MIA > Deutsch > Bebel > Aus meinem Leben, 1. Teil
Im Frühjahr 1865 trat in Leipzig der erste deutsche Frauenkongreß zusammen unter Führung von Luise Otto-Peters und Auguste Schmidt, der die Gründung eines Allgemeinen Deutschen Frauenvereins zur Folge hatte. Es war der erste Schritt aus der bürgerlichen Frauenwelt, welcher zu einer Frauenorganisation führte. Die Frauenzeitung, die damals ein Hauptmann a.D. Korn herausgab, wurde Organ des Vereins, und traten neben Korn Frau Luise Otto-Peters und Fräulein Jenny Heinrichs in die Redaktion ein. Ich wohnte den Verhandlungen als Gast bei. Als dann der Leipziger Frauenbildungsverein, dessen Vorsitzende Luise Otto-Peters war, sich an den Arbeiterbildungsverein wandte, damit dieser an Sonntagen sein Lokal zur Errichtung einer Sonntagsschule für Mädchen hergebe, gaben wir bereitwillig unsere Zustimmung.
Das Jahr 1865, das ein Prosperitätsjahr war, sah eine Menge Lohnkämpfe, die in den verschiedensten Städten ausbrachen. So gab es unter anderen große Arbeitseinstellungen in Hamburg, den Streik der Tuchmacher in Burg bei Magdeburg, die Arbeitseinstellung der Leipziger Buchdrucker, der eine Arbeitseinstellung der Leipziger Schuhmacher und anderer Branchen folgte. Der Leipziger Buchdruckerausstand war hervorgerufen durch die niedrigen Löhne und durch die lange Arbeitszeit. Der höchste Wochenlohn betrug 5¼ Taler. Für 1.000 n wurden 25 Pfennig sächsisch bezahlt, die Gehilfen verlangten 30 Pfennig und Herabsetzung der Arbeitszeit. Am 24. März kündigten von 800 Mann 545 und traten acht Tage später in den Ausstand. Eine Organisation für Streikunterstützungen bestand nicht. Der Buchdrucker-Fortbildungsverein, dessen Vorsitzender Richard Härtel war, mußte neutral bleiben, bei Strafe der Auflösung. Härtel selbst arbeitete in einer Offizin, der Colditzschen, in der der neue Tarif anerkannt war. Der Buchdruckerverband wurde erst 1866 gegründet, und gab der Leipziger Ausstand die Anregung dazu. Ein Vermittlungsversuch, den der Geheimrat Professor Dr. v. Wächter, einer der ersten Juristen Deutschlands, machte, war erfolglos gewesen.
Sonnemann, der als Buchdruckereibesitzer mit besonderem Interesse die Angelegenheit verfolgte, schrieb an mich, ich möchte beiden Seiten die Vermittlung des ständigen Ausschusses anbieten, und gab mir für diesen Versuch verschiedene Verhaltungsmaßregeln. Da der Briefwechsel, den ich mit ihm über diese Angelegenheit hatte, auch noch heute von Interesse sein dürfte, veröffentliche ich hier denselben.
„Leipzig, den 11. Mai 1865.
Herrn Leopold Sonnemann, Frankfurt a.M.
Durch längeres Unwohlsein abgehalten, bin ich erst heute in der Lage, auf Ihr Wertes vom Ersten dieses Monats zu antworten. Ihren Plan, eine Vermittlerrolle in Sachen des hiesigen Buchdruckerstreiks zu versuchen, muß ich vollkommen billigen. Ich wandte mich daher zunächst brieflich an den Vorsitzenden des hiesigen Buchdruckervereins, um sein Urteil über die Sache zu hören. Derselbe antwortete, daß er selbst in einer Offizin arbeite, in der der Tarif genehmigt sei, er daher der ganzen Angelegenheit ferner stehe. Er riet mir, mich an die Tarifkommission zu wenden.
Am Dienstag nachmittag nahm ich mit dieser Rücksprache und war erfreut über die Bereitwilligkeit, mit der man meinem Vorschlag entgegenkam. Man nannte mir auch einige der Prinzipale, bei denen ich mich zunächst erkundigen sollte, ob man auch von dieser Seite Geneigtheit zu einer Vermittlung zeige. Es waren dies die Herren Giesecke & Devrient und Ackermann (Firma Teubner). Gestern nun ging ich zu den Genannten.
Devrient war verreist, Giesecke nicht zugegen, und bei Ackermann wurde mir der Bescheid, daß ich mich am besten an Stadtrat Härtel (Firma Breitkopf & Härtel) oder an Brockhaus wende, da diese Vorsitzende der Genossenschaft seien. Ich muß hierbei bemerken, daß ich mich absichtlich nicht an die Letztgenannten gewendet hatte, und zwar aus dem Grunde, weil dieselben als die heftigsten Gegner der Arbeiter bekannt sind. Gleichwohl sah ich mich nach dieser Anweisung veranlaßt, dennoch zu Härtel zu gehen. Ich traf beide Brüder zu Hause an und hatte eine ziemlich eine Stunde dauernde Unterhaltung mit ihnen, deren Endresultat war, daß die Prinzipale keinen Schritt zu einer Verständigung mehr tun würden, nachdem die Tarifkommission der Schriftsetzer sich gegenüber den Vermittlungsversuchen des Geheimrats Professor v. Wächter so unnachgiebig gezeigt habe. Ich erwiderte darauf, daß seit jener Zeit (vierzehn Tage) sich die Ansichten doch wohl geändert hätten und man von jener Seite auf eine Verständigung bereitwilligst eingehen werde.
Aber diese und ähnliche Erklärungen von meiner Seite nützten nichts. Ich merkte sehr deutlich aus den Äußerungen dieser Herren, daß man auf die Tarifkommission aufs äußerste erbittert sei, und eine Verständigung einfach nicht wolle.
So stellte man unter anderem die Behauptung auf, daß diese Kommission kein Mandat habe, namens der Schriftsetzer zu unterhandeln, sondern sie habe sich dasselbe angemaßt. Eine Behauptung, die gegenüber den Tatsachen sich ganz merkwürdig ausnimmt. Dann sagte man wieder: was es denn nützte, wenn die Kommission auch eine Einigung mit den Prinzipalen erzielte und nun die übrigen aber nicht wollten. Überhaupt habe man keine Veranlassung, eine andere Vermittlung anzunehmen, da der genannte Geheimrat Professor v. Wächter sich noch bei Abbruch der Verhandlungen bereit erklärt habe, jederzeit dieselben wieder aufzunehmen, und wenn es den Arbeitern mit dem Vorschlag wirklich Ernst sei, sie hierzu Schritte tun möchten.
Nach dieser Erklärung sah ich allerdings ein, wie wenig Erfolg weitere Verhandlungen haben müßten, und entfernte mich.
Den feiernden Schriftsetzern, welche mittlerweile eine Versammlung im Kolosseum abhielten, ließ ich diese Nachricht sofort zukommen; was man beschlossen hat, ist mir bis zu diesem Augenblick unbekannt.
Es tut mir leid, nicht ein besseres Resultat erzielt zu haben.
Gleichwohl werde ich die Sache genau verfolgen, und wenn sich irgendwie die Sache für uns noch günstig gestalten sollte, Ihnen sofort Mitteilung machen.
Ich bin überzeugt, daß man von seiten der Kommission mit einer Verständigung es wirklich ernst meint, da man wohl nach und nach einzusehen anfängt, wie gefährlich es ist, die Sache aufs Äußerste zu treiben, und ein ehrenvoller Vergleich das beste ist. Andernteils aber bin ich ebensosehr überzeugt, daß der genannte Herr Härtel keineswegs im Sinne aller Prinzipale mir gegenüber handelte, da es bekannt ist, wie die meisten zu einem Vergleich gern die Hand böten. Indes läßt sich mit den einzelnen nicht unterhandeln, da Härtel als Vorsitzender der Genossenschaft alle derartige Anträge vorzubringen hat. Ich habe die Absicht, die ganze Angelegenheit durch die Presse zu veröffentlichen und abzuwarten, ob nicht darauf einzelne sich herbeilassen, über die Köpfe der extremsten Führer wie Härtel, Brockhaus usw. hinweg die Hand zur Verständigung zu bieten. Noch bemerke ich, daß sechs Druckereien in der Hauptsache die Forderungen der Arbeiter bewilligt haben ...“
Auf diesen Brief antwortete postwendend Sonnemann am 12. Mai:
„Ich war erstaunt, so lange ohne alle Nachricht zu bleiben. Meine Anfrage vom 1. ds. Mts. bezüglich der Buchdrucker war nur eine vorläufige. Meine deutlich ausgesprochene Absicht war, daß Sie in der Sache gemeinschaftlich mit Dr. Hirsch und Bandow operieren sollten, und beide hatten sich auch schon mir gegenüber dazu bereit erklärt. Nicht etwa, daß ich nicht zu Ihnen das volle Vertrauen hätte, daß Sie auch allein imstande sind, die Sache zu führen; meine Absicht war, dem Auftreten des Ausschusses dadurch, daß drei seiner Mitglieder als Vertreter kommen, mehr Förmlichkeit und dadurch mehr Gewicht zu geben. Ich rechnete in dieser Beziehung besonders auf Bandow, der als Vorsitzender des Kongresses in Leipzig dort in gutem Andenken steht. Indessen haben Sie ja alles mögliche aufgeboten, und es ist nur zu bedauern, daß der Erfolg Ihrer vielen Bemühungen nicht günstiger war. Ehe Sie etwas veröffentlichen, halte ich für passend, wenn ich nochmals an Brockhaus und Härtel schreibe und diesen Herren wiederholt die Absendung einer Deputation von seiten des Ausschusses anbiete. Als Motiv würde ich angeben, daß die Arbeiter zu ihren gewählten Vertretern doch das meiste Zutrauen haben würden. Vielleicht macht man die Sache so, daß die Buchdrucker unserer Deputation Pleinpouvoir geben. Die Prinzipale mögen ihren Geheimrat von Wächter und noch einige Herren ernennen und diese Kommission dann einen für alle Teile bindenden Spruch fällen. Schreiben Sie mir mit Postwendung, ob Sie damit einverstanden sind, daß ich nochmals an die Herren schreiben soll. Einige Zeilen von Ihnen genügen mir. Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß ich der Ansicht bin: die Buchdruckergehilfen sind in der Form und in der Sache zu weit gegangen. Sie sind, wie ich vermute, von den Lassalleanern aufgehetzt worden. Wäre das nicht der Fall, dann hätten sie ihre Forderungen durchgesetzt, denn niemals war eine Zeit den Bestrebungen um Lohnerhöhung günstiger als die jetzige; das zeigt sich daran, daß allenthalben die in mäßigen Grenzen gehaltenen und anständig vorgebrachten Forderungen durchgesetzt wurden ...“
Die Vermutung Sonnemanns, als hätten die Lassalleaner in diesem Streik ihre Hände gehabt, war vollkommen falsch. Der Sozialdemokrat Schweitzers zeigte zwar ein außerordentlich lebhaftes Interesse für die Arbeitseinstellung der Leipziger Buchdrucker, aber Einfluß auf diese erlangte er nicht.
Am nächsten Tage gab ich folgende Antwort:
„Auf Ihre geehrte Zuschrift vom 12. ds. Mts. habe ich zu erwidern, daß ich Ihre Absicht in dem Schreiben vom 1. ds. Mts. vollständig richtig aufgefaßt habe. Danach aber war es ganz natürlich, zuvor anzufragen und zu hören, ob beide Parteien geneigt seien, eine Vermittlung des ständigen Ausschusses anzunehmen. Daß ich nichts weiter getan habe, werden Sie schon aus der Erklärung Härtels in der gestrigen Deutschen Allgemeinen Zeitung ersehen haben. Nur muß ich hier zu meiner Rechtfertigung bemerken, daß es mir nach den persönlichen Erklärungen dieses Herrn unmöglich war, offiziell einen derartigen Antrag zu stellen.
Seine Erklärung scheint hauptsächlich hervorgerufen worden zu sein durch verschiedene Anfragen der Prinzipalität auf die Notizen verschiedener Zeitungen, die hiesige Buchdruckergenossenschaft habe die Vermittlung abgelehnt, während man sie in corpore nicht darum gefragt hatte.
Ich bemerke hierüber ausdrücklich, daß die Nachrichten in öffentlichen Blättern, die sich sogar vielfach widersprechen, nicht von mir ausgegangen sind. Das Gute aber haben sie gehabt, daß die öffentliche Meinung aufs neue angeregt wurde und mich unter anderen Geheimrat v. Wächter gestern früh zu sich bescheiden ließ, um mit ihm über die Sache zu konferieren. Er teilte mir mit, daß er bereit sei, jederzeit die Vermittlung wieder zu übernehmen, und er sich hierzu meine Hilfe erbitte. Er schlage mir vor, zunächst nochmals bei der Tarifkommission anzufragen, ob man hierzu geneigt sei und auf welcher Grundlage. Wobei er mir bemerkte, wie er es für unumgänglich notwendig erachte, daß man sich von seiten der Gehilfen zu Konzessionen herbeilasse. Dieser letzteren Ansicht muß ich vollkommen beistimmen, und haben auch Sie vollkommen recht, daß die Form, in welcher man anfangs vorging, nicht die rechte war.
Auf nochmalige Anfrage bei der Tarifkommission erklärte man sich bereit, zu Wächter zu gehen und sich mit ihm zu vereinbaren. Ich erklärte dabei nochmals, daß der ständige Ausschuß sofort bereit sein würde, in Gemeinschaft mit Wächter die Vermittlung zu übernehmen. Man nahm dies dankend an und versprach, nachdem man mit Wächter Rücksprache genommen, mir Antwort zu sagen. Leider war ich gestern nachmittag nicht anwesend, als die Deputation bei mir war. Heute morgen nach Empfang Ihres Briefes begab ich mich sofort in das Sitzungslokal der Tarifkommission, traf aber dort niemand an. Ich werde daher später nochmals hingehen. So weit vormittags ½ 10 Uhr.
Mittags 1 Uhr. Soeben verließ mich ein Mitglied der Tarifkommission, das mir folgendes mitteilte. Der Vorsitzende der genannten Kommission habe sich gestern auf meinen Wunsch zu Wächter begeben und ihm ihre Bereitwilligkeit, unter Hinzuziehung des ständigen Ausschusses nochmals zu unterhandeln, ausgesprochen. Auf die Frage, auf welcher Grundlage das geschehen solle, habe man den Vorschlag gemacht, eine andere Art der Berechnung aufzustellen, nämlich statt nach 1000 n nach dem Alphabet. Wächter ist damit einverstanden gewesen und hat versprochen, mit einigen Prinzipalen Rücksprache zu nehmen und über den Erfolg Antwort zukommen zu lassen. Bis jetzt ist eine solche nicht erfolgt, und es bleibt uns nach meiner Ansicht für jetzt nichts anderes übrig, als diese abzuwarten; ich werde Ihnen alsdann sofort Nachricht zukommen lassen.
Ihrer Ansicht, an Brockhaus und Härtel zu schreiben, kann ich nicht zustimmen, da diese gerade die größten Gegner der Arbeiter respektive der Arbeitervereine sind und Sie sich durch ein Motiv, wie Sie es in Ihrem Schreiben angeben, aufs schlimmste insinuieren würden. Sagt man doch Härtel nach, daß er beim hiesigen Polizeidirektorium dahin zu wirken versucht habe, daß man die hiesigen Vereine auflöse, weil sie die feiernden Arbeiter zum Teil unterstützt haben, und mußte ich doch auch aus seinem Munde hören, daß die Angelegenheit am besten zu Ende geführt würde, wenn die Arbeiter und Vereine aufhörten, die Buchdrucker mit Geldsammlungen zu unterstützen.
Schließlich muß ich mich gegen den Vorwurf in Ihrem Schreiben verwahren, als wenn ich allein die Vermittlung hätte übernehmen wollen. Es ist mir dies nicht im entferntesten eingefallen, und ich habe ausdrücklich, sowohl bei der Tarifkommission wie bei Härtel, von einer Deputation des ständigen Ausschusses gesprochen und auch ausdrücklich die Namen genannt. Schon wegen einer Besprechung in unseren eigenen Angelegenheiten wäre es mir lieb, Bandow und Hirsch hier zu haben.“
Drei Tage später, den 16. Mai, folgte alsdann von mir ein neuer Brief an Sonnemann, in dem es hieß:
„Ich bin nunmehr in der Lage, Ihnen endgültig über die Buchdruckerangelegenheit zu berichten.
Wie ich Ihnen in meinem Schreiben mitteilte, war die Tarifkommission auf meine Veranlassung mit Wächter in Unterhandlung getreten und hatte diesem als Grundlage die neue Berechnungsart vorgeschlagen. Wächter ging darauf ein und berief die frühere Vermittlungskommission der Prinzipale, um ihr diese Proposition der Tarifkommission zu stellen. Man rechnete und rechnete, fand aber schließlich, daß das Resultat dasselbe sei, indem man allerdings oftmals nur 27 bis 28 Pfennig zu zahlen haben würde, aber eben so oft auch 32 und 33 Pfennig. Mitglieder der Tarifkommission versicherten mir selbst, der Preis bleibe nach dieser Berechnung der gleiche und nur die Form sei eine andere. Die Prinzipale lehnten nunmehr die Vermittlung ab, da sie nur im Falle einer Konzession in den Bedingungen der Gehilfen sich zu einer Verständigung herbeilassen wollten.
Als ich nun gestern früh Ihr wertes Schreiben erhielt [4], trat ich sofort wieder mit der Tarifkommission in Unterhandlung, legte ihr den Frankfurter Tarif, sowie Ihre Berechnung als Basis für eine Vermittlung mit den Prinzipalen vor, nochmals hervorhebend, wie ich es selbst für notwendig hielt, nicht starr an den Forderungen festzuhalten und die Sache nicht auf die Spitze zu treiben. Der Betreffende erklärte sich mit diesen Ansichten einverstanden, versprach, den Vorschlag seinen Kollegen vorzulegen und mir Bericht zu erstatten.
Gestern abend erhielt ich Antwort. Diese lautete abschlägig. Man motivierte diese Antwort damit, man habe verschiedenes in Aussicht, weshalb man hoffe, dennoch die Forderungen durchzusetzen. Leipzig als Hauptort des Buchdrucks habe vor allem darauf zu sehen, einen möglichst hohen Lohn zu erzielen, da dieses für die anderen Städte von großem Einfluß sei, auch enthalte der von Ihnen aufgestellte Entwurf eine ganze Menge von Bestimmungen, in denen sie den Prinzipalen Konzessionen machen könnten und wollten. Ich war durch diese Antwort überrascht. Ich hatte sicher erwartet, daß man diesen Vorschlag annehmen würde. Nachdem er abgelehnt wurde, habe ich keine Veranlassung, in dieser Angelegenheit noch einen Schritt zu tun, es sei denn, man fordere mich von jener Seite dazu auf.
Mir scheint, daß, wie die Prinzipale von Härtel und Brockhaus sich beeinflussen lassen, auch einige in der Tarifkommission über alle anderen gebieten. Man muß es nun schließlich darauf ankommen lassen, welche von den beiden Parteien mit ihrer Starrköpfigkeit den Sieg davonträgt.
Von seiten der Gehilfen erwartet man von der jetzt im Gange befindlichen Buchhändlerbörse einen günstigen Einfluß für ihre Forderungen; wie weit dies richtig ist, wird sich herausstellen. Tatsache ist auch, daß von auswärts immer noch eine Masse von Zuschriften und Geldsendungen einlaufen, die sie zur Ausdauer anfeuern.
Wie Ihnen bereits bekannt sein dürfte, geht man von seiten der Polizei mit Maßregelungen gegen die feiernden Gehilfen vor, was ich durchaus nicht billige. Es haben infolgedessen am Montag bereits neunzehn Mann die Stadt verlassen. Einer hat wieder zu arbeiten angefangen. Jedenfalls ein klägliches Resultat, wenn man zu diesem Zweck, wie zu vermuten, die Maßregelungen ins Werk gesetzt hat.“
In einem anderen Briefe von mir an Sonnemann vom 28. Mai heißt es in einer Nachschrift lakonisch: In der Buchdruckerangelegenheit steht alles beim alten.
Am 20. Juni schreibt Sonnemann wieder:
„Ich bin nicht wenig erstaunt, daß Sie mein Schreiben vom 17. ds. Mts. gänzlich unbeachtet lassen (dasselbe ist aus dem schon oben angegebenen Grunde nicht mehr zu entziffern, es bezog sich aber auch mit auf die Buchdruckerangelegenheit). Wenn der Mechanismus bei uns nicht besser ineinandergreift, dann wird mir wohl die Herausgabe der Flugblätter sehr schwer werden.“
Hierzu sei bemerkt: Der ständige Ausschuß hatte, weil er mit dem Verleger der Allgemeinen Arbeiterzeitung in Koburg beständig in Konflikt war, die Herausgabe von Flugblättern beschlossen, die womöglich wöchentlich erscheinen sollten. Diese Flugblätter sollten alle auf die Arbeiterbewegung bezüglichen Mitteilungen enthalten und sollten in erster Linie die Mitglieder des ständigen Ausschusses daran mitarbeiten. Meine Antwort auf Sonnemanns Brief ist vom 23. Juni datiert und lautete:
„Die Vorwürfe, die Sie mir in Ihrem letzten Schreiben vom 20. ds. Mts. über meine angebliche Lauheit machen, muß ich zurückweisen. Sie würden dieselben nicht gemacht haben, wenn Sie meine Verhältnisse kennten. Diese aber sind derart, daß ich über meine Zeit nicht so verfügen kann, wie ich möchte. Habe ich auch ein selbständiges Geschäft, so bin ich durch meine Unbemitteltheit gezwungen, durch Arbeit den täglichen Lebensunterhalt zu verdienen; dazu kommt, daß ein guter Teil der Last der Geschäfte im (Arbeiterbildungs-)Verein ebenfalls auf mir liegt und ich auch hier schon gezwungen bin, manche Stunde zu opfern, abgesehen von den Abenden, die gänzlich durch Vereinsangelegenheiten in Anspruch genommen sind. Gleichwohl werde ich, soweit es irgend geht, den an mich gestellten Anforderungen nachzukommen suchen und würde auch auf Ihr erstes Schreiben bereits geantwortet haben, wenn das, was ich zu schreiben hatte, sich der Mühe verlohnte ...
Namentlich ist in bezug auf Arbeiten und Lohnfragen eine förmliche Windstille eingetreten, wie das nach der Aufregung und dem Lärm der vorhergehenden Wochen nicht anders zu erwarten war.
Bezüglich der Buchdruckerangelegenheit war ich am Dienstag bei Heinke, dem Redakteur des Korrespondent (der 1863 gegründet worden war). Heinke will Ihnen das Blatt vom 1. Juli ab regelmäßig unter Kreuzband zukommen lassen gegen Eintausch der Flugblätter und von sonstigen Mitteilungen ... Ferner versprach er, mir wichtige Nachrichten über Buchdruckerangelegenheiten, sei es von hier oder auswärts, zukommen zu lassen, und werde ich alsdann Ihnen möglichst schnell referieren.
Betreffs des hiesigen Buchdruckerstreiks teilte er mir mit, daß der größte Teil der Tarifkommission, sowie des Vorstandes des Buchdruckerfortbildungsvereins noch keine Kondition habe und so schnell auch noch keine bekommen werde. Gleichwohl glaubte er, daß man eine Unterstützung von unserer Seite nicht annehmen werde, indem erstens noch Geld vorhanden sei, zweitens die in Arbeit getretenen Gehilfen für die Arbeitslosen wöchentlich steuerten, endlich drittens sie alsdann in die Lage kommen könnten, bei Arbeitseinstellungen anderer Branchen ebenfalls zu steuern, was ihren schon jetzt sehr in Anspruch genommenen Geldbeutel nur noch mehr belasten würde; man habe von allem Anfang an beschlossen, Unterstützung von Nichtbuchdruckern gar nicht oder doch nur im alleräußersten Falle anzunehmen.“ [5]
Die Befürchtung der Buchdrucker, daß sie auch für die Streiks anderer Branchen herangezogen werden könnten, hatte insofern eine Berechtigung, als in jenem Frühjahr sowohl die Schneider wie die Arbeiter an dem Bau der städtischen Wasserleitung streikten und die Schuhmacher ebenfalls in den Streik eintraten.
In bezug auf letzteren schrieb ich Sonnemann am 28. Juni:
„Gestern fand im Hotel de Saxe eine Versammlung der Schuhmacher zum Zwecke der Lohnerhöhung statt. Da wir eine dringende Sitzung hatten, konnte ich erst später hingehen. Einen vollständigen Bericht könnte ich deshalb nicht liefern. Dr. Eras, welcher den Verhandlungen von Anfang bis Ende beigewohnt hat, wird Ihnen einen solchen für die Neue Frankfurter Zeitung zugesandt haben, den Sie im Flugblatt mit verwenden können.
Nach dem Geiste zu urteilen, der in jener Versammlung herrschte, werden die Arbeiter mit ihren sehr gerechten Forderungen nicht durchkommen. Unklarheit, Uneinigkeit unter ihnen lassen es nicht dazu kommen, obgleich sie es mehr wie jeder andere Arbeiter bedürften, da ein guter Arbeiter bei zwölfstündiger Arbeitszeit 2 Taler 20 Neugroschen bis 3 Taler die Woche verdient. Da wir als Unbeteiligte uns nicht in die Debatten mischen durften, so haben Eras und ich es ihnen später im Privatzirkel tüchtig gesagt, es wird nur nichts nützen.“
Am 1. Juli antwortete Sonnemann folgendes:
„Ich habe Ihre werten Briefe vom 23. und 28. Juni vor mir. Meine Mahnung an Sie war gewiß nicht so bös gemeint, wie Sie dieselbe vielleicht aufgefaßt haben. Ich weiß sehr gut, wie sehr Sie in Anspruch genommen sind, und wie schwer es Ihnen fällt, unserer Sache noch weiter Zeit zu opfern; ich verlange auch keine langen Briefe; zwei Zeilen genügen jederzeit, um eine Tatsache kurz mitzuteilen. Hätten Sie mir gleich geschrieben, die Buchdrucker bedürfen von uns keiner Unterstützung, so wäre es für den Augenblick genug gewesen.
Was nun den eben erwähnten Gegenstand betrifft, so freut es mich, daß es den Leuten dort vorerst nicht an Geldmitteln fehlt. Ich bitte Sie nur, ihnen wiederholt zu sagen, daß der Ausschuß nötigenfalls bereit sei, für sie einzutreten, und habe mich auch demgemäß in unserem Flugblatt ausgesprochen.“
Damit war unsere Korrespondenz über den Buchdruckerstreik zu Ende. Die Buchdrucker erlangten nur einen teilweisen Erfolg. Die Mehrzahl ihrer Leiter wurde gemaßregelt. Im August beschloß der Buchdruckerverein, die Steuer zu vervierfachen, einmal um die gewährten Darlehen zurückzuzahlen, dann um die noch übriggebliebenen Gemaßregelten entsprechend unterstützen zu können. Die Tarifkommission wurde zu vierzehn Tagen Gefängnis verurteilt wegen Verletzung des Streikparagraphen der sächsischen Gewerbeordnung. Auf erhobenen Rekurs wurde das Urteil aufgehoben. Glücklicher waren wider Erwarten die Schuhmacher, die Lohnerhöhungen bis zu 25 Prozent durchsetzten. Was ihnen zustatten kam, war, daß die Meister nicht organisiert und daß es meist Kleinmeister waren, die keinen Widerstand leisten konnten.
Das Verhalten einer Anzahl bekannter Liberaler bei den Leipziger Streiks veranlasste mich, in Nummer 8 der Flugblätter des ständigen Ausschusses auszusprechen, es sei eine Tatsache, daß gerade von jener Seite, auf der man mit dem Volke immerwährend geliebäugelt und sich als Arbeiterfreund dargestellt habe, die Forderungen der Arbeiter den entschiedensten Widerstand gefunden hätten. Es dürfe daher nicht wundernehmen, daß man selbst in Arbeiterkreisen, die mit dem Lassalleanismus nichts zu tun hätten, über das Gebaren eines Teiles der Fortschrittspartei nichts weniger als schmeichelhafte Urteile fällen hörte. Das erhöhe die Sympathie für diese nicht.
In demselben Sommer (Juli) beriefen wir Arbeiterversammlungen ein, um gegen die Beschlüsse der Handels- und Gewerbekammern von Dresden und Zittau zu protestieren, die beschlossen hatten, die neueingeführten Arbeitsbücher sollten entgegen der Gewerbeordnung nicht die Arbeiter, sondern die Arbeitgeber in Verwahrung haben, auch sollten sie ohne Zustimmung des Arbeiters über dessen Verhalten Zeugnisse in das Arbeitsbuch eintragen dürfen. Ein Aufruf, den wir an die sächsischen Arbeiter veröffentlichten, sich unserem Protest anzuschließen, hatte guten Erfolg. Die Lassalleaner machten in diesem Falle mit uns gemeinsame Sache.
4. In diesem (Kopie) ist die Tinte so blaß geworden, daß dasselbe nicht mehr zu entziffern ist.
5. Gustav Jaeckh behauptet in seinem Buch Die Internationale (Leipzig 1904), die deutschen Buchdrucker hätten sich durch ihren Verbandsvorsitzenden an den Generalrat der Internationale gewandt, um die Internationale, und in erster Linie die Buchdrucker-Union, für den Streik ihrer Brüder in Leipzig zu interessieren. Diese Angaben können unmöglich richtig sein. Erstens gab es zu jener Zeit noch keinen Verband der Buchdrucker, folglich auch keinen Vorsitzenden des Verbandes; zweitens weigerten sich die Buchdrucker, von politischen Organisationen Geld anzunehmen, und nun gar von der Internationale. Wahr kann an der Mitteilung höchstens sein, daß Leipziger Buchdrucker sich an den Generalrat gewendet hatten um Übermittlung eines Schreibens an die Londoner Buchdrucker-Union. Doch auch das ist mir etwas zweifelhaft.
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Zuletzt aktualisiert am 12.7.2007