricher Wiedertäufer, S. 24, 97.)
20. Cornelius, a. a. O., II., S. 29, 30.
21. An den Getauften vollzog Hubmeier auch die Fußwaschung. Ein boshafter Berichterstatter erzählt: „Und als er mit den jungen Weibern fertig war und an die alten Böcke kam, hat er gesagt, es solle nun ein anderer die Füße waschen.“ (Loserth, Hubmeier, S. 82) Das können wir ihm nicht übel nehmen.
22. Der Widertäuffer Ursprung, S. 13.
23. Seb. Franck, Chronik, S. 444.
24. Abgedruckt bei Seidemann, Th. Münzer, S. 150, 151.
25. Bender, Geschichte der Waldenser, S. 70.
26. Keller, Die Reformation, S. 422, 421.
27. Wider den newen Taufforden. Notwendige Warnung an alle christglaubigen durch die Diener des Evangelii zu Augspurg, 1527. Diese Schrift bringt keine nennenswerthen Aufschlüsse über das Täuferthum. Am meisten scheint die frommen „Diener des Evangelii“ der wiedertäuferische Satz geärgert zu haben, es sei „Niemand ein rechter Prediger, er sei denn ein Landfahrer und bleib nit an einem Ort.“ Das war seit den Waldensern traditionelle Vorschrift der kommunistischen Sekten.
28. Zitirt bei Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer im 16. und 17. Jahrhundert, Wien 1894, S. 99, 100.
29. Die Reformation, S. 429.
30. Dies ist ausführlich dargethan in meiner schon erwähnten Abhandlung Die Bergarbeiter und der Bauernkrieg, Neue Zeit, 1889, S. 508 ff.
31. Loserth, Der Anabaptismus in Tyrol von seinen Anfängen bis zum Tode Jakob Hutter’s, Wien 1892, S. 21.
32. Loserth, a. a. O., S. 37 und viele andere Stellen. Vgl. auch Beck, Die Geschichtsbücher der Wiedertäufer, S. 80, 81.
33. Der volle Titel lautet: Ein kurzer vnterricht den Pfarherrn vnd Predigern Inn meiner gnedigen Herrn der Marggrafen zu Brandenburg &c. Fürstenthumben und Landen hientden in Franken vnd aus dem Gebirg verordnet, wes sie das volck wider etliche verfürische lere der widertauffer an den Feyertägen auff der Cantzel zum getreulichsten und besten aus Götlicher schrifft vermanen und vnterrichten sollen. In der Einleitung heißt es, die Markgrafen von Brandenburg hätten den Befehl erlassen, gegen die Wiedertäufer zu predigen; deshalb sei dies Büchlein geschrieben worden, weil „wir dabei bedacht, daß es vielleicht etlichen unserer Pfarrherrn und Prediger am nothdürftigen Verstand und dem Verständniß unseres Befehls ermangeln möchte.“ Jedem Pfarrherrn sei ein Exemplar dieser Schrift zu schicken.
34. Am 18. April 1528 wurden den Landesgerichten und Städten Niederösterreichs von der Regierung folgende Kennzeichen der Brüder mitgetheilt:
„1. Wenn ein Wiedertäufer einem anderen begegnet, greift er an den Hut und spricht: Gott grüß dich, Bruder im Herrn, und dieser antwortet: Gott dank dir im Herrn.
„2. Ist ihre Meinung und Vorhaben, daß keine Obrigkeit außer Gott soll geduldet werden und alle Güter unter ihnen gemein seien.
„3. Wenn die Türken ins Land kommen, wollen die Wiedertäufer sich ihnen anschließen, ihren Obrigkeiten nicht helfen, auch Alle, so nicht ihres Glaubens seien, todtschlagen, den Kaiser nicht ausgenommen.“ Loserth, Hubmeier, S. 190.
35. Die gefangenen Täufer wurden den sonderbarsten Quälereien unterworfen, die oft eines gewissen grimmigen Humors nicht entbehrten. So berichten z. B. die Geschichtbücher der Täufer von einem Bruder Libich, der auf einer Agitationsreise 1538 im Innthal verhaftet und in den Thurm des Vellenbergs bei Innsbruck gelegt wurde.
„Nachdem aber dieses sonderlich ein böser Thurm ist, voll ungeheuer der Geister oder des bösen Feindes, wie man wohl weiß, hat der liebe Bruder darinnen viel versucht werden müssen vom bösen Feind ... Er kam zu ihm in Gestalt einer Jungfrau, und wenn er betete, legte er sich ihm etwa dieweil ins Bett, in Weibergestalt, daß er ihn mit Müh’ heraus konnte bringen und davon kugeln.“
Konnte der Teufel als Jungfrau „nichts ausrichten, fuhr er oben aus zum Thurm mit einem so grausamen Gestank, den er hinter sich ließ, daß der Bruder ohnmächtig möcht worden sein.“ Aber die Kerkermeister waren nicht zufrieden damit, den armen Bruder derlei aufgeregten Phantasien zu überlassen:
„Ueber das Alles, damit nun alle Versuchung vollendet und keine unterlassen wurde, so haben die Gottlosen und Sünder des Satans eine Schwester, die auch um des Glaubens willen gefangen lag, Urschel (Ursula) Hellriglin, ein schönes junges Mensch, zu ihm ins Gefängniß gelegt und dem Libich an sein Fuß gehängt und viel Zeit also beieinander gelassen. Was der Teufel und seine Kinder gern gesehen hätten, ist gut zu denken!“
Aber es passirte nichts Sündhaftes, so versicherten wenigstens Libich und die Hellriglin.
Diese war 1539, siebzehn Jahre alt, verhaftet worden. 1544 wurde sie zur Landesverweisung begnadigt, „um des weiblichen Geschlechts Blödigkeit willen, auch von wegen ihrer Jugend und Fürbitten.“ Mit ihr wurde Libich freigelassen und verwiesen, weil er sich „bekehrt“ hatte. (Beck, Geschichtsbücher, S. 155 ff.)
36. Beck, Geschichtsbücher, S. XIX, XX.
37. Auf diese Weise kam Zwingli um die Rache an seinem großen Feind, den er einmal den „Koryphäus der Wiedertäufer“ genannt. Dafür gelang es ihm, Grebel’s Vater, der sich mit seinem Sohne versöhnt hatte, am 30. Oktober 1526 hinrichten zu lassen, unter der Anklage, er habe eine französische Pension angenommen. Der alte Grebel betheuerte bis zuletzt seine Unschuld, und Bullinger selbst fand die Hinrichtung nicht gerechtfertigt. Vgl. den Artikel Grebel von Meyer v. Knonau in der Allgemeinen deutschen Biographie.
38. Zitirt bei Loserth, Hubmeier, S. 180.
39. Beck, Geschichtsbücher, S. 25, 26
40. Keller, Die Reformation, S. 446.
41. Zitirt bei Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II., S. 55.
42. Die Magistrate, die Stadträthe der Reichsstädte wurden seit dem 16. Jahrhundert immer unabhängiger von der Bürgerschaft, geberdeten sich immer mehr als „Landesherrn“. 1602 stellte der Rath von Hamburg der Bürgerschaft gegenüber die Behauptung auf: „Auch wenn eine Obrigkeit gottlos, tyrannisch und geizig wäre, so gebührte es dennoch den Unterthanen nicht, daß sie sich dagegen auslehnten und widersetzten, sondern sie sollten dasselbe vielmehr als eine Strafe des Allmächtigen, welcher die Unterthanen mit ihrer Sünde verwirkt, erkennen“ u. s. w. Maurer, Städteverfassung, IV., S. 186) Schärfer konnte ein Fürst jener Zeit auch nicht sein unbeschränktes Gottesgnadenthum betonen. Man kann von einem städtischen Absolutismus wohl ebenso gut reden wie von einen fürstlichen.
43. Beck, Die Geschichtsbücher &c., S. 49–51.
44. Von dem Schwert. Ein Christennliche erklerung der Schrifften, so wider die Oberkeit (das ist, das die Christen nit sollent im Gewalt sitzen, noch das schwert fieren) von etlichen Brüdern gar ernstlich angezogen verdendt. D. Balthasar Huebmör von Friedberg,1527. Einen ausführlichen Auszug daraus giebt Loserth in seinem Hubmeier, S. 166 ff.
45. „Ja ja, versuchs,“ sagt eine Randnote in dem von Loserth benutzten Exemplar im Mährischen Landesarchiv.
46. Ein Gesprech Balthasar Huebmörs von Friedberg, Doktors, aufs Mayster Ulrich Zwinglens zu Zürich Taufbuechlein von dem Kindertauf. Die Wahrheit ist untödtlich, Nikolsburg 1526. Ausführlich mitgetheilt bei Loserth, a. a. O., S. 137 ff.
47. Beck, Geschichtsbücher, S. 75.
48. Der Brief ist im Wortlaut abgedruckt als Beilage V zu Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II., S. 253–259.
49. Beck, Geschichtsbücher, S. 99.
50. Der Protest ist abgedruckt als 17. Beilage bei Loserth, Anabaptismus in Tyrol bis zum Tode Huter’s, S. 171–175.
51. Beck, Geschichtsbücher, S. 117.
52. Loserth, Der Kommunismus &c., S. 102, 108.
53. Vier und fünfzig Erhebliche Ursachen, warumb die Widertauffer nicht sein im Land zu leiden. Erstellt durch Christophorum Andream Fischer, d. Pfarrherrn zu Veldsperg, Ingolstadt 1607, S. 64, 65.
54. Loserth, Kommunismus der Wiedertäufer, S. 114.
55. Zitirt bei Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, II., S. 278.
56. K. Beck, Geschichtsbücher, S. 101.
57. Andreas Ehrenpreis, Ein Sendbrief ... brüderliche Gemeinschaft, das höchste Gebot der Liebe betreffend, 1650. Zitirt bei Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer, S. 115 ff. Ehrenpreis, ein Müller, war 1639–1662 Vorsteher der gesammten Brüderschaft. Aus dieser und anderen seiner Schriften, die höchst wichtige Aufschlüsse über die Organisation der mährischen Täufer geben, theilt Loserth zahlreiche Auszüge mit.
58. Beck, Geschichtsbücher, S. 406, 407.
59. Auch an anderem Orte, in einer Schrift von 1604, ereifert sich Fischer über die wiedertäuferischen „Saugammen, dieweil sie sammt der Milch das wiedertäuferische Gift etlichermaßen den christlichen, unschuldigen Kindern zu trinken geben.“
60. Sollten die biedern Wiedertäufer bei der Abfassung ihrer Schulordnung Herrn Eugen Richter’s Strampel-Annie um drei Jahrhunderte vorgeahnt haben?
61. Beck, Geschichtsbücher, S. 158.
62. Beck, Geschichtsbücher, S. 465.
63. Beck, Geschichtsbücher, S. 171, 331.
64. So heißt es in den Geschichtsbüchern zum Jahr 1603: „In diesem Jahr ... ist der Bruder Georg Zobel, ein Diener der Nothdurft und vornehmer alter Arzt, dem das ganze Baderhandwerk in der Gemein befohlen war, und der auch von vielen angesehenen Herrn und vom Kaiser selbst ist gebraucht worden, zu Nikolsburg im Herrn entschlafen.“ Beck, Geschichtsbücher, S. 336. Vgl. S. 329, wo erzählt wird, daß dieser Zobel nach Prag an des Kaisers Hof entboten worden, wegen einer „Infektion,“ die damals in Böhmen wüthete.
65. Beck, Geschichtsbücher, S. 485, 486.
66. Gindely, Geschichte der Böhmischen Brüder, II., S. 19.
67. So auch der jüngste unter ihnen, Professor Georg Adler, in seiner Abhandlung über die Geschichte der Sozialismus und Kommunismus im Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
68. Der Name wird sowohl mit „Schauhaus,“ als auch mit „Schuhhaus,“ Schusterhaus, übersetzt.
69. H. v. Kerssenbroick, Geschichte der Wiedertäufer zu Münster, nebst einer Beschreibung der Hauptstadt dieses Landes, 1771, I., S. 98. Wir kommen auf diese in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts abgefaßte Schrift doch zurück.
70. Kerssenbroick, a. a. O., I., S. 121.
71. Kerssenbroick, a. a. O., I., S. 204.
72. Loserth, Der Anabaptismus in Tyrol, S. 23.
73. Philipp II. von Spanien ist in der Geschichte berüchtigt wegen seines fanatischen Katholizismus. Aber dieser bedeutete nichts weniger als demüthige Unterwerfung unter den Papst.
„Es ist gewiß eigenthümlich,“ sagt ein neuerer Geschichtschreiber, „daß ein Monarch, der sich und den alle Welt als Säule des Glaubens und als Pfeiler für den ganzen Organismus der römischen Hierarchie betrachtete, mit dem Papstthum, auf dessen Bündniß er in so vielen Beziehungen angewiesen war, immer wieder in Streit gerieth. Die Erklärung für diese auffallende und doch sich regelmäßig bei jedem neuen Pontifex wiederholende Thatsache liegt in den doppelten Umstande, daß einmal der spanische Monarch die Geistlichen seiner Länder völlig als seine Unterthanen angesehen haben wollte, dem römischen Stuhl nur in Betreff der Lehre, nicht aber der Disziplin lind der Gerichtsbarkeit unterworfen ... und daß er andererseits aus der Kirche lediglich ein gewichtiges Rad in der umfassenden Maschinerie seiner Weltpolitik zu machen beabsichtigte. Der heilige Stuhl sollte überall die spanischen Pläne mit seinen geistlichen Waffen verfechten, und ferner sollte er den spanischen Klerus zu Gunsten des Königthums ausplündern helfen ... Dem König wurde, soweit die Kirche des spanischen Reiches in Betracht kam, eine förmliche Mitregierung neben dem heiligen Vater eingeräumt, oder vielmehr er ordnete sich dem Letzteren über“ u. s. w. (M. Philippson, Westeuropa im Zeitalter von Philipp II., Elisabeth und Heinrich IV., Berlin 1882, S. 365, 366.)
74. Diese verlangten vor Allem von ihm, er solle in Spanien residiren, keine Niederländer und keine fremden Truppen mit sich bringen, keine Ausländer naturalisiren oder zu irgend welchen Stellungen in Staat und Kirche befördern. (W. Robertson, History of Charles V, London 1796, II., S. 163 ff.)
75. A. Brons, Ursprung, Entwickelung und Schicksale der altevangelischen Taufgesinnten oder Mennoniten, Harden 1891, S. 57.
76. Berichte der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich. Herausgegeben von C. A. Cornelius, 2. Bd. der Geschichtsquellen des Bisthums Münster, Münster 1853, S. 370, 399.
77. Hofmann selbst sah die Freiheit nicht mehr wieder. Er starb nach langjähriger Haft im bnb Kerker.
78. Daher ist er auch auf die Holländer schlecht zu sprechen: „Wan ein Hollender seven jar alt ist,“ sagt er in seinem Niederdeutsch, „so is hei up dem allerweisesten, als hei werden wil. It sint intgemein halve narren.“ (Berichte der Augenzeugen über das münsterische Wiedertäuferreich, S. 137.)
79. Auszüge aus dem Gedicht sind abgedruckt bei Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II., S. 179.
80. Zitirt bei Kerssenbroick, I., S. 183.
81. Kerssenbroick, I., S. 455.
82. Berichte der Augenzeugen, S. 14, 15.
83. „Knipperdollinck lag in dem torn und riep glich wie offen plegen tho ropen,“ berichtet Gresbeck.
84. Schlaraffia politica, Geschichte der Dichtungen vom besten Staat, Leipzig 1892. Eine flache, mit ebensoviel Liederlichkeit wie Arroganz zusammengestoppelte Kompilation.
85. Der Protestant Hase sucht Dorpius von den Vorwürfen des Katholiken Cornelius rein zu waschen. Unseres Erachtens nicht mit Glück. (Heilige und Propheten, Leipzig 1892, II., S. 291 ff.) Uebrigens gehört Hase’s Darstellung des Wiedertäuferreiches neben der schon öfter zitirten Keller’schen zu den relativ besten, die von bürgerlicher Seite erschienen sind. Cornelius’ klassisches Werk über den Münsterschen Aufruhr ist leider unvollendet geblieben, es bricht gerade bei der Eroberung Münsters durch die Täufer ab.
86. Summarische ertzelungk und bericht der Wiederdope und wat sich binnen der stat Münster in Westphalen zugetragen im jair MDXXXV. Erst Cornelius hat die Bedeutung dieses Buches, das in mehreren Handschriften erhalten ist, erkannt und es abgedruckt in den schon angeführten Berichten der Augenzeugen über das Münsterische Wiedertäuferreich,“ deren vornehmsten Inhalt es bildet.
87. In einem Brief, den er während der Belagerung schrieb, gesteht er selbst ein, die Mutter seines Herrn habe ihn gewarnt, er solle nicht nach Münster gehen, er würde sich dort auch taufen lassen. (Berichte der Augenzeugen, S. 323)
88. Der bekannte, konservative Geschichtsprofessor Leo hat diese famose Idee aufgenommen. Er schildert in seinem Vortrag über Münzer die blutige Niederschlagung des Bauernausstandes:
„Ueberall verbreiteten sie (die Fürsten) durch rasch und streng angeordnete Todesstrafen Schrecken und brachten die armen Leute ... dadurch wieder aus der Verführung ... zur Besinnung – es war die erste und unter diesen Umständen nothwendigste Leistung landesherrlicher Liebespflicht.“ (Thomas Münzer, S. 23)
Neu ist dabei die feine Wendung, man bringe Jemanden am besten dadurch zur Besinnung, daß man ihm den Kopf abschlägt. Uebrigens drückt sich der Herr Professor sehr zart aus, wenn er von „rasch und streng angeordneten Todesstrafen“ spricht. Man denkt dabei an bloßes Hängen oder Köpfen. Aber damit waren die liebevollen Landesväter nicht zufrieden. Die Erfurter Stadtchronik erzählt:
„Der Landgraf Philipp und Herzog Georg ließen (nach der Schlacht von Frankenhausen) den Frauen der gefangenen Männer einen Prediger mit seinem Kaplan überantworten. Die haben sie müssen mit Knitteln zu todt schlagen, damit sie ihre Männer am Leben erhielten. Und die Frauen haben sie also zerschlagen, daß ihnen die Köpfe sind gewest wie ein gesottenes Krauthaupt, daß das Gehirn an den Knitteln gehangen hat. Hieraus gab man ihnen ihre Männer los. Es haben auch die Fürsten zugesehen, daß solches geschehen ist.“
Das war in Thüringen. Um dieselbe Zeit amüsirten sich auch in Franken die Ordnungsmänner in ähnlicher Weise:
„Abends wurde Jakob Rohrbach im Weidors an eine Falbe mit eiserner Kette gebunden und, wie der Pfeifer von Ilsfeld, mit Feuer umlegt, daß auch er langsam bratend mit lebendigem Leib den gräßlichen Todestanz in dem Feuerkreis um den Baum tanzen mußte, unter Trommeln und Pfeifenschall. Kinder auf den Achseln der Kriegsknechte sahen zu, und umher standen die Edlen, bis sein letzter Ton versank und bis er, nicht mehr er selbst, keine Gestalt mehr, zusammensank.“ (Zimmermann, S. 437, 476)
Diese Bestialitäten wagt ein Gelehrter des 19. Jahrhunderts als Leistungen einer Liebespflicht zu beschönigen! Und das zetert über „Neronische Grausamkeit“ bei den Proletariern.
89. Janssen, Geschichte des deutschen Volkes, III., S. 300.
90. In einer Flugschrift an die belagernden Landsknechte erklärten sie:
„Höret, ihr Jünglinge und Alten, die ihr rings um unsere Stadt euer Lager gezogen haben: Da wir nicht allein von Herzen wünschten, mit Jedermann Frieden zu halten, sondern auch die brüderliche Liebe in Christo gegen alle Menschen bethätigen möchten, so werdet ihr zusehen müssen, wie ihr es vor frommen Leuten – geschweige denn vor Gott – verantworten wollet, daß wir von euch gegen alle geschriebenen und unterzeichneten Friedensverträge, ohne ordentliche Kriegserklärung gewaltsamerweise belagert und um das Leben gebracht werden.“
Das ganze Flugblatt ist abgedruckt bei Kerssenbroick, II., S. 9.
91. Für die Schauermähr, die uns Kerssenbroick erzählt, Johann von Leyden habe eine seiner Frauen selbst geköpft, und seine Frauen hätten mit ihm um den Leichnam herumgetanzt, haben wir ein authentisches Zeugniß nicht gefunden. Sie gehört wohl in dasselbe Gebiet wie des Johann Mathys’ Feuertaufe.
92. Nach Kerssenbroick freilich war das ganze Wiedertäuferreich von Johann willkürlich fabrizirt worden, zu dem einzigen Zweck, damit er dessen Herrscher werden könne.
„Nach dergleichen Dingen hatte Johann Bockelson von Leyden schon lange gestrebt. Deßwegen hatte er auch alle Obrigkeiten verworfen und verachtet. Eben deßwegen verordnete er, daß alle Bürger ihre Güter miteinander gemein haben sollten und riß ihr Eigenthum am sich &c.“ (II., S. 47)
Man sieht, die modernen Sozialistentödter brauchen sich auf ihre Albernheiten nichts einzubilden. Dergleichen verstand man schon vor mehr als dreihundert Jahren ebenso gut.
93. So weiß unser objektiver Historiker selbst aus der einfachen Thatsache, daß in der belagerten Stadt die Lebensmittel knapp wurden, einen Strich für die Führer der Wiedertäufer zu drehen!
94. Das theatralische Moment in Johann von Leyden hat bei unseren ehrsamen Geschichtschreibern stets großen Anstoß erregt. Der Verfasser der Schlaraffia politica nennt ihn einen „Theaterkönig“ (S. 69); Bezold nennt in seiner Geschichte der deutschen Reformation (S. 710) den „überladenen Prunk“ Johann’s „echt schneidermäßig“ – wir wissen nicht, wo der gelehrte Professor seine Studien in Schneiderpsychologie gemacht hat. Am drolligsten aber geberdet sich der Geschichtschreiber der Wiedertäufer, Keller, der nach der Schilderung eines Aufzugs des Königs entrüstet ausruft:
„Es war ein unerhörtes Komödienspiel, welches dieser holländische Schneider vor seinen Genossen und vor der Welt anrichtete. Einstweilen schützten die Mauern einer wohlbewehrten Stadt diesen Herrscher vor der wohlverdienten Züchtigung &c.“ (S. 217).
Setzt Herr Keller nur bei Kommunisten auf Kleiderpracht die Todesstrafe, oder auch bei Monarchen? Wie viele würden dann die „Züchtigung“ nicht „wohlverdienen?“
95. Einer der mährischen Täufer erklärte „über das Kleidermachen“:
„Mit allem Fleiß sollen und wollen wir unserm Nächsten dienen mit allerlei Fleiß zu seiner Nothdurft und daß Gott darin gelobt und unser Fleiß erkannt werde. Was aber allein zur Pracht, zum Stolz und zur Hoffarth gereicht, als zerschnittene, verbrämte und ausgestochene Werk, das machen wir Niemandem, auf daß wir unser Gewissen unbefleckt erhalten.“ (Loserth, Der Kommunismus der mährischen Wiedertäufer, S. 126.)
96. Geschichte der Wiedertäufer, S. 237.
97. Am 29. Mai schreibt er, sie hätten noch zweihundert Kühe.
98. Berichte der Augenzeugen, S. 351.
99. Diese Stelle allein spricht schon gegen die oben erwähnte grausige Geschichte von der Hinrichtung einer der Frauen des Königs durch diesen. Wenn er seine Frauen vollzählig versammelte und entließ, kann er nicht vorher eine umgebracht haben.
100. Lamprecht, Deutsche Geschichte, V., 1., S. 356. Herr Lamprecht bringt es fertig, die „grotesk-abscheulichen Zustände“ in Münster ohne die geringste Beziehung zum Belagerungszustand darzustellen. Der wird später nebenher in zwei Zeilen erwähnt als unbedeutende Kleinigkeit, die gar keine Wirkung auf das Innenleben der Stadt hatte.
101. Abgedruckt in den Berichten der Augenzeugen, S. 415–464. Ueber das wahrscheinliche Datum dieser Schrift vergleiche V. W. Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der Wiedertäufer, Bonn 1864, S. 37.
102. „Visirten Lügen.“ Im mittelniederdeutschen Wörterbuch von Schiller und Lübben haben wir ein Wort „visiren“ nicht gefunden. „Viseren“ heißt überlegen, „Viseringe“ eine Erfindung, ein schlechter Gedanke.
103. Meister Gresbeck muß natürlich auch diese elenden Lügen verbreiten (S. 80); daß er darin seinen anderen Ausführungen über den Ehestand in Münster selbst widerspricht, genirt den Biedermann nicht. Es scheint ihm geeignet, seine Gegner zu kompromittiren, und das ist die Hauptsache. und darum werden auch diese wie andere Lügen von unserer „Wissenschaft“ bis heute verbreitet.
104. S. 107. Eine geringere Zahl gab der Täufer Werner Scheiffarth von Merode. der bei einem Ausfall gefangen worden, in seinem Verhör vom 11. Dezember 1534 an: „daß darinnen sind, Männer, Frauen und Kinder, ungefähr zwischen acht und neun tausend, davon ungefähr 1.400 wehrhaft.“ (Berichte der Augenzeugen, S. 293) Die Zahl der Wehrhaften stimmt mit der Gresbeck’s ungefähr äberein; auch dessen Angabe der Zahl der Männer überhaupt wird genau sein; er giebt sie mit voller Bestimmtheit an. Sie wurden offenbar gezählt. Rechnen wir dazu tausend Kinder, so betrug auch nach Scheiffarth die Zahl der mannbaren Frauen immer noch 5–6000, also zwei- bis dreimal so viel als die der Männer.
105. Geradezu blödsinnig ist Kerssenbroick’s Bericht. Er erzählt, ein Landsknecht habe Johann von Leyden überrascht, wie dieser zu einer Magd Knipperdollinck’s schlich. Darauf habe Johann, um nicht in schlechten Ruf zu kommen, Rothmann und die anderen Prediger, „die nicht weniger der Geilheit und Unzucht ergeben waren,“ beredet, einfach – die Vielweiberei einzuführen!
106. Kerssenbroick, II., S. 1.
107. Eyne Restitution edder Eine wedderstellinge rechter vnde gesunder Christliker leer, gelauens vnde leuens vth Gades genaden durch de gemeynte Christi tho Munster an den Dach gegeven ... Munster 1534. Einen ausführlichen, mit vielen Zitaten belegten Auszug aus dieser Schrift bringt Bouterwek, Zur Natur und Geschichte der Wiedertäufer, S. 15–34.
108. Selbst noch nachdem die Einführung der Vielweiberei im Münster großen Skandal erregt hatte und allgemein verurtheilt worden war, erklärten Luther und Melanchthon am 10. November 1539 dem Landgrafen Philipp von Hessen: „Was vom Ehestand zugelassen im Gesetz Mosis, ist nicht im Evangelio verboten.“ Er möge also ruhig sich der Vielweiberei hingeben. (Siehe noch zahlreiche ähnliche Zitate bei Keller, Die Reformation, S. 454 ff.) Es war also nicht die Polygamie an sich, welche die frommen Leute damals so sehr in Entrüstung über die Täufer versetzte, sondern deren Urtheil, die Polygamie aus einem Privilegium der Fürsten zum Gemeingut zu machen.
109. Gresbeck meint allerdings, die letztere Vorschrift hätte den Zweck gehabt, die kleinen Mädchen zum geschlechtlichen Umgang zu zwingen. Daß einige Haushaltungsvorstände, vielleicht rüde Landsknechte, ihre Stellung mißbrauchten, ist nicht ausgeschlossen. Mehr sagt auch Kerssenbroick nicht (II., S. 44). Dergleichen soll auch anderswo vorkommen. Daß aber der Zweck der Maßregel Nothzucht an kleinen Kindern war – und das glauben zu machen, müßten wir einen besseren Zeugen haben, als einen Gresbeck, der, so werthvoll vielfach seine Angaben sind, wo es sich um Thatsachen handelt, über die Beweggründe und Absichten der Täufer nur ebenso gehässiges wie haltloses Geschwätz vorzubringen weiß. Des Wunsches, die fragliche Bestialität gesetzlich zu fordern, halten wir selbst jene vornehmen Herren für unfähig, die den Jungfrauentribut in unseren Großstädten erheben.
110. Rothmann sagt in der Restitution:
„Daß man eine schwangere Frau oder eine, die nicht tauglich ist, zu empfangen, nicht soll, noch mag erkennen, ist zum ersten daraus beweislich, daß Gott den Menschen gebietet, sie sollen wachsen und sich vermehren und dazu allein, und nicht zur Lust sollen Mann und Weib den Segen Gottes gebrauchen.“
111. Wie fein die bürgerliche Geschichtschreibung es versteht, diesen Widerstand zu übertreiben, davon ein Beispiel. Keller schreibt in seiner Geschichte der Wiedertäufer, S. 211:
„Es ist gewiß, daß viele Frauen, verheirathete sowohl als unverheirathete, der neuen Einrichtung das größe Widerstreben entgegenbrachten – es wird berichtet, daß eine derselben den freiwilligen Tod wählte, um sich der Schande zu entziehn, die man ihr anthun wollte.“
Was wird in Wirklichkeit berichtet Gresbeck schreibt:
„So haben sie einmal gefunden in dem Wasser liegen eine Frau, die war ertrunken und schwamm auf dem Wasser und hatte noch ihre Kleider an. So wußten die gemeinen Leute nicht, wie sie ertrunken sei, ob sie die Propheten und Prädikanten hätten ertränken lassen, ob sich dieselbe Frau selbst ertränkt hätte. Die Frau lag in dem Wasser ungebunden. So meinten die Leute in der Stadt, daß sie sich selbst ertränkt hätte, daß sie sich so gemüht hätte um des Ehestands willen. Wie das mit der Frau lag, davon kann ich nichts weiter schreiben.“ (S. 64, 65.)
Also „berichtet“ wird blos, daß in Münster eine ertrunkene Frau gefunden wurde. Ob ein Verbrechen vorlag oder ein Selbstmord – oder ein einfacher Unglücksfsall, auf welche Möglichkeit Gresbeck merkwürdigerweise garnicht eingeht –, darüber ist nichts, aber auch garnichts bekannt. und daran wird dann die große Morithat gemacht!
112. Bericht des Jörg Schenk. (Berichte der Augenzeugen, S. 260)
113. In einem Volkslied aus jener Zeit singt ein Landsknecht, der dabei war:
„Die Landsknecht waren in großer Noth, |
114. Eyn gantz troestlick bericht van der Wrake vnde straffe des Babilonischen gruwels, an alle ware Israeliten vnd Bundtgenoten Christi, hir vnde dar vorstrohet, durch de gemeinte Christi tho Munster. Im Originalwortlaut gänzlich abgedruckt bei Bouterwek, Zur Literatnr und Geschichte der Wiedertäufer, S. 66–80.
115. Der lübische Wiedertäufer Johann von Etheede bekannte, gefangen genommen (wahrscheinlich im Mai 1534), „daß ihn die Stadt Lübeck habe ausgesandt, zu untersuchen, wie es in Münster stände, und er sollte sich hineingeben und nach Allem sich umsehn und dann wiederum kommen und berichten, was er erfahren habe. Könnten sie alsdann denen von Münster Hülfe thun mit Entsetzung oder anders, wollten sie sich darin beweisen. Das habe Johann von Hanxler im Beisein von sechs Rathsherrn mit ihm verhandelt.“ (Berichte der Augenzeugen, S. 260.)
116. Cornelius, Münsterischer Aufruhr, II., S. 234.
117. Berichte der Augenzeugen, S. 315.
118. Keller, Geschichte der Wiedertäufer, S. 276–279.
119. Berichte der Augenzeugen, S. 344 vgl. S. 336.
120. Holzhausen, a. a. O., S. 343.
121. Vgl. den Bericht des Generals Wirich vom 29. Juli an den Herzog von Cleve. (Berichte der Augenzeugen, S. 359)
122. Holzhausen, am 1. Juli an die Stadt Frankfurt, a. a. O., S. 366. „Man kann nicht ohne Erstaunen bemerken,“ meint einmal Keller, „daß es einigen eingewanderten Bösewichtern gelang, die gesammte einheimische Bevölkerung mehr und mehr zu Sklaven zu machen.“ (Wiedertäufer, S. 108) Noch erstaunlicher ist die Wuth, mit der die von der Schreckensherrschaft „Befreiten“ ihre „Befreier“ anfielen.
123. Bericht des Sigmund von Beineburgk an Philipp von Hessen, vom 7. Juli, a. a. O., S. 368.
124. Gresbeck, S. 213, und Beineburgk, a. a. O., S. 368.
125. Gresbeck, a. a. O., S. 213.
126. Kerssenbroick, II., S. 212. In diesen Bericht Kerssenbroick’s brauchen wir keinen Zweifel zu setzen.
Zuletzt aktualisiert am: 25. April 2019