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1. Die Massenproduktion und die Überschreitung der staatlichen Grenzen. 2. Die Preisbildung beim Austausch zwischen Ländern mit verschiedener Wirtschaftsstruktur und die Entstehung des Extraprofits. 3. Die Kolonialpolitik der Großmächte und die Verteilung der Welt. 4. Die Zollpolitik der Großmächte und die Absatzmärkte. 5. Die Verschärfung der Konkurrenz auf dem internationalen Absatzmarkt und die kapitalistische Expansion.
Jeder „nationale“ Kapitalismus hat stets die Tendenz zur Expansion, zur Erweiterung seiner Macht, zur Überschreitung der nationalen staatlichen Grenzen offenbart. Das ergibt sich aus dem ureigensten Wesen der kapitalistischen Struktur der Gesellschaft.
Die Bedingungen der unmittelbaren Exploitation und die ihrer Realisation [das heißt der Realisation des Mehrwerts. N.B.) sind nicht identisch. Sie fallen nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch begrifflich auseinander. Die einen sind nur beschränkt durch die Produktivkraft der Gesellschaft, die anderen durch die Proportionalität der verschiedenen Produktionszweige und durch die Konsumtionskraft der Gesellschaft. Diese letztere ist aber bestimmt weder durch die absolute Produktionskraft noch durch die absolute Konsumtionskraft; sondern durch die Konsumtionskaft auf Basis antagonistischer Dispositionsverhältnisse, welche die Konsumtion der großen Masse der Gesellschaft auf ein, nur innerhalb mehr oder minder enger Grenzen veränderliches Minimum reduziert. Sie ist ferner beschränkt durch den Akkumulationstrieb, den Trieb nach Vergrößerung des Kapitals und nach Produktion von Mehrwert auf erweiterter Stufenleiter. Dies ist Gesetz für die kapitalistische Produktion ... Der Markt muß daher beständig ausgedehnt werden ... Der innere Widerspruch sucht sich auszugleichen durch Ausdehnung des äußeren Feldes der Produktion. [1]
Dieses Gesetz der Massenproduktion, das zugleich ein Gesetz der massenhaften Überproduktion ist, darf jedoch nicht in dem Sinne aufgefaßt werden, daß die Überschreitung der „nationalen“ staatlichen Grenzen etwa eine absolute Notwendigkeit sei; diese Notwendigkeit ergibt sich im Prozeß der Entstehung des Profils und die Höhe des Profits ist das regelnde Prinzip der ganzen Bewegung. Die Höhe des Profils hängt, wie bekannt von der Masse der Waren und von dem Profit pro Wareneinheit ab, der seinerseits gleich ist dem Verkaufspreis minus die Produktionskosten. Wenn wir die Masse der Waren mit M bezeichnen, den Preis der Einheit mit P und die Produktionskosten pro Wareneinheit mit K, so beträgt die Profitsumme: M (P–K). Je kleiner die Produktionskosten, desto größer ist der Profit pro Wareneinheit und desto größer ist bei unveränderter oder steigendem Absatz die Profitmasse. Aber die Produktionskosten sind um so geringer, je größer die Masse der auf den Markt gebrachten Waren ist. Die verbesserte Technik, das Wachstum der Produktivkräfte und folglich auch die Zunahme der Masse des erzeugten Produkts – alles das senkt die Produktionskosten. Deshalb ist der Verkauf zu billigen Preisen nach dem Auslande ganz verständlich. Sogar wenn dabei gar kein Profit abfällt und die Waren zu den Produktionskosten verkauft werden, wird dadurch die Profitmasse vergrößert, da die Produktionskosten gesenkt werden. (Wir meinen hier nicht Verlustverkäufe, die aus „strategischen“ Beweggründen vorgenommen werden, d.h. um einen Markt rasch zu erobern und um die Konkurrenz zu vernichten.) In der allgemeinen Formel M (P–K) wird dann die Höhe der Produktionskosten nicht so sein, daß sie der Masse des Produktes M entspricht, sondern erheblich geringer, und zwar entsprechend der Größe (M–A) wo A die Menge der ausgeführten Waren darstellt. So stößt die Bewegung des Profits die Waren über die staatlichen Grenzen hinaus. Aber das gleiche regulierende Prinzip des Kapitalismus, die Höhe des Profits, wirkt sich auch in anderer Weise aus. Wir meinen hier die Entstehung von Extraprofit bei einem Austausch zwischen Ländern mit verschiedener Wirtschaftsstruktur.
Bereits in der Epoche des Handelskapitals war dieser Prozeß der Bildung zusätzlichen Profits ganz klar.
Solange das Handelskapital – schreibt Marx – den Produktionsaustausch unentwickelter Gemeinwesen vermittelt, erscheint der kommerzielle Profit nicht nur als Übervorteilung und Prellerei, sondern entspringt großenteils aus ihr. Abgesehen davon, daß es den Unterschied zwischen den Produktionspreisen verschiedener Länder ausbeutet (und in dieser Beziehung wirkt es hin auf die Ausgleichung und Festsetzung der Warenwerte), bringen es jene Produktionsweisen mit sich, daß das Kaufmannskapital sich einen überwiegenden Teil des Mehrprodukts aneignet, teils als Zwischenschieber zwischen Gemeinwesen, deren Produktion noch wesentlich auf den Gebrauchswert gerichtet ist, und für deren ökonomische Organisation der Verkauf des überhaupt in Zirkulation tretenden Produktenteils, also überhaupt der Verkauf der Produkte zu ihrem Wert von untergeordneter Wichtigkeit ist; teils weil in jenen früheren Produktionsweisen die Hauptbesitzer des Mehrprodukts, mit denen der Kaufmann handelt, der Sklavenhändler, der feudale Grundherr, der Staat (z.B. der orientalische Despot) den genießenden Reichtum vorstellen ... [2]
Hier konnten „Übervorteilung“ und „Prellerei“ deshalb eine so große Rolle spielen, weil der Austauschprozeß selbst unregelmäßig war, d.h. nicht ein notwendiger Prozeß des „Stoffwechsels“ in einer Gesellschaft mit internationaler Arbeitseinteilung, sondern eine mehr oder minder zufällige Erscheinung. Aber zusätzlicher Profit entsteht auch dann, wenn der internationale Austausch bereits zu einem regelmäßigen Durchgangsstadium der Reproduktion des Weltkapitals geworden ist. Die ökonomische Natur dieses Extraprofits ist von Marx in folgenden Sätzen vollständig klargelegt worden:
Kapitale, im auswärtigen Handel angelegt, können eine höhere Profitrate abwerfen, weil hier erstens mit Waren konkurriert wird, die von andern Ländern mit minderen Produktionsleichtigkeiten produziert werden, so daß das fortgeschrittenere Land seine Waren über ihrem Wert verkauft, obgleich wohlfeiler als die Konkurrenzländer. Sofern die Arbeit des fortgeschritteneren Landes hier als Arbeit von höherem spezifischen Gewicht verwertet wird, steigt die Profitrate, indem die Arbeit, die nicht als qualitativ höhere bezahlt, als solche verkauft wird. Dasselbe Verhältnis kann stattfinden gegen das Land, wohin Waren gesandt und woraus Waren bezogen werden; daß dies nämlich mehr vergegenständlichte Arbeit in natura gibt, als es erhält, und daß es doch hierbei die Ware wohlfeiler erhält, als es sie selbst produzieren könnte. Ganz wie der Fabrikant, der eine neue Erfindung vor ihrer Verallgemeinerung genutzt, wohlfeiler verkauft als seine Konkurrenten und dennoch über den aktuellen Wert seiner Ware verkauft, d.h., die spezifisch höhere Produktivkraft der von ihm angewandten Arbeit als Mehrarbeit verwertet. Er realisiert so einen Surplusprofit. (von mir unterstrichen. N.B.)Was andrerseits die in Kolonien etc. angelegten Kapitale betrifft, so können sie höhere Profitraten abwerfen, weil dort überhaupt wegen der niedrigen Entwicklung die Profitrate höher steht, und ebenfalls, bei Anwendung von Sklaven und Kulis etc., die Exploitation der Arbeit. Warum nun die höhern Profittaten, die in gewissen Zweigen angelegte Kapitale so abwerfen und nach der Heimat abführen, hier, wenn sonst nicht Monopole im Wege stehn, nicht in die Ausgleichung der allgemeinen Profitrate eingehen und daher diese pro tanto erhöhen sollen, ist nicht abzusehen. [3]
Marx gibt hier eine theoretische Erklärung des Extraprofits auf der Grundlage der Arbeitswerttheorie. Der zusätzliche Profit stellt sich von diesem Standpunkt dem Wesen nach als Überschuß des gesellschaftlichen Wertes des Produkts (wobei hier unter „Gesellschaft“ der Weltkapitalismus als Ganzes verstanden wird) über den individuellen Wert des Produkts dar (wobei unter „Individuum“ in diesem Falle eine „nationale Wirtschaft“ zu verstehen ist). Mehr noch: Marx sieht auch den Fall vor, wo eine gewisse Fixierung des erhöhten Profits stattfindet und erklärt ihn; dies geschieht, wen das betreffende Gebiet von monopolistischen Organisationen an sich gerissen wird, ein Fall, der besonders in unserer Epoche wichtig ist.
Nicht die Unmöglichkeit einer Betätigung innerhalb des Landes also, sondern die Jagd nach einer höheren Profitrate ist die Triebkraft des Weltkapitalismus. Sogar die gegenwärtige „Vollblütigkeit des Kapitalismus“ stellt keine absolute Schranke dar. Eine niedrigere Profitrate treibt die Waren und Kapitale immer weiter von ihrem „Vaterlande“ weg. Aber dieser Prozeß spielt sich gleichzeitig in verschiedenen Teilen der Weltwirtschaft ab. Die Kapitalisten der verschiedenen „nationalen Wirtschaften“ stoßen hier als Konkurrenten aufeinander und je größer das Wachstum der Produktivkräfte des Weltkapitalismus ist, je intensiver die Zunahme des Außenhandels, desto schärfer wird der Konkurrenzkampf. Gerade die letzten Jahrzehnte haben solche quantitative Veränderungen auf diesem Gebiete mit sich gebracht, daß sie bereits qualitativ einen anderen Charakter angenommen haben.
Diese Veränderungen gehen gewissermaßen in zwei Richtungen vor sich. Erstens wird der Prozeß der Massenproduktion aufs äußerste gesteigert, d.h. die Masse der Waren, die nach auswärtigen Absatzmöglichkeiten suchen, nimmt zu, eine Erscheinung, die in hohem Maße gerade für die jüngste Zeit charakteristisch ist; zweitens aber wird der freie, d.h. der nicht durch die monopolistischen „Großmächte“ in Besitz genommene Markt, immer enger. Diese Großmächte haben sich, durch die Bedürfnisse des vaterländischen Kapitals angespornt, äußerst rasch die freien Gebiete gesichert; seit den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gingen die „Gebietserwerbungen“ in einem fieberhaften Tempo vor sich. Es genügt hier eine kurze Aufzählung der Ergebnisse dieser „Kolonialpolitik“ zu bringen, die zu einer wahren Manie aller modernen kapitalistischen Staaten geworden ist.
Eng1and, das im allgemeinen über ein ungeheures Staatsgebiet verfügt, hat sich seit 1870 eine ganze Reihe neuer Gebiete angegliedert: in Asien – Beludschistan, Birma, Cypern, Britisch-Nordborneo, Wei-Ha-Wei, die Gebiete bei Hongkong; es hat die Straits Settlements erweitert, das Protektorat über Kuweit übernommen (1899), die Halbinsel Sinai erworben usw.; in Australien wurden einige Inseln erworben, der südöstliche Teil von Neuguinea, der größte Teil der Salomon- und der Tongainseln. In Afrika, wo die Konkurrenz und die Annexionen bekanntlich besonders intensiv waren, hat England Ägypten, den ägyptischen Sudan und Uganda, Britisch-Ostafrika, Britisch-Somaliland, Sansibar und Pemba erworben; in Südafrika – die beiden Burenrepubliken Rhodesia und Britisch-Zentralafrika, in Westafrika wurde außer der Erweiterung der früheren Kolonien Nigeria besetzt. [4] Das waren die „Erfolge“ Englands.
Nicht weniger „erfolgreich“ betätigte sich Frankreich.
Seit 1870 – so schreibt ein französischer Imperialist – erleben wir eine wahrhafte koloniale Wiedergeburt. Die dritte Republik hat Annam ihrem Protektorat unterworfen, Tongking erobert, Laos annektiert, das französische Protektorat auf Tunis und die Komoren (bei Madagaskar. N.B.) ausgedehnt, Madagaskar besetzt, ihren Besitzstand in der Sahara, im Sudan, in Guinea, an der Elfenbeinküste, in Dahome, an der Somaliküste unermeßlich erweitert und ein neues Frankreich begründet, das sich vom Atlantischen Ozean und vom Kongo bis an den Tschadsee erstreckt. [5]
Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Fläche der französischen Kolonien bereits das Neunzehnfache der Fläche von Frankreich selbst!
Der deutsche Imperialismus ist später auf den Schauplatz getreten. Aber er bemüht sich, die verlorene Zeit schnell nachzuholen. Das Jahr 1884 bringt den Beginn der deutschen Kolonialpolitik. Die Eroberungen in Südwestafrika, Kamerun, Togo, Ostafrika, die Erwerbung von Neuguinea und einer ganzen Reihe von Inseln (“Kaiser-Wilhelms-Land“, „Bismarck-Archipel“, die Karolinen, Marianen usw.) ; weiter die Annexion von Kiautschou im Jahre 1897; die Vorbereitung von Raubzügen in der Türkei und Kleinasien, diese ganze „Evolution“ erfolgt gleichfalls mit fieberhafter Schnelligkeit. [6] Was schließlich die russische Kolonialpolitik anbelangt, so erinnern wir den Leser an die Eroberung Zentralasiens, an die mandschurische und mongolische Politik, und, was die jüngste Zeit anbetrifft, an die persische Politik Rußlands, die bekanntlich mit der Unterstützung Englands betrieben worden ist (ihr Held war der Oberst Ljachow). [7] Dasselbe trifft auch für die Politik der außereuropäischen Länder zu, unter denen die Vereinigten Staaten und Japan die wichtigsten sind. Das Ergebnis dieser „Verteilung“ der freien Gebiete und folglich in einem bedeutendem Maße auch der freien Märkte war, daß die internationale Konkurrenz unter den „nationalen“ kapitalistischen Gruppen sich unvermeidlich bis zum äußersten verschärfen mußte. Die folgende Tabelle gibt ein Bild der gegenwärtigen Verteilung der Erde nach Gebietsgröße und Bevölkerungszahl.
Großmächte [8] |
Umfang der Kolonien |
Umfang der Metropole |
Insgesamt |
|||||
|
1876 |
1914 |
1914 |
1914 |
||||
qkm |
Einwohnerzahl |
qkm |
Einwohnerzahl |
qkm |
Einwohnerzahl |
qkm |
Einwohnerzahl |
|
England |
22,5 |
251,9 |
33,5 |
393,5 |
0,3 |
46,5 |
33,8 |
449,0 |
Rußland |
17,0 |
15,9 |
17,4 |
33,2 |
5,4 |
136,2 |
22,8 |
169,4 |
Frankreich |
0,9 |
6,0 |
10,6 |
55,5 |
0,5 |
39,6 |
11,1 |
95,1 |
Deutschland |
– |
– |
2,9 |
12,3 |
0,5 |
64,9 |
3,4 |
77,2 |
Vereinigte Staaten |
– |
– |
0,3 |
9,7 |
9,4 |
97,0 |
9,7 |
106,7 |
Japan |
– |
– |
0,3 |
19,2 |
0,4 |
53,0 |
0,7 |
72,2 |
Die sechs Großmächte |
40,4 |
273,8 |
65,0 |
523,4 |
16,5 |
437,2 |
22,8 |
960,6 |
Kolonien im Besitz |
– |
– |
– |
– |
– |
– |
9,9 |
45,3 |
Drei Halbkolonien |
– |
– |
– |
– |
– |
– |
14,5 |
361,2 |
Insgesamt |
– |
– |
– |
– |
– |
– |
105,9 |
1.367,1 |
Sonstige Länder |
– |
– |
– |
– |
– |
– |
28,0 |
289,9 |
Weltzahlen |
- |
- |
- |
- |
- |
- |
133,9 |
1.657,0 |
Die Großmächte haben somit in dem Zeitraum von 1876-1914 etwa 25 Millionen Quadratkilometer Kolonialgebiet erworben, das heißt ein Gebiet, das doppelt so groß ist wie Europa. Fast die ganze Welt ist unter die Großmächte aufgeteilt. Es ist deshalb begreiflich, daß die Konkurrenz eine ganz unwahrscheinliche Schärfe annimmt und daß der Druck der kapitalistischen Expansion auf die freigebliebenen Länder in demselben Maße zunimmt, wie die Aussichten auf ein gewaltiges Gemetzel zwischen den großkapitalistischen Mächten. [9]
Aber diese Aussichten werden durch die Wirkung der Zölle noch größer. Gerade die Zölle schaffen die Barriere, auf die die Einfuhr von Waren stößt und die nur auf einem Wege überwunden werden kann: durch Druck, durch Gewaltanwendung. Als vorbereitende Mittel werden manchmal Zollkriege in Szene gesetzt, das heißt, eine Erhöhung der Zollsätze, um Konzessionen zu erzwingen (“Zollretorsion“). Solche Zollkriege wurden z.B. zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien (1886-1890), zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zwischen Österreich-Ungarn und Montenegro (1908-1911), zwischen Deutschland und Rußland (1893/94), Deutschland und Spanien (1894-1899), Deutschland und Kanada (1903-1910), Frankreich und Italien (1888-1892), Frankreich und der Schweiz (1893 bis 1895) geführt. Je schneller die freien Märkte „an den Man gebracht“ werden, desto rascher werden sie in die Zollgrenzen eingeschlossen, desto erbitterter wird die Konkurrenz, desto schroffer sind die Zusammenstöße in der Zollpolitik der Mächte. Aber die Zollkriege sind nur partielle Erkundungsgefechte, sie dienen dazu, um das Gelände aufzuklären. Letzten Endes wird der Widerspruch durch das Verhältnis der „realen“ Kräfte, das heißt durch Waffengewalt gelöst. So führt die Jagd nach Absatzmärkten unvermeidlich zu Konflikten zwischen den „nationalen“ Gruppen des Kapitals. Das ungeheure Wachstum der Produktivkräfte und die Einengung der freien Märkte bis auf ein Minimum, die in jüngster Zeit erfolgt, die Zollpolitik der Mächte, die eine Folge der Herrschaft des Finanzkapitals ist, und die Verschärfung der Schwierigkeiten bei der Realisierung der Warenwerte erzeugen eine Lage, in der die Kriegstechnik das entscheidende Wort hat.
Hier treten die Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung, die Marx analysiert hat, in Erscheinung. Das Wachstum der Produktivkräfte gerät in Widerspruch zu der antagonistischen Form der Distribution und zur Disproportionalität der kapitalistischen Produktion. Hieraus ergibt sich die kapitalistische Expansion. Andererseits gerät die vergesellschaftete Arbeit in Konflikt mit ihrer privatwirtschaftlichen Organisation, was in der Konkurrenz der nationalen Kapitalismen zum Ausdruck kommt. Die Bedingungen für ein Gleichgewicht aller Teile des gesellschaftlichen Mechanismus und für ihre ungestörte Entwicklung fehlen; in der letzten Zeit war das wirtschaftliche Leben weiter davon entfernt denn je, – daher kommt es zu äußerst scharfen Krisen und schroffen Wendungen.
1. Karl Marx: Kapital, Bd.III, I. S.225 u. 226.
2. Karl Marx: a.a.O., Band III, S.315.
3. Karl Marx, a.a.O., S.218 u. 219 (Dietz-Ausgabe, Bd.25, S.247.
4. S. Schilder. a.a.O., S.147ff.
5. Paul Gaffarel: L’histoire du l’expansion coloniale de la France depuis 1870 jusqu’en 1915, Vorwort.
6. B.v.König: Le développement commercial économique et financier de colonies allemandes, Revue écon. internationale, 1907, 4. vol., p.130.
7. Siehe M.N. Pokrowski: Die auswärtige Politik Rußlands zu Ende des 19. Jahrhunderts in der Geschichte Rußlands, Heft 35.
8. Die Tabelle ist von W. Iljin (N. Lenin) zusammengestellt und einer seiner letzten Arbeiten entnommen.
9. Deshalb sind alle internationalen Konflikte seit 1871 durch die Kolonialpolitik hervorgerufen worden. Siehe Joaquin Fernandez Prida: istoria de los conflictos internationales del siglo XIX. Barcelona 1901. S.118. Daß die Expansionspolitik sich vor allem auf freie Gebiete richtet, erklärt sich nur daraus, daß die Bourgeoisie der Linie des geringsten Widerstandes folgt.
Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003