Leo Trotzki

 

Der einzige Weg


VI. Was sagt man in Prag über die Einheitsfront?

„Als im Jahre 1926 die Kommunistische Internationale mit den sozialdemokratischen Führern eine Einheitsfront bildete, tat sie es, um sie vor den Massen der Anhänger zu entlarven, und damals war Trotzki schrecklich dagegen“, schrieb am 27. Februar dieses Jahres das Zentralorgan der tschechoslowakischen KP, Rude Pravo, im Namen eines angeblichen Arbeiterkorrespondenten „an der Werkbank“. „Jetzt, wo sich die Sozialdemokratie durch ihre zahllosen Verrätereien in den Arbeiterkämpfen so diskreditiert hat, schlägt Trotzki die Einheitsfront mit ihren Führern vor ... Trotzki ist heute gegen das Anglorussische Komitee von 1926, aber für irgendein ‚Anglorussisches Komitee‘ von 1932.“

Diese Zeilen führen uns direkt zum Kern der Frage. Im Jahre 1926 suchte die Komintern die reformistischen Führer mit Hilfe der Einheitsfrontpolitik zu „entlarven“, und das war richtig. Seither aber hat sich die Sozialdemokratie „diskreditiert“. Vor wem? Es folgen ihr noch immer mehr Arbeiter als der Kommunistischen Partei. Das ist traurig, aber wahr. Die Aufgabe, die reformistischen Führer zu entlarven, ist also noch nicht gelöst. War die Methode der Einheitsfront im Jahre 1926 gut, warum soll sie 1932 schlecht sein?

„Trotzki ist für ein Anglorussisches Komitee von 1932, gegen das Anglorussische Komitee von 1926.“ Im Jahre 1926 war die Einheitsfront nur von oben geschlossen worden, zwischen den Führern der Sowjetgewerkschaften und den britischen Tradeunionisten, nicht im Namen bestimmter praktischer Aktionen der voneinander durch Staatsgrenzen und soziale Bedingungen getrennten Massen, sondern auf Basis einer freundschaftlich-diplomatischen, pazifistischen, zweideutigen „Plattform“. Während des Bergarbeiterstreiks und des späteren Generalstreiks konnte das Anglorussische Komitee gar nicht zusammentreten, denn die „Verbündeten“ zogen nach zwei entgegengesetzten Richtungen: die Sowjetgewerkschaften waren bestrebt, den Streikenden beizustehen, die britischen Tradeunionisten suchten den Streik zu brechen. Die von den russischen Arbeitern gesammelten, ansehnlichen Beträge wies der Generalrat als „verfluchtes Geld“ zurück. Erst nachdem der Streik endgültig verraten und gebrochen war, traf sich das Anglorussische Komitee wieder zum fälligen Bankett, um nichtssagende Phrasen auszutauschen.

So diente die Politik des Anglorussischen Komitees dazu, die reformistischen Streikbrecher vor den Arbeitermassen zu decken.

Gegenwärtig handelt es sich um etwas ganz anderes. In Deutschland stehen die sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiter auf gleichem Boden, vor der gleichen Gefahr. Sie sind in Betrieben, Gewerkschaftsverbänden, auf den Stempelstellen usw. untereinandergemischt. Es handelt sich hier nicht um eine verbale „Plattform“ der Führer, sondern um ganz konkrete Aufgaben, deren Lösung die Massenorganisationen unmittelbar in den Kampf ziehen muss.

Es ist zehnmal so schwierig, die Einheitsfrontpolitik in nationalem, statt in lokalem Maßstab zu führen, hundertmal schwieriger, sie in internationalem statt in nationalem Maßstab zu führen. Sich mit britischen Reformisten für eine so allgemeine Losung wie „Verteidigung der UdSSR“ oder „Verteidigung der chinesischen Revolution“ vereinigen heißt, das Blaue vom Himmel herunterreden. In Deutschland dagegen besteht die unmittelbare Gefahr der Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, die sozialdemokratischen inbegriffen. Es wäre illusionär, anzunehmen, die Sozialdemokratie werde gegen die deutsche Bourgeoisie für die Verteidigung der Sowjetunion kämpfen. Man kann aber sehr wohl erwarten, dass die Sozialdemokratie für die Verteidigung ihrer Mandate, ihrer Versammlungen, Zeitungen, Kassen und schließlich ihrer eigenen Köpfe kämpfen wird.

Aber auch in Deutschland empfehlen wir keineswegs, in Einheitsfront-Fetischismus zu verfallen. Ein Abkommen ist ein Abkommen. Es bleibt so lange bestehen, wie es dem praktischen Ziel dient, zu dessen Erreichung es beschlossen wurde. Beginnen die Reformisten, die Bewegung zu bremsen oder zu sabotieren, müssen sich die Kommunisten immer die Frage stellen: Ist es nicht Zeit, das Abkommen zu zerreißen und die Massen unter unserem eigenen Banner weiterzuführen? Eine solche Politik ist nicht einfach. Aber wer behauptet, das Proletariat zum Siege zu führen sei eine einfache Aufgabe? Rude Pravo beweist durch die Gegenüberstellung von 1926 und 1932 lediglich sein Unverständnis für das, was sich vor sechs Jahren ereignete, wie dafür, was heute geschieht.

Der „Arbeiterkorrespondent“ von der imaginären Werkbank wendet seine Aufmerksamkeit auch dem von mir angeführten Beispiel des Abkommens der Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow zu. „Damals“, schreibt er, „kämpfte Kerenski wirklich eine gewisse Zeit gegen Kornilow und half dem Proletariat zugleich, Kerenski niederzuschlagen. Dass die deutsche Sozialdemokratie heute gegen den Faschismus nicht kämpft, sieht jedes kleine Kind.“

Der einem „kleinen Kind“ ganz unähnliche Thälmann behauptet, ein Abkommen der russischen Bolschewiki mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären gegen Kornilow habe überhaupt nie bestanden. Rude Pravo verfolgt, wie wir sehen, einen anderen Weg. Es leugnet das Abkommen nicht. Aber seiner Auffassung nach war das Abkommen dadurch gerechtfertigt, dass Kerenski wirklich gegen Kornilow kämpfte, während die Sozialdemokratie dem Faschismus den Weg zur Macht bereitet. Die Idealisierung Kerenskis ist hier völlig überraschend. Wann fing Kerenski an, gegen Kornilow zu kämpfen? Im selben Augenblick, als Kornilow den Kosakensäbel über Kerenskis eigenem Haupte schwang, d.h. am Abend des 26. August 1917. Noch am Tage zuvor stand Kerenski direkt mit Kornilow im Komplott, um gemeinschaftlich die Petrograder Arbeiter und Soldaten niederzuschlagen. Wenn Kerenski gegen Kornilow zu „kämpfen“ begann oder, richtiger gesagt, eine Zeitlang dem Kampfe gegen Kornilow keinen Widerstand entgegensetzte, so nur, weil die Bolschewiki ihm keinen anderen Ausweg ließen. Dass die Verschwörer Kornilow und Kerenski miteinander brachen und in offenen Konflikt gerieten, war zu einem gewissen Grade eine Überraschung. Dass es zwischen dem deutschen Faschismus und der Sozialdemokratie zu einem Zusammenstoß kommt, konnte und musste man voraussehen, sei es auch nur auf Grund der italienischen und polnischen Erfahrung. Warum durfte man das Abkommen mit Kerenski gegen Kornilow schließen, und warum ist es unstatthaft, ein Abkommen mit den sozialdemokratischen Massenorganisationen zu predigen, zu verteidigen, zu unterstützen und vorzubereiten? Warum muss man solche Abkommen überall zerschlagen, wo sie zustande gekommen sind? Gerade das tun aber Thälmann und Co.

Rude Pravo hat sich natürlich mit Heißhunger auf meine Worte gestürzt, dass man ein Abkommen über Kampfaktionen auch mit dem Teufel, seiner Großmutter und selbst mit Noske und Grzesinski schließen könne. „Seht, kommunistische Arbeiter“, schreibt das Blatt, „Ihr müsst Euch also mit Grzesinski verständigen, der schon so viele Eurer Kampfgenossen erschossen hat. Verständigt Euch nur mit ihm darüber, wie er gemeinsam mit Euch gegen die Faschisten kämpfen wird, mit denen zusammen er auf Banketten und in den Verwaltungsräten der Fabriken und Banken sitzt“. Die ganze Frage wird hier auf die Ebene einer falschen Sentimentalität verschoben. Ein solcher Einwand ist würdig eines Anarchisten, eines alten russischen linken Sozialrevolutionärs, eines „revolutionären Pazifisten“ oder Münzenbergs selbst. Von Marxismus ist hier kein Schimmer.

Zuerst: ist es richtig, dass Grzesinski ein Arbeiterhenker ist? Unbedingt richtig. Aber war denn Kerenski nicht in viel größerem Maße als Grzesinski ein Henker der Arbeiter und Bauern? Dennoch billigt Rude Pravo nachträglich das Bündnis mit Kerenski.

Den Henker gegen die Arbeiter zu unterstützen, ist ein Verbrechen, wenn nicht Verrat; gerade darin bestand das Bündnis Stalins mit Tschiang Kai-schek. Würde sich aber der gleiche chinesische Henker morgen im Kriege mit den japanischen Imperialisten befinden, so wären praktische Kampfabkommen der chinesischen Arbeiter mit dem Henker Tschiang Kai-schek vollkommen zulässig und sogar eine Pflicht.

Saß Grzesinski gemeinsam mit den Faschisten bei Banketten? Ich weiß es nicht, aber es kann sein. Grzesinski musste nachher im Berliner Gefängnis sitzen, freilich nicht im Namen des Sozialismus, sondern nur, weil er nicht sehr geneigt war, sein warmes Plätzchen den Bonapartisten und Faschisten abzutreten. Hätte die Kommunistische Partei wenigstens vor einem Jahre offen erklärt: gegen die faschistischen Mordbuben sind wir bereit, sogar mit Grzesinski zusammen zu kämpfen; hätte sie dieser Formel kämpferischen Charakter verliehen, sie in Reden und Artikeln entwickelt, tief in die Massen hineingetragen, so hätte Grzesinski sich im Juli zur Verteidigung seiner Kapitulation vor den Arbeitern nicht auf die Sabotage der Kommunistischen Partei berufen können. Er hätte entweder auf den einen oder anderen aktiven Schritt eingehen oder sich vor den Augen der eigenen Arbeiter hoffnungslos kompromittieren müssen. Ist das nicht klar?

Gewiss, selbst wenn Grzesinski durch die Logik seiner Lage und den Druck der Massen in den Kampf hineingezogen würde, wäre er ein äußerst unzuverlässiger, durch und durch falscher Verbündeter. Sein Leitgedanke wäre, so rasch wie möglich vom Kampf oder vom halben Kampf zur Verständigung mit den Kapitalisten überzugehen. Doch in Bewegung gebrachte Massen, selbst die sozialdemokratischen, machen keineswegs so leicht halt wie gekränkte Polizeipräsidenten. Die Annäherung zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern im Kampf würde den kommunistischen Parteiführern eine viel breitere Einflussnahme auf die sozialdemokratischen Arbeiter gestatten, vor allem angesichts der gemeinsamen Gefahr. Und darin besteht ja gerade das Endziel der Einheitsfront.

Nur rückgratlose Zentristen vom Schlage der SAP können die gesamte Politik des Proletariats auf Abkommen mit den reformistischen Organisationen oder schlimmer noch auf die abstrakte Losung der „Einheit“ reduzieren. Für den Marxisten ist die Einheitsfrontpolitik nur eine der Methoden im Klassenkampf. Unter gewissen Umständen wird diese Methode vollständig unbrauchbar: es wäre unsinnig, mit den Reformisten ein Abkommen für die sozialistische Revolution schließen zu wollen. Es gibt aber Bedingungen, unter denen die Ablehnung der Einheitsfront die revolutionäre Partei auf viele Jahre hinaus zugrunde richten kann. So ist gegenwärtig die Lage in Deutschland.

Die größten Schwierigkeiten und Gefahren birgt, wie wir oben schon sagten, die Einheitsfront im internationalen Maßstab, wo die Formulierung der praktischen Aufgaben und die Organisierung der Massenkontrolle schwieriger ist. So stehen die Dinge vor allem in der Frage des Kampfes gegen den Krieg. Die Aussichten auf gemeinsame Aktionen sind hier weitaus geringer, die Möglichkeiten der Reformisten und Pazifisten, auszuweichen und zu betrügen, sind weitaus größer. Damit wollen wir natürlich nicht behaupten, die Einheitsfront sei auf diesem Gebiet ausgeschlossen. Im Gegenteil; wir haben gefordert, die Komintern möge sich sofort und direkt an die Zweite und die Amsterdamer Internationale wenden mit dem Vorschlag eines gemeinsamen Antikriegskongresses. Aufgabe der Komintern wäre dabei gewesen, möglichst konkrete Pflichten festzulegen, die in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen Umständen erfüllt werden müssen. Hätte die Sozialdemokratie an einem Kongress teilnehmen müssen, so könnte die Frage des Krieges bei richtiger Politik unsererseits wie ein scharfer Keil in ihre Reihen hineingetrieben werden.

Die erste Vorbedingung dazu ist volle politische und organisatorische Klarheit. Es geht um ein Abkommen zwischen proletarischen Millionenorganisationen, die heute noch durch tiefe prinzipielle Gegensätze voneinander geschieden sind. Keinerlei zweideutige Mittler, keine diplomatischen Maskierungen und leeren pazifistischen Formeln!

Die Komintern hat aber auch diesmal für richtig befunden, dem Abc des Marxismus zuwiderzuhandeln: während sie es ablehnte, mit den reformistischen Internationalen in offene Unterhandlungen zu treten, begann sie hinter den Kulissen Verhandlungen mit Friedrich Adler durch ... den pazifistischen Belletristen und Wirrkopf ersten Ranges Henri Barbusse. Als Ergebnis dieser Politik versammelte Barbusse in Amsterdam halbmaskierte kommunistische oder „verwandte“, „sympathisierende“ Organisationen und Gruppen, dazu pazifistische Einzelgänger aller Länder. Die Ehrlichsten und Aufrichtigsten unter den letzteren – und das ist die Minderheit – können, jeder für sich, sagen: „Ich und meine Konfusion“. Wer brauchte dazu diese Maskerade, diesen Jahrmarkt von Intellektuelleneitelkeit, diese Münzenbergerei, die in politische Scharlatanerie übergeht? [1*]

Kehren wir aber nach Prag zurück. Fünf Monate nach dem Erscheinen des oben besprochenen Artikels druckte die gleiche Zeitung den Artikel eines Parteiführers, Klement Gottwald, ab, der den Charakter eines Aufrufs zu Kampfabkommen an die tschechischen Arbeiter verschiedener Richtungen trägt. Die faschistische Gefahr bedrohe ganz Mitteleuropa; den Ansturm der Reaktion könne nur die Einigkeit des Proletariats abschlagen; man dürfe keine Zeit versäumen, es sei schon „fünf Minuten vor Zwölf“. Der Aufruf ist sehr leidenschaftlich geschrieben. Leider beteuert Gottwald aber im Gefolge von Seydewitz und Thälmann, er verfolge nicht Parteiinteressen, sondern Klasseninteressen; eine solche Gegenüberstellung gehört ganz und gar nicht in den Mund eines Marxisten. Gottwald brandmarkt die Sabotage der sozialdemokratischen Führer. Natürlich ist hier die Wahrheit ganz auf seiner Seite. Leider sagt der Autor nichts Direktes über die Politik des Zentralkomitees der deutschen Kommunistischen Partei: offenbar entschließt er sich nicht, sie zu verteidigen, wagt es aber auch nicht, sie zu kritisieren. Er selbst geht zwar unentschieden, aber doch ziemlich richtig an die peinliche Frage heran. Nachdem er die Arbeiter der verschiedenen Richtungen aufgefordert hat, sich in den Betrieben zu verständigen, schreibt Gottwald: „Viele von Euch werden vielleicht sagen: Einigt Euch dort ‚oben‘, wir ‚unten‘ werden uns schon leicht verständigen.“ „Wir glauben“, fährt der Autor fort, „das Wichtigste ist, dass sich die Arbeiter ‚unten‘ verständigen. Und was die Führer betrifft: wir haben bereits gesagt, dass wir uns sogar mit dem Teufel verbinden, wenn es nur gegen die Herrschenden und im Interesse der Arbeiter sein wird. Und wir sagen Euch offen: wenn Eure Führer auch nur für einen Augenblick ihr Bündnis mit der Bourgeoisie aufgeben, auch nur in einer Frage wirklich gegen die Herrschenden gehen sollten, – wir werden das begrüßen und sie in dieser Sache unterstützen.“

Hier ist fast alles Notwendige gesagt und beinahe so, wie es gesagt werden muss. Gottwald hat sogar die Erwähnung des Teufels nicht vergessen, dessen Name die Redaktion von Rude Pravo fünf Monate vorher in fromme Entrüstung brachte. Zwar hat Gottwald des Teufels Großmutter außer acht gelassen. Aber lassen wir sie in Frieden: um der Einheitsfront willen sind wir bereit, sie zu opfern. Vielleicht wäre Gottwald seinerseits bereit, die gekränkte Alte zu trösten, indem er ihr den Artikel aus Rude Pravo vom 27. Februar samt dem „Arbeiterkorrespondenten“ aus dem Tintenfass zur freien Verfügung überlässt?

Gottwalds politische Erwägungen sind, so hoffen wir, nicht nur auf die Tschechoslowakei, sondern auch auf Deutschland anwendbar. Auch das hätte gesagt werden müssen. Andererseits kann sich weder in Berlin noch in Prag die Parteileitung auf die bloße Erklärung ihrer Bereitschaft zur Einheitsfront mit der Sozialdemokratie beschränken, sondern muss diese Bereitschaft tatkräftig, unternehmungslustig, bolschewistisch, durch ganz bestimmte praktische Vorschläge und Aktionen beweisen. Gerade das fordern wir.

Gottwalds Artikel fand, weil er realistisch und nicht ultimatistisch klingt, sogleich Widerhall bei sozialdemokratischen Arbeitern: Am 31. Juli erschien in Rude Pravo unter anderem der Brief eines arbeitslosen Buchdruckers, der unlängst aus Deutschland heimgekehrt war. Der Brief lässt einen Arbeiterdemokraten erkennen, der zweifellos reformistische Vorurteile hat. Um so wichtiger ist es, darauf zu achten, wie sich die Politik der deutschen Kommunistischen Partei in seinem Bewusstsein widerspiegelt. „Als im Herbst vorigen Jahres Genosse Breitscheid“, so schreibt der Drucker, „an die Kommunistische Partei die Aufforderung richtete, gemeinsame Aktionen mit der Sozialdemokratie zu beginnen, rief er damit bei der Roten Fahne eine wahren Entrüstungssturm hervor. Da sagten sich die sozial demokratischen Arbeiter: ‚Jetzt wissen wir, wie ernst die Ansichten der Kommunisten über die Einheitsfront sind‚.“

Das ist wirklich die Stimme eines Arbeiters. Eine solche Stimme trägt zur Lösung der Frage mehr bei als Dutzende von Artikeln prinzipienloser Federfuchser. Breitscheid hatte in der Tat keinerlei Einheitsfront vorgeschlagen. Er schreckte nur die Bourgeoisie mit der Möglichkeit gemeinsamer Aktionen mit de Kommunisten. Hätte das Zentralkomitee der Kommunistische Partei die Frage sogleich auf des Messers Schneide gestellt, die sozialdemokratische Parteileitung wäre in eine schwierige Situation geraten. Doch eilte das ZK der Kommunistischen Partei wie immer, sich selbst in eine schwierige Lage zu bringen.

In der Broschüre Was nun? schrieb ich über Breitscheids Vorstoß: „Ist es nicht klar, dass man nach Breitscheids zweideutigem und diplomatischem Vorschlag unverzüglich mit bei den Händen hätte zugreifen müssen, um seinerseits ein konkretes, gut durchgearbeitetes Programm für den gemeinsame Kampf gegen den Faschismus aufzustellen und eine gemeinsam Sitzung beider Parteileitungen unter Teilnahme der Führung der Freien Gewerkschaften zu fordern? Gleichzeitig hätte man dieses Programm energisch nach unten tragen müssen, in all Stockwerke der beiden Parteien und in die Massen.“

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei verwandelte, indem es auf den Versuchsballon des reformistischen Führer mit einer Absage antwortete, Breitscheids zweideutige Phrase s Bewusstsein der Arbeiter in einen direkten Einheitsfrontvorschlag und gab den sozialdemokratischen Arbeitern die Schlussfolgerung ein: „Die Unsrigen wollen gemeinsame Aktionen aber die Kommunisten sabotieren.“ Kann man sich eine verfehltere und dümmere Politik vorstellen? Konnte man Breitscheids Manöver besser unterstützen? Der Brief des Prager Druckers beweist mit bemerkenswerter Anschaulichkeit, dass Breitscheid mit Thälmanns Hilfe sein Ziel vollständig erreicht hat.

Rude Pravo versucht, uns Widersprüche und Verwirrung daran nachzuweisen, dass wir im einen Falle ein Abkommen zurückweisen, im anderen es aber zulassen und es für notwendig halten, jedes Mal von neuem Umfang, Losungen und Methoden des Abkommens je nach den konkreten Umständen zu bestimmen. Rude Pravo begreift nicht, dass man in der Politik, wie in allen anderen wichtigen Bereichen, genau wissen muss: was, wann, wo und wie. Auch kann es nicht schaden zu verstehen: warum.

In unserer Kritik des Programmentwurfs der Komintern haben wir vor vier Jahren einige Grundregeln der Einheitsfrontpolitik aufgestellt. Wir halten es nicht für nutzlos, sie hier in Erinnerung zu bringen:

„Die Möglichkeit des Verrats steckt immer im Reformismus. Aber das heißt nicht, dass Reformismus und Verrat jederzeit ein und dasselbe sind. Nicht ganz. Man kann sich mit den Reformisten zeitweilig verständigen, wenn sie einen Schritt vorwärts machen. Mit ihnen aber ein Bündnis aufrechterhalten, wenn sie, erschrocken über die Entwicklung der Bewegung, Verrat üben, bedeutet verbrecherische Toleranz gegenüber Verrätern und eine Verschleierung des Verrats.“

„Die allerwichtigste, feststehende und unabänderlichste Regel für jedes Manöver lautet: Du sollst niemals die eigene Parteiorganisation mit einer fremden vermischen, vereinigen oder verbinden, mag sie im Augenblick noch so ‚nahestehend‘ sein. Du sollst niemals Schritte unternehmen, die direkt oder indirekt zu einer Unterordnung Deiner Partei unter andere Parteien oder unter Organisationen anderer Klassen führen und damit die Freiheit der eigenen Agitation beschränken, oder durch die du, wenn auch nur teilweise, für die politische Linie der anderen Partei verantwortlich gemacht wirst. Du sollst nicht die Fahnen vermischen, geschweige denn vor einer fremden Fahne knien.“

Heute, nach der Erfahrung mit dem Barbusse-Kongress, fügen wir noch eine Regel hinzu:

„Abkommen zwischen Parteien und Organisationen darf man nur offen, vor den Augen der Massen abschließen. Du sollst Dich nie zweideutiger Makler bedienen. Du sollst nicht diplomatische Geschäfte mit bürgerlichen Pazifisten als proletarische Einheitsfront ausgeben.“


Fußnote

1*. Der Umstand, daß sich die Brandlerianer (s. ihre Stuttgarter Tribüne vom 27. August) auch in dieser Frage sorgfältig von uns abgesondert und die Maskerade von Stalin, Manuilski, Losowski, Münzenberg unterstützt haben, überrascht uns am allerwenigsten. Nachdem sie das Muster ihrer Einheitsfrontpolitik in Sachsen 1923 geliefert hatten, unterstützten Brandler-Thalheimer die Stalinsche Politik gegenüber der Kuomintang und dem Anglorussischen Komitee. Wie sollten sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, unter Barbusses Banner zu treten? Anders wäre ja ihre politische Physiognomie nicht komplett.


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008