Leo Trotzki

 

Verteidigung des Marxismus

 

Brief an James P. Cannon

 

15. Dezember 1939

Lieber Genosse Cannon!

Die Oppositionsführer haben den Kampf auf grundsätzlicher Ebene bis jetzt nicht aufgenommen und werden zweifellos versuchen, das auch in Zukunft zu umgehen. Es ist folglich nicht schwierig zu erraten, was die Oppositionsführer zu dem beigefügten Artikel sagen werden. „In diesem Artikel sind viele richtige Grundwahrheiten“, werden sie sagen. „Wir leugnen sie durchaus nicht, aber der Artikel beantwortet nicht die brennenden ‚konkreten‘ Fragen. Trotzki ist zu weit entfernt von der Partei, um richtig urteilen zu können. Nicht alle kleinbürgerlichen Elemente sind bei der Opposition, nicht alle Arbeiter bei der Mehrheit.“ Einige von ihnen werden sicherlich noch hinzufügen, daß dieser Artikel ihnen Ideen „zuschreibe“, die sie niemals in Erwägung gezogen haben usw.

Als Antworten auf „konkrete“ Fragen wollen die Oppositionellen Rezepte aus einem Kochbuch für die Epoche der imperialistischen Kriege. Ich habe nicht vor, ein solches Kochbuch zu schreiben. Aber durch unser grundsätzliches Herangehen an die wesentlichen Fragen werden wir immer in der Lage sein, zu einer richtigen Lösung für jedes konkrete Problem zu kommen, so verwickelt es auch sein mag. Gerade am finnischen Problem zeigte die Opposition ihre Unfähigkeit, konkrete Fragen zu beantworten. Es gibt niemals Fraktionen, die in ihrer Zusammensetzung chemisch rein sind.

Kleinbürgerliche Elemente finden sich notwendig in jeder Arbeiterpartei und Fraktion. Die Frage ist nur, wer den Ton angibt. Bei der Opposition wird der Ton von kleinbürgerlichen Elementen angegeben.

Die unvermeidliche Beschuldigung, daß der Artikel der Opposition Ideen zuschreibt, die sie niemals hatte, wird durch die Formlosigkeit und den widersprüchlichen Charakter der Ideen der Opposition erklärt, die keiner Berührung durch eine kritische Untersuchung standhalten können. Der Artikel „schreibt“ den Oppositionsführern nichts „zu“, er entwickelt ihre Ideen nur bis zu Ende. Selbstverständlich kann ich die Entwicklung des Kampfes nur von der Seitenlinie aus sehen. Aber die allgemeinen Züge des Kampfes kann man oft besser von Seitenlinien aus beobachten.

Ich drücke Ihnen herzlich die Hand
Leo Trotzki
Coyoacan, D.F.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.10.2003