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Abgedruckt in Ferdinand Lassalle: Gesammelte Reden und Schriften (hrsgb. von Eduard Bernstein) Bd. 3, Paul Cassirer, Berlin, 1919, S. 41–107.
Transkription u. HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.
Meine Herren!
Sie fordern mich in Ihrer Zuschrift auf, Ihnen in irgend einer mir passend erscheinenden Form meine Ansichten über die Arbeiterbewegung und über die Mittel, deren sie sich zu bedienen hat, um die Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes in politischer, materieller und geistiger Beziehung zu erreichen, sowie besonders auch über den Wert der Assoziationen für die ganze unbemittelte Volksklasse auszusprechen.
Ich nehme keinen Anstand, Ihrem Wunsche nachzukommen, und wähle dazu die einfachste, durch die Natur der Sache nahegelegte Form, die Form eines öffentlichen Send- und Antwortschreibens auf Ihren Brief.
Ich bemerke nur, daß infolge meiner in diesem Moment durch notwendige Arbeiten sehr in Anspruch genommenen Zeit dieser Brief sich der größtmöglichen Kürze befleißigen muß, was übrigens Ihrem eigenen Zwecke entsprechen wird.
Als Sie im Oktober vorigen Jahres, zu welcher Zeit ich gerade von hier abwesend war, die erste Vorberatung in Berlin über den deutschen Arbeiterkongreß hielten, der ich in den Veröffentlichungen durch die Zeitungen mit Interesse gefolgt bin, wurden zwei entgegengesetzte Ansichten in der Versammlung geltend gemacht.
Die eine ging dahin, daß Sie sich überhaupt um die politische Bewegung nicht zu kümmern hätten und diese interesselos für Sie sei.
Die andere ging im Gegenteil dahin, daß Sie sich als den Anhang der preußischen Fortschrittspartei zu betrachten, und den selbstlosen Chor und Resonanzboden für sie abzugeben hätten.
Wäre ich damals in Ihrer Versammlung gegenwärtig gewesen, so würde ich mich gleichmäßig gegen beides ausgesprochen haben.
Es ist geradezu vollständig beschränkt, zu glauben, daß den Arbeiter die politische Bewegung und Entwicklung nicht zu kümmern habe!
Ganz im Gegenteil kann der Arbeiter die Erfüllung seiner legitimen Interessen nur von der politischen Freiheit erwarten.
Schon die Frage, inwiefern Sie sich versammeln, Ihre Interessen diskutieren, Vereine und Zweigvereine zur Wahrnehmung derselben bilden dürfen usw., ist eine von der politischen Lage und politischen Gesetzgebung abhängige Frage, und es verlohnt sich daher nicht, eine so beschränkte Ansicht erst noch durch weiteres Eingehen zu widerlegen.
Nicht weniger falsch und irreleitend war aber auch das entgegengesetzte Ansinnen, das Ihnen gestellt wurde, sich politisch nur als den Anhang der Fortschrittspartei zu betrachten!
Zwar wäre es ungerecht gewesen, zu verkennen, daß sich die preußische Fortschrittspartei damals in ihrem Konflikt mit der preußischen Regierung durch ihr Festhalten an dem Budgetbewilligungsrecht und ihren Widerstand gegen die Militärreorganisation in Preußen ein gewisses, wenn auch mäßiges, Verdienst um die politische Freiheit erworben hatte.
Gleichwohl war schon damals die Erfüllung jenes Ansinnens durch die folgenden Gründe vollständig ausgeschlossen:
Erstens ziemte eine solche Haltung von vornherein nicht einer so mächtigen und selbständigen, viel prinzipiellere politische Zwecke verfolgenden Partei, wie die deutsche Arbeiterpartei zu sein hat, gegenüber einer Partei, welche, wie die preußische Fortschrittspartei, in prinzipieller Hinsicht nur das Festhalten an der preußischen Verfassung als ihre Fahne aufgepflanzt und nur Dinge wie die Abwehr einer einseitigen Umgestaltung der Militärorganisation – die man in andern deutschen Ländern nicht einmal versucht – oder wie das Festhalten am Budgetbewilligungsrecht – das man in andern deutschen Ländern nicht einmal bestreitet – zum Inhalte ihres Kampfes hat. –
Zweitens stand jedenfalls durch nichts fest, ob die preußische Fortschrittspartei ihren Konflikt mit der preußischen Regierung mit jener Würde und Energie zum Austrag bringen werde, welche allein des Arbeiterstandes angemessen ist und auf seine warme Sympathie rechnen kann. –
Drittens stand ebenso durch nichts fest, ob die preußische Fortschrittspartei, wenn sie selbst den Sieg über die preußische Regierung errungen, diesen Sieg im Interesse des gesamten Volkes oder nur zur Aufrechterhaltung der privilegierten Stellung der Bourgeoisie ausnützen würde; d. h. ob sie diesen Sieg zur Herstellung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts, welches durch die demokratischen Grundsätze und die legitimen Interessen des Arbeiterstandes geboten ist, verwenden würde oder nicht.
Im letzteren Fall konnte sie offenbar nicht auf das geringste Interesse von seiten des deutschen Arbeiterstandes Anspruch machen.
Dies wäre es gewesen, was ich Ihnen damals in bezug auf jenes Ansinnen zu sagen gehabt hätte.
Heute kann ich noch hinzufügen, daß sich seitdem auch tatsächlich gezeigt hat, was damals freilich schon unschwer vorauszusehen war – daß es der preußischen Fortschrittspartei vollständig an jener Energie gebricht, welche erforderlich gewesen wäre, um auch nur jenen beschränkten Konflikt zwischen ihr und der preußischen Regierung würdig und siegreich zum Austrag zu bringen.
Indem sie trotz des ihr von der Regierung tatsächlich verweigerten Budgetbewilligungsrechtes fortfährt, fortzutagen und parlamentarische Geschäfte mit einem Ministerium zu erledigen, welches von ihr selbst für kriminalrechtlich verantwortlich erklärt worden ist, erniedrigt sie durch diesen Widerspruch sich und das Volk durch das Schauspiel einer Schwäche und Würdelosigkeit ohnegleichen!
Indem sie trotz des von ihr selbst erklärten Verfassungsbruchs fortfährt, fortzutagen, fortzudebattieren und mit der Regierung parlamentarische Geschäfte zu ordnen, ist sie selbst der Regierung behilflich und bietet ihr sogar die Hand, den Schein eines konstitutionellen Zustandes aufrecht zu erhalten.
Statt die Sitzungen der Kammer für auf so lange geschlossen zu erklären, bis die Regierung die von der Kammer verweigerten Ausgaben nicht länger fortzusetzen erklärt haben werde, und hierdurch der Regierung die unvermeidliche Alternative zu setzen, entweder das verfassungsmäßige Recht der Kammer zu achten oder aber auf jeden Schein und Apparat eines konstitutionellen Zustandes zu verzichten, offen und unumwunden als absolute Regierung zu wirtschaften, die ungeheure Verantwortlichkeit einer solchen auf sich zu nehmen und so selbst die Krise herbeizuführen, welche allmählich als die Frucht des offenen Absolutismus eintreten müßte – setzt sie selbst die Regierung in den Stand, alle Vorteile der absoluten Gewalt mit allen Vorteilen eines scheinbar konstitutionellen Zustandes zu verbinden.
Und indem sie, statt die Regierung auf den offenen unverhüllten Absolutismus hinzudrängen und das Volk durch die Tat über das Nichtvorhandensein eines verfassungsmäßigen Zustandes aufzuklären, einwilligt, ihre Rolle in dieser Komödie des Scheinkonstitutionalismus weiterzuspielen, hilft sie einen Schein aufrecht erhalten, welcher, wie jedes auf Schein beruhende Regierungssystem, verwirrend auf die Intelligenz und depravierend auf die Sittlichkeit des Volkes einwirken muß. [1]
Eine solche Partei hat dadurch gezeigt, daß sie einer entschlossenen Regierung gegenüber durchaus ohnmächtig ist und stets sein wird.
Eine solche Partei hat gezeigt, daß sie eben dadurch vollkommen unfähig ist, auch nur die geringste reelle Entwicklung der Freiheitsinteressen herbeizuführen.
Eine solche Partei hat gezeigt, daß sie keinen Anspruch auf die Sympathien der demokratischen Schichten der Bevölkerung hat, und daß sie ohne jeden Sinn und Verständnis für das politische Ehrgefühl ist, welches den Arbeiterstand durchdringen muß.
Eine solche Partei hat, mit einem Worte, tatsächlich gezeigt, daß sie nichts anderes ist, als die mit einem anderen Namen geschmückte Wiederauferstehung des verrufenen Gothaertums.
Dies kann ich Ihnen heute hinzufügen.
Heute wie damals endlich hätte ich Ihnen noch sagen müssen, daß eine Partei, welche sich durch ihr Dogma von der „preußischen Spitze“ zwingt, in der preußischen Regierung den berufenen Messias für die deutsche Wiedergeburt zu sehen, während es, und zwar mit Einschluß Hessens, nicht eine einzige deutsche Regierung gibt, welche hinter der preußischen in politischer Beziehung zurückstände, während es, und zwar mit Einschluß Österreichs, fast keine einzige deutsche Regierung gibt, welche der preußischen nicht noch bedeutend voraus wäre – schon hierdurch allein sich jeden Anspruches begibt, den deutschen Arbeiterstand zu repräsentieren: denn eine solche Partei legt hierdurch allein schon eine Versunkenheit in Illusion, Selbstüberhebung und sich in bloßer Wortberauschung befriedigende Unfähigkeit an den Tag, welche jede Hoffnung, von ihr eine reelle Entwicklung der Freiheit des deutschen Volkes zu erwarten, beseitigen muß.
Aus dem Gesagten ergibt sich nun mit Bestimmtheit, welche Haltung der Arbeiterstand in politischer Hinsicht einnehmen und welches Verhältnis zur Fortschrittspartei er beobachten muß.
Der Arbeiterstand muß sich als selbständige politische Partei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen. Die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands – dies ist es allein, was in politischer Hinsicht seine legitimen Interessen befriedigen kann. Eine friedliche und gesetzliche Agitation hierfür mit allen gesetzlichen Mitteln zu eröffnen, das ist und muß in politischer Hinsicht das Programm der Arbeiterpartei sein. –
Es erhellt von selbst, wie diese Arbeiterpartei sich zur deutschen Fortschrittspartei zu verhalten hat.
Sich überall als eine selbständige und durchaus von ihr getrennte Partei zu fühlen und zu konstituieren, gleichwohl die Fortschrittspartei in solchen Punkten und Fragen zu unterstützen, in welchen das Interesse ein gemeinschaftliches ist, ihr entschieden den Rücken zu kehren und gegen sie aufzutreten, so oft sie sich von demselben entfernt, die Fortschrittspartei eben dadurch zu zwingen, entweder sich vorwärts zu entwickeln und das Fortschrittsniveau zu übersteigen oder aber immer tiefer in den Sumpf von Bedeutungs- und Machtlosigkeit zu versinken, in welchem sie bereits knietief angelangt ist – das muß die einfache Taktik der deutschen Arbeiterpartei gegenüber der Fortschrittspartei sein.
Soviel über das, was Sie in politischer Hinsicht zu tun haben.
Nun zu der Sie mit Recht in noch höherem Grade interessierenden sozialen Frage, die Sie aufwerfen. –
Nicht ohne schmerzliches Lächeln habe ich aus den öffentlichen Blättern entnommen, daß die Debatten über Freizügigkeit und Gewerbefreiheit einen Teil Ihrer für den Kongreß projektierten Tagesordnung bilden sollen.
Wie, meine Herren, Sie wollten über Freizügigkeit debattieren?
Ich weiß Ihnen hierauf nur mit dem Distichon Schillers zu antworten:
„Jahrelang schon bedien' ich mich meiner Nase zum Riechen, Aber hab' ich an sie auch ein erweisliches Recht?“
Und verhält es sich mit der Gewerbefreiheit nicht ganz ebenso?
Alle diese Debatten hätten mindestens den einen Fehler – um mehr als fünfzig Jahre zu spät zu kommen! –
Freizügigkeit und Gewerbefreiheit sind Dinge, welche man in einem gesetzgebenden Körper stumm und lautlos dekretiert, aber nicht mehr debattiert.
Sollte der deutsche Arbeiterstand gleichfalls das Schauspiel jener Versammlungen wiederholen wollen, deren Selbstgenuß darin besteht, sich in zwecklos langen Reden zu befriedigen und zu beklatschen?
Der Ernst und die Tatkraft des deutschen Arbeiterstandes werden ihn vor einem so kläglichen Schauspiel zu bewahren wissen!
Aber Sie wollen Sparkassen, Invaliden-, Hilfs- und Krankenkassen stiften?
Ich erkenne gern den relativen, obwohl äußerst untergeordneten und kaum der Rede werten Nutzen dieser Institute an.
Aber unterscheiden wir gänzlich zwei Fragen, die schlechterdings nichts miteinander zu tun haben.
Ist es Ihr Zweck, das Elend von Arbeiterindividuen erträglicher zu machen? Dem Leichtsinn, der Krankheit, dem Alter, den Unglücksfällen aller Art entgegenzuwirken, wodurch zufällig oder notwendig einzelne Arbeiterindividuen noch unter die normale Lage des Arbeiterstandes hinuntergedrückt werden? –
In diesem Fall sind Kranken-, Invaliden-, Spar- und Hilfskassen ganz angemessene Mittel. Nur verlohnte es sich dann nicht, für einen solchen Zweck eine Bewegung durch ganz Deutschland anzuregen, eine allgemeine Agitation in den gesamten Arbeiterstand der Nation zu werfen. Man muß nicht die Berge kreisen lassen, als wollten sie gebären, damit dann ein kleines Mäuschen zum Vorschein komme!
Dieser so höchst beschränkte und untergeordnete Zweck ist vielmehr ruhig den lokalen Vereinen und der lokalen Organisation zu überlassen, die ihn auch weit besser zu erreichen vermögen.
Oder aber ist es Ihr Zweck: die normale Lage des gesamten Arbeiterstandes selbst zu verbessern und über ihr jetziges Niveau zu erheben?
Und freilich ist das und muß das Ihr Zweck sein. Aber es bedarf eben nur der scharfen Unterscheidungslinie, die ich hier zwischen diesen beiden Zwecken, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen, gezogen habe, um Sie besser als durch eine lange Abhandlung einsehen zu lassen, wie ganz und gar ohnmächtig zur Erreichung dieses zweiten Zweckes und somit, wie ganz und gar außerhalb des Umfanges der jetzigen Arbeiterbewegung liegend jene Institute sind.
Nur das Zeugnis eines einzigen Gewährsmannes erlauben Sie mir anzuführen, das Eingeständnis des streng konservativen, streng royalistischen Professors Huber, eines Mannes, welcher gleichfalls der sozialen Frage und der Entwicklung der Arbeiterbewegung seine Studien gewidmet hat.
Ich Hebe es, die Zeugnisse dieses Mannes anzuführen – und werde es daher im Laufe dieses Briefes noch hin und wieder tun – weil er, in politischer Hinsicht auf durchaus entgegengesetztem und in ökonomischer Hinsicht auf durchaus verschiedenem Standpunkt mit mir stehend, durch sein Zeugnis am besten den Verdacht beseitigen muß, als sei der geringe Wert, den ich auf jene Institute lege, nur die Folge vorgefaßter politischer Tendenzen; andererseits weil Professor Huber, ebenso weit vom Liberalismus entfernt, wie von meinen politischen Ansichten, gerade dadurch die nötige Unbefangenheit hat, auf nationalökonomischem Boden wahrheitsgetreue Eingeständnisse abzulegen, während alle Anhänger der liberalen Schule auf nationalökonomischem Boden gezwungen sind, die Arbeiter, oder zu besserer Täuschung dieser, vorher auch sich selbst, zu täuschen, um die Dinge in Übereinstimmung mit ihren Tendenzen zu erhalten.
„Ohne daher“ – sagt Professor Huber in seiner Concordia – „ohne daher den relativen Nutzen der Sparkassen, Hilfs- und Krankenkassen usw., soweit er wirklich geht, irgend zu verkennen, können diese guten Dinge doch insofern geradezu große negative Nachteile mit sich führen, als sie dem Bessern hinderlich in den Weg treten.“
Und sicherlich, nie würden sie in höherem Grade diese großen negativen Nachteile bewährt haben und dem Bessern hindernd in den Weg getreten sein, als wenn sie die Kräfte der großen allgemeinen deutschen Arbeiterbewegung für sich in Anspruch nehmen oder auch nur teilen sollten.
Aber Sie sollen, so hieß es in verschiedenen Zeitungen, und so wird, wie Ihr Brief selbst besagt, von fast allen Orten Ihnen anempfohlen, die Schulze-Delitzschschen Organisationen, seine Vorschuß- und Kreditvereine, seine Rohstoffvereine und seine Konsumvereine zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes in Anspruch nehmen.
Ich erlaube mir, Ihre Aufmerksamkeit in einem immer gesteigerten Grade zu erbitten.
Schulze-Delitzsch kann in dreierlei Beziehungen betrachtet werden.
In politischer Hinsicht gehört er der Fortschrittspartei an, welche oben bereits betrachtet worden ist.
Er erhebt zweitens auch den Anspruch, Nationalökonom zu sein. In dieser Hinsicht, als theoretischer Nationalökonom, steht er jedenfalls ganz und gar auf dem Boden der liberalen Schule, teilt alle ihre Irrtümer, Täuschungen und Selbstverblendungen. Die Vorträge, die er bisher den Berliner Arbeitern gehalten hat [2], sind ein schlagender Beleg hierfür; schiefe Darstellungen, Schlußfolgerungen, die mit ihren Prämissen keineswegs zusammenhängen, bilden ihren Inhalt. Indes, es kann nicht Ihr Zweck und meine Absicht sein, mich hier in eine Kritik der theoretischen nationalökonomischen Ansichten und Vorträge von Schulze-Delitzsch einzulassen und jene Selbsttäuschungen und Fehlschlüsse nachzuweisen, die ihm mit der ganzen liberalen Schule, der er in theoretischer, nationalökonomischer Hinsicht angehört, gemeinsam sind. Ich werde überdies ohnehin noch weiter unten gezwungen sein, auf den hauptsächlichen Inhalt dieser Lehren zurückzukommen.
Aber Schulze-Delitzsch hat drittens noch eine über seinen theoretischen nationalökonomischen Standpunkt in gewisser Hinsicht hinausgehende praktische Natur.
Er ist das einzige Mitglied seiner Partei, der Fortschrittspartei, welches – und es ist ihm eben deshalb nur um so höher anzurechnen – etwas für das Volk getan hat!
Er ist durch seine unermüdliche Tätigkeit und obwohl allein stehend und in gedrücktester Zeit der Vater und Stifter des deutschen Genossenschaftswesens geworden und hat so der Sache der Assoziation überhaupt einen Anstoß von den weitgreifendsten Folgen gegeben, ein Verdienst, für das ich ihm, so sehr ich in theoretischer Hinsicht sein Gegner bin, indem ich dies schreibe, im Geiste mit Wärme die Hand schüttele. Wahrheit und Gerechtigkeit auch gegen einen Gegner – und vor allem geziemt es dem Arbeiterstand, sich dies tief einzuprägen! – ist die erste Pflicht des Mannes.
Daß heute schon von einer deutschen Arbeiterbewegung die Frage diskutiert wird, ob die Assoziation in seinem oder meinem Sinne aufzufassen sei – das ist zum großen Teile sein Verdienst, das eben ist sein wahres Verdienst, und dies Verdienst läßt sich nicht zu hoch veranschlagen. [3]
Aber die Wärme, mit welcher ich dies Verdienst anerkenne, darf uns nicht verhindern, mit kritischer Schärfe die Frage ins Auge zu fassen:
Sind die Schulze-Delitzschschen Assoziationen, die Kredit- und Vorschuß-, die Rohstoff- und die Konsumvereine imstande, die Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu bewirken? Und auf diese Frage muß die Antwort allerdings das entschiedenste Nein sein!
Es wird leicht sein, das in Kürze zu zeigen. Was zunächst die Kredit- oder Vorschuß- und die Rohstoffvereine betrifft, so kommen beide darin überein, daß sie nur für denjenigen existieren, der ein Geschäft für eigene Rechnung betreibt, also nur für den kleinen Handwerksbetrieb. Für den Arbeiterstand im engeren Sinne, für den in der fabrikmäßigen Großproduktion beschäftigten Arbeiter, der keinen eigenen Geschäftsbetrieb hat, für den er Kredit und Rohstoffe benutzen könnte, existieren beide Vereine nicht.
Ihre Hilfe kann somit von vornherein mir den handwerksmäßigen Kleinbetrieb treffen.
Aber auch in dieser Hinsicht wollen Sie zwei wesentliche Umstände festhalten und sich einprägen.
Erstens ist es die notwendige Bewegung unserer Industrie, täglich immer mehr den fabrikmäßigen Großbetrieb an die Stelle des handwerksmäßigen Kleinbetriebes, oder des Zwerggewerbes – wie man denselben auch benannt hat – zu setzen und folglich täglich eine immer größere Anzahl von Handwerkern in den in der fabrikmäßigen Großproduktion beschäftigten eigentlichen Arbeiterstand hinüberzutreiben. England und Frankreich, die uns in der ökonomischen Entwicklung voran sind, zeigen dies in noch höherem Grade als Deutschland, welches übrigens täglich mächtige Fortschritte auf demselben Wege macht. Ihre eigenen Erfahrungen werden Ihnen dies hinreichend bestätigen.
Folglich ergibt sich hieraus, daß die Schulze-Delitzschschen Kredit- und Vorschuß- und seine Rohstoffvereine, wenn sie selbst den Handwerkern zu helfen vermochten, doch nur einer durch die notwendige Entwicklung unserer Industrie täglich immer mehr versch winden den, täglich immer kleiner werdenden Anzahl von Leuten zugute kommen, welche durch die Bewegung unserer Kultur in immer größerem Umfange in den von dieser Hilfe nicht betroffenen eigentlichen Arbeiterstand hinübergedrängt werden. Und das ist gleichwohl nur eine erste Folgerung. Eine zweite, genau mit ihr zusammenhängende noch wichtigere Konsequenz des Gesagten ist folgende: Der Konkurrenz der fabrikmäßigen Großproduktion gegenüber, welche sich täglich mehr an die Stelle des kleinen handwerksmäßigen Betriebs setzt, vermögen auch die in demselben ausharrenden Handwerker durch die Kredit- und Rohstoff vereine keineswegs geschützt zu werden. Ich will Ihnen dafür wieder als Zeugnis das Eingeständnis des Professor Huber anführen: „Leider aber“ – sagt er, nachdem er die Schulze-Delitzschschen Kredit- und Rohstoffvereine, gleich mir, rühmend betrachtet – „leider aber erscheint die Voraussetzung, daß damit die Konkurrenz des Zwerggewerbes mit der Großindustrie ermöglicht wäre, durchaus nicht hinreichend begründet.“
Besser aber als jedes Zeugnis, werden Sie die leicht zu entwickelnden inneren Gründe von dem, was ich sage, überzeugen.
Wie weit kann die Wirkung von Kreditvereinen und von Vereinen zur billigen und guten Beschaffung von Rohstoffen gehen? Sie kann den unbemittelten Handwerker in die Lage setzen, mit dem bemittelten Handwerker, mit demjenigen, der das hinreichende kleine Kapital für seinen handwerksmäßigen kleinen Betrieb hat, zu konkurrieren. Sie kann also höchstens den unbemittelten Handwerker gleichsetzen und in dieselbe Lage bringen mit dem mit eigenem hinreichenden Kapital für seinen Handwerksbetrieb ausgerüsteten Meister. Nun ist ja die Tatsache aber eben die, daß auch die mit eigenem hinreichenden Kapital produzierenden Handwerksmeister nicht die Konkurrenz des großen Kapitals und der fabrikmäßigen Massenproduktion aushalten können, sowohl wegen der durch den Großbetrieb ermöglichten billigeren Erzeugungskosten aller Art, als wegen der geringeren Profitrate, die bei dem massenhaften Betrieb auf jedes einzelne Stück zu fallen braucht, als endlich wegen noch anderer mit ihm verbundener Vorteile. Da nun die Kredit- und Rohstoffvereine die unbemittelten kleinen Handwerker höchstens im allgemeinen in dieselbe Lage wie den für seinen Kleinbetrieb mit hinreichendem Kapital ausgerüsteten Handwerksmeister versetzen können [4] und dieser selbst die Konkurrenz der fabrikmäßigen Großindustrie nicht ertragen kann, so bleibt um so mehr dasselbe Resultat auch für jenen, mit Hilfe dieser Vereine sein Geschäft betreibenden Handwerker bestehen.
Diese Vereine können also auch in bezug auf den kleinen Handwerker nur den Todeskampf, in welchem das kleine Handwerk der Großindustrie zu unterliegen und Platz zu machen bestimmt ist, verlängern, die Qua 1 en dieses Todeskampfes dadurch vermehren und die Entwicklung unserer Kultur unnütz aufhalten – das ist das ganze Resultat, das sie auch in bezug auf den kleinen Handwerkerstand haben, während sie den eigentlichen, in der Großindustrie beschäftigten und täglich wachsenden Arbeiterstand überhaupt nicht berühren!
Bleiben also noch die Konsumvereine zu betrachten.
Die Einwirkung der Konsumvereine würde den gesamten Arbeiterstand umfassen.
Sie sind gleichwohl gänzlich unfähig, die Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu bewirken. Dies werden Ihnen drei Gründe nachweisen, die innerlich einen einzigen bilden.
1. Die Benachteiligung, welche den Arbeiterstand trifft, trifft ihn, wie das sub 2 anzuführende ökonomische Gesetz zeigen wird, als Produzenten, nicht als Konsumenten. Es ist daher schon eine ganz falsche Hilfe, dem Arbeiter als Konsumenten helfen zu wollen, statt ihm auf der Seite zu helfen, wo wirklich der Schuh ihn drückt, als Produzenten.
Als Konsumenten stehen wir bereits heute im allgemeinen alle gleich. Wie vor dem Gendarmen, sind vor dem Verkäufer alle Menschen gleich, wenn sie nur zahlen.
Es ist wahr, daß eben hierdurch für den Arbeiterstand infolge seiner beschränkten Zahlungsfähigkeit sich noch ein besonderer Nebenschaden entwickelt hat, der aber mit dem Haupt- und Krebsschaden, an dem er leidet, nichts zu tun hat: der Nachteil, seine Bedürfnisse im kleinsten Detail ankaufen zu müssen und so dem Wucher des Kramladens – des shopkeepers – verfallen zu sein. Hiergegen helfen und schützen die Konsumvereine; aber abgesehen davon, daß Sie unter Nr. 3 sehen werden, wie lange diese Hilfe dauern kann und wann sie aufhören muß, darf diese beschränkte Hilfe, geeignet, die traurige Lage des Arbeiters eben um etwas erträglicher zu machen, durchaus nicht mit einem Mittel zu jener Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse venvechselt werden, welche der Arbeiterstand erstrebt.
2. Das eherne ökonomische Gesetz, welches unter den heutigen Verhältnissen, unter der Herrschaft von Angebot und Nachfrage nach Arbeit, den Arbeitslohn bestimmt, ist dieses: daß der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert bleibt, der in einem Volke gewohnheitsgemäß zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich ist. Dies ist der Punkt, um welchen der wirkliche Tageslohn in Pendelschwingungen jederzeit herum gravitiert, ohne sich jemals lange weder über denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen zu können. Er kann sich nicht dauernd über diesen Durchschnitt erheben – denn sonst entstände durch die leichtere, bessere Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiterehen und der Arbeiterfortpflanzung, eine Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und somit des Angebots von Händen, welche den Arbeitslohn wieder auf und unter seinen früheren Stand herabdrücken würde.
Der Arbeitslohn kann auch nicht dauernd tief unter diesen notwendigen Lebensunterhalt fallen, denn dann entstehen – Auswanderungen, Ehelosigkeit, Enthaltung von der Kindererzeugung und endlich eine durch Elend erzeugte Verminderung der Arbeiterzahl, welche somit das Angebot von Arbeiterhänden noch verringert und den Arbeitslohn daher wieder auf den früheren Stand zurückbringt.
Der wirkliche durchschnittliche Arbeitslohn besteht somit in der Bewegung, beständig um jenen seinen Schwerpunkt, in den er fortdauernd zurücksinken muß, herumzukreisen, bald etwas über demselben (Periode der Prosperität in allen oder einzelnen Arbeitszweigen) bald etwas unter ihm zu stehen (Periode des mehr oder weniger allgemeinen Notstandes und der Krisen).
Die Beschränkung des durchschnittlichen Arbeitslohnes auf die in einem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderliche Lebensnotdurft – das ist also, ich wiederhole es Ihnen, das eherne und grausame Gesetz, welches den Arbeitslohn unter den heutigen Verhältnissen beherrscht.
Dieses Gesetz kann von niemand bestritten werden. Ich könnte Ihnen für dasselbe ebenso viele Gewährsmänner anführen, als es große und berühmte Namen in der nationalökonomischen Wissenschaft gibt, und zwar aus der liberalen Schule selbst, denn gerade die liberale ökonomische Schule ist es, welche selbst dieses Gesetz entdeckt und nachgewiesen hat.
Dieses eherne und grausame Gesetz, meine Herren, müssen Sie sich vor allem tief, tief in die Seele prägen und bei allem Ihren Denken von ihm ausgehen.
Bei dieser Gelegenheit kann ich Ihnen und dem gesamten Arbeiterstand ein unfehlbares Mittel angeben, wie Sie ein für allemal allen Täuschungen und Irreführungen entgehen können. Jedem, der Ihnen von der Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes spricht, müssen Sie vor allem die Frage vorlegen:
ob er dieses Gesetz anerkennt oder nicht.
Erkennt er es nicht an, so müssen Sie sich von vornherein sagen, daß dieser Mann entweder Sie täuschen will oder aber von der kläglichsten Unerfahrenheit in der nationalökonomischen Wissenschaft ist. Denn es gibt, wie ich Ihnen bereits bemerkt, in der liberalen Schule selbst nicht einen namhaften Nationalökonomen, der dasselbe leugnete. Adam Smith wie Say, Ricardo wie Malthus, Bastiat wie John Stuart Mill sind einstimmig darin, es anzuerkennen. Es herrscht hierin eine Übereinstimmung aller Männer der Wissenschaft.
Und wenn nun derjenige, der Ihnen von der Lage der Arbeiter spricht, auf Ihre Frage dieses Gesetz anerkannt hat, so fragen Sie ihn weiter:
wie er dasselbe beseitigen will.
Und wenn er hierauf nicht zu antworten weiß, so wenden Sie ihm ruhig den Rücken. Er ist ein leerer Schwätzer, der Sie oder sich selbst täuschen und mit hohlen Phrasen verblenden will.
Betrachten wir einen Augenblick näher die Wirkung und Natur dieses Gesetzes. Sie ist mit anderen Worten folgende:
Von dem Arbeitsertrag (der Produktion) wird zunächst soviel abgezogen und unter die Arbeiter verteilt, als zu ihrer Lebensfristung erforderlich ist (Arbeitslohn).
Der ganze Überschuß der Produktion – des Arbeitsertrages – fällt auf den Unternehmeranteil.
Es ist daher eine Folge dieses ehernen und grausamen Gesetzes, daß Sie – und deswegen habe ich Sie in meiner Arbeiterbroschüre [5], auf die Sie sich in Ihrem Schreiben berufen, die Klasse der Enterbten genannt – sogar von der durch die Fortschritte der Zivilisation gesteigerten Produktivität, d. h. von dem gesteigerten Arbeitsertrage, von der gesteigerten Ertragsfähigkeit Ihrer eigenen Arbeit notwendig ausgeschlossen sind! Für Sie immer die Lebensnotdurft, für den Unternehmeranteil immer alles, was über dieselbe hinaus von der Arbeit produziert wird.
Weil aber bei sehr großen Fortschritten der Produktivität (der Ergiebigkeit der Arbeit) zugleich viele Industrieprodukte zur äußersten Billigkeit herabsinken, so kann es kommen, daß Sie durch diese Billigkeit nicht als Produzenten, wohl aber als Konsumenten zunächst einen gewissen indirekten Vorteil von der gesteigerten Ergiebigkeit der Arbeit haben. Dieser Vorteil trifft Sie überhaupt nicht in Ihrer Tätigkeit als Produzenten, er trifft und ändert nicht die auf Ihren Anteil fallende Quote am Arbeitsertrag, er trifft nur Ihre Lage als Konsumenten, wie er auch die Lage der Unternehmer als Konsumenten und auch die aller an der Arbeit gar nicht teil nehmenden Menschen als Konsumenten – und zwar in viel erheblicherem Grade als die Ihrige – verbessert.
Und auch dieser Sie bloß als Menschen, nicht als Arbeiter treffende Vorteil verschwindet wieder durch jenes eherne und grausame Gesetz, welches den Arbeitslohn auf die Länge immer wieder auf das Maß der zum Lebensunterhalt notwendigen Konsumtion herabdrückt.
Nun kann es aber vorkommen, daß, wenn eine solche gesteigerte Produktivität der Arbeit und die durch sie eintretende äußerste Billigkeit mancher Produkte ganz plötzlich eintritt, und wenn sie zweitens zugleich in eine längerdauernde Periode der steigenden Nachfrage nach Arbeiterhänden fällt, – daß dann diese jetzt unverhältnismäßig billiger gewordenen Produkte in den Umfang dessen aufgenommen werden, was gewohnheitsmäßig in einem Volke zum notwendigen Lebensunterhalt gehört.
Dies also, daß Arbeiter und Arbeitslohn immer herumtanzen um den äußersten Rand dessen, was nach dem Bedürfnis jeder Zeit zu dem notwendigsten Lebensunterhalt gehört, bald etwas über, bald etwas unter diesem Rande stehend, dies ändert sich nie!
Dieser äußerste Rand selbst aber kann sich in verschiedenen Zeiten durch ein Zusammentreffen der angegebenen Umstände geändert haben, und es kann somit kommen, daß, wenn man verschiedene Zeiten miteinander vergleicht, die Lage des Arbeiterstandes in dem späteren Jahrhundert oder in der späteren Generation – insofern jetzt das Minimum der gewohnheitsmäßig notwendigen Lebensbedürfnisse etwas gestiegen ist – sich gegen die Lage des Arbeiterstandes in dem früheren Jahrhundert und der früheren Generation etwas gebessert hat.
Ich mußte diese kleine Abschweifung machen, meine Herren, wenn sie auch meinem eigentlichen Zwecke fern hegt, weil gerade dies, diese geringfügige Verbesserung im Laufe der Jahrhunderte und Generationen, immer der Punkt ist, auf welchen alle diejenigen, welche Ihnen Sand in die Augen streuen wollen, nach dem Vorgange Bastiats [6], stets mit ebenso billigen als hohlen Deklamationen zurückkommen.
Bemerken Sie genau meine Worte, meine Herren. Ich sage: es kann aus den angegebenen Gründen dahin kommen, daß das notwendige Lebensminimum und somit die Lage des Arbeiterstandes, in verschiedenen Generationen miteinander verglichen, sich etwas gehoben hat. Ob dies wirklich so ist, ob wirklich die Gesamtlage des Arbeiterstandes und zwar fortlaufend in den verschiedenen Jahrhunderten sich gebessert hat – meine Herren, das ist eine sehr schwierige, sehr verwickelte Untersuchung, eine viel zu gelehrte Untersuchung, als daß diejenigen auch nur irgend, auch nur annähernd ihrer fähig wären, welche Sie ohne Unterlaß mit den Vorhaltungen amüsieren, wie teuer der Kattun im vorigen Jahrhundert war und wie viel Katlunkleider Sie jetzt verbrauchen und mit ähnlichen Gemeinplätzen, die man aus jedem Kompendium abschreiben kann.
Es ist nicht mein Zweck, mich hier auf diese Untersuchung einzulassen. Denn hier muß ich mich darauf beschränken, Ihnen nicht nur absolut Feststehendes, sondern auch ganz leicht zu Begründendes zu geben. Unterstellen wir also immerhin, daß eine solche Verbesserung des untersten Lebensbedürfnisses und somit der Lage des Arbeiterstandes fortlaufend in den verschiedenen Generationen und Jahrhunderten stattfinde.
Aber das muß ich Ihnen zeigen, meine Herren, daß man mit diesen Gemeinplätzen Ihnen jedenfalls die Frage aus der Hand spielt, um die es sich handelt, und sie in eine ganz andere verkehrt.
Man täuscht Sie, man hintergeht Sie, meine Herren!
Wenn Sie von der Lage der Arbeiter und ihrer Verbesserungen sprechen, so meinen Sie Ihre Lage verglichen mit der Ihrer Mitbürger in der Gegenwart, verglichen also mit dem Maßstab der Lebensgewohnheiten in derselben Zeit.
Und man amüsiert Sie mit angeblichen Vergleichen Ihrer Lage mit der Lage der Arbeiter in früheren Jahrhunderten!
Ob Sie aber, weil das Minimum der gewohnheitsmäßigen Lebensbedürfnisse gestiegen wäre – falls dies der Fall – sich heute besser stehen, als der Arbeiter vor 80, vor 200, vor 300 Jahren – welchen Wert hat diese Frage für Sie und welche Befriedigung kann sie Ihnen gewähren? Ebensowenig als die freilich ganz ausgemachte Tatsache, daß Sie sich heut besser stehen als die Botokuden und die menschenfressenden Wilden!
Jede menschliche Befriedigung hängt ja immer nur ab von dem Verhältnis der Befriedigungsmittel zu den in einer Zeit bereits gewohnheitsmäßig erforderlichen Lebensbedürfnissen, oder was dasselbe ist, von dem Überschuß der Befriedigungsmittel über die unterste Grenze der in einer Zeit gewohnheitsmäßig erforderlichen Lebensbedürfnisse. Ein gesteigertes Minimum der untersten Lebensbedürfnisse gibt auch Leiden und Entbehrungen, welche frühere Zeiten gar nicht kannten. Was entbehrt der Botokude dabei, wenn er keine Seife kaufen, was entbehrt der menschenfressende Wilde dabei, wenn er keinen anständigen Rock tragen, was entbehrte der Arbeiter vor der Entdeckung Amerikas dabei, wenn er keinen Tabak rauchen, was entbehrte der Arbeiter vor Erfindung der Buchdruckerkunst dabei, wenn er ein nützliches Buch sich nicht anschaffen konnte?
Alles menschliche Leiden und Entbehren hängt also nur von dem Verhältnis der Befriedigungsmittel zu den in derselben Zeit bereits vorhandenen Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten ab. Alles menschliche Leiden und Entbehren und alle menschlichen Befriedigungen, also jede menschliche Lage bemißt sich somit nur durch den Vergleich mit der Lage, in welcher sich andere Menschen der selben Zeit in bezug auf die gewohnheitsmäßigen Lebensbedürfnisse derselben befinden. Jede Lage einer Klasse bemißt sich somit immer nur durch ihr Verhältnis zu der Lage der anderen Klasse in derselben Zeit.
Wenn also noch so feststünde, daß sich das Niveau der notwendigen Lebensbedingungen in den verschiedenen Zeiten gehoben hätte, daß früher nicht gekannte Befriedigungen gewohnheitsmäßiges Bedürfnis geworden sind und eben dadurch mit diesen auch früher nicht gekannte Entbehrungen und Leiden eingetreten sind – Ihre menschliche Lage ist in diesen verschiedenen Zeiten immer dieselbe geblieben; immer diese: auf dem untersten Rande der in jeder Zeit gewohnheitsmäßig erforderlichen Lebensnotdurft herum zu tanzen, bald ein wenig über ihm, bald ein wenig unter ihm zu stehen.
Ihre menschliche Lage ist also dieselbe geblieben, denn diese menschliche Lage bemißt sich nicht durch Ihr Verhältnis zu der Lage des Tieres in den Urwäldern, oder des Negers in Afrika, oder des Leibeigenen im Mittelalter, oder des Arbeiters vor zweihundert oder vor achtzig Jahren, sondern nur durch das Verhältnis dieser Lage zu der Lage Ihrer Mitmenschen, zu der Lage der andern Klassen in derselben Zeit.
Und statt hierüber Betrachtungen anzustellen und zu sinnen, wie dieses Verhältnis zu bessern und jenes grausame Gesetz, das Sie beständig auf dem untersten Rande der Lebensbedürfnisse einer jeden Zeit festhält, zu ändern sei, amüsiert man sich, Ihnen unvermerkt die Frage vor der Nase zu vertauschen und Sie mit sehr problematischen kulturhistorischen Rückblicken auf die Lage des Arbeiterstandes in den früheren Zeitepochen zu unterhalten, Rückblicke, die um so problematischer sind, als gerade die immer mehr der äußersten Billigkeit verfallenden Industrieprodukte nur in weit geringerem Grade zu dem Konsum des Arbeiters gehören, während die hauptsächlich seinen Konsum bildenden Lebensmittel keineswegs von der gleichen Tendenz immer steigender Billigkeit beherrscht werden! Rückblicke endlich, die nur dann einen Wert haben würden, wenn sie die gesamte Lage des Arbeiters in den verschiedenen Zeiten nach allen Seiten hin in ihre Untersuchung zögen, Untersuchungen von der schwierigsten und nur mit der äußersten Umsicht zu führenden Natur, zu welchen gerade diejenigen, die sie Ihnen vorhalten, nicht einmal das Material in der Hand haben, und die sie daher um so mehr den eigentlichen Gelehrten überlassen sollten!
3. Kehren wir nunmehr von dieser, wenn auch notwendigen, Abschweifung zu der Frage zurück: Welchen Einfluß können nach dem sub 2 entwickelten, den Arbeitslohn bestimmenden Gesetz die Konsumvereine auf die Lage des Arbeiterstandes haben. Die Antwort wird jetzt eine sehr einfache sein.
Solange nur einzelne Kreise von Arbeitern zu Konsumvereinen zusammentreten, solange wird der allgemeine Arbeitslohn nicht durch dieselben berührt, und solange werden also die Konsumvereine den Arbeitern, welche zu ihnen gehören, durch die billigere Konsumtion jene untergeordnete Erleichterung ihrer gedrückten Lage gewähren, welche ich sub 1 betrachtet und zugegeben habe. – Sowie aber die Konsumvereine mehr und mehr den gesamten Arbeiterstand zu umfassen beginnen, tritt jetzt vermöge des betrachteten Gesetzes die notwendige Konsequenz ein, daß der Arbeitslohn infolge des durch die Konsumvereine billiger gewordenen Lebensmittelunterhaltes um ebensoviel fallen muß.
Dem gesamten Arbeiterstand können die Konsumvereine somit niemals auch nur irgendwie helfen, und den einzelnen Arbeiterkreisen, die sie bilden, können sie die früher betrachtete untergeordnete Hilfe gerade nur solange gewähren, wie das Beispiel dieser Arbeiter noch nicht hinreichende Nachahmung gefunden hat. Mit jedem Tage, mit welchem die Konsumvereine sich mehr und mehr ausbreiten und größere Massen des Arbeiterstandes umfassen, fällt mehr und mehr auch jene geringfügige Erleichterung auch für die in diesen Vereinen befindlichen Arbeiter fort, bis sie an dem Tage auf Null sinkt, wo die Konsumvereine den größten Teil des gesamten Arbeiterstandes umfassen würden. [7]
Kann auch nur ernsthaft die Rede davon sein, daß der Arbeiterstand sein Auge auf ein Mittel richten soll, welches ihm als Stand gar nicht hilft und seinen einzelnen Gliedern auch jene so geringfügige Erleichterung nur auf solange gewährt, bis der Stand als solcher ganz oder zum großen Teil dasselbe ergriffen hat?
Wenn der deutsche Arbeiterstand einen solchen Tretmühlenrundgang sollte anstellen wollen – so wird die Zeit bis zu der wirklichen Verbesserung seiner Lage noch lange dauern! –
Ich habe Ihnen jetzt sämtliche Schulze-Delitzschschen Organisationen zergliedert und gezeigt, daß sie Ihnen nicht helfen, noch helfen können.
Wie also? Sollte das Prinzip der freien individuellen Assoziation der Arbeiter nicht vermögen, die Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu bewirken?
Allerdings vermag es das – aber nur durch seine Anwendung und Ausdehnung auf die fabrikmäßige Großproduktion.
Den Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer machen – das ist das Mittel, durch welches – und durch welches allein – wie Sie jetzt sofort selbst sehen, jenes eherne und grausame Gesetz beseitigt sein würde, das den Arbeitslohn bestimmt!
Wenn der Arbeiterstand sein eigener Unternehmer ist, so fällt jene Scheidung zwischen Arbeitslohn und Unter nehm er gewinn und mit ihr der bloße Arbeitslohn überhaupt fort, und an seine Stelle tritt als Vergeltung der Arbeit: der Arbeitsertrag!
Die Aufhebung des Unternehmergewinns in der friedlichsten, legalsten und einfachsten Weise, indem sich der Arbeiterstand durch freiwillige Assoziationen als sein eigener Unternehmer organisiert, die hiermit und hiermit allein gegebene Aufhebung jenes Gesetzes, welches unter der heutigen Produktion von dem Produktionsertrag das eben zur Lebensfristung Erforderliche auf die Arbeiter als Lohn und den gesamten Überschuß auf den Unternehmer verteilt, das ist die einzige wahrhafte, die einzige seinen gerechten Ansprüchen entsprechende, die einzige nicht illusionäre Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes.
Aber wie? Werfen Sie einen Blick auf die Eisenbahnen, die Maschinenfabriken, die Schiffsbauwerkstätten, die Baumwollspinnereien, die Kattunfabriken usw. usw., auf die zu diesen Anlagen erforderlichen Millionen, werfen Sie dann einen Blick in die Leere Ihrer Taschen und fragen Sie sich, wo Sie jemals die zu diesen Anlagen erforderlichen Riesenkapitalien hernehmen und wie Sie somit jemals den Betrieb der Großindustrie auf eigene Rechnung ermöglichen sollen?
Und gewiß ist nichts sicherer, nichts festerstehend, als daß Sie dies niemals ermöglichen würden, wenn Sie ausschließlich und lediglich und allein auf Ihre isolierten Anstrengungen als Individuen reduziert bleiben.
Eben deshalb ist es Sache und Aufgabe des Staates, Ihnen dies zu ermöglichen, die große Sache der freien individuellen Assoziation des Arbeiterstandes fördernd und entwickelnd in seine Hand zu nehmen und es zu seiner heiligsten Pflicht zu machen, Ihnen die Mittel und Möglichkeit zu dieser Ihrer Selbstorganisation und Selbstassoziation zu bieten. Und hier lassen Sie sich nicht durch das Geschrei derer täuschen und irreführen, die Ihnen sagen werden, daß jede solche Intervention des Staates die soziale Selbsthilfe aufhebe.
Es ist nicht wahr, daß ich jemand hindere, durch seine eigene Kraft einen Turm zu ersteigen, wenn ich ihm Leiter oder Strick dazu reiche. Es ist nicht wahr, daß der Staat die Jugend daran hindert, sich durch eigene Kraft zu bilden, wenn er ihr Lehrer, Schulen und Bibliotheken hält. Es ist nicht wahr, daß ich jemand hindere, durch eigene Kraft ein Feld zu umackern, wenn ich ihm einen Pflug dazu reiche. Es ist nicht wahr, daß ich jemand hindere, durch eigene Kraft ein feindliches Heer zu schlagen, wenn ich ihm eine Waffe dazu in die Hand drücke.
Und obgleich es wahr ist, daß hin und wieder jemand einen Turm erklettert haben mag ohne Strick und Leiter, und obgleich es wahr ist, daß sich einzelne gebildet haben ohne Lehrer, Schulen und öffentliche Bibliotheken, und obgleich es wahr ist, daß die Bauern der Vendee in den Revolutionskriegen hin und wieder den Feind geschlagen haben auch ohne Waffen, so heben doch alle diese Ausnahmen ihre Regel nicht auf, sondern bestätigen sie nur. Und obgleich es also wahr ist, daß unter gewissen besonderen Verhältnissen einzelne Kreise von Arbeitern in England durch eine lediglich aus ihren eigenen Bemühungen hervorgegangene Assoziation auch in gewissen kleineren Zweigen der großen Produktion und in einem gewissen kleinen Umfang ihre Lage etwas verbessern konnten, so bleibt nichts destoweniger das Gesetz bestehen, daß die wirkliche Verbesserung der Lage des Arbeiters, die er gerechterweise zu fordern hat, und für den allgemeinen Arbeiterstand als solchen nur durch jene Hilfsleistung des Staates herbeigeführt werden kann.
Und ebensowenig lassen Sie sich durch das Geschrei derer irreführen und täuschen, die hier etwa gar von Sozialismus oder Kommunismus sprechen und mit derlei billigen Redensarten dieser Ihrer Forderung entgegentreten wollen. Sondern seien Sie von solchen fest überzeugt, daß sie Sie nur täuschen wollen oder aber selbst nicht wissen, was sie sprechen. Nichts ist weiter entfernt von dem sogenannten Sozialismus und Kommunismus als diese Forderung, bei welcher die arbeitenden Klassen ganz wie heute ihre individuelle Freiheit, individuelle Lebensweise und individuelle Arbeitsvergütung beibehalten und zu dem Staat in keiner anderen Beziehung stehen, als daß ihnen durch ihn das erforderliche Kapital resp. der erforderliche Kredit zu ihrer Assoziation vermittelt wird. [8] Das aber ist gerade die Aufgabe und Bestimmung des Staates, die großen Kulturfortschritte der Menschheit zu erleichtern und zu vermitteln. Dies ist sein Beruf. Dazu existiert er; hat immer dazu gedient und dienen müssen. Ein einziges Beispiel, statt der Hunderte von Beispielen, die ich Ihnen geben könnte, den Kanälen, Chausseen, Posten, Paketbootlinien, Telegraphen, Landrentenbanken, landwirtschaftlichen Verbesserungen, Einführungen von neuen Fabrikationszweigen usw., bei welchen allen die Intervention des Staates eintreten mußte [9] – ein einziges Beispiel will ich Ihnen geben, aber ein Beispiel, das Hunderte aufwiegt, und zwar ein ganz besonders naheliegendes Beispiel: Als die Eisenbahnen bei uns gebaut werden sollten, da mußte in allen deutschen – und ebenso in den meisten auswärtigen – Ländern, ausgenommen bei einigen ganz kleinen und vereinzelten Linien, der Staat in der einen oder der anderen Weise intervenieren, meistens in der Weise, daß er mindestens die Zinsgarantie für die Aktien – in vielen Ländern noch weit größere Leistungen – übernahm.
Die Zinsgarantie stellte noch dazu folgenden Löwenkontrakt der Unternehmer – der reichen Aktionäre – mit dem Staate dar: Sind die neuen Unternehmungen unvorteilhaft, so soll der Nachteil auf den Staat fallen, folglich auf alle Steuerzahler, folglich ganz besonders auf Sie, meine Herren, auf die große Klasse der Unbemittelten! Sind die neuen Unternehmungen dagegen vorteilhaft, so soll der Vorteil – die starken Dividenden – uns, den reichen Aktionären, zukommen. Dies wird auch nicht dadurch beseitigt, daß in manchen Ländern, wie z. B. in Preußen, dafür dem Staate in einer sehr, sehr fernen Zukunft damals noch ganz ungewisse Vorteile ausbedungen wurden, Vorteile, deren sich aus der Assoziation des Arbeiterstandes weit schnellere und größere für ihn ergeben würden.
Ohne diese Intervention des Staates, von welcher, wie gesagt, die Zinsgarantie noch die schwächste Form war, hätten wir vielleicht noch heute auf dem ganzen Kontinent keine Eisenbahnen!
Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß der Staat hierzu schreiten mußte, daß auch die Zinsgarantie eine und zwar äußerst starke Intervention des Staates war, daß diese Intervention noch dazu der reichen und begüterten Klasse gegenüber stattfand, die ohnehin über alles Kapital und allen Kredit verfügt, und die sich daher der Staatsintervention weit leichter hätte begeben können als Sie, und daß diese Intervention von der gesamten Bourgeoisie gefordert wurde. [10]
Warum entstand damals kein Geschrei gegen die Zinsgarantie als eine „unzulässige Intervention des Staates?“ Warum erklärte man damals nicht, daß durch die Zinsgarantie die „soziale Selbsthilfe“ der reichen Unternehmer jener Aktiengeschäfte bedroht. sei? Warum tat man die Zins garantie des Staates nicht als „Sozialismus und Kommunismus“ in Verruf?
Aber freilich, jene Intervention des Staates fand im Interesse der reichen und begüterten Klassen der Gesellschaft statt, und da ist sie freilich ganz zulässig und immer zulässig gewesen! Nur allemal, wenn es sich um eine Intervention zugunsten der notleidenden Klassen, zugunsten der unendlichen Mehrheit handelt – dann ist sie reiner „Sozialismus und Kommunismus“!
Dies also antworten Sie denen, welche Ihnen ein Geschwätz über die Unzulässigkeit der Staatsintervention und die dadurch gefährdete soziale Selbsthilfe und den darin liegenden Sozialismus und Kommunismus bei dieser dazu nicht den geringsten Anlaß gebenden Forderung erheben wollen. Und fügen Sie ihnen hinzu: Daß, wenn wir doch schon einmal solange im Sozialismus und Kommunismus leben, wie jene Zinsgarantie bei den Eisenbahnen und alle jene anderen oben flüchtig berührten Beispiele zeigen, wir auch weiter darin verbleiben wollen!
Es kommt hinzu, daß so groß auch der durch die Eisenbahnen bewirkte Kulturfortschritt war, er doch noch zu einem verschwindenden Punkte zusammensinkt gegenüber jenem gewaltigsten Kulturfortschritt, der durch die Assoziation der arbeitenden Klassen vollbracht würde. Denn was nützen alle aufgespeicherten Reichtümer und alle Früchte der Zivilisation, wenn sie immer nur für einige wenige vorhanden sind und die große unendliche Menschheit stets der Tantalus bleibt, welcher vergeblich nach diesen Früchten greift? Schlimmer als Tantalus, denn dieser hatte wenigstens nicht die Früchte hervorgebracht, nach denen sein dürstender Gaumen vergeblich zu lechzen verdammt war.
Wenn je also, so würde dieser gewaltigste Kulturfortschritt von allen, welche die Geschichte kennt, eine hilfreiche Intervention des Staates rechtfertigen.
Es kommt hinzu, daß der Staat durch die großen Kredit- und Zirkulationsinstitute (die Banken), wie hier nicht weiter ausgeführt werden kann, in der leichtesten Weise und ohne irgendeine größere Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen, als durch die Zinsgarantie bei den Eisenbahnen geschah, Ihnen diese Möglichkeit gewähren kann. [11]
Endlich aber, meine Herren: was ist denn der Staat?
Werfen Sie einen Blick auf die Statistik und zwar auf die amtliche , von den Regierungsanstalten veröffentlichte Statistik, denn nicht mit eigenen Schilderungen und Berechnungen will ich Ihnen nahen.
Das königlich preußische, von dem königlich preußischen Geheimrat Professor Dieterici damals redigierte amtliche statistische Bureau veröffentlichte 1851 auf Grund der amtlichen Steuerlisten eine Berechnung, wie sich die Bevölkerung nach ihrem Einkommen verteilt. [12]
Ich setze Ihnen die Resultate dieser Berechnung mit wörtlicher und zahlenmäßiger Treue hierher. Hiernach besitzen von der Bevölkerung des preußischen Staates:
ein Einkommen | über 1000 Taler | ½ | Proz. d. Bevölkerung |
" | von 400 bis 1000 Taler | 3¼ | " |
" | von 200 bis 400 Taler | 7¼ | " |
" | von 100 bis 200 Taler | 16¾ | " |
" | von unter 100 Taler | 72¼ | " |
Und dieses Einkommen fällt auf den klassensteuerpflichtigen Kopf der Bevölkerung, welcher nach Dietericis Annahme durchschnittlich eine Familie von fünf Personen repräsentiert, fällt also durchschnittlich auf eine Familie von fünf oder mindestens über drei Personen. [13] Und analog muß es sich natürlich in den anderen deutschen Staaten verhalten.
Diese stummen amtlichen Zahlen, wenn sie auch als statistische Durchschnittszahlen durchaus nicht auf mathematische Genauigkeit Anspruch haben, zumal vor der Steuer jeder seine Einnahmen gern verkleinert, was aber eine wesentliche und hier in Betracht kommende Differenz nicht im geringsten begründen kann, werden Ihnen deutlicher sprechen als dicke Bücher! 72 ¼ Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von unter 100 Taler, also in der elendesten Lage! Andere 16 ¾ Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von 100 bis 200 Taler, also in einer kaum besseren, immer noch elenden Lage, andere 7 ¼ Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von 200 bis 400 Taler, also noch immer in einer gedrückten Lage, 3 ¼ Prozent der Bevölkerung mit einem Einkommen von 400 bis 1000 Taler, also teils in einer eben erträglichen, teils in einer behäbigen Lage und ½ Prozent der Bevölkerung endlich in allen möglichen Abstufungen des Reichtums. Die beiden untersten in der allergedrücktesten Lage befindlichen Klassen bilden also allein 89 Prozent der Bevölkerung, und nimmt man, wie man muß, noch die 7 ¼ Prozent der dritten, immer noch unbemittelten und gedrückten Klasse hinzu, so erhalten Sie 96 ¼ Prozent der Bevölkerung in gedrückter, dürftiger Lage. [14] Ihnen also, meine Herren, den notleidenden Klassen, gehört der Staat, nicht uns, den höheren Ständen, denn aus Ihnen besteht er! Was ist der Staat? frage ich, und Sie ersehen jetzt aus wenigen Zahlen handgreiflicher als aus dicken Büchern die Antwort: Ihre, der ärmeren Klassen, große Assoziation – das ist der Staat!
Und warum soll nun Ihre große Assoziation nicht fördernd und befruchtend auf Ihre kleineren Assoziationskreise einwirken?
Diese Frage wollen Sie gleichfalls denjenigen vorlegen, die Ihnen von der Unzulässigkeit der Staatsintervention und vom Sozialismus und Kommunismus bei dieser Forderung schwätzen.
Wollen Sie endlich noch einen speziellen Beleg für die Unmöglichkeit, anders als mit jener fördernden Intervention des Staates durch die freie Assoziation die Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes hervorzubringen, so mag ihn gerade England geben, gerade jenes Land, auf das man sich am meisten beruft, um die Möglichkeit einer lediglich und ausschließlich mit ihren isolierten Krätten hervorzurufenden, die Lage des gesamten Standes verbessernden Assoziation der einzelnen Arbeiter zu behaupten. England, welches in der Tat aus verschiedenen, in seinen besonderen Zuständen wurzelnden Gründen noch am ehesten geeignet erscheinen müßte, dieses Experiment durchzuführen, ohne daß deshalb noch eine gleiche Möglichkeit auch für andere Länder dadurch bewiesen wäre.
Und dieser spezielle Beleg knüpft gerade an jene englische Arbeiterassoziation an, welche bisher als der triumphierende Beweis einer solchen Behauptung angeführt zu werden pflegte. Ich spreche von den Pioniers in Rochdale. Dieser seit 1844 bestehende Konsumverein legte 1858 eine Spinnerei und Weberei an, mit einem Kapital von 5500 Pfund Sterling (zirka 38000 Taler). In den Statuten dieser Fabrik-Assoziation wurde den in der Fabrik beschäftigten Arbeitern, gleichviel ob sie Aktionärs der Assoziation waren oder nicht, außer dem ortsüblichen Arbeitslohn, ein gleicher Anteil an dem als Dividende zu verteilenden Geschäftsgewinn zugesichert, wie den Aktionärs, da die Bestimmung getroffen war, daß die Jahresdividende ebenso auf den Arbeitslohn, wie auf das Aktienkapital berechnet und verteilt werden sollte. Nun beträgt die Anzahl der Aktionärs jener Fabrik 1600, während in der Fabrik nur 500 Arbeiter beschäftigt sind. Es ist also eine große Zahl von Aktionärs vorhanden, die nicht zugleich Arbeiter der Fabrik sind, wie andererseits nicht alle Arbeiter zugleich Aktionärs sind. Infolgedessen brach unter den Arbeiter-Aktionärs, die nicht Arbeiter der Fabrik waren, und auch unter denen, die Arbeiter und Aktionärs zugleich waren, eine Agitation (1861) dagegen aus, daß auch die Arbeiter, welche nicht Aktionärs seien, einen Anteil an dem Geschäftsgewinn – dem Arbeitsertrage – erhielten.
Man stellte von seiten der Arbeiter-Aktionäre ganz offen und einfach den Grundsatz auf, daß nach dem ganz allgemeinen Brauch in der gesamten industriellen Welt die Arbeit mit dem Arbeitslohn abgefunden sei, und dieser durch Nachfrage und Angebot bestimmt werde (– wir haben offen gesehen, durch welches Gesetz!). „Diese Tatsache“ – erzählt Professor Huber in dem Bericht, den er von dieser Angelegenheit gibt – „wurde ohne weiteres von vornherein als der keiner weiteren Motivierung und Legitimierung bedürftige naturgemäße Zustand gegenüber einer ganz ausnahmsweisen, willkürlichen, wenngleich statutenmäßigen Neuerung geltend gemacht.“ Tapfer, aber nur mit sehr unklaren Gefühlsgründen, wurde dieser Antrag auf Änderung der Statuten von den alten Stiftern und Vorstehern der Assoziation bekämpft. In der Tat stimmte eine Majorität von fünf Achtel der Arbeiter-Aktionäre für die Änderung der Statuten, ganz wie die bürgerlichen Unternehmer handelnd, und die Abänderung der Statuten unterblieb vorläufig nur deshalb, weil zu einer solchen statutengemäß eine Majorität von drei Viertel der Stimmen erforderlich ist. „Niemand aber“ – berichtet Professor Huber weiter – „täuscht sich darüber, daß die Sache dabei ihr Bewenden haben wird. Vielmehr stehen dieser Assoziation noch sehr heftige innere Kämpfe bevor, deren Ausgang vielleicht schon nächstes Jahr eine siegreiche Wiederholung jenes Antrages sein dürfte, um so mehr, da die Opposition entschlossen ist, ihren Einfluß auch bei den Wahlen zu den Assoziationsämtern geltend zu machen, wo die absolute Majorität entscheidet, wo dann die dominierenden Stellungen des Vorstandswesens bald in ihren Händen sein könnten.“ Huber berichtet ferner hierbei: „Die meisten der fabrikmäßig produktiven Vereine haben sich von vornherein dem allgemeinen Brauch angeschlossen, offenbar ohne weiteres Nachdenken oder doktrinäres Bewußtsein; nur einige haben das kooperative Prinzip zugunsten der Arbeit angenommen.“ Und Huber muß ferner, obwohl sehr wider Willen und mit sehr schwerem Herzen, denn er ist ein Anhänger der ,bloß von den isolierten Arbeitern ausgehenden Assoziation, gestehen, es sei „gar kein Zweifel, daß diese Fragen sehr bald in allen anderen produktiven Assoziationen zur Erörterung und Entscheidung kommen werden, wo der Gegensatz von Kapital und Arbeit vorhanden ist und sich aus dem industriellen Makrokosmus (d. h. der Welteinrichtung im großen) der Konkurrenz in den kooperativen Mikrokosmus (d. h. der von der Arbeiterassoziation dargestellten Welt im kleinen) reproduziert.“
Sie sehen, meine Herren, wenn Sie über diese Tatsachen nachdenken, daß sich die großen Fragen immer nur im Großen, nie im Kleinen lösen lassen. Solange der allgemeine Arbeitslohn durch das oben betrachtete Gesetz bestimmt wird, solange werden auch die kleinen Assoziationen sich dem herrschenden Einfluß desselben nicht entziehen können. Und was gewinnt dann der allgemeine Arbeiterstand, der Arbeiter als solcher dabei, ob er für Arbeiterunternehmer oder für Bourgeois-Unternehmer arbeitet? Nichts! Sie haben nur die Unternehmer, denen der Ertrag ihrer Arbeit zugute kommt, zerbröckelt. Aber die Arbeit und der Arbeiterstand ist nicht befreit! Was er dabei gewinnt? Er gewinnt nur die Depravation, die Verderbnis, die jetzt ihn selbst ergreift und Arbeiter gegen Arbeiter in ausbeutende Unternehmer verwandelt! Die Personen der Unternehmer haben gewechselt, die Sache ist geblieben, die Arbeit, diese einzige Quelle alles Ertrages, bleibt nach wie vor auf den sogenannten Lohn, d. h. die Lebensfristung angewiesen. So groß ist unter der Herrschaft dieses Gesetzes die Verkehrung der Begriffe, daß jetzt sogar jene nicht in der Fabrik beschäftigten Arbeiter-Aktionäre, statt einzusehen, daß sie ihre Dividende der Arbeit der beschäftigten Arbeiter verdanken, daß sie es somit sind, welche den Vorteil aus der Arbeit dieser ziehen, umgekehrt diesen nicht einmal einen Teil von dem Ertrage ihrer eigenen Arbeit, nicht einmal einen Teil von dem gönnen wollten, worauf die Arbeit gerechten Anspruch hat.
Arbeiter mit Arbeitermitteln und Unternehmergesinnungen – das ist die widrige Karikatur, in welche jene Arbeiter verwandelt worden sind.
Und nun endlich noch einen letzten sich hieran knüpfenden scharfen und entscheidenden Beweis.
Sie haben gesehen, daß in jener Fabrik des Pioniers 500 Arbeiter beschäftigt und an ihr 1600 Arbeiter als Aktionäre beteiligt sind. Soviel wird Ihnen auch ganz klar sein, daß, wenn wir uns die Arbeiter nicht gleich geradezu als reiche Leute denken wollen, womit dann freilich alle Fragen in der Illusion gelöst sind, die in einer Fabrik beschäftigte Anzahl von Arbeitern nie ausreichen wird, um auch das für die Fabrik erforderliche Anlagekapital aus ihren eigenen Taschen aufzubringen. Sie werden dazu vielmehr immer eine viel größere Zahl von anderen nicht in der Fabrik beschäftigten Arbeiter-Aktionären in Anspruch nehmen müssen. In dieser Hinsicht ist das Verhältnis bei jener Fabrik der Pioniers – 1600 Arbeiter-Aktionäre auf 500 in der Fabrik beschäftigte Arbeiter, also ein Verhältnis von nur wenig mehr als 3 zu 1 – sogar ein erstaunlich günstiges und seltenes, ein so kleines wie nur irgend möglich zu nennen und erklärt sich nur teils aus der ganz besonders glücklichen Lage der Pioniers, die im Arbeiterstande als eine hohe Ausnahme dasteht, teils daraus, daß jener Fabrikationszweig noch durchaus nicht zu jenen gehört, welche das stärkste Kapitalverhältnis erfordern, teils daraus, daß jene Fabrik noch nicht zu den wahrhaft großen Produktionsanstalten gehört, in denen das Verhältnis auch in diesem Fabrikationszweig noch ein ganz anderes sein würde. Es kommt endlich dazu, daß durch die Entwicklung der Industrie selbst und durch die Fortschritte der Zivilisation dies Verhältnis noch alle Tage gewaltig wachsen muß. Denn die Fortschritte der Zivilisation bestehen gerade darin, daß täglich mehr tote Naturkraft, also mehr Maschinen, an die Stelle der menschlichen Arbeit gesetzt wird, und daß also täglich das Verhältnis der Größe des Anlagekapitals zur Menge der menschlichen Arbeit wächst. Wenn also in jener Fabrik der Pioniers, um das Anlagekapital für 500 beschäftigte Arbeiter zu beschaffen, 1600 Arbeiter-Aktionäre erforderlich waren, und somit ein Verhältnis von 1 zu 3, so wird sich bei anderen Arbeitern und in anderen Branchen und in den größeren Produktionsanstalten und mit den täglichen Fortschritten der Zivilisation das Verhältnis gestalten, wie 1 zu 4, 1 zu 5, zu 6, zu 8, zu 10, zu 20 usf. Bleiben wir indes sogar bei dem Verhältnis von 1 zu 3 stehen! Um also eine Fabrik zu stiften, in welcher 500 Arbeiter Beschäftigung finden, brauche ich 1600 Arbeiter-Aktionäre, um das nötige Anlagekapital zu haben. Gut, solange ich ein, zwei, drei usw. Fabriken gründen will, hat das in der Vorstellung – immer in der Vorstellung meine Herren, in der Illusion – keine Schwierigkeit. Ich nehme nur immer in der Vorstellung die dreifache, vierfache Anzahl usw. von Arbeiter-Aktionären zu Hilfe. Wenn ich aber die Assoziation auf den gesamten Arbeiterstand ausdehne – und von diesem, nicht von einzelnen, die emporkommen wollen, handelt es sich hier doch – wenn ich also im Lauf der Zeit soviel Fabriken gründen will, daß der ganze Arbeiterstand darin beschäftigt ist – woher nehme ich denn dann noch die 3-, 4-, 5-, 10-, 20-fache Anzahl des gesamten Arbeiterstandes, die nun noch als Arbeiter-Aktionäre hinter den in den Fabriken beschäftigten Arbeitern stehen müßte, um diese Fabriken anzulegen? [15]
Sie sehen also, meine Herren, daß es geradezu eine mathematische Unmöglichkeit ist, den Arbeiterstand auf diesem Wege durch die Anstrengungen seiner Mitglieder als bloß isolierter Individuen zu befreien; daß nur ganz unklare unkritische Vorstellungen sich diesen Illusionen hingeben können, und daß der einzige Weg hierzu, der einzige Weg zur Aufhebung jenes grausamen, den Arbeitslohn bestimmenden Gesetzes, an welches der Arbeiterstand wie an einen Marterpfahl geschmiedet ist, die Förderung und Entwicklung der freien, individuellen Arbeiterassoziationen durch die helfende Hand des Staates ist. Die auf die rein atomistisch-isolierten Kräfte der Arbeiterindividuen gebaute Arbeiterassoziationsbewegung hat nur den Wert gehabt – und dieser Wert ist ein immenser –, handgreiflich den Weg, den praktischen Weg zu zeigen, auf welchem die Befreiung von sich gehen kann, glänzende, praktische Beweise zur Beseitigung aller wirklichen oder vorgeschützten Zweifel über die praktische Ausführbarkeit zu liefern und es eben dadurch dem Staat zur gebieterischen Pflicht zu machen, seine stützende Hand diesem höchsten Kulturinteresse der Menschheit zu leihen.
Zugleich habe ich Ihnen bereits den Beweis geliefert, daß der Staat überhaupt gar nichts anderes als die große Organisation, die große Assoziation der arbeitenden Klassen ist, und daß also die Hilfe und Förderung, durch welche der Staat jene kleineren Assoziationen ermöglichte, gar nichts anderes sein würde, als die vollkommen natur- und rechtmäßige, vollkommen legitime soziale Selbsthilfe, welche die arbeitenden Klassen als große Assoziation sich selbst, ihren Mitgliedern als vereinzelten Individuen, erweisen.
Noch einmal also, die freie individuelle Assoziation der Arbeiter, aber die freie individuelle Assoziation ermöglicht durch die stützende und fördernde Hand des Staates – das ist der einzige Weg aus der Wüste, der dem Arbeiterstand gegeben ist.
Wie aber den Staat zu dieser Intervention vermögen?
Und hier wird nun sofort sonnenhell die Antwort vor Ihrer aller Augen stehen: dies wird nur durch das allgemeine und direkte Wahlrecht möglich sein. Wenn die gesetzgebenden Körper Deutschlands aus dem allgemeinen und direkten Wahlrecht hervorgehen – dann und nur dann werden Sie den Staat bestimmen können, sich dieser seiner Pflicht zu unterziehen.
Dann wird diese Forderung in den gesetzgebenden Körpern erhoben werden, dann mögen die Grenzen und Formen und Mittel dieser Intervention durch Vernunft und Wissenschaft diskutiert werden, dann werden – verlassen Sie sich darauf! – die Männer, die Ihre Lage verstehen und Ihrer Sache hingegeben sind, mit dem blanken Stahl der Wissenschaft bewaffnet zu Ihrer Seite stehen und Ihre Interessen zu schützen wissen! Und dann werden Sie, die unbemittelten Klassen der Gesellschaft, es jedenfalls nur sich selbst und Ihren schlechten Wahlen zuzuschreiben haben, wenn und solange die Vertreter Ihrer Sache in der Minorität bleiben.
Das allgemeine und direkte Wahlrecht ist also, wie sich jetzt ergeben hat, nicht nur Ihr politisches, es ist auch Ihr soziales Grundprinzip, die Grundbedingung aller sozialen Hilfe. Es ist das einzige Mittel, um die materielle Lage des Arbeiterstandes zu verbessern.
Wie nun aber die Einführung des allgemeinen und direkten Wahlrechts bewirken?
Und hier blicken Sie auf England!
Mehr als fünf Jahre hat die große Agitation des englischen Volkes gegen die Korngesetze gedauert. Dann aber mußten sie fallen, mußten durch ein Tory-Ministerium selbst beseitigt werden!
Organisieren Sie sich als ein allgemeiner deutscher Arbeiterverein zu dem Zweck einer gesetzlichen und friedlichen, aber unermüdlichen, unablässigen Agitation für die Einführung des allgemeinen und direkten Wahlrechts in allen deutschen Ländern. Von dem Augenblicke an, wo dieser Verein auch nur 100000 deutsche Arbeiter umfaßt, wird er bereits eine Macht sein, mit welcher jeder rechnen muß. Pflanzen Sie diesen Ruf fort in jede Werkstatt, in jedes Dorf, in jede Hütte. Mögen die städtischen Arbeiter ihre höhere Einsicht und Bildung auf die ländlichen Arbeiter überströmen lassen. Debattieren Sie, diskutieren Sie überall, täglich, unablässig, unaufhörlich, wie jene große englische Agitation gegen die Korngesetze, in friedlichen, öffentlichen Versammlungen, wie in privaten Zusammenkünften die Notwendigkeit des allgemeinen und direkten Wahlrechts. Je mehr das Echo Ihrer Stimme millionenfach widerhallt, desto unwiderstehlicher wird der Druck derselben sein.
Stiften Sie Kassen, zu welchen jedes Mitglied des deutschen Arbeitervereins Beiträge zahlen muß, und zu denen Ihnen Organisationsentwürfe vorgelegt v/erden können.
Gründen Sie mit diesen Kassen, die trotz der Kleinheit der Beiträge eine für Agitationszwecke gewaltige finanzielle Macht bilden würden – bei einem wöchentlichen Beitrage von nur einem Silbergroschen würde bei hunderttausend Mitgliedern der Verein jährlich über 160 000 Taler verwenden können – öffentliche Blätter, welche täglich dieselbe Forderung erheben und die Begründung derselben aus den sozialen Zuständen nachweisen. Verbreiten Sie mit denselben Mitteln Flugschriften zu demselben Zweck. Besolden Sie aus den Mitteln dieses Vereins Agenten, welche dieselbe Einsicht in jeden Winkel des Landes tragen, das Herz eines jeden Arbeiters, eines jeden Häuslers und Ackerknechts mit demselben Ruf durchdringen. Entschädigen Sie aus den Mitteln dieses Vereins alle solche Arbeiter, welche wegen ihrer Tätigkeit für denselben Schaden und Verfolgung erlitten haben.
Wiederholen Sie täglich, unermüdlich dasselbe, wieder dasselbe, immer dasselbe! Je mehr es wiederholt wird, desto mehr greift es um sich, desto gewaltiger wächst seine Macht.
Alle Kunst praktischer Erfolge besteht darin, alle Kraft zu jeder Zeit auf einen Punkt – auf den wichtigsten Punkt – zu konzentrieren und nicht nach rechts noch links zu sehen. Blicken Sie nicht nach rechts noch links, seien Sie taub für alles, was nicht allgemeines und direktes Wahlrecht heißt oder damit in Zusammenhang steht und dazu führen kann!
Wenn Sie diesen Ruf – was Ihnen binnen wenigen Jahren gelingen kann – wirklich durch die 89 bis 96 Prozent der Gesamtbevölkerung fortgepflanzt haben werden, welche, wie ich Ihnen gezeigt habe, die armen und unbemittelten Klassen der Gesellschaft bilden, dann wird man – seien Sie unbesorgt – Ihrem Wunsch nicht lange widerstehen! Man kann von Seiten der Regierungen mit der Bourgeoisie über politische Rechte schmollen und hadern. Man kann selbst Ihnen politische Rechte und somit auch das allgemeine Wahlrecht verweigern, bei der Lauheit, mit welcher politische Rechte aufgefaßt werden. Aber das allgemeine Wahlrecht von 89 bis 96 Prozent der Bevölkerung als Magenfrage aufgefaßt und daher auch mit der Magenwärme durch den ganzen nationalen Körper hin verbreitet – seien Sie ganz unbesorgt, meine Herren, es gibt keine Macht, die sich dem lange widersetzen würde!
Dies ist das Zeichen, das Sie aufpflanzen müssen. Dies ist das Zeichen, in dem Sie siegen werden! Es gibt kein anderes für Sie!
Berlin, l. März 1863. |
Mit Gruß und Handschlag F. Lassalle |
[1] Siehe ausführlicher hierüber meine Broschüre: Was nun? Zweiter Vortrag über Verfassungswesen. Zürich 1863. (Im II. Bande dieser Ausgabe.)
[2] Es sind die ersten der Vorträge gemeint, die Schutz-Delitzsch gemäß dem in der Volksversammlung vom 2. November 1862 abgegebenen Versprechen (vgl. die Vorbemerkung S. 20) vor Berliner Arbeitern hielt und später zusammen unter dem Titel Kapitel zu einem Arbeiter-Katechismus als Broschüre herausgab; gegen sie schrieb Lassalle dann den Bastian-Schulze. – d. H.
[3] Da Lassalle in dieser Broschüre zum ersten Male überhaupt öffentlich von Assoziationen spricht, kann es auffällig erscheinen, wie eine Arbeiterbewegung bereits die Frage diskutiert haben soll, ob die Assoziation in Lassalles Sinne aufzufassen sei, noch ehe die Broschüre selbst das Licht der Welt erblickte. Wahrscheinlich ist aber der Satz so zu verstehen, daß Lassalle sagen will, es werde bereits die Frage diskutiert, ob die Schulzesche selbsthilflerische Assoziation ausreichend sei, oder ob, wie er ebenfalls meine, die Staatshilfe hinzukommen müsse. Das aber fand tatsächlich schon in Leipzig statt – allerdings infolge der Eröffnungen, die Lassalle mündlich den Vertretern des Leipziger Komitee gemacht hatte. – d. H.
[4] Man kann sagen, daß in der einen Hinsicht, auf Ankauf der Rohstoffe, der mit Hilfe eines Rohstoffvereins sein Kleingeschäft betreibende Handwerker, weil hierdurch des Vorteils der Ankaufspreise en gros teilhaftig, sogar besser daran sei als der mit eigenem Kapital sein isoliertes Kleingeschäft Betreibende, und Professor Huber veranschlagt diesen Vorteil bei Beschaffung der Rohstoffe auf 20–30 Prozent. Dies hält ihn, wie wir sehen, nicht ab, einzugestehen, daß auch die Rohstoffvereine die Konkurrenz mit der fabrikmäßigen Großproduktion nicht aushalten können; natürlich, denn die Beschaffung der Rohstoffe zu en gros-Preisen bildet nur ein isoliertes Element der billigen Erzeugungs- und Betriebskosten aller Art, welche die Großproduktion voraus hat. Aber auch zwischen dem mit Hilfe eines Rohstoffvereins und dem mit eigenem Kapital sein Kleingeschäft betreibenden Meister gleichen sich die Vorteile höchstens im ganzen aus, da letzterer sich keine Zinsen seines Kapitals zu berechnen braucht und außerdem sich für jeden Artikel seines Bedarfs mit den besten Bezugsquellen in Verbindung setzen kann, während die Rohstoffvereine nicht für alle Artikel, die sie führen, zumal für die nebensächlicheren, dieselbe Geschäftskenntnis und Umsicht entwickeln können.
[5] Das Arbeiter-Programm.
[6] Frederic Bastiat, geb. 1801, gest. 1850, war um jene Zeit eine der gefeiertesten Autoritäten des ökonomischen Liberalismus (Manchesterpartei, Nichts-als-Freihandelspartei). Seine populären Flugschriften, sowie seine polemischen Aufsätze, die sich unbestritten durch eine sehr geschickte Dialektik auszeichnen – wie ja Bastiat 1849/1850 in seiner Polemik mit Proudhon über die Berechtigung des Kapitalzinses seinen Gegner ganz gehörig in die Enge gejagt hatte – und schließlich seine, teilweise dem Amerikaner Carey nachgeschriebenen Volkswirtschaftlichen Harmonien waren von der deutschen Freihandelsschule bald nach ihrem Erscheinen übersetzt und eifrig kolportiert worden. Seinerseits zwar hatte schon Rodbertus in seinen Sozialen Briefen u. a. die in Bastiats Polemik mit Proudhon enthaltenen Trugschlüsse bloßgelegt, war aber natürlich sowohl in der Tagespresse wie von der zünftigen Ökonomie totgeschwiegen worden. Auf Bastiat abwehrend hinzuweisen, lag Lassalle nun um so näher, als, wie wir gesehen haben, zur Zeit, wo er das Offene Antwort-Schreiben verfaßte, Schulze-Delitzsch gerade begonnen hatte, den Berliner Arbeitern die Bastiatschen Lehren als höchstes Ergebnis der ökonomischen Wissenschaft zu predigen, während andererseits Rodbertus, durch irrtümliche Auffassung eines Satzes aus dem System der erworbenen Rechte verleitet, eben um dieselbe Zeit Lassalle brieflich vorwarf, sich zu demselben Satze Bastiats bekannt zu haben, auf den dieser seine volkswirtschaftliche Harmonielehre begründet hatte. Vergleiche darüber die Briefe von Lassalle an Rodbertus.
[7] Nach dem, was bereits früher über das ökonomische Lohngesetz gesagt wurde, wird der Leser den obigen, in der gegebenen Fassung entschieden unrichtigen Satz leicht selbst richtig stellen können. Weit besser hätte Lassalle unseres Erachtens den bedingten Wert der Konsumvereine charakterisiert, wenn er einfach das, was er vorher über den Einfluß der durch die Entwicklung der Produktion bewirkten fortschreitenden Verbilligung der Produkte auf die Klassenlage der Arbeiter ausgeführt hat, auch auf die Verbilligung der Lebensmittel der Arbeiter durch die Konsumvereine, angewendet hätte. Daß sie an sich die Lage des Arbeiters als Produzenten nicht berühren, ihn von den Wechselfällen des Arbeitsmarktes abhängig lassen, das bezeichnete ihren bedingten Wert für die Emanzipationsbestrebungen der Arbeiter. Aber Lassalle hatte noch keine Ahnung von den Möglichkeiten der Konsumvereine als Hilfsmittel der Arbeiterorganisation und Produktionsleitung.
[8] Mit diesem Satz wäre eigentlich, wenn er buchstäblich zu nehmen wäre, die Kritik des Lassalleschen Vorschlages von selbst gegeben, und es bliebe höchstens fraglich, wie Lassalle als Sozialist und Kommunist ein Mittel vorschlagen konnte, das nach ihm weiter entfernt vom Sozialismus und Kommunismus sein sollte, als irgendein anderes. Aber schon das eingeschobene Wort „sogenannten“ zeigt, daß Lassalle hier einen inneren Vorbehalt macht und sich nur gegen das Zerrbild vom Sozialismus und Kommunismus verwahrt, das in den Reihen der Gegner gang und gäbe war. Andererseits hielt er es für taktisch richtig, zunächst die Forderung der Staatshilfe für Produktivgenossenschaften in der möglichst unanstößigen Weise aufzustellen und die Konsequenzen sich von selbst entwickeln zu lassen. Kein Zweifel, daß er nicht verpflichtet war, gleich mit seinem letzten Wort herauszuplatzen. Aber ein Fehler war die obige Erklärung doch, sie brachte ihn, wie an anderer Stelle bereits gezeigt, wiederholt in Widerspruch mit sich selbst und führte, mehr als die Gegner, die eigenen Anhänger zeitweise irre. d. H.
[9] England, welches immer als das Land angeführt zu werden pflegt, in welchem keine solche Intervention des Staates stattfindet, ist im Gegenteil noch heute stolz auf seine durch die Parlamentsakte von 1833 bewirkte Ablösung der Sklaverei in den Kolonien, welche nur durch Intervention des Staates möglich war und ihm eine Entschädigung von nicht weniger als 20 Millionen Pfund Sterling (133 Millionen Taler gekostet hat. Die Befreiung der unendlichen Mehrheit der eigenen Nation von jenem den Arbeitslohn bestimmenden Gesetz muß den Staat noch mehr interessieren als die Befreiung einer fremden Rasse in den Kolonien und wäre noch dazu ohne jene Opfer zu vollbringen, welche diese erfordert hat.
[10] Gegen diesen Vergleich wurde von der liberalen Presse der Einwand erhoben, daß bei den Zinsgarantien für die Eisenbahnen es sich eben nicht darum gehandelt habe, den Aktionären Kapitalien zu verschaffen, sondern umgekehrt, sie zur Hergabe von Kapital für einen Kulturzweck zu veranlassen. Rein äußerlich betrachtet ist das freilich richtig. Der Gegensatz ist aber doch nur ein formeller. Die Hauptsache ist, daß die Intervention des Staates für Unternehmungen in Anspruch genommen wurde, die von Kapitalisten für Kapitalisten verwaltet wurden. Übrigens ist, wie Lassalle richtig hervorhebt, dieser Fall der Zinsgarantien nur ein verhältnismäßig mildes Beispiel der Inanspruchnahme der Staatshilfe für die Kapitalistenklasse. d. H.
[11] Wie leicht das zu einer allmählich im Lauf der Zeit über den gesamten Arbeiterstand sich erstreckenden Assoziation erforderliche Kapital respektive vielmehr der dazu erforderliche Kredit beschafft werden könnte, kann hier nicht weiter ausgeführt werden, da hierzu eine finanztheoretische Erörterung der sozialen Funktion des Geldes und Kredits vorausgeschickt werden müßte. Überdies würde gegenwärtig eine jede solche, den Exekutionsmodus betreffende Erörterung doch völlig wirkungslos und überflüssig sein. Einen praktischen Wert wird sie erst in der weiter unten näher zu bestimmenden Zeit haben, wo an die Verwirklichung dieser Forderung gedacht werden kann. Hier also nur, außer den soeben gegebenen Andeutungen, noch folgende: Diese Assoziationen würden natürlich erst allmählich und im Lauf der Zeit den gesamten Arbeiterstand umfassen. Sie würden zu beginnen haben in solchen Industriezweigen, welche sich durch ihre Natur, indem sie verhältnismäßig die stärkste Arbeiterzahl beschäftigen, am meisten zur Assoziation eignen. Sie würden zu beginnen haben in solchen Distrikten und Lokalitäten, welche durch die Art ihrer Gewerbstätigkeit, durch die Dichtigkeit ihrer Bevölkerung, sowie durch die freiwillige Disposition derselben zur Assoziation – alles drei in der Regel zusammenfallende Momente – vor den andern sich zur Assoziation eigneten. Sie würden, sobald erst eine Anzahl solcher Assoziationen bestehen, immer spielender und leichter für alle anderen Gewerbszweige und Lokalitäten einzuführen sein, da natürlich alle mit Hilfe des Staates sich bildenden Assoziationen in einen Kreditverband untereinander zu treten hätten und treten würden. Außer dem Kreditverband könnte ein Assekuranzverband die verschiedenen Vereine umfassen, welcher etwaige eintretende Geschäftsverluste durch ihre Verteilung bis zur Unmerklichkeit ausgliche. Der Staat würde endlich keineswegs den Diktator bei diesen Gesellschaften zu spielen haben, sondern ihm nur die Feststellung und respektive Genehmigung der Statuten und eine zur Sicherung seiner Interessen ausreichende Kontrolle bei der Geschäftsführung zustehen. Wöchentlich würde den Arbeitern zunächst der orts- und gewerbsübliche Arbeitslohn zu entrichten und am Schlusse des Jahres der Geschäftsgewinn des Vereins als Dividende unter sie zu verteilen sein. Die praktische Ausführbarkeit und höchst lukrative Existenzfähigkeit solcher Assoziationen überhaupt könnte ja nur von der Unwissenheit geleugnet werden, welcher es unbekannt ist, daß bereits sowohl in England wie in Frankreich zahlreiche Arbeiter-Assoziationen bestehen, welche, und obwohl unter den schwierigsten Umständen und ohne jede Hilfe und Unterstützung entstanden, rein auf die Anstrengungen der isolierten Arbeiter angewiesen, die sie bilden, dennoch zu hoher Blüte gelangt sind. So – um der sogenannten Pioniers von Rochdale ganz zu geschweigen – bestanden schon 1861 in der Grafschaft Lancashire allein 31 solcher Assoziationen zur fabrikmäßigen Produktion, meist erst neuerdings gegründet, von denen gleichwohl bereits mehrere eine Dividende von 30 bis 40 Prozent vom Kapital abwarfen. Um einiger französischer Arbeiter-Assoziationen zu erwähnen, so erzielte die Assoziation der ouvriers macons in Paris schon im Jahre 1856 bis 1857 einen Geschäftsgewinn von 56 Prozent ihres Kapitals; im Jahre 1858 betrug der Geschäftsgewinn 130000 Fr., wovon 30000 Fr. zur Reserve genommen und 100000 Fr. als Dividende verteilt wurden, und zwar 60 Prozent hiervon auf die Arbeit, 40 Prozent auf das Kapital (die Gesellschaft hat associes non travailleurs, welche je mindestens 10000 Fr. Kapitaleinschuß machen); ähnliche Blüte bei den ouvriers lampistes, bei den ouvriers en meubles usw. Man sehe die Geschichte der Arbeiter-Assoziationen in den Werken von Professor Huber, Cochut, A. Lemercier (Etudes sur les associations ouvrieres) u. a. – Die Statuten und Reglements dieser Vereine geben zugleich äußerst schätzbare Beiträge für die innere Gestaltung dieser Assoziationen an die Hand. Alle diese Gesellschaften waren recht eigentliche „Pioniere“, Pioniere der Zukunft, welche mit harter Hand den Weg brachen und durch die schlagenden praktischen Resultate, die sie trotz der ihnen, entgegenstehenden Unmöglichkeiten erreichten, zeigen, welche ganz andere Resultate zu erreichen sind, wenn der Staat die Hand zur Überwindung dieser Unmöglichkeiten bietet. Blind muß sein, wer nicht sieht, daß unsere gesamte Geschichte und Entwicklung auf diesen Weg hindrängt. Das Umsichgreifen der Aktienunternehmungen selbst hat eben dies zu seinem letzten und wahrhaft zivilisatorischen Inhalt gehabt, diesen Weg zu eröffnen.
[12] Dieterici, Mitteilungen des statistischen Bureaus, Jahr 1851, Bd. IV, S. 226; vgl. Bd. III, S. 243.
[13] In der Wirklichkeit gab es nämlich damals (1850), wie Dieterici Bd. IV, S. 223 zeigt, bei 16.331.187 Seelen 3.181.968 Familien in Preußen, was 5 ⅒ Personen auf die Familie gibt. Steuerpflichtige gab es damals (siehe Dieterici, Bd. III, S. 243) 4.950.454 Personen in Preußen, also mehr als Familien. Immer repräsentiert hiernach der klassensteuerpflichtige Kopf noch imDurchschnitt eine Familie von über 3 Personen, wobei noch ganz unberücksichtigt bleiben mag, daß gerade die untersten Klassen die stärksten Familien haben.
[14] Diese Zahlen haben bekanntlich sofort heftige Anfechtung erfahren und sind auch später häufig Gegenstand der Kritik von Fachleuten und Nichtfachleuten gewesen. Aber wenn sie auch unbestritten auf Schätzungen beruhen, bei denen eine Reihe wichtiger Momente nicht oder nicht genügend berücksichtigt wurden, haben doch alle späteren Richtigstellungen das Bild, das sie in bezug auf das Prozentverhältnis von Reichen und Wohlhabenden auf der einen Seite und in Dürftigkeit und Elend Lebenden auf der anderen Seite darbieten, nur unwesentlich verändern können. Dagegen hat der zunehmende Reichtum der Gesellschaft mittlerweile den Prozentsatz der Wohlhabenden wesentlich erhöht. – d. H.
[15] Die vorstehende Deduktion birgt einige Widersprüche, auf die einzugehen jedoch hier zu weit führen würde. Dagegen sei in Kürze bemerkt, daß die französischen Produktivgenossenschaften, deren Erfolge einen so starken Eindruck auf Lassalle machten, sich bei näherer Prüfung meist als Handwerkergenossenschaften herausstellen, die mit unverhältnismäßig großem Kapital pro Kopf des Teilhabers arbeiteten und allerhand Privilegien genossen. Sie sind sämtlich entartet. Auf der andern Seite führt, was die geschilderte Agitation bei den Pionieren von Rochdale anbetrifft, eine genauere Überlegung zu dem Schluß, daß gerade vom sozialistischen Standpunkt aus die Arbeiter, die es vorzogen, der Genossenschaft nicht beizutreten, auch keinen Anspruch auf den Gewinn des Unternehmens hatten. Die Gewinnbeteiligung des Arbeiters als solchen am individuellen Unternehmen ist eine kleinbürgerlich individualistische, aber keine sozialistische Forderung. – d. H.
Zuletzt aktualisiert am 4. April 2020