Otto Bauer

Die Akkumulation des Kapitals

(März 1913)


Otto Bauer, Die Akkumulation des Kapitals, Die neue Zeit, 31. Jg., 1. Bd. (März 1913), H. 23, S. 831–838, H. 24, S. 862–874
Transkription: Daniel Gaido.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Akkumulation und Konsumtionskraft

In jedem Jahre verwandeln die Kapitalisten einen Teil des Mehrwertes in Kapital. Sie verwenden einen Teil des Mehrwertes dazu, die alten Betriebe zu erweitern und neue Betriebe zu gründen; also dazu, ihren Produktionsapparat auszudehnen und das ihnen fronende Arbeiterheer zu vergrößern. Diese Verwandlung eines Teiles des Mehrwertes in Kapital nennt Marx die Akkumulation des Kapitals. Je weiter die kapitalistische Entwicklung fortschreitet, desto kleiner wird der Teil des Mehrwertes, der von Kapitalisten konsumiert, desto größer der Teil des Mehrwertes, der von ihnen akkumuliert wird. Die Akkumulationsrate, das heist das Verhältnis des akkumulierten Mehrwertteils zum gesamten Mehrwert, steigt.

Während die Akkumulation des Kapitals schrankenlos fortschreitet, der Produktionsapparat der Gesellschaft ausgedehnt wird, die Warenmasse, die in den Betrieben der Kapitalisten erzeugt wird, gewaltig anschwillt, sind der Konsumtionskraft der kapitalistischen Gesellschaft enge Grenzen gesetzt. Die Kaufkraft der Arbeiterklasse wächst langsamer als das Kapital; denn mit der Entwicklung der Produktivkräfte sinkt der Wert der Arbeitskraft, es verringert sich der Anteil der Arbeiterklasse am gesellschaft lichen Wertprodukt. Aber auch die Kaufkraft der Kapitalistenklasse wächst langsamer als das Kapital. Die Kapitalisten können desto weniger konsumieren, je mehr sie akkumulieren. Daher bleibt die Konsumtionskraft der kapitalistischen Gesellschaft hinter den schrankenlos entfalteten Produktivkräften immer wieder zurück. Dieser innere Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise führt zum Sinken der Profitrate. Er wird sichtbar in verheerenden Krisen, in denen die aus dem erweiterten Produktionsapparat auf den Markt geschleuderte Warenmasse vergebens ein Käufer sucht.

Die Erklärung der Krisen aus dem Misverhältnis zwischen der Akkumulation des Kapitals und der Konsumtionskraft der Gesellschaft ist zuerst entwickelt worden von Sismondi, übernommen von Malthus, Chalmers, Rodbertus. Für Sismondi bildet sie einen wesentlichen Bestandteil seiner Kritik des Kapitalismus; für Malthus und Chalmers die Voraussetzung ihres Beweises, das die kapitalistische Gesellschaft „dritte Personen“ brauche, um ihre Waren überhaupt absetzen zu können – dritte Personen, die konsumieren, ohne zu produzieren.

Die Erklärung des Sinkens der Profitrate aus dem Mißverhältnis zwischen der Akkumulation des Kapitals und dem Wachstum der Arbeiterschaft haben zuerst das Pamphlet von 1821, Hodgskin und Ramsay bewiesen.

Die Verteidiger des Kapitalismus haben diese Lehren bekämpft. Sie leugnen die Möglichkeit einer allgemeinen Überproduktion. Mit der steigerung der Warenproduktion steige auch die Kaufkraft der Produzenten. Krisen könnten nur aus Disproportionalität zwischen den Produktionszweigen, nicht aus allgemeiner Überproduktion entstehen. Daran könne auch die Tatsache nichts ändern, das der Arbeiter sein Wertprodukt mit dem Kapitalisten teilen muß. Denn je weniger die Arbeiter konsumieren können, desto größer wird die Kaufkraft der Kapitalisten: die Gesamtgröße der Nachfrage nach Waren bleibt also unverändert, ob nun der Anteil der Arbeiter am Wertprodukt steigt oder sinkt. Ebenso gleichgültig ist die Akkumulationsrate. steigt sie, so würden zwar verhältnismäßig weniger Konsumtionsgüter, aber desto mehr Produktionsmittel gekauft. So Ricardo, Mac Culloch, Say.

Wie die Krisen sei auch das sinken der Profitrate nicht aus der Überakkumulation zu erklären. Die Profitrate sinke nur deshalb, weil die wachsenden Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung den Wert der Arbeitskraft erhöhen, die Mehrwertrate senken. Das Sinken der Profitrate wird also auf unabwendbare Naturgesetze zurückgeführt: auf die Übervölkerung und auf das sinken des Bodenertrags. So insbesondere Ricardo und John Stuart Mill.

Marx hat diese Einwendungen der schule Ricardo-Say endgültig abgetan, zugleich aber auch der auf Sismondi gestützten Lehre über den inneren Widerspruch der kapitalistischen Akkumulation eine ganz neue Fassung gegeben. Er hat die kapitalistische Produktion in zwei Teile geschieden: Erzeugung von Produktionsmitteln und Erzeugung von Konsumtionsgütern. Er hat nachgewiesen, das die Reproduktion des Kapitals nur dann ungestört erfolgen kann, wenn zwischen den beiden Produktionszweigen bestimmte Quantitätsbeziehungen bestehen. Diese Harmonie kann aber in der kapitalistischen Gesellschaft nicht anders hergestellt werden denn als „Resultat des Prozesses der Aufhebung der bestehenden Disharmonien“. Die Krisen erscheinen daher nicht als zufällige Begleiterscheinungen durch zufällige Disproportionalität der Produktion hervorgerufen, sondern als unvermeidliche Phasen der Reproduktion des Kapitals, weil nur durch sie die notwendigen Größenbeziehungen zwischen den beiden Zweigen der gesellschaftlichen Produktion hergestellt werden. Das Sinken der Profitrate aber vollzieht sich selbst bei voller Proportionalität der Produktion nicht als eine Wirkung unabwendbarer Naturgesetze, sondern als Wirkung der Tatsache, das das Kapital schneller wächst als die es bewegende Arbeitskraft, die allein Mehrwert erzeugt.

Die Schemata im zweiten Bande des Kapital, an denen Marx die Gleichgewichtsbedingungen zwischen den beiden Zweigen der Produktion dargestellt hat, haben dann die russische ökonomische Literatur mächtig beeinflußt. sie erörterte die Frage, ob der Kapitalismus auch für Rußland eine „transitorische Notwendigkeit“ ist; ob, wie die Zapadniki („Westler“) meinten, auch Rußland die ökonomischen, sozialen, politischen Einrichtungen West- und Mitteleuropas annehmen müsse oder ob es, wie die Slawjanosphilen glaubten, feine nationale Eigenart und Urwüchsigkeit sich erhalten könne; sozialistisch gewendet: ob auch in Rußland Konzentration des Kapitals, Proletarisierung der Volksmasse, Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat die Voraussetzungen des Sozialismus sind, wie die Sozialdemokraten lehrten, oder ob Rußland, ohne durch den Kapitalismus hindurchgehen zu müssen, auf der Grundlage des Mir, der bäuerlichen Feldgemeinschaft, sozialistische Gemeinwesen aufbauen könne, wie die Narodniki – Volkstümler –, und ihre Nachfolger, die Sozialisten-Revolutionäre, annahmen. In diesem Streite nun wurde die Frage erörtert, ob der Kapitalismus über das Gebiet von West- und Mitteleuropa überhaupt hinausdringen könne; ob die Entwicklung einer kapitalistischen Produktion im Osten nicht an der Unmöglichkeit, die von dem ausgdehnten Produktionsapparat erzeugten Waren abzusetzen, scheitern müsse. Die Marxisten zeigten im Kampfe gegen die Narodniki an der Hand der Marxschen Schemata, das der Kapitalismus noch so weit ausgedehnt, der Produktionsapparat noch so gewaltig vermehrt werden könne, ohne das den Kapitalisten der Markt für ihre Waren mangle, da das Gleichgewicht zwischen Produktionsmittelerzeugung und Konsumtionsgüterproduktion durch den kapitalistischen Mechanismus immer wieder hergestellt wird.

Der Streit zwischen den Marxisten und den Narodniki in Rußland ist durch die Geschichte entschieden. Jetzt nimmt aber, freilich in ganz anderer Absicht, Rosa Luxemburg die These von der Begrenztheit des Kapitalismus wieder auf. Ihr Buch Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Kapitalismus (Berlin 1913, Vorwärts) gibt dem seit den Tagen Sismondis immer wieder auftauchenden Problem eine neue Fassung.

Nehmen wir zunächst einfache Reproduktion an: der ganze Mehrwert wird konsumiert, kein Teil akkumuliert. In diesem Falle stellt sich die Gesamtproduktion nach Marx in folgendem Schema dar:

I. Produktionsmittelindustrien:
Konstantes Kapital (c) + variables Kapital (v) + Mehrwert (m)

II. Konsumtionsgüterindustrien:
Konstäntes Kapital (c₁) + variables Kapital (v₁) + Mehrwert (m₁)

Die Produktionsmittelindustrien müssen Lebensmittel von den Konsumtionsgüterindustrien kaufen: 1. für die Ernährung ihrer Arbeiter im Betrag von v, 2. für den Konsum ihrer Kapitalisten im Betrag von m; insgesamt also im Betrag von v + m. Andererseits müssen die Konsumtionsgüterindustrien Produktionsmittel von den sie erzeugenden Industrien im Betrag von c₁ kaufen, um ihr konstantes Kapital zu erneuern. Der Austausch zwischen den beiden Gruppen vollzieht sich ohne Störung, wenn c₁ = v + m. Das ist die Bedingung des Gleichgewichts bei einfacher Reproduktion.

Anders bei Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter. Hier stellt sich die Gesamtproduktion in folgendem Schema dar:

I. Produktionsmittelindustrien:
Konstantes Kapital (c) + variables Kapital (v) + konsumierter Teil des Mehrwertes (k) + akkumulierter Teil des Mehrwertes (a)

II. Konsumtionsgüterindustrien:
Konstantes Kapital (c₁) + variables Kapital (v₁) + konsumierter Teil des Mehrwertes (k₁) + akkumulierter Teil des Mehrwertes (a₁)

Hier entstehen Schwierigkeiten. Die Produktionsmittelindustrien kaufen Lebensmittel im Betrage v + k, und für diesen Betrag kaufen die Konsumtionsgüterindustrien Produktionsmittel von ihnen zur Erneuerung ihres konstanten Kapitals. Was geschieht aber mit a und a₁? a ist zunächst in Produktionsmitteln vergegenständlicht; wer kann sie kaufen? a₁ ist in Konsumtionsgütern verkörpert; wo sind sie abzusetzen? Hier greift nun Rosa Luxemburg zu der alten Hypothese der „dritten Personen“. Sie glaubt, der zu akkumulierende Teil des Mehrwertes könne überhaupt nicht realisiert werden, wenn die kapitalistische Produktion nicht die überschüssigen Werte außerhalb ihrer Sphäre absetzen könnte: bei nicht kapitalistisch produzierenden Kleinbürgern und Kleinbauern. Dies erkläre das Drängen des Kapitals nach der Erweiterung seiner Märkte. Daher das streben, die Naturalwirtschaft zu zerstören, die einfache Warenproduktion überall in die kapitalistische zu verwandeln, die ganze Erde zum Absatzgebiet für die kapitalistische Industrie zu machen – daher also der Imperialismus! Sobald aber das Absatzgebiet nicht mehr ausdehnbar ist, kann der Kapitalismus einen großen Teil seiner Waren nicht mehr absetzen. Er erstickt in dem von ihm geschaffenen Reichtum. Seine letzte Stunde schlägt. ... Dies der Grundgedanke des Werkes der Genossin Luxemburg. Ob er richtig ist, haben wir nunmehr zu prüfen.
 

Akkumulation und Bevölkerungswachstum

Jede Gesellschaft, deren Volkszahl wächst, muß alljährlich ihren Produktionsapparat erweitern. Diese Notwendigkeit wird für die sozialistische Gesellschaft der Zukunft ebenso bestehen wie für die kapitalistische Gesellschaft der Gegenwart, wie sie für die einfache Warenproduktion oder für die Bauernwirtschaft der ee bestand, die für den Eigenbedarf produzierte.

Nehmen wir an, in einer sozialistischen Gesellschaft wachse die Volkszahl um 5 Prozent jährlich. Die Gesellschaft wird im nächsten Jahre um 5 Prozent mehr Menschen zu ernähren haben als heuer. Daher muß die Gesellschaft: 1. heuer schon gewisse Konsumtionsgüter produzieren, die der Bevölkerungszuwachs im nächsten Jahre brauchen wird, also zum Beispiel so viele Wohnhäuser bauen, das der gesamte Wohnungsvorrat um 5 Prozent vermehrt wird; so viel Getreide anbauen, das der Brotvorrat nach der nächsten Ernte um 5 Prozent vergrößert sein wird usw.; 2. heuer schon so viele Produktionsmittel produzieren, das im nächsten Jahre einem um 5 Prozent vermehrten Arbeiterheer die notwendigen Arbeitsräume und Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden können. Die Gesellschaft muß in jedem Jahre einen Teil ihrer Arbeit auf die Erzeugung der Konsumtionsgüter und der Produktionsmittel aufwenden, die der Bevölkerungszuwachs im nächsten Jahre brauchen wird.

Dasselbe muß nun auch die kapitalistische Gesellschaft tun. Aber hier ist die Erweiterung des Produktionsapparats und des Lebensmittelvorrats gebunden an die Akkumulation des Kapitals. Von dem Mehrwert wird ein Teil in Kapital verwandelt, und zwar ein Teil des akkumulierten Mehrwertes zum variablen, ein anderer Teil zum konstanten Kapital geschlagen. Die Kapitalisten esel diese Akkumulation, um ihren Profit zu vermehren; aber die gesellschaftliche Wirkung dieser Akkumulation ist, das für den Bevölkerungszuwachs die notwendigen Konsumgüter und die notwendigen Produktionsmittel bereitgestellt werden. Die Vermehrung des variablen Kapitals drückt die Beschaffung der Lebensmittel für den Bevölkerungszuwachs, die Vermehrung des konstanten Kapitals die Beschaffung der Arbeitsräume und der Arbeitsmittel für den Bevölkerungszuwachs aus.

Während aber in der sozialistischen Gesellschaft die die Produktion planmäßig leitenden gesellschaftlichen Organe dafür sorgen, das die Ausdehnung des Produktionsapparats und die Vermehrung des Lebensmittelvorrats mit dem Bevölkerungswachstum gleichen schritt halten, hat die kapitalistische Gesellschaft keine solchen Organe. Die Akkumulation des Kapitals hängt hier von der Willkür der Kapitalisten ab. Daher kann sie hinter dem Bevölkerungswachstum zurückbleiben oder aber das Bevölkerungswachstum überholen. Wir wollen nun zunächst untersuchen, wie sich die Akkumulation des Kapitals vollziehen müßte, um im Gleichgewicht mit dem Bevölkerungswachstum zu bleiben. Haben wir dies erkannt, dann werden wir unschwer verstehen, welche Wirkungen die Störung dieses Gleichgewichtszustandes herbeiführen muß.

Wir nehmen an, das die Bevölkerung um 5 Prozent jährlich wachse. Soll das Gleichgewicht erhalten bleiben, muß also auch das variable Kapital jährlich um 5 Prozent steigen. Das konstante Kapital wächst schneller als das variable; um wieviel schneller, ist durch den jeweils erreichten Entwicklungsgrad der Technik bestimmt. Wir wollen annehmen, das das konstante Kapital jährlich um 10 Prozent zunehme. So erhalten wir zum Beispiel folgende Reihe:

Tabelle I

 

Konstantes
Kapital

Variables
Kapital

1. Jahr

200.000

100.000

2. Jahr

220.000

105.000

3. Jahr

242.000

110.250

4. Jahr

266.000

115.762

Um die Untersuchung zu vereinfachen, nehmen wir vorerst an, das die Mehrwertrate unverändert bleibe. Sie betrage 100 Prozent. Die Masse des Mehrwerts ist in jedem Jahre ebenso groß wie die des variablen Kapitals. Welcher Teil des Mehrwertes wird akkumuliert, welcher konsumiert? Akkumuliert wird der Teil, der genügt, das variable Kapital um 5 Prozent, das konstante Kapital um 10 Prozent zu vermehren. so beträgt zum Beispiel im ersten Jahre der Mehrwert 100.000. Zur Vermehrung des konstanten Kapitals (von 200.000 auf 220.000) werden 20.000, zur Vermehrung des variablen Kapitals (von 100.000 auf 105.000) werden 5.000 gebraucht. Es werden also im ganzen 25.000 akkumuliert, 75.000 konsumiert. Im vierjährigen Verlauf stellt sich die Entwicklung folgendermaßen dar:

Tabelle II

  

 

Der Mehrwert
beträgt

Konsumiert
werden

Zum konstanten
Kapital werden
geschlagen

Zum vartablen
Kapital werden
geschlagen

1. Jahr

100.000

75.000

20.000

5.000

2. Jahr

105.000

77.750

22.000

5.250

3. Jahr

110.950

80.589

24.200

5.511

4. Jahr

115.762

83.374

26,600

5.788

In jedem Jahre werden zunächst 5 Prozent des Mehrwertes dem Konsum der Kapitalisten entzogen, um zur Vermehrung des variablen Kapitals verwendet zu werden. Außerdem aber muß ein Teil des Mehrwertes zur Vermehrung des konstanten Kapitals gebraucht werden. Da der Mehrwert in demselben Verhältnis wächst wie das variable Kapital, das konstante Kapital aber schneller als das variable, muß ein von Jahr zu Jahr wachsender Teil des Mehrwertes zum konstanten Kapital geschlagen werden. Die Akkumulationsrate (das Verhältnis des akkumulierten Mehrwertteils zum gesamten Mehrer beträgt daher:

-

Tabelle III

 

 

Akkumulationsrate
rund

1. Jahr

25 Prozent

2. Jahr

26 Prozent

3. Jahr

27 Prozent

4. Jahr

28 Prozent

Unveränderte Mehrwertrate vorausgesetzt ist Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter bei fortschreitender organischer Zusammensetzung des Kapitals nur dann möglich, wenn die Akkumulationsrate von Jahr zu Jahr steigt. Soll das Gleichgewicht zwischen Akkumulation und Bevölkerungswachstum erhalten bleiben, dann muß das Wachstum der Akkumulationsrate in einem festen Größenverhältnis zum Bevölkerungswachstum und zum Wachstum des konstanten Kapitals stehen. Das dies der Fall, zeigen die Zahlen unseres Beispiels. Wer mit allgemeinen Zahlen zu rechnen gewöhnt ist, wird unschwer die Gleichung finden, die dieses Größenverhältnis allgemein ausdrückt.

Wir haben bisher das Wachstum des Gesamtkapitals beabachtet. Nun wollen wir untersuchen, wie sich das Gesamtkapital auf die beiden großen Produktionszweige – Erzeugung von Produktionsmitteln und von Konsumtionsgütern – verteilen muß.

Nehmen wir an, die Produktion im ersten Jahre stelle sich in folgender Weise dar:

 

 

Produktions-
mittel

Konsumtions-
mittel

Ganze
Produktion

Konstantes Kapital (c)

120.000

80.000

200.000

Variables Kapital (v)

  50.000

50.000

100.000

Konsumierter Mehrwertteil (k)

  37.500

37.500

  75.000

Akkumulierter )
  Mehrwertteil )

Zum konstanten Kapital zu schlagen (χ)

  10.000

  10.000

  20.000

Zum variablen Kapital zu schlagen (β)

    2.500

    2.500

    5.000

 

Summe

220.000

180.000

400.000

Wie muß sich nun das Kapital im zweiten Jahre verteilen? Das etwa der in jeder der beiden Produktionssphären akkumulierte Mehrwert im folgenden Jahre in derselben Produktionssphäre produktiv angelegt werde, ist unmöglich. Denn der Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals erheischt Verschiebung des Kapitals aus den Konsumtionsgüterindustrien in die Produktionsmittelerzeugung. Wir müssen also berechnen, welcher Teil des in den Konsumtionsüterindustrien akkumulierten Mehrwertes in die Produktionsmittelerzeugung übertragen, zu ihrer Ausdehnung verwendet werden muß.

Nach den Tabellen I und II müssen im zweiten Jahre betragen:

Das variable Kapital

 

105.000

Der konsumierte Teil des Mehrwerts

 

  77.750

Der zum variabeln Kapital zu schlagende Mehrwertteil

    5.250

 

      Summe      

188.000

Daher muß im zweiten Jahre der Produktenwert der Konsumtionsgüterindustrien 188.000 betragen; denn nur gegen diese Wertsummen können die Konsumtionsgüter eingetauscht werden.

In den Konsumtionsgüterindustrien werden im ersten Jahre 10.000 χ (konstantes Kapital) + 2.500 β (variables Kapital) akkumuliert. Soll nun der Produktenwert der Konsumtionsgüterindustrien im zweiten Jahre 188.000 betragen, können von dem in ihnen im ersten Jahre akkumulierten Mehrwert nur 5.334 χ + 1.333 β in dem Konsumtionsguterindustrien angelegt, der Rest muß in den Produktionsmittelindustrien ünertragen werden. [1]

Mithin erhalten wir für das zweite Jahr:

 

 

Produktions-
mittel

Konsumtions-
mittel

Ganze
Produktion

 

Konstantes Kapital (c)

134.666

85.334

220.000

 

Variables Kapital (v)

  53.667

51.333

105.000

 

Konsumierter Mehrwert (k)

  39.740

38.010

  77.750

Akkumulierter )
  Mehrwertteil )

Zum konstanten Kapital zu schlagen (χ)

  11.244

10.756

  22.000

Zum variablen Kapital zu schlagen (β)

    2.683

  2.567

    5.250

 

      Summe      

242.000

188.000

480.000

Durch die diese Berechnung ermitteln wir die Größen für die folgenden Jahre. Wir erhalten do die folgende Reihe:

Tabelle IV

1. Jahr

c

v

k

χ

β

I

120.000

+    50.000

+ 37.500

+ 10.000

+ 2.500

= 220.000

II

  80.000

+    50.000

+ 37.500

+ 10.000

+ 2.500

= 180.000


 

200.000

+ 100.000

+ 75.000

+ 20.000

+ 5.000

= 400.000

2. Jahr

I

134.666

+   53.667

+ 39.740

+ 11.244

+ 2.683

= 242.000

II

  85.334

+  51.833

+ 38,010

+ 10.756

+ 2.567

= 188.000


 

220.000

+ 105.000

+ 77.750

+ 22.000

+ 5.250

= 430.000

3. Jahr

 

I

151.048

+ 57.576

+ 42.070

+ 12.638

+ 2.868

= 266.200

II

90.952

+ 52.674

+ 38.469

+ 11.562

+ 2.648

= 196.300


 

242.000

+ 110.250

+ 80.689

+ 24.200

+ 5.511

= 462.500

4. Jahr

I

169.124

+   61.738

+ 44.465

+ 14.186

+ 3.087

= 292.600

II

  96.876

+   54.024

+ 38.909

+ 12.414

+ 2.701

= 204.924


 

266.000

+ 115.762

+ 83.374

+ 26.600

+ 5.788

= 497.524

Die Zahlen, die Marx im zweiten Bande des Kapital zur Darstellung des Reproduktionsprozesses verwendet, sind willkürlich gewählt und nicht frei von Widersprüchen. Dies erklärt sich unschwer daraus, das Engels diesen Teil des Marxschen Werkes im Nachlaß des Meisters unfertig vorgefunden hat. Aber weil Marx seinen Gedankengang nicht einwandfrei dar gestellt hat, muß dieser Gedankengang selbst doch nicht falsch sein. Rosa Luxemburg bescheidet sich damit, auf die Willkürlichkeiten der Marxschen Schemata hinzuweisen, und sie scheint zu glauben, das ohne diese Willkürlichkeiten die Schemata überhaupt nicht aufzustellen wären. Wir ziehen es vor, für Marxens Gedankengang eine angemessene Veranschaulichung zu suchen und an einem von der Willkür befreiten Schema unsere Untersuchung zu führen. Darum haben wir hier Schemata aufgestellt, die, sobald man die Voraussetzungen einmal annimmt, nichts Willkürliches mehr enthalten, deren Größen vielmehr mit zwingender Notwendigkeit auseinander folgen.

Willkürlich sind nur die Voraussetzungen im ersten Jahre gewählt: das das konstante Kapital 200.000, das variable Kapital 100.000 betrage, das das variable Kapital auf die beiden Produktionssphären zu gleichen Teilen aufgeteilt sei, das die Mehrwertrate 100 Prozent betrage und das die Akkumulationsrate in beiden Produktionssphären gleich sei. Willkürlich ist ferner die Annahme, das das konstante Kapital in jedem Jahre um 10 Prozent, das variable Kapital um 5 Prozent wachse. Nimmt man aber diese Voraussetzungen an, dann folgen aus ihnen alle im Schema dargestellten Größen mit mathematischer Notwendigkeit. Die Entwicklung kann nicht anders verlaufen, solange die Mehrwertrate unverändert bleibt und sofern die Akkumulationsrate in beiden Produktionssphären gleich bleiben soll. Mit unseren Schemata ist also eine einwandfreie Grundlage für die Untersuchung des von der Genossin Luxemburg Bee en Problems gewonnen.

(Schluß folgt.)
 

* * *

(Schluß)

Die Realisierung des Mehrwerts

Planen wir uns der Tabelle IV, zu der wir gelangt waren. (Siehe oben)

An der Hand dieser Tabelle wollen wir nun untersuchen, ob die Warenmasse, in der der akkumulierte Mehrwertteil (χ + β) vergegenständlicht ist, in der kapitalistischen Welt selbst abgesetzt werden kann oder ob er, wie die Genossin Luxemburg glaubt, nur außerhalb der kapitalistischen Welt Absatz finden kann. Wir untersuchen zunächst den Warenabsatz im ersten Jahre. In den Produktionsmittelindustrien werden im ersten Jahre Waren im Werte von 220.000 erzeugt. Wer kauft diese Waren? Zunächst brauchen die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien selbst neue Produktionsmittel. Einen Teil dieses Bedarfes decken sie, indem sie die in ihren eigenen Betrieben erzeugten Produktionsmittel zur Er neuerung oder Erweiterung ihrer Betriebe verwenden. So brauchen die Kohlenbergwerke selbst Kohle zur Heizung ihrer Dampfkessel, die Eisenwerke selbst Eisen zur Erneuerung oder Erweiterung ihres Produktionsapparats. Einen anderen Teil des Bedarfes decken sie durch Kauf innerhalb der Produktionsmittelindustrien. so kauft das Eisenwerk Kohle vom Kohlenbergwerk, das Bergwerk Maschinen von der Maschinenfabrik, die Maschinenfabrik Eisen vom Eisenwerk. Wie groß ist nun der Gesamtbedarf der Produktionsmittelindustrien an neuen Produktionsmitteln? Zunächst muß das in der Produktion verbrauchte konstante Kapital ersetzt werden; zu diesem Zwecke müssen die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien Produktionsmittel im Werte von 120.000 verwenden. Überdies aber wollen die Kapitalisten den von ihnen im ersten Jahre akkumulierten Mehrwert zur Erweiterung der bestehenden oder zur Gründung neuer Betriebe verwenden. Wollen sie im nächsten Jahre ein um 12.500 vergrößertes Kapital verwenden, so müssen sie schon heuer neue Arbeitsräume bauen, neue Maschinen kaufen, ihren Vorrat an Rohstoffen vermehren, damit die Arbeiterschaft, die sie vom Beginn des nächsten Jahres an einstellen wollen, die erforderlichen Arbeitsmittel bereit finde. Zu diesem Zwecke müssen sie Produktionsmittel im Werte von 10.000 voneinander kaufen. Insgesamt werden also von den in der Sphäre erzeugten Produktionsmitteln im Werte von 220.000 innerhalb dieser Sphäre selbst abgesetzt 1. zur Erneuerung des Produktionsapparats 120.000, 2. zur Erweiterung des Produktionsapparats für das nächste Jahr 10.000. Was geschieht aber mit den noch übrig gebliebenen Produktionsmitteln im Werte von 90.000?

Zunächst müssen die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien Produktionsmittel im Werte von 80.000 kaufen, um die in der Produktion im ersten Jahre verbrauchten Produktionsmittel zu erneuern. Überdies aber müssen die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien schon heuer Arbeitsräume bauen, Maschinen kaufen, ihren Vorrat an Rohstoffen vermehren, weil sie im nächsten Jahre ihre Produktion in erweitertem Umfang fortsetzen wollen. Zu diesem Zwecke kauft die Sphäre II von der Sphäre I Produktionsmittel im Werte von 5.384. Insgesamt kaufen also die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien Produktionsmittel, die zur Erzeugung von Konsumtionsgütern erfordert werden, im Betrag von 85.334. Es sind also nunmehr nur noch Produktionsmittel im Werte von 4.666 unverkauft geblieben. Wo finden sie ihren Absatz?

Die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien übertragen einen Teil des im ersten Jahre akkumulierten Mehrwertes in die Produktionsmittelindustrien: sei es, dass sie selbst Fabriken gründen, in denen Produktionsmittel erzeugt werden; sei es, dass sie einen Teil des von ihnen akkumulierten Mehrwertes durch Vermittlung der Banken den Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien zur Verwendung übertragen; sei es, dass sie Aktien von Gesellschaften kaufen, die Produktionsmittel erzeugen. Soll auf diese Weise im nächsten Jahre der Produktionsapparat der Sphäre I erweitert sein, müssen schon Heuer die Elemente dieses Produktionsapparats (Arbeitsräume, Maschinen, Rohstoffe) gekauft werden. Die Produktionsmittelindustrien verkaufen daher Waren im Wert von 4.666 an jenes Kapital, das in der Konsumtionsgüterindustrie akkumuliert wurde, aber in der Produktionsmittelindustrie angelegt wird. Die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien kaufen also neben Produktionsmitteln im Wert von 85.334, die zur Erzeugung von Produktionsgütern verwendet werden, auch noch Produktionsmittel im Wert von 4.666, die zur Erzeugung von Produktionsmitteln bestimmt sind.

Insgesamt werden also die im ersten Jahre erzeugten Produktionsmittel in folgender Weise abgesetzt:

1. An die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien:

a. zur Erneuerung des Produktionsapparats in I

120.000

b. zur Erweiterung des Produktionsapparats in I

  10.000

Zusammen

130.000

2. An die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien:

a. zur Erneuerung des Produktionsapparats in II

  80.000

b. zur Erweiterung des Produktionsapparats in II

    5.334

c. zur Erweiterung des Produktionsapparats in I

    4.656

Zusammen

  90.000

Damit ist die ganze Warenmasse, die in der Sphäre I erzeugt wurde, restlos abgesetzt.

Wie erfolgt nun der Absatz der Konsumtionsgüter? Um die Untersuchung zu vereinfachen, nehmen wir vorerst an, dass die gesamte Arbeiterklasse in Werkswohnungen (Wohnungen, die den industriellen Kapitalisten gehören) wohne und in Werkskonsumanstalten (Warenhäusern, die den industriellen Kapitalisten gehören) ihren ganzen Bedarf decke. In diesem Falle gehen alle erzeugten Konsumtionsmittel in die Hände der industriellen Kapitalisten über: ein Teil, um von ihnen konsumiert, der andere, um von ihnen an die Arbeiter verkauft zu werden.

Im ersten Jahre beträgt der Wert der in den Konsumtionsgüterindustrien erzeugten Waren 180.000. Von diesen Waren wird ein Neil in den Konsumtionsgüterindustrien selbst verwendet. Zunächst werden Waren im Wert von 37.500 von den Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien selbst konsumiert. Überdies müssen die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien einen Teil ihrer Waren ihren Werkskonsumanstalten zuführen, damit sie an die Arbeiter der Sphäre II verkauft werden. Wie groß muss nun dieser Teil sein? Im ersten Jahre betrug das Einkommen der Arbeiter in II 50.000, im zweiten Jahre wird es 51.333 betragen. Die Kapitalisten von II müssen also von dem Produkt des ersten Jahres 51.333 ihren Werkskonsumanstalten zuführen, damit der Vorrat für die Ernährung der Arbeiter im zweiten Jahre bereit sei. Von dem Produkt der Sphäre II wurden also innerhalb dieser Sphäre selbst 37.500 + 51.333 = 88.833 abgesetzt.

Die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien müssen von den Konsumtionsgüterindustrien Waren kaufen. Für ihren eigenen Bedarf brauchen sie Konsumtionsgüter im Wert von 37.600. Außerdem müssen sie für ihre Werkskonsumanstalten Waren kaufen. Das Einkommen der Arbeiter der Sphäre I beträgt im ersten Jahre 60.000. Durch den Zuschlag des akkumulierten Mehrwertteils wird es im zweiten Jahre auf 52.600 vermehrt werden. Von dem Jahresprodukt von II im ersten Jahre müssen also die Kapitalisten von I für ihre Werkskonsumanstalten 62.500 kaufen damit diese den Bedarf der Arbeiter von I im zweiten Jahre decken können. Der Gesamtbedarf der Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien beträgt also 87.500 + 62.500 = 90.000 Konsumtionsgüter.

Endlich verwenden die Kapitalisten voll II einen Teil des voll ihnen akkumulierten Mehrwertes zur Errichtung neuer Betriebe, in denen Produktionsmittel erzeugt werden. Auch diese Betriebe müssen Werkskonsumanstalten errichten. Diese Konsumanstalten müssen einen Teil der Konsumtionsg&uum"l;ter, die im ersten Jahre erzeugt worden sind, kaufen, damit sie den Bedarf der in diesen Betrieben im zweiten Jahre beschäftigten Arbeiter decken können. Sie kaufen Konsumtionsgüter im Wert von 1.167.

Somit werden die im erstell Jahre erzeugten Konsumtionsgüter in folgender Weise abgesetzt:

1. An die Kapitalisten der Produktionsmittelindustrien:

a. für ihren eigenen Bedarf

37.500

b. für die Werkskonsumanstalten

52.500

Zusammen

90.000

2. An die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien:

a. für ihren eigenen Bedarf

37.500

b. für die Werkskonsumanstalten in II

51.333

c. für Werkskonsumanstalten in I

  1.167

Zusammen

90.000

Es wird also auch die ganze Warenmasse, die in der Sphäre II erzeugt wurde, abgesetzt. Zugleich ersehen wir aus dieser Darstellung, dass die Kapitalisten der Konsumtionsgüterindustrien Produktionsmittel im Wert von 90.000 von den Produktionsmittelindustrien kaufen und ihnen Konsumtionsgüter gleichen Wertes verkaufen. Der Verkehr zwischen den beiden Sphären besteht darin, dass Konsumtionsgüter im Wert von 90.000 gegen Produktionsmittel im Wert von 90.000 eingetauscht werden. Somit ist der ganze Produktenwert beider Sphären, also auch der ganze Mehrwert realisiert.

Wir haben bisher vorausgesetzt, dass der Verkauf der Waren durch die industriellen Kapitalisten selbst erfolge; dass die industriellen Kapitalisten selbst Warenvorräte anhäufen und sie den Arbeitern verkaufen. Aber am Wesen des ganzen Prozesses ändert sich gar nichts, wenn diese Funktion einem besonderen Kapital übertragen wird; wenn an die Stelle des Warenkapitals der industriellen Kapitalisten das Warenhandlungskapital tritt. In diesem Falle treten folgende Veränderungen ein: 1. statt der Werkskonsumanstalten kaufen die Kaufleute die Waren; 2. ein Teil des Warenkapitals ist nicht in der Hand der industriellen Kapitalisten, sondern in der Hand der Kaufleute, jene teilen mit diesen ihren Mehrwert, und in dem Masse, als dies erfolgt, tritt an die Stelle der Warennachfrage der industriellen Kapitalisten die Nachfrage der Kaufleute. Die gesamte Konsumtionskraft der Gesellschaft bleibt dadurch unberührt. Auch in diesem Falle wird der ganze Mehrwert realisiert.

In gleicher Weise kann man sich an der Hand der Tabelle IV überzeugen, dass nicht nur im ersten, sondern auch in jedem folgenden Jahre der gesamte Produktenwert beider Sphären ohne Störung abgesetzt, der gesamte Mehrwert realisiert wird. Die Annahme der Genossin Luxemburg, dass der akkumulierte Mehrwertteil nicht realisiert werden könne, ist also falsch. Wie ist es möglich, dass die Genossin Luxemburg zu dieser falschen Annahme gelangte?

Wir haben angenommen, dass die Kapitalisten schon im ersten Jahre diejenigen Produktionsmittel kaufen, welche im zweiten Jahre von dem Zuwachs der Arbeiterbevölkerung in Bewegung gesetzt werden, und dass die Kapitalisten schon im ersten Jahre diejenigen Konsumtionsgüter kaufen, welche sie im zweiten Jahre an den Zuwachs der Arbeiterbevölkerung verkaufen; dass also von dem Arbeitsprodukt des ersten Jahres ein Teil gekauft wird, um im zweiten Jahre als zuschüssiges produktives Kapital verwendet zu werden. Würden wir diese Annahme nicht zulassen, dann wäre die Realisierung desinnersten Jahre erzeugten Mehrwertes in diesem Jahre in der Tat unmöglich. Dann würden verkauft:

Von Produktionsmitteln:

zur Erneuerung des konstanten Kapitals in I

120.000

zur Erneuerung des konstanten Kapitals in II

  80.000

Zusammen

200.000

Von Konsumtionsgütern:

an die Kapitalisten I

  37.500

an die Arbeiter I

  50,000

an die Kapitalisten II

  37,500

an die Arbeiter II

  50,000

Zusammen

175,000

In diesem Falle blieben in der Tat Produktionsmittel im Betrag von 20.000 und Konsumtionsgüter im Betrag von 5.000 unabsetzbar. Es wäre in der Tat gerade der zur Akkumulation bestimmte Mehrwertteil (χ + β), der nicht realisiert werden könnte.

Rosa Luxemburg glaubt, dass der akkumulierte Mehrwertteil nicht realisiert werden kann. In der Tat kann er im ersten Jahre nicht realisiert werden, wenn die stofflichen Elemente des zusätzlichen produktiven Kapitals (die neuen Arbeitsräume, Maschinen, Rohstoffe; die Konsumtionsgüter für den Zuwachs der Arbeiterschaft) erst im zweiten Jahre gekauft werden. Aber gekauft müssen sie schließlich werden, wenn nicht im ersten, dann eben im zweiten Jahre; denn ohne sie ist die Erweiterung des Produktionsapparats, die produktive Anlage des neugebildeten Kapitals nicht möglich. Und sobald sie gekauft werden, wird der bis dahin noch latente Teil des im ersten Jahre erzeugten Mehrwertes realisiert.

Marx stellt den Kreislauf des Kapitals in folgender Weise dar:

G – W – (Pm/A) ... P . . . W₁ – G₁

Nun scheiden wir W₁ in drei Teile: W + w + w₁, wobei W dem Kostenpreis (c + v), w dem konsumierten und w₁ dem akkumulierten Teil des Mehrwertes gleich sei. Dann erhalten wir folgendes Bild:

G – W – (Pm/A) ... P . . . (W + w + w₁) – (G + g + g₁)

Nach Abschluss des Produktionsprozesses teilt sich der Kreislauf in drei Teilprozesse. Es kann nun allerdings geschehen, dass die Zeit, die zur Umsetzung der erzeugten Ware in Geld erforderlich ist, in jedem der drei Teilprozesse verschieden ist. Solange nur der Prozess W – G abgeschlossen ist, ist überhaupt noch kein Mehrwert, sondern nur der Kostenpreis realisiert. Sobald der Prozess (W + w) – (G + g) abgeschlossen ist, ist nur der konsumierte, nicht der akkumulierte Mehrwertteil realisiert. Der akkumulierte Mehrwertteil kann erst in dem Augenblick realisiert werden, in dem w₁ in g₁ umgesetzt ist, das heißt: in dem jene Waren verkauft sind, in denen sich der zu akkumulierende Mehrwertteil vergegenständlicht; jene Waren, die die stofflichen Elenrente des zusätzlichen produktiven Kapitals der nächsten Produktionsperiode bilden.

Die Erscheinung, dass nur der konsumierte, nicht der akkumulierte Mehrwertteil realisiert ist, kann also wirklich eintreten: sie tritt dann ein, wenn (W + w) in (G + g) schon umgesetzt ist, win gnoch nicht. Aber diese Erscheinung ist nur eine vorübergehende Phase in dem gesamten Kreislauf. In dem Maße, in dem die produktive Anlegung des neugebildeten Kapitals erfolgt, wird auch der akkumulierte Mehrwertteil realisiert. Wenn also (W + w) schon im ersten Jahre in (G + g) umgesetzt werden, während das im ersten Jahre erzeugte w₁ erst im zweiten Jahre sich in g₁ verwandeln, kann, dann wird allerdings im ersten Jahre bloß der konsumierte Mehrwertteil realisiert; der im ersten Jahre erzeugte, zur Akkumulation bestimmte Mehrwertteil bleibt aber nicht unrealisiert, er wird gleichfalls, aber erst im Verlauf des zweiten Jahres, realisiert werden.

Das Mehrprodukt, das im ersten Jahre erzeugt wurde, besteht aus zwei Teilen: 1. aus Konsumtionsgütern für die Kapitalisten, 2. aus den stofflichen Elementen des zusätzlichen produktiven Kapitals. Sobald der erste Bestandteil verkauft ist, ist der konsumierte Mehrwertteil realisiert; sobald der zweite Bestandteil verkauft ist, ist der akkumulierte Mehrwertteil realisiert. Es ist unmöglich, zuerst den Mehrwertteil k zu realisieren und dann erst die Konsumtionsgüter für die Kapitalisten zu beschaffen; die Realisierung von k vollzieht sich eben im Verkauf des ersten Bestandteils des Mehrproduktes. Ebenso unmöglich ist es, zuerst den Mehrwertteil (χ + β) zu realisieren und dann erst die stofflichen Elemente des zusätzlichen produktiven Kapitals zu kaufen; die Realisierung von (χ + β) vollzieht sich eben im Verkauf des zweiten Bestandteils des Mehrproduktes. Es ist also gar nicht sonderbar, dass Rosa Luxemburg (χ + β) im ersten Jahre nicht realisieren kann, da sie annimmt, dass die Kapitalisten erst im zweiten Jahre die stofflichen Elemente des zusätzlichen produktiven Kapitals kaufen. Realisierung von (χ + β) und produktive Verwendung des Mehrproduktes, in dem (χ + β) vergegenständlicht sind, sind zwei Seiten derselben Erscheinung; sie können nur gleichzeitig erfolgen.

Die ganze Schwierigkeit entsteht nur, wenn man annimmt, die Verkaufszeit der Waren, in denen der akkumulierte Mehrwertteil verkörpert ist, sei länger als die Verkaufszeit der anderen Waren. In Wirklichkeit ist natürlich die Umschlagszeit der einzelnen Kapitalien und ihre Gliederung in Einkaufs-, Produktions- und Verkaufszeit sehr verschieden. Marx musste von diesen Verschiedenheiten absehen und annehmen, dass das Jahresprodukt innerhalb des Jahres abgesetzt werde, um die Reproduktion des Kapitals an einem einfachen Schema darstellen zu können. Aber selbst, wenn wir uns über diese Voraussetzung des Marxschen Schemas hinwegsetzten, gelangten wir doch zu keinem anderen Ergebnis als der nicht überraschenden Erkenntnis, dass ein Teil des in jedem Jahre erzeugten Mehrwertes erst im Verlaus des folgenden Jahres realisiert wird.

Die Genossin Luxemburg glaubt, die Waren, in denen (χ + β) verkörpert sind, müssten außerhalb der kapitalistischen Welt verkauft werden, damit die Realisierung des in ihnen vergegenständlichten Mehrwertes möglich werde. Ja, was für Waren sind denn das? Das sind doch jene Produktionsmittel, die die Kapitalisten brauchen, um ihren Produktionsapparat zu erweitern, und jene Konsumtionsgüter, die dazu gebraucht werden, den Zuwachs der Arbeiterbevölkerung zu ernähren. Wenn diese Waren aus der kapitalistischen Welt hinausgeschleudert würden, dann wäre im nächsten Jahre überhaupt keine Produktion auf erweiterter Stufenleiter möglich; es wären weder die notwendigen Produktionsmittel zur Erweiterung des Produktionsapparats noch die notwendigen Lebensmittel zur Ernährung einer vermehrten Arbeiterschaft zu beschaffen. Die Ausscheidung dieses Teiles des Mehrproduktes aus dem kapitalistischen Markte würde nicht, wie Rosa Luxemburg meint, die Akkumulation ermöglichen, sie würde vielmehr jede Akkumulation unmöglich machen.

In Wirklichkeit wird auch der akkumulierte Mehrwertteil in der kapitalistischen Gesellschaft realisiert. Die Realisierung vollzieht sich allerdings schrittweise, allmählich. So werden zum Beispiel die Lebensmittel, die im zweiten Jahre zur Ernährung der zuschüssigen Arbeiterschaft verwendet werden, in der Regel wohl schon im ersten Jahre produziert und von den Produzenten an das Großhandelskapital verkauft; ein Teil des Mehrwertes, der in diesen Lebensmitteln verkörpert ist, wird also schon im ersten Jahre realisiert. Die Realisierung des anderen Teiles dieses Mehrwertes erfolgt dann erst im Laufe des zweiten Jahres mit dem Verkauf dieser Lebensmittel vom Großhändler an den Kleinhändler und von diesem an die Arbeiter. Alle Einzelheiten dieses Prozesses kann das Schema natürlich nicht erfassen. Aber sie ändern auch an dem Gesamtprozess nichts. Wie immer sich die Kreisläufe der Einzelkapitalien verschlingen und durchkreuzen, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Realisierung von (χ + β) mit der produktiven Anlage des neugebildeten Kapitals gleichzeitig erfolgt, besser gesagt: jene sich in dieser und durch sie vollzieht. Insofern ist unser Schema ein treues Bild der Wirklichkeit. Es beweist, dass auch der zu akkumulierende Mehrwertteil in der kapitalistischen Sphäre selbst realisiert wird.
 

Unterakkumulation und Überakkumulation

Unser Schema (Tabelle IV) setzt voraus, dass 1. die Arbeiterschaft jährlich um 5 Prozent wächst, 2. das variable Kapital in gleichem Verhältnis wächst Wie die Arbeiterschaft, 3. das konstante Kapital in dem durch den technischen Fortschritt erheischten Maße schneller wächst als das variable. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht erstaunlich, dass keine Schwierigkeit entsteht, den Mehrwert Zu realisieren. Die Konsumtionskraft der Arbeiter wächst in diesem Falle ebenso schnell wie ihre Zahl. Die Konsumtionskraft der Kapitalisten wächst ebenso schnell, da mit der Zahl der Arbeiter auch die Mehrwertmasse wächst. Die Konsumtionskraft der ganzen Gesellschaft wächst also ebenso schnell wie das Wertprodukt. Die Akkumulation ändert daran nichts; sie bedeutet nur, dass weniger Konsumtionsgüter, mehr Produktionsmittel erheischt werden als bei einfacher Reproduktion. Die Erweiterung des Produktionsfeldes, die eine Voraussetzung der Akkumulation bildet, ist hier durch das Wachstum der Bevölkerung gegeben.

Dieser Gleichgewichtszustand zwischen der Akkumulation und dem Bevölkerungswachstum kann jedoch nur dann erhalten werden, wenn die Akkumulationsrate so schnell steigt, dass trotz der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals das variable Kapital ebenso schnell wächst wie die Bevölkerung (Tabelle III). Bleibt das Steigen der Akkumulationsrate hinter diesem Erfordernis zurück, dann bleibt das Wachstum des variablen Kapitals hinter der Vermehrung der Arbeit suchenden Bevölkerung zurück. Den Zustand, der dann eintritt, können wir den Zustand der Unterakkumulation nennen.

Die erste Wirkung der Unterakkumulation ist die Bildung einer industriellen Reservearmee. Ein Teil des Bevölkerungszuwachses bleibt arbeitslos. Die arbeitslosen Proletarier üben einen Druck auf die Löhne. Die Löhne sinken, die Mehrwertrate steigt. Da in einer Gesellschaft, die nur aus Kapitalisten und Arbeitern besteht, die arbeitslosen Proletarier kein anderes Einkommen finden können als das Lohneinkommen, müssen die Löhne so lange sinken, muss die Mehrwertrate so lange steigen, bis trotz dem relativ verringerten variablen Kapital die gesamte Arbeiterbevölkerung Beschäftigung findet. Die veränderte Verteilung des Wertproduktes, die dadurch eintritt, ist herbeigeführt durch die Tatsache, dass mit der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, in der sich der technische Fortschritt ausdrückt, der Wert der Arbeitskraft gesunken ist, daher relativer Mehrwert gebildet wurde.

Ist die Mehrwertrate gestiegen, so wird – bei unveränderter Akkumulationsrate – auch der zu akkumulierende Mehrwertteil vergrößert. Es wächst also auch die Mehrwertmasse, die zur Vergrößerung des variablen Kapitals verwendet wird. Ihre Vergrößerung aus diesem Wege muss sich so lange vollziehen, bis das Gleichgewicht zwischen dem Wachstum des variablen Kapitals und dem Wachstum der Bevölkerung wieder hergestellt ist.

Ich nenne das Verhältnis des akkumulierten Mehrwertteils zum gesamten Mehrwert die kapitalistische Akkumulationsrate, das Verhältnis des akkumulierten Mehrwertteils zum gesamten Wertprodukt (variables Kapital + Mehrwert) die gesellschaftliche Akkumulationsrate. [2] So können wir den Mechanismus, durch den die Unterakkumulation immer wieder aufgehoben wird, in folgender Weise darstellen: Ist die gesellschaftliche Akkumulationsrate zu klein, so entsteht eine industrielle Reservearmee. Die Löhne sinken. Die Mehrwertrate steigt. Daher steigt auch, selbst bei unveränderter kapitalistischer Akkumulationsrate, die gesellschaftliche Akkumulationsrate; denn bei gleicher kapitalistischer Akkumulationsrate wächst die gesellschaftliche Akkumulationsrate mit der Mehrwertrate. Unter dem Druck der industriellen Reservearmee steigt die Mehrwertrate und mit ihr die gesellschaftliche Akkumulationsrate so lange, bis diese groß genug geworden ist, trotz der steigenden organischen Zusammensetzung das variable Kapital ebenso schnell zu vermehren wie die Arbeiterbevölkerung. Sobald das der Fall, ist die industrielle Reservearmee aufgesogen und das Gleichgewicht zwischen Akkumulation und Bevölkerungswachstum wiederhergestellt.

Die kapitalistische Produktionsweise trägt also in sich selbst den Mechanismus, der die hinter dem Bevölkerungswachstum zurückgebliebene Akkumulation dem Bevölkerungswachstum wieder anpatzt. Aber diese Anpassung erfolgt auf Kosten der Arbeiterklasse. Sie erfolgt durch die Steigerung der Ausbeutungsrate. Der Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals führt die Unterakkumulation immer wieder herbei; durch das Steigen der Mehrwertrate wird sie immer wieder überwunden. Sie ist eine periodisch wiederkehrende, aber immer nur vorübergehende Phase des industriellen Zyklus.

Steigt die gesellschaftliche Akkumulationsrate, so erreicht sie schließlich einen Punkt, in dem das variable Kapital schneller wächst als die Bevölkerung. Den Zustand, der in diesem Falle eintritt, nennen wir den Zustand der Überakkumulation. Aber wie die Unterakkumulation ist auch die Überakkumulation immer nur eine vorübergehende Phase des industriellen Zyklus.

Marx beschreibt den Zustand der Überakkumulation in folgender Weise:

„Sobald also das Kapital gewachsen wäre in einem Verhältnis zur Arbeiterbevölkerung, dass weder die absolute Arbeitszeit, die diese Bevölkerung liefert, ausgedehnt, noch die relative Mehrarbeitszeit erweitert werden könnte (das letztere wäre ohnehin nicht tubar in einem Fall, wo die Nachfrage nach Arbeit so stark, also Tendenz zum Steigen der Löhne); wo also das gewachsene Kapital nur ebensoviel oder selbst weniger Mehrwertsmasse produziert als vor seinem Wachstum, so fände eine absolute Überproduktion von Kapital statt; d. h., das gewachsene Kapital C + ΔC produzierte nicht mehr Profit, oder gar weniger Profit, als das Kapital C vor seiner Vermehrung durch ΔC. In beiden Fällen fände auch ein starker und plötzlicher Fall in der allgemeinen Profitrate statt, diesmal aber wegen eines Wechsels in der Zusammensetzung des Kapitals, der nicht der Entwicklung der Produktivkraft geschuldet wäre, sondern einem Steigen im Geldwert des variablen Kapitals (wegen der gestiegenen Löhne) und der ihr entsprechenden Abnahme im Verhältnis der Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit.“ [3]

Dieser Punkt bezeichnet die absolute Grenze der Akkumulation. Wird er erreicht, so erfolgt die Anpassung der Akkumulation an das Bevölkerungswachstum in einer verheerenden Krise mit gewaltiger Brachlegung von Kapital, massenhafter Zerstörung von Werten und jähem Sturz der Profitrate.

In Wirklichkeit kann die Anpassung erfolgen, ehe noch die von Marx beschriebene absolute Grenze erreicht wird. Ist die Akkumulationsrate zu groß, dann wird die industrielle Reservearmee schnell aufgesogen, die Löhne steigen, die Mehrwertrate sinkt, mit ihr sinkt die gesellschaftliche Akkumulationsrate, und schon dadurch wird das Wachstum des variablen Kapitals wieder verlangsamt. Schon dadurch kann die Anpassung der Akkumulation an das Volkswachstum erfolgen.

Überdies sinkt im Zustand der Überakkumulation die Profitrate sehr schnell. Die Profitrate sinkt infolge des Fortschreitens zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals selbst dann, wenn zwischen Akkumulation und Bevölkerungswachstum Gleichgewicht besteht. Sie sinkt noch schneller, wenn der Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung mit sinkender Mehrwertrate zusammenfällt, was bei Überakkumulation der Fall. In dem Augenblick, „wo sich die zuletzt beschriebenen Tendenzen der sinkenden Profitrate durchsetzen gegenüber den Tendenzen, die infolge der gestiegenen Nachfrage Steigen der Preise und des Profits bewirkt haben, tritt die Krise ein“. [4] In der Krise und in der ihr folgenden industriellen Depression ist die Akkumulation wesentlich verlangsamt, das Wachstum des variablen Kapitals bleibt nunmehr wieder hinter dem Bevölkerungswachstum zurück.

Wie die Unterakkumulation wird also auch die Überakkumulation durch den Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise selbst immer wieder aufgehoben. In der kapitalistischen Produktionsweise besteht die Tendenz zur Anpassung der Akkumulation des Kapitals an das Wachstum der Bevölkerung. Diese Anpassung ist erfolgt, sobald das variable Kapital sich ebenso schnell vermehrt wie die Arbeiterbevölkerung, das konstante Kapital aber in dem Maße schneller, als die Entwicklung der Produktivkraft dies erheischt. In einer sozialistischen Gesellschaft würden die die Produktion leitenden gesellschaftlichen Organe bewusst und planmäßig dafür sorgen, dass das Wachstum des gesellschaftlichen Produktionsapparats dem Wachstum der Bevölkerung angepasst sei. In der kapitalistischen Gesellschaft muss diese Anpassung gleichfalls erfolgen: aber sie kann hier nicht anders erfolgen als durch Vermittlung großer Krisen mit Arbeitslosigkeit, Lohndruck, steigender Ausbeutung auf der einen, Brachlegung von Kapital, Zerstörung von Werten, sinkender Profitrate auf der anderen Seite.

Die Tendenz zur Anpassung der Akkumulation an das Bevölkerungswachstum beherrscht die internationalen Beziehungen. Länder mit dauernder Überakkumulation legen einen großen, wachsenden Teil des in jedem Jahre akkumulierten Mehrwertes im Ausland an. Beispiel: Frankreich und England. Länder mit dauernder Unterakkumulation ziehen Kapital aus dem Ausland an sich und geben Arbeitskräfte an das Ausland ab. Beispiel: die agrarischen Länder Osteuropas. Die Vermehrung des produktiven Kapitals im Lande selbst bleibt immer durch das Wachstum der verfügbar en Arbeiterbevölkerung begrenzt: das variable Kapital kann dauernd nicht schneller wachsen als die Bevölkerung, das konstante Kapital immer nur in dem durch den Entwicklungsgrad der Produktivkräfte bestimmten Verhältnis schneller als das variable. Man begreift daher auch die Aufregung der Kapitalisten über den Rückgang der Geburtenzahl: die Verlangsamung des Bevölkerungswachstums verengt die Grenze, die dem Wachstum ihres Kapitals gezogen ist.

Die kapitalistische Weltwirtschaft als Ganzes betrachtet, wird die Tendenz zur Anpassung der Akkumulation an das Bevölkerungswachstum sichtbar in dem industriellen Zyklus. Prosperität ist Überakkumulation. Me hebt sich selbst aus in der Krise. Die nun folgende Depression ist eine Zeit der Unterakkumulation. Sie hebt sich selbst auf, indem die Depression aus sich heraus die Bedingungen der Wiederkehr der Prosperität erzeugt. Die periodische Wiederkehr der Prosperität, der Krise, der Depression ist der empirische Ausdruck der Tatsache, dass der Mechanismus der kapitalistischen Produktion selbsttätig Überakkumulation und Unterakkumulation aufhebt, die Akkumulation des Kapitals immer wieder dem Wachstum der Bevölkerung anpasst.

Der einzelne Kapitalist glaubt, es hänge nur von seiner „Entsagung“ ab, welchen Teil des Mehrwertes er „erspart“. In Wirklichkeit werden die Kapitalisten in jeder Krise belehrt, dass ihrer Akkumulation objektive Grenzen gesetzt sind: dass das Kapital nur in dem Maße vermehrt werden kann, in dem die Gesellschaft ihren Produktionsapparat auszudehnen vermag. Die objektive Grenze der Akkumulation wird, wenn der Entwicklungsgrad der Produktivkräfte gegeben ist, bestimmt durch das Wachstum der Arbeiterbevölkerung. Die Akkumulation setzt Ausdehnung des Produktionsfeldes voraus; ausgedehnt wird das Produktionsfeld durch das Wachstum der Bevölkerung. „Vermehrung der Bevölkerung erscheint als Grundlage der Akkumulation als eines stetigen Prozesses.“ [5] Würde das Bevölkerungswachstum überhaupt aufhören, dann könnte das variable Kapital dauernd nicht vermehrt werden; Akkumulation wäre dann nur in dem Maße möglich, als die Entwicklung der Produktivkräfte zusätzliches konstantes Kapital zur Beschäftigung einer unveränderten Arbeitermasse erheischte.

Die Genossin Luxemburg weiß, dass der Akkumulation des Kapitals objektive Grenzen gezogen sind. Aber sie bestimmt diese Grenzen falsch. Die Genossin Luxemburg glaubt, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft, die ihre Waren nicht in bäuerlichen oder kleinbürgerlichen Gebieten absetzen könnte, Akkumulation des Kapitals überhaupt nicht möglich wäre. Diese Ansicht ist unrichtig. Jede Gesellschaft, deren Bevölkerung wächst, muss ihren Produktionsapparat erweitern. Die Erweiterung des Produktionsapparats nimmt unter kapitalistischer Produktionsweise die besondere Form der Akkumulation des Kapitals an. Diese Akkumulation vollzieht sich ohne Störung, sofern sie nur in einem bestimmten Größenverhältnis bleibt einerseits zum Wachstum der Bevölkerung, andererseits zur Entwicklung der Produktivkraft, die sich in dem Fortschritt zu höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals aus- drückt. Allerdings treibt die Entwicklung die Akkumulation immer wieder über diese Grenze hinaus; aber die Akkumulation wird immer wieder in ihre Grenze zurückgeführt durch die periodisch Wiederkehrende Wirtschaftskrise. Das Ergebnis unserer Untersuchung ist also: 1. daß auch in einer isolierten kapitalistischen Gesellschaft Akkumulation des Kapitals möglich ist, sofern sie nur über eine jeweils bestimmte Grenze nicht hinausgeht; 2. daß sie zu Lieser Grenze selbsttätig zurückgeführt wird durch Len Mechanismus der kapitalistischen Produktionsweise selbst.

Als eine Apologie des Kapitalismus kann diese Darstellung nicht betrachtet werden. Denn während die Apologeten des Kapitals die Schrankenlosigkeit der Akkumulation erweisen wollten – mit der Produktion steige automatisch auch die Konsumtionskraft! –, decken wir die Grenze aus, die der Akkumulation gesetzt ist. Während die Apologeten die Unmöglichkeit allgemeiner Krisen beweisen wollten, zeigen wir, dass sich die Gesetze der Akkumulation nicht anders durchsetzen können als durch allgemeine Krisen, in deren Gefolge Arbeitslosigkeit, Lohndruck, steigendes Massenelend, wachsende Erbitterung und Empörung der Arbeitermassen einhergehen.
 

Die Erklärung des Imperialismus

Die Genossin Luxemburg erklärt den Imperialismus in folgender Weise: In einer isolierten kapitalistischen Gesellschaft wäre Verwandlung des Mehrwertes in Kapital unmöglich. Sie wird nur dadurch ermöglicht, dass die Kapitalistenklasse ihren Absatzmarkt stetig erweitert, um in Gebieten, die noch nicht kapitalistisch produzieren, jenen Teil des Mehrproduktes abzusetzen, in dem der akkumulierte Teil des Mehrwertes verkörpert ist. Diesem Zwecke dient der Imperialismus.

Diese Erklärung ist, wie wir gesehen haben, unrichtig. Akkumulation ist auch in einer isolierten kapitalistischen Gesellschaft möglich und notwendig. Und der Teil des Mehrproduktes, in dem der akkumulierte Mehrwertteil verkörpert ist, kann nicht an Bauern und Kleinbürger der Kolonien Verkauft werden, weil er im kapitalistischen Mutterland selbst gebraucht wird, den Produktionsapparat zu erweitern.

Aber in der falschen Erklärung ist doch ein echter Kern verborgen. Ist die Akkumulation in einer isolierten kapitalistischen Gesellschaft nicht unmöglich, so ist sie doch in Grenzen gebannt. Der Imperialismus dient in der Tat dem Zwecke, diese Grenzen Zu erweitern.

Zunächst ist die Akkumulation durch das Wachstum der Arbeiterbevölkerung begrenzt. Der Imperialismus vermehrt nun gewaltig die Arbeitermasse, die gezwungen ist, dem Kapital ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Er bewirkt dies, indem er die alten Produktionsweifen der Kolonialgebiete zersetzt und dadurch Millionen zwingt, entweder in kapitalistische Gebiete auszuwandern oder in ihrer Heimat selbst dem dort angelegten europäischen oder amerikanischen Kapital zu fronen. Da – bei gegebener organischer Zusammensetzung des Kapitals – die Größe der Akkumulation durch das Wachstum der verfügbaren Arbeiterbevölkerung bestimmt ist, ist der Imperialismus also in der Tat ein Mittel, die Grenzen der Akkumulation weiter zu spannen.

Neben dem Wachstum der Bevölkerung bestimmt die Entwicklung der Produktivkräfte, das Fortschreiten zu höherer organischer Zusammensetzung, die Größe der Akkumulation. Auch diese Entwicklung kann durch den Imperialismus gefördert werden: einmal, indem er vornehmlich die Entwicklung der Produktionszweige mit überdurchschnittlicher organischer Zusammensetzung des Kapitals fördert; zweitens, indem er dem Kapital die außerhalb seiner Heimat gelegenen stofflichen Produktionselemente zur Verfügung stellt und dadurch die Entwicklung der Produktivkräfte, die Steigerung der Produktivität der Arbeit gewaltig beschleunigt.

Die Anpassung der Akkumulation an das Wachstum der Bevölkerung setzt sich in periodischen Krisen durch. In jeder Krise sind gewaltige Warenmengen unverkäuflich und ein großer Teil des produktiven Kapitals liegt brach. Die Überwindung der Krise wird erleichtert, wenn es gelingt, große Warenmengen in neue Absatzgebiete zu werfen. Auch dies sucht der Imperialismus dem Kapital zu ermöglichen.

Ist also der Imperialismus nicht ein Mittel, die Akkumulation überhaupt zu ermöglichen, sonst er doch ein Mittel, ihre Grenzen weiter zu spannen und die Überwindung der Krisen, die periodisch aus der Überakkumulation entstehen, zu erleichtern. Dieses Streben ist in der Tat eine Wurzel, nicht die einzige, des Imperialismus.

Nach der Ansicht der Genossin Luxemburg könnte der Kapitalismus ohne fortwährende Expansion überhaupt nicht bestehen. Wird der Ausdehnung seiner Absatzmärkte eine Schranke gesetzt, dann kann er einen großen Teil des Mehrwertes nicht realisieren. Er bricht von selbst zusammen.

Nach unserer Ansicht ist der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar, Aber ob mit, ob ohne Expansion führt der Kapitalismus selbst seinen Untergang herbei. Ist ihm die Expansion möglich, dann bringt er die Arbeitermassen durch das Wettrüsten, durch wachsenden Steuerdruck, durch kriegerische Katastrophen zur Empörung. Ist ihm die Expansion verwehrt, dann wird die Grenze der Akkumulation verengt, die Krisen werden häufiger, länger, verheerender. In dem einen wie in dem anderen Falle erkennt ein wachsender Teil der Volksmasse, dass seine Lebensinteressen mit der Fortdauer der kapitalistischen Produktionsweise unvereinbar sind.

Nicht an der mechanischen Unmöglichkeit, den Mehrwert zu realisieren, wird der Kapitalismus scheitern. Er wird der Empörung erliegen, zu der er die Volksmassen treibt. Nicht erst dann, bis der letzte Bauer und der letzte Kleinbürger auf der ganzen Erde in Lohnarbeiter verwandelt, daher dem Kapitalismus kein zuschüssiger Markt mehr offen sein wird, wird der Kapitalismus zusammenbrechen; er wird weit früher gefällt werden von der wachsenden „Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des. kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse“.

* * *

Anmerkungen

1. Diese Zahlen wurden in der folgenden Weise berechnet: Im zweiten Jahre beträgt der Produktenwert der Konsumtionsgüterindustrien:

c + v + m = 188.000.

Da die Mehrwertrate 100 %, also v = m, ist:

c + 2v = 188.000.

Der Zuwachs des konstanten Kapitals in der Produktion der Konsumtionsgüter vom ersten auf das zweite Jahr beträgt: c – 80.000; der Zuwachs des variabeln Kapitals: v – 50.000. Soll von χ und von β ein gleicher Teil in die Produktionsmittelindustrie übertragen werden, erhalten wir:

(c − 80.000) : (v − 50.000) = 10.000 : 2.500.

Löst man diese Gleichungen auf, so erhält man v = 51.333 c = 85.334.

2. Bisher war, wo ich von der Akkumulationsrate sprach, immer die kapitalistische Akkumulationsrate gemeint.

3. Karl Marx, Das Kapital, III, 1, S. 233.

4. Hilferding, Das Finanzkapital, S. 823.

5. Karl Marx, Theorien über den Mehrwert, Band II, 2, S. 244.

 


Leztztes Update: 4. April 2025