Leo Trotzki

 

Krieg und die Vierte Internationale
(Teil 2)

 

Die UdSSR und die imperialistischen Gruppierungen

41. Die Sowjetregierung ändert heute ihren Kurs hinsichtlich des Völkerbundes. Die Dritte Internationale wiederholt wie stets sklavisch Worte und Gesten der Sowjetdiplomatie. „Ultralinke“ aller Art benützen diese Wendung, um ein übriges Mal die UdSSR zu den bürgerlichen Staaten zu zählen. Die Sozialdemokratie erklärt die „Aussöhnung“ der UdSSR mit dem Völkerbund je nach den nationalen Erwägungen bald für einen Beweis für den bürgerlich-nationalen Charakter der Moskauer Politik, bald hingegen für eine Rehabilitierung des Völkerbundes und überhaupt der ganzen Ideologie des Pazifismus. Der marxistische Standpunkt hat auch in der vorliegenden Frage nichts gemein mit irgendeiner dieser kleinbürgerlichen Anschauungen.

Unsere grundsätzliche Einstellung zum Völkerbund unterscheidet sich nicht von der zu jedem einzelnen imperialistischen Staat, ob dem Völkerbund angeschlossen oder nicht. Das Lavieren des Sowjetstaates zwischen den antagonistischen Gruppierungen des Imperialismus bedingt auch eine Manöverpolitik in Bezug auf den Völkerbund. Solange Japan und Deutschland dem Bund angehörten, drohte dieser eine Arena der Verständigung der bedeutendsten imperialistischen Räuber auf Kosten der UdSSR zu werden. Mit dem Austritt Japans und Deutschlands, der hauptsächlichen und unmittelbarsten Feinde der Sowjetunion, verwandelte sich der Völkerbund teils in einen Block der Verbündeten und Vasallen des französischen Imperialismus, teils in eine Arena des Kampfes zwischen Frankreich, England und Italien. Die eine oder die andere Kombination mit dem Völkerbund kann sich für den Sowjetstaat, der zwischen ihm im Grunde gleich feindlichen imperialistischen Lagern laviert, als zwingend erweisen.

42. Während sie sich durchaus realistisch Rechenschaft ablegt über die entstandene Lage, muss die proletarische Vorhut zusammen damit folgende Erwägungen in den Vordergrund rücken:

a) Die Notwendigkeit für die UdSSR, mehr als sechzehn Jahre nach der Oktoberumwälzung Annäherung an den Völkerbund zu suchen und diese Annäherung mit den Formeln des Pazifismus zu decken, ist ein Ergebnis der außerordentlichen Schwächung der internationalen proletarischen Revolution und damit der internationalen Positionen der UdSSR;

b) die abstrakten pazifistischen Formulierungen der Sowjetdiplomatie und ihre Komplimente an den Völkerbund haben nichts gemein mit der Politik der internationalen proletarischen Partei, die für sie keinerlei Verantwortung übernimmt, vielmehr ihre Leere und Heuchelei aufdeckt, um desto gewisser. das Proletariat zu mobilisieren auf Grund eines klaren Verständnisses der realen Kräfte und der realen Antagonismen.

43. Bei der jetzt entstandenen Lage kann man im Kriegsfalle ein Bündnis der UdSSR mit einem imperialistischen Staat oder mit der einen imperialistischen Gruppierung gegen die andere ganz und gar nicht für ausgeschlossen halten. Durch den Druck derartiger Umstände kann ein zeitweiliges Bündnis zu einer eisernen Notwendigkeit werden, ohne jedoch deswegen aufzuhören, eine ganz große Gefahr zu sein sowohl für die UdSSR selbst wie für die Weltrevolution.

Das internationale Proletariat wird auf die Verteidigung der UdSSR auch sogar in dem Falle nicht verzichten, wenn diese sich zu einem Militärbündnis mit dem einen Imperialisten gegen die anderen gezwungen sähe. Aber in diesem Fall noch mehr als in jedem anderen wird das internationale Proletariat sich volle politische Unabhängigkeit von der Sowjetdiplomatie und somit von der Bürokratie der Dritten Internationale sichern.

44. Nach wie vor entschiedener und rückhaltloser Verteidiger des Arbeiterstaates im Kampf mit dem Imperialismus, wird das internationale Proletariat dennoch nicht Verbündeter der imperialistischen Bundesgenossen der UdSSR. Das Proletariat des im Bündnis mit der UdSSR stehenden kapitalistischen Landes behält seine unversöhnliche Feindschaft der imperialistischen Regierung des eigenen Landes gegenüber voll und ganz bei. In diesem Sinne wird es keinen Unterschied geben von der Politik des Proletariats des die UdSSR bekämpfenden Landes. Doch im Charakter der praktischen Aktionen können sich beachtliche Unterschiede ergeben, hervorgerufen durch die konkrete Kriegslage. Absurd und frevelhaft wäre es beispielsweise, wenn im Fall eines Krieges zwischen der UdSSR und Japan das amerikanische Proletariat die Absendung amerikanischer Waffen für die UdSSR sabotierte. Dagegen wären Aktionen wie Streiks, Sabotage usw. unbedingte Pflicht für das Proletariat des gegen die UdSSR kriegführenden Landes.

45. Die unversöhnliche proletarische Opposition gegen den imperialistischen Verbündeten der UdSSR müsste sich entfalten auf dem Boden der inneren Klassenpolitik einerseits, der imperialistischen Ziele der betreffenden Regierung, des treubrüchigen Charakters ihres „Bündnisses“, ihrer Spekulation auf den bürgerlichen Umsturz in der UdSSR usw. andererseits. Die Politik der proletarischen Partei im „verbündeten“ wie im feindlichen imperialistischen Land muss folglich gerichtet sein auf den revolutionären Sturz der Bourgeoisie und die Eroberung der Macht. Nur auf diesem Wege kann man ein wirkliches Bündnis mit der UdSSR schaffen und den ersten Arbeiterstaat vor dem Zusammenbruch retten.

46. Innerhalb der UdSSR wird der Krieg gegen die imperialistische Intervention zweifellos einen Ausbruch echter Kampfbegeisterung hervorrufen. Alle Gegensätze und Antagonismen werden überwunden scheinen oder mindestens hinausgerückt sein. Die aus der Revolution hervorgegangenen jungen Generationen von Arbeitern und Bauern werden auf dem Schlachtfeld eine mächtige dynamische Kraft an den Tag legen. Die zentralisierte Industrie wird trotz all ihrer Lücken und Mängel gewaltige Vorzüge in der Kriegslieferung aufweisen. Die Regierung der UdSSR schuf zweifellos beträchtliche Nahrungsvorräte, die für die erste Kriegsperiode reichen werden. In den Generalstäben der imperialistischen Staaten ist man sich natürlich klar darüber, dass man es in der Roten Armee mit einem mächtigen Gegner zu tun hat, mit dem der Kampf viel Zeit und furchtbare Kraftanspannung erfordern wird.

47. Doch gerade der lang andauernde Charakter des Krieges wird unausbleiblich die Widersprüche der Übergangswirtschaft der UdSSR mit ihrer bürokratischen Planung enthüllen. Die neuen Riesenbetriebe können sich in vielen Fällen als totes Kapital herausstellen. Unter dem Einfluss des dringenden Bedürfnisses des Staates nach den allernotwendigsten Gegenständen werden die individualistischen Tendenzen der Bauernwirtschaft eine beträchtliche Stärkung erfahren und die Zentrifugalkräfte innerhalb der Kolchosen mit jedem Kriegsmonat wachsen. Die Herrschaft der unkontrollierten Bürokratie wird sich in Militärdiktatur verwandeln. Das Fehlen einer lebendigen Partei als dem politischen Kontrolleur und Regulator wird zu einer außerordentlichen Anhäufung und Verschärfung der Widersprüche führen. In der überhitzten Kriegsatmosphäre darf man gefasst sein auf jähe Wendungen zum individualistischen Prinzip in Landwirtschaft und Kleingewerbe, auf Heranziehung auswärtigen, „verbündeten“ Kapitals, Breschen im Außenhandelsmonopol, Abschwächung der Staatskontrolle über die Trusts, Verschärfung der Konkurrenz unter den Trusts, ihren Zusammenprall mit den Arbeitern usw. Auf der politischen Linie können diese Prozesse die Vollendung des Bonapartismus bedeuten mit einer oder mehreren entsprechenden Umwälzungen der Eigentumsverhältnisse. Mit anderen Worten: im Falle eines langen Krieges, bei Passivität des Weltproletariats, würden die inneren sozialen Widersprüche in der UdSSR zur bürgerlich-bonapartistischen Konterrevolution nicht nur führen können, sondern müssen.

48. Die daraus abzuleitenden politischen Schlussfolgerungen sind ganz offenkundig:

a) Die UdSSR als Arbeiterstaat retten im Fall eines langen, angespannten Krieges kann nur die proletarische Revolution im Westen;

b) die Vorbereitung der proletarischen Revolution in den „befreundeten“, neutralen, wie in den feindlichen Ländern ist denkbar nur bei völliger Unabhängigkeit der Vorhut des Weltproletariats von der Sowjetbürokratie;

c) die opferbereite Unterstützung der UdSSR gegen die imperialistischen Armeen muss Hand in Hand gehen mit einer revolutionären marxistischen Kritik an der militärischen und diplomatischen Politik der Sowjetregierung, und innerhalb der UdSSR mit der Formierung einer echt-revolutionären Partei von Bolschewiki–Leninisten.

 

 

Die Dritte Internationale und der Krieg

49. In der Kriegsfrage ohne prinzipielle Linie, schwankt die Dritte Internationale zwischen Defätismus und Sozialpatriotismus. In Deutschland machte man aus dem Kampf gegen den Faschismus eine marktschreierische Konkurrenz auf dem Boden des Nationalismus. Die Losung der „nationalen Befreiung“, neben die Losung der „sozialen Befreiung“ gesetzt, entstellt gröblichst die revolutionäre Perspektive und schließt den Defätismus jedenfalls aus. In der Frage des Saargebiets begann die Kompartei mit sklavischer Kriecherei vor dem Nationalsozialismus, und nur über innere Spaltungen rückte sie davon ab.

Welche Losung wird die deutsche Sektion der Dritten Internationale im Kriegsfalle aufstellen: „Hitlers Niederlage das kleinere Übel“? Doch wenn die Losung der nationalen Befreiung unter den „Faschisten“ Müller und Brüning richtig war, wieso könnte sie dann außer Kraft treten unter Hitler? Oder taugen die nationalen Losungen nur für die Friedenszeiten, nicht aber für den Krieg? Wahrlich, die Epigonen des Leninismus haben alles getan, um sich und die Arbeiter gründlichst zu verwirren.

50. Die revolutionäre Ohnmacht der Dritten Internationale ist die direkte Folge ihrer verheerenden Politik. Nach der deutschen Katastrophe wurde die politische Nichtigkeit der sogenannten Komparteien unter Beweis gestellt in allen Ländern, wo sie einer Prüfung unterlagen. Die französische Sektion, die sich völlig unfähig erwies, einige Zehntausende Arbeiter gegen den Kolonialraub in Afrika auf die Beine zu bringen, wird sich zweifellos noch bankrotter erweisen in der Minute der sogenannten „nationalen Gefahr“.

51. Der Kampf gegen den Krieg, undenkbar ohne die revolutionäre Mobilisierung der breiten Arbeitermassen von Stadt Und Land, erfordert zugleich unmittelbaren Einfluss auf Heer und Flotte einerseits, auf den Transport andererseits. Doch Einfluss auf die Soldaten ist unvorstellbar ohne Einfluss auf die Arbeiter- und Bauernjugend. Der Einfluss auf das Transportwesen setzt starke Positionen in den Gewerkschaften voraus. Indes hat die Dritte Internationale unter Mitwirkung der Profintern alle Positionen in der Gewerkschaftsbewegung verloren und sich den Zugang zur Arbeiterjugend abgeschnitten. Unter diesen Umständen von Kampf gegen den Krieg reden, heißt Seifenkugeln blasen. Für Illusionen darf da kein Platz sein: im Falle eines imperialistischen Angriffs auf die UdSSR wird sich die Dritte Internationale herausstellen als eine glatte Null.

 

 

Der „revolutionäre“ Pazifismus und der Krieg

52. Der kleinbürgerliche „linke“ Pazifismus als selbständige Strömung geht davon aus, dass man durch besondere, spezielle Mittel außerhalb der sozialistischen Revolution den Frieden sichern könne. Die Pazifisten flößen durch Artikel und Reden „Abscheu vor dem Krieg“ ein, unterstützen die individuelle Kriegsdienstweigerung, predigen Boykott und Generalstreik (richtiger: den Mythos des Generalstreiks) gegen den Krieg. Besonders „revolutionäre“ Pazifisten haben sogar nichts dagegen, vom Aufstand gegen den Krieg zu sprechen. Aber alle miteinander und jeder im Einzelnen haben sie keine Ahnung von der untrennbaren Verknüpfung des Aufstandes mit dem Klassenkampf und mit der Politik der revolutionären Partei. Der Aufstand ist für sie nicht Sache langen und systematischen Bemühens, sondern eine literarische Drohung an die Adresse der herrschenden Klasse.

Indem sie die natürliche Friedensliebe der Volksmassen ausnützen und ihnen nicht den richtigen Ausweg zeigen, werden die kleinbürgerlichen Pazifisten letzten Endes unbewusst zu einer Stütze des Imperialismus. Im Kriegsfall werden die pazifistischen „Verbündeten“ in ihrer überwiegenden Mehrheit im Lager der Bourgeoisie stehen und das Ansehen, welches ihnen die Reklame der Dritten Internationale verlieh, ausnutzen zum Zweck der patriotischen Desorganisierung der proletarischen Vorhut.

53. Der von der Dritten Internationale organisierte Amsterdamer Kongress gegen den Krieg wie der Pariser Kongress gegen den Faschismus sind klassische Beispiele der Vertauschung des revolutionären Klassenkampfes mit einer kleinbürgerlichen Politik von Schaudemonstrationen, effektvollen Paraden, potemkinschen Dörfern. Am Tage nach den lärmenden Protesten gegen den Krieg überhaupt zerstieben die buntscheckigen, von einer Kulissenregie künstlich zusammengetrommelten Elemente in alle Himmelsrichtungen und zeigen sich unfähig, auch nur den kleinen Finger gegen den wirklichen Krieg zu rühren.

54. Die Ersetzung der proletarischen Einheitsfront, d.h. eines Kampfabkommens von Arbeiterorganisationen, durch einen Block der kommunistischen Bürokratie mit kleinbürgerlichen Pazifisten, wo auf einen ehrlichen Wirrkopf Dutzende von Karrieristen entfallen, führt zu vollkommener Eklektik in den Fragen der Taktik. Die Barbusse-Münzenberg-Kongresse rechnen sich als besonderes Verdienst die Zusammenfassung aller Arten des „Kampfes“ gegen den Krieg an: humanitäre Proteste, individuelle Kriegsdienstverweigerung, Erziehung der „öffentlichen Meinung“, Generalstreik und sogar Aufstand, Methoden, die sich im Leben in unversöhnlichem Widerspruch zueinander befinden und praktisch nur im Kampf miteinander anwendbar sind, werden für Bestandteile eines harmonischen Ganzen aus gegeben. Die russischen „Sozialrevolutionäre“, die im Kampfe gegen den Zarismus eine „synthetische Taktik“ predigten: Bündnis mit den Liberalen, individuellen Terror und Massenkampf, waren das Muster einer ernsten Gruppierung im Vergleich mit den Geistesvettern des Amsterdamer Blocks. Die Arbeiter aber müssen fest im Gedächtnis behalten, dass der Bolschewismus aufwuchs im Kampfe gegen den volkstümlerischen Eklektizismus!

 

 

Das Kleinbürgertum und der Krieg

55. Der Kampf gegen die Kriegsgefahr vermag am leichtesten die Bauern und die unteren Schichten der Stadtbevölkerung den Arbeitern näher zu bringen, für die der Krieg nicht weniger verderbenbringend ist als für das Proletariat. Auch nur auf diesem Wege kann man – allgemein gesprochen – dem Krieg vermittelst des Aufstandes zuvorkommen. Doch dem Bauern ist es noch unvergleichlich weniger gegeben als dem Arbeiter, sich auf den revolutionären Weg reißen zu lassen mit Hilfe von Abstraktionen, fertigen Schablonen und leeren Kommandos. Die Epigonen des Leninismus, die 1923–24 eine Umwälzung der Komintern durchführten unter der Losung „das Gesicht dem Dorfe zu“, bewiesen vollendete Unfähigkeit, dem Banner des Kommunismus nicht nur die Bauern, sondern auch die Landarbeiter zuzuführen. Die Krestintern (Bauerninternationale) verschied unbemerkt ohne jede Grabrede. Die allzu großsprecherisch verkündete „Eroberung“ der Bauernmassen in den einzelnen Ländern stellte sich jedes Mal als eine Eintagsfliege, wenn nicht einfach als Erfindung heraus. Gerade auf dem Gebiet der Bauernpolitik gewann der Bankrott der Dritten Internationale besonders anschaulichen Charakter, war er auch im Grunde nur unvermeidliches Ergebnis des Bruches zwischen Komintern und Proletariat.

Die Bauernschaft wird den Weg des revolutionären Kampfes gegen den Krieg nur in dem Fall betreten, wenn sie sich in der Tat von der Fähigkeit der Arbeiter, diesen Kampf zu führen, überzeugt. Der Schlüssel zum Sieg befindet sich folglich in den Fabriken und Betrieben. Das revolutionäre Proletariat muss eine wirkliche Kraft werden, bevor die Bauernschaft und die kleinen Leute aus der Stadt mit ihnen in Reih und Glied marschieren.

56. Das Kleinbürgertum von Stadt und Land ist nicht gleichförmig. Auf seine Seite kann das Proletariat nur dessen unterste Schichten bringen: die armen Bauern, Halbproletarier, kleinen Beamten, Straßenhändler, unterdrückten und zersplitterten Menschengruppen, die kraft all ihrer Daseinsbedingungen der Möglichkeit beraubt sind, einen selbständigen Kampf zu führen. Über diese breite Schicht des Kleinbürgertums ragen seine Spitzen hinaus, die zur Mittel- und Großbourgeoisie hinneigen, und aus denen sich die politischen Karrieristen aussondern, die vom demokratischen und pazifistischen, wie die vorn faschistischen Typ. Solange diese Herren in Opposition stehen, greifen sie zu ungezügeltster Demagogie als zu dem sichersten Mittel, sich später in den Augen der Großbourgeoisie zu höherem Preise loszuschlagen.

Das Verbrechen der Dritten Internationale besteht darin, dass sie den Kampf um den revolutionären Einfluss auf das wirkliche Kleinbürgertum, d.h. auf seine plebejischen Massen, ersetzt durch theaterhafte Blocks mit ihren heuchlerischen, pazifistischen Führern. Statt die letzteren zu diskreditieren, rüstet sie sie mit der Autorität der Oktoberrevolution aus und lässt die unterdrückten niederen Schichten des Kleinbürgertums politisch zum Opfer ihrer verräterischen Spitzen werden.

57. Der revolutionäre Weg zur Bauernschaft geht über die Arbeiter. Um das Vertrauen des Dorfes zu erringen, müssen die fortgeschrittenen Arbeiter selbst wieder Vertrauen zum Banner der proletarischen Revolution gewinnen. Das ist nur zu erreichen durch richtige Politik im Allgemeinen und richtige antimilitaristische Politik im Besonderen.

 

 

Der „Defätismus“ im imperialistischen Krieg

58. In den Fällen, wo es sich um den Kampf kapitalistischer Länder handelt, lehnt das Proletariat jedes dieser Länder entschieden ab, namens des militärischen Sieges der Bourgeoisie seine eigenen geschichtlichen Interessen zu opfern, die letzten Endes mit den Interessen der Nation und der Menschheit zusammenfallen. Lenins Formel: „die Niederlage das kleinere Übel“ bedeutet nicht, dass die Niederlage des eigenen Landes das kleinere Übel sei im Vergleich mit der Niederlage des gegnerischen Landes, sondern dass die durch die Entwicklung der revolutionären Bewegung verursachte militärische Niederlage für das Proletariat und das gesamte Volk unvergleichlich vorteilhafter ist als der durch den „Burgfrieden“ gesicherte militärische Sieg. Karl Liebknecht hat die unübertroffene Formel der proletarischen Politik im Kriege gegeben: „Der Hauptfeind jedes Volkes steht im eigenen Lande“. Die siegreiche proletarische Revolution wird nicht nur die durch die Niederlage verursachten Schäden wieder gut machen, sondern auch eine endgültige Sicherung gegen weitere Kriege und Niederlagen schaffen. Diese dialektische Haltung zum Krieg ist der wichtigste Bestandteil der revolutionären Erziehung und folglich auch des Kampfes gegen den Krieg.

59. Die Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg ist die allgemeine strategische Aufgabe, der die gesamte Arbeit der proletarischen Partei während des Krieges untergeordnet werden muss.

Die Folgen des französisch-preußischen Krieges von 1870-71 wie des imperialistischen Krieges von 1914-18 (Pariser Kommune, Februar- und Oktoberrevolution in Russland, Revolutionen in Deutschland und Österreich-Ungarn, Aufstände in einer Reihe kriegführender Länder) bezeugen unwiderlegbar, dass der heutige Krieg zwischen kapitalistischen Nationen den Klassenkrieg innerhalb jeder Nation nach sich zieht, und dass die Aufgabe der revolutionären Partei darin besteht, in diesem Krieg den Sieg des Proletariats vorzubereiten.

60. Die Erfahrung der Jahre 1914-18 bezeugt ferner, dass die Friedenslosung der strategischen Formel des „Defätismus“ keinesfalls widerspricht, im Gegenteil, gewaltige revolutionäre Kraft zur Entfaltung bringt, besonders bei langer Kriegsdauer. Pazifistischen, d.h. betrügerischen, einschläfernden, lähmenden Charakter trägt die Losung Frieden nur in dem Fall, wenn demokratische und andere Politiker damit jonglieren, wenn die Pfaffen Bittgebete für die baldige Beendigung des Gemetzels gen Himmel senden, wenn die „Menschenfreunde“, darunter auch die Sozialpatrioten, weinerlich ihre Regierungen anflehen, baldigst Frieden zu schließen „auf gerechter Grundlage“. Doch die Friedenslosung hat nichts mit Pazifismus gemein, sobald sie aus den Arbeitervierteln und Schützengräben erhoben wird, mit der Losung der Verbrüderung der Soldaten der feindlichen Heere verknüpft wird, und sie die Unterdrückten gegen die Unterdrücker vereinigt. Der revolutionäre Kampf um den Frieden, der immer massenhaftere und kühnere Formen annimmt, ist einer der Hauptpfade zur „Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“.

 

 

Krieg, Faschismus und die Bewaffnung des Proletariats

61. Krieg erheischt „Burgfrieden“. Den vermag die Bourgeoisie bei den heutigen Verhältnissen nur zu erreichen durch den Faschismus. Somit wird der Faschismus zum wichtigsten politischen Faktor des Krieges. Kampf gegen den Krieg bedingt Kampf gegen den Faschismus. Jedes revolutionäre Programm des Kampfes gegen den Krieg („Defätismus“, „Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“ usw.) wird zu leerem Schall, wenn die proletarische Vorhut sich außerstande erweist, dem Faschismus erfolgreich Widerstand zu leisten.

Vom bürgerlichen Staat die Entwaffnung der faschistischen Banden fordern, wie es die Stalinisten tun, heißt in die Fußstapfen der deutschen Sozialdemokratie und des Austromarximus treten. Gerade Wels und Otto Bauer „verlangen“ vom Staat, er solle die Nazi entwaffnen und so den Frieden im Innern sichern. Eine „demokratische“ Regierung kann zwar – wenn es für sie vorteilhaft ist – einzelne faschistische Gruppen entwaffnen, aber nur, um mit umso größerer Wut die Arbeiter zu entwaffnen oder an der Bewaffnung zu hindern. Morgen schon wird der bürgerliche Staat den gestern „entwaffneten“ Faschisten Gelegenheit geben, doppelt zu rüsten und ihre Waffen auf das wehrlose Proletariat niedersausen zu lassen. Sich an den Staat, d.h. das Kapital, mit dem Verlangen nach Entwaffnung der Faschisten wenden, heißt übelste demokratische Illusionen säen, die Wachsamkeit des Proletariats einschläfern, seinen Willen demoralisieren.

62. Die richtige revolutionäre Politik besteht darin, ausgehend von der Tatsache der Bewaffnung der faschistischen Banden, zum Zwecke des Selbstschutzes bewaffnete Arbeiterabteilungen zu schaffen und unermüdlich die Arbeiter zur Selbstbewaffnung aufzufordern. Hier liegt der Schwerpunkt der gesamten politischen Lage von heute. Die Sozialdemokraten, selbst die linksten, d.h. jene, die bereit sind, die allgemeinen Phrasen von der Revolution und der Diktatur des Proletariats nachzusprechen, gehen entweder vorsichtig um die Frage der Bewaffnung der Arbeiter herum oder erklären diese Aufgabe glatt für „chimerisch“, „abenteuerhaft“, „romantisch“ usw. Sie schlagen an Stelle (!) der Arbeiterbewaffnung Propaganda unter den Soldaten vor, die sie in Wirklichkeit weder betreiben noch zu betreiben fähig sind. Der leere Hinweis auf die Arbeit im Heer dient den Opportunisten lediglich dazu, die Frage der Arbeiterbewaffnung zu begraben.

63. Der Kampf ums Heer ist unbestreitbar der wichtigste Bestandteil des Kampfes um die Macht. Zähe und selbstaufopfernde Arbeit unter den Soldaten ist eine revolutionäre Pflicht jeder wahrhaft proletarischen Partei. Diese Arbeit ist mit von vornherein sicherem Erfolg nur zu leisten unter Voraussetzung einer richtigen Gesamtpolitik der Partei, ganz besonders unter der Jugend. Von gewaltiger Bedeutung für den Erfolg der Arbeit im Heer ist in den Ländern mit starker Landbevölkerung das Agrarprogramm der Partei und ein System von Übergangsforderungen überhaupt, welche die Grundinteressen der kleinbürgerlichen Massen berühren und diesen die rettende Perspektive aufzeigen.

64. Es wäre jedoch kindisch, zu glauben, man könne durch bloße Propaganda die gesamte Armee auf die Seite des Proletariats ziehen und dadurch die Revolution unnötig machen. Das Heer ist ungleichartig und seine ungleichartigen Elemente werden durch das eiserne Band der Disziplin zusammengehalten. Die Propaganda kann im Heer revolutionäre Zellen schaffen und um die Sympathie der vorgeschrittensten Soldaten werben. Mehr können Propaganda und Agitation nicht leisten. Damit rechnen, das Heer werde aus eigenem Antrieb die Arbeiterorganisationen vor dem Faschismus schützen oder gar den Übergang der Macht in die Hände des Proletariats sichern, hieße die rauhen Lehren der Geschichte gegen süße Illusionen eintauschen. Das Heer kann in der Revolutionsepoche in seinen entscheidenden Teilen auf die Seite des Proletariats treten nur in dem Falle, wenn das Proletariat selbst der Armee tatkräftig seine Bereitschaft und Fähigkeit zum Kampf um die Macht bis zum letzten Blutstropfen beweist. Solch ein Kampf setzt notwendigerweise die Bewaffnung des Proletariats voraus.

65. Aufgabe der Bourgeoisie ist es, das Proletariat von der Gewinnung des Heeres abzuhalten. Diese Aufgabe löst der Faschismus nicht ohne Erfolg mittels bewaffneter Verbände. Die unmittelbare nächste Tagesaufgabe des Proletariats ist nicht die Machteroberung, sondern die Verteidigung seiner Organisationen vor den faschistischen Banden, hinter denen in gewissem Abstand der kapitalistische Staat steht. Wer behauptet, die Arbeiter seien nicht in der Lage, sich zu bewaffnen, der spricht damit aus: die Arbeiter sind dem Faschismus gegenüber wehrlos. Dann soll man nicht von Sozialismus, proletarischer Revolution, Kampf gegen den Krieg reden. Dann soll man das kommunistische Programm zerreißen und über den Marxismus das Kreuz setzen.

66. Sich vor der Aufgabe der Arbeiterbewaffnung zu drücken ist kein Revolutionär imstande, sondern ein impotenter Pazifist, morgen Kapitulant vor Faschismus und Krieg. An sich ist die Sache der Bewaffnung – wie die Geschichte bezeugt – durchaus lösbar. Wenn die Arbeiter richtig einsehen, dass es um Leben und Sterben geht, werden sie sich schon Waffen verschaffen. Ihnen die politische Lage zu erklären, ohne etwas zu verschleiern oder zu mildern, alle Trostlügen auszumerzen, das ist die erste Pflicht einer revolutionären Partei. Wie kann man sich denn tatsächlich anders vor dem Todfeind verteidigen, als indem man auf jedes faschistische Messer zwei Messer und auf jeden Revolver zwei Revolver setzt? Schaffen sich die Faschisten Gewehre an, so müssen die Arbeiter die gleichen Waffen haben. Eine andere Antwort gibt es nicht und kann es nicht geben.

67. Woher die Waffen nehmen? Vor allem von den Faschisten selbst. Die Entwaffnung der Faschisten ist eine schändliche Losung, wenn sie an die bürgerliche Polizei gerichtet wird. Die Entwaffnung der Faschisten ist eine ausgezeichnete Losung, sobald sie sich an die revolutionären Arbeiter wendet. Doch die faschistischen Arsenale sind nicht die einzige Quelle. Das Proletariat hat Hunderte und tausende Kanäle zu seiner Selbstbewaffnung. Man vergesse nicht, dass es doch die Arbeiter und nur sie sind, die mit eigener Hand sämtliche Waffensorten herstellen. Nötig ist nur, dass die proletarische Vorhut klar begriffen hat, dass sie der Aufgabe der Selbstbewaffnung nicht aus dem Wege gehen darf. Pflicht der revolutionären Partei ist es, die Initiative zur Bewaffnung von Arbeiterkampfabteilungen zu ergreifen. Dazu aber muss sie zu aller erst sich selbst von allen Formen des Skeptizismus, der Unentschlossenheit und des pazifistischen Gefasels in der Frage der Arbeiterbewaffnung freimachen.

68. Die Losung der Arbeitermiliz oder Selbstschutzstaffeln hat nur soweit revolutionären Sinn, als es eine bewaffnete Miliz gibt; sonst sinkt sie zu Theatervorstellungen, Paraden herab, wird folglich zum Selbstbetrug. Selbstverständlich wird die Bewaffnung in der ersten Zeit recht primitiv sein. Die ersten Arbeiterselbstschutzstaffeln werden weder über Haubitzen, noch Tanks, noch Flugzeuge verfügen. Jedoch am 6. Februar haben in Paris, dem Zentrum eines mächtigen Militärstaats, mit Revolvern und auf Stöcken befestigten Rasiermessern ausgerüstete Banden das Parlament fast erstürmt und den Sturz der Regierung herbeigeführt. Ähnliche Banden können die Redaktionen der proletarischen Zeitungen oder die Gewerkschaftshäuser verwüsten. Die Stärke des Proletariats liegt in seiner Zahl. In den Händen der Masse kann selbst die primitivste Waffe Wunder vollbringen. Bei günstigen Umständen kann sie den Weg zu vollkommenerer Bewaffnung bahnen.

69. Die Losung der Einheitsfront entartet zu einer zentristischen Phrase, wird sie bei den heutigen Verhältnissen nicht ergänzt durch die Propaganda und die praktische Anwendung ganz bestimmter Methoden des Kampfes mit dem Faschismus. Die Einheitsfront ist nötig vor allem für die Schaffung örtlicher Verteidigungsausschüsse. Die Verteidigungsausschüsse sind notwendig für den Aufbau und den Zusammenschluss von Staffeln der Arbeitermiliz. Diese Staffeln müssen bereits bei ihren ersten Schritten Waffen suchen und finden. Die Selbstschutzstaffeln sind nur eine Etappe auf dem Wege zur Bewaffnung des Proletariats. Andere Wege kennt die Revolution überhaupt nicht.

 

 

Die revolutionäre Politik gegen den Krieg

70. Erste Vorbedingung des Erfolges ist die Erziehung der Parteikader im richtigen Verständnis für alle Bedingungen des imperialistischen Krieges und alle ihn begleitenden Prozesse. Wehe der Partei, die in dieser brennenden Frage sich auf allgemeine Phrasen und abstrakte Losungen beschränkt! Die blutigen Ereignisse werden sich über ihrem Haupt entladen und sie zermalmen.

Notwendig ist die Schaffung spezieller Zirkel zum Studium der politischen Erfahrung des Krieges 1914-18 (ideologische Vorbereitung des Krieges durch den Imperialismus, Falschunterrichtung der öffentlichen Meinung durch die Stäbe über die patriotische Presse, Rolle der Antithese: Verteidigung und Angriff, Gruppierungen im proletarischen Lager, Isolierung der marxistischen Elemente, usw. usw.).

71. Für die revolutionäre Partei besonders kritisch ist der Augenblick des Kriegsausbruchs. Die bürgerliche und die sozialpatriotische Presse wird im Bund mit Radio und Kino die Werktätigen mit Stürmen chauvinistischen Gifts überschütten. Die revolutionärste und gestählteste Partei wird in einem solchen Augenblick nicht vollständig standhalten können. Die heutige durch und durch verfälschte Geschichte der bolschewistischen Partei dient nicht dazu, die fortgeschrittenen Arbeiter realistisch auf die Prüfung vorzubereiten, sondern sie mit einem erfundenen Idealschema einzulullen.

Obgleich das zaristische Russland weder als eine Demokratie, noch als Kulturträger, noch endlich als die sich verteidigende Seite angesprochen werden konnte, ließ die bolschewistische Dumafraktion gemeinsam mit der menschewistischen zu Kriegsbeginn eine sozialpatriotische Erklärung vom Stapel, verdünnt mit rosarotem pazifistischen Internationalismus. Die bolschewistische Fraktion bezog bald eine revolutionäre Stellung, doch im Gerichtsprozess gegen die Fraktion grenzten sich außer Muranow alle angeklagten Abgeordneten mitsamt ihrem theoretischen Anführer Kamenjew kategorisch ab von der defätistischen Theorie Lenins. Die illegale Arbeit der Partei war in der ersten Zeit beinahe erstorben. Erst allmählich erschienen revolutionäre Aufrufe, welche die Arbeiter, durchaus ohne defätistische Losungen aufzustellen, unter das Banner des Internationalismus riefen.

Die beiden ersten Kriegsjahre untergruben gehörigst den Patriotismus der Massen und schoben die Partei nach links. Aber die Februarrevolution, die Russland in eine Demokratie verwandelte, erzeugte eine neue mächtige Welle von „revolutionärem“ Patriotismus. In ihrer überwiegenden Mehrzahl hielten die Spitzen der bolschewistischen Partei auch diesmal nicht stand. Stalin und Kamenjew gaben im März 1917 dem Zentralorgan der Partei eine sozialpatriotische Richtung. Auf Grund dessen vollzog sich in den meisten Städten geradezu eine Verschmelzung der bolschewistischen und menschewistischen Organisationen. Es bedurfte des Protestes der festesten Revolutionäre, hauptsächlich der fortgeschrittenen Bezirke Petrograds, es bedurfte der Ankunft Lenins in Russland und seines unversöhnlichen Kampfes gegen den Sozialpatriotismus, damit die Partei ihre internationalistische Front wieder ausrichtete. So war es um die beste, die revolutionärste und gestählteste Partei bestellt.

72. Das Studium der geschichtlichen Erfahrung des Bolschewismus ist von unschätzbarer erzieherischer Bedeutung für die fortgeschrittenen Arbeiter: es zeigt ihnen all die Gewalt des Drucks der bürgerlichen öffentlichen Meinung, den sie zu überwinden haben, und lehrt sie gleichzeitig, nicht zu verzagen, nicht die Waffen zu strecken, nicht den Mut zu verlieren trotz völliger Isolierung bei Beginn des Krieges.

Nicht weniger sorgfältig will der Kampf der politischen Gruppierungen im Proletariat der anderen Länder studiert sein, der kriegführenden sowohl wie der neutralen. Besonders bedeutsam ist die Erfahrung des Kampfes Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts in Deutschland, wo die Ereignisse eine andere Richtung nahmen als in Russland, letzten Endes aber zu derselben Schlussfolgerung führen: man muss lernen, gegen den Strom zu schwimmen.

73. Notwendig ist, sorgfältig zu folgen der heute vor sich gehenden patriotischen Vorbereitung des Kanonenfutters; den diplomatischen Spiegelfechtereien, die zur Aufgabe haben, die Verantwortung auf den Gegner abzuschieben; den treulosen Formeln der eindeutigen und der heimlichen Sozialpatrioten, die sich eine Brücke bauen vom Pazifismus zum Militarismus; den leeren Losungen der „kommunistischen“ Führer, die schon am ersten Kriegstage nicht weniger kopflos sein werden als die deutschen „Führer“ in der Nacht des Reichstagsbrandes.

74. Notwendig ist, aufmerksam die bezeichnendsten Stellen aus den Regierungs- und Oppositionsartikeln und -reden zu sammeln und an der Erfahrung des vergangenen Krieges zu messen, voraus zu erraten, welche Richtung der Volksbetrug fernerhin einschlagen wird, dann die Voraussicht zu untermauern durch das Zeugnis der Tatsachen, die proletarische Vorhut zu lehren, sich selbständig in den Ereignissen zurechtzufinden, um nicht unvermutet überrumpelt zu werden.

75. Die Verstärkung der Agitation gegen Imperialismus und Militarismus soll nicht von abstrakten Formeln ausgehen, sondern von den konkreten, Massen berührenden Tatsachen. Notwendig ist, nicht nur den öffentlichen Militärhaushalt zu entlarven, sondern auch alle maskierten Formen des Militarismus; keine Kriegsmanöver, Kriegslieferungen, -bestellungen usw. dürfen ohne Proteste bleiben.

Notwendig ist, durch gut vorbereitete Arbeiter wieder und wieder die Frage der Kriegsgefahr und des Kampfes gegen sie in ausnahmslos allen Organisationen des Proletariats und in der Arbeiterpresse aufzuwerfen und von den Führern klare und konkrete Antworten zu fordern auf die Frage: was tun?

76. Um das Vertrauen der Jugend zu gewinnen, muss man nicht nur der Vergiftung der Geister durch die Sozialdemokratie und den stumpfsinnigen Bürokratismus der Dritten Internationale Kampf auf Leben und Tod ansagen, sondern auch wirklich eine internationale Organisation schaffen, die sich tatsächlich auf das kritische Denken und das selbständige revolutionäre Handeln der neuen Generation stützt.

Notwendig ist, die Arbeiterjugend aufzurütteln gegen alle Arten und Formen ihrer Militarisierung durch den bürgerlichen Staat. Gleichzeitig damit muss man sie mobilisieren und militarisieren im Interesse der Revolution (Verteidigungsausschüsse gegen den Faschismus, rote Kampfstaffeln, Arbeitermiliz, Kampf um die Bewaffnung des Proletariats).

77. Um revolutionäre Positionen in den Gewerkschaften und anderen Arbeitermassenorganisationen zu erringen, muss man unerbittlich mit dem bürokratischen Ultimatismus aufräumen, die Arbeiter nehmen, wo sie sind und wie sie sind, sie vorwärts führen von den Teilaufgaben zu den allgemeinen, von der Verteidigung zum Angriff, von den patriotischen Vorurteilen zum Sturz des bürgerlichen Staates.

Da die Spitze der Gewerkschaftsbürokratie in den meisten Ländern im Westen einen inoffiziellen Bestandteil der kapitalistischen Polizei darstellt, müssen die Revolutionäre es verstehen, sie unversöhnlich zu bekämpfen, die legale Tätigkeit mit der illegalen, Kampfesmut mit konspirativer Vorsicht verbindend.

Nur durch diese kombinierten Methoden kann man um das revolutionäre Banner die Arbeiterklasse, angefangen mit ihrer Jugend, wirklich vereinigen, sich den Weg in die kapitalistischen Kasernen bahnen und alle Unterdrückten aufrütteln.

78. Der Kampf gegen den Krieg kann nur in dem Fall wahrhaft breiten, massenhaften, volksmäßigen Charakter gewinnen, wenn an ihm teilnimmt die Arbeiterin, die Bäuerin, die werktätige Frau. Die bürgerliche Degeneration der Sozialdemokratie, wie die bürokratische Entartung der Dritten Internationale trafen am schwersten die unterdrücktesten und rechtlosesten Schichten des Proletariats, d.h. vor allem die arbeitenden Frauen. Sie wecken, ihr Vertrauen erobern, ihnen den richtigen Weg weisen, heißt gegen den Militarismus die revolutionären Leidenschaften der unterdrücktesten Teile der Menschheit mobilisieren.

Die Antikriegsarbeit unter den Frauen muss im Besonderen den Ersatz der einberufenen Männer durch revolutionäre Arbeiterinnen sichern, auf die im Kriegsfall unvermeidlich ein bedeutender Teil der Partei- und Gewerkschaftsarbeit übergehen muss.

79. Wenn es nicht in den Kräften des Proletariats liegen wird, den Krieg durch das Mittel der Revolution zu verhindern – dies aber ist das einzige Mittel, den Krieg zu verhindern –, so sind die Arbeiter, zusammen mit dem ganzen Volk, gezwungen, an Heer und Krieg teilzunehmen. Die individualistischen und anarchistischen Losungen der Kriegsdienstverweigerung, des passiven Widerstandes, der Fahnenflucht, der Sabotage widersprechen von Grund auf den Methoden der proletarischen Revolution. Aber wie sich in der Fabrik der fortgeschrittene Arbeiter als Sklave des Kapitals fühlt, der seine Befreiung vorbereitet, so weiß er sich auch im kapitalistischen Heer Sklave des Imperialismus. Gezwungen, heute Kraft und selbst Leben hinzugeben, lässt er sich sein revolutionäres Bewusstsein nicht nehmen. Er bleibt ein Kämpfer, lernt, mit der Waffe umzugehen, erläutert auch in den Schützengräben den Klassensinn des Krieges, sammelt die Unzufriedenen, schließt sie zu Zellen zusammen, ist ein Verbreiter der Ideen und Losungen der Partei, verfolgt wachsam die Veränderungen in der Massenstimmung, das Abflauen der patriotischen Welle, das Anwachsen der Auflehnung, um im kritischen Augenblick die Soldaten zur Unterstützung der Arbeiter zu erheben.

 

 

Die Vierte Internationale und der Krieg

80. Kampf gegen den Krieg setzt eine revolutionäre Kampfeswaffe voraus, d.h. die Partei. Sie gibt es jetzt weder im nationalen noch im internationalen Maßstab. Die revolutionäre Partei ist zu schaffen, indem man sich auf die gesamte Erfahrung der Vergangenheit stützt, darunter auch auf die Erfahrung der Zweiten und der Dritten Internationale, Ablehnung des unmittelbaren und offenen Kampfes um die neue Internationale bedeutet bewusste oder unbewusste Unterstützung der zwei bestehenden Internationalen, von denen die eine aktiv den Krieg unterstützen wird, die andere aber die proletarische Vorhut nur zu zersetzen und zu schwächen vermag.

81. In den Reihen der sogenannten Komparteien verbleiben zwar nicht wenig ehrliche revolutionäre Arbeiter. Die Zähigkeit, mit der sie an der Dritten Internationale festhalten, erklärt sich in vielen Fällen durch revolutionäre Ergebenheit, die nicht den richtigen Weg fand. Sie um das Banner der neuen Internationale scharen kann man jedoch nicht durch Zugeständnisse, Anpassungen an die ihnen aufgepfropften Vorurteile, sondern umgekehrt, durch die folgerichtige Bloßstellung der verheerenden internationalen Rolle des Stalinismus (bürokratischen Zentrismus). Besonders grell und unversöhnlich muss man dabei heute die Kriegsfragen stellen.

82. Notwendig ist, zugleich aufmerksam den Kampf innerhalb des reformistischen Lagers zu verfolgen und rechtzeitig die sich zur Revolution hinentwickelnden linkssozialistischen Gruppierungen in den Kampf gegen den Krieg einzureihen, Das wichtigste Merkmal für die Bestimmung der Tendenzen der betreffenden Organisation ist ihr praktisches, aktives Verhalten zur nationalen Verteidigung und zu den Kolonien, insbesondere in den Fällen, wo die Bourgeoisie des betreffenden Landes über Kolonialsklaven herrscht. Nur der vollständige und wirkliche Bruch mit der offiziellen öffentlichen Meinung in der brennendsten Frage der „Vaterlandsverteidigung“ ist gleichbedeutend mit dem Übergang, oder wenigstens dem Anfang eines Übergangs, von der bürgerlichen Einstellung zur proletarischen. Die Annäherung derartiger linker Organisationen muss begleitet sein von freundschaftlicher Kritik an jeder Halbheit in ihrer Politik und gemeinsamer Bearbeitung aller theoretischen und praktischen Probleme des Krieges.

83. Im Lager der Arbeiterbewegung treiben sich nicht wenig Politiker herum, die wohl in Worten dem Zusammenbruch der Zweiten und der Dritten Internationale anerkennen, aber gleichzeitig finden, „heute ist nicht die Zeit“, an den Aufbau der neuen Internationale zu schreiten. Solch eine Stellungnahme kennzeichnet nicht einen revolutionären Marxisten, sondern einen ausgelaugten Stalinisten oder enttäuschten Reformisten. Der revolutionäre Kampf duldet keine Unterbrechung. Die Umstände mögen ihm heute ungünstig sein; doch ein Revolutionär, der nicht gegen den Strom zu schwimmen versteht, ist kein Revolutionär. Zu sagen, der Aufbau der neuen Internationale sei „unzeitgemäß“, ist dasselbe wie den Klassenkampf und im Besonderen den Kampf gegen den Krieg für unzeitgemäß zu erklären. Die proletarische Politik kann nicht umhin, sich in der heutigen Epoche internationale Aufgaben zu stellen. Die internationalen Aufgaben können nicht umhin, den Zusammenschluss internationaler Kader zu heischen. Diese Arbeit kann man nicht um einen Tag aufschieben, ohne vor dem Imperialismus zu kapitulieren.

84. Wann nun gerade der Krieg ausbrechen und in welchem Stadium er den Aufbau der neuen Parteien und der Vierten Internationale vorfinden wird, das wird selbstverständlich niemand vorhersagen: man muss alles tun, damit die Vorbereitung der proletarischen Revolution rascher gehe als die Vorbereitung des neuen Krieges. Möglich jedoch, dass der Militarismus auch diesmal die Revolution überflügelt. Aber auch ein solcher Verlauf, der große Opfer und Verwüstungen in sich schließt, enthebt uns keinesfalls der Verpflichtung, unverzüglich die neue Internationale aufzubauen. Die Verwandlung des imperialistischen Krieges in die proletarische Revolution wird umso schneller gehen, je weiter unsere Vorbereitungsarbeit vorgeschritten sein wird, je stärkere revolutionäre Kader schon zu Kriegsanfang da sein werden, je planmäßiger sie die Arbeit in allen kriegführenden Ländern betreiben, je sicherer ihre Arbeit fußen wird auf richtigen strategischen, taktischen und Organisationsprinzipien.

85. Der imperialistische Krieg wird beim ersten Schlag das altersschwache Rückgrat der Zweiten Internationale zerschmettern und ihre nationalen Sektionen in Stücke spalten. Er wird endgültig die Hohlheit und Ohnmacht der Dritten Internationale kundtun. Aber er wird auch alle die auf Halbheit beruhenden zentristischen Gruppierungen nicht verschonen, die dem Problem der Internationale ausweichen, rein nationale Wurzeln suchen, keine einzige Frage ganz lösen, einer Perspektive entbehren und sich einstweilen lediglich von der Gärung und Verwirrung in der Arbeiterklasse nähren.

Selbst wenn zu Beginn des neuen Krieges die echten Revolutionäre wiederum in kleiner Minderheit sein werden, so kann man doch nicht eine Minute lang daran zweifeln, dass diesmal das Einschwenken der Massen auf die Straße der Revolution sehr viel rascher, entschiedener und schonungsloser vor sich gehen wird als während des ersten imperialistischen Krieges. Die neue Aufstandswelle kann und muss siegreich werden in der gesamten kapitalistischen Welt.

Unbestreitbar ist jedenfalls, dass in unserer Epoche tiefe Wurzeln im nationalen Boden allein die Organisation schlagen kann, die sich auf internationale Prinzipien stützt und dem Gefüge einer Weltpartei des Proletariats eingegliedert ist. Kampf gegen den Krieg bedeutet heute Kampf um die Vierte Internationale!

 


Zuletzt aktualiziert am 21.7.2008