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Der Kampf, Jg. 4 4. Heft, 1. Jänner 1911. S. 47–48.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Richard Charmatz, dessen kurze Geschichte der inneren Politik Oesterreichs seit 1848 [1] ein auch für unsere Genossen sehr wertvoller Behelf ist, hat uns wiederum ein nützliches Buch beschert. Im Verlage der Cotta’schen Buchhandlung hat er sein Lebensbild Adolf Fischhofs herausgegeben. [2] Fischhofs politische Wirksamkeit begann am 13. März 1848. Nach dem Zusammenbruch der Revolution begleitete er Oesterreichs Geschichte als mitdenkender Zuschauer bis zum Jahre 1893 mit zahlreichen Broschüren, Aufsätzen, Briefen. So verwebt sich sein Lebensbild mit den sozialen, den politischen, den nationalen Kämpfen zweier Menschenalter. Charmatz versteht es, es diesem breiten Zusammenhänge einzuordnen. So ist es ihm gelungen, ein Buch zu schreiben, das so manche Anregung auch dem zu geben vermag, dem Fischhofs Leben selbst, das im Sturme der Revolution so ereignisreich beginnt und in der Jahrzehnte währenden Abgeschiedenheit des vereinsamten Schriftstellers so ereignislos dahinsiecht, nicht allzu viel Interesse abzugewinnen vermag.
Seiner Abstammung und seiner Denkweise nach war Fischhof ein Kleinbürger. Sein Gesellschaftsbild war durch die Annahme bestimmt, die Besitzenden seien die Mehrheit des Volkes, die Masse der Kleinbesitzer sei die konservative Stütze des Staates, sein Schutz gegen das proletarische „Element der Zerstörung“. (S. 98.) Nicht zufällig ist der Jude Fischhof anfangs der Achtzigerjahre in reger Beziehung zu Lueger, dem Erwecker und Repräsentanten des Kleinbürgertums gestanden – im Jahre 1882 versuchten die beiden sogar gemeinsam eine Parteigründung! Als Kleinbürger wirkte Fischhof auch im Revolutionsjahr 1848. Steht das Kleinbürgertum überhaupt zwischen Proletariat und Bourgeoisie, zwischen Revolution und Reaktion in der Mitte, ewig zwischen ihnen schwankend, zwischen ihnen vermittelnd, so wies Fischhof seine individuelle Begabung und Neigung stets zu der Rolle des Mittlers, des Vermittlers. Er vertrat 1848 das Bürgertum in der akademischen Legion und die akademische Legion im Bürgertum, er suchte die Gegensätze zwischen der Bourgeoisie und den Arbeitern, zwischen den Gemässigten und den Radikalen auszugleichen, er war immer und überall der „Mittelsmann“, der „Politiker der Mässigung“, der die „mittlere Linie“ zwischen den Parteien suchte. Das war seine Rolle bei der Sturmpetition, im Sicherheitsausschuss, im Reichstag, im Oktobersturm, in der Permanenzkommission des Reichstages. Ein Achtundvierziger, war er im Grunde doch auch 1848 kein Revolutionär. „Nicht Revolution zu predigen ist meine Absicht ...“, so begann er seine Rede am 13. März, die der erste Ausdruck der Revolution war. Und die Rede, die die Forderungen der Revolution formulierte, gipfelte in einem „herzlichen Lebehoch auf das hohe Kaiserhaus“! Immer wieder zwischen Mächten vermittelnd, deren offener Kampf bis zur Vernichtung der einen oder der anderen unvermeidlich war, musste er sich schliesslich gegen die stellen, die die Revolution vorwärts trieben. Unter seiner Leitung ist der Sicherheitsausschuss ein vortrefflich funktionierendes Organ der Sicherheitspolizei geworden und die Permanenzkommission des Reichstages eine bettelnde Deputation. Nicht die grossen, heldenhaften Züge, sondern die kluge Aengstlichkeit der Wiener Revolution repräsentiert Fischhof. Nach der Revolution ist er natürlich noch viel konservativer geworden. Er wollte einer der „massvollen patriotischen Männer“ sein, die durch kluge Reformen das „Patrimonium der Dynastie“ retten. In seinen kühnsten Träumen hoffte er, der „destruktiven“ eine „konstruktive“ Internationale gegenüberstellen zu können. Ein revolutionärer Demokrat ist Fischhof nie gewesen; er war ein kleinbürgerlicher Liberaler.
Fischhof entstammte einer mährischen Judenfamilie. In einer deutschen Stadt Ungarns ist er geboren. Als er das Gymnasium besuchte, wurde eben die lateinische durch die magyarische Unterrichtssprache ersetzt. Die magyarische Renaissance war der erste starke Eindruck seines Lebens. Das hat seine Laufbahn bestimmt: er war gewiss einer der ersten Deutschen in Oesterreich, die die ganze Bedeutung der nationalen Probleme begriffen, die erkannten, dass die Alleinherrschaft der Deutschen in Oesterreich nicht mehr möglich sei. Auch dem nationalen Problem trat er nun als Mittler, als Vermittler gegenüber: der Ausgleich zwischen den Nationen war sein Lebensziel. Da er den „Ausgleich“ der Nationen in Oesterreich suchte, gewann er zu der grossen deutschen Frage, die von 1848 bis 1871 ganz Europa bewegte, nie ein inniges Verhältnis. Dem Kleinbürger, der im Sturme der Revolution noch „Hoch das hohe Kaiserhaus“ rief, musste die grossdeutsche Republik, für die Wien sich im Oktober verblutete, als eine Utopie der „Demagogen“ erscheinen. Der Mann, den Windischgrätz nach der Sprengung des Kremsierer Reichstages verhaften und des Flochverrates anklagen liess, ist in Wirklichkeit stets ein Schwarzgelber gewesen.
Fischhof suchte zwischen den Nationen zu vermitteln: zwischen dem deutschen Zentralismus und dem slawischen Kronländerföderalismus. Er glaubte die „mittlere Linie“ darin zu finden, dass einerseits die Autonomie der Kronländer erweitert, anderseits innerhalb der Kronländer die nationalen Minderheiten durch besondere Rechte geschützt werden sollten. Dass er ein Vertreter der nationalen Autonomie war, ist eine Legende. In Wirklichkeit war er Kronländerföderalist. Nicht die grosszügigen Gedanken der nationalen Autonomie stammen von ihm, sondern die kleinen Auskunftsmittelchen, die den Kronlandsminoritäten den Bestand der Landtage erträglich machen sollen – die nationalen Kurien, die nationale Abgrenzung, die Sprachengesetze. Bei den Ausgleichskonferenzcn im Prager Landhaus wäre er am rechten Orte gewesen. Auch den nationalen Problemen gegenüber war er kein Revolutionär, sondern ein Vermittler, ein Ausgleicher.
In dieser Feststellung liegt keine Verkleinerung des Mannes, der gewiss einer der wenigen interessanten Publizisten Oesterreichs war. Es ist eben kein Zufall, dass in Oesterreich nicht nur der verantwortlich handelnde Politiker, sondern selbst der Richtung weisende Schriftsteller, dessen Aufgabe eigentlich nicht die Schliessung von Kompromissen, sondern die Aufweisung von Prinzipien wäre, sich damit bescheiden muss, die „mittlere Linie“ zwischen den kämpfenden Tendenzen zu suchen. Wo der Klassengegensatz durchkreuzt, verwirrt, kompliziert wird durch den achtfachen Gegensatz von Nationen, die auf so verschiedenen Stufen wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung stehen, kann kein Prinzip restlos obsiegen. Der „Ausgleich“ ist die eigentliche politische Methode Oesterreichs. Es ist kein Zufall, dass fast alle bedeutenden Politiker Oesterreichs in der Kunst, zwischen Gegensätzen zu vermitteln, am grössten gewesen sind: von Fischhof bis Beck oder bis – Viktor Adler.
Nur zeigt Fischhofs Beispiel, dass die Methode des Ausgleichs auch ihre Gefahren hat, dass nicht jeder Ausgleich so unvermeidlich ist, wie er einer Generation erscheinen mag. In der Frage, die ihn am meisten beschäftigt hat, hat Fischhof nicht recht behalten. Er glaubte, die Dezemberverfassung werde dem slawischen Ansturm nicht widerstehen können, und wollte darum dem Kronländerföderalismus Zugeständnisse machen; heute ist der Kronländerföderalismus durch die Entwicklung selbst überwunden, der Zentralismus hat gesiegt. Es gibt auch in Oesterreich Tendenzen, mit denen kein Ausgleich geschlossen werden darf, die bekämpft werden müssen, bis die Entwicklung sie aus dem Wege schafft.
Charmatz steht seinem Helden ganz unkritisch gegenüber. Bei der Beschäftigung mit dem Lebenslauf Fischhofs ist er viel konservativer geworden, als er in seinen früheren Schriften erschien. Seine Urteile über die Arbeiter, die radikalen Politiker, die Presse des Jahres 1848, über die Oktoberrevolution und über das Strafgericht vom 6. Oktober beweisen, dass der „Jungliberalismus“ auf dem Wege ist, des alten Liberalismus würd1g 2u werden. Den Taaffeschen Ausnahmszustand nennt Charmatz „ein Sonderrecht für das Proletariat in einzelnen Bezirken“! (Seite&nbso;357.) In der Bewunderung Fischhos geht Charmatz so weit, dass er heute noch meint, man hätte in den Siebziger- oder Achtz’gerjahren „Fischhofs Ideen“, nämlich dem Kronländerföderalismus, Zugeständnisse machen sollen! (Seite 435.) Charmatz’ Buch hätte viel gewonnen, wenn er der Gefahr der Ueber-schätzung seines Gegenstandes entgangen wäre: dann erst wäre das psychologische und das eigentliche politische Problem Fischhof – das Problem der Notwendigkeit des politischen und nationalen Kompromisses und der Grenzen seiner Notwendigkeit – deutlich geworden. Freilich, zu patriotischer Begeisterung gäbe eine solche Erwägung keinen Anlass. Von allen Gebrechen dieses Staates ist es ja das furchtbarste, dass er jede politische Idee, jede politische Bewegung zwingt, mit ihrem Gegenpart zu paktieren und zu kompromittieren. Darum haben die anderen Völker ihre Danton, Robespierre, Bonaparte, ihre Cobden, Gladstone, Chamberlain, ihre Fichte und ihre Bismarck, wo wir – Fischhof haben.
1. Charmatz, Oesterreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907. Zwei Bändchen. Preis 3 Kronen.
2. Charmatz, Adolf Fischhof, Stuttgart 1910. XVI und 461 S.
Leztztes Update: 6. April 2024