Otto Bauer

Der Weg zum Sozialismus




8. Die Vergesellschaftung der Banken


Alle verfügbaren Kapitalien der Industriellen, der Kaufleute und der Landwirte, alle kleinen Ersparnisse und alle Gelder, die ihre Eigentümer zeitweilig nicht zu verwenden vermögen, fließen bei den Banken zusammen. So verfügen die Banken stets über große Massen fremder Gelder, und diese Verfügung gibt ihnen gewaltige Macht in der Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege haben die Banken die ganze große Industrie ihrer Herrschaft unterworfen; über den Industriellen thronte als ihr Herr das Finanzkapital. Wer damals die Sozialisierung der Industrie erwog, mochte mit Recht glauben, daß sie am besten mit der Sozialisierung der Banken begänne. Denn wenn die Gesellschaft zur Herrin der Banken würde, würde sie eben dadurch zur Herrin der Industrie.

Der Krieg aber hat die wirtschaftliche Situation der Banken wesentlich verändert. Die Banken sind im Verlauf des Krieges so sehr zu Instrumenten des Staatskredits geworden, dass demgegenüber ihre anderen Funktionen weit zurückgetreten sind. Im Grund genommen waren sie während des Krieges nichts anderes als Requisitenanstalten der Heeresverwaltung, mit der Aufgabe betraut, den letzten verfügbaren Heller für die Zwecke der Kriegführung zu requirieren. Der größte Teil der Aktiven der Banken besteht daher jetzt aus den Forderungen an den Staat und aus Darlehen auf Staatsschuldverschreibungen. Die Vergesellschaftung der Banken hätte daher heute keineswegs dieselben Wirkungen wie in der Friedenszeit. Und sie wäre heute, da wir zum Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft den Kredit des Auslandes brauchen, kaum so leicht durchzuführen und kaum so ratsam und wirksam, wie sie in der Friedenszeit gewesen wäre. Die Sozialisierung unserer industriellen Produktion wird also nicht mit der Vergesellschaftung der Banken beginnen können. Wir werden die Banken zunächst ihre Kriegsgeschäfte liquidieren, ihr normales Friedensgeschäft wieder aufnehmen und entwickeln lassen müssen, ehe an die Sozialisierung der Banken gedacht werden kann. Die Sozialisierung der Banken wird nicht der Beginn des großen Sozialisierungswerkes sein können; wohl aber wird sie sein Abschluß und seine Krönung sein müssen.

Die Sozialisierung der Banken hat eine ganz andere Aufgabe als die Vergesellschaftung der Großindustrie oder des Grundbesitzes. Hier handelt es sich nicht darum, den „Boden und die Arbeitsmittel in den Besitz der Gesellschaft zu überführen, sondern darum, die Macht, die die Verfügung über die fremden Kapitalien, die den Banken zur Verfügung gestellt werden, dem Finanzkapital gibt, ihm zu entreißen und sie der Gesellschaft zuzueignen. Daher bedarf es in diesem Falle keiner Expropriation; es genügt, die Macht, die heute die Aktionäre der Banken durch die von ihnen gewählten Verwaltungsräte ausüben, den Vertretern der Volksgesamtheit zu übertragen. Das geschieht, wenn durch Gesetz bestimmt wird, daß die Mitglieder des Verwaltungsrates jeder Großbank nicht mehr von der Generalversammlung der Aktionäre gewählt werden, sondern von den Körperschaften, die das Gesetz zu ihrer Wahl beruft. Das Gesetz wird zum Beispiel bestimmen können, daß ein Drittel der Mitglieder des Verwaltungsrates jeder Großbank von Nationalversammlung gewählt wird, die anderen zwei Drittel aber von den Industrieverbänden den landwirtschaftlichen Genossenschaften, den Konsumvereinen, den Gewerkschaften und den Angestelltenorganisationen ernannt werden. Eine solche gesetzliche Verfügung über die Zusammensetzung des Verwaltungsrates wird genügen, die Macht über die Milliarden, über die die Banken verfügen, zu sozialisieren.

Werden die Banken nicht mehr von ihren Großaktionären beherrscht, sondern von den Vertretern der Volksgesamtheit, so wird es ohne Schwierigkeit möglich sein, alle Großbanken des Landes zu einer Zentralbank zu verschmelzen. Die Leitung dieser Bank wird die Zentralleitung des ganzen Kreditwesens im Lande sein. Man wird natürlich bestrebt sein müssen, die tüchtigsten Fachleute in die Leitung dieser Bank zu berufen. Vielleicht wird dies am besten in der Weise geschehen können, daß ein besonderes Kollegium geschaffen wird, das die Vorschläge für die Ernennung der leitenden Direktoren der nationalen Zentralbank zu erstatten haben wird. Ein solches Kollegium müsste etwa aus den führenden Männern der staatlichen Finanzverwaltung, aus den leitenden Direktoren der Industrieverbände und der große Handelsorganisationen, aus Vertretern des Lehrkörpers der Handelsschulen und aus Vertretern der Organisationen der Bankbeamten zusammengesetzt sein; so oft die Stelle eines Direktors der nationalen Zentralbank zu besetzen ist, würde dieses Kollegium Vorschläge erstattet und einen der Vorgeschlagenen müsste der Verwaltungsrat der nationalen Zentralbank ernennen.

Die Verschmelzung aller Großbanken zu einer von den hervorragendsten Fachmännern geleiteten, von den Vertretern der Volksgesamtheit kontrollierten Zentralbank hätte die gewaltigsten Wirkungen. Da die Konkurrenz zwischen den Banken beseitigt wäre, würde der Zinsfuß gesenkt. Da die Zentralbank in unmittelbarer Geschäftsverbindung mit allen Besitzenden des Landes stünde, bedürfte die nicht mehr der Effektenbörse, um Wertpapiere abzusetzen; die Effektenbörse verlöre also jede wirtschaftliche Funktion und damit auch jede Bedeutung. Die ganze Macht über die Industrie und den Bergbau, die bisher das Finanzkapital geübt hat, ginge in die Hände der demokratischen Gesellschaft über. Die Bank könnte bei der Kreditgewährung die Konsumvereine, die landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Produktivgenossenschaften der Arbeiter begünstigen, die Entwicklung ihrer Eigenproduktion fördern und dadurch zu einem wichtigen Instrument der Vergesellschaftung vieler Industriezweige werden.

Aber darauf würden sich die Aufgaben der nationalen Zentralbank nicht beschränken. Sie würde vielmehr zu dem obersten leitenden Organ der ganzen Volkswirtschaft werden; zu demjenigen Organ, das die Verteilung des Kapitals und der Arbeit auf die einzelnen Produktionszweige regeln würde.

Heute ist es jedem einzelnen Kapitalisten überlassen, wie er sein Kapital verwenden will. Niemand schreibt dem einzelnen Kapitalisten vor, ob er sein Kapital zur Gründung eines Eisenwerks oder einer Ziegelei, einer Baumwollweberei oder einer Glashütte verwenden soll. Die Gesellschaft hat kein Organ, das die Verteilung des Kapitals auf die einzelnen Produktionszweige regelt. So geschieht es immer wieder, dass einzelnen Produktionszweigen zu viel, anderen zu wenig Kapital zugeführt wird. Die Kapitalisten gründen ein Dutzend Zementfabriken, und erst wenn diese Fabriken fertig sind, erfahren sie, daß der Markt so viel Zement nicht braucht. Die Bauunternehmungen schränken die Bautätigkeit ein und nach kurzer Zeit ersehen sie, daß weniger Wohnhäuser gebaut wurden, als das Volk gebraucht hätte. Daß in der kapitalistischen Gesellschaft niemand da ist, der für die Aufrechterhaltung der Proportionalität zwischen den einzelnen Produktionszweigen, für die gleichmäßige, der Gliederung des Bedarfs entsprechende Entwicklung der einzelnen Produktionszweige sorgt, ist ein der wichtigsten Ursachen der immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen. Dafür zu sorgen, wird nun die Aufgabe der nationalen Zentralbank sein. Sie wird ja über die Kapitalien der ganzen Gesellschaft verfügen. Sie wird entscheiden, welchen Produktionszweigen diese Kapitalisten zugeführte werden sollen. Von den Vertrauensmännern der Volksgesamtheit regiert, wird sie die verfügbaren Kapitalien immer dorthin führen können wo das Volk sie braucht; sie also zum Ausbau derjenigen Industriezweige verwenden, an deren Erzeugnissen Mangel besteht, und sie von jenen fernhalten, die keinem dringenden Volksbedürfnis dienen. So wird gerade die Vergesellschaftung der Banken zu dem entscheidenden Schritt zur Überwindung der kapitalistischen Anarchie. Der Verwaltungsrat der nationalen Zentralbank wird zur obersten wirtschaftlichen Behörde, zum höchsten leitenden Organ der ganzen Volkswirtschaft. Erst durch die Vergesellschaftung der Banken gewinnt die Gesellschaft an Macht, ihre Arbeit planmäßig zu leiten, planmäßig auf die einzelnen Zweige der Produktion zu verteilen, planmäßig dem Bedarf des Volkes anzupassen.

 


Zuletzt aktualisiert am 28.7.2007