Karl Kautsky

Die Vorläufer des neueren Sozialismus

Erster Band, erster Theil


Dritter Abschnitt
Der Kommunismus im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation

Viertes Kapitel
Die Begharden


I. Die Anfänge der Begharden

Dasjenige Land nördlich der Alpen, welches im Mittelalter zuerst Waarenproduktion und Waareuhandel und damit die daraus entspringenden sozialen Probleme entwickelte, waren die Niederlande, oder, genauer gesprochen, Flandern und Brabant. Die verschiedensten Handelsstraßen kreuzten sich dort. Nach du flandrischen Häfen zogen vom Süden her die Franzosen, namentlich aber die Italiener mit den Produkten des eigenen Landes und des Orients; sie kamen theils den Rhein herab über Köln, später aber zum großen Theil auch zur See. Zu ihnen gesellten sich bald auch Spanier und Portugiesen. Vom Westen kamen die Engländer, vom Norden die Kaufleute der mächtigen deutschen Hansestädte, welche den Handel zwischen dem Osten und Westen des nördlichen Europa von Nowgorod bis London vermittelten und welche die flandrischen Häfen, vor allen Brügge (das im Mittelalter noch am Meere lag), zu ihren Hauptstapelplätzen machten.

Hand in Hand damit ging die Entwickelung der Industrie. Die niederländischen Haiden und Dünen begünstigten die Entwickelung der Schafzucht und damit der Wollenindustrie. Der Aufschwung des Handelsverkehrs reizte dazu, die Produktion über die Bedürfnisse des lokalen Marktes hinaus auszudehnen, der Handel brachte aber auch einen auserlesenen Rohstoff, die englische Wolle, die beste damals bekannte. Das Zusammentreffen aller dieser Umstände bewirkte, wie wir schon in einem früheren Kapitel bemerkt (S. 98), daß bereits frühzeitig (im 13. Jahrhundert) in Flandern sich ein bedeutender Tuchexport entwickelte, das heißt aber nichts Anderes, als daß dort schon frühzeitig die Weber vom abhängig waren, daß ihre Industrie eine kapitalistische wurde.

Es ist also kein Zufall, wenn sich nördlich der Alpen zuerst in den Niederlanden eine kommunistische Sekte von Bedeutung bildete, die der Begharden.

Ihr Ursprung ist dunkel, ebenso die Bedeutung ihres Namens. [1]

Schon im 11. Jahrhundert sollen sich in den Niederlanden Gesellschaften frommer Frauen nachweisen lassen, die den Namen Beguinen oder Begutten führten. Doch wissen wir über deren Tendenzen nichts Näheres. Zum Theil sollen die Beguinengesellschaften durch die Kreuzzüge hervorgerufen worden sein, welche die männliche Bevölkerung dezimirten und einen starken Frauenüberschuß schufen. Für Viele wurde das Eingehen einer Ehe unmöglich, es bildete sich eine „Frauenfrage,“ die „Frauenheime“ der Beguinen sollten den Ehelosen eine Zuflucht gewähren. Vor den Klöstern hatten diese Organisationen den Vortheil voraus, daß sie freie Vereinigungen waren, ans denen man nach Belieben austreten konnte.

Aehnlich organisirt waren Gesellschaften von Männern, die sich seit dem Ende des 12. oder Anfang des 13. Jahrhunderts in den Niederlanden bildeten. Es waren Brüderschaften unverheiratheter Handwerker, meist Weber [2], die sich in eigenen Häusern zu gemeinsamem, kommunistischem Haushalt zusammenthaten, von ihrer Handarbeit lebten und daneben Liebeswerken, namentlich der Unterstützung Armer und Kranker, oblagen. Für die Mitglieder war, wie in jeder derartigen Gesellschaft, Ehelosigkeit vorgeschrieben.

Einen guten Einblick in das Wesen des Beghardenthums bietet uns die Beschreibung, die ein gewisser Damhouder im 13. Jahrhundert von den Anfängen des Beghardenhauses in Brügge giebt:

„Vor dreißig Jahren, erzählt er, „waren hier dreizehn Weber, unverheirathete Männer, Laien, die eifrigst nach einem Leben der Frömungkeit und Brüderlichkeit trachteten. Vom Abt Eckhuten mietheten sie ein Grundstück mit einem großen, bequemen Gebäude nahe bei der Stadtmauer, für einen jährlichen Zins von sechs Pfund Groschen (libris grossorum) und einer gewissen Menge Wachs und Pfeffer. Bald begannen sie dort ihr Weberhandwerk zu betreiben und in gemeinsamem Haushalt zu leben, densie aus dem Ertrag der gemeinsamen Arbeit bestritten (ex communibus laboribus simul convivere coeperunt). Sie standen unter keinen strengen Regeln, noch waren sie durch irgend ein Gelübde gebunden, nur trugen sie Alle die gleiche Tracht von brauner Farbe und bildeten in christlicher Freiheit und Brüderlichkeit eine fromme Gesellschaft.“ [3]

Sie führten den Namen der „Weberbrüder. “ Erst 1450 gaben die Begharden von Brügge die Weberei auf und schlossen sich den Franziskanern an, um sich vor Verfolgungen zu schützen.

Wie in Brügge waren die Beghardenhänser auch anderswo eingerichtet. Innerhalb eines jeden herrschte das Gemeineigenthum so weit, als das Wohl der Gesellschaft es verlangte. Außerdem dürfte aber jedes Mitglied auch ein gewisses Privateigenthum besitzen, das er entweder erarbeitet oder geerbt oder zum Geschenk erhalten hatte. Bei Lebzeiten durfte er frei darüber verfügen. Nach seinem Tode fiel es an die Gesellschaft.

Eine solche kommunistische Gesellschaft war ökonomisch den einzelnen Handwerkern weit überlegen. Nicht nur, daß der Kommunismus wie wir schon gesehen haben, nichts weniger als den Müßiggang förderte, der große Haushalt war auch ökonomischer als die zersplitterten kleinen Haushaltungen der einzelnen Handwerker. Dazu kam noch die Ehe- und Familienlosigkeit der Begharden. Kein Wunder, daß diese Arbeitergenossenschaften den zünftigen Webermeistern arge Konkurrenz machen konnten und bei ihnen nicht beliebt waren. Mosheim berichtet, daß in Gent und anderen Orten die städtischen Behörden sich öfters genöthigt sahen, auf das Andrängen der Weberzünfte hin den „Fleiß der Begharden zu hemmen“ und durch Vergleiche zwischen diesen und den Zünften den Frieden im Gemeinwesen wiederherzustellen. [4]

Bei der Masse der Besitzlosen aber wurden die Begharden sehr beliebt, denn der Ueberschuß, den ihre Arbeit über die verhältnißmäßig geringen Unterhaltungskosten abwarf, diente zur Unterstützung von Armen und Kranken und zur Uebung einer ausgedehnten Gastfreundschaft. Noch Bonifacius IX. rühmte es in einer Bulle an ihnen, daß sie „arme und unglückliche Personen in ihre Hospize aufnehmen und nach Vermögen auch andere Werke der Liebe üben.“ [5]

Aehnliche kommunistische Genossenschaften bildeten die „Brüder des gemeinsamen Lebens,“ die ebenfalls in den Niederlanden, jedoch erst zu Ende des 14. Jahrhunderts entstanden, gegründet von Gerhard Groot von Deventer. Diese Stiftung ging nicht von Handwerkern aus, sondern von Mitgliedern der höheren Klassen, die dem bedürftigen Volke helfen wollten. Ihr Charakter war auch von dem der Begharden ganz verschieden. Waren diese vorzugsweise Weber, so erwarben die Brüder des gemeinsamen Lebens ihren Lebensunterhalt namentlich durch das Abschreiben von Büchern. Und während die Begharden ihre Ueberschüsse dazu verwendeten, der materiellen Noth der Armen abzuhelfen, faßten die Brüder des gemeinsamen Lebens vorzugsweise die geistige Noth derselben in die Augen und wandten sich der Bildung des Volkes zu. Sie förderten diese theils durch Vertheilung von Schriften, an denen es vor der Erfindung der Buchdruckerkunst sehr mangelte, namentlich aber durch Einrichtung von Schulen. Auf diesem Gebiete haben sie Bedeutendes geleistet.

„Selbst auf die ganze Einwohnerschaft einer Stadt wirkte mitunter ein Bruderhaus zur allgemeinen Erhöhung des Kulturstandes. In Amersford z. B. wurde auf diese Weise um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Kenntniß des Lateinischen so gewöhnlich, daß die geringsten Handwerksleute lateinisch verstanden und sprachen; die gebildeteren Kaufleute wußten griechisch, die Mädchen sangen lateinische Lieder und überall auf den Straßen hörte man zierliches Latein.“ [6]

Diese Schilderung mag übertrieben sein, immerhin zeigt sie die Richtung an, in der die Thätigkeit der Brüder sich bewegte.

„Ihre Organisation war eine kommunistische. Die Brüderschaft war eine innig verbundene aber freie Genossenschaft ... Der Eintritt in die Korporation war nicht durch ein für das ganze Lebn bindendes Gelübde bezeichnet, und in dar Mitte der Brüder galten nicht strenge, bis ins Einzelnste gehende Vorschriften wie im Mönchthum ... Die gewöhnliche Einrichtung eines Bruderhauses war diese. Es lebten ungefähr zwanzig Brüder in einem Hause beisammen und hatten gemeinsame Kasse und Speisung ... Der Aufnahme in die Brüderschaft … ging ein Probejahr voran, während dessen die Novizen eine sehr strenge Behandlung erfuhren ... Daß der Aufzunehmende sein Erbtheil zum gemeinen Gebrauch gebe, wurde von ihm erwartet. Florentius (ein Freund und Schüler Gerhard’s) sagt in seinen Sprüchen: ‚Wehe dem, der in Gemeinschaft lebend, suchet was sein ist oder sagt, irgend etwas sei sein.‘ ... Die Thätigkeit der Brüder war unter einzelne Personen wohl vertheilt. Die verschiedenen Handwerke, die für das Ganze nöthig waren, wurden von besonderen Personen betrieben. Unter den Gesetzen für die Bruderhäuser zu Wesel finden sich auch Bestimmungen für den Bruder Kleidermacher, Barbier, Bäcker, Koch, Gärtner, Kellermeister, ebenso wie für die Brüder Lehrer und Schreiber, den Bruder Buchbinder, Bibliothekar und Vorleser ... Trotz dieser Vertheilung fand aber auch eine gewisse Ausgleichung statt. Die geistlichen und gelehrten Brüder unterzogen sich, soweit es anging, jeder Handarbeit (der Besorgung der Küche hatten sich Alle der Reihe nach zu unterzieheu), und die dienenden nahmen fast an Allem Theil, was den Klerikern zukam, so daß das Ganze immer einer in gegenseitiger Handreichung zusammenwirkenden Familie zu vergleichen war. Ein Haupteinigungspunkt war das Bücherabschreiben ... Für das Schreiben waren täglich gewisse Stunden bestimmt, namentlich einige Stunden, wo zum Besten der Armen geschrieben wurde.“ [7]

Zum Ausgangspunkt einer kommunistischen, oppositionellen Bewegung sind jedoch die Brüder des gemeinsamen Lebens nie geworden – vielleicht infolge ihres Zusammenhanges mit den besitzenden und gebildeten Klassen. Sie sind stets gut päpstlich geblieben. Die Stürme der Reformation im 16. Jahrhundert machten ihrer stillen Wirksamkeit ein Ende.

Anders die Begharden. Anfangs freilich waren auch sie höchst harmloser Natur, die den Beifall manchen Papstes errangen. Sie richteten sich nicht im Geringsten gegen die bestehende Gesellschaft und deren Autoritäten. Aber allmälig entwickelten sich in ihrer Mitte revolutionäre Elemente.

Sie bildeten keine privilegirte Klasse, wie die Mönchsorden, sie forderten und erhielten kein Privilegium von der päpstlichen Gewalt und blieben unabhängig von dieser, waren durch keinerlei Interesse mit ihr verbunden. Sie erhoben sich nie über die Besitzlosen, mit denen sie m engster Berührung blieben, da sie ja keine bestimmten Regeln hatten und keine lebenslänglichen Gelübde kannten. Jedes Mitglied konnte aus der Gesellschaft nach Belieben austreten und heirathen, ohne in Gegensatz zu ihr zu treten.

Am ähnlichsten sind die Begharden darin den Tertiariern der Franziskaner, mit denen sie sich zeitweise an manchen Orten auch wirklich verschmolzen haben.

Aber waren die vom Papst anerkannten und privilegirten Franziskaner wenigstens zum Theil in Konflikt mit diesem gekommen, so war das um so unvermeidlicher bei den völlig unabhängigen Begharden, deren proletarische Tendenzen von vornherein im Gegensatz zum Reichthum und zum Ausbeutungscharakter der bestehenden Kirche standen. So fromm und demüthig sie auch auftraten, dem Papstthum erschien jede derartige Bewegung gefährlich, sobald sie größere Ausdehnung erlangte, und das war bei den Begharden seit dem 13. Jahrhundert der Fall. Mit unglaublicher Schnelligkeit verbreitete sich damals ihr Anhang durch ganz Deutschland, Frankreich und England. Viel dürfte dazu beigetragen haben, daß in demselben Jahrhundert die verschiedensten Städte sich bemühten, flämische Weber zu gewinnen, um ihre Wollenindustrie zu heben. Bis nach Wien, nach Thüringen, nach Brandenburg, der Lausitz im Osten, nach England im Westen drangen sie vor.

Indessen braucht man die Bedeutung dieser Wanderungen nicht allzu hoch anzuschlagen. Aehnliche Zustände erzeugen von selbst Aehnliches. und Baumwollenweber entwickelten dort, wo ihr Industriezweig zur Exportindustrie wurde, den beghardischen sehr verwandte Tendenzen. [8]

Die rasche Ausbreitung des Beghardenthums mußte sein Selbstgefühl entwickeln. Sie begünstigte aber auch die Bildung verschiedener Richtungen in seinem Schooße, da dieselbe Lehre, derselbe Ideengang nun in die mannigfaltigsten Verhältnisse versetzt wurde, denen er sich m der verschiedensten Weise anzupassen hatte. Blieben ein Theil der Begharden demüthige Betbrüder, die für die eine Außenwelt gänzlich abstarben, so begannen in einem anderen Theil kühnere Gedanken sich zu regen. Der Wunsch wurde wach, den Ungerechtigkeiten der bestehenden Gesellschaft nicht dadurch entgegenzuwirken, daß man sie floh, sondern dadurch, daß man in sie eindrang und dazu trieb, die Ungerechtigkeiten abzuschaffen. Aus den Beghardenhäusern gingen zahlreiche Agitatoren hervor, „Apostel,“ die gleich den „Barben“ der Waldenser von Ort zu Ort zogen, das Evangelium des Urchristenthums verkündend und Gemeinden gründend. Neben den offenen Beghardenhäusern begann ein Netz von Geheimbünden mit radikaleren Tendenzen Deutschland (wozu die Niederlande noch gehörten) zu überziehen, keine Verschwörungsgesellschaften zur Vorbereitung gewaltsamen Losschlagens, sondern Propagandagesellschaften, aber auch als solche bei den bestehenden Autoritäten, namentlich der päpstlichen Kirche, mißliebig und daher gerne aufgespürt und verfolgt.

Das Konzil zu Bezières klagte sie schon 1299 an, daß sie chiliastische Hoffnungen auf den nahenden Untergang der Welt, das heißt der bestehenden Gesellschaft, im Volk erweckten, und am Rhein wurden um dieselbe Zeit Begharden als Ketzer verbrannt.

Die Verfolgung hatte jedoch nur theilweisen Erfolg. Die gemäßigtere und furchtsamere Fraktion der Begharden wurde allerdings eingeschüchtert, und die Beghardenhäuser dieser Richtung suchten sich dadurch zu schützen, daß sie sich an einen der bestehenden mächtigen Mönchsorden anlehnten, oder sich demselben direkt anschlossen. Namentlich die Franziskaner, die ja mit dem muckerischen Theil der Begharden manche Verwandtschaft hatten, profitirten dabei und erwarben eine Reihe von Beghardenhäusern. [9]

Neue Beghardenhäuser wurden nach dem 13. Jahrhundert nur noch selten gegründet.

Aber der energischere Theil der Begharden wurde durch die Verfolgung zu noch größerer Heimlichkeit und entschiedenerer Opposition gedrängt. Dieser Prozeß wurde gefördert durch französische und italienische Emigranten, die seit den Albigenserkriegen gern nach Deutschland zogen, wo die Staatsgewalt keine solche Macht hatte und kein solches Interesse an der Aufrechterhaltung des Papstthums besaß, wie in Frankreich oder den italienischen Staaten, wo es daher leichter war, Schutz und Schirm in einer Stadt oder auf den Gütern irgend eines Grundherrn zu finden, dem die neuen Arbeiter oft sehr willkommen waren.

Aus Südfrankreich und Italien kamen Waldenser und Apostelbrüder. Aus dem nördlichen Frankreich kamen die Brüder und Schwestern des freien Geistes.

Von Flandern hatte sich die Tuchmacherei als Exportgewerbe rasch nach den Nachbarländern verbreitet, mit denen es regen Handelsverkehr unterhielz, so nach dem Niederrhein, so nach Nordfrankreich, namentlich der Champagne, wo sie im 13. Jahrhundert blühte. Im 14. Jahrhundert ging sie stark zurück, namentlich infolge der frauzösisch-englischen Kriege, die die Hasdelswege sperrten und ihr den Rohstoff abschnitten.

Entsprechend dieser frühen Entwickelung der Wollenindustrie finden wir dort auch frühzeitig Weberbrüderschaften mit kommunistischen (oder wenigstens urchristlichen, was aber bei Proletariern auf dasselbe hinausläuft) Tendenzen, die Apostoliker (nicht zu verwechseln mit den italienischen Apostelbrüdern), die sichs zur Aufgabe stellten, die Lebensweise der Apostel wieder herzustellen.

„Sie waren schon berühmt im 12. Jahrhundert zu des heiligen Bernhard Zeiten, der sie in zweien seiner Reden über das Hohe Lied Salomonis scharf widerlegt hat ... Die Apostoliker hielten sich in Frankreich vornehmlich auf ... Die Apostoliker arbeiteten und erwarben ihr Brot durch die Werke ihrer Hände. Es waren Handwerksleute, sonderlich Weber, wie man aus dem heiligen Bernhard sehen kann, der ihnen, so heftig er sie auch straft, doch den Ruhm läßt, daß sie fleißig wären.“ [10]

Indeß bot Nordfrankreich im 12. Jahrhundert für derartige Sekten doch noch keinen solchen Boden wie Südfrankreich oder Flandern. Die Apostoliker haben nie die Bedeutung erlangt wie die Waldenser und Begharden. Wichtiger wurden die Brüder und Schwestern des freien Geistes, die dem 13. Jahrhundert entstammten.

Gegründet wurde die Sekte durch Amalrich von Bena (geboren in Bena in der Diözese Chartres in Frankreich), der um 1200 Magister der Theologie in Paris war. Wegen seiner Lehren angeklagt, wurde er nach Rom vor dem Papst Innocenz III. zitirt (1204), der ihn zum Widerruf zwang. Damit glaubte man auch die gefährlichen Lehren selbst unschädlich gemacht zu haben. Aber nach dem Tode Amalrich’s (1206) entdeckte man, daß er einen großen Anhang hinterlassen habe. Der bedeutendste seiner Schüler war David von Dinant (bei Namur in Belgien). 1209 verdammte eine Synode zu Paris die Lehren Amalrich’s, und eine eifrige Verfolgung der Amalrikaner begann.

Unter den kommunistischen Sekten jener Zeit bildeten sie die kühnste und radikalste. Sie proklamirten nicht nur die Gemeinschaft der Güter, sondern auch die der Weiber; sie verwarfen jede Ungleichheit, daher auch alle Obrigkeit. Sie erklärten endlich, daß Gott Alles und überall sei [11], also auch im Menschen, daß, was der Mensch wolle, Gott wolle, daß daher jede Gebundenheit des Menschen verwerflich und ein Jeder berechtigt, ja verpflichtet sei, seinen Trieben zu gehorchen. Entkleidet man diese pantheistische Lehre ihrer mystischen Umhüllung, so stellt sie sich als eine Art von kommunistischem Anarchismus·dar, eine Lehre, die für mißhandelte und niedergetretene Proletarier große Anziehungskraft haben mußte.

Sie fand auch rasch weite Verbreitung von Paris über das östliche Frankreich nach Deutschland, Ein großer Theil der Begharden nahm diese Lehre an. Zu Ende des 13. Jahrhunderts war diese unter den Begharden am Rhein schon so verbreitet, daß die Begriffe „Brüder und Schwestern vom freien Geist“ und Begharden dort fast identisch wurden.

Der Begriff des Begharden wurde nach und nach ein immer weiterer. Je mehr diejenige Richtung des Beghardenthums an Ausdehnung gewann, die den Kampf gegen das Papstthum in den Vordergrund stellte, desto mehr Berührungspunkte mußte dieselbe mit der bürgerlichen und bäuerlichen demokratischen Opposition gewinnen, die ebenfalls gegen die bestehenden Umstände sich richtete und ebenfalls im Papstthum den größten und gefährlichsten Gegner sah. Die beidem Richtungen konnten um so leichter ineinander verschwimmen, da sie sich auf die gleichen Argumente stützten, die dem Urchristenthum entnommen waren, und da weder der mystische Nebel, in den die Lehren jener Sekten versenkt waren, noch die absichtlich Verhüllung, welche ihnen die Agitatoren gaben, um sich vor Verfolgungen zu sichern [12], dazu angethan war, prinzipielle Klarheit zu fördern. So wurde im 14. Jahrhundert in Deutschland der Name Beghard zur Bezeichnung für Ketzer überhaupt. In England, wo die Begharden Lollharden hießen, ging es mit dem letzteren Namen ebenso.

Wenn wir daher hören, daß es in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Deutschland, später in England von Begharden oder Lollharden wimmelte, so dürfen wir nicht annehmen, daß die kommunistische Bewegung so stark war, als die Ausdehnung dieser Sekten erwarten läßt. Immerhin kann sie nicht unbedeutend gewesen sein.
 

II. Ludwig der Bayer und der Papst

Eine gute Zeit für das Beghardenthum, wie für die ketzerischen Bestrebungen überhaupt, brach in Deutschland heran, als der Konflikt zwischen dem Kaiser Ludwig IV. dem Bayer (1314–47) und dem Papstthum sich entwickelte. Diesen müssen wir etwas näher eingehen.

Nationalliberale Geschichtschreiber lieben es, namentlich in populären Schriften, jeden Konflikt zwischen Kaiser und Papst von denselben Gesichtspunkten aus als einen „Kulturkampf“ zu betrachten – einen Kampf zwischen der höheren Kultur des deutschen Kaiserthums und der finsteren Barbarei des Papstthums –, einerlei, wann immer dieser Kampf spielt, ob im 10. oder im 19. Jahrhundert.

In Wirklichkeit haben nicht einmal die mittelalterlichen Kämpfe zwischen Kaiser und Papstthum immer denselben Charakter gehabt. Von den Ottonen nr zu den Hohenstaufen drehte sich der Kampf im Wesentlichen um die Frage, wer der Beherrscher und Ausbeuter der Herrschaftsorganisation, Kirche genannt, und wer der Beherrscher und Ausbeuter Oberitaliens sein solle. Der letztere Streit endete damit, daß die Städte Oberitaliens sich freimachten von jeder Bevormundung und selbständige Staaten gründeten. Der erstere Streit endete, wie mancher andere auch, mit dem Sieg der höheren Kultur – des italienischen Papstthums – über die Barbarei, das deutsche Kaiserthum. Die Gier des letzteren nach den Schätzen Italiens hatte nur dazu geführt, daß es seine Kräfte zersplitterte und daß, als das Papstthum über das Kaiserthum triumphirte, auch das deutsche Territorialfürstenthum seinen Triumph feiern konnte. Die Entwickelung der Waarenproduktion und des Waarenhandels förderte überall das Aufkommen des fürstlichen Absolutismus; aber in Deutschland führte sie nicht zur Stärkung der Zentralgewalt, die vielmehr seit dem Untergang der Hohenstaufen zusehends verfiel, sondern zum Aufkommen der Reichsfürsten, die immer mehr zu souveränen Herren wurden, welche im deutschen Kaiser nur eine Art Bundespräsidenten anerkannten.

Anders im benachbarten Frankreich. Dort stieg vom 13. Jahrhundert an die Macht des Königthums, namentlich seitdem die Dynastie in den Besitz des reichen südlichen Frankreich gelangt war (vergl. S. 147). Gerade um dieselbe Zeit, als der Jahrhunderte lange Kampf zwischen dem deutschen Kaiserthum und dem Papstthum mit dem Siege des letzteren endete, wurden die Könige Frankreichs so mächtig, daß es ihnen gelang, was die deutschen Kaiser vergeblich erstrebt: die Päpste zu ihren Werkzeugen, die Kirche sich dienstbar zu machen. Bonifaz VIII., dessen Bekanntschaft wir m der Geschichte Dolcino’s gemacht haben, ging an dem Versuch zu Grunde, sich der Botmäßigkeit Philipp IV. von Frankreich zu entwinden (1303). Um jedem päpstlichen Selbständigkeitsgelüste ein Ende zu machen, zwang Philipp den zweiten Nachfolger Bonifaz’, den 1305 erwählten Clemens V., einen Franzosen, Rom zu verlassen und im südlichen Frankreich seinen Wohnsitz aufzuschlagen, wo dieser Bach längerem umherziehen sich endlich in Avignon niederließ (1308). Dieses sollte nun für zwei Menschenalter die Residenz der Päpste bleiben.

Die päpstliche Gewalt war nun vollends von Frankreich abhängig geworden. Schon bei seiner Wahl hatte Clemens Philipp IV. eine Reihe wichtiger Versprechungen machen müssen – und dieser sorgte dafür, daß sie ausgeführt wurden. Sogleich nach seiner Krönung überließ Clemens dem König den Zehnten von allen geistlichen Gütern in Frankreich. Am wichtigsten aber wurde die Aufhebung des ungemein reichen Ordens der Tempelherren, die in Südfrankreich ihren Hauptsitz hatten und nach deren Schätzen Philipp schon lange lüstern war. [13] Clemens mochte sich drehen und wenden wie er wollte, es nützte ihm nichts. Er mußte in den saueren Apfel beißen und den Orden nach einem skandalösen Scheinprozeß wegen seiner Irreligiosität und Sittenlosigkeit verdammen und aufheben. Was anderswo die Fürsten nur durch Loossagung vom Papstthum erreichen konnten: die Einziehung reicher Kirchengüter, das besorgte für Frankreich der Papst selbst. Kein Wunder, daß die französischen Könige gut katholisch und päpstlich blieben und die Ketzerei eifrig verfolgten.

Auch in der äußeren Politik mußten die Päpste den französischen Königen zu Willen sein, die in ständigem Zwist mit England waren und auf Deutschlands Kosten ihr Land zu vergrößern suchten. Sie drängten daher die Päpste zu Konflikten mit den englischen Königen und den deutschen Kaisern.

Es bedurfte jedoch nicht allzugroßen Drängens dazu. Seitdem die Päpste unter französischer Oberhoheit waren, gingen sie der besten Einnahmen aus Frankreich verlustig. Aber dank ihrer Abwesenheit von Rom wurden auch die Einnahmen aus dem Kirchenstaat immer unsicherer, blieben oft gänzlich aus. Gleichzeitig stiegen am päpstlichen Hofe, wie an jedem anderen Hofe jener Zeit, mit der Entwickelung von Handel und Industrie der Luxus, das Bedürfniß und das Verlangen nach Geld. Je weniger in Frankreich und Italien – und bald auch Spanien – zu holen war, desto mehr mußte aus den nordischen Ländern herausgeschunden werden. In Avignon haben die Päpste jenes System fiskalischer Ausbeutungen der deutschen Kirche ersonnen, welches schließlich zum Abfall Deutschlands von Rom, zur Reformation führen sollte. [14] Deutschland, dessen Zentralgewalt so schwach war, durften die Päpste im 14. Jahrhundert Alles bieten. Immer höher stiegen die Anforderungen, welche sie unter den verschiedensten Titeln an die Bischöfe und Klöster Deutschlands stellten, immer frecher daneben die Methoden direkter Ausbeutung, z. B. durch den Ablaßhandel, und Erpressung, namentlich durch Exkommunikation.

„Durch die fortwährenden päpstlichen Forderungen,“ sagt ein guter Katholik, „durch die kostspieligen Romreisen, durch die ewigen Kriege waren die meisten deutschen Stifte tief in Schulden gerathen (im 14. und 15. Jahrhundert) und mußten den italienischen Bankiers die enormsten Wucherzinsen zahlen. Diese Bankiers in Siena, Rom, Florenz benützten die päpstliche Autorität, die deutsche Kirche auszusaugen. Wollte ein Bischof nicht pünktlich zahlen, so wußten sie päpstliche Befehle auszuwirken, durch welche die Bischöfe durch Androhung von Exkommunikation und Absetzung zur Zahlung der Wucherzinsen gezwungen wurden.“ (Ratzinger, Geschichte der kirchlichen Armenpflege, S. 304 ff.)

Aber das genügte den Päpsten nicht. Johann XXII., seit 1316 Nachfolger Clemens V., erklärte, daß nach dem Tode eines Kaisers dessen Gewalt auf den Papst übergehe, daß dieser, der Sklave Frankreichs, der Oberherr Deutschlands sei. Das konnte sich ein Kaiser, wenn, er überhaupt Kaiser sein wollte, doch nicht bieten lassen. Ungern, mit Widerstreben und ohne Entschiedenheit nahm Ludwig den Kampf auf. Das war ein ganz anderer Konflikt, als jener, den noch die Hohenstaufen mit den Päpsten ausgefochten hatten. Nicht mehr um Italiens Beherrschung und Ausbeutung handelte es sich, sondern um die Deutschlands. Nicht mehr darum, wer der Herr der Kirche sein solle, sondern ob der geistliche Herr der Kirche auch Herr über die weltlichen Gewalten sei. Das Papstthum hatte Deutschland gegenüber die Offensive ergriffen, und zu einer Zeit, wo überall die monarchische Gewalt sich mächtig regte und anfing, die Kirche sich dienstbar zu machen, kämpfte das deutsche Kaiserthum um seilte Selbständigkeit gegenüber dem Papst.

Dieser Kampf ging parallel mit einem anderen. Die Reichsfürsten begannen, sich zu souveränen Herren zu entwickeln, sie suchten die kaiserliche Gewalt zu schwächen. Dagegen sahen jene Elemente, die von dem aufstrebenden Fürstenthum bedroht wurden, vor Allem die freien Städte, in der kaiserlichen Macht ihren besten Bundesgenossen. Sie waren auch die kräftigsten und zuverlässigsten Verbündeten des Kaisers im Kampfe gegen das Papstthum. Der höhere Adel dagegen neigte zumeist auf die Seite des Papstes. Mitunter war freilich des Letzteren Anmaßung so groß, daß selbst die Fürsten sich dagegen auflehnen mußteu. In der Regel betrachteten sie doch den Kaiser als ihren nächsten Gegner und standen dem Papste bei in seinem Bestreben, dessen Macht zu schwächen und herabzudrücken.

Der Papst gebrauchte seine schärfsten Waffen gegen den Kaiser; er verdammte und exkommunizirte ihn. Aber die Städte lachten darüber. „Um diese Zeit,“ erzählt ein Chronist jener Tage, „war der Klerus in großer Verachtung bei den Laien und man hielt die Judeb höher als ihn.“ L. Keller beschreibt in seinem bereits mehrfach erwähnten Buche über die älteren Reformparteien (S. 114) sehr anschaulich das Verhalten der Städte gegenüber dem Papst:

„Die Stadt Straßburg war in diesem Kampfe insofern vorangegangen, als sie die Priester, welche gemäß dem päpstlichen Befehle den Gottesdienst eingestellt hatten, zwang, die Stadt zu räumen. Die Stadt Zürich hatte schon seit 1331 keine päpstlichen Kleriker mehr geduldet. In Konstanz forderte der Magistrat von seinen Geistlichen, daß sie ihre Funktionen wieder aufnehmen sollten und gab ihnen eine Frist zur Ueberlegung. Als diese abgelaufen war (6. Januar 1339), mußten Alle, welche nicht fungiren wollten, die Stadt verlassen. Zu Reutlingen ließ der Rath öffentlich ausrufen, daß Niemand bei einer Strafe von fünfzehn Pfund einen Priester aufnehmen dürfe, der dem Papste Gehorsam leiste. In Regensburg zwang die Obrigkeit ihre Priester durch Hunger zur Abhaltung des Gottesdienstes. In Nürnberg, wo die städtischen Oligarchen eine Zeit lang mit dem römischen Klerus gemeinsame Sache gemacht hatten, kam es hierüber mit den Zünften zum offenen Kampfe, der mit der Niederlage der Geschlechter und der Priester endigte. Kaum war dieser Sieg erfochten, da schloß sich Nürnberg der Partei des gebannten Kaisers an. Ueberhaupt kann man beobachten, daß alle deutschen Städte, welche nicht von dem Patriziat regiert wurden, unbedingte Gegner Roms und treue Anhänger Ludwig’s gewesen sind.“

Unter diesen Umständen gedieh natürlich die beghardische Ketzerei gewaltig. Ganz Deutschland erscholl vom Kampfgeschrei gegen den Papst, und den bürgerlich und kaiserlich Gesinnten war Jeder willkommen, der mit einstimmte.

„Die Beförderung der Schismatiker zu den höchsten Ehrenstellen durch Kaiser Ludwig,“ sagt ein Chronist der Franziskaner, den Mosheim aufführt, „und die Straflosigkeit ihrer Verbrechen vermehrte die Frechheit und den Trotz Anderer aus allen Orden, die bei der geringsten wirklichen oder angeblichen Veranlassung vom Papst abfielen und zum großen Schaden der katholischen Sache die Sekte der ‚Brüder‘ (eben die Begharden) vermehrten, welche sich unverschämt aus ihren Schlupfwinkeln hervorwagten und die Handlungen des Petrus Corbarius (den Ludwig zum Gegenpapst unter dem Namen Nikolaus V. gemacht hatte) und Ludwig’s billigten.“ [15]

Auch ausländische Ketzer, die nach Deutschland flüchteten, fanden Schutz bei Ludwig. 1324 bezeichnete Johann XXII. den Kaiser in einer Bulle als Beschützer und Beförderer von Leuten, die der Ketzerei überwiesen worden, namentlich lombardischer Ketzer, worunter wohl Waldenser oder Apostelbrüder zu verstehen sind.

Aber Kaiser Ludwig nahm sogar die kommunistische Idee in seine Dienste, allerdings nicht in der beghardischen, sondern in der ungefährlicheren franziskanischen Form. Wir haben bereits früher (S. 114) auf den Kampf hingewiesen, der innerhalb des Franziskanerordens über die Frage entstanden war, ob er Eigenthum erwerben dürfe oder nicht. Seitdem der Papst Innocenz IV. (1245) sich auf Seite der eigenthumslüsternen Fraktion der Franziskaner gestellt hatte, nahm die strengere Richtung eine immer feindlichere Haltung gegen das Papstthum ein. Der Konflikt zwischen den strengeren Franziskanern, den Spiritualen oder Fraticellen, wurde akut, als Johann XXII., der Gegner Ludwig’s, 1322 deren Lehre, daß Christus und seine Apostel kein Eigenthum besessen hätten, für ketzerisch erklärte, nachdem er schon 1317 die Inquisition gegen sie aufgeboten hatte. 1328 setzte Johann sogar den Ordensgeneral Michael von Casena ab, der sich auf die Seite der strengeren Richtung stellte. Diese trat entschieden auf Ludwig’s Seite, die strengen Franziskaner wurden seine eifrigsten und unerschrockensten Agitatoren. Aus ihren Reihen entnahm Ludwig seinen Gegenpapst, den schon erwähnten Nikolaus V., den er 1328 von den Römern wählen ließ, freilich mir, um ihn bald wieder im Stiche zu lassen. Nikolaus unterwarf sich schon 1330 dem Avignoner Papst und schwor reuig allen seinen „Irrthümern“ ab.

Dieses Loos der kaiserlichen Kreatur deutete bereits an, welches Ende der Konflikt zwischen Papst und Kaiser nehmen werde. Der Letztere unterlag.
 

III. Die katholische Reaktion unter Karl IV.

Der Papst Clemens VI., der zweite Nachfolger Johann XXII. fand einen Kandidaten für die deutsche Kaiserkrone, der dem Papstthum und Frankreich unbedingt ergeben war, Karl, den Sohn des Königs Johann von Böhmen.

Die Schwäche des deutschen Kaiserthums bewirkte nicht blos, daß die Reichsfürsten anfingen, zu souveränen Herren zu werden, sie bewirkte auch, daß Reichsgebiete, die an den Grenzen lagen, selbständig wurden, so die Schweiz, so die Niederlande. Auch Böhmen löste sich immer mehr vom Reiche ab. In ihrem Gegeusatz zur Reichsgewalt suchten die böhmischen Könige eine Stütze in Frankreich. Der Luxemburger Johann von Böhmen war mit Karl IV. von Frankreich verschwägert, der seine Schwester geheirathet hatte. Johann’s Sohn, Wenzel, wurde am französischen Hofe erzogen, wo er, da der Name Wenzel daselbst nicht gefiel, bei der Firmung den Namen Karl annahm, den er behielt. Erziehung und dynastische Interessen machten ihn zu einem vollkommen verläßlichen Bundesgenossen Frankreichs und des Papstes. Sobald Karl sich bereit zeigte, die Kaiserkrone anzunehmen, erklärte Clemens den regierenden Ludwig für abgesetzt und forderte die Deutschen auf, sich einen neuen Kaiser zu wählen. Dank der kirchlichen Unterstützung und seinen gefüllten Geldsäcken fand Karl vier Kurfürsten, die ihn wählten (1346). Sein Sieg wurde ihm leichter, als er dachte, denn ehe es zu einem ernstlichen Kampfe zwischen den beiden Kaisern hatte kommen können, starb Ludwig der Bayer.

Karl war kein Gefühlspolitiker. Er hatte die neuere Staatskunst in Frankreich und Italien gründlich gelernt. Er wußte daher auch sehr wohl, daß die Tage der kaiserlichen Herrlichkeit für immer dahin seien und daß die Wurzeln seiner Macht in seinem Stammlande, nicht in der Kaiserkrone lägen. Seine Hauptsorge war Böhmen. Aus der Kaiserkrone suchte er so viel Profit als mir möglich herauszuschlagen, jedoch hütete er sich, um ihretwillen einen Kampf zu wagen, etwas zu opfern. Der Rest des kaiserlichen Ansehens aber erschien ihm fest zusammenhängend mit dem Ansehen der päpstlichen Kirche; Kaiser und Papst waren darauf angewiesen, Hand in Hand miteinander zu gehen, was Karl allerdings durch seine persönlichen Neigungen und Beziehungen sehr erleichtert wurde.

So wurde Karl der „Pfaffenkaiser,“ wie die Italiener ihn nannten, der eifrige Vertreter aller Ansprüche des Papstthums die nur irgendwie mit seiner Machtstellung vereinbar waren. Am meisten litt darunter namlich die demokratische und damit auch die kommunistische Ketzerei. Unter Ludwig hatten die Verfolgungen der Begharden in Deutschland fast ganz aufgehört oder waren doch unwirksam geworden. Jetzt brach eine Periode blutiger Verfolgungen über sie herein.

Schon aus dem Jahre 1348 werden Verfolgungen von Ketzern erwähnt. Aber mit voller Macht wüthete die Reaktion erst im letzten Drittel des Jahrhunderts, als der Aufschwung der Ketzerei in England, von der wir gleich reden werden, die römische Kirche zu besonderer Wuth anstachelte. Ein Dekret Karl’s gegen die Begharden folgte dem anderen, am furchtbarsten wohl das am 10. Juni 1369 in Lucca erlassene, welches den Inquisitoren besondere Vollmachten verlieh.

Schon im Jahre 1367 hatte der Papst Urban V. zwei Inquisitoren nach Deutschland gesandt, aber bald wurde ihnen die Arbeit zu viel. Der nächste Papst, Gregor IX. sandte weitere fünf zu ihrer Unterstützung (1872). Allenthalben loderten nun die Scheiterhaufen, zu Hunderten wurden die Ketzer verbrannt.

Am 30. Januar 1394 endlich erließ Papst Bonifacius IX. ein Edikt, in dem er alle bisherigen Bestimmungen der Päpste zur Ausrottung der Ketzer, unter Bezugnahme auf die Erlasse Kaiser Karl IV. zusammenfaßt. Er berief sich auf ein Gutachten der deutschen Inquisitoren über die Ketzer Deutschlands, die das Volk Begharden, Lollharden und Schwestrionen nenne, die sich selbst mit dem Namen „Arme“ und „Brüder“ bezeichnen. Er jammerte, daß diese Ketzerei seit mehr als hundert Jahren bestehe, ohne daß es gelungen sei, ihrer Herr zu werden, trotzdem man mit den Scheiterhaufen nicht gespart habe. Nun gelte es, der Ketzerei den Garaus zu machen.

1395 berichtete denn auch der Inquisitor Petrus Pilichdorf triumphirend, es sei gelungen, der Ketzerei Herr zu werden. [16] Aber 1399 sah sich Bonifazius schon wieder genöthigt, die Zahl der Inquisitoren um sechs zu vermehren.

Die Sekte fand ununterbrochen neue Nahrung in den Verhältnissen, die ihr immer wieder neue Anhänger zuführen. Aber immerhin wurde sie durch die blutige Verfolgung zu völliger Unbedeutendheit herabgedrückt.

Das öffentliche, selbständige Beghardenthum verschwand gänzlich. Wir haben gesehen, daß schon die erste Verfolgung im 13. Jahrhundert zu der Annäherung eines großen Theils der gemäßigten Begharden an die Bettelorden führte. Jetzt wurde dieser Prozeß vollendet. Die selbständigen Beghardenhäuser hörten völlig auf. Sie verwandelten sich in Klöster, die theils in den Besitz von Bettelmönchen übergingen, namentlich von Franziskanern, theils den alten Namen beibehielten, aber thatsächlich sich auf den Boden des Mönchsthums stellten. Papst Nikolaus V. nahm diese Convente schließlich 1453 offiziell in den Schooß der Kirche auf und verlieh ihnen die Rechte der Tertiarier.

Die geheimen Gemeinden konnten weder völlig vernichtet noch auch zur Unterwerfung gebracht werden. Aber all ihr Heldenmuth und ihre ganze Hingebung war für mehr als ein Jahrhundert lang nicht im Stande, mehr zu erzielen, als daß sie eine endlose Reihe von Märtyrern lieferten.

Wie jede Art ketzerischer Opposition, so konnte auch die kommunistische – und sie vor allen als die weitaus schwächste – in Deutschland erst dann wieder ihr Haupt erheben, als es daselbst zu einem neuen großen Konflikt der weltlichen Machthaber mit dem Papstthum kam, als ein erheblicher Theil der deutschen Fürsten stark genug geworden war, es auf einen Kampf mit Kirche und Kaiser zugleich ankommen lassen zu können.

Nach Ludwig IV. Tode fand die Ketzerei bis zur großen deutschen Reformation nur noch zwei Freistätten in Europa: zuerst England und dann – eine sonderbare Wendung – Böhmen, jenes Land, von dessen Herrscher die katholische Reaktion in Deutschland ausgegangen war.


Fußnoten

1. Am plausibelsten erscheint uns die Annahme Mosheim’s, der das Wort vom altsächsischen beg, betteln, ableitet; die Begharden waren also arme Teufel, Bettelbrüder. (Mosheim, Ketzergeschichte, S. 378.) Man nannte sie auch Lollharden, vom Lollen, Singen, Murmeln. Lollharden hießen Leichensänger. Beide Namen sind Spitzuamen, die ihnen das Volk beilegte. Die Begharden selbst nannten sich einfach „Brüder.“

2. Neben den Webern werden namentlich Bauleute als eifrige Mitglieder der beghardisch-waldensischen Bewegung in Deutschland genannt. Ludwig Keller hat in seinem Buch: Die Reformation und die älteren Reformparteien (Leipzig 1885) durch eine Reihe von Indizienbeweisen nachzuweisen versucht, daß den Gilden der freien Maurer der Hauptantheil an dieser Bewegung zukomme. Wäre ihm der Nachweis gelungen, so hätte er damit eine höchst wichtige Entdeckung gemacht. Aber direkte Belege für seine Hypothesen bringt er nicht vor, und seine Indizienbeweise sind keineswegs zwingend. Das Buch ist uns leider erst kurz vor der Drucklegung vorliegender Schrift zu Händen gekommen, es war uns daher nicht mehr möglich, in den Gegenstand tiefer einzudringen. Aber er ist wichtig genug, daß man ihm weiter nachforscht. Einstweilen können wir nichts thun als die Keller’sche Hypothese registriren, ohne ein Urtheil über sie zu fällen.

3. Zitirt bei J. L. v. Mosheim, De Beghardis et Beguinabus, Leipzig 1790, S. 177.

4. A. a. O., S. 182.

5. Mosheim, a. a. O., S. 653.

6. Ullmann, Reformatoren vor der Reformation, II, S. 111.

7. Ullmann, a. a. O., II., S. 97–102.

8. Die Ordnung der Ulmer Webergesellen vom Jahre 1404 erinnert „in ihrer streng religiösen, fast ascetischen Richtung au die Brüderschaft der Begharden in den Niederlanden, welche zumeist Wollenweber waren.“ (Hildebrand, Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, Hildebrand’s Jahrbücher 1866, S. 110.)

9. In Antwerpen ging z. B. das dortige Beghardenhaus bereits 1290 an die Franziskaner über. Im 15. Jahrhundert wurde es in er vollständiges Männerkloster verwandelt,

10. Mosheim, Ketzergeschichte, S. 380.

11. „Es läßt sich dies nicht stärker ausdrücken, als es die um 1339 im Bisthum Konstanz eingezogenen Begharden thaten, welche nach Johann von Winterthur lehrten : Die Macht der Güte Gottes offenbare sich ebensowohl in einer Laus als in einem Menschen.“ (Ullmann, Reformatoren, II., S. 20.)

12. „Eine schwere Schule der ‚Heimlichkeit‘ hatte bei den ‚Aposteln‘ allmälig eine förmliche Geschicklichkeit in der Verhüllung ihrer Ziele zuwege gebracht. Schon im 13. Jahrhundert ist ein Hauptvorwurf des David von Augsburg gegen die ‚Häretiker,‘ daß sie mit der größten ‚Schlanheit‘ sich in ihren Worten zu wenden wüßten, und von einem Apostel der Waldenser aus dem 14. Jahrhundert sagte eine alte Quelle wörtlich: „Er war ungemein scharfsinnig und verstand es, mit Worten seine Irrlehren zu färben und zu verschleiern·... Die Symbolik spielt bei den Mystikern eine ganz hervorragende Rolle. Ansichten, Rathschläge, Lehrsätze, welche sie aus Furcht vor den Ketzergerichten nicht mit ihren wirklichen Namen nennen durften, bezeichneten sie mit einer Art von ‚Zeichensprache, welche meist nur den ‚Brüdern‘ selbst bekannt war. Schnaase weist mit Recht darauf hin, daß sie absichtlich ihren Rathschlägen eine allegorische Entkleidung gegeben zu haben scheinen.“ (Die Reformation, S. 184, 219)

13. Ebensowenig wie andere Orden gaben sich die Tempelherren blos mit frommen Uebungen ab, sondern verstanden sich sehr gut auf das Geschäft.

„Unbestritten war den Tempelherren,“ sagt Prutz, „der Ruhm kriegerischer Tapferkeit, laut aber auch der Tadel ihrer selbstsüchtigen Politik, welche den Vortheil des Ordens alle Zeit dem der gesammten Christenheit voranstellte. Man wies dafür namentlich hin auf des Ordens vielfache bedenkliche Beziehungen zu den Ungläubigen; selbst auf Kosten christlicher Großen und Fürsten suchte er seinen Besitz zu mehren; frühzeitig zieh man ihn der Geldgier. Auch verfügte er über kolossale finanzielle Mittel und war schließlich eine Art finanzieller Großmacht. Zur Zeit der Katastrophe wurde sein Besitz an liegenden Gütern auf 25–62 Millionen Francs veranschlagt, während er aus Renten, Zehnten, Zinsen u. s. w. nicht unter zwei Millionen jährlich zog, eine Summe, die nach dem heutigen Geldwerth etwa das Fünfundzwanzigfache repräsentiren würde. Dieser mehr als königliche Reichthum stimmte freilich schlecht zu der statutenmäßigen Armuth der ‚armen Brüder vom Tempel,‘ zumal er mir in einem kleinen Theil zu dem Ordensberuf entsprechenden Zwecken und zum Besten des heiligen Landes verwendet wurde. Der Orden trieb zudem nicht blos Rhederei, sondern machte auch große kaufmännische Geschäfte. Auf seinen Galeeren führte er jährlich Tausende von Pilgern nach und von Palästina, und das Privileg zollfreier Einfuhr abendländischer Artikel zu eigenem Bedarf ermöglichte ihm gewinnbringende Spekulationen im großen Stil. Als Hauptvermittler des Verkehrs zwischen Ost und West erlangte er hervorragende Bedeutung für den gesammten Geldverkehr; auf seinen sicheren und schnellsegelnden Schiffen sandten die Päpste das für das heilige Land bestimmte Geld dorthin, ließen es im Ordensschatz verwahren und durch die Ordensbeamten verwalten. Auch für andere finanzielle Operationen hat der Orden den Vermittler gemacht. Sein Haupthaus in Paris, der Tempel, wurde geradezu zu einer internationalen Börse, auf die räumlich weit voneinander getrennte Geschäftsleute sich bei ihren Abmachungen bezogen; selbst Fürsten thaten dies: die französischen Könige hatten dort ihren Schatz deponirt, ließen dort Zahlungen leisten und in Empfang nehmen. Rein aus Nächstenliebe aber, ohne Gewinn für sich selbst, machte der Orden solche Geschäfte natürlich nicht. Eine Militärmacht und ein Großgrundbesitzer, mit dem Niemand konkurriren konnte, wurde der Tempelherrenorden auf diesem Wege schließlich auch noch eine finanzielle Großmacht. Könige warben um seine Gunst und wurden seine Schuldner; gerade Philipp IV. hat diese Bedeutung des Ordens zu erfahren gehabt.“ (H. Prutz, Staatengeschichte des Abendlandes im Mittelalter, Berlin 1887, II., S. 49, 50.)

Der Tempel der christlichsten aller christlich-germanischen Ritter eine Handelsbörse! Diese Wirklichkeit ist für die Antisemiten noch schmerzhafter, als die Lessing’sche Fiktion des Tempelherrn, der sich mit dem Juden Nathan befreundet.

14. Das oben zitirte Werk von Hans Prutz enthält auch eine anschauliche Schilderung der päpstlichen Finanzmethoden: „Frühzeitig waren die finanziellen Künste der päpstlichen Kurie zu hoher Entwickelung gediehen und das Tax- und Sportelwesen entsprechend der vielfachen Abstufung des geistlichen Amtes und der unendlichen Mannigfaltigkeit der Geschäfte zu einem wohldurchdachten System ausgebildet worden, welches sich keine Gelegenheit entgehen ließ, auf irgend einen Rechtstitel hin Gewinn zu machen. War darüber schon früher geklagt worden, so hatten sich die Uebelstände ins Ungemessene gesteigert, seit dem Papstthum die Einnahmen fehlten, die es früher aus der Stadt Rom und dem Kirchenstaate gezogen hatte, während das Zuströmen ihr Glück suchender Abenteurer zu der Avignoner Kurie und die Lockerheit des in der lustigen Provence geführten Lebens den Bedarf an baaren Mitteln bedeutend gesteigert hatte. Unter dem Zusammenwirken dieser Umstände war die kuriale Finanzkunst zu einer geradezu raffinirten Vollkommenheit ausgebildet worden, um, was an Einnahmen auf der einen Seite verloren gegangen war, auf der anderen doppelt und dreifach zu ersetzen. Vornehmlich waren es die reich dotirten kirchlichen Würden, an denen die Kurie sich schadlos hielt, nicht allem die Spitzen derselben, als vielmehr das Heer der Unter- und Hülfsbeamten, die Notare, Kanzlisten, Schreiber u. s. w., durch deren habgierige Hände die auf die Besetzung eines hohen Kirchenamts bezüglichen Schriftstücke gingen, ehe sie an den dazu Berufenen oder seinen Beauftragten gelangten. Zum Abt, zum Bischof, zum Erzbischof aufzusteigen, legte dem Beförderten zunächst große pekuniäre Opfer aus ganz abgesehen von Dem, was er, um so weit zu kommen, an verschiedenen einflußreichen Stellen an Handsalbe hatte reichen müssen. Natürlich suchten diese Leute nachher sich für die gebrachten Opfer schadlos zu halten, indem sie den ihnen untergeordneten Instanzen gegenüber ein ähnliches Taxen- und Sportelsystem durchführten, wie man eben gegen sie in Anwendung gebracht hatte. In dieser Weise wurde dann weiter abwärts fortgefahren, und die Tiefergestellten mußten aus ihren beschränkten Mitteln den Oberen den gemachten Aufwand nicht blos ersetzen, sondern sie auch durch Gewährung entsprechenden Gewinnes schadlos halten. Eine hervorragende Rolle in dem Etat der Kurie spielten die Konfirmationsgebühren, d. h. die Abgaben, welche die neu an das Amt gekommenen kirchlichen Würdenträger für die päpstlichen Bestätigungen entrichten mußten. Schon zu Ende des 13. Jahrhunderts hatten dieselben für das Bisthum Brixen 1.000 Goldgulden betragen, ungerechnet 200 Goldgulden Trinkgelder an die päpstlichen Beamten. Nachmals waren die Taxen beträchtlich gesteigert: für die Erzbisthümer von Mainz, Trier und Salzburg war eine Konfirmationsgebühr von je 10.000 Goldgulden zu entrichten, für Rouen gar 12 000; das Bisthum Langres war mit 9.000, Cambrai mit 6.000, Toulouse und Sevilla mit je 5.000 Goldgulden geschätzt, und selbst für ein so armes Bisthum wie Minden mußten 500 Goldstücke gezahlt werden. In ähnlicher Weise stuften sich die Konfirmationsgebühren für die verschiedenen Abteien nach ihren Vermögen ab. Seitdem nun Johann XXII. die glückliche Idee gehabt hatte, alle geistlichen Würden, die durch Beförderung des bisherigen Inhabers zu einer höheren erledigt wurden, den päpstlichen Reservationen zuzuzählen, so daß ihre Wiederbesetzung durch den Papst direkt erfolgte, und damit die Möglichkeit gewonnen war, jederzeit eine Art von Avancement durch eine ganze Reihe von Stellen eintreten zu lassen, wurden diese Konfirmationsgebühren eine der reichsten und sichersten Einnahmequellen der Kurie. In Verbindung damit stand das kolossale Anwachsen des Ertrages aus den Annaten, d. h. den ersten Jahreseinnahmen, welche jeder neue Bischof der Kurie zu überlassen hatte. Ferner gehören hierher die „fructus medii temporis“ so lange eine kirchliche Pfründe unvergeben war, fielen ihre Einnahmen ebenfalls der Kurie zu, die also auch hier durch Verzögerung der Neubesetzung ihr Einnahmen erheblich vermehren konnte. Das Spolienrecht, nach welchem beim Tode eines Bischofs seine bewegliche Habe der Kurie zufiel, wurde konsequent geübt. Besonders rentabel war das mit den Commenden betriebene Geschäft, d. h., die Gewährung der Anwartschaft an s eine Pfründe an zum Empfang derselben zur Zeit noch nicht berechtigte Unmündige, sowie die Ertheilung von Expektanzen, d. h. die Zusage künftiger Nachfolge in ein dermalen noch besetztes Amt. Dazu kamen die Einnahmen ans den Unionen und Inkorporationen, d. h. der Erlaubniß zur Vereinigung mehrerer Pfründen in einer Hand, und endlich der schwunghafte Handel, der nach einer bis in die untergeordnetsten Kleinigkeiten ausgegebenen Taxe mit den Indulgenzen (Ablässen) und Dispensen der verschiedensten Art getrieben wurde.

„Durch dieses Finanzsystem erhob die Kurie von den reich ausgestatteten großen Würdenträgern ungeheuere Summen, welche von diesen mit Gewinn auf die Tieferstehenden abgewälzt wurden, bis sie schließlich auf dem wehrlosen kleinen Mann liegen blieben.“ (A. a. O., II., S. 330 ff.)

15. Mosheim, De Beghardis, S. 320.

16. Keller, Die Reformation, S. 240.


Zuletzt aktualisiert am: 8.3.2011