O. B.

Bücherschau

Parteiliteratur

(1. Juli 1911)


Der Kampf, Jg. 4 10. Heft, 1. Juli 1911, S. 477.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Im Februar kam eine Delegation belgischer Gewerkschafter nach Berlin, um die Organisationen der deutschen Arbeiter zu studieren. Für diesen Kreis arbeitete Karl Kautsky einen Vortrag aus, den der Berliner Parteiverlag unter dem Titel: Taktische Strömungen in der deutschen Sozialdemokratie herausgegeben hat. (Preis 30 h.) Von dem Streit zwischen den Lassalleanern und den Eisenachern an bis zu dem Streit über die Bewilligung des Budgets in den süddeutschen Landtagen gibt uns Kautsky eine überaus klar und volkstümlich geschriebene Darstellung der inneren Kämpfe in der deutschen Sozialdemokratie. Auch die Streitigkeiten zwischen der Partei und den Gewerkschaften werden besprochen. Kautsky erwartet, vielleicht allzu optimistisch, die stete Milderung der innerhalb der Arbeiterbewegung bestehenden Gegensätze. Die Lektüre der Broschüre ist auch in Oesterreich jedem Arbeiter zu empfehlen; denn die taktischen Probleme, die in der reichsdeutschen Sozialdemokratie erörtert wurden, bestehen, wenn auch in weniger entwickelten Gestalt, auch in allen anderen kapitalistischen Ländern.

Die besonderen Probleme der österreichischen Sozialdemokratie werden von Kautsky nur kurz gestreift. Er spricht davon, dass die Annäherung der Gewerkschaften an die Partei in Deutschland den revisionistischen Flügel der Arbeiterbewegung stärken müsse, und fügt hinzu: „Aber das ist eine Geringfügigkeit, wenn man sie vergleicht damit, wie der syndikalistische Kultus direkter Aktion in Frankreich und Italien, wie gewerkschaftlicher Separatismus in Oesterreich, wie trade-unionistischer Liberalismus in England, wie eine gewerkschaftliche Schwanzpolitik in Amerika den Sozialismus schädigen und lähmen.“ (S. 36.) Unsere tschechischen Genossen sollten nicht übersehen, dass der Mann, der seit Engels’ Tode das Haupt der Marxschen Schule ist und der unsere österreichische Arbeiterbewegung genauer als jeder andere Genosse im Auslande kennt, ihre Politik für noch schädlicher hält, als den von ihm mit Recht so heftig bekämpften deutschen Revisionismus, und dass er sie in einem Atem nennt mit halb bürgerlichen und halb anarchistischen Strömungen, die von der ganzen Internationale bekämpft werden.

 


Leztztes Update: 6. April 2024