Quelle: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1898, Nr.11, November 1898, S.529-534.
Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen stehen nicht still, sie sind in fortwährendem Fluss, in fortwährender Wandlung begriffen. In den drei Jahrtausenden, seit wir etwas von der Geschichte der Menschheit wissen, haben unzählige Umwälzungen stattgefunden, und an ihnen können wir die wirthschaftlichen Verhältnisse in ihrer Wandlung, in ihrem Fluss erfassen. Zeigt uns die Untersuchung der Gegenwart die wirthschaftlichen Verhältnisse in ihrem augenblicklichen Zustand, gewissermaassen in ihrer Ruhe, so zeigt uns die Untersuchung der Vergangenheit dieselben Verhältnisse in ihrem Werden, in ihrer Bewegung. Beides zu kennen, ist für den Sozialismus unentbehrlich.
Ja, die Kenntniss der Vergangenheit ist sogar in gewissem Sinne noch wichtiger als die der Gegenwart.
Was wir in letzter Linie erstreben, ist ja nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine soziale Umwälzung; nicht nur die wirthschaftlichen, sondern alle sozialen Verhältnisse sollen ein anderes Aussehen bekommen. Und die wirthschaftliche Umwälzung, die Abschaffung der Lohnarbeit, ist nur das Mittel dazu.
Um aber die Gesellschaft aus ihrer heutigen Form in eine andere überzuleiten, mit anderen Worten, um die Bewegung der sozialen Verhältnisse in die von uns gewollte Richtung hineinzuzwingen, genügt es nicht, sie in ihrem augenblicklichen Zustand zu beobachten, sondern man muss sie eben in ihrer Bewegung beobachten, um herauszubekommen, wonach sich ihre Bewegung richtet. Alle Bewegung der sozialen Verhältnisse aber, die wir beobachten können, hat in der Vergangenheit stattgefunden.
Somit gilt es, die Vergangenheit ebenfalls zu durchforschen, um aus ihr die bisherigen sozialen Umwälzungen, sowie die Umstände, durch welche jene Umwälzungen herbeigeführt wurden, zu erkennen.
Eine solche Durchforschung der Vergangenheit ist aber wiederum die Aufgabe einer Wissenschaft: der Geschichte.
Da dieser Punkt sehr schwierig und doch sehr wichtig ist, scheue ich die Wiederholung nicht und will nochmal mit anderen Worten dasselbe sagen.
Der Sozialismus erstrebt die Abschaffung der Lohnarbeit, d.h. er will eine bestimmte Aenderung unserer gesammten sozialen Zustände mit Bewusstsein herbeiführen. Solche Aendcrung tritt aber nicht ein, weil wir sie wünschen, sondern sie hängt von ganz bestimmten Umständen ab, die vorher erkannt werden müssen. Es ist nöthig, einerseits eine möglichst genaue Kenntniss der gegenwärtigen sozialen Verhältnisse und unter ihnen ganz besonders der wirthschaftlichen Verhältnisse; denn wir haben ja die Ursache der sozialen Missstände bereits in der den wirthschaftlichen Verhältnissen angehörenden Lohnarbeit erkannt und andererseits die Kenntniss der sozialen Umwälzungen der Vergangenheit und der Umstände, denen sie entsprungen sind. Erstere Kenntniss wird uns durch die Nationalökonomie, letztere durch die Geschichte übermittelt, und so sehen wir, dass der Fortschritt des Sozialismus und die endliche Erreichung seines Zieles durchaus an die Pflege dieser beiden Wissenschaften der Sozialwissenschaften gebunden ist.
In den letzten Jahren war leider die Beobachtung zu machen, dass Nationalökonomie und Geschichte in sozialistischen Kreisen nicht so eifrig gepflegt wurden, wie es nöthig ist, und dass man die Wissbegier der arbeitenden Klasse mehr aus dem Bereich der Naturwissenschaften zu befriedigen sucht.
So interessant nun auch die Naturwissenschaften sind, und so wichtig es auch für den Einzelnen werden kann, mit den Naturkräften, die in seinem Arbeitszweig zur Anwendung kommen, vertraut zu sein, so darf sich doch der Sozialismus als solcher mit den Naturwissenschaften nicht aufhalten. Denn die Naturkräfte sind es nicht, die eine Klasse der Menschen gegenüber der anderen zurücksetzen, die Naturkräfte sind es nicht, die materielles Elend und Unfreiheit erzeugen; diese liegen in den gesellschaftlichen Verhältnissen begründet.
Dazu kommt, dass für die Pflege der Naturwissenschaften schon von der bürgerlichen Gesellschaft ungemein viel gethan wird. Von Staat und Gemeinde sind unzählige Anstalten zur Pflege der Naturwissenschaften gegründet, und auf allen Schulen, Universitäten und Fortbildungsanstalten kann Jedermann, meist auch der ärmste, sie in mustergiltiger Weise erlernen.
Ganz anders liegt die Sache bei der Nationalökonomie. Diese wird zwar auch an den Universitäten gelehrt; aber was die bürgerliche Wissenschaft unter diesem Namen lehrt, unterscheidet sich bedeutend von dem, was wir darunter verstehen.
Und das ist natürlich. Ich habe schon ausgeführt, dass nach Ansicht unserer Bourgeois die Wurzeln unserer sozialen Uebelstände nicht in den wirthschaftlichen Verhältnissen stecken, sondern in der Schlechtigkeit der Menschen. Dafür Bessserung zu suchen, ist aber Aufgäbe der Moral, nicht der Nationalökonomie.
Freilich, dass das materielle Elend an sich ein wirtschaftlicher Uebelstand ist, das verhehlen sie sich auch nicht. Da sie aber den inneren Grund dieses Uebels auf : sittlichem Gebiet glauben, so soll ihre Nationalökonomie höchstens einzelne Mittel angeben, das Elend, wo es gar zu stark zu Tage tritt, weniger fühlbar und besonders weniger sichtbar zu machen. Keineswegs
aber soll sie den innern Mechanismus der heutigen Wirtschaftsweise autdecken, um die Mittel zur Umänderung dieser Wirtschaftsweise zu liefern. So beschränkt sich unsere offizielle Nationalökonomie darauf, die äusseren Erscheinungsformen des wirthschaftlichcn Lebens aufzuzählen, sucht aber keine inneren Zusammenhänge.
Nicht besser steht es mit der Geschichte. Man sollte freilich meinen, dass. diese an allen offiziellen Lehranstalten sehr eifrig gepflegt wird. Aber was man da lehrt, ist eine Erzählung von Ereignissen, die passirt sind, keineswegs eine Untersuchung der sozialen Umwälzungen der Vergangenheit.
Der Sozialismus aber hat ein vitales Interesse daran, dass einerseits die Lebensbedingungen der Lohnarbeit, andererseits der Mechanismus der sozialen Umwälzungen ans Tageslicht kommen, und deshalb liegt es ihm ob, die Pflege der Nationalökonomie und der Geschichte mit allen Kräften zu fördern.
Natürlich will ich damit nicht sagen, dass kein Sozialist sich mit Naturwissenschaften befassen dürfe. Ganz im Gegentheil. Wer Neigung und Fähigkeit dazu in sich verspürt, der gebe sich dieser Wissenschaft hin. Sie ist gerade so nothwendig und nützlich, wie jede andere Arbeit. Nur muss er sich nicht einbilden, dass er dadurch etwas für den Sozialismus thut, gerade so wenig, wie ein Tischler, wenn er einen guten Tisch macht, etwas für den Sozialismus gethan hat.
Es hat freilich seine guten Gründe, dass die Beschäftigung mit den Sozialwissenschaften in sozialistischen Kreisen neuerdings hinter der Beschäftigung mit den Naturwissenschaften zurückgetreten ist.
Erstens sind die Naturwissenschaften leichter als die Sozialwissenschaften.
Das klingt anmaassend, ist aber doch richtig.
All unser Wissen beschränkt sich bekanntlich auf die Erkenntniss von Bewegungen und von deren Verlauf. Sämmtliche Wissenschaften beschäftigen, sich mit nichts weiter als damit, die in ihrem Forschungsgebiet auftretenden Bewegungen zu untersuchen und nach deren Regelmässigkeit zu forschen.
Leser, denen dieser Satz neu sein sollte, muss ich bitten, mir ihn für den Augenblick zu glauben. Ihn beweisen, würde nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe besonderer Artikel erfordern.
Es ist nun klar, dass eine komplizirtere Bewegung schwerer zu erkennen ist, als eine einfachere; so ist z. B. der leblose Stein leichter zu erforschen als die Pflanze, die wächst und sich nährt; die Pflanze leichter als das Thier, das ausserdem noch seinen Platz wechseln kann; das Thier leichter als der Mensch, dessen Bewegungen wiederum weit mannigfaltiger sind.
Die Gesellschaft aber weist noch viel komplizirtere Bewegungen auf als. der einzelne Mensch; sie ist, wenn ich mich, so ausdrücken darf, noch weit lebendiger als der Einzelne. Und. so ist es weit schwieriger, ihren verschiedenen Bewegungen und Lebensbethätigungen auf den Grund zu kommen, als beim einzelnen Menschen, dem letzten Gegenstand der Naturwissenschaften.
Damit hängt es zusammen, dass die Naturwissenschaften heute schon viel weiter vorgeschritten sind, als die Sozialwissenschaften. Eben weil sie leichter sind, hat man sie viel früher, schon vor Jahrhunderten in Angriff nehmen können. Die Sozialwissenschaften dagegen, mit ihren viel komplizirteren Zusammenhängen, konnte man erst beginnen, nachdem der Mensehengeist durch Jahrhunderte langes Studium der Naturwissenschaften dazu vorgebildet war. So sind die Sozial-Wissenschaften heute eben erst im Entstehen begriffen, sie haben nur erst sehr wenig Resultate geliefert, das Meiste muss noch gesucht werden. Und wenn nun der wissbegierige Arbeiter an den Berufsgelehrten herantritt und Erweiterung seines Wissens fordert, so ist nichts natürlicher, als dass ihm dieser aus dem Gebiet der Naturwissenschaften etwas mittheilt, wo wir schon wirkliche Kenntnisse besitzen, während er in den Sozialwissenschaften fast auf jede Frage würde antworten müssen: ich weiss nicht.
Indessen wäre dies doch kein genügender Grund zur Vernachlässigung der Sozialwissenschaften. Gerade die Schwierigkeit der Aufgabe würde die edelsten Geister anziehen, wenn nicht ein anderer Umstand hinzukäme.
Wovon soll der sozialistische Nationalökonom unserer Tage leben? An einer öffentlichen Lehranstalt wird er nie und nimmer angestellt, und die paar sozialistischen Zeitschriften, die existiren, haben meist kein Geld. Und wenn sie wirklich welches hätten, könnten sie ihn auch nicht ernähren, da man nicht alle acht Tage eine wissenschaftliche Arbeit schreiben kann.
So kommt es, dass so manches hoffnungsvolle Talent wider besseren Willen und nach schwerem Kampfe gezwungen ist, die Gesellschaftswissenschaft fahren zu lassen und seine geistigen Kräfte, mit denen er vielleicht für die Befreiung des arbeitenden Volkes Grosses hätte wirken können, anderswo anzuwenden, um nicht zu verhungern.
Es ist dies jedenfalls ein Punkt, auf den nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden kann. Der Sozialismus muss durchaus Vorkehrungen treffen, um die Gesellschaftswissenschaften so eifrig zu betreiben, wie heute von Staatswegen die Naturwissenschaften betrieben werden. Sonst wird er sein Ziel, die Abschaffung des Elends und der Unfreiheit, nie und nimmer erreichen und verliert somit seine Existenzberechtigung.
In vergangenen Jahrzehnten ist in der Nationalökonomie eifriger gearbeitet worden als heute, und diesen Arbeiten, vor Allem den Forschungen von Marx, verdanken wir es, dass die Wurzel unserer sozialen Missstände in der Lohnarbeit erkannt worden ist; ihnen verdanken wir es, dass der Sozialismus seine heutige Höhe erreicht hat. Wollen wir ihn auf dieser Höhe erhalten, wollen wir, dass er siegreich fortschreite bis zu seinem Ziel, bis zur Abschaffung der Lohnarbeit, so müssen wir den betretenen Weg weiter verfolgen. Die Wissenschaft muss uns die Mittel zur sozialen Revolution an die Hand geben, oder wir werden sie nie erreichen.
Ich fordere also als nächsten Schritt zur sozialen Revolution die eifrige und systematische Betreibung der Sozialwissenschaften, d.h. der Nationalökonomie und der Geschichte; ich fordere, um es mit dürren Worten zu sagen, dass von den Geldmitteln, die den sozialistischen Parteien zur Verfügung stehen, nicht Alles für Wahlzwecke, für Streiks, für Produktivgenossenschaften verausgabt, sondern ein entsprechender Theil zur Pflege der Wissenschaft verwandt wird. Und es Hegt mir noch ob darzuthun, dass meine Forderung, scheinbar so theoretisch, scheinbar den alltäglichen Bedürfnissen so weit abliegend, doch eine durchaus praktische und sogar von den alltäglichen Bedürfnissen dringend erheischte ist.
Ich kann hier in einem Bilde sprechen. Man kann die Uebelstände, an denen die Gesellschaft leidet, mit Krankheiten vergleichen. Der Sozialisavus hält die Gesellschaft für krank und will ihr Arzt sein.
Wenn man uns aber fragt, mit welchen Mitteln wir die kranke Gesellschaft zu heilen gedenken, so wird unsere letzte Antwort sein: wir wissen es nicht!
Wir wollen die Lohnarbeit abschaffen. Aber wie? Durch welche Maassnahmen? Wir wissen es nicht!
Nicht etwa, dass wir um einzelne praktische Schritte in Verlegenheit wären. Wir kennen eine ganze Menge kleiner Mittel, die sehr geeignet sind, die Noth zu lindern, z.B. zwangsweise Verkürzung der Arbeitszeit, zwangsweise Erhöhung der Löhne. Aber ebenso wusste man in früheren Jahrhunderten, ehe die Medizin, wissenschaftlich betrieben wurde, gar mancherlei Mittel gegen die verschiedenen Krankheiten, Mittel, von denen manche sehr geeignet waren, die Schmerzen' zu stillen. Aber heilen konnte man keine Krankheiten, darüber tappte man völlig im Dunkeln umher. Und erst als die Kenntniss des menschlichen Körpers wissenschaftlich betrieben worden war, gelangte man nach und nach dazu, die Krankheiten in ihrem Wesen zu erkennen und wirklich zu heilen, ja zum Theil sogar ihrem Ausbruch vorzubeugen.
Gerade das gilt heute für die Kunde von der menschlichen Gesellschaft. Wir wissen, wie gesagt, allerlei kleine Mittel zur Linderung der Schmerzen; aber über die Heilung wissen wir nichts. Darüber tappen wir vollkommen im Dunkeln umher.
Alles reduzirt sich auf die eine Frage: wie wollen wir die Lohnarbeit abschaffen? Und auf diese Frage wissen wir die Antwort nicht.
Was bisher von den sozialistischen Parteien gethan wird, kann deshalb, so nützlich es an sich ist, nicht genügen.
Wir wählen zum Parlament und erreichen dadurch, meines Erachtens, viel Nützliches. Aber schaffen wir die Lohnarbeit dadurch ab? Es wird wohl Niemand so kindlich sein, zu glauben, die Lohnarbeit werde die Liebenswürdigkeit haben sich aus der Welt zu verfügen, weil das Parlament vielleicht eines Tages so beschliesst.
Andere wieder verwenden ihre ganze Kraft auf Fachvereine, Produktivgenossenschaften, Streikorganisutionen etc. und erreichen damit ebenfalls viel Nützliches. Führt das aber zur Abschaffung der Lohnarbeit? Ich kann, nicht einsehen, wie. All solche Vorkehrungen bezwecken und erreichen nur Verkürzung der Arbeitszeit, Erhöhung der Löhne u.dergl., also Linderung der Schmerzen, aber keine Heilung.
Viele unserer Genossen glauben, wir vvüssten .ganz gut die wirtschaftliche Massregel, welche die Abschaffung der Lohnarbeit herbeiführen werde, nämlich die Aufhebung des Privateigenthums. Das Parlament werde, sobald es eine sozialistische Mehrheit habe, die Aufhebung des Privafeigenthums beschliessen, und damit falle die Lohnarbeit von selbst.
Ich halte diesen Satz für falsch.
Zunächst steht es noch keineswegs, fest, dass mit der Aufhebung des Privafeigenthums die Lohnarbeit fallen werde. Ich glaube allerdings auch, dass die Aufhebung des Privateigenthums dabei eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Rolle spielen wird. Aber das ist bisher durchaus nicht mehr als ein Glaube. Um ihn zur Gewissheit zu erheben, bedarf es noch angestrengter wissenschaftlicher Arbeit.
Ferner: welches Privateigentum soll denn aufgehoben werden? Doch nicht alles, doch nur das zur Produktion bestimmte. Nur die Produktionsmittel sollen ja vergesellschaftet werden. Was sind aber Produktionsmittel? Wo ist die Grenze zwischen dem zur Produktion und dem zur Konsumtion bestimmten Privateigenthum? Das wissen wir so ohne weiteres auch nicht. Ja, auf diesem Gedankengang kommt man bald dazu, dass es sich überhaupt nicht um Aufhebung des Privateigenthums dreht, sondern darum, die Anwendung des Privateigenthums zur Ausbeutung Anderer unmöglich zu machen. Und dann hat die Frage auch äusserlich schon ein weit schwierigeres Ansehen.
Endlich aber: angenommen selbst, alle diese Schwierigkeiten seien gelöst; glaubt man nun wirklich, ein Beschluss des Parlaments werde genügen, um das Privateigenthum aufzuheben? Dann könnte das Parlament ebenso gut die Abschaffung der Lohnarbeit beschliessen! Oder noch einfacher, dann könnte es gleich das Aufhören der Noth und den Beginn der Freiheit beschliessen!
Durch eine sozialistische Mehrheit im Parlament die Aufhebung des Privateigenthums herbeiführen wollen, scheint mir eine kindliche Vorstellung.
Ich rede garnicht von dem Widerstand der reaktionären Gewalten, die sich einer sozialistischen Mehrheit mit Säbel und Bajonett in den Weg stellen würden, die es durch Aufhebung des Wahlrechts und andere Gewaltakte schon garnicht zu einer sozialistischen Mehrheit im Parlament kommen liessen. Ich nehme an, die sozialistische Mehrheit sei da und beschliesse die Aufhebung des Privateigenthums an Produktionsmitteln. Ich nehme sogar weiter an, sie habe auch die Macht, ihren Beschlüssen Gehorsam zu verschaffen. Ist dann das Privateigenthum aufgehoben? Keineswegs. Sondern dazu sind wirtschaftliche Maassregeln nöthig, wirtschaftliche Maassregeln, die wir noch nicht kennen und die wir erst vermittelst der Wissenschaft suchen müssen.
Im günstigsten Falle also würde dieser Einwand die Frage nur verschieben. Anstatt der Frage: wie scharfen wir die Lohnarbeit ab? würde es nun heissen: wie heben wir das Privateigenthum auf? Beide Fragen kann nur die Wissenschaft beantworten.
Freilich hat die Thätigkeit unserer heutigen sozialistischen Parteien, also die Betheiligung an Wahlen und Parlament, der gewerkschaftliche Kampf, die Genossenschaften, für unser revolutionäres Ziel eine grosse Bedeutung, nämlich diese: einestheils die wirtschaftliche Besserstellung der Arbeiterklasse und dadurch ihre Kräftigung, so dass sie im Stande ist, revolutionäre Ideeen in sich aufzunehmen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten, und anderenteils die Ausbreitung unserer Ideen, die Agitation. Um einen Kampf zu führen, muss man Kämpfer haben, und solche zu werben ist die Aufgabe der Agitation. Aber damit allein ist nicht Alles gethan. Ausserdem muss man auch wissen, welche Kampfmittel man anwenden will, was man thun will. Und das herauszufinden, ist die Aufgabe der Wissenschaft.
Nicht wenige unserer Genossen glauben, die Agitation genüge; es sei nur nöthig, unsere Ideen immer weiter und weiter auszubreiten, und wenn eines Tages alle oder selbst nur die meisten Menschen Sozialisten seien, so werden sie eben die sozialistische Gesellschaft einrichten.
Zuletzt aktualisiert am 3.10.2008