Leo Trotzki

 

Europa und Amerika


Anhang 10

Aus dem Vorwort des Buches
Westen und Osten

(15. Juli 1924)


Aus: Westen und Osten.


... Es bleibt noch die Frage der Prognose. Diese lässt sich indes nicht einigermaßen begründet durchführen, wenn man ausschließlich im Rahmen des Westens (Europa) und des Ostens (Asien) bleibt und die Rolle der Vereinigten Staaten von Nordamerika ganz unberücksichtigt lässt: das hieße unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Rechnung ohne den Wirt machen.

Diese grundlegende Tatsache muss man sich fest einprägen: der Herr der Lage ist U.S.-Amerika; denn es ist unvergleichlich reicher als Europa und die ganze übrige Welt. Die wirtschaftliche Macht der transatlantischen Republik wird erst in der nächsten Zeit in ihrem ganzen Umfange in Erscheinung treten, und zwar nicht nur in der internationalen Situation, sondern auch in den inneren Beziehungen Europas. Die Politik der Vereinigten Staaten ist mit allen ihren taktischen Pausen und Rückzügen auf die „Befriedigung“ Europas, im Wege seiner restlosen Unterordnung unter das amerikanische Kapital, gerichtet. Die europäische Sozialdemokratie erstrebt diesen Zustand als ein „Ideal“. In diesem Sinne verwandelt sich der europäische Menschewismus immer mehr in eine politische Agentur des angelsächsischen, d.h. im Grunde genommen, des amerikanischen Kapitals. Der Verlauf der „Verständigungsära“ in der Entwicklung Europas wird zum allergrößten Teil davon abhängen, mit welchem Erfolg – vorausgesetzt, dass sie überhaupt einen Erfolg haben wird – die Verwandlung des kapitalistischen Europas in eine amerikanische „Dominion“ von besonderem Typus sich vollziehen wird.

 


Zuletzt aktualisiert am 27.7.2004