Leo Trotzki

 

Die permanente Revolution


3. Drei Elemente der „demokratischen Diktatur“: Klassen, Aufgaben und politische Mechanik

Der Unterschied zwischen dem „permanenten“ Standpunkte und dem leninschen hatte sich politisch geäußert in der Gegenüberstellung der Parole der Diktatur des Proletariats, das sich auf die Bauernschaft stützt, und der Parole der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Der Streit ging gar nicht darum, ob man über das bürgerlich-demokratische Stadium hinüberspringen könne und ob ein Bündnis zwischen den Arbeitern und den Bauern notwendig sei – der Streit ging um die politische Mechanik der Zusammenarbeit des Proletariats und der Bauernschaft in der demokratischen Revolution.

Viel zu überheblich, um nicht zu sagen leichtfertig, ist die Behauptung Radeks, daß nur Menschen, „die die Kompliziertheit der Methoden des Marxismus und des Leninismus nicht zu Ende gedacht haben“, die Frage nach dem parteipolitischen Ausdruck der demokratischen Diktatur in den Vordergrund schieben konnten, während Lenin die ganze Frage nur in der Zusammenarbeit der zwei Klassen an den objektiven historischen Aufgaben sah. Nein, so war es nicht.

Verläßt man den subjektiven Faktor der Revolution, die Parteien und ihre Programme, in diesem Falle die politische und organisatorische Form der Zusammenarbeit von Proletariat und Bauernschaft, so verschwinden alle Meinungsverschiedenheiten, nicht nur zwischen mir und Lenin, die zwei Schattierungen des gleichen revolutionären Flügels kennzeichneten, sondern, was allerdings schlimmer ist, es verschwinden auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen Bolschewismus und Menschewismus, es verschwindet schließlich der Unterschied zwischen der russischen Revolution von 1905 und den Revolutionen von 1848 und sogar von 1789, insofern man in bezug auf diese letztere von Proletariat überhaupt sprechen kann. Alle bürgerlichen Revolutionen beruhten auf der Mitarbeit der unterdrückten Klassen in Stadt und Land. Das gerade verlieh den Revolutionen in kleinerem oder größerem Grade den nationalen, d.h. den das gesamte Volk umfassenden Charakter.

Der theoretische wie der politische Streit ging bei uns nicht um die Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern an sich, sondern um das Programm dieser Zusammenarbeit, um ihre Parteiformen und politischen Methoden in den alten Revolutionen haben Arbeiter und Bauern „zusammengearbeitet“ unter Führung der liberalen Bourgeoisie oder ihres kleinbürgerlich demokratischen Flügels. Die Kommunistische Internationale hat das Experiment der alten Revolutionen in einer neuen historischen Situation wiederholt, indem sie alles getan hat, um die chinesischen Arbeiter und Bauern der politischen Führung des nationalliberalen Tschangkaischek und später des „Demokraten“ Wan-Tin-Wei zu unterwerfen. Lenin stellte die Frage eines Bündnisses der Arbeiter und Bauern im unversöhnlichen Gegensatz zur liberalen Bourgeoisie. Ein solches Bündnis hatte es in der früheren Geschichte noch nicht gegeben. Es handelte sich um ein seinen Methoden nach neues Experiment einer Zusammenarbeit der unterdrückten Klassen in Stadt und Dorf. Damit wurde die Frage nach den politischen Formen der Zusammenarbeit zum erstenmal gestellt. Radek hat das einfach übersehen. Deshalb führt er uns nicht nur von der Formel der permanenten Revolution, sondern auch von der leninschen „demokratischen Diktatur“ in den leeren Raum historischer Abstraktionen zurück. Ja, Lenin hatte sich während einer Reihe von Jahren geweigert, die Frage im voraus zu beantworten, wie die politisch-parteimäßige und staatliche Organisation der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aussehen werde, und er schob als Gegensatz zu der Koalition mit der liberalen Bourgeoisie die Zusammenarbeit dieser zwei Klassen in den Vordergrund. Lenin sagte: Aus der gesamten objektiven Situation ergibt sich in einer bestimmten historischen Etappe unvermeidlich das revolutionäre Bündnis der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft zur Lösung der Aufgaben der demokratischen Umwälzung. Ob die Bauernschaft Zeit haben und es verstehen wird, eine eigene Partei zu schaffen, ob diese Partei in der Regierung der Diktatur in der Mehrheit oder in der Minderheit und wie das spezifische Gewicht der Vertreter des Proletariats in der revolutionären Regierung sein wird – all diese Fragen lassen keine allgemeingültige Antwort zu. „Die Erfahrung wird es zeigen!“ Wenn auch die Formel der demokratischen Diktatur die Frage nach der politischen Mechanik des Bündnisses der Arbeiter und Bauern offenließ, so blieb sie dennoch, ohne sich in eine blaue Abstraktion von Radek zu verwandeln, bis zu einem bestimmten Zeitpunkte eine algebraische Formel, die für die Zukunft sehr weit auseinandergehende politische Deutungen zuließ.

Lenin selbst war dabei keinesfalls der Ansicht, daß die Frage durch die Klassenbasis der Diktatur und ihre objektiven historischen Ziele erschöpft wäre. Die Bedeutung des subjektiven Faktors: des Zieles, der bewußten Methode, der Partei – hatte Lenin gut begriffen und uns das alles gelehrt. Und darum verzichtete er in den Kommentaren zu seiner Parole auch nicht auf eine hypothetische Beantwortung der Frage: welche politischen Formen das in der Geschichte erste selbständige Bündnis der Arbeiter und Bauern annehmen könne. Lenin ist jedoch an diese Frage zu verschiedenen Zeiten verschieden herangegangen. Man muß den leninschen Gedanken nicht dogmatisch, sondern historisch betrachten. Lenin hat keine fertigen Gebote vom Sinai gebracht, sondern er schmiedete Gedanken und Parolen im Schmelzofen des Klassenkampfes. Er paßte diese Parolen der Wirklichkeit an, konkretisierte und präzisierte sie und füllte sie zu verschiedenen Perioden mit verschiedenen Inhalten. Aber diese Seite der Frage, die später entscheidenden Charakter gewann und die bolschewistische Partei zu Beginn des Jahres 1917 dicht an die Grenze der Spaltung brachte, hat Radek nicht studiert; er ist an ihr einfach vorbeigegangen.

Es ist jedoch Tatsache, daß Lenin nicht immer in gleicher Weise den wahrscheinlichen parteipolitischen Ausdruck und die Regierungsform des Bündnisses der zwei Klassen charakterisierte, und daß er sich davor zurückhielt, durch hypothetische Deutungen die Partei zu binden. Wo sind die Gründe für eine solche Vorsicht? Die Gründe sind darin zu suchen, daß ein Bestandteil dieser algebraischen Formel eine ihrer Bedeutung nach gigantische, aber politisch äußerst unbestimmte Größe bildete: die Bauernschaft.

Ich will nur einige Beispiele leninscher Deutung der demokratischen Diktatur anführen, wobei ich bemerken möchte, daß eine zusammenhängende Charakteristik der Evolution des leninschen Gedankens in dieser Frage eine selbständige Arbeit erfordern würde.

Den Gedanken entwickelnd, daß das Proletariat und die Bauernschaft die Basis der Diktatur sein würden, schrieb Lenin im März 1905:

„Und diese Zusammensetzung der sozialen Basis der vermutlichen und wünschenswerten revolutionär demokratischen Diktatur wird sich natürlich auch in der Zusammensetzung der revolutionären Regierung äußern, sie wird die Beteiligung der verschiedenartigsten Vertreter der revolutionären Demokratie an dieser Regierung und sogar deren Übergewicht unvermeidlich machen.“ (Bd.VI d. russ. Ausg., S.132, kursiviert von mir.)

In diesen Worten zeigt Lenin nicht nur die Klassenbasis, sondern auch eine bestimmte Regierungsform der Diktatur, mit einem möglichen Übergewicht der Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie.

Im Jahre 1907 schrieb Lenin:

„Die bäuerliche Agrarrevolution, von der Sie, meine Herren, sprechen, muß, um zu siegen, als solche, als Bauernrevolution, die zentrale Macht des ganzen Staates werden.“ (Bd.IX, S.539.)

Diese Formel geht noch weiter. Man kann sie in dem Sinne verstehen, daß die revolutionäre Macht unmittelbar in den Händen der Bauernschaft konzentriert werden müsse. Diese Formel umfaßt jedoch, bei einer weitergehenden Deutung, wie sie ihr der Verlauf der Entwicklung gegeben hat, auch die Oktoberumwälzung, welche das Proletariat als „Agenten“ der Bauernrevolution an die Macht gebracht hat. Das sind die äußersten Pole der zulässigen Deutungen der Formel der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft. Es ist wahrscheinlich, daß in dieser ihrer algebraischen Unbeständigkeit – bis zu einem gewissen Moment – ihre Stärke lag, aber darin lagen auch ihre Gefahren, die sich bei uns nach dem Februar kraß genug gezeigt und die in China zur Katastrophe geführt haben.

Im Juli 1905 schreibt Lenin:

„Von der Machtergreifung durch die Partei spricht niemand – es wird nur von der Beteiligung, von einer nach Möglichkeit führenden Beteiligung in der Revolution gesprochen ...“ (Bd.VI, S.278.)

Im Dezember 1906 hält es Lenin für möglich, in der Frage der Machtergreifung durch die Partei Kautsky beizupflichten:

„Kautsky betrachtet es nicht nur ‚als sehr wahrscheinlich‘, daß im Verlauf der Revolution der Sieg der s.-d. Partei zufallen wird, sondern er erklärt es als Pflicht der Sozialdemokraten, ‚ihren Anhängern die Siegessicherheit zu suggerieren, denn man kann nicht erfolgreich kämpfen, wenn man von vornherein auf den Sieg verzichtet‘.“ (Bd.VIII, S.58.)

Zwischen diesen beiden, von Lenin selbst gegebenen Deutungen ist die Entfernung nicht kleiner als zwischen den Formulierungen von Lenin und von mir. Das werden wir später noch deutlicher sehen. Hier wollen wir die Frage stellen: Was bedeuten diese Widersprüche bei Lenin? Sie spiegeln das nämliche „große Unbekannte“ in der politischen Formel der Revolution wider: die Bauernschaft. Nicht umsonst nannte die radikale Sprache ehemals den Bauer die Sphinx der russischen Geschichte. Die Frage nach der Natur der revolutionären Diktatur ist – ob Radek es nun will oder nicht – untrennbar von der Frage nach der Möglichkeit einer der liberalen Bourgeoisie feindlichen und vom Proletariat unabhängigen revolutionär-bäuerlichen Partei. Die entscheidende Bedeutung dieser Frage ist nicht schwer zu begreifen. Wenn die Bauernschaft fähig wäre, in der Epoche der demokratischen Revolution eine selbständige Partei zu schaffen, so könnte die demokratische Diktatur in ihrem wahrsten und unmittelbarsten Sinne des Wortes verwirklicht werden, und die Frage nach der Beteiligung der proletarischen Minderheit an der revolutionären Regierung bekäme eine zwar wichtige, aber untergeordnete Bedeutung. Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn man davon ausgeht, daß die Bauernschaft, infolge ihres zwitterhaften Klassencharakters und der Uneinheitlichkeit ihrer sozialen Zusammensetzung, weder eine selbständige Politik, noch eine selbständige Partei haben kann und gezwungen ist, in der revolutionären Epoche zu wählen zwischen der Politik der Bourgeoisie und der Politik des Proletariats. Nur diese Einschätzung der politischen Natur der Bauernschaft ergibt die Perspektive der Diktatur des Proletariats, die unmittelbar aus der demokratischen Revolution erwächst. Darin liegt selbstverständlich keine „Leugnung“, „Ignorierung“ oder „Unterschätzung“ der Bauernschaft. Ohne die entscheidende Bedeutung der Agrarfrage für das Leben der ganzen Gesellschaft und ohne den tiefen und gigantischen Schwung der Bauernrevolution konnte von der proletarischen Diktatur in Rußland überhaupt nicht die Rede sein. Die Tatsache aber, daß die Agrarrevolution die Bedingungen für die Diktatur des Proletariats geschaffen hat, ist aus der Unfähigkeit der Bauernschaft erwachsen, mit eigenen Mitteln und unter eigener Führung ihr eigenes historisches Problem zu lösen. Unter den heutigen Bedingungen in den bürgerlichen Ländern, selbst in den zurückgebliebenen, soweit diese bereits in die Epoche der kapitalistischen Industrie eingetreten und durch Eisenbahn und Telegraph zu einer Einheit verbunden sind – das bezieht sich nicht nur auf Rußland, sondern auch auf China und Indien –, ist die Bauernschaft zu einer führenden oder auch nur selbständigen politischen Rolle noch weniger fähig als im Zeitalter der alten bürgerlichen Revolutionen. Daß ich diesen Gedanken, der einen der wichtigsten Bestandteile der Theorie der permanenten Revolution bildet, beständig und beharrlich unterstrich, war ein völlig ungenügender und im wesentlichen ganz unbegründeter Anlaß, mich der Unterschätzung der Bauernschaft zu beschuldigen.

Wie steht Lenin zu der Frage einer Bauernpartei? Um diese Frage zu beantworten, müßte man einen besonderen Aufsatz der Wandlung der Ansichten Lenins über die russische Revolution während der Periode 1905-1917 widmen. Beschränken wir uns hierauf zwei Zitate:

Im Jahre 1907 schreibt Lenin:

„Es ist möglich ..., daß die objektiven Schwierigkeiten einer politischen Vereinigung der Kleinbourgeoisie die Bildung einer solchen Partei verhindern und die bäuerliche Demokratie für lange Zeit im gegenwärtigen Zustande einer schwammigen, ungeformten, breiartigen, trudowikischen [9] Masse belassen werden.“ (Bd.VIII, S.494.)

Im Jahre 1909 äußert sich Lenin zum gleichen Thema folgendermaßen:

„Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß eine bis zu dem so ... hohen Entwicklungsgrade wie die revolutionäre Diktatur gediehene Revolution eine fester geformte und mächtigere revolutionär-bäuerliche Partei schaffen wird. Die Sache anders zu beurteilen, würde bedeuten, anzunehmen, es könnten bei einem erwachsenen Menschen einige wesentliche Organe der Größe, Form und dem Grade der Entwicklung nach im embryonalen Zustande verbleiben.“ (Bd.XI T.1, S.230.)

Hat sich diese Annahme bestätigt? Nein, sie hat sich nicht bestätigt. Aber gerade sie veranlaßte Lenin, bis zum Augenblick der völligen historischen Nachprüfung auf die Frage nach der revolutionären Macht nur eine bedingte Antwort zu geben. Es versteht sich von selbst, daß Lenin seine hypothetische Formel nicht über die Wirklichkeit gestellt hat. Der Kampf um die selbständige politische Partei des Proletariats bildete den Hauptinhalt seines Lebens. Die kläglichen Epigonen aber landeten auf der Jagd nach einer Bauernpartei bei der Unterwerfung der chinesischen Arbeiter unter die Kuomintang, bei der Erdrosselung des Kommunismus in Indien im Namen der „Arbeiter und Bauernpartei“, bei der gefährlichen Fiktion der Bauerninternationale, bei der Maskerade der antiimperialistischen Liga usw.

Der heute herrschende Gedanke gibt sich keine Mühe, bei den oben angeführten Widersprüchen Lenins zu verweilen, die teils äußerlich und scheinbar, teils auch wirklich vorhanden sind, die sich aber stets aus dem Problem von selbst ergeben. Seitdem es bei uns die besondere Abart „roter“ Professoren gibt, die sich häufig von den alten reaktionären Professoren nicht durch ein festeres Rückgrat, sondern nur durch eine tiefere Unbildung unterscheiden, wird Lenin bei uns auf Professorenart zurechtgestutzt und von allen Widersprüchen, d.h. von der Dynamik seines Denkens gesäubert; Standardzitate werden auf einzelne Fädchen aufgezogen und dann je nach den Bedürfnissen des „gegebenen Momentes“ serienweise in Umlauf gesetzt.

Man darf keinen Augenblick vergessen, daß die Fragen der Revolution in einem politisch „jungfräulichen“ Lande akut wurden nach einer großen historischen Pause, nach einer längeren reaktionären Epoche in Europa und in der ganzen Welt, und daß sie schon allein deshalb viel Unbekanntes mit sich brachten. In der Formel „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern“ gab Lenin den Ausdruck der besonderen sozialen Verhältnisse Rußlands. Er gab dieser Formel verschiedene Deutungen, lehnte sie aber niemals ab, ohne die Eigenart in den Bedingungen der russischen Revolution erschöpfend bemessen zu haben. Worin bestand diese Eigenart?

Die gigantische Rolle der Agrarfrage und der Bauernfrage überhaupt, als Basis oder Unterbau aller anderen Probleme, und die große Zahl der bäuerlichen und mit den Bauern sympathisierenden Intelligenz mit ihrer volkstümelnden Ideologie, mit den „antikapitalistischen“ Traditionen und der revolutionären Stählung – das alles in seiner Gesamtheit bedeutete, daß, wenn irgendwo überhaupt eine antibürgerliche revolutionäre Bauernpartei möglich war, so gerade und vor allem in Rußland.

Und in der Tat, aus dem Bestreben heraus, eine Bauern- oder eine Arbeiter- und Bauernpartei – zum Unterschiede von einer liberalen und proletarischen – zu schaffen, wurden in Rußland alle möglichen politischen Variationen versucht, sowohl illegale wie parlamentarische wie kombinierte: „Semlja i Wolja“, „Narodnaja Wolja“, „Tschorny Peredel“, das legale “Narodnitschestwo“, „Volkssozialisten“, „Trudowiki“, „Sozialrevolutionäre“, „Linke Sozialrevolutionäre“ usw. usw. Wir hatten bei uns während eines halben Jahrhunderts gleichsam ein riesiges Laboratorium zur Schaffung einer „antikapitalistischen“ Bauernpartei mit einer selbständigen Position gegenüber der proletarischen Partei. Den größten Umfang erreichte, wie bekannt, das Experiment der Sozialrevolutionären Partei, die im Jahre 1917 für einige Zeit tatsächlich die Partei der überwiegenden Mehrheit der Bauernschaft darstellte. Und dann? Sie hat ihre Position nur benutzt, um die Bauern mit Haut und Haaren an die liberale Bourgeoisie zu verraten. Die Sozialrevolutionäre gingen eine Koalition ein mit den Imperialisten der Entente und führten zusammen mit diesen einen bewaffneten Kampf gegen das russische Proletariat.

Dieses wahrhaft klassische Beispiel beweist, daß kleinbürgerliche Parteien auf bäuerlicher Basis zwar noch im historischen Alltag, wenn zweitrangige Fragen auf der Tagesordnung stehen, den Schein einer selbständigen Politik aufrechterhalten können; daß aber, wenn die revolutionäre Gesellschaftskrise die grundlegenden Fragen des Eigentums auf die Tagesordnung stellt, die kleinbürgerliche „bäuerliche“ Partei automatisch zum Werkzeug der Bourgeoisie gegen das Proletariat wird.

Betrachtet man meine alten Meinungsverschiedenheiten mit Lenin nicht im Querschnitt herausgerissener Zitate dieses und jenes Jahres, Monats und Tages, sondern in der richtigen historischen Perspektive, so wird es völlig klar, daß der Streit, wenigstens von meiner Seite aus, nicht darum ging, ob vor Rußland demokratische Aufgaben stehen, die eine revolutionäre Lösung verlangen; nicht darum, ob für die Lösung dieser Aufgaben ein Bündnis des Proletariats mit den Bauern erforderlich ist, sondern darum, welche parteipolitische und staatliche Form die revolutionäre Kooperation des Proletariats und der Bauernschaft annehmen könne und welche Folgen sich daraus für die weitere Entwicklung der Revolution ergeben. Ich spreche natürlich von meiner Position in diesem Streite, nicht von der damaligen Position Bucharin-Radek, für die diese selbst Rede stehen mögen.

Wie dicht die Formel der „permanenten Revolution“ an die leninsche Formel heranging, beweist anschaulich folgende Gegenüberstellung. Im Sommer 1905, also vor dem Oktoberstreik und vor dem Dezemberaufstand in Moskau, schrieb ich im Vorwort zu einer Rede Lassalles:

„Es ist selbstverständlich, daß das Proletariat, wie seinerzeit die Bourgeoisie, seine Mission erfüllt gestützt auf die Bauernschaft und das Kleinbürgertum. Das Proletariat führt das Dorf, zieht es in die Bewegung hinein, interessiert es am Erfolg seiner Pläne. Führer aber bleibt unbedingt das Proletariat. Dies ist nicht die ‚Diktatur der Bauernschaft und des Proletariats‘, sondern die Diktatur des Proletariats gestützt auf die Bauernschaft.“ [10] (L. Trotzki, 1905, S.281.)

Man vergleiche nun diese Worte, geschrieben im Jahre 1905 und von mir in dem polnischen Artikel von 1909 zitiert, mit folgenden Worten Lenins, geschrieben 1909, gleich nachdem die Parteikonferenz unter dem Druck von Rosa Luxemburg die Formel „Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Bauernschaft“ statt der alten bolschewistischen Formel angenommen hatte. Den Menschewiken, die von der radikalen Änderung der Position Lenins schrieben, antwortete dieser:

„... Die Formel, die die Bolschewiki hier für sich gewählt haben, lautet: ‚das Proletariat, das die Bauernschaft anführt‘. [11] ... Ist es nicht offensichtlich, daß der Gedanke all dieser Formulierungen der gleiche ist? Daß dieser Gedanke ja eben Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft ausdrückt, daß die ‚Formel‘ – Proletariat, gestützt auf die Bauernschaft – völlig in den Grenzen der gleichen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft bleibt?“ (Bd.XI. T.1, S.219 und 224, kursiviert von mir.)

Lenin gibt also hier der „algebraischen“ Formel eine Deutung, die den Gedanken an eine selbständige Bauernpartei und noch mehr an deren dominierende Rolle in der revolutionären Regierung ausschließt, das Proletariat führt die Bauernschaft, das Proletariat stützt sich auf die Bauernschaft, folglich ist die revolutionäre Macht in den Händen der Partei des Proletariats konzentriert. Gerade darin aber bestand der zentrale Punkt der permanenten Revolution.

Das Äußerste, was man heute, d.h. nach der historischen Überprüfung der alten Meinungsverschiedenheiten über die Frage der Diktatur sagen kann, ist folgendes: Während Lenin, immer von der führenden Rolle des Proletariats ausgehend, auf jede Weise die Notwendigkeit der revolutionär-demokratischen Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern betont, klarlegt und uns dies lehrt, betone ich, gleichfalls immer von dieser Zusammenarbeit ausgehend, auf jede Weise die Notwendigkeit der proletarischen Führung nicht nur im Block, sondern auch in jener Regierung, die berufen sein wird, diesen Block zu verkörpern. Einen anderen Unterschied kann man hier nicht herauslesen.

Im Zusammenhang mit dem oben Angeführten wollen wir uns zwei Zitate ansehen: das eine aus Ergebnisse und Perspektiven, das Stalin und Sinowjew benutzten, um den Gegensatz zwischen meinen Ansichten und den Ansichten Lenins zu beweisen, das andere aus einem polemischen Artikel Lenins gegen mich, das Radek zum gleichen Zweck verwendet.

Hier das erste Zitat:

„Die Beteiligung des Proletariats an der Regierung ist objektiv am wahrscheinlichsten und prinzipiell zulässig nur als dominierende und führende Beteiligung. Man kann natürlich diese Regierung Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft, Diktatur des Proletariats, der Bauernschaft und der Intelligenz oder schließlich Koalitionsregierung der Arbeiterklasse und der Kleinbourgeoisie nennen. Die Frage aber bleibt doch bestehen: wem gehört die Hegemonie in der Regierung und durch sie im Lande? Wenn wir von einer Arbeiterregierung sprechen, so antworten wir schon damit allein, daß die Hegemonie der Arbeiterklasse gehören wird.“ (Unsere Revolution, 1906, S.250.)

Sinowjew schlug (im Jahre 1925) großen Lärm, weil ich (im Jahre 1905!) die Bauernschaft und die Intelligenz nebeneinander gestellt hatte. Nichts anderes hatte er aus den angeführten Zeilen herauszulesen vermocht. Die Erwähnung der Intelligenz war durch jene Periode bedingt, in der die Intelligenz politisch eine ganz andere Rolle spielte als heute: im Namen der Bauernschaft sprachen damals durchweg intellektuelle Organisationen: die Sozialrevolutionäre bauten offiziell ihre Partei auf der “Triade“: Proletariat, Bauernschaft, Intelligenz auf; die Menschewiki packten, wie ich damals schrieb, jeden radikalen Intellektuellen bei den Fersen, um immer von neuem das Aufblühen der bürgerlichen Demokratie zu beweisen. Über die Ohnmacht der Intelligenz als einer „selbständigen“ sozialen Gruppe und über die entscheidende Bedeutung der revolutionären Bauernschaft hatte ich mich zu jener Zeit Hunderte Mal geäußert. Es handelt sich ja übrigens gar nicht um einen einzelnen polemischen Satz, den zu verteidigen ich gar nicht die Absicht habe. Der Kern des Zitats besteht darin, daß ich den leninschen Inhalt der demokratischen Diktatur völlig akzeptiere und nur eine präzisere Festlegung ihrer politischen Mechanik verlange, d.h. die Verwerfung einer solchen Koalition, in der das Proletariat nur eine Geißel unter einer kleinbürgerlichen Mehrheit sein würde.

Sehen wir uns jetzt den Aufsatz Lenins von 1916 an, der, wie Radek selbst bemerkt, „formell gegen Trotzki, in Wirklichkeit aber gegen Bucharin, Pjatakow, den Schreiber dieser Zeilen (d.h. Radek) und eine Reihe anderer Genossen“ gerichtet war. Das ist eine sehr wertvolle Feststellung, die meinen damaligen Eindruck völlig bestätigt, daß Lenin die Polemik nur scheinbar an meine Adresse richtete, denn der Inhalt betraf, wie ich gleich beweisen werde, im wesentlichen gar nicht mich. Der Aufsatz enthält (in zwei Zeilen) gerade jene Anklage wegen meiner angeblichen „Negierung der Bauernschaft“, die später das Hauptkapitel der Epigonen und deren Jünger wurde. Der „Nagel“ dieses Aufsatzes – wie Radek sich ausdrückt – ist folgende Stelle:

„Trotzki hat nicht überlegt“ – sagt Lenin, meine Worte zitierend –, „daß das eben die Vollendung der ‚nationalen bürgerlichen Revolution‘ in Rußland sein wird, wenn das Proletariat nichtproletarische Massen des Dorfes zur Konfiskation des gutsherrlichen Bodens mitreißt und die Monarchie stürzt, dies eben wird DIE REVOLUTIONÄR-DEMOKRATISCHE DIKTATUR DES PROLETARIATS UND DER BAUERNSCHAFT sein.“ (Lenin, Bd.XIII, S.214.)

Daß Lenin sich mit dem Vorwurf der „Negierung“ der Bauernschaft nicht an die „richtige Adresse“ wandte, sondern in Wirklichkeit Bucharin und Radek meinte, die tatsächlich über die demokratische Etappe der Revolution hinüberspringen wollten, ist nicht nur aus allem Obengesagten klar, sondern auch aus dem von Radek selbst angeführten Zitat, das er mit Recht den „Nagel“ des leninschen Aufsatzes nennt. In der Tat, Lenin beruft sich direkt auf die Worte meines Aufsatzes, wonach nur eine unabhängige und kühne Politik des Proletariats die „nichtproletarischen“ Massen des Dorfes zur Konfiskation des gutsherrlichen Bodens, zum Sturz der Monarchie usw. mitreißen kann, und Lenin fügt hinzu: „Trotzki hat nicht überlegt, daß ... gerade dies die revolutionär-demokratische Diktatur sein wird.“

Mit anderen Worten, Lenin bestätigt hier und bezeugt sozusagen, daß Trotzki in Wirklichkeit den gesamten realen Inhalt der bolschewistischen Formel (die Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern und die demokratischen Aufgaben dieser Zusammenarbeit) akzeptiert, aber nicht zugestehen will, daß dies eben die demokratische Diktatur, die Vollendung der nationalen Revolution sein werde. Auf diese Weise geht in dem anscheinend „scharfen“ polemischen Aufsatz der Streit nicht um das Programm der nächsten Etappe der Revolution und deren bewegende Klassenkräfte, sondern gerade um das politische Verhältnis dieser Kräfte zueinander, um den politischen und parteiorganisatorischen Charakter der Diktatur. Wenn einerseits infolge der Unklarheit der Prozesse selbst, andrerseits infolge fraktioneller Zuspitzungen polemische Mißverständnisse in jener Zeit begreiflich und unvermeidbar waren, so ist es völlig unbegreiflich, wie Radek es vermocht hat, nachträglich einen solchen Wirrwarr in die Frage hineinzubringen.

Meine Polemik mit Lenin ging im wesentlichen um die Möglichkeiten der Selbständigkeit (und um den Grad der Selbständigkeit) der Bauernschaft in der Revolution, wie auch um die Möglichkeit einer selbständigen Bauernpartei. In dieser Polemik beschuldigte ich Lenin der Überschätzung der selbständigen Rolle der Bauernschaft. Lenin beschuldigte mich der Unterschätzung der revolutionären Rolle der Bauernschaft. Das ergab sich aus der Logik der Polemik selbst. Was aber anderes als Verachtung verdient einer, der heute, nach zwei Jahrzehnten, diese alten Zitate aus dem Fundament der damaligen Parteibeziehungen herausreißt, jeder polemischen Übertreibung und jedem episodischen Irrtum einen absoluten Wert verleiht, anstatt im Lichte der größten revolutionären Erfahrung aufzudecken, was denn der tatsächliche Kern der Meinungsverschiedenheiten gewesen und wie die Verhältnisse in der Realität, nicht aber auf dem Papier aussahen.

Gezwungen, mir bei der Auswahl der Zitate Beschränkungen aufzuerlegen, will ich hier nur auf die übersichtlichen Thesen Lenins über die Etappen der Revolution verweisen, die Ende des Jahres 1905 geschrieben und erst im Jahre 1926 im V. Band der ausgewählten Werke Lenins zum erstenmal veröffentlicht wurden (S.450). Es sei daran erinnert, daß alle Oppositionellen, darunter auch Radek, die Veröffentlichung dieser Thesen als das schönste Geschenk an die Opposition betrachtet haben, denn Lenin erweist sich darin als des Trotzkismus schuldig. Die wichtigsten Punkte der Resolution des VII. Plenums des EKKI, die den Trotzkismus verurteilt, scheinen gleichsam absichtlich gegen die grundlegenden Thesen Lenins gerichtet zu sein. Die Stalinisten knirschten vor Wut mit den Zähnen anläßlich dieser Veröffentlichung. Der Redakteur des Sammelbuches, Kalitulljew, gestand mir mit der ihn auszeichnenden, nicht sehr schamhaften „Gutmütigkeit“ offen: Wäre nicht der Block zwischen uns in Vorbereitung, er hätte unter keinen Umständen die Veröffentlichung dieses Dokumentes zugelassen. In einem Aufsatz der Kostrschewa im Bolschewik wurden diese Thesen schließlich gerade zu dem Zweck böswillig gefälscht, um Lenin nicht in den Verdacht der „trotzkistischen“ Einstellung zur Bauernschaft überhaupt und zum Mittelbauern insbesondere zu bringen.

Ich führe hier noch Lenins Einschätzung seiner Meinungsverschiedenheiten mit mir an, die er im Jahre 1909 gegeben hat:

„Gen. Trotzki selbst läßt bei dieser Erwägung die Beteiligung der Vertreter der demokratischen Bevölkerung, an der ‚Arbeiterregierung‘ zu, d.h. er läßt eine Regierung aus Vertretern des Proletariats und der Bauernschaft zu. Unter welchen Bedingungen die Beteiligung des Proletariats an der Regierung der Revolution zulässig ist – bleibt eine besondere Frage, und in dieser Frage werden sich die Bolschewiki höchstwahrscheinlich nicht nur mit Trotzki, sondern auch mit der polnischen Sozialdemokratie nicht einigen. Die Frage nach der Diktatur der revolutionären Klassen läuft jedoch keinesfalls hinaus auf die Frage nach der >Mehrheit< in der einen oder anderen revolutionären Regierung, sondern auf die Frage nach den Bedingungen, unter denen die Beteiligung der Sozialdemokratie an der einen oder der anderen Regierung zulässig ist.“ (Bd.XI, T.1, S.229; kursiviert von mir.)

In diesem Zitat von Lenin wird erneut bestätigt, daß Trotzki eine Regierung aus Vertretern des Proletariats und der Bauernschaft akzeptiert, also die letztere nicht „überspringt“. Lenin betont dabei, daß die Frage der Diktatur nicht auf die Frage nach der Mehrheit in der Regierung hinausläuft. Das ist unbestreitbar. Es handelt sich in erster Linie um die gemeinsame Arbeit des Proletariats und der Bauernschaft und folglich um den Kampf der proletarischen Avantgarde gegen die liberale oder „nationale“ Bourgeoisie um den Einfluß auf die Bauern. Wenn aber die Frage der revolutionären Diktatur der Arbeiter und Bauern auch nicht auf die Frage nach der Mehrheit in der Regierung hinausläuft, so führt sie doch beim Siege der Revolution unvermeidlich zu dieser Frage als der entscheidenden. Wie wir gesehen haben, macht Lenin (für jeden Fall) vorsichtig den Vorbehalt: Sollte die Beteiligung der Partei in einer revolutionären Regierung in Frage kommen, dann würden wir mit Trotzki wie auch mit den polnischen Genossen über die Bedingungen dieser Beteiligung vielleicht verschiedener Meinung sein. Die Rede war also von wahrscheinlichen Meinungsverschiedenheiten, insofern Lenin theoretisch die Beteiligung der Vertreter des Proletariats als einer Minderheit in der demokratischen Regierung als zulässig betrachtete. Die Ereignisse haben jedoch gezeigt, daß wir nicht verschiedener Meinung waren. Im November 1917 tobte in der Spitze der Partei ein Kampf um die Frage der Koalitionsregierung mit den Sozialrevolutionären und den Menschewiken. Lenin hatte im Prinzip nichts gegen eine Koalition auf der Basis der Sowjets, er forderte aber kategorisch eine feste Sicherung der bolschewistischen Mehrheit. Ich ging mit ihm Hand in Hand.

Jetzt wollen wir mal hören, worauf Radek mit der ganzen Frage der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft eigentlich hinaus will.

„Worin – fragt er – hat sich die alte bolschewistische Theorie von 1905 grundlegend als richtig erwiesen? Darin, daß das gemeinsame Auftreten der Petrograder Arbeiter und Bauern (der Soldaten der Petrograder Garnison) den Zarismus gestürzt hat (im Jahre 1917. L.T.). Die Formel von 1905 sieht in ihrem Grundlegenden nur das Verhältnis der Klassen, nicht eine konkrete politische Institution voraus.“

Nun, nun, nun! Wenn ich die alte leninsche Formel als eine „algebraische“, d.h. verschiedene konkrete Deutungen zulassende bezeichne, so keinesfalls deshalb, damit es erlaubt sei, sie in einen leeren Gemeinplatz zu verwandeln, wie Radek es unbedenklich tut. „Das Grundlegende hat sich verwirklicht: das Proletariat und die Bauern haben gemeinsam den Zarismus gestürzt.“ Aber dieses „Grundlegende“ vollzog sich ausnahmslos in allen siegreichen oder halbsiegreichen Revolutionen. Zaren, Feudalherren und Popen wurden immer und überall mit den Knochen der Proletarier oder der Vorläufer der Proletarier, der Plebejer und Bauern geschlagen. Das gab es bereits im 16. Jahrhundert in Deutschland und sogar schon früher. In China haben ebenfalls Arbeiter und Bauern die „Militaristen“ geschlagen. Was hat das mit der demokratischen Diktatur zu tun? Sie hat in den alten Revolutionen nicht existiert, auch in China nicht. Weshalb nicht? Auf den Rücken der Arbeiter und Bauern, die die schwarze Arbeit der Revolution ausführten, saß die Bourgeoisie. Radek ist von politischen Institutionen soweit „abgekommen“, daß er das „Grundlegendste“ in der Revolution vergessen hat: wer führt und wer ergreift die Macht? Eine Revolution aber ist ein Kampf um die Macht. Es ist ein politischer Kampf, den die Klassen nicht mit leeren Händen führen sondern mit Hilfe der „politischen Institutionen“ (Partei usw.).

„Menschen, die die Kompliziertheit der Methode des Marxismus und Leninismus nicht zu Ende gedacht haben – donnert Radek gegen uns Sünder –, haben das so verstanden: die Sache müsse unbedingt mit einer gemeinsamen Regierung der Arbeiter und Bauern enden, ja, einige wähnten sogar, es müsse unbedingt eine Koalitionsregierung der Arbeiter- und Bauernparteien sein.“

Solche Einfaltspinsel sind diese „Einige“! ... Und was wähnt Radek selbst? Daß eine siegreiche Revolution nicht zu einer neuen Regierung führen müsse, oder daß diese neue Regierung nicht ein bestimmtes Kräfteverhältnis der revolutionären Klassen widerspiegeln und sichern muß? Radek hat das „soziologische“ Problem derart vertieft, daß nichts außer einer Worthülse übriggeblieben ist.

Wie unzulässig es ist, sich von der Frage der politischen Formen der Zusammenarbeit der Arbeiter und Bauern zu entfernen, werden uns die Worte aus einem Vortrag Radeks in der Kommunistischen Akademie vom März 1927 am besten beweisen:

„Ich habe im vorigen Jahr in der Prawda, einen Aufsatz über diese (Kanton)-Regierung geschrieben, die ich Bauern- und Arbeiterregierung nannte. Die Genossen in der Redaktion aber nahmen an, es sei ein Versehen von mir gewesen und korrigierten: Arbeiter- und Bauernregierung. Ich protestierte dagegen nicht und ließ so stehen: Arbeiter- und Bauernregierung.“

Radek war also im Jahre 1927 (nicht 1905) der Ansicht, es könne eine Bauern- und Arbeiterregierung zum Unterschiede von einer Arbeiter- und Bauernregierung geben. Der Redakteur der Prawda hatte das nicht kapiert. Ich gestehe, ich auch nicht. Was eine Arbeiter- und Bauernregierung ist, das wissen wir. Aber was ist eine Bauern- und Arbeiterregierung zum Unterschiede und im Gegensatz von einer Arbeiter- und Bauernregierung? Vielleicht nehmen Sie sich die Mühe, uns diese geheimnisvolle Umstellung der Adjektiva zu erklären? Hier kommen wir an den Kern der Frage heran. Im Jahre 1926 glaubte Radek, die Kantoner Regierung Tschangkaischeks sei eine Bauern- und Arbeiterregierung, im Jahre 1927 hat er das mit Bestimmtheit wiederholt. Es hat sich jedoch in der Wirklichkeit gezeigt, daß es eine bürgerliche Regierung war, die den revolutionären Kampf der Arbeiter und Bauern nur für sich ausbeutete und diese dann im Blute ertränkte. Womit ist dieser Irrtum zu erklären? Hat sich Radek einfach getäuscht? Man kann sich aus der Entfernung täuschen. Dann aber muß man sagen: ich habe es nicht begriffen, nicht überblickt, ich habe mich geirrt. Aber nein, hier liegt kein faktischer Irrtum aus Mangel an Information vor, sondern, wie sich jetzt klar herausstellt, ein tief prinzipieller Fehler. Die Bauern- und Arbeiterregierung, im Gegensatz zur Arbeiter- und Bauernregierung, das ist die Kuomintang. Nichts anderes kann es bedeuten. Wenn die Bauernschaft nicht dem Proletariat folgt, dann folgt sie der Bourgeoisie. Ich glaube, in meiner Kritik des stalinschen Gedankens der „zweiteilig zusammengesetzten Arbeiter- und Bauernpartei“ diese Frage genügend geklärt zu haben (siehe Kritik des Programms der Komintern). Die Kantoner „Bauern- und Arbeiter-Regierung“ zum Unterschiede von einer Arbeiter- und Bauernregierung ist in der Sprache der heutigen chinesischen Politik der einzig denkbare Ausdruck der „demokratischen Diktatur“ im Gegensatz zur proletarischen Diktatur, mit anderen Worten, die Verkörperung der stalinschen Kuomintang-Politik im Gegensatze zur bolschewistischen Politik, die die Kommunistische Internationale „trotzkistisch“ nennt.

Fußnoten

9. Trudowiki waren die Vertreter der Bauern in den vier Dumen, beständig schwankend zwischen den Kadetten (Liberalen) und den Sozialdemokraten.

10. Dieses Zitat, neben hundert anderen, beweist nebenbei, daß ich die Existenz der Bauernschaft und die Bedeutung der Agrarfrage bereits am Vorabend der Revolution von 1905 erkannt hatte, d.h., daß ich etwas früher als die Maslow, Thalheimer, Thälmann, Remmele, Cachin, Monmousseau, Bela Kun, Pepper, Kuusinen und andere marxistische Soziologen begonnen habe, mich über die Bedeutung der Bauernschaft zu unterrichten.

11. Lenin empfahl auf der Konferenz von 1909 die Formel: „das Proletariat, das die Bauernschaft anführt“, er schloß sich jedoch dann der Formel der polnischen Sozialdemokraten an, die dadurch auf der Konferenz die Mehrheit gegen die Menschewiki bekam.

 


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008